Innere Welt - Hans Phoenix - E-Book

Innere Welt E-Book

Hans Phoenix

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Beschreibung

Der Mann Loocian findet sich auf einmal in einer Phantasiegeschichte wieder, die sein bisheriges Weltbild vollkommen auf den Kopf stellt. Und nicht nur seines. Der Junge Ein Tag wie jeder andere. Dachte Julian, doch schon bald wird er eines Besseren belehrt. Er kommt durch ein Portal nach Argathi, eine andere Welt. Denkt er! Er soll helfen und eine Aufgabe erfüllen. Auch er ist auf einmal mitten in einer Phantasiegeschichte mit erstaunlichen Wendungen und Ereignissen.

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Inhaltsverzeichnis

Teil 1: Der Mann

Vorwort

Prolog

I.

Begegnungen

II.

Aufbruch

III.

Erste Kämpfe

IV.

Suenn am Nhier

V.

Team

VI.

Prüfung

VII.

Santin

VIII.

Hilfe

IX.

Schlacht um Nosz

X.

Erkenntnisse

XI.

Clavis Arx

XII.

Die Flucht

XIII.

Sed

XIV.

Das Konstrukt

XV.

Die Annunaki

Epilog

Teil 2: Der Junge

Ein Frostriese

I.

Verschwunden?!

II.

Das Abenteuer beginnt

III.

Asarcis

IV.

Illuminaten

V.

Die äußere Welt

VI.

Gespaltene Seelen

VII.

Casteltz

VIII.

Die Kristallstadt

IX.

Wiederkehr und Neubeginn!?

Epilog

Hans Phoenix

Innere Welt

Teil 1 Der Mann

Vorwort

Ursprünglich sollten es zwei Teile, also zwei Bücher werden. Es war 2009/2010 einfach zu teuer, ein Buch mit Seiten über 400 kostengünstig auf den Markt zu bringen. Abgesehen davon, daß deutsche Verlage keine deutschen Autoren herausbringen, sondern lieber amerikanische Bücher übersetzen. Wurde mir mehrfach so geschrieben. Doch dank Book on demand wurde es einfacher.

Der erste Teil kam dann 2010 heraus, mit anderem Cover und wurde tatsächlich etwa 30 mal verkauft.

Pro Band hat der Autor satte 1,08 Euro „verdient“. Amazon und andere Buchshops nahmen sich davon etwa 5 Euro. Willkommen im Verlagswesen.

Der zweite Teil war auch schon ziemlich zügig fertig geschrieben. Doch gab es immer wieder Gründe, eine Veröffentlichung zu verschieben. Und so zogen tatsächlich knapp zwölf Jahre ins Land, bis es jetzt zu diesem Buch gekommen ist.

Geänderte Passagen, neue Erkenntnisse, geänderte Enden, es hatte bisher einfach nicht hingehauen, das Werk zu vollenden. Und wie sich herausstellte, aus guten Gründen, denn nun ist es doch EIN Buch geworden und es ist viel erschwinglicher als es vorher die zwei Bücher gewesen wären. Kommt also dem Käufer/Leser zugute. Zudem sind die Margen der Buchhändler geringer geworden, es hat sich ein wenig in Richtung Autor verlagert, doch immer noch nicht so, daß man reich werden kann. Nicht jeder ist ein Bestsellerautor.

Darum geht es mir auch nicht. Ich liebe es Geschichten zu erzählen und diese hier geisterte viel zu lange in meinem Kopf herum. Wenn ich sie nicht geschrieben hätte, wäre der bestimmt geplatzt.

Das Buch ist nach alter Rechtschreibung geschrieben. Für mich sieht alles, was nach Neuer geschrieben wird, falsch aus, das ist ein Grund. Zweitens ist es alte Welt und wir wollen doch in eine neue Welt gehen, oder? So, wie wir künftig kommunizieren, brauchen wir Rechtschreibung nicht mehr und der ganze „Genderscheiß“ (sorry) wird auch verschwinden.

12 Jahre sind eine lange Zeit. In der Zwischenzeit hatten wir Trump, einen Q und auch viel mehr Wissen über die Außerirdischen und deren verschiedene Rassen, deswegen kann es sein, daß das im Roman eingeflochtene Wissen nicht mehr ganz richtig ist. Ich bitte also den geneigten Leser dieses wirklich als Roman zu sehen.

Leider ist auch die als Quelle genutzte Internetseite teleboom.de neu vergeben, weil der Betreiber „Jophiel“ seine Inkarnation beendet hat. Ich lasse es trotzdem als Quelle bestehen. Zur Zeit des Schreibens war es meine Quelle. Eine andere Quelle um 2010 herum war die galaktische Föderation des Lichts. Die wahre Föderation ist jetzt die galaktische Föderation der Welten. Es hat sich eben viel getan im Verlauf des Erwachensprozesses.

Wer trotz mehrfachen Korrekturlesens noch Fehler findet, darf diese behalten.

Und nun viel Spaß beim Lesen!

Euer Hans Phoenix

Inhaltsverzeichnis

Prolog

I. Begegnungen

II. Aufbruch

III. Erste Kämpfe

IV. Suenn am Nhier

V. Team

VI. Prüfung

VII. Santin

VIII. Hilfe

IX. Schlacht um Nosz

X. Erkenntnisse

XI. Clavis Arx

XII. Die Flucht

XIII. Sed

XIV. Das Konstrukt

XV. Die Annunaki

Epilog

Prolog

Beim letzten Beschwörungswort des Magiers sprang der Deckel der Schriftrolle auf. Statt eines Schriftstückes oder anderen Dokumentes kam nur Nebel heraus, der sich mehr und mehr verfestigte. Eine männliche Gestalt mit einem Umhang, grauen, langen Haaren und langen Bart wurde sichtbar. Dicht vor Aurelius schwebte die Erscheinung auf den Boden und verharrte dort. Ihn anblickend sprach der Mann mit dumpfer, schwacher Stimme:

„Sie werden geholt werden, zwei werden eins! Rettung ist nah, doch Wunder erwartet keins.

Für sie steht Leiden an und auch Qual Sie werden haben keine andere Wahl Doch wenn sie eins mit drei und vier geworden Dann müssen sie fürchten, die dunklen Horden

Dieses Eins und dann noch mal neun Die schwarzen Mächte werden´ s bereu´ n Alle Erdvölker erhalten die Sicht Werden leben zufrieden im ewigen Licht.“

Aurelius konzentrierte sich und merkte sich das eben Gehörte, sagte laut „Evanesco!“ Die Nebelgestalt wurde blasser und löste sich schließlich auf. Die Schriftrolle und das Kästchen wurden immer kleiner und kleiner, schließlich verschwanden sie ganz. Nachdenklich sah Aurelius in den Flammenschein des Feuers und versuchte diese Prophezeiung zu übersetzen. Die dritte Strophe würde seine Visionen bezüglich des Jungen und des Tieres erklären. Der Text war nicht mehrdeutig, wie sonst bei Orakeln. Der Magier war trotzdem nicht zufrieden. Er sah seine Befürchtungen bestätigt, was auf ihn und alle, die er um sich scharen würde, zukam. Keine Zeit für Gefühlsduseleien. „Ich habe meine Aufgabe und werde sie erfüllen!“ Leise, aber energisch, sagte er diese Worte vor sich hin. Dann zog er die Kapuze tiefer ins Gesicht und schloß die Augen. Doch nicht um zu schlafen, nein, sein Verstand versuchte, die Vorhersage weiter zu entschlüsseln. Er war beobachtet worden, das war ihm nicht entgangen. Die Prophezeiung ließ sich nur einmal öffnen. Er hatte dies gewußt und war das Risiko eingegangen.

Er wußte, wer ihn beobachtet hatte und hoffte, daß Santin so reagierte, wie er sich das erhoffte.

***

Santin starrte ungläubig auf eine von seinen zahlreichen Glaskugeln. Die einzige, die er für Argathi eingerichtet hatte. Nicht alles hatte er verstehen können von diesem Geschwafel des Orakels. Er spürte, wie Zorn in ihm aufstieg. Nicht nur, daß er diese Schriftrolle nicht hatte bekommen können. Er verstand auch die Prophezeiung nicht so richtig. Zwei, die eins werden, drei und vier die eins werden, dann noch neun hinzu. Er hatte nichts begriffen, wußte nur soviel, daß er Aurelius nicht mehr länger unterschätzen durfte. Von dem Magier des Lichtes ging eine Gefahr für ihn aus. Diese Prophezeiung bedeutete nichts Gutes für Santins Imperium. Er durfte Aurelius nicht einfach weiter so gewähren lassen und mußte heraus bekommen, was dieser nun weiter plante. Santin würde ihn nicht zur Ruhe kommen lassen, bis er alles wußte. Und dann würde er ihn vernichten. Keiner sollte seine Pläne durchkreuzen oder zunichte machen. Seine dunklen Pläne, die er schon seit Jahrtausenden verfolgte und durchführte.

I Begegnungen

„Herr Traichort, träumen Sie?“ Stefan schreckte hoch. „Wir haben gleich eine Besprechung, Du erinnerst Dich?“ Herr Geisel grinste schadenfroh. „Klar, Jörg, ich komme sofort. 10 Uhr, nicht wahr? Bei Dir im Büro!“ Nervös suchte er die nötigen Unterlagen zusammen, schaltete sein Telefon auf stumm, sperrte den Computer und machte sich auf den Weg durch das Treppenhaus nach oben in die Chefetage.

„Ihr wißt alle, warum wir hier sitzen, oder?“ Jörg Geisel blickte in die kleine Runde. „Unser Kunde RixRox macht mir Sorgen. Sie beschweren sich, meckern nur herum und fordern zuviel Leistung für das bißchen Geld, was sie uns bezahlen! Das können und dürfen wir uns nicht länger gefallen lassen.“ „Moment mal, Jörg, hat sich unsere Firma nicht groß auf die Fahne geschrieben, wir wollen das ‚most customer focused’ Unternehmen sein? Deswegen bin ich doch bei euch. Weil ich bei RixRox mal gearbeitet habe. Und ehrlich: Bei uns läuft nichts so, wie der Kunde es verlangt hat, als wir den Vertrag abgeschlossen haben. Wir liefern nicht pünktlich, wir haben eine schlechte Lagerorganisation und die Installation der Geräte geht auch meistens schief. Von den berechtigten Endkundenbeschwerden ganz zu schweigen.“ Endlich konnte Stefan das offen sagen, was ihm seit Wochen und Monaten auf der Seele brannte.

Doch anstatt als Vorgesetzter auf seiner Seite zu sein, brachte Jörg eine Diskussion in Gang, die darauf abzielte, Stefan so hinzustellen, als würde er dem Unternehmen schaden. „Wir müssen in erster Linie an unser Unternehmen denken. Die Strategie ist klar festgelegt. Kosten sparen und Nutzen erhöhen.“ Jörg Geisel hörte sich selber gerne so reden und heimste den stillen Beifall der anderen im Raum ein, die eifrig nickten. „Leute, so kann und wird das nicht mehr lange gut gehen. Was ist, wenn wir den Kunden verlieren wegen dieser vielen Beschwerden?“ „Das können sie nicht mehr so einfach. Sie haben sich an uns gebunden, sich von uns abhängig gemacht. Ein Spediteurswechsel würde sie Millionen kosten!“ Stefans jüngerer und vor allem neuerer Kollege Antres warf diese These verächtlich in den Raum. „Ihr kennt RixRox nicht, ich habe da gearbeitet, meine Ausbildung gemacht. Was sind Millionen, die sie auch noch abschreiben können, wenn sie weniger Probleme mit einem Dienstleister haben können. Und neue Transporteure stehen schon in Lauerstellung, seht ihr das denn nicht?“ „Du bist immer noch einer von denen, Stefan.“ Claudette, auch eine neue Kollegin, schaute zwinkernd zu Jörg, während sie redete. Der Punkt war gekommen, wo Stefan resignierte. Er machte zwar noch ein oder zwei Versuche, das Ruder herumzureißen. Es war hoffnungslos. Gegen diesen „hochstudierten Theoretiker“ und seine Schleimer hatte er keine Chance. Die harte Gangart gegenüber dem Kunden war längst beschlossene Sache. Er wurde überstimmt und sein Schicksal in der Firma, das spürte er, war hiermit ebenfalls besiegelt.

Sorgen über Sorgen. Zu diesem internen Ärger kam noch ein Inventurtermin. Der Logistikleiter von RixRox wollte ihn morgen treffen und das genaue Procedere für den reibungslosen Ablauf durchsprechen. Meeting um acht Uhr. Ihm graute davor. Er wußte nur zu gut, daß die Zeit bis zur Inventur nicht reichen würde, um die Bestände in den Griff zu bekommen. Und als Stefan abends nach Hause kam, stand der Wagen von Jens vor der Haustüre. Na, Klasse! Hatte sie wieder Besuch, wenn er nicht da war. „Hi, Dicker, wollte nur mal kurz vorbeischauen! Habt ihr eigentlich die Steuersachen schon raus gelegt?“ Jens grinste freundlich und hielt ihm die Hand entgegen. „Hallo Schatz, mußtest Du länger arbeiten?“ Seine Frau gab ihm einen Kuß auf die Wange. Merkten sie nichts? Wie unauffällig! Eifersucht keimte in ihm auf

Stefan war nach einem viel zu reichhaltigen Abendessen zu Bett gegangen, fiel in einen unruhigen Schlaf, seine Gedanken kreisten um den wichtigen Termin morgen in der Firma. Er träumte schlecht, irgend etwas über Arbeitslosigkeit, Schlafen unter einer Brücke, Armut. Mitten in der Nacht wurde er plötzlich wach, richtete sich erschrocken auf, sah sich im Halbdunkel des Zimmers um, hörte aber nur das Zähneknirschen seiner Frau. Stefan lauschte angestrengt, konnte sonst nichts Ungewöhnliches entdecken oder hören. Langsam legte er sich wieder hin und war Sekunden später erneut fest eingeschlafen.

Es war schon fast Morgen, als Stefan wieder aufgeschreckt erwachte. Der Wecker würde in wenigen Minuten rappeln, also schaltete er ihn ab. Müde erhob und streckte er sich, ging langsam in Richtung Badezimmer, an dem großen Spiegelschrank vorbei, stutzte und blieb abrupt stehen. Er ging langsam wieder einen Schritt zurück, drehte sich nach rechts und blickte in den Spiegel. Er sah darin sein Spiegelbild, doch er kannte nur sein Gesicht wieder und das auch nur stellenweise. Der Körper, auf den er schaute, war schlanker, muskulöser und auch etwas größer. Rechts und links vom Gesicht sah er spitze Ohren. Verwundert rieb er sich die Augen und sah genauer hin. Der Oberkörper steckte in brauner Lederkleidung, die Beine in Hosen mit verzierten Aufsätzen. Die ganze Erscheinung im Spiegel war imposant und gewaltig, er konnte seine Augen nicht davon lassen.

Plötzlich zog sich ein Schleier über das Spiegelbild, es wurde verschwommen, klarte wieder auf und da stand Stefan in T-Shirt und Unterhose, etwas untersetzt, ungekämmt und unrasiert, mit müden Augen. Na, jetzt war es wohl soweit, seine Phantasie spielte ihm einen Streich. Er hatte es anscheinend in der letzten Zeit mit den Rollenspielen übertrieben. Er fühlte sich merkwürdig berührt, war enttäuscht, denn die Gestalt im Spiegel hatte ihm schwer imponiert. Er ging weiter ins Bad, schaufelte sich, leicht in das Waschbecken heruntergebeugt, kaltes Wasser ins Gesicht, tastete nach dem Handtuch, rieb sich das Gesicht trocken und blickte in den Spiegelschrank. Da war es wieder! Sein verändertes Gesicht! Dann folgte wieder der Schleier und er sah die kalte Realität. Verwundert rieb er sich ein zweites Mal die Augen, schaute in den Spiegel, aber nichts außer ihm selber war zu sehen.

Gedankenverloren rasierte er sich, kleidete sich an, frühstückte eine Kleinigkeit. Dann weckte er Frau und Sohn, wünschte beiden einen schönen Tag und machte sich auf den Weg in die Firma. Im Auto mußte er sich zusammenreißen und sich noch stärker als sonst konzentrieren, denn seine Gedanken schweiften ab. Er dachte an die Erscheinung, die sich ihm im Spiegel gezeigt hatte. War das ein Zeichen? War es eine Illusion? War es eine Projektion seiner sehnlichsten Wünsche in die Realität? Er spielte schließlich im aktuellen Rollenspiel einen Halbelfen. Vor lauter Grübeln und Überlegen fuhr er eine Ausfahrt zu weit und mußte einen Riesenumweg fahren. Na toll, Zuspätkommen war nicht gerade das, was er heute gebrauchen konnte. Er fuhr schneller als sonst, hetzte ins Bürogebäude und dort die Treppen nach oben. Geschafft! In letzter Minute betrat Stefan den Besprechungsraum, war völlig außer Atem. Die Besprechung hatte noch nicht begonnen, so daß er erst einmal durchatmen, Luft schöpfen und zur Ruhe kommen konnte.

Was vermeintlich so wichtig gewesen war, verlief wie sein weiterer Tag. Alle um ihn herum, sein ganzes Umfeld, schienen die drohenden Probleme der Firma nicht zu sehen, seine guten Verbesserungsvorschläge perlten an ihnen allen ab, wie Regenwasser an frisch eingewachstem Autolack. Er haßte seinen Job und das heute ganz besonders. Dieses stetige „Vor-die-Pumpe-Laufen“ angesichts wirklich dringend notwendiger Veränderungen raubte ihm mehr als alles andere den Spaß an seiner Arbeit. Im Raucherraum stand er am Fenster und zog geistesabwesend an seiner Zigarette, blickte hinaus. Er haßte Rauchen, war abhängig davon, konnte es sich trotz mehrfacher Versuche nicht abgewöhnen. Reine Kopfsache, wie die vielen Neu-Nichtraucher stets kundtaten. Er rauchte auch selten bewußt, es war eine schlechte Angewohnheit, die er lieber heute als morgen aufgeben würde.

Erstens kostete es mittlerweile ein Heidengeld, zweitens war es nicht gesund. Aber das Aufhören war nicht einfach. Kopfsache halt. Ihm fiel wieder die „Begegnung“ von heute morgen ein und er dachte an sein verändertes Spiegelbild. Er rief sich wieder und wieder die Erscheinung in Erinnerung, konnte sich dieses Erlebnis einfach nicht erklären. Nur seinem Kollegen Andi, mit dem ihn so etwas wie Freundschaft verband, hatte er alles erzählt. Auch dieser hatte keine logische Erklärung und vermutete hier Symptome für Überarbeitung, Tagträume oder die etwas verspätete Verarbeitung eines Rollenspieltreffens. Nein, er fühlte, das war es nicht, da war er sich sogar ziemlich sicher. Aber was war es dann?

Auch der Nachmittag im Büro verlief so wie sonst. Das Positivste war ein Telefonat mit einer Kundin. Eine junge Frau mit einer sehr netten Telefonstimme. Ein bißchen Flirten, ein kleines Erfolgserlebnis, weil er ihr helfen konnte bei einem Problem. Sie bedankte sich überschwenglich und schon fühlte er sich etwas besser. Wenn nur alles in seinem Leben so laufen würde. Auf der Fahrt nach Hause konnte Stefan wieder keinen klaren Gedanken fassen, immer schossen ihm die veränderten Spiegelbilder durch den Kopf. Was hatte das zu bedeuten? Kamen mit diesen Erscheinungen seine ureigensten Wünsche und Empfindungen zum Vorschein? Gab es eine Möglichkeit, der Sache auf den Grund zu gehen?

Als sein Sohn und seine Frau ihn beim Abendessen ansprachen, mußten sie mehrmals auf sich aufmerksam machen. Er war total in Gedanken versunken und reagierte auf die Störungen gereizt. Es gab natürlich wieder Streit und statt gemeinsam einen schönen Abend zu verbringen, verschwand sein Sohn in seinem Zimmer, seine Frau ging genervt früher zu Bett. Stefan folgte ihr nach einer guten Stunde, nachdem er resigniert und gelangweilt sämtliche Sender „durchgezappt“ hatte. Sie schlief tief und fest, knirschte wieder mit den Zähnen. Er hingegen lag wach und hing seinen Gedanken nach. Schließlich stand er leise auf und trat langsam vor den Spiegel. Gespannt, erfreut und auch ein wenig ängstlich bemerkte er erneut die Verwandlung seines Spiegelbildes. Abgesehen von der veränderten Erscheinung machte sein Gegenbild alle Bewegungen mit, die er auch machte. Doch plötzlich hob nur sein Spiegel-Ich den rechten Arm. Verdutzt sah er an seiner linken Seite herunter, aber sein Arm hing unbeweglich herunter. Er blickte wieder hoch in den Spiegel und sah, wie der Arm ihn lockend zu sich winkte, wie sein Spiegel-Ich ihm aufmunternd zulächelte. Er war erschrocken, wie gelähmt, was passierte hier nur……?

Nachdem sein Spiegelbild ihm erneut zuwinkte und zu verstehen gab, daß er näher kommen solle, faßte er sich endlich ein Herz, machte vorsichtig einen Schritt nach vorne, streckte seinen Arm aus und berührte den Spiegel. Er hatte eine glatte, feste und kalte Oberfläche erwartet, doch sie fühlte sich nicht so an, sie war warm, irgendwie durchlässig, als wäre sie flüssig.

Er schob erst seinen ganzen Arm durch, fühlte leichten Wind, eine Wärme wie von Sonnenstrahlen und als weiter nichts passierte, nahm er seinen ganzen Mut zusammen und folgte langsam mit dem ganzen Körper nach. Er wurde nicht naß, wie man es hätte vermuten können, sondern er konnte durch diese Spiegeloberfläche hindurchgehen. Das war ein Portal, es sah genauso aus wie in dem Film Stargate, dachte er. Stefan ging ein, zwei Schritte nach vorne, drehte sich um und sah den Spiegel von der anderen Seite inmitten einer Gruppe von Sträuchern stehen. Das Spiegelbild verblaßte nach und nach. „Halt, halt!“ schoß es ihm durch den Kopf, er sah sich in seinen Schlafsachen immer blasser werdend vor dem Spiegel stehen. Dann war nur noch der Rahmen zu sehen. Wie eine kalte Hand umschloß Panik sein Herz. Was hatte er nur getan? Wie kam er wieder zurück? Ein großer Kloß steckte ihm im Hals. Er hatte noch versucht schnell zurückzugehen, aber es war schon zu spät gewesen, die Oberfläche des Spiegels war nicht mehr zu durchdringen. Jetzt sah er, wie auch der Rahmen blasser und blasser wurde, bis nichts mehr außer den Sträuchern zu sehen war.

Er konnte jetzt nicht mehr zurück! Hin- und hergerissen zwischen Neugierde, Freude und Verlustangst sank er auf den Boden und ergab sich schließlich dem Gefühl der Machtlosigkeit, daß sich in seinem Inneren breit machte. Obwohl er in der Sonne saß, fröstelte ihn. Stefan zog wie zum Schutz die Schultern hoch, verschränkte die Arme vor der Brust und zitterte leicht. Jetzt erst bemerkte er die Veränderungen an sich selbst. Verwundert und plötzlich neugierig betrachtete er sich, so gut er konnte. Hände und Arme waren blasser als vorher, die Hände rauh und sehnig. Er trug ein braunes Lederhemd mit halblangen Ärmeln, das sich total weich anfühlte. Zudem hatte er an beiden Handgelenken braune Lederarmbänder mit kleinen, zarten Verzierungen angelegt. Stefan stand auf und sah an sich herunter. Moment mal…..Wo war denn sein Bauch geblieben? Er konnte geradewegs auf seine Füße sehen, die „Plauze“ war weg, einfach verschwunden. Stattdessen hatte er ein „Sixpack“! Er hatte einen Waschbrettbauch mit voll ausgebildeten Bauchmuskeln! Wenn meine Frau mich so sehen könnte, schoß es ihm durch den Kopf und er mußte an sie denken, wie sie jetzt im Bett lag und schlief. Wie oft hatte sie ihm zu verstehen gegeben, daß ein bißchen abnehmen nicht schlecht für ihn gewesen wäre. Was würde nun aus ihr werden? Und aus seinem Sohn? Er mußte irgendwie versuchen wieder zurückzukommen, so konnte und wollte er nicht verschwinden. Wieso hatte er nur sein „altes“ Spiegelbild noch gesehen? War nur sein Geist, seine Seele übergegangen? War er selber dort geblieben? Doch so schnell, wie diese Gedanken und Fragen hochkamen, so schnell waren sie wie durch Zauberhand verschwunden. Wie weggeblasen. Stattdessen schossen ihm Gedanken darüber, daß er gebraucht werde und das es gut gewesen war, durch den Spiegel zu gehen, durch den Kopf. Er wurde langsam ruhiger und begutachtete sich weiter.

Stefans Beine steckten in einer dünnen, ledernen Hose, er bemerkte sehr bequeme, leichte Schnürstiefel an seinen Füßen. Über dem Hemd trug er einen braunen Lederharnisch, kunstvoll gearbeitet und verziert. Er machte eine Faust und klopfte sich auf die Brust, die Knöchel trafen auf einen harten Lederpanzer und taten im gleichen Moment weh. Trotz dieses wuchtigen, schweren Aussehens war der Panzer federleicht und er spürte ihn kaum. Das gesamte Outfit paßte wie angegossen und ein tolles Gefühl von Geborgenheit, Sicherheit und Wohlsein überkam ihn. Wie weggeblasen waren plötzlich Kloß im Hals, Frösteln und Zittern. Dann hob er beide Arme, wollte sich unsicher und auch etwas ratlos am Kopf kratzen.

Was war das denn jetzt? Statt in einen Kurzhaarschnitt mit kahler Stelle am Hinterkopf griff er in lange Haare, die bis auf seine Schultern fielen. Stefan ertastete mit den Fingern spitze Ohren, sein Bart war weg, zu fühlen war nur glatte, weiche Haut. Keine Spur von Falten, Erschöpfung oder Müdigkeit. Seine Augen blickten munter und wach umher. Die anfängliche Angst und Panik war plötzlich verschwunden, warum nur? Ein warmes, wohliges Gefühl durchströmte seinen ganzen Körper. Er spürte plötzlich mit jeder Faser, daß er hier gebraucht wurde, daß dieser Übergang kein Zufall war. Stefan wußte nicht warum, aber es war Zeit, diese Sache mit dem Spiegel zu vergessen und sich auf den Weg zu machen. Das Ziel kannte er, war darüber zwar etwas verwundert, doch dies nur für einen kurzen Moment. Stefan fühlte sich sicher. Etwas Unerklärbares beruhigte und lenkte ihn.

Er drehte sich um und erkundete mit aufmerksamen Blicken genauer seine Umgebung. Das Licht der Sonne war blasser, seichter, wärmer, als er es gewohnt war. Auch der Himmel sah anders aus. Irgendwie dunkler und auch nicht blau. Um sich herum hörte Stefan leises Blätterrauschen und lauteres Vogelgezwitscher. Vor ihm lag eine Lichtung, er blickte ringsum auf großstämmige, hohe Laubbäume mit weit ausladenden Kronen, die grünen Blätter flatterten leicht im Wind. Langsam von links nach rechts blickend, bemerkte er rechts vor sich einen kleinen Weg, der weiter in den Wald hineinführte. Dorthin setzte er sich in Bewegung. Irgendwie war er froh, daß der öde Alltag mit seinen Sorgen, Problemen und Nöten im wahrsten Sinne des Wortes hinter ihm lag. Seiner Familie ging es gut, dessen war er sich sicher. Die Sorge war verschwunden, wie weggeblasen. Das alles hier war kein Traum; er hatte sich schon mehrfach sicherheitshalber gekniffen. Er war weder ohnmächtig noch sonst irgendwie betäubt gewesen. Es war anders als bei den Figuren in den gelesenen Büchern. Er war übergegangen, real und bewußt übergegangen. Stefan fühlte sich sicher und gewappnet, war auf alles vorbereitet. Zuversichtlich folgte er dem kleinen Weg und verschwand im Wald.

Während er so daher ging, stellte er noch viel mehr die körperlichen Veränderungen an sich fest. Er ging drahtig, federnd, fast athletisch. Kein Geräusch war bei seinen Schritten zu hören. Keine Schmerzen in den beiden operierten Knien, keine Rückenschmerzen und keine seiner sonstigen Beschwerden waren zu spüren. Stefan fühlte sich schlichtweg großartig und gesund. Links am Gürtel war eine leere Schwertscheide befestigt. Und an der rechten Seite ein kleiner Lederbeutel. Komisch, das war ihm bis eben gar nicht aufgefallen. Der Beutel war ziemlich schwer, er wunderte sich etwas, wie er ihn vorher übersehen konnte. Schnell war er vom Gürtel gelöst und aufgemacht. Stefan blieb erstaunt stehen. Er sah auf einige Gold-, Silber- und Kupfermünzen. Sich hinhockend schüttete er den ganzen Beutelinhalt aus und begann zu zählen. Gutgelaunt vor sich hin pfeifend ging er nach kurzer Zeit weiter auf dem Pfad, er nannte zwanzig Gold-, zwanzig Silber- und zehn Kupfermünzen sein Eigen. Dafür konnte er sich bestimmt irgendwo Waffen kaufen. Denn unbewaffnet würde das mit Sicherheit ein kurzer Aufenthalt werden. Auf dem Rücken trug Stefan einen kleinen Rucksack, den er ebenfalls untersucht hatte. Notwendige Utensilien waren zum Vorschein gekommen. Eine Trinkflasche, die kühles, wohlschmeckendes Wasser enthielt, Proviant, in erster Linie brotähnliches Gebäck und Kräuter, eine leichte Decke, einen Feuerstein, einen Wetzstahl, sowie eine Fackel und Zündhölzer in einem kleineren, wasserdichten Lederetui.

Immer weiter durch den Wald führte ihn der Pfad. Er hoffte, in eine Siedlung oder ähnliches zu gelangen, denn ohne Waffen und Vorräte wollte und konnte er nicht weiterziehen. Seine Erfahrung aus den Rollenspielen hatte ihm gezeigt, daß man schnell bestraft wurde, wenn man sich nicht um sein körperliches Wohl bemühte und ohne Verteidigung war. Es zahlte sich also schon aus, daß er stets realistische Spielleiter gehabt hatte. Stefan wunderte sich doch ein wenig, daß er seine Angst so schnell verloren hatte oder daß er überhaupt nicht mehr den Wunsch verspürte, zurückzukehren. Er hatte sich erstaunlich schnell mit dem neuen Umstand abgefunden, jetzt hier zu sein. Ab und zu kamen ihm noch einige wehmütige Gedankenblitze an seine Familie und vor allem an seinen Sohn. Doch immer wieder überwog die Freude darüber, daß sein sehnlichster Wunsch erfüllt worden war. Und seine Neugierde, was noch alles auf ihn zukommen würde.

Nach einer guten halben Stunde Fußmarsch über den weichen Boden erreichte er den Waldrand und eine leichte Anspannung stieg in ihm hoch. Sein Ziel rückte näher, irgendwie konnte er das spüren. Gerade war er an den letzten Bäumen vorbeigegangen, da tat sich seinem Blick ein wunderschönes Tal auf. Sträucher, Wiesen und Felder, eine überwältigende, grüne und fruchtbare Landschaft drängte sich förmlich vor seine Augen. Er schaute langsam von links nach rechts und mußte diesen Anblick genießen. Bestellte und brachliegende Felder auf leichten Erhebungen und Senken. Vor ihm wurde der Pfad zu einem größeren Weg, der zu einer kleinen, befestigten Siedlung führte. Dahinter führte der Weg weiter zu einem großen Waldgebiet, das sich weit ausladend über den Hügeln auf der gesamten rechten Seite erstreckte. Kurz vor der Siedlung mündete ein Pfad von rechts auf den Weg und er konnte einige Fußgänger beobachten, die, nachdem sie rechts abgebogen waren, in Richtung Siedlung gingen. Wieder andere kamen durch das Tor heraus in seine Richtung. Zielstrebig ging er weiter auf die Siedlung zu. Die Menschen, die ihm entgegen kamen, waren alle blond, groß und stämmig, ja muskulös. Doch auch einfach und schlicht gekleidet, sie sahen aus wie Bauern aus dem Mittelalter. Da sie nicht feindselig auf ihn reagierten, grüßte er mit einem Lächeln und Kopfnicken. Erwiderungen seines Grußes bekam er, wenn überhaupt, nur reserviert und vorsichtig.

Stefan erreichte den Torbogen und ging langsam durch das geöffnete Tor hindurch. Bewacht war es nicht, aber er sah auf den Türmen rechts und links hölzerne Zinnen und Schießscharten. Das Tor bestand aus zwei schweren Holztüren, die mit großen Balken von innen verriegelt werden konnten. Auf jeder Seite innen waren Holztreppen, die zu den höher liegenden Wällen führten. Die ganze Siedlung war von diesen Wällen umsäumt. In regelmäßigen Abständen waren Türme errichtet, auf denen er vereinzelt Wachen erkennen konnte. Während er langsam weiterging, sah er sich neugierig um. Es gab einen Metzger und Bäcker und noch einige andere Läden, die unterschiedliche Waren anboten.

Einen Waffenschmied, einen Laden mit einem Zauberstab als Symbol und einen Laden für Tränke, Kräuter und ähnliches. Zwischen diesen Läden gab es immer wieder Wohnhäuser, vor denen ältere Einwohner saßen oder kleinere Kinder spielten. Auf den Wegen sah er auch mal Pferdekarren, in erster Linie aber nur Fußgänger. Dann fiel sein Blick auf ein Wirtshaus. Es mußte eines sein, denn das Schild über der Eingangstüre zeigte Krug, Teller und Besteck. Es war, wie alle Gebäude hier, aus Holz gebaut und machte von außen einen etwas ramponierten Eindruck. Tische und Stühle aus Holz standen davor, von drinnen konnte er leisen Trubel hören. An einem der Tische saßen drei Zwerge, die Äxte neben sich stehend, jeder hatte einen großen Krug vor sich stehen. An einem anderen Tisch sah er eine Gestalt in einem schwarzen Umhang, mit dem Rücken an die Hauswand gelehnt, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Der dritte Tisch war leer. Dorthin lenkte er seine Schritte und setzte sich auf einen der freien Stühle. Ebenfalls mit dem Rücken zur Hauswand sitzend, hatte er alles im Blick und konnte gut beobachten. Zuvor hatte er noch durch ein Fenster ein wenig in das Innere der Schenke sehen können und weitere Tische bemerkt, an denen noch mehr Gäste saßen, die sich unterhielten, aßen und tranken.

Die drei Zwerge schauten mürrisch und mit funkelnden Augen zu ihm herüber, musterten ihn von oben bis unten. Dann steckten sie die Köpfe zusammen und tuschelten. Er mußte schmunzeln, genau so hatte er sich das vorgestellt. Zwerge. Kantige und grobschlächtige Kerle, stämmig, stolz und stark, oft witzig, stets auf Zoff und ein Kämpfchen aus. Sie waren stets mißtrauisch gegenüber Fremden, eigentlich gegenüber allen anderen Rassen. Doch wenn man es geschafft hatte, ihr Vertrauen zu gewinnen, waren sie großzügig und halfen, wo sie nur konnten. Das diese Hilfe sich vor allem im Kampf bemerkbar machte, sowie die Vorliebe der Zwerge für Gold, Edelsteine, Schmuck und Kunstwerke, die aus edlen Materialien hergestellt wurden, das hatte er in den Rollenspielen erfahren und gelernt. Diese drei Vertreter einer interessanten Rasse hier und jetzt real erleben zu können, war unglaublich für ihn.

Stefan betrachtete sie intensiver, doch natürlich so, daß sie es nicht merkten. Er wollte nicht unbedingt Ärger mit ihnen haben. Alle drei trugen schwere Brustpanzer und Stiefel, die mit einem dunklen Metall beschlagen waren. Dazu schwarze Lederhosen mit aufgesetzten Panzerungen, schwer aussehende Gürtel, an denen die unterschiedlichsten Dinge hingen. Beutel, kleine Flaschen und andere Utensilien, die er noch nie im Leben gesehen hatte. Die drei hatten alle schwarze Haare und Bärte, die so lang waren, daß sie im Sitzen bis auf den Boden reichten. Sehr groß wirkten sie nicht, die drei, er schätzte sie auf eine Größe von etwa eins fünfundzwanzig, allerhöchstens eins fünfunddreißig. Muskelbepackt und schwer wirkten sie, wie Bodybuilder in der Blüte ihres Trainings sahen sie aus. An der Hauswand direkt neben dem Tisch lehnten ihre mittelgroßen Schilde.

Die Gestalt mit dem Umhang kam in sein Blickfeld. Sie war ihm unheimlich, aber auch irgendwie vertraut. Es sah so aus, als würde sie schlafen, trotzdem hatte er das Gefühl, von ihr beobachtet zu werden. Er schaute öfter aus den Augenwinkeln zu ihr hinüber, sah aber weder Gesichtszüge, noch Augen. Die große Kapuze verdeckte einfach alles. Stefan konnte noch nicht einmal sagen, ob es ein Mann oder eine Frau war. Die komplett schwarze Kleidung und der dunkle weite Umhang ließen keinen Blick auf eine Statur oder Figur zu.

„Wollt Ihr was?“, drang plötzlich eine tiefe, rauhe Stimme an sein Ohr. Ein schmuddeliger Kerl, mit einer noch viel schmuddeligeren Schürze, stand auf einmal dicht vor dem Tisch, an dem er saß. „Äääääähm, ja, gerne, bringt mir doch etwas zu trinken. Habt ihr frisches Bier?“, hörte er sich fragen. Der Wirt nickte, brummelte etwas, das sich wie ein „Mmja“ anhörte und verschwand wieder in der Schenke. Gottseidank hat er nicht ’Was darf ´s denn sein, Fremder?’ gefragt, dachte er, als er dem Wirt nachschaute. Nach einer kleinen Weile kam der zurück und knallte einen Holzkrug direkt vor ihm auf den Tisch. „Macht zwei Kupfermünzen, der Herr, und von Fremden kassiere ich sofort!“

Die verlangten Münzen in der Hand, ging der Wirt wieder in Richtung Schenkentür, blieb kurz davor stehen, drehte sich wieder um und kam zurück. Übertrieben geschwollen fragte er: „Wer seid ihr eigentlich? Nicht, das mich das selber interessieren würde, aber da drinnen sitzen einige Herren, die anscheinend noch Zuwachs für ihre Gruppe suchen, also Leute anwerben wollen.“ Er wollte dem Wirt gerade antworten, da bemerkte er, wie die schwarze Gestalt leicht ihre Hand bewegte. „Mein Name ist Loocian, ich bin Halbelf und ich komme aus dem Norden hierher“, sagte er mit fester Stimme.

‚Moment mal, was war das denn jetzt? Was hatte er da gesagt? Wie kam er auf diesen Namen? Er hatte die Antwort quasi schon auf der Zunge gehabt, noch bevor er die Frage zu Ende gehört hatte. Als wäre er gerade erst richtig aufgewacht, war auf einmal alles in seiner Erinnerung da: Er war ein Halbelf, genauer ein Waldläufer aus dem Norden, sein Vater Mensch, seine Mutter Elf, er war dreißig Jahre alt und aufgewachsen bei der Mutter. Er liebte Natur und Tiere, war sehr gewandt mit dem Schwert und war den Umgang mit Dolch, Pfeil und Bogen gewohnt.‘ Loocian wollte noch etwas hinzufügen, aber der Wirt war schon wieder im Haus verschwunden.

‚Na, das konnte ja was werden.‘ Er sah gerade zur Tür, als der Wirt dort wieder erschien und ihn zu sich winkte. Loocian stand auf, nahm seinen Krug mit und ging zur Eingangstür. „Tretet ein, Herr Halbelf, tretet ein, hier bitte, der mittlere Tisch. Willkommen in der besten Schenke von Magednor!“ Loocian betrat die Schenke und brauchte einen Augenblick, bis sich seine Augen an das dämmrige Licht gewöhnt hatten. Es roch nach Bier und Wein, vor allem aber nach Rauch und nach Küche. Der Wirt verschwand hinter einer Art Theke und Stefan/Loocian sah sich um.

An den Wänden hingen Bilder mit Landschaften, Karten und Kampfszenen, sowie anderer Wandschmuck. Zwei Schilde und zwei Schwerter hingen über der Theke, in einem Regal dahinter sah er viele große, mittlere und kleine Flaschen, Krüge aus Steingut und viele, verschieden große Amphoren. Davor auf der Theke standen zwei große Holzfässer. Der Schankraum war nicht besonders groß, bot aber Platz für die Theke, sowie fünf Tische und die dazugehörigen Stühle. Fenster, wenn man eingetrübte Glasscheiben so nennen konnte, waren nur rechts und links von der Eingangstür, das dort einfallende Sonnenlicht erhellte den Raum nur wenig. Auf den Tischen standen deshalb brennende Kerzen auf geleerten Steingutflaschen. Der herunterhängende, tropfenförmige Wachsüberzug an jeder der Flaschen zeugte davon, daß das nicht die ersten Kerzen waren, die darauf abgebrannt wurden. Zwei Tische waren unbesetzt, rechts hinten in der Ecke saß ein schmuddeliger Mann, der sich aus einem Holzteller eine suppenähnliche Mahlzeit einverleibte. Er trug die gleiche Kleidung wie der Wirt und wirkte ebenso speckig. Der Tisch um ihn herum war voller Krümel und anderer Reste seiner Speisen.

Links von Loocian saßen zwei jüngere Frauen in verwaschenen, abgenutzten Kleidern, die ihr Gespräch bei seinem Eintreten unterbrachen und neugierige Blicke auf ihn warfen. Als der Wirt ein lautes Räuspern hören ließ, sahen sie diesen kurz unterwürfig an, wandten ihre Blicke sofort von Loocian ab und unterhielten sich leise weiter. Links hinten sah Loocian noch eine Treppe, die noch oben führte. Alles in allem machte die Schenke einen unsauberen, aber passablen Eindruck, soweit er das, mangels Erfahrung in dieser Richtung, beurteilen konnte. Seiner Vorstellung von mittelalterlichen Schenken kam es aber schon sehr nahe. Da er bisher nirgends auch nur den Hauch von modernen Errungenschaften bemerkt hatte, mußte er annehmen, sich in einer vergleichbaren Zeit zu befinden.

Loocian bewegte sich auf den Tisch zu, der in der Mitte stand. Drei Männer hatten sich schon bei seinem Eintreten erhoben, der kleinste von ihnen machte zu ihm eine einladende Handbewegung und auch die beiden anderen nickten ihm freundlich zu. Er ging zu dem Tisch und stellte sich neben einen freien Stuhl. Nachdem die drei sich wieder gesetzt hatten, nahm auch er Platz. Die anderen erhoben ihre Becher und prosteten ihm zu, auch er prostete und trank einen Schluck von seinem Bier. Es schmeckte würzig und mild, mit einem leicht bitteren Nachgeschmack, war aber kühl und erfrischend.

Während er trank, betrachtete er seine Gegenüber. Der Kleine links vor ihm war etwas größer als ein Meter, wirkte drahtig und muskulös. So hatte Loocian sich einen Halbling vorgestellt. Es mußte einer sein, der Größe und der sonstigen Körperform nach zu urteilen. Schwarze, lange Haare, die an den Seiten zu mehreren Zöpfen geflochten waren, fielen auf seine Schultern. Seine Augen waren etwas größer, dunkelbraun, die Haut, soweit Loocian erkennen konnte, fast erdfarben. Er war wie Loocian in schlichte Ledersachen gekleidet, ohne Ketten, Ringe, Schmuck oder sonstigen Zierat. Über der Lederkleidung trug er einen Schuppenpanzer mit metallenen Schuppen. Der Halbling machte einen angenehmen und sympathischen Eindruck auf Loocian, jedoch konnte er auch verschlagene, listige Züge in dessen Gesicht erkennen. Eine recht frische Narbe auf der rechten Wange zeugte von zumindest einer Kampferfahrung.

Die beiden Männer daneben hatten menschliches Aussehen. Doch Loocian merkte schnell, daß es keine Menschen sein konnten. Ihre Körper, Gesicht und die Hautfarbe sagten ihm etwas anderes. Der eine hatte dunkelbraune, kurze Haare, ein rundliches Gesicht und blaue Augen. Er war leicht untersetzt, trug ebenfalls einen Schuppenpanzer aus Metall, darüber einen dunklen Umhang mit einer großen Kapuze, der an eine Mönchskutte erinnerte. Um den Hals hatte er zwei Ketten gelegt. Eine lange, an deren Ende eine grüne Perle eingefaßt war und eine kurze, an der ein goldenes Medaillon hing. Die Hände waren groß und rauh, die Haut war auch sonnengebräunt. Er hatte an den Fingern der rechten Hand drei Ringe mit je einem roten, gelblichen und blauen Stein.

Rechts vor ihm saß ein blonder mittelgroßer Mann, das Haar hatte er am Hinterkopf zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Seine Haut war wie bei seinem Nachbarn bläulichweiß und grüne Augen blickten Loocian neugierig an. Soweit dieser es unter der Kleidung erkennen konnte, war der Mann hier sehr muskulös gebaut. Über dem Brustpanzer aus Leder trug auch er einen Umhang. Auch er trug farbige Ringe, die bei dem schwachen Kerzenlicht intensiv und vielfarbig funkelten.

Der Mann in der Mitte sprach ihn direkt an: „Dein Name ist Loocian, wie uns der Wirt gesagt hat, nun ....“ (er machte eine kurze Pause, in der Loocian nickte) „dann will ich uns auch vorstellen. Zu meiner Rechten sitzt Roscoe. Bei euch würde man ihn einen Halbling nennen. Er ist ein sehr verschlagener, gewitzter Dieb. In vielen Abenteuern hat er uns manchen wichtigen Dienst erwiesen. Zu meiner Linken sitzt Tobias, er ist ein Atlanter, wir sind beide Druiden und Heiler. Die Mitglieder unserer Gruppe haben trotz unterschiedlicher Herkunft und verschiedenster Talente so viele Gemeinsamkeiten, daß wir schon lange Abenteuer bestehen. Wir ergänzen uns sehr gut im Kampf und auch auf Wanderschaften. Ich heiße übrigens Lars, ich bin Meruvianer.“ „Ich danke für euer Interesse und freue mich, Eure Bekanntschaft zu machen!“ Loocian erhob sich und gab allen nacheinander die Hand zur Begrüßung. Eine gewisse Aufregung bei ihm ließ sich nicht verbergen. Er lernte gerade Bewohner dieser Welt, wo immer das auch war, kennen!

„Ich bin ein Halbelf und auch noch nicht lange hier im Lande, deshalb noch allein unterwegs. Der Wirt sagte mir, daß ihr vielleicht Gefährten sucht. Deshalb frage ich, ob ich mich Eurer Gruppe anschließen kann.“, sagte Loocian mit entschlossenem Unterton und blickte erwartungsvoll von einem zum anderen. Der Wirt hatte ihn bestimmt nicht damit belogen, daß die drei Verstärkung suchten, er fühlte sich aber trotzdem ein wenig unsicher. Keinerlei Ablehnung oder so etwas Ähnliches konnte er in den Gesichtern der drei erkennen. Im Gegenteil, es kam ihm so vor, als hätten sie genau dieses Verhalten von ihm erwartet.

„Nun, auf genau diese Frage haben wir gehofft und gewartet, Loocian!“ vernahm er, wie zur Bestätigung, eine Stimme hinter sich. Erschrocken wollte er aufspringen und sich umdrehen, aber es war nicht mehr nötig. Kaum war der Satz zu Ende gesprochen, ließ sich rechts neben ihm die vermummte Gestalt auf dem freien Stuhl nieder, die er draußen schon gesehen hatte, nur mit dem Unterschied, daß jetzt die Kapuze heruntergezogen war und er in ein jüngeres, lächelndes Gesicht schaute. Ein durchweg sympathisches, braungebranntes Gesicht. „Ich begrüße Dich im Namen aller in unserer Mitte, Loocian. Ich bin Aurelius von Sirius und heiße Dich herzlich hier in unserer Welt Argathi willkommen!“

Links neben Loocian setzte sich einer der drei Zwerge draußen vom Tisch und blickte ernst, herausfordernd und frech von einem zum anderen. „Und hier ist noch ein neuer Gefährte für uns“, sagte Aurelius, mit einer vorstellenden Geste. „Ulfgar, der…“, er machte eine Pause und sah zu Loocian. „…Zwerg. Ich habe ihn überreden können und er möchte sich uns anschließen.“ „Zwei neue Mitglieder? Das könnte wirklich sehr gut passen“, ließ sich Lars nachdenklich vernehmen. „Das Glück ist uns wieder einmal hold, und Aurelius, Du hast nicht zuviel versprochen. Nun denn, ich heiße unseren Zuwachs herzlich willkommen im Namen aller. Herr Wirt, bitte noch einmal Getränke für uns alle!“ Loocian betrachtete Aurelius und Ulfgar, zwischen denen er saß, etwas genauer. Aurelius hatte mittellange, blonde Haare, einen dunkelblonden Bart mit kleinem Schnauzer, doch nicht so lang wie der von Ulfgar. Er trug kleine Ohrringe aus Gold, war ganz in schwarz gekleidet, Loocian konnte keinerlei Panzerung oder sonstige Schutzbekleidung an ihm erkennen. Aurelius machte insgesamt einen sympathischen und vertrauenerweckenden Eindruck, hatte eine sehr angenehme, ruhige Stimme und die braunen Augen waren immer wachsam. Es schien ihnen nichts zu entgehen. Ulfgar sah aus, wie er sich Zwerge vorstellte und wie sie ihm schon von Filmen bekannt waren. Er hatte einen sehr langen braunschwarzen Bart. Mit tiefer, kerniger und rauher Stimme war er schon mitten in einem angeregten Gespräch mit Tobias.

Als der Wirt die Getränke gebracht hatte, ergriff Lars das Wort: „Auf ein gutes Gelingen, bei allem was wir zusammen erleben und unternehmen werden. Ich freue mich, daß wir zwei neue Gefährten gefunden haben, die uns hoffentlich nicht enttäuschen werden! Bei der Gelegenheit erwähne ich, daß wir in unserer Gruppe schon einen Zwerg haben. Dieser mußte bei einem unserer letzten Abenteuer von Aurelius in einen Frostriesen verwandelt werden, als es dringend notwendig wurde. Unser aller Leben hing davon ab und es gab damals keine andere Möglichkeit mehr. Da er nun zu groß und aufsehenerregend ist, blieb er alleine vor der Stadt und bewacht das Lager und unsere Habseligkeiten. Ach ja, sein Name ist Thoderich.“ Ulfgar saß mit offenem Mund da, er blickte erbost und zornig auf Aurelius, dieser stand auf, ging zu Ulfgar herüber und sprach beruhigend auf ihn ein, gestikulierte, schien ihm etwas zu erklären und langsam legte sich der Groll des Zwerges sichtbar.

Während Lars noch weitersprach, schweiften Loocian ´s Gedanken ab. Fragen über Fragen schossen ihm durch den Kopf. Atlanter, Meruvianer, Sirius. Er kannte das, seine Allgemeinbildung war nicht schlecht. Doch wo war er hingeraten? Wo war er hier? Auf einem anderen Planeten? Diese andersartige Sonne, der andere Himmel? War das alles wirklich passiert? Träumte er nicht vielleicht doch? Welche Macht oder welcher Zauber hatte dies bewirkt? Wieso hatte er den Eindruck, alle hätten nur auf ihn gewartet? Hatte Aurelius nur gut zugehört oder schon vorher alles gewußt? Wie hatte er sofort auf die Frage des Wirtes nach seinem Namen antworten können?

„Schön, daß Du endlich hier bist, Loocian! Vertraue mir, das tust Du schon unbewußt, seit Du hier bist. Alle Deine Fragen werden beantwortet, aber alles zu seiner Zeit!“ Aurelius´ Stimme riß ihn aus seinen Gedanken. „Tief in Deinem Inneren weißt Du es schon. Du bist hier, weil Du es gewünscht hast und weil ich es so wollte, denn wir brauchen Dich. Aber nun solltest Du austrinken, wir brechen bald auf.“ „Ich muß erst Vorräte kaufen und Waffen, außerdem möchte ich wissen, wohin wir gehen und was wir vorhaben.“ „Später, später“, beschwichtigte ihn Aurelius. „Vertraue mir, wir selber müssen uns auch mit Vorräten eindecken. Danach machen wir uns auf den Weg zum Lager und ihr werdet Thoderich kennenlernen. Ich verspreche Dir, dort und im Verlauf der weiteren Reise haben wir noch genügend Zeit und Gelegenheit für Erklärungen.“

Loocian, dessen Neugierde damit bei weitem nicht befriedigt war, zuckte nur resignierend mit den Schultern. Er schenkte Aurelius ein kurzes Lächeln, nickte, hob den Krug zum Mund und trank diesen langsam leer. Er hatte das Gefühl, den Magier schon lange zu kennen. Ein starkes Gefühl von Vertrautheit machte sich in ihm breit, das er lange nicht derart empfunden hatte. Loocian fühlte, daß er ihm blind vertrauen konnte. Er war in dieser Welt angekommen, Gedanken und Sorgen um sein ehemaliges Leben und um seine Familie machte er sich nicht mehr.

II Aufbruch

Nachdem alle bezahlt hatten, ‚Habt Dank, werte Fremde, beehrt uns bald wieder, gute Reise und glückes Geschick!’, zogen die ungleichen Gefährten aus der Stadt Magednor hinaus und gingen auf dem Weg, den Loocian vorhin kurz hinter der Stadt gesehen hatte, in Richtung Wald. Er konnte, wie versprochen, vorher noch Vorräte einkaufen, Aurelius hatte in dem Laden mit dem Zaubersymbol Tränke und Kräuter erstanden. Ulfgar hatte sich mit Wegzehrung eingedeckt und einen kleinen Rucksack erworben, in den er die Utensilien, die an seinem Gürtel hingen, verstaute. Loocian kaufte sich Heiltränke und Salben, sowie Kräuter, deren Namen und Wirkung ihm auf einmal im Laden eingefallen waren. Komische Sache war das, er hatte unbewußt mit Heilkundewissen und Kräuterkunde aufwarten können. Woher er das auf einmal alles wissen konnte, war ihm schleierhaft, er mußte bald mit Aurelius darüber sprechen. Jetzt ging er erst einmal neben Roscoe und Aurelius vorneweg in Richtung Lager, gefolgt von Lars, Tobias und Ulfgar.

Die sechs erreichten den Waldrand und gingen ohne zu zögern in den Wald hinein. Loocian sah sich fasziniert um, er liebte den Wald, vor allem in den warmen Monaten. Der Mischwald mit Nadel- und Laubholz war ihm von zu Hause aus vertraut. Wie dort konnte man fast spüren, wie alles wuchs und gedieh. Ein warmes und energiereiches Licht strahlte durch das Blätterdach und erhellte den Waldboden, der mit Farnen, Gräsern und kleineren Büschen bedeckt war. Er beobachtete Eichhörnchen, Vögel und auch ein paar kleinere Wesen, die er noch nie gesehen hatte. Sie sahen aus wie kleinere Affen, hatten aber statt Fell eine Art Schuppenkleid, das trotz der dunklen Färbung silbrig glänzte. Sie kletterten auf den Bäumen herum und sprangen dabei von Ast zu Ast. Einige größere Exemplare blieben sitzen und beäugten die Wanderer neugierig.

„Wir erreichen gleich das Lager, bitte erschreckt nicht, Thoderich ist bestimmt schon ungeduldig und wird sich lautstark beschweren“, sagte Aurelius zu Loocian und Ulfgar gewandt. Nachdem sie noch etwa zehn Minuten gegangen waren, führte der Waldweg auf einen leichten Anstieg, dort oben angekommen, konnte man schon eine riesenhafte Gestalt auf einer kleinen, etwas tiefer gelegenen Lichtung erkennen. Als der Frostriese die Ankömmlinge bemerkte und erkannte, richtete er sich auf und kam nun in voller Größe auf die Gruppe zu. Er war bestimmt mehr als drei Meter groß, schätzte Loocian, sah zwar wegen dem Bart, den langen Haaren und der stämmigen Statur noch aus wie ein Zwerg, ansonsten hatte er nicht mehr viel mit einem gemeinsam. Seine Haut sah aus, als wäre sie mit Eis überzogen, bläulich schimmernd und fast durchsichtig, die Haare und der Bart waren schneeweiß, ebenso seine Kleidung, der Schuppenpanzer und die Axt. Diese war ebenso überdimensional wie Thoderich selber. Doppelt so groß wie eine normale Axt, mit Doppelklinge und er hielt sie wie ein Spielzeug in einer Hand. Auf dem Rücken trug er ein riesiges Schild, es machte scheppernde Geräusche, war also aus Metall, obwohl es wie ein Gemisch aus Schnee und Eis aussah.

„Aurelius, da seid ihr ja endlich. Ich warte mir schon ein Loch in den Bauch. Und hast Du mir die Sachen mitgebracht, die ich brauche?“, fragte Thoderich mit einer tiefen, grollenden Stimme. „Aber natürlich! Hast Du an die Vorbereitungen gedacht, die ich Dir aufgetragen habe?“ fragte Aurelius im Gegenzug. Thoderich nahm von Aurelius einen Beutel, blickte hinein, grinste zufrieden und machte eine einladende Handbewegung in die Richtung, aus der er auf sie zugelaufen war. Dort konnte Loocian jetzt eine große Feuerstelle erkennen, ringsherum lagen Rucksäcke, Beutel, Decken und andere Habseligkeiten der Gruppe. Etwas abseits standen ein paar kleinere, längliche Holzkisten. Über dem Feuer war ein Spieß auf zwei Astgabeln aufgebaut, an dem ein großes Stück Fleisch steckte. Thoderich begann den Spieß wieder zu drehen, als sein Blick auf Loocian und Ulfgar fiel. „Ist er das?“ Er zeigte auf Loocian, dann sah er zu Ulfgar. „Haben wir noch mehr Zuwachs bekommen? Und wieder ohne mich zu fragen? Es ist doch jedes Mal das Gleiche mit euch. Bloß weil ich angeblich zu groß für die Stadt bin, darf ich nie mit und ihr macht einfach, was ihr wollt!“ schimpfte er lautstark. „Nun mal ruhig, mein Großer,“ sagte Aurelius. „Ja, das ist er. Und ich möchte Dir nun Deinen Artgenossen Ulfgar und den Halbelf Loocian vorstellen. Beide gehören ab heute zu unserer Gruppe und werden mit uns weiterziehen.“ Mit einem mißtrauischen und neidischen Blick musterte Thoderich den Zwerg zuerst, dann wanderte sein Blick zu Loocian. Sein Mißtrauen schien ein wenig zu weichen, denn er begann zu lächeln und sagte zu beiden: „Ich gebe euch besser nicht die Hand, könnte sein, das ich euch was breche oder ihr erfriert, wenn ich mich nicht konzentriere. Seid willkommen in unserer Gruppe und in unserem Lager!“

Aurelius nahm Loocian beiseite und führte ihn zu den Kisten und Gepäckstücken, während sich Ulfgar neben Thoderich setzte. Die beiden Zwerge begannen, sich angeregt zu unterhalten. Sie waren nach kurzer Zeit so in ihr Gespräch vertieft, daß man den Eindruck gewinnen konnte, sie würden sich schon seit Jahren kennen. Aurelius öffnete eine der Holzkisten, bei denen sie inzwischen angekommen waren und nahm ein paar lange Gegenstände heraus, die in helle Tücher eingewickelt waren. „Manchmal, wenn wir Kämpfe bestreiten“, begann er, „machen wir Beute, die unsere Gegner auf der Flucht zurücklassen oder nicht mehr brauchen können, weil wir sie töten mußten. Meistens sind das Waffen, Geld, Schmuck oder sonstige Kostbarkeiten, manchmal auch Tränke und Heilsalben.“ Loocian nickte verständnisvoll, er kannte es von den Rollenspielen und Internetgames. Aurelius fuhr fort: „Es kommt natürlich immer darauf an, wen wir zum Gegner hatten. Manches Zeugs, das Reptoide und andere abscheuliche Kreaturen mit sich führen, reicht höchstens zum Wegwerfen oder zum Verkauf, auch wenn es nur ein paar Kupfermünzen sind. Einige der Waffen sind stellenweise aber recht gut und nützlich. Das hier solltest Du Dir mal ansehen und Dir etwas aussuchen!“

Eine Spur von Belustigung schwang in seiner Stimme mit und Neugier. Loocian legte das schwere Bündel vor sich auf den Boden und schlug die Decke zurück. Er traute seinen Augen nicht, fünf oder sechs Schwerter, einige kurze und lange Dolche, drei Bögen. Sein Blick blieb an einen wundervoll gefertigten Bogen hängen, reichhaltig und mit seltsamen Zeichen verziert und geschmückt. Er nahm ihn auf, er war federleicht, und prüfte mit geübter Hand die Sehne. ‚Als hätte ich mein Leben lang nichts anderes gemacht als Bögen zu begutachten,‘ dachte er. „Nimm ihn Dir, und such Dir bitte auch noch ein Schwert und einen Dolch aus, unbewaffnet nutzt Du uns bestimmt nichts.“ Loocian sah kurz zu Aurelius hoch. Er fand noch einen Lederköcher mit Pfeilen und einen kleinen Beutel, der, nachdem er ihn geöffnet und hineingeschaut hatte, Ersatzsehnen enthielt. Dann erblickte er, es lag etwas verdeckt unter anderen, das Schwert. Ein solch kostbar verziertes und schönes Schwert hatte er noch nie gesehen. Es erinnerte ihn ein wenig an ein Samuraischwert mit der leicht gebogenen Klinge, aber dieses hier war wesentlich länger und breiter. Es war sehr leicht, wider Erwarten. Er konnte es einhändig ohne Probleme führen. Vollkommen und perfekt ausbalanciert lag es wie eine Verlängerung des Armes in der Hand.

Einige Schwünge damit vollziehend, mußte Loocian schmunzeln. Doch dann wurde er wieder ernst. „Jetzt verstehe ich, warum ich in Magednor keine Waffen kaufen durfte. Was wollt ihr hierfür haben? Ich sag´ es gleich, ich habe bestimmt nicht genug Geld, um mir ...“ „Es ist gut, Loocian,“ fiel Aurelius ihm ins Wort, „es ist gut, Du kannst sie benutzen, wir werden Dir diese Waffen leihen. Du bezahlst sie später, wenn Du Dich in der Gruppe bewährt hast und Deinen Anteil zu unserer Beute beisteuerst. Wenn Du jetzt zurückgehst, nimm bitte für Ulfgar das hier mit. Sage ihm, daß wäre das versprochene Willkommensgeschenk!“ sagte Aurelius und hielt ihm ein Bündel hin, welches er aus einer der anderen Kisten herausgenommen hatte. Auch dieses Paket war schwer, Loocian konnte sich schon denken, was in die Decke eingeschlagen war. Es fühlte sich an wie eine Streitaxt oder so etwas.

Aurelius blieb bei den Kisten stehen, während Loocian wieder zur Feuerstelle zurückging. Er reichte Ulfgar das Bündel. „Hier ist das versprochene Willkommensgeschenk“, richtete er, wie aufgetragen, aus. Der Zwerg öffnete es neugierig. Und tatsächlich war darin eine kunstvoll verzierte Streitaxt eingeschlagen. Ulfgar war von deren Anblick überwältigt und bedankte sich mit knappen, verlegenen Worten bei allen. Zu Aurelius blickend sagte er: „Das kann ich nicht annehmen, es ist viel zu kostbar!“ Doch der Magier signalisierte, daß es so gut war. Da stand Ulfgar nun und betrachtete seine neue Errungenschaft voll Stolz. Er zeigte die Axt herum und freute sich wie ein kleines Kind.

Loocian setzte sich neben Roscoe, Tobias und Lars, nachdem er sich ein Stück Fleisch abgeschnitten hatte, aß und hörte den dreien bei ihrer Unterhaltung zu. Sie hatten schon eine Menge erlebt und wenn er an die Ansammlung von Beutegepäck dachte, konnte er sich lebhaft vorstellen, was da alles mit der Zeit zusammengekommen war. Besonders Roscoe, der Halbling, hatte sich anscheinend schon öfter als guter Kämpfer und wertvoll für die Gruppe erwiesen, denn Tobias und Lars sprachen bewundernd und respektvoll über ihn und erzählten von seinen Taten voller Lob. Stimmte also irgendwie, was Tolkien über Halblinge geschrieben hatte, Loocians Gedanke wurde durch seinen Eindruck und die Erzählungen bestätigt. Lars fragte ihn auf einmal, ob Aurelius schon mit ihm geredet hätte. „Nein, noch nicht“, sagte Loocian. „Ich tappe immer noch im Dunkeln und habe jede Menge Fragen, aber er hat mir versprochen, daß er mit mir redet und mir alles zu erklären versucht.“ „Aurelius wußte schon lange, daß Du zu uns kommen würdest. Er hat Dich oft angekündigt. Heute schien ein richtiger Tag gewesen zu sein, Dich zu uns zu holen. Er sagte uns, daß Du in Deiner Welt nur einer von vielen und unzufrieden warst. In unserer Welt wirst Du hingegen gebraucht, jedenfalls hat er es uns so erzählt. Aurelius ist ein mächtiger Zauberer, auch wenn man es ihm auf den ersten Blick nicht ansieht. Er hat uns schon öfter mit seinen Kräften und Fähigkeiten das Leben gerettet und schier aussichtslose Kämpfe in Siege verwandelt, stimmt es nicht?“

Tobias blickte zu Roscoe und Lars, die zustimmend nickten. „Mich mußte er sogar einmal wiederbeleben, das war eine sehr schmerzhafte und unangenehme Erfahrung für mich und sehr kräfteraubend für Aurelius. Er war nach dem Zauber stundenlang bewußtlos und wir mußten ihn tragen", erzählte Roscoe. „Wir alle waren schon mindestens einmal in arger Bedrängnis und Aurelius hat uns vor wirklichem Schaden bewahrt“, bemerkte Lars. „Was hat er euch denn noch erzählt? Weshalb bin ich hier und wie konnte das funktionieren? Als ich durch den Spiegel gegangen bin, habe ich da meine Welt verlassen oder blieb etwas von mir zurück? Ich habe nämlich noch mein Spiegelbild auf der anderen Seite gesehen. Und was meintest Du eben mit meiner Welt, Tobias?“ „Warte ab, bis Aurelius es Dir erzählt, ich möchte dem nicht vorgreifen,“ sagte Tobias,“ nur soviel vorweg: Du bist nicht der einzige, den er aus eurer Welt in unsere geholt hat. Und das hat einen guten Grund, denn Argathi ist in Gefahr, somit auch die Erde, das ist doch der Name eurer Welt, oder?

Beide sind miteinander verbunden, wenn ich es richtig verstanden habe. Was hier bei uns passiert, hat bestimmte Auswirkungen auf eure Welt und umgekehrt. Wir haben es in Argathi mit einem mächtigen Gegner zu tun und sind ohne Hilfe von eurer Welt hoffnungslos verloren. Gut, wir kämpfen hier und da, gewinnen zwar ein paar Scharmützel und Gefechte, aber das nutzt nicht besonders viel, wenn man eine ganze Welt retten will. Doch jetzt genug davon, es dämmert schon und wir haben morgen sicher einen harten Tag und einen langen Marsch vor uns.“ Tobias richtete sich auf, streckte sich und begann, sich ein Nachtlager zurecht zu machen. So taten es auch die anderen und Loocian machte es sich auf dem Waldboden gemütlich, zugedeckt mit der leichten Decke aus seinem Rucksack.

Die einzigen, die viel später schlafen gingen, waren Ulfgar und Thoderich. Sie blieben noch lange am Feuer sitzen und redeten miteinander. Sie hatten sich anscheinend schon angefreundet, obwohl Thoderich in Ulfgars Augen sicherlich kein Zwerg mehr sein konnte. Themen schienen sie trotzdem genügend zu haben. Manchmal lachten sie auch und wurden dann etwas lauter. Aurelius hatte sich anfangs neben sie gesetzt und sie gebeten, die erste Wache zu übernehmen, er wollte dann die zweite Wache machen und Tobias die dritte. So konnten die anderen sich etwas mehr ausruhen, würden dafür dann morgen eingeteilt.

Loocian hörte mit einem Ohr noch etwas den beiden Zwergen zu, fiel aber dann in einen etwas unruhigen Schlaf, der zunächst traumlos war. Dann hörte er auf einmal Aurelius in seinem Kopf sprechen. „Loocian, ich habe Dich in unsere Welt geholt, weil wir Deine Hilfe brauchen.“ Jetzt saßen die beiden zusammen am Feuer. „Wie Tobias es Dir schon gesagt hat, warst Du nur einer unter vielen in Deiner Welt, hier wirst und mußt Du uns nützen mit Deinem Wissen um die Außenwelt und Deinen Fähigkeiten. Vor allem mit Deinem ungenutzten Potential an schlummernden Kräften. Und bei dieser Gelegenheit konnte ich Dir sogar noch einen Herzenswunsch erfüllen.“ Er schmunzelte. „Bezüglich Deiner Frau und Deinem Sohn kann ich Dich beruhigen, Dein Verschwinden ist dort nicht aufgefallen, ihr Leben geht weiter, wie bisher. Du hast es schon richtig vermutet, als Du Dein Spiegelbild verblassen sahst. Ich konnte gestern Deine Sorgen und Ängste mildern, die Erklärung hierfür kommt jetzt.

Unsere Welt Argathi wird von dem mächtigen Zauberer Santin beherrscht. In eurer Welt, der Erde, hat er noch größere Macht und stärkeren Einfluß, als hier. Diese Entwicklung war für ihn ein langwieriger Prozeß, der sich schon über Tausende von Jahren hinzieht. Sein Ziel ist es, in Argathi genau die gleiche Macht zu bekommen. Das Wissen um beide Welten gerät ihm dabei zum Vorteil, aber auch das Wissen, daß beide Welten miteinander verbunden sind. Es gibt auf diesem Planeten die äußere Welt, die Dir bekannt ist und eine innere, dies ist Argathi. Wenn Du genau nachdenkst, kann eure Erde nicht eine gefüllte Kugel sein mit einem flüssigen Kern. Schon die Fliehkraft der Erdumdrehung würde die Flüssigkeit an die Ränder drücken, nicht wahr?“

Staunend schaute Loocian den Magier an. Das konnte doch nicht sein Ernst sein? Eine innere Welt? „Ich erkenne“, fuhr Aurelius fort. „Du beginnst zu grübeln. Das ist gut. Unsere Sonne hier ist ein Licht von einem Kristall, der den wirklichen Kern des Planeten ausmacht. Und Wind, Regen, ja sogar Schnee bilden sich hier genauso wie oben auf der Oberfläche bei euch. Es gab in den letzten Jahrzehnten ein paar Menschen, die durch die verschiedenen Eingänge zu uns gelangten. Doch oben bei euch hat Santin eine solche Macht, daß die Geschichten als Irrsinn oder Wahnvorstellungen abgetan werden konnten. Sein Einfluß ist so groß, daß alles, was ihr in der Schule lernt, was ihr an Nachrichten zu hören und sehen bekommt, eine einzige große Lüge und Vertuschung ist. Dabei unterstützen ihn seine Santiner, das Volk der Zetas und reptoide Illuminaten, genannt Reptoiden. Hierzu kommen wir aber später.

Jeder in unserer Gruppe hat besondere Fähigkeiten und gemeinsam ergänzen wir uns nahezu perfekt, wir sind stark. Der einzelne ist nicht mehr wert, als er alleine zu leisten imstande ist. Sicherlich ist Dir das bekannt aus Deinen eigenen Lebenserfahrungen. Das ist auch ein Grund, warum ich Dich zu uns nach unten geholt habe. Die Probleme in Deiner Welt kannst Du nicht dort und vor allem nicht alleine lösen. Gleichgesinnte, die so denken und die gleichen Ungerechtigkeiten empfinden wie Du, mag es zwar geben, aber ihr seid nicht mehr imstande, euch zusammen zu tun, aufzustehen und euch zu wehren, um diese Probleme zu lösen. Dabei wäre es so einfach, denn immer regieren oder herrschen wenige über viele und können trotzdem tun und lassen, was sie wollen. Hier bei uns bist Du deswegen, weil Du Fähigkeiten besitzt und eine Einstellung hast, die uns hier sehr nützlich sein kann. Außerdem kannst Du mir aus Deinen Erfahrungen von der Oberfläche sicher noch einiges erklären, was für mich bisher unklar ist. Zusammen mit Dir haben wir in Argathi eine große Chance, beide Welten zu verändern und zu retten. Alles, was wir hier tun und versuchen werden, hilft hoffentlich unserer und damit auch in eurer Welt.

Jahrtausende hat Santin die Erde manipuliert, es gefiel ihm zusehends, was er da anrichten und erreichen konnte. Er versuchte die gleiche Einflußnahme ebenfalls auch in Argathi, war auch schon mehrfach kurz davor, sein Ziel zu erreichen, aber es gab unter allen Völkern hier stets großen Widerstand und wir konnten schon oft im letzten Moment eine Katastrophe verhindern. Leider immer mit hohen Verlusten und oft nur durch besondere Leistungen von auserwählten Menschen, Elfen oder Zwergen. Zufällig deswegen, weil wir nicht genau wissen, warum Santin dies alles macht. Bisher konnten wir Schlimmeres in Argathi verhindern. Er hat großen Einfluß auf die Geschöpfe, die er um sich schart, Reptoide, Santiner, Zetas und sonstige Kreaturen, die einst mit allen anderen Völkern in einer Koexistenz hier gelebt haben.