Inselsterne verglühen nicht - Nancy Salchow - E-Book

Inselsterne verglühen nicht E-Book

Nancy Salchow

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Beschreibung

Ronja liebt ihre Heimatinsel Poel, direkt in der malerischen Ostsee. Doch ein gebrochenes Herz und der Traum von der großen Karriere trieben sie damals in die Großstadt. Ein gebrochenes Herz ist es auch, dass sie Jahre später zurück auf die Insel zieht. Hier will sie ihre Scheidung verarbeiten und gleichzeitig ihrer Schwester beim Aufbau ihres ersten eigenen Unternehmens helfen. Das Letzte, was Ronja gebrauchen kann, ist ein neuer Mann in ihrem Leben – und erst recht keinen „alten“. Denn als sie ihre Jugendliebe Sven wiedertrifft, kann sie nicht mehr verstehen, was sie damals an diesem Scheusal von Kerl gefunden hat. War er früher auch schon so arrogant und unfreundlich? Gott sei Dank versteht sie sich umso besser mit Svens Cousin Siebo, der im Unternehmen ihrer Schwester mithilft. Doch Ronja erkennt schon bald, dass im Leben nicht immer alles nach Plan verläuft – und die Dinge oft anders sind, als sie scheinen. Der Roman ist in sich abgeschlossen und hat natürlich ein wohlverdientes Happy End.

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Inhaltsverzeichnis

Über das Buch

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Epilog

Danksagung und Nachwort

Impressum

Nancy Salchow

Inselsterne verglühen nicht

Liebesroman

Über das Buch

Ronja liebt ihre Heimatinsel Poel, direkt in der malerischen Ostsee. Doch ein gebrochenes Herz und der Traum von der großen Karriere trieben sie damals in die Großstadt.

Ein gebrochenes Herz ist es auch, dass sie Jahre später zurück auf die Insel zieht. Hier will sie ihre Scheidung verarbeiten und gleichzeitig ihrer Schwester beim Aufbau ihres ersten eigenen Unternehmens helfen.

Das Letzte, was Ronja gebrauchen kann, ist ein neuer Mann in ihrem Leben – und erst recht keinen „alten“. Denn als sie ihre Jugendliebe Sven wiedertrifft, kann sie nicht mehr verstehen, was sie damals an diesem Scheusal von Kerl gefunden hat. War er früher auch schon so arrogant und unfreundlich?

Gott sei Dank versteht sie sich umso besser mit Svens Cousin Siebo, der im Unternehmen ihrer Schwester mithilft. Doch Ronja erkennt schon bald, dass im Leben nicht immer alles nach Plan verläuft – und die Dinge oft anders sind, als sie scheinen.

Der Roman ist in sich abgeschlossen und hat natürlich ein wohlverdientes Happy End.

Anmerkung: Dies ist der erste Roman aus der neuen Ostsee-Reihe von Nancy Salchow: Inselsterne am Ostseehimmel. Handlungsort ist die schöne Insel Poel. Grundsätzlich werden in dieser Geschichte vorrangig Original-Lokalitäten erwähnt, die Protagonisten sind aber fast alle fiktiv.

Kapitel 1

Ronja

________________

Sicher ist es nur Einbildung, aber ich kann das Rauschen der Wellen so deutlich hören wie meinen eigenen Herzschlag, schon allein beim Blick auf das Wasser, das links und rechts von der Straße silberblau in der Sonne schimmert. Das Autofenster ist bereits seit einigen Minuten einen Spalt offen, weil ich es kaum erwarten konnte, so früh wie möglich die aphrodisierende Meeresbrise einzuatmen.

Noch vor einigen Wochen hätte ich dieses Szenario für undenkbar gehalten. Doch jetzt, wo ich mich langsam der Insel nähere, pocht das altvertraute Heimatgefühl so laut in meiner Brust, das mir fast das Herz herausspringt.

Ich bin wieder hier. Nach über sieben Jahren bin ich tatsächlich wieder auf meiner Insel Poel. So eilig ich es damals hatte, hier wegzukommen, so warm wird mir jetzt ums Herz, mit jedem Meter, den ich mich der Brücke nähere.

Links von mir grasen die Pferde auf den Landzungen. Ein Anblick, der mir vertrauter nicht sein könnte. Selbst nach all den Jahren noch.

Wie ein Daumenkino ziehen die orangefarbenen Metallstäbe der Brückenbrüstung in meinem Augenwinkel vorbei, während ich mich dem Begrüßungsschild nähere.

OSTSEEBAD INSEL POEL

Darunter steht auf plattdeutsch

„Peul – wat för Luftsnappers“

Das Schild wird von zwei großen Holzfiguren gehalten, einem Fischer und einem Landwirt, die die sogenannten „Luftschnapper“ auf diese Weise begrüßen. Zu meiner Zeit hatte das Schild eine andere Aufschrift. Und doch weckt es noch immer eine tiefe Vertrautheit in mir. So, als hätten diese beiden Figuren schon immer dort gestanden, nur um mich jetzt wieder zu begrüßen.

So sehr ich auch in den letzten Tagen an meiner Entscheidung gezweifelt habe, hierher zurückzukehren, so schnell verblassen diese Bedenken nun. Es war richtig. Nein, es ist richtig, das wird mir von Sekunde zu Sekunde klarer.

Als ich das Fährdorf-Schild hinter mir lasse und damit den ersten Ort der Insel durchquere, komme ich mir beinahe wie eine Verräterin vor, weil ich so lange nicht hier war. Jetzt, wo ich zurück bin, frage ich mich, warum ich es mir all die Jahre so schwergemacht habe und ständig Ausflüchte gefunden habe, warum mich Marina lieber in Hamburg besuchen sollte, nur damit ich nicht zu ihr auf die Insel kommen musste.

Seitdem unsere Eltern vor sechs Jahren nach München gezogen sind – bedingt durch Papas Geschäftsführer-Posten in einer Möbelfabrik –, ist Marina die Einzige aus unserer Familie, die noch hier lebt. Zumindest war es bisher so. Allein der Gedanke, wieder bei meiner Schwester zu sein, rührt mich beinahe zu Tränen.

Augenblicklich sind auch die Erinnerungen an Sven wieder da. Die Wut und der Schmerz sind nicht mehr so stark wie früher, heute kaum noch nachvollziehbar – und doch ist da noch immer dieses seltsame Gefühl in der Magengegend.

Als ich Niendorf erreicht habe, wandert mein Blick rüber zum Hafen. Die Boote zu sehen, lässt mich unweigerlich tief durchatmen, während ich den Drang zu weinen unterdrücke. Reue und Wut überkommen mich. Vor allem die Wut auf mich selbst, weil ich es einem Mann gestattet habe, meine Entscheidung zu beeinflussen. Damals war Sven der Grund, warum ich regelrecht von der Insel geflohen bin. Ironischerweise ist es jetzt wieder ein Mann, der mich in der Entscheidung für meine Rückkehr beeinflusst hat. Die Scheidung von Paul war es nämlich, die mir die Augen darüber geöffnet hat, dass ich in Hamburg schon lange nicht mehr glücklich war. Und der Gedanke, weiterhin in seinem Architekturbüro zu arbeiten, fühlte sich einfach immer absurder an.

Rechts von mir zieht der Platz der ehemaligen Tankstelle vorbei, die bereits zu meiner Zeit sehr heruntergekommen war. Dass sie inzwischen abgerissen wurde, wusste ich nicht.

So vieles, das ich nicht mitbekommen habe. Und es gibt niemandem, dem ich die Schuld daran geben kann, außer mir selbst.

Als ich die Kirchdorfer Kurve erreicht habe, biege ich rechts ab und stelle im selben Moment fest, dass ich bewusst diese Strecke gewählt habe, um noch mehr von der Insel zu sehen. Denn eigentlich hätte ich Niendorf nicht durchqueren müssen, um an mein eigentliches Ziel zu kommen.

Mit pochendem Herzen fahre ich die schmale Straße entlang, während meine Gedanken auf Wanderschaft gehen. Es ist erst wenige Wochen her, als Marina – anfangs aus Spaß – am Telefon sagte, dass ich ja bei ihr als Partnerin einsteigen könnte. Ich hatte ihr von meinem Frust erzählt, Paul jeden Tag im Büro zu sehen. Auch wenn wir mehr oder weniger im Guten auseinandergegangen waren, fand ich es befremdlich, weiterhin mit ihm zusammenzuarbeiten. Marinas Geschäft hingegen – ein kleines Rucksack- und Taschen-Label – lief wirklich rasant an. Und da sie mit dem Gedanken spielte, jemanden einzustellen, kam ihr die Idee, das Ganze mit mir weiterzuführen. Sie bräuchte dringend jemanden, der das Marketing und die Werbung übernimmt. Webseite, Türklinken putzen, Online-Shop. Alles Neuland für mich und doch eine aufregende Herausforderung, auf die ich mich freue.

Je mehr ich mich Gollwitz nähere, desto nervöser werde ich. Fast wie bei einem Date. Es war immer klar, dass ich die rechte Hälfte unseres Elternhauses beziehen würde, wenn ich jemals zurückkehren sollte. So lautete der Wunsch meiner Eltern, und irgendwie schwebte diese Tatsache immer in der Luft, selbst in der Zeit, als ich sicher war, für immer mit Paul in Hamburg zu bleiben. Dass Marina meine Hälfte in der Zeit meiner Abwesenheit an Touristen vermietete, war zwar in den letzten Jahren eine schöne Nebeneinkunft für uns alle geworden, viel wichtiger war es Marina jedoch, mich wieder „zu Hause zu haben“. Das waren ihre Worte. Worte, die wie ein Echo über mir schweben, als ich endlich das Ortseingangsschild von Gollwitz erreiche.

Fast wie in Trance durchquere ich meinen Heimatort. Eine Fahrt, die sich ein bisschen wie ein Traum anfühlt.

Ich bin wirklich wieder hier. Nach all den Jahren. Kaum zu glauben.

Das ganze Dorf ist ein regelrechtes Zentrum für Ferienwohnungen geworden. Doch natürlich sind sie auch hier zu finden, die Einheimischen, die das Unkraut in der Einfahrt zupfen oder sich mit dem Nachbarn am Gartenzaun unterhalten.

Ist das die alte Frau Gerner dort hinten an der Scheune? Hat sie denn niemanden, der ihr beim Beladen des Strohs helfen kann? Ist ja kaum mitanzusehen, wie sie sich mit der Schubkarre quält. Dann hat sie sicher noch immer ihre Hühner, so wie früher schon.

Trotzdem wende ich meinen Blick von ihr ab. Wenn sie mich jetzt erkennt, fühle ich mich zu einem Gespräch verpflichtet. Und ich bin noch nicht bereit, mit jemandem zu reden oder neugierige Fragen zu beantworten. Zumindest jetzt noch nicht.

Etwas abseits der anderen Häuser, nicht weit vom Strand, entdecke ich es endlich auf der rechten Seite: Das puderzuckerweiße Haus mit dem prächtigen Reetdach und den rabenschwarzen Holztüren. Im Vorgarten blühen die Pfingstrosen und Hortensien und strecken ihre Köpfe über den weißen Gartenzaun.

Mein Herz wird warm, meine Augen feucht.

Mit einem übergroßen Kloß im Hals fahre ich durch das offene Tor aufs Grundstück und komme schließlich auf dem Hinterhof zum Stehen.

Kaum habe ich den Motor abgeschaltet, steht Marina auch schon in der offenen Küchentür, die nach hinten auf den Hof führt. Schon vom Wagen aus kann ich sehen, dass sie weint.

„Ach, komm her, du verlorenes Inselkind.“ Schluchzend nimmt sie mich in den Arm, als ich aus dem Wagen steige. „Ich habe mich nicht getraut zu glauben, dass du das wirklich durchziehst.“

„Dachtest du etwa, ich komme nicht?“, frage ich, ebenfalls heulend. „Ich habe es dir doch versprochen. Außerdem sind doch meine Möbel längst hier.“

„Ich weiß.“ Sie drückt mich noch ein bisschen fester. „Ich habe es mir wohl einfach zu sehr gewünscht, um es wirklich glauben zu können. Vielleicht denkt ein Teil von mir immer noch, dass du nur kurz hier bist und bald wieder das Weite suchst.“

Dass ich wirklich hier bin, um zu bleiben, kann ich selbst noch nicht so recht glauben. Aber diese Tatsache behalte ich für mich.

„Keine Sorge“, verspreche ich, „ich bleibe. Hamburg war nie wirklich meins. Aber ich war so verliebt in Paul, dass ich mir eingeredet habe, dort unheimlich gern zu wohnen. Doch je älter ich werde …“

„Hey“, sie schlägt lachend mit dem Handrücken gegen meine Brust, „pass auf, was du sagst. Wenn du dich mit 29 als alt bezeichnest, was bin ich dann mit 31?“

„Du weißt, was ich meine.“ Ich lache. „Je älter ich werde, desto klarer wird mir, wo meine Wurzeln sind.“

„Ach, ich freue mich so.“ Wieder umarmt sie mich. „Ohne dich war es hier viel zu still.“

Es ist einer dieser Momente, in denen ich mich frage, warum Marina noch immer Single ist. Seit Jahren lebt sie hier allein, hat zwar Freunde und viele Bekannte auf der Insel – aber die letzte richtige Beziehung ist Ewigkeiten her. Es ist ein offenes Geheimnis – zumindest für mich –, dass sie sich mehr zu Frauen hingezogen fühlt, aber irgendwie hat sie sich nie getraut, diese Tatsache offen auszuleben. Etwas, das ich bisher nie verstanden habe. Ob es an der Engstirnigkeit alteingesessener Inselbewohner liegt?

Aber die Insel besteht doch nicht nur aus altmodisch denkenden Menschen, das müsste Marina doch eigentlich selbst klar sein. Und selbst wenn es so wäre, ist sie doch eine Frau, die mit beiden Beinen fest im Leben steht und sich normalerweise nicht um die Meinung anderer kümmert. Wie passt das zu der Tatsache, dass sie seit Jahren ein Geheimnis aus ihrem Privatleben macht? Oder hat sie wirklich keines, wie sie mir immer weismachen will?

„Ich habe ein bisschen für Ordnung in deiner Wohnung gesorgt“, erklärt sie fröhlich. „Frische Blumen auf dem Küchentisch. Ach ja, und ich war gestern noch bei der Satower Mosterei und habe dir ein paar Kisten von deinem Lieblings-Apfelsaft mitgebracht. Du sollst dich einfach voll und ganz wieder wie zu Hause fühlen.“

„Moment mal, du warst extra wegen mir in Satow?“ Meine Augen werden größer. „Und du hast aufgeräumt? Was soll das denn, Marina? Du hast doch so schon mehr als genug zu tun.“

„Ich wollte es so, basta!“, winkt sie ab. „Heute ist eben ein wichtiger Tag. Der muss gefeiert werden.“

Sie strahlt regelrecht, als sie das sagt, wobei das leuchtende Blau ihrer Augen besonders gut zur Geltung kommt. Zusammen mit ihrem langen weizenblonden Haar war Marina schon immer der Traum vieler Jungs – und später Männer – aus der Nachbarschaft. Eine Tatsache, die sie jedoch niemals aus der Ruhe gebracht hat.

„Ach, Schwesterherz!“ Ich nehme sie wieder in den Arm. „Ich habe dich so vermisst. Tut mir leid, dass ich so eine treulose Tomate war. Von jetzt an wird sich alles ändern. Versprochen.“

Tränen verschleiern meinen Blick, weil mir in diesem Augenblick noch bewusster wird, was für eine Schande es ist, dass ich sieben ganze Jahre lang nicht hier war. Und das nur, weil mir allein der Gedanke, auch nur einen Fuß auf die Insel zu setzen, jedes Mal das Herz zerrissen hat. Die Insel war mit der Zeit einfach zum Synonym für Sven geworden. Für Sven und all den Schmerz, den ich so lange nicht vergessen konnte.

„So“, Marina löst sich von mir und streicht sich mit dem Handrücken über die feuchten Augen, „genug rumgeheult. Das ist ja nicht zum Aushalten.“

Ich lache. „Du sagst es.“ Ich öffne meinen Kofferraum und ziehe zwei große Reisetaschen heraus. „Das ist der Rest, den ich noch in Hamburg hatte.“

„Kaum zu glauben, dass du endlich bei Paul ausgezogen bist.“

„Das war längst überfällig“, seufze ich, während Marina mir eine Tasche abnimmt und wir nebeneinander zur Hintertür meiner Haushälfte gehen. „Wir haben uns seit der Scheidung irgendwie arrangiert. Er hatte das Dachgeschoss, ich habe unten gewohnt. Aber wir sind uns halt ständig über den Weg gelaufen. Und dann auch noch die Arbeit im Büro. Irgendwie fühlte es sich an wie ein ständiger Blick auf meine Vergangenheit, die mich daran hindert, nach vorn zu schauen. Ja, wir kommen klar, Paul und ich. Aber das kann einfach kein Dauerzustand sein. Neulich hatte er ein Date, ich habe sie gehört, weißt du?“

„Etwa beim …“

„Nein, sie haben nur geredet und gelacht. Aber es war so absurd. Niemand sollte mit seinem Ex-Partner unter einem Dach leben. Das bremst einen auf Dauer nur aus.“

„Zum Glück ist das ja jetzt Vergangenheit.“ Marina öffnet die Tür mit theatralischem Schwung. „Tadaaaa! Willkommen zu Hause, liebe Ronja!“

Mit großen Augen stehe ich im Flur meines alten – neuen – Zuhauses.

„Das ist ja der Wahnsinn, Marina“, staune ich, „du hast ja einfach an alles gedacht.“

Völlig fasziniert beginne ich meinen Streifzug durch die Wohnung, in der Marina bereits all meine Möbel aufgestellt hat. Eigentlich war es abgemacht, dass ich mich selbst darum kümmere, aber da sie in etwa wusste, was ich wohin stellen wollte, hat sie mir diese Arbeit bereits abgenommen.

„Ach, das war doch gar nichts“, sie schließt die Tür hinter uns, „außerdem hatte ich Hilfe von Siebo.“

„Siebo?“

„Ich habe dir doch von ihm erzählt. Er hat ein kleines Fuhrunternehmen und hilft mir, wo er kann, macht Besorgungen für mich usw. Aber er ist auch ein guter Freund geworden.“

„Verstehe?“ Ich hebe grinsend die Augenbrauen.

„Doch nicht so eine Art von Freund.“ Sie haut mir spielerisch mit der Hand gegen die Brust. Schon das zweite Mal heute.

Ist es wirklich so absurd zu glauben, dass sie sich auch in einen Mann verlieben könnte?

„Na ja, du redest ja nie über dein Liebesleben“, verteidige ich mich. „Wenn ich da nicht etwas nachhake, erfahre ich doch nichts.“

„Weil es auch nichts zu erfahren gibt.“ Marina rollt mit den Augen. „Ich bin mit meiner Arbeit verheiratet. Und irgendwie auch mit der Insel. Das reicht mir.“

„Schon klar.“

Wir gehen voraus in die Küche, wo sie – passend zu den pastellblauen Blumensträußen auf der weißen Tapete – auch die Tischdecke und die Sitzkissen ausgewählt hat.

„Wie du siehst, ist die Küche noch genauso wie vorher. Du kennst sie ja von den Bildern. Die Urlauber waren immer begeistert davon.“

„Sie ist ja auch einfach wunderschön.“ Ich lasse meine Hand über die Arbeitsplatte des weißen Küchenschranks gleiten, der im Landhausstil gehalten ist. Auch die vier weißen Holzstühle und der große runde Tisch passen optisch perfekt dazu. „Ich kann noch immer nicht glauben, dass ich jetzt wirklich hier wohnen werde.“ Ich gehe zu der cremefarbenen Vase auf dem Tisch und bewundere den Trockenstrauß aus Strohblumen, Färberdisteln und Setaria. „Erinnerst du dich noch daran, wie es hier aussah, als wir klein waren? Die Küche war so alt, dass ständig die Schranktüren gequietscht haben. Und trotzdem konnte sich Mama nicht davon trennen.“

„Es hat sich viel verändert“, antwortet sie mit verklärtem Blick. „Mama und Papa freuen sich sehr, dass wir nun wieder zu zweit hier wohnen und wollen spätestens an Weihnachten kommen. Aber sie fühlen sich tatsächlich wohl in München. Und das als Insel-Urgesteine.“

„Wer hätte das gedacht?“, antworte ich gedankenverloren, während ein Teil von mir der eigenen Kindheit nachtrauert. Viel zu schnell sind die letzten Jahre vergangen.

„Dein Kleiderschrank ist schon oben im Schlafzimmer“, erklärt Marina. „Siebo hat ihn auch schon aufgebaut.“

„Oh Mann, ich habe ein ganz schlechtes Gewissen deswegen.“

„Ach, musst du nicht. Er hat es selbst angeboten.“

„Dabei kennt er mich ja noch nicht mal.“

„Na ja, er hat Verwandte hier auf Poel und wohnt seit ein paar Jahren nun auch hier. Da ist er auch irgendwie einer von uns. Und hier hilft man sich halt gegenseitig.“ Sie zuckt mit den Schultern. „Du weißt doch, wie das ist.“

„Ich hatte es fast vergessen.“ Ich lasse mich auf einen der Stühle fallen. Dabei wandert mein Blick rüber zu dem Deko-Spiegel an der Wand zwischen den beiden Küchenfenstern. Eingefasst in ein hölzernes Steuerrad war er schon in meiner Kindheit in Familienbesitz. An diesem Vormittag bietet er jedoch vor allem eines: Einen ungeschönten Blick auf mich selbst.

Mein schulterlanges rostbraunes Haar fällt mir locker ins Gesicht, das irgendwie blass wirkt. Auch meine Augenränder sind tiefer, als ich gedacht hätte. Die Frau, die ich in diesem Spiegel sehe, wirkt beinahe fremd auf mich.

Dünn bin ich geworden. Etwas zu dünn. Aber warum eigentlich? Früher war ich viel kurviger – und ich hatte nie ein Problem damit. Liegt es an der vielen Arbeit im Büro, dass ich so abgenommen habe?

Kaum zu glauben, dass all das jetzt wirklich hinter mir liegt. Das Architekturbüro, die langen Tage am Schreibtisch. Ich war zwar „nur“ für die Buchhaltung zuständig, habe aber trotzdem fast genauso viel gearbeitet wie Paul, manchmal sogar mehr.

---ENDE DER LESEPROBE---