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Man schreibt das Jahr 3170. Seit den verhängnisvollen Kriegen gegen die Frogs sind über hundert Jahre vergangen. Die erschöpfte Erde wurde von den Menschen weitgehend verlassen und fristet nur noch ein Schattendasein. In dem Machtvakuum ist eine Vielzahl neuer Reiche entstanden. Eines davon ist die Sternenlicht Vereinigung, in der sich zwölf von Menschen besiedelte Planetensysteme verbündet haben. Sie sehen sich in der politischen und kulturellen Nachfolge der Menschheit vor dem Erscheinen der Frogs, die plötzlich und geheimnisvoll auf der kosmischen Bildfläche erschienen und wieder verschwanden.
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Seitenzahl: 196
Joachim Stahl
Sternenlicht 22
Irrflug ins Verderben
Saphir im Stahl
Sternenlicht 22
Joachim Stahl - Irrflug ins Verderben
e-book Nr:
Erste Auflage 01.07.2024
© Saphir im Stahl
Verlag Erik Schreiber
An der Laut 14
64404 Bickenbach
www.saphir-im-stahl.de
Titelbild: Thomas Budach
Lektorat: Kurt Strohmaier
Vertrieb: neobooks
Joachim Stahl
Sternenlicht 22
Irrflug ins Verderben
Saphir im Stahl
Prolog
„Du zitterst.“ Missbilligend musterte Randal seine junge Kameradin, die neben ihm in ihrem Versteck am Rand des Parkplatzes stand. Es war später Abend. Mehrere Scheinwerfer beleuchteten die betonierte Fläche, auf der Dutzende von Zivilgleitern sowie eine noch größere Anzahl Radfahrzeuge standen. An den Seiten war der Platz von Buschwerk umsäumt, zur Rechten hin öffnete er sich an einer Stelle und ermöglichte es den abgestellten Fahrzeugen, den Parkplatz zu verlassen und auf die Schnellstraße abzubiegen. Auch die nächste Metrostation war dort zu finden.
Elwa zwang sich zu einem Lächeln. „Es ist auch ziemlich frisch, findest du nicht? Ich hätte eine wärmere Jacke anziehen sollen.“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust, um das Zittern ihrer Hände zu beenden. Sie richtete den Blick auf die etwa zwanzig Meter hohe quaderförmige Multifunktionshalle auf der linken Seite. „Wann kommt sie endlich?“
Randal warf einen kurzen Blick auf seinem Armcomputer. „Das Konzert müsste schon aus sein. Aber wahrscheinlich gibt es ein paar Zugaben.“
„Meinst du, sie hat sich gut amüsiert? Wobei ich echt nicht verstehe, wie man sich freiwillig die Moraner Freiheit mit ihren kitschigen Schnulzen anhören kann. Und dann auch noch am letzten Tag seines Lebens.“ Sie stieß ein trockenes Lachen aus. „Wobei es vielleicht auch unser letzter Tag sein könnte.“
Randal umklammerte fest ihren linken Oberarm. „Wenn du alles genau so machst, wie wir es besprochen haben, haben wir gute Chancen, hier heil wegzukommen. Konzentriere dich einfach, behalte die Nerven und alles wird gut. Außerdem weißt du, was auf dem Spiel steht. Hier geht es um mehr als nur das Leben von uns beiden.“
„Ich weiß“, flüsterte Elwa. „Wenn wir nichts tun, schwebt die ganze Menschheit in Gefahr. Aber warum muss es gerade sie sein? Warum nicht jemand der Verantwortlichen?“
„Das weißt du doch selbst. Unser Feind ist mächtig. Wir können es uns nicht erlauben, ihn dort zu attackieren, wo er am stärksten ist. Sonst haben wir keine Chance. Wir müssen an seinen Schwachstellen zuschlagen. Und diese Frau ist nicht unschuldig. Rede dir nicht selbst etwas anderes ein.“
„Schuldig, weil sie den falschen Mann geheiratet hat? Ich weiß nicht so recht, Randal. Aber nur keine Sorge, ich ziehe das hier durch.“ Sie strich eine dunkle Haarsträhne aus ihrer Stirn.
„Glaubst du etwa, ich mache das gern?“ Sanft tätschelte Randal ihre Wange. „Doch es muss nun mal sein. Wir haben keine andere Wahl, wenn die Menschheit überleben soll.“
Angeregte Stimmen erklangen aus der Richtung der Multifunktionshalle zur Linken. Die Eingangstür hatte sich geöffnet und Menschen strömten hinaus ins Freie. Die meisten gingen über den zentralen Fußweg in der Mitte des Parkplatzes zur Metrostation, deren Netz die verschiedenen Stadtteile von Morans Hauptstadt Toris miteinander verband. Doch etliche gingen auch zu den geparkten Fahrzeugen.
„Ist sie das?“ Elwa kniff die Augen zusammen. Eine kleingewachsene Person trat in Begleitung einer etwas größeren mit eiligen Schritten auf den Gleiter zu, den sie und Randal seit etwa einer Stunde heimlich überwachten.
„Ja, das muss sie sein.“
„Was machen wir mit der anderen Frau? Muss ich die etwa auch …“ Elwa schluckte trocken.
„Wir können die Aktion jedenfalls nicht wegen einer solchen Kleinigkeit abbrechen. Es geht um zu viel.“
„Kleinigkeit?“, erwiderte Elwa bitter. „Wir reden hier immerhin von einem Menschenleben.“
„Unfug“, fauchte Randal. „Du kannst bei der anderen Frau die Betäubungsfunktion einsetzen. Sie darf dich nur nicht später identifizieren können. Aber warte! Schau, sie trennen sich!“
Die etwas größere Frau hatte die kleinere kurz umarmt und wandte sich dann einem geparkten Radfahrzeug zu. Nachdem sich seine Seitentür geöffnet hatte, setzte sie sich auf den Fahrersitz und schloss die Tür wieder.
Die kleinere Frau ging weiter zu ihrem Gleiter, während sich das Fahrzeug ihrer Freundin bereits entfernte. Ansonsten hatte sich kein anderer Konzertbesucher in diesen Teil des Parkplatzes begeben. Als die kleine Frau nur noch etwa zehn Meter von ihrem Gleiter entfernt war, atmete Elwa tief durch. Sie zog ihre Schirmmütze tief in die Stirn, setzte die Kapuze ihrer Jacke auf und schob das Halstuch über ihren Mund, sodass von ihrem Kopf nur noch die Nase und ein Teil der Wangen zu sehen war. Dann trat sie hinter dem Baum hervor, wo sie so lange auf diesen Moment gewartet hatte. Zügig ging sie auf die kleine Frau zu, die rechte Hand in der geräumigen Seitentasche ihrer schwarzen Jacke verborgen. „Entschuldigung! Können Sie mir helfen?“
Die kleine Frau drehte sich zu ihr um. Aus der Nähe war zweifelsfrei zu erkennen, dass es sich um die Zielperson handelte. „Grundsätzlich gerne. Aber es kommt auch darauf an, worum es geht.“
„Das kann ich Ihnen sagen: um die Existenz der Menschheit.“ Elwa zückte die HM-6 aus ihrer Jackentasche und richtete den kantigen Lauf der Strahlwaffe auf ihr nur noch etwa drei Meter entferntes Gegenüber.
Entsetzt riss die Frau die Augen auf. „Bitte nicht!“
Elwa löste mit einer leichten Krümmung ihres Zeigefingers den Schuss aus. Ein flirrender Strahl bohrte sich in das rundliche Gesicht ihres Opfers. Die Frau stöhnte schmerzvoll, dann sackte sie leblos zu Boden, wo sie mit unnatürlich verrenkten Gliedmaßen liegenblieb.
Mit heftig pochendem Herzen blieb Elwa direkt neben ihr stehen, den Waffenlauf nach wie vor auf ihren Kopf gerichtet. Doch es war kein zweiter Schuss nötig. Der erste hatte bereits perfekt getroffen, die Frau war zweifelsfrei tot. Elwa wirbelte herum und rannte zurück zu ihrem Versteck, wo Randal auf sie wartete.
Gemeinsam stiegen sie auf den hinter der Hecke stehenden Luftroller, mit dem sie vor etwa einer Stunde gekommen waren, und flohen von dem Tatort ihres Mordanschlags.
I
Lautloses Treiben Durch eine Zeit, die mir gehört Unter dem Purpurmond Wo meine Seele wohnt Ist Frieden tief in mir Lautloses Treiben Zu einem Meer der Harmonie Unter dem Purpurmond Wo meine Seele wohnt Der Weg ist weit von hier
Lautloses Treiben in mir
Kio Mun fingerte den Lautsprecherstöpsel aus dem rechten Ohr und warf der Ortungsspezialistin des Forschungskreuzers GIORDANO BRUNO-I einen finsteren Blick zu. „Kann man während der Essenspause nicht mal in Ruhe ein Lied zum Verdauen hören, ohne dass du einen von der Seite anbaggerst, Ronja?“
Ronja Darlfreys faltiges Gesicht unter der blondgefärbten Mähne verzog sich zu einem amüsierten Lächeln. „Warum so mürrisch, Kio? Fühlst du dich etwa von mir ertappt? Ich dachte immer, du stehst auf knallharte Musik vom Schlage Rollstein, wie es sich für einen kernigen Kerl wie dich gehört. Stattdessen solch sanfte Klänge, die da leise an mein wie immer hochinteressiertes Öhrchen dringen! Wirst du etwa altersmilde?“
Kio deaktivierte die Wiedergabefunktion seines Armcomputers und zog auch den linken Stöpsel aus dem Ohr, um ihn gemeinsam mit dem anderen in der Brusttasche seiner dunklen Borduniforum zu versenken. „Ich bin eben nicht so vorhersehbar, wie du immer glaubst. Ich bin ein geheimnisvoller Mann, der nur so tut, als wäre er auf den ersten Blick zu durchschauen.“
Ronja setzte sich mit ihrem Essenstablett an die andere Seite des Vierertisches in der Messe des Kreuzers. „Jetzt baggerst aber eher du mich an als umgekehrt, mein Dickerchen. Du weißt ganz genau, dass ich eine Vorliebe für mysteriöse Männer habe. Was wird wohl deine Priyanka dazu sagen, wenn du sie und eure beiden Kinderlein meinetwegen verlässt?“ Sie hob den Löffel voller Reiseintopf an den Mund und kaute genüsslich. „Kannst du es dir überhaupt leisten, Unterhalt für sie zu zahlen? Soviel ich weiß, verdienst du auch nicht mehr als ich. Wobei du eigentlich sogar noch weniger bekommen solltest, weil du noch nicht ganz so viele Dienstjahre hast und natürlich auch deutlich weniger als ich leistest.“
Kio grunzte empört und verschränkte die stämmigen Arme vor der Brust. „Lächerlich! Ich bin derjenige, der die DIANA am Laufen hält. Ohne mich und meine hervorragenden Maschinenkenntnisse wärst du in deinem Ausguck so blind wie ein augenloser Wurm. Und davon abgesehen werde ich meine Priyanka ganz bestimmt nicht deinetwegen verlassen, da wäre ich schön blöd. Sie ist erstens weniger faltig und zweitens nicht so abgemagert wie du. Und drittens nicht so frech. Und wenn du schon so neugierig bist, dann lass dir gesagt sein, dass ich dieses Lied eben gehört habe, weil es meiner Frau so gut gefällt.“
Ronja hob überrascht eine Augenbraue. „Komisch. Freiwillig höre ich immer nur Lieder, die ich selbst mag. Wobei es ruhig auch mal etwas so Besinnliches sein kann wie das gerade eben. Von wem ist das eigentlich?“
„Von der Moraner Freiheit. Meine Frau mag die seit ihrer Jugend. Gestern erst haben die alten Herren in Toris ein Konzert gegeben, und ich hatte Pri zu ihrem vierzigsten Geburtstag vorigen Monat eine Eintrittskarte dafür geschenkt.“
„Ah, die rätselhaften Teile setzen sich allmählich zu einem verständlichen Gesamtbild zusammen.“ Ronja löffelte weiter mit ersichtlichem Appetit ihren Eintopf. „Du sehnst dich nach deinem Frauchen und hast deshalb ein Lied abgespielt, das sie während dieses Konzerts ohne dich gehört hat. Das ist richtig romantisch. Du überraschst mich tatsächlich, Dickerchen.“
Kio seufzte. „Wie lange waren wir jetzt wieder im Einsatz? Ich glaube, drei Wochen, oder? Hier an Bord verliert man jedes Zeitgefühl.“
„Ja, drei Wochen, um zwei Planetensysteme im Niemandsraum zu untersuchen und rein gar nichts Bemerkenswertes dabei zu finden. Hätte mir jemand in meiner Jugend gesagt, wie sterbenslangweilig die Arbeit als Ortungsspezialistin sein kann, hätte ich mich für eine andere Stelle in der Flotte beworben. Oder besser noch für etwas ganz anderes als den Raumdienst, wo man immer wieder mal sein Leben riskiert und dafür mit einem Hungerlohn abgespeist wird.“
„Na ja, ganz so schlecht ist die Bezahlung nicht“, widersprach Kio. Er stemmte den Ellbogen neben seinem leergegessenen Teller auf die Tischplatte und schmiegte das Kinn auf die Handfläche. „Immerhin reicht es dafür, dass ich ab und zu mal auf meinen geliebten Sturm Zarg setzen kann, der leider gar keine gute Saison hat. Und zumindest diesmal sind wir auch in keine gefährliche Situation geraten. Abgesehen vom drohenden Tod durch Langeweile. Aber mir macht die lange Abwesenheit von daheim immer mehr zu schaffen.“
„Vermutlich, weil du Kinder hast. Wie alt sind sie jetzt?“
„Unser Alex ist dieses Jahr elf geworden, unsere Gali ist acht. Seit Jahren schon konnte ich an kaum einem ihrer Geburtstage mit ihnen feiern. Immer bin ich irgendwo im All unterwegs.“
„Ja, und die Raumschlacht gegen die Maschinenwesen voriges Jahr hat die Lage nicht gerade verbessert, im Gegenteil. Wenn ich an die grauenvollen Verluste denke, wird mir immer noch ganz mulmig zumute“, bemerkte Ronja nachdenklich. „Und den paar Schiffen und ihren Besatzungen, die noch einsatzfähig sind, werden jetzt noch weniger Atempausen als früher gegönnt. Tja, unsere Arbeit ist eben offenbar lebenswichtig für unseren Sternenbund. Darauf können wir zumindest etwas stolz sein, findest du nicht?“ Auch Ronja hatte ihr Mittagsmahl beendet und tupfte sich mit einer Serviette damenhaft den Mund sauber.
Kio zuckte mit den Achseln. „Ich fühle mich eher ausgebeutet als stolz. Wenn sie uns wenigstens zum Ausgleich für die Mehrbelastung das Gehalt erhöht hätten!“
„Wie denn? Der Neubau der Flotte kostet Unsummen an Steuergeldern. Da muss die Regierung eben an anderen Stellen sparen. Die Steuern wurden ohnehin schon deutlich erhöht. Irgendwo muss eben Schluss sein, sonst werden die Politiker bei den nächsten Wahlen abgesetzt, und davor haben sie mindestens so viel Bammel wie wir Raumfahrer vor einem Schwarzen Loch.“
Kio grinste bitter. „Ja, die sollten lieber mich als Kaiser von Moran einsetzen! Dann würde der ganze Laden viel besser laufen, das steht fest.“
„Klar, du kannst ja auch zaubern und alle Probleme durch reines Wunschdenken lösen“, kicherte Ronja.
Aus dem Lautsprecher der Messe ertönte die leicht krächzige Stimme des Kommunikationsspezialisten Amadeus Buffon. „Kio, bitte sofort in die Zentrale kommen! Eine dringende Nachricht ist für dich eingetroffen.“
Kio erstarrte. Er spürte, wie sich sein Herz verkrampfte. Etwas in ihm wusste, dass nichts Gutes auf ihn wartete. Im Gegenteil.
„So, endlich wieder daheim“, brummte Jon Entwissel von seinem Astrogatorenplatz. „Ich bin gespannt, ob die BRUNO inzwischen wieder einsatzfähig ist. Wobei ich nichts dagegen hätte, sie auch beim nächsten Mal nicht als Fähre benutzen zu müssen. Wenn ich wieder die ganze Strecke zum Einsatzziel selbst fliegen darf, bleibe ich viel besser in Übung.“
„Ja, nur ist das eben weniger ökonomisch.“ Major Petrus Taunsend musterte gedankenverloren die Astroscheibe, vor der er in der Zentrale des Forschungskreuzers stand. In ihrer Mitte war seit der Beendigung der letzten Etappe über die Einstein-Rosen-Brücke das Zentralgestirn des Moran-Systems holografisch als leuchtende Kugel dargestellt, umkreist von seinen drei planetarischen Begleitern. Der zweite davon war die Heimatwelt aller sechs Mitglieder der Kreuzerbesatzung. Das Mutterschiff GIORDANO BRUNO parkte vermutlich noch wie vor ihrem Abflug im Orbit Morans, weil eine stark ansteckende Infektionskrankheit fast ein Viertel der Crew erfasst hatte. Doch da die sechs Besatzungsmitglieder der GB-I alle verschont geblieben waren, waren sie allein auf ihre aktuelle Mission geschickt worden. Petrus vergrößerte die holografische Darstellung Morans durch eine spreizende Bewegung seiner rechten Hand, bis die Ozeane und Kontinente darauf zu erkennen waren. Der Planet war noch über fünfzig Lichtminuten entfernt, doch dank den Funksonden im System war es möglich, die aktuellen Bilder Morans zu sehen.
Petrus wandte sich an den jungen Oberfähnrich Amadeus Buffon, der rechts von ihm mit seinem üblichen Eifer an seinem Kommunikationspult hantierte. Nur drei der sechs Besatzungsmitglieder hatten ihren festen Arbeitsplatz in der Zentrale des Kreuzers. Die Ortungsspezialistin Ronja Darlfrey saß während ihrer Dienstzeiten im obersten Deck, die Armierungsspezialistin Toni Pinbol ein Deck darunter, der Bordingenieur Kio Mun im unteren Drittel des 170 Meter durchmessenden Diskusraumers. Ronja und Kio hatten jedoch gerade dienstfrei, ihre Arbeit wurde deshalb vom Bordcomputer übernommen. „Hast du schon Empfang zu den Funksatelliten?“
„Hoffentlich“, bemerkte Jon. „Ich hab vor unserem Abflug ein paar Sportwetten gesetzt. Im Gegensatz zu Kios Gurkentruppe haben meine Blauen Teufel gerade einen höllischen Lauf. Die haben vor unserem letzten Abflug sogar die Milliardentruppe von Manchrid auswärts besiegt. Wenn die beiden folgenden Spiele wie von mir erwartet ausgegangen sind, bin ich jetzt um gut 500 Kredits reicher. Bei unserem kargen Hungerlohn muss man ja schauen, wie man finanziell über die Runden kommt.“
Amadeus runzelte missbilligend die Stirn. „Bei Wetten gewinnt grundsätzlich der Wettanbieter am meisten, das weiß doch jeder. Und Flugball ist reine Glückssache. Es ist unmöglich, einen sicheren Sieger vorherzusagen. Wie viel Geld hast du denn gesetzt?“
„Einen Hunni.“ Jon warf seinem jungen Kameraden einen abschätzigen Schulterblick zu. „Und Flugball ist keine Glückssache, du Ignorant. Da gewinnt die bessere Mannschaft. Und meine Blauen Teufel sind momentan die Besten. Also bin ich ein vertretbares Risiko eingegangen. Oder wie siehst du das, Pet? Du magst doch auch Flugball, oder?“
Petrus schmunzelte. „Früher mal schon. Meine Lieblingsmannschaft war seit jeher Arsenal. Aber wenn du plötzlich und auf höchst mysteriöse Weise Vater geworden bist, hast du nicht mehr so viel Zeit, um die Spiele anzuschauen. Doch dass die Blauen Teufel im Gegensatz zu Kios Stürmern gerade ziemlich gut sind, habe auch ich mitbekommen. Wollen wir also mal hoffen, dass du dir während unseres Einsatzes wirklich nebenbei ein kleines Zubrot verdient hast.“
„Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.“ Jon wandte sich wieder seinem Arbeitspult zu, um den Forschungskreuzer GIORDANO BRUNO-I mit dem Eigennamen DIANA auf dem schnellsten Weg nach Hause zu steuern. „Und was gibt es Schöneres, als wenn die Mannschaft deines Herzens siegt und du davon auch noch finanziell profitierst?“
„Ich habe nie begriffen, warum man seine Laune vom Erfolg irgendwelcher Sportler abhängig machen kann“, bemerkte Amadeus. „Was bedeutet es schon für dein persönliches Leben, ob die Blauen Teufel nun ein Flugballspiel gewinnen oder verlieren? Dass du nach einem Sieg ein paar Tage lang halbwegs gut gelaunt bist, finde ich ja durchaus angenehm. Aber dass du nach einer Niederlage noch mürrischer bist als üblich, das geht mir ganz schön auf die Nerven, wenn ich ehrlich sein darf.“
„Das eine bedingt das andere, ist doch ganz logisch“, knurrte Jon. „Wenn ich mich nicht über Niederlagen ärgern würde, könnte ich mich über Siege nicht freuen.“
„Aber warum suchst du dir dann keine Mannschaft aus, die normalerweise erfolgreicher ist als die Blauen Teufel?“, fragte Amadeus.
„Weil man sich die Mannschaft nicht aussucht, du Milchgesicht! Man wächst in einem Teil der Welt auf, erfährt als Kind, dass Väterchen die Mannschaft aus der eigenen Provinz oder, falls es dort keine gibt, aus der nächsten größeren Region unterstützt, Papi schaut mit einem ein paar Spiele an und infiziert einen dabei mit seiner Liebe zu dieser Mannschaft. Und danach kann man die Lieblingsmannschaft nicht mehr wechseln. Jedenfalls dann nicht, wenn es einem mit dem Flugball zumindest halbwegs ernst ist.“
Amadeus schüttelte verständnislos den Kopf. „Da kann ich ja froh sein, dass mein Vater Besseres zu tun hatte, als mit mir Flugball-Spiele anzuschauen.“ Er beugte sich über sein Arbeitspult. „So, jetzt sind auch die ersten aktuellen Meldungen aus dem System bei uns angekommen. Ich leite sie gleich an den Bordcomputer weiter, dann kann Jon seine Laune danach ausrichten, wie seine Teufel in den letzten drei Wochen von anderen Teams auf die Hörner genommen wurden.“ Er stutzte. „Oh, hier ist noch eine Nachricht speziell für uns direkt von der ORB. Genauer gesagt, für Kio. Und offenbar dringend.“
Petrus strich sich über seinen schütteren Vollbart. „Dann informiere ihn gleich mal über den Bordfunk. Soviel ich weiß, hat er gerade Pause, er dürfte also wahrscheinlich entweder in seiner Kabine sein oder in der Messe.“
„Hoffentlich ist es nichts Schlimmes“, flüsterte Amadeus kaum hörbar, bevor er die Funkanlage aktivierte.
Kio spürte das Herz in seiner Kehle pochen, als er die Zentrale des Forschungskreuzers betrat. Der Kommandant Petrus Taunsend, der Astrogator Jon und der Kommunikationsspezialist Amadeus blickten ihn ernst an.
„Die Nachricht ist von der ORB für dich persönlich“, erklärte Petrus. „Sollen wir sie in deine Kabine weiterleiten, damit du sie allein und ungestört abrufen kannst?“
Kio schüttelte den Kopf. „Nein, nicht nötig. Und ich habe vor euch nichts zu verbergen.“
Petrus nickte Amadeus zu, und der junge Oberfähnrich öffnete die Nachricht mit einer drehenden Handbewegung.
Über der Astroscheibe erschien die holografische Darstellung von Pamina Neyd, der Leiterin der Obersten Raumbehörde Morans. Die Besatzung des Forschungskreuzers kannte sie persönlich, weil sie vor gut einem Jahr die Kommandantin der GIORDANO BRUNO gewesen war, des Mutterschiffes der GB-I. Ihr faltiges Gesicht zeigte einen schmerzlichen Ausdruck. „Leutnant Mun, ich grüße Sie von Herzen. Wenn Sie diese Nachricht empfangen, sind Sie soeben von Ihrer letzten Fahrt mit der GB-I zurückgekehrt. Leider habe ich eine traurige Nachricht für Sie. Auch wenn es mir schwerfällt, möchte ich Sie Ihnen selbst überbringen, weil ich Sie persönlich kenne und sehr zu schätzen gelernt habe.“ Sie legte eine Atempause ein. „Ihre Frau Priyanka wurde ermordet. Die Täter sind noch auf der Flucht, doch wir vermuten einen terroristischen Hintergrund. Der moranische SSD fahndet fieberhaft nach den Mördern und ich verspreche Ihnen, dass auch ich persönlich mich mit aller Kraft dafür einsetzen werde, dass sie gestellt werden. Bitte wenden Sie sich sofort nach Ihrer Landung auf Moran an unsere Zentrale. Wir werden alles in unseren Kräften Stehende dafür tun, um Ihnen und Ihren Kindern in dieser schrecklichen Zeit zu helfen. Um die Kinder haben wir uns unmittelbar nach dem Mord gekümmert. Sie sind bei uns in Sicherheit und warten auf Ihre Rückkehr. Alles Weitere werden wir persönlich besprechen. Sie sind in Ihrem Schmerz jedenfalls nicht allein.“ Sie deutete ein wehmütiges Lächeln an, dann erlosch das Hologramm.
Kio spürte, wie ihm die Tränen in die Augen traten. Er legte die Hände vor sein Gesicht und begann bebend zu schluchzen. Dann spürte er einen Arm über seinen Schultern. Eine Hand streichelte über seinen Rücken.
Petrus und Jon standen neben ihm und versuchten ihn zu trösten, ihre bärtigen Gesichter waren voller Mitleid. Amadeus saß noch an seinem Arbeitsplatz und schien wie gelähmt zu sein.
„Komm, setz dich erst mal hin.“ Petrus schob ihn mit sanftem Druck zum Sessel des Kommandanten.
Kio spürte, wie seine Knie nach wenigen Schritten nachzugeben drohten, und konnte sich gerade noch rechtzeitig auf den gepolsterten Sessel sinken lassen. Seine Nase begann zu triefen.
Jon nestelte ein Tuch aus einer der Taschen seiner Kombination hervor und reichte es dem Bordingenieur.
Nachdem Kio seine Nase gesäubert hatte, rieb er sich mit dem Handrücken über die tränenden Augen, bis sein Blick sich wieder etwas geklärt hatte. Innerlich fühlte er sich wie betäubt. „Das darf nicht wahr sein.“ Seine Stimme klang zittrig. „Meine Priyanka. Warum ausgerechnet sie? Sie hat doch niemand etwas getan.“
„Wenn es wirklich Terroristen waren, wie die Generalin gesagt hat, dann kennen wir den Grund“, schaltete sich Amadeus ein. Er war aus seiner vorigen Erstarrung erwacht und straffte seine schmale Gestalt. „Sie bringen doch schon seit etlichen Monaten immer wieder Angehörige von Raumfahrern um. Weil wir die Raumfahrt angeblich sofort einstellen müssen, um das Überleben der Menschheit zu sichern. Verrückte Fanatiker ohne Gnade.“
„Wir riskieren unseren Kopf für den Sternenbund und diese Idioten bringen dafür unsere Familien um“, zischte Jon. „Die gehören allesamt mit einer Entsorgungssonde in die nächste Sonne geschossen. Dann hätten sie mal einen richtig guten Grund dafür, die Raumfahrt als lebensgefährlich zu bezeichnen.“
Petrus schüttelte leise den Kopf. „Leute, es bringt uns nichts, hier irgendwelche Diskussionen zu führen. Das einzig Wichtige ist, was wir in dieser Lage für dich tun können, Kio. Du bist natürlich bis zur Landung vom Dienst befreit. Möchtest du dich in deine Kabine zurückziehen? Soll jemand von uns bei dir sein?“
Mühsam stand Kio von dem Kommandosessel auf. „Nein. Nicht nötig. Mein Dienst fängt gleich an. Ich geh in meinen Maschinenraum. Was soll ich unnütz in meiner Kabine herumhocken.“ Mit steifen Schritten wandte er sich zum Ausgang der Zentrale, gefolgt von den betroffenen Blicken seiner drei Kameraden.
II
Als sein Armcom zu summen begann, warf Inspektor Stepan Zauner automatisch einen Blick darauf. Das Flugballspiel des 1. FC Keytaun war soeben beendet worden. Die Mannschaft hatte schon wieder gewonnen, diesmal sogar gegen die hochfavorisierte Fortuna aus der moranischen Hauptstadt Torin. Zauner musste lange zurückdenken, um sich an eine ähnlich lange Siegesserie seiner Lieblingsmannschaft zu erinnern. Normalerweise dümpelten die Blauen Teufel in der unteren Hälfte der Ersten Liga umher, oft kämpften sie auch gegen den Abstieg, wobei sie diesen Kampf zweimal verloren hatten. Der letzte Abstieg lag erst zwei Jahre zurück. Doch im Folgejahr waren die Blauen Teufel sofort Meister der Zweiten Liga geworden, und nach dem Aufstieg spielten sie weiterhin wie beflügelt Flugball. Zu verdanken war dies in erster Linie dem Trainer, der unmittelbar nach dem Abstieg und der Entlassung seines glücklosen Vorgängers sein Amt angetreten hatte.
Otto Rehagos war ein sehr erfahrener Übungsleiter, der vor drei Jahrzehnten selbst als Verteidiger bei den Blauen Teufeln gespielt hatte. Nach seiner Spielerlaufbahn war er Trainer bei einer Provinzmannschaft aus dem Nordkontinent geworden, die er zu zwei überraschenden Meisterschaften geführt hatte. Als die erfolgsverwöhnte Fortuna aus Toris ein verhältnismäßig schlechtes Jahr hatte, bot die Vereinsleitung Rehagos das Amt des Trainers an. Doch dort war der alte Haudegen mit seiner rustikalen Art fehl am Platz, und so wurde er nach nur einem Jahr entlassen. Gerade, als die Blauen Teufel abgestiegen waren und einen neuen Trainer brauchten. Und so fand zusammen, was zusammengehörte.
„Was gibt es zu grinsen, Zauner?“ Die Stimme seines Vorgesetzten riss ihn aus seinen Gedanken. Direktor Simakan stand mit kritischer Miene in der offenen Tür seines Büros und musterte den Inspektor.
„Entschuldigen Sie bitte, Chef.“ Verlegen lächelnd stand Zauner auf. „Eine erfreuliche Nachricht vom Flugball, sonst nichts.“ Er trat hinter Simakan in dessen Büro und setzte sich ihm gegenüber an das Arbeitspult.