Irrlicht 41 – Mystikroman - Luanna Churchill - E-Book

Irrlicht 41 – Mystikroman E-Book

Luanna Churchill

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Beschreibung

Der Liebesroman mit Gänsehauteffekt begeistert alle, die ein Herz für Spannung, Spuk und Liebe haben. Mystik der Extraklasse – das ist das Markenzeichen der beliebten Romanreihe Irrlicht: Werwölfe, Geisterladies, Spukschlösser, Hexen und andere unfassbare Gestalten und Erscheinungen erzeugen wohlige Schaudergefühle. Verstohlen wischte Marlene Mahoney die Tränen weg. Sie ärgerte sich über sich selbst. Schuldbewußt schüttelte sie den Kopf und schaute sich im Zimmer um, so als wollte sie sich davon überzeugen, daß sie in diesem Augenblick der Schwäche auch wirklich allein war. Sie schämte sich ein bißchen, weil sie in letzter Zeit häufig dazu neigte, sich selbst zu bemitleiden. Immer dieses rührselige Gewimmer, wo sie sich doch geschworen hatte, stark zu sein! Aber, entschuldigte Marlene ihre Gefühlsausbrüche, sie hatte eben nicht damit gerechnet, daß sie derart heftig auf die Zerstörung ihres Traums von der ewigen Liebe reagieren würde. Dan hatte einfach nicht das Recht, ihr das anzutun! Es war schon erniedrigend genug, wenn man plötzlich entdeckte, daß der Mann, den man liebte, sich allzusehr zu starken Getränken und schwachen Frauen hingezogen fühlte. Er hätte sie nicht auch noch wegen ihres, wie er es nannte »puritanischen Denkens« auszulachen brauchen. Zunächst war sie so schockiert und wütend gewesen, daß ihr die Tren-nung sehr leicht fiel. chen. »Zum Teufel mit ihm! Zum Teufel mit ihm!« Zornig stieß sie ihren Kugelschreiber in das Notizbuch, das neben ihrer Reiseschreibmaschine auf dem Schreibtisch lag. Marlene war froh, daß sie ihren Beruf als Fernsehjournalistin bei den Excelsior Enterprises nach der Heirat nicht aufgegeben hatte. Aber jetzt starrten ihre tiefblauen Augen auf die Aufzeichnungen und sahen nichts als unzusammenhängendes Gekritzel, das sie an eklige, sich windende Würmer erinnerte. Verzweifelt stützte sie ihre ebenmäßige Stirn auf die Hand. Es war ihr gerade gelungen, sich einigermaßen zu konzentrieren, als die Tür aufflog und Berthell Daugherty hereinstürzte. Niedergeschlagen ließ sie sich in den abgewetzten Sessel neben der Tür fallen und streckte die Beine weit von sich.

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Irrlicht – 41 –

Gefahr um Mitternacht

Luanna Churchill

Verstohlen wischte Marlene Mahoney die Tränen weg. Sie ärgerte sich über sich selbst. Schuldbewußt schüttelte sie den Kopf und schaute sich im Zimmer um, so als wollte sie sich davon überzeugen, daß sie in diesem Augenblick der Schwäche auch wirklich allein war.

Sie schämte sich ein bißchen, weil sie in letzter Zeit häufig dazu neigte, sich selbst zu bemitleiden.

Immer dieses rührselige Gewimmer, wo sie sich doch geschworen hatte, stark zu sein!

Aber, entschuldigte Marlene ihre Gefühlsausbrüche, sie hatte eben nicht damit gerechnet, daß sie derart heftig auf die Zerstörung ihres Traums von der ewigen Liebe reagieren würde.

Dan hatte einfach nicht das Recht, ihr das anzutun!

Es war schon erniedrigend genug, wenn man plötzlich entdeckte, daß der Mann, den man liebte, sich allzusehr zu starken Getränken und schwachen Frauen hingezogen fühlte. Er hätte sie nicht auch noch wegen ihres, wie er es nannte »puritanischen Denkens« auszulachen brauchen.

Zunächst war sie so schockiert und wütend gewesen, daß ihr die Tren-nung sehr leicht fiel. Aber nachdem ihr zum Bewußtsein gekommen war, daß von ihrer sorgfältig geplanten Zukunft, in der sie sich als den glücklichen

Mittelpunkt einer perfekten Familie gesehen hatte, nur noch ein Scherbenhaufen übrigblieb, war ihr Selbstbewußtsein total zusammengebro-

chen.

»Zum Teufel mit ihm! Zum Teufel mit ihm!«

Zornig stieß sie ihren Kugelschreiber in das Notizbuch, das neben ihrer Reiseschreibmaschine auf dem Schreibtisch lag.

Marlene war froh, daß sie ihren Beruf als Fernsehjournalistin bei den Excelsior Enterprises nach der Heirat nicht aufgegeben hatte.

Aber jetzt starrten ihre tiefblauen Augen auf die Aufzeichnungen und sahen nichts als unzusammenhängendes Gekritzel, das sie an eklige, sich windende Würmer erinnerte. Verzweifelt stützte sie ihre ebenmäßige Stirn auf die Hand.

Es war ihr gerade gelungen, sich einigermaßen zu konzentrieren, als die Tür aufflog und Berthell Daugherty hereinstürzte.

Niedergeschlagen ließ sie sich in den abgewetzten Sessel neben der Tür fallen und streckte die Beine weit von sich. Ihre Arme hingen kraftlos über den durchgescheuerten Armlehnen. Ärger und Enttäuschung blitzten aus ihren großen Augen, und selbst ihre rotbraunen Locken schienen vor Entrüstung auf und ab zu tanzen.

»Was ist bloß los mit mir?« fragte sie wütend. »Rufen Sie nicht an, wir melden uns bei Ihnen«, spöttelte sie. »Wozu bezahle ich einen Agenten, wenn er mir nichts vermitteln kann?«

Marlene mußte lächeln. Berthell Daugherty war ihre temperamentvolle achtzehnjährige Mitbewohnerin.

Sofort nach der Scheidung hatte Marlene sich auf Wohnungssuche begeben. Bei der Besichtigung eines Apartments wäre sie dann fast mit dem aufgeweckten, koboldhaften Mädchen zusammengestoßen, das sich ebenfalls für die Wohnung interessierte.

Sie waren einander sofort sympathisch, und nachdem sie zusammen Mittag gegessen und sich lange unterhalten hatten, beschlossen sie, zu zweit in das Apartment zu ziehen.

Berthell freute sich, daß sie dadurch Geld sparte, Marlene fand, daß es

für sie nur gut sein konnte, wenn

sie mit einer verträglichen Gefähr-

tin zusammenwohnte, denn dann würde sie sich in ihrer derzeitigen verzweifelten Situation weniger einsam fühlen.

Das lag jetzt fünf Monate zurück.

Berthell kam von einer Farm, sie hatte bei einem Kleinstadt-Schönheitswettbewerb den ersten Preis gewonnen. Er hatte in einer kleinen Filmrolle bestanden. Außerdem wurden alle Unkosten, die durch die Reise von Ohio nach Los Angeles entstanden waren, vom Veranstalter getragen.

Seitdem träumte Berthell davon, ein berühmter Filmstar zu werden. Und obwohl ihre Großeltern sie inständig baten, nach Hause zurückzukehren, bestand sie darauf, in Los Angeles zu bleiben.

Der erhoffte Erfolg war aber ausgeblieben, das Geld war schnell weniger geworden, so daß sie schließlich – sie hatte auf der High-School einen Kursus mitgemacht – einen Job als Sekretärin in einem der großen Warenhäuser annehmen mußte.

Nur so lange, bis sie den Durchbruch geschafft hatte, sagte sie sich, und daß sie ihn schaffen würde, daran zweifelte sie nicht.

In dieser Lage hatte sie die vierundzwanzigjährige Marlene Mahoney getroffen, ein hübsches Mädchen, schlank, mittelgroß, mit offenen blauen Augen.

»Hast du einen schweren Tag gehabt?« fragte Marlene mitfühlend. »Da, auf dem Fernseher liegt ein Brief für dich.«

Berthell sprang auf, Wut und Enttäuschung waren wie weggeblasen.

»Ein Brief! Für mich?«

Und dann mutlos: »Ach, nur von Großmama. Aber sie schreibt doch wirklich jede Woche, nicht wahr?«

Und aus ihrer Stimme klang jetzt große Zärtlichkeit.

Sie öffnete den Brief und begann zu lesen. Ein Lächeln flog über ihr Gesicht.

»Das muß ich dir vorlesen, Marlene, selbst auf die Gefahr hin, daß ich dich tödlich langweile.«

»Ganz im Gegenteil«, antwortete Marlene rasch. »Ich höre immer gern, was Großmama schreibt. Sie schreibt so anschaulich, daß ich das Gefühl habe, bei ihr in Ohio zu sein. Außerdem wollte ich schon immer gern auf einer Farm leben. Wenn ich einmal reich und berühmt bin, werde ich mir eine kaufen und mich dort verkriechen, wenn mir das Leben in der Stadt zu hektisch wird.«

»Na gut, du hast es dann selbst gewollt«, erwiderte Berthell.

Dann las sie: »Ich weiß, daß das Leben hier dir ziemlich langweilig vorgekommen ist, Liebes, aber ich bezweifle, daß du so glücklich bist wie wir.«

Berthell räusperte sich, weil sie plötzlich einen Kloß in der Kehle verspürte.

Sie schaute Marlene an und fragte, wobei sie versuchte, ihre Stimme unbekümmert klingen zu lassen: »Würde es dir Spaß machen, jeden Morgen um fünf Uhr aufzustehen?«

»Ich glaube, ich könnte mich daran gewöhnen«, entgegnete Marlene.

»Und hör dir das an: ›Wir haben ein neues Kalb, und Olive Horn hat schon wieder ein Kind gekriegt. Es ist ein Junge und ihr elftes und sie ist noch keine dreißig. Ach, Jimmy Watts hat neulich bei uns vorbeigeschaut. Er hat immer noch dieses Leuchten in den Augen, wenn er von dir spricht. Er hofft, daß du bald wieder nach Hause kommst.‹«

»Du hast also einen Freund, der auf dich wartet?« unterbrach Marlene sie lachend.

Berthell schüttelte verächtlich den Kopf. »Dieser Tölpel soll sich lieber eine Bauernmaid suchen. Du müßtest ihn mal sehen! Nichts als Warzen und Pickel.«

»Was schreibt deine Großmutter noch?«

»Morgen machen wir Apfelbutter«, fuhr Berthell fort. »An einen Teil davon kommen auch Pflaumen, extra für dich.«

Marlene fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Das beste Essen gibt es auf dem Lande. Vermißt du die vielen leckeren Sachen nicht?«

Berthell nickte. »Das gute Essen vermisse ich am meisten. Wenn ich an Großmamas Pfannkuchen denke, mit richtigem Ahornsirup, oder an den selbstgeräucherten Schinken, wird mir ganz anders.«

»Sei still! Oder willst du, daß ich vor deinen Augen verhungere? Wenn du so weiterredest, muß ich unbedingt was zu essen haben.«

»In ein paar Tagen ist die Miete fällig«, sagte Berthell kläglich. »Ich werde meinen Anteil nicht bezahlen können, Marlene.«

»Mach dir darüber keine Gedanken, ich kriege demnächst wieder Geld«, erwiderte das dunkelhaarige Mäd-chen.

»Das weiß ich, aber ich will dir nicht auf der Tasche liegen. Ich bin überzeugt, daß ich es im Showgeschäft nie zu etwas bringen werde. Also kann ich genausogut wieder nach Hause fahren. Dort werde ich wenigstens geliebt und benötigt. Hier, lies den Rest selbst.«

Sie reichte Marlene den Brief.

Als sie mit Lesen fertig war, sagte Marlene: »Ich möchte wissen, was wir Stadtbewohner ohne die Farmer machen würden.«

»Weiß ich auch nicht«, erwiderte das jüngere Mädchen abwesend. »Wahrscheinlich verhungern.« Berthell schob das Kinn vor. »Weißt du, ich gebe natürlich nicht gern zu, daß ich gescheitert bin. Ich hatte so hochfliegende Pläne, als ich herkam, und jetzt…«

Marlene runzelte die Brauen. »Liebes, in Hollywood und Los Angeles gibt es unzählige Mädchen mit gebrochenem Herzen und zerstörten Träumen. Ich hätte keine Lust, für eine armselige Nebenrolle in einem obskuren Film, in dem man gerade einen Satz zu sagen, Schlange zu stehen. Das könnte ich einfach nicht.«

»Mit meinem jetzigen Job könnte ich mich ja noch für eine Weile über Wasser halten. Vielleicht ergibt sich doch mal was«, überlegte Berthell.

Aber dann schüttelte sie energisch den Kopf. »Nein, ich mache das nicht länger mit. Ich packe meine Koffer. Ich kehre zurück, heirate einen langweiligen Farmersjungen, ziehe seine langweiligen Kinder groß und werde eine langweilige Matrone in einem langweiligen Dorf«, sagte sie mit trostloser Stimme.

Marlene protestierte, sie hatte Angst, gerade jetzt allein zu bleiben. »Du kanust nicht einfach so wegfahren. Überleg dir die Sache noch mal gründlich.«

»Es hat keinen Sinn, Marlene«, unterbrach sie das junge Mädchen. »Ich trenne mich ungern von dir, aber es bleibt mir nichts anderes übrig. Warum kehrst du nicht auch nach Hause zurück? Deine Eltern leben doch noch, und sie wären bestimmt glücklich, dich bei sich zu haben.«

Marlene verzog das Gesicht. »Wahrscheinlich hast du gemerkt, daß meine Eltern mir tonnenweise Briefe schreiben«, sagte sie sarkastisch. »Es würde ihnen überhaupt nicht passen, wenn ich plötzlich vor ihnen stünde. Sie leben in einer kleinen Stadt wie Wisconsin, wo jeder jeden kennt. Sie haben mir die Scheidung nicht verziehen. Sie halten mich für unmoralisch, nur weil mein Mann und ich nicht miteinander auskamen.«

»Oh, das tut mir leid!« rief Berthell aus.

Plötzlich leuchteten ihre Augen auf. »Ich hab’s!« Sie schrie beinah. »Du kommst mit mir! Da du deine Artikel sowieso mit der Post schickst, kannst du doch überall arbeiten. Vielleicht findest du ja einen von unseren Bauerntölpeln so unwiderstehlich, daß du gar nicht wieder weg willst.«

Marlenes Gesichtszüge verhärteten sich. »Ein Mann ist das letzte, was ich jetzt brauche, vielen Dank.«

»Das sagst du jetzt«, entgegnete Berthell mitfühlend. »Aber du bist jung und viel zu hübsch, um nie wieder zu heiraten.«

Marlene runzelte nachdenklich die Stirn. Von Männern hatte sie vorerst genug, soviel war sicher, aber sie konnte den Gedanken, allein zu sein, nicht ertragen.

»Ich komme mit!« rief sie impulsiv. »Vorausgesetzt, deine Großeltern sind damit einverstanden. Haben sie Telefon?«

»Natürlich!« Berthell strahlte über das ganze Gesicht.

»Ich bezahle das Gespräch. Frag sie, ob sie mich wollen«, schlug Marlene vor.

Berthells Freude wirkte ansteckend, und Marlene hoffte, daß die alten Leutchen zustimmen würden.

Berthell kam nicht sofort durch. Irgend etwas mit den Telefonleitungen war nicht in Ordnung. Hartnäckig versuchte sie es immer wieder. Nach zwei Stunden endlich klappte es mit der Verbindung.

Ihre Großmutter nahm den Hörer ab, und die Stimme klang so warm und tröstlich, daß Berthell in Tränen ausbrach.

Natürlich war die Freundin ihrer Enkelin herzlich willkommen, und sie seien überglücklich, ihr kleines Mädchen wiederzusehen.

Nachdem Berthell aufgelegt hatte, war ihre euphorische Stimmung ziemlich verflogen. Sie wohnten zwar zusammen und erzählten sich alles, aber von ihren Eltern hatte sie nie gesprochen.

Sie ließ sich in den schäbigen Sessel fallen und begann: »Weißt du, Marlene, Großmama und Großpapa sind meine einzigen Angehörigen. Meine Mutter war ihre einzige Tochter. Als ich alt genug war, ließen meine Eltern mich bei den Großeltern und fuhren sozusagen ein zweites Mal in die Flitterwochen. Ich habe natürlich keine Erinnerung daran, aber ich habe die Geschichte so oft gehört, daß ich alles ganz genau vor mir sehe.

Sie verbrachten eine glückliche Woche in der Hauptstadt. Auf dem Heimweg fuhren sie mit dem Zug bis zur Endstation Maltville, von dort sind es noch etwa achtzehn Meilen bis zur Farm. Dann gerieten sie in ein heftiges Gewitter und mußten mit dem Pferdewagen weiterziehen. Autos konnten auf den morastigen Straßen nicht fahren, die Autobahn wurde ja erst ein paar Jahre später gebaut. Unterwegs mußten sie einen Fluß durchqueren, was bei normalem Wetter nicht weiter schwierig gewesen wäre. Aber es herrschte Sturm, der kleine Fluß war über die Ufer getreten, und der Kutscher konnte die Furt nicht erkennen. Die Pferde stolperten in ein tiefes Loch, und die Kutsche stürzte um. Wegen des Gewittersturms war das Sturmverdeck fest geschlossen, und meine Eltern konnten sich nicht befreien.

Der Kutscher rettete sich ans Ufer, später schwammen auch die Pferde an Land, wobei sie die Kutsche hinter sich herzogen. Aber da waren meine Mutter und mein Vater schon tot.

Deshalb hängen meine Großeltern auch so an mir. Ich bin alles, was ihnen von ihrer Tochter geblieben ist. Sie behaupten, daß sie in meinem Alter genauso ausgesehen habe wie ich.«

»Es tut mir leid um deine Eltern«, sagte Marlene nach einer Weile des Schweigens. »Deine Großeltern sind bestimmt sehr glücklich, daß du ihnen geblieben bist.«

»Hoffentlich«, erwiderte Berthell ernst.

Dann rief sie fröhlich: »Also, wann fahren wir? Wir müssen langsam an die Reisevorbereitungen denken.«

»Mein Auto ist noch fast neu, es bringt uns bestimmt sicher ans Ziel.«

Die Abendbrotzeit war längst vorbei, und sie schmiedeten immer noch Pläne. Sie waren so aufgeregt wie zwei Schulmädchen, die eine Weltreise machen wollen.

Aber so reibungslos, wie sie sich das gedacht hatten, verlief die Sache doch nicht.

Nachdem sie etwa hundert Kilometer aus Los Angeles raus waren, hielten die Mädchen an, um ein verspätetes Frühstück einzunehmen.

Als sie weiterfahren wollten, sprang der Ford Pinto nicht mehr an. Glücklicherweise befanden sie sich ganz in der Nähe einer Werkstatt, und der dickbäuchige, schmutzige Mechaniker versprach, das Auto sofort wieder in Ordnung zu bringen. Aber sein Optimismus erwies sich als Fehlanzeige. Nachdem er das Innenleben des Autos inspiziert hatte, stellte er fest, daß er Ersatzteile aus der nächsten Stadt brauchen würde.

Die beiden Mädchen verbrachten zwei Tage in einem nicht sehr sauberen, stickigen Gasthauszimmer. Marlene mußte fast zweihundert Dollar für die Reparatur des Pinto bezahlen.

In der Folge hatte sie so starke Kopfschmerzen wie noch nie in ihrem Leben.

*

Sie waren nun schon eine Woche unterwegs und hatten langsam keine Lust mehr zum Autofahren.

Endlich kamen sie nach Maltville, einer aufblühenden Kleinstadt, die vor Lebendigkeit übersprudelte.

Marlene war beeindruckt. »Wenn das ein Beispiel dafür ist, wie es bei euch zugeht, bin ich geliefert«, bemerkte sie lächelnd. »Nach allem, was du erzählt hast, dachte ich schon, daß es hier nur Hinterwäldler gäbe.«

»Laß dich nicht von Maltville blenden«, warnte Berthell. »Die Hinterwäldler werden noch früh genug kommen. Warte ab, bis wir in die Nähe der Farm gelangen. Da sind die Leute noch ganz schön rückständig.«

»Jetzt übertreibst du aber«, warf Marlene ihr vor. »Es sieht ja fast so aus, als wolltest du mich dazu bewegen, umzukehren, noch ehe wir am Ziel sind.«

»Du wirst schon sehen«, prophezeite Berthell. »Vielleicht sollte ich dir lieber etwas über die Leute von der High Hill Farm berichten, damit du nicht allzu schockiert bist.«

»Das wäre vielleicht ganz gut«, stimmte Marlene zu.

»Ich fange am besten mit Großmama und Großpapa an«, fing Berthell nachdenklich zu erzählen an.

»Du darfst mich nicht falsch verstehen, ich habe sie sehr lieb und würde sie um nichts in der Welt hergeben. Aber ich weiß, wie sie sind. Sie leben noch immer im vorigen Jahrhundert. Großmama ist so verdammt altmodisch. Sie haßt alles Moderne. Sie trägt immer noch Mittelscheitel und Knoten. Zum Glück ist ihr Haar von Natur aus wellig, und es sieht nicht so schrecklich platt aus. Und wie sie sich anzieht! Sie läuft in langen Röcken herum mit langen Schürzen darüber. Und es ist ihr ziemlich egal, ob Knöpfe fehlen oder die Sachen zerrissen sind. Sie sieht immer ein bißchen ungepflegt aus. Aber das ist verständlich. Schließlich arbeitet sie oft draußen auf dem Feld, und dabei bleibt man eben nicht ganz so sauber und ordentlich in der Erscheinung.«

»Was ist denn mit Großpapa? Stört er sich an ihrer Kleidung?«

»Oh, er ist genauso. Zu Hause trägt er zerrissene Arbeitshosen, die er mit einem Strick zusammenhält, und verwaschene Hemden. Meist hat er einen unansehnlichen Strohhut voller Schweißflecke auf dem kahlen Kopf. Den Hut tauscht er im Winter gegen eine Filzkappe mit Ohrenklappen ein.

Beide, er und Großmama, tragen uralte Goldrandbrillen mit winzigen Gläsern, die Bügel gehen fast ganz ums Ohr. Großmama schiebt ihre meist auf den Kopf hoch, und Großpapa braucht seine nur zum Lesen. Ach, und beide haben immer weiche, hohe Schnürschuhe an.«

»Ich kann es kaum erwarten, die beiden zu sehen«, freute sich Marlene. »Hast du mir nicht mal von einem Großonkel oder Onkel oder so etwas Ähnlichem erzählt?«

»Von beiden«, erwiderte Berthell. »Großmamas Bruder, Arzy Robinson, lebt auch auf der Farm. Er ist zehn Jahre jünger als Großmama, ziemlich schlank, hat dünnes rotes Haar und eine Unmenge von Sommersprossen. Er ist Junggeselle und wohnt schon seit ewigen Zeiten bei uns. Er packte über-all kräftig mit an, bis er bei einem Unfall einen Fuß verlor. Er hat eine Prothese, weigert sich aber, sie anzulegen. Er humpelt jetzt auf Krücken durch die Gegend, macht sich aber trotzdem sehr nützlich.«

»Was meintest du mit ›beiden‹, als ich nach deinem Onkel fragte?«

»Oh, Onkel Fen, Fenwick Frisbey. Das ist der jüngere Bruder meiner Mutter. Er sieht unheimlich gut aus, hellbraunes Haar, die Augen fast von derselben Farbe. Er ist groß und kräftig und ziemlich eigenwillig, würde ich sagen. Er wird dir bestimmt gefallen.

Allerdings geht es ihm im Augenblick nicht sehr gut. Einen Monat bevor ich dich kennenlernte, hat er seine Frau Evelyn verloren. Sie waren erst kurze Zeit verheiratet. Wenn du mich fragst, ich habe nie so ganz verstanden, warum sie überhaupt geheiratet haben. Seine Frau paßte absolut nicht auf die Farm. Sie war viel zu zerbrechlich und von ihrer ganzen Erziehung her viel zu fein für diese Gegend. Ich finde, sie war auch zu launisch.«

»Wie alt ist dein Onkel?« erkundigte sich Marlene.

»Einunddreißig oder zweiunddreißig, glaube ich. Er hat eine exklusive Möbelfabrik in Maltville. Ein Großteil der Einwohner arbeitet bei ihm. Ich weiß nicht, was sie ohne die Fabrik machen würden. Er läßt die Bäume fällen und in seiner eigenen Schreinerei zurechtsägen. Die Möbel werden von den besten Fachleuten in Handarbeit angefertigt. Das Fenwick Frisbey-Markenzeichen ist im ganzen Land bekannt, und auch in Übersee.«

»Normalerweise wohnt doch ein Mann in seiner Position in einem eleganten Apartment in der Nähe seiner Arbeitsstätte«, sagte Marlene.

»Onkel Fen aber nicht. Er lebt gern auf der Farm, obwohl er sich für die Farmarbeit nicht interessiert. Er möchte gern in Großmamas und Großpapas Nähe sein.«

»Und wen werde ich sonst noch kennenlemen?« wollte das dunkelhaarige Mädchen wissen. »Ich habe mir immer vorgestellt, daß deine Großeltern ganz allein leben.«

»Sonst ist da nur noch Chad Talbot, Großvaters rechte Hand. Er wohnt in einem Anbau neben dem Geräteschuppen, hat es ganz gemütlich da drin. Das ist ihm lieber, als mit im Haus zu leben.«

Berthell schwieg einen Augenblick, dann fuhr sie fort: »Er ist – nun, nicht gerade zurückgeblieben – aber er denkt etwas langsam. Er ist aber in Ordnung. Wegen seines finsteren Gesichtsausdrucks machen die Leute meist einen Bogen um ihn. Mit seinem zerzausten schwarzen Haar und den schwarzen Augen sieht er ziemlich wild aus, aber im Grunde ist er ein lieber Kerl. Er müßte fast dreißig sein.«

Beide Mädchen waren in ihre Gedanken versunken.