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Der Liebesroman mit Gänsehauteffekt begeistert alle, die ein Herz für Spannung, Spuk und Liebe haben. Mystik der Extraklasse – das ist das Markenzeichen der beliebten Romanreihe Irrlicht: Werwölfe, Geisterladies, Spukschlösser, Hexen und andere unfassbare Gestalten und Erscheinungen erzeugen wohlige Schaudergefühle. »Gib mir das Testament, das du heute geschrieben hast«, befahl Mabel, heiser vor Erregung. Candida starrte sie blicklos an. Dann ging sie mit schweren Schritten auf den Schreibsekretär zu, öffnete die Schublade, nahm einen versiegelten Umschlag heraus und reichte ihn Mabel. Von Grauen geschüttelt, schloss Mabel die Augen. Sie tut alles, was ich sage, durchzuckte es sie. Sie gehorcht jedem Befehl, völlig willenlos. Der Mann besitzt ein Mittel, das ihn befähigt, andere Menschen in willenlose Geschöpfe zu verwandeln. Der Himmel war von dieser klaren durchsichtigen Bläue, wie man ihn selten auf der Hebride erlebt. Der leichte Seewind fächelte Candida Ashleys tizianrotes Haar, das ihr in reichen Wellen bis auf die Schultern fiel. Voll gespannter Erwartung stand sie auf dem einzigen Turm ihrer altertümlichen Burg und blickte aufs Meer hinaus. Die Sonne blendete so stark, dass sie die Augen mit der Hand abschirmen musste. Endlich tauchte am Horizont der schattenhafte Umriss des Fährschiffs auf. Durch die Entfernung wirkte es winzig wie ein Spielzeugschiff. Es würde noch eine Weile dauern, bis es den Landungssteg der Hebride erreichte. Candida lächelte. Wie freute sie sich darauf, ihre Schwester Jennifer kennenzulernen. Ob sie ihr ähnlich sah? Würden sie sich auch verstehen? Praktisch waren sie ja Fremde, denn Jennifer hatte bis jetzt in Kolumbien gelebt.
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»Gib mir das Testament, das du heute geschrieben hast«, befahl Mabel, heiser vor Erregung. Candida starrte sie blicklos an. Dann ging sie mit schweren Schritten auf den Schreibsekretär zu, öffnete die Schublade, nahm einen versiegelten Umschlag heraus und reichte ihn Mabel. Von Grauen geschüttelt, schloss Mabel die Augen. Sie tut alles, was ich sage, durchzuckte es sie. Sie gehorcht jedem Befehl, völlig willenlos. Der Mann besitzt ein Mittel, das ihn befähigt, andere Menschen in willenlose Geschöpfe zu verwandeln.
Der Himmel war von dieser klaren durchsichtigen Bläue, wie man ihn selten auf der Hebride erlebt. Der leichte Seewind fächelte Candida Ashleys tizianrotes Haar, das ihr in reichen Wellen bis auf die Schultern fiel. Voll gespannter Erwartung stand sie auf dem einzigen Turm ihrer altertümlichen Burg und blickte aufs Meer hinaus. Die Sonne blendete so stark, dass sie die Augen mit der Hand abschirmen musste.
Endlich tauchte am Horizont der schattenhafte Umriss des Fährschiffs auf. Durch die Entfernung wirkte es winzig wie ein Spielzeugschiff. Es würde noch eine Weile dauern, bis es den Landungssteg der Hebride erreichte.
Candida lächelte. Wie freute sie sich darauf, ihre Schwester Jennifer kennenzulernen. Ob sie ihr ähnlich sah? Würden sie sich auch verstehen? Praktisch waren sie ja Fremde, denn Jennifer hatte bis jetzt in Kolumbien gelebt. Es war ihr erster Besuch auf Burg Ashley.
Candida wandte leicht den Kopf. Sie hatte das Geräusch von Schritten gehört. Jetzt sah sie Mabels füllige Gestalt im steinernen Torbogen auftauchen.
»Hier steckst du?«, meinte Mabel schwer atmend. Sie war rot in dem breiten, gutmütigen Gesicht. Die steinernen Stufen des Turms waren hoch und mühsam zu erklettern. Aber die herrliche Aussicht auf See und Felsen entschädigte für die Anstrengung.
»Sieh nur, Mabel, das Fährschiff kommt«, rief Candida lachend.
»Die Gastzimmer sind doch gerichtet?«, erkundigte sich Candida bei der nicht mehr ganz jungen, rundlichen Dame, die früher ihre Amme und heute ihre Hausdame und Vertraute war.
»Selbstverständlich! Die Gäste bekommen die schönsten Gastzimmer.« Mabel blickte sie von der Seite her an. »Wenn Jennifer nach deiner Mutter geraten ist, wird sie es hier nicht lange aushalten«, vermutete sie düster. »Lady Myrna hat sich hier nie wohlgefühlt. Sie nannte die Burg ein altes Gemäuer, und die Insel war für sie weiter nichts als eine trostlose Einöde mit Felsen. Candy, bist du nicht traurig, dass du deine Mutter nie kennengelernt hast?«
Candida zuckte die Achseln. »Was man nicht kennt, vermisst man auch nicht. Ich war ja erst zwei Jahre alt, als meine Mutter auf und davon ging.«
Sie umschlang Mabel liebevoll und küsste ihr die Wange. »Du, Mabel, warst für mich die liebste und beste Mutter, die man sich nur wünschen kann.«
Mrs Mabel lächelte gerührt. »Es war ein großer Trost für mich, dich aufziehen zu dürfen, nachdem ich mein Kindchen verloren hatte. Und wenn ich dich so anschaue, muss ich immer denken, dass ich bei der Erziehung nicht allzu viel falsch gemacht habe. Aber komm jetzt nach unten, Candy! Dein Verlobter muss jeden Augenblick erscheinen, um dich abzuholen. Es wird auch langsam Zeit, dass ihr zum Hafen fahrt, sonst treffen die Gäste ein, und niemand ist da, sie in Empfang zu nehmen. Ich frage mich nur, warum diese Jennifer dich so plötzlich mit ihrem Verlobten besucht. Würde dein Vater noch leben, hätte sie es nie gewagt, auch nur einen Fuß auf diese Insel zu setzen.«
In der Halle trat Candida schon Oliver Preston entgegen. Sein lockiges aschblondes Haar wirkte immer ein wenig unordentlich.
»Candy, mein Liebling!« Zärtlich schloss er sie in die Arme, suchte mit sehnsüchtigem Verlangen ihren Mund und küsste sie rasch. Erst dann begrüßte er Mabel mit all dem Respekt, den er für sie fühlte. Sie schätzten sich gegenseitig.
»Ich habe die Kutsche anspannen lassen«, sagte Oliver. »Deine amerikanischen Gäste werden es sicher interessant finden, in einer Kutsche abgeholt zu werden.«
»Eine ausgezeichnete Idee!« Candida blickte ihn strahlend an. »Ich kann es kaum erwarten, meine Schwester kennenzulernen.«
*
Während Oliver mit ihr hinausging, hing sein Blick verliebt an ihren Zügen. Immer wieder war er überwältigt von dem Gedanken, dass dieses bildhübsche, entzückende Mädchen ausgerechnet ihn liebte.
Als sie den kleinen Hafen in der Bucht erreichten, war das Fährschiff nur noch einige Meilen entfernt. Am Anlegeplatz warteten bereits einige Händler auf die Waren, die mit dem Schiff kommen würden. Candida Ashley und ihre Begleiter wurden ehrerbietig gegrüßt. Die junge Lady Ashley war so etwas wie die ungekrönte Königin der Insel. In früheren Zeiten hatte den Ashleys die gesamte Insel gehört. Auch jetzt noch zählte man die Ashleys zu den wohlhabendsten Familien der Hebriden, und Oliver Preston wurde allgemein beneidet, die bezaubernde junge Lady zur Lebensgefährtin bekommen zu haben.
Voller Spannung beobachtete Candida die Ankunft des Fährschiffs. Sie sah eine winkende Hand und leuchtend rotes Haar, das in der Sonne wie Gold schimmerte. Das berühmte rote Haar der Ashleys! Das konnte nur ihre Schwester Jennifer sein.
Es war tatsächlich Jennifer, gekleidet in einen weißen Hosenanzug, viel zu sommerlich für den kühlen Frühling hier. Eiskalt war die Hand, die sie Candida zur zögernden Begrüßung reichte.
Doch mit einem schlichten Händedruck wollte Candy sich nicht begnügen. Sie umarmte Jennifer herzlich und bemerkte erst dann den schlanken dunkelhaarigen Mann, der mit amüsiertem Lächeln die Begrüßungsszene beobachtete.
»Mein Verlobter, Simon Dillon«, stellte Jennifer errötend vor.
»Ich freue mich, dich kennenzulernen«, sagte Simon liebenswürdig.
»Ich freue mich auch.« Candida wurde unruhig unter dem Blick seiner schwarzen funkelnden Augen.
Simon Dillon war der attraktivste Mann, der ihr jemals begegnet war. Er war nicht größer als Oliver, doch seine stolze, aufrechte Haltung ließ ihn größer erscheinen. Seine klar geschnittenen Züge verrieten das Erbe spanischer Vorfahren. Seine schmalen Lippen wirkten herrschsüchtig. Er besaß diese männliche Ausstrahlung, die man schwer erklären kann. In seiner Nähe mussten alle anderen Männer unscheinbar erscheinen.
Candida betrachtete ihre Schwester glücklich. Sie hatte ja keinen Blutsverwandten mehr außer Jennifer. Es war ihr vollkommen gleichgültig, dass Jennifer ihr, abgesehen von den tizianroten Haaren, so wenig ähnlich sah. Als echte Ashley konnte man Jennifer nicht bezeichnen, denn sie besaß weder den sahnefarbenen Teint noch die intensiv blauen Augen der Ashleys, die im Lampenlicht oftmals violett schimmerten wie wilde Veilchen. Jennifers Augen waren glänzend schwarz. Ihr Mund war voll und üppig, ihr Teint gebräunt. Doch obwohl ihre Züge gröber geschnitten waren als Candidas, besaßen sie doch eine starke, sinnliche Ausstrahlung. Ihr Vater musste mit seinem Verdacht doch recht gehabt haben. Jennifer konnte nicht seine leibliche Tochter sein. In der Familie der Ashleys hatte es niemals vorher schwarze Augen gegeben.
Schon ratterten die Räder der Kutsche über das Kopfsteinpflaster des Burghofs.
»Sicher möchtet ihr euch erst frisch machen«, wandte Candida sich liebenswürdig an ihre Gäste. »Bill wird sich um euer Gepäck kümmern und Simon sein Zimmer zeigen. Kommst du mit mir, Jennifer?«
Candida führte sie in einen großen Raum mit betont weiblicher Note. Malvenfarbene Vorhänge rahmten die Fenster, die den Blick ungehindert aufs Meer schweifen ließen. Der Parkettboden war mit einem kostbaren Teppich in leuchtenden Farben bedeckt.
»Gefällt es dir?« Candida blickte ihr gespannt ins Gesicht.
»Es ist wunderschön, einfach märchenhaft.« Jennifer betrachtete den Strauß bunter Blumen auf dem Intarsientischchen. »Ich komme mir vor wie eine Prinzessin.«
»Burgfräulein wäre passender«, scherzte Candida. »Ich hoffe, du wirst dich hier bald heimisch fühlen. Du ahnst ja nicht, wie ich mich über dein Kommen freue.«
Jennifer blickte sie ausdruckslos an. »Danke, dass du uns aufgenommen hast«, sagte sie leise.
»Danke mir nicht für Selbstverständlichkeiten«, sagte Candida herzlich. »Bist du nicht meine Schwester?«
*
In bester Stimmung suchte Candida Mabel auf, die ihre Räume im Turm hatte, da sie der Ansicht war, das Wohnen im Turm würde ihr das Machtgefühl vermitteln, das sie benötigte, um das Hauswesen in der Burg zu leiten. Mabel kritzelte in ihrem Haushaltsbuch, als Candida sie überfiel.
»Wie findest du denn Jennifer? Ist sie nicht bildschön?«, wollte Candida wissen.
»Das ist sie wohl«, gab Mabel widerwillig zu. »Aber sie ist keine Ashley!«
»Davon will ich nichts hören«, begehrte Candida auf. »Jennifer ist meine Schwester, und ich bin froh, sie endlich bei mir zu haben.«
Mabel überkreuzte kriegerisch die Arme.
»Wenn dein Vater wüsste, dass diese Jennifer auf Burg Ashley ist, würde er sich im Grab umdrehen. Er hätte niemals zugelassen, dass das Kind eines Fremden und seiner Frau seinen Besitz betritt.«
»Dad lebt nicht mehr«, entgegnete Candida ruhig. »Ich finde es schlimm, wenn Menschen so unversöhnlich sind. Wie könnte ich mir auch anmaßen, meine Mutter zu verurteilen, weil sie sich in einen anderen Mann verliebt hat? Von Jennifer hoffe ich, sehr viel über meine Mutter zu erfahren. Wie muss sie diesen Captain Pedro di Sevantes geliebt haben, wenn sie seinetwegen Mann und Kind verließ.«
»Nenn das nicht Liebe!« Ein kalter Glanz trat in Mabels Augen. »Nenn es Leidenschaft und Unbeherrschtheit! Du warst ja noch zu klein, um mitzubekommen, wie dein Vater gelitten hat. Als Myrna ihn betrog, verlernte er für immer das Lachen. Er wurde ein einsamer, verbitterter Mann, der keine Freude mehr am Leben hatte.«
»Ich habe ihn mehr gefürchtet als geliebt«, gestand Candida. »Erst als er so krank wurde, gelang es mir, ihm näherzukommen und zu spüren, dass er mehr für mich empfand, als er immer gezeigt hatte.«
Mabel blickte sie tiefernst an. »Dein Vater hat dich geliebt, du warst ja das Einzige, was ihm geblieben war. Es hat ihn sehr glücklich gemacht zu erfahren, dass du die Insel genauso liebst wie er und nicht daran denkst, sie jemals zu verlassen.«
»Wie könnte ich unsere Hebride verlassen?« Candida lächelte. »Ich glaube, ich bin genauso hier verwurzelt wie die knorrigen, windzerzausten Bäume. Ich möchte nirgendwo anders leben und bin froh, in Oliver einen Mann gefunden zu haben, der denkt wie ich.«
»Gegen Oliver ist nichts einzuwenden«, meinte Mabel friedfertig. »Ich finde, ihr solltet bald heiraten. Worauf wartet ihr eigentlich noch?«
»Auf das nächste Frühjahr!« Candida lachte und umarmte die Hausdame stürmisch. »Man soll ja nichts überstürzen. Haben wir nicht das ganze Leben noch vor uns?«
»Nur wer so jung ist wie du, kann so unbekümmert Zeit verschwenden«, bemerkte Mabel düster. »Wer weiß, was bis zum Frühjahr alles passieren kann? Ich kann mir nicht helfen, aber irgendwie habe ich ein ungutes Gefühl, seit die Fremden in der Burg sind.«
*
Interessiert folgten Jennifer und Simon der jungen Lady Candida, die ihnen die Burg zeigte, in der nur noch der Seitenflügel bewohnt wurde.
»Warum nutzt du die Räume nicht zu einem Hotel?«, erkundigte sich Simon geschäftstüchtig. »Ich könnte mir vorstellen, dass es eine Menge reiselustiger Amerikaner gibt, die sich freuen würden, mal in so geschichtsträchtigen Räumen nächtigen zu dürfen.«
»Sicher könnte man das, aber es wäre mit einem gewaltigen Rummel verbunden, den ich verabscheue. Außerdem besitze ich bereits ein Hotel, das immer gut besucht ist. Ich gehe sehr gern durch die verlassenen Räume hier«, gestand Candida heiter, »und stelle mir vor, wie meine Vorfahren hier gehaust haben.«
»Bestimmt waren es Raubritter, die mit Irrlichtern Schiffe angelockt haben, um sie später auszurauben«, vermutete Simon.
Candida nickte lächelnd. »Nur aus dem Grunde wurde ausgerechnet hier die feindessichere Burg gebaut. Unten, an den Felsen, wurden Windlichter aufgehängt. Die Schiffer, die das Licht sahen, wurden angelockt in dem Glauben, einen Hafen anzusteuern. Nachdem die Schiffe am Felsen zerschellten, wurden sie eine leichte Beute für die Raubritter.«
Jennifer schauderte. »Hör auf, solche Gräuelmärchen zu erzählen, Candy, sonst liege ich die ganze Nacht wach.«
»Sei nicht so ein Hasenfuß«, lachte Candida. »In der heutigen Zeit greifen wir ganz sicher nicht mehr zu solchen Tricks, sondern verdienen unser Brot durch ehrliche Arbeit.«
»Solche Tricks hat ein wohlhabendes Mädchen wie du auch gar nicht mehr nötig«, sagte Simon mit gewinnendem Lächeln, und Candida verstand nicht, warum ihr bei diesen gut gemeinten Worten ein Frösteln überlief.
Sie wusste Simon noch nicht richtig einzuordnen. Sein arroganter Charme faszinierte sie und stieß sie gleichzeitig ab. Wenn sie den Blick seiner glutvollen schwarzen Augen spürte, hatte sie das Gefühl, zu nah am Feuer gesessen zu haben. Simon sah sie unablässig an, und seine Blicke gingen ihr unter die Haut, sodass sie sich verwirrt und unsicher fühlen musste.
Nachdem sie die Burg besichtigt hatten, brachen sie zu einem Spaziergang auf.
Ihr Spaziergang endete am Hotel Dark-Stones, wo sie im separaten Salon einen kleinen Lunch serviert bekamen. Oliver Preston leistete ihnen dabei Gesellschaft. Lebhaft besprach Candida mit ihm die Party, die sie am Wochenende zu Ehren und Unterhaltung ihrer Gäste geben wollte. Seit dem Tod ihres Vaters hatte Oliver sie lange nicht so unternehmungslustig erlebt. Die Gesellschaft ihrer Schwester Jennifer schien Candida gutzutun.
»Wenn ihr Lust habt, nehme ich euch gelegentlich auf eine Bergwanderung mit«, wandte Oliver sich liebenswürdig an Jennifer und Simon.
»Ist das nicht gefährlich?« Jennifer blickte ihn mit großen schwarzen Augen ängstlich an. »Kann man überhaupt hinaufgelangen? Die Berge bestehen doch praktisch nur aus Felsen.«
»Man muss sich natürlich auskennen«, gab Oliver zu. »Ich weiß einige Pfade, die einigermaßen leicht zu bewältigen sind, falls man das entsprechende Schuhzeug trägt.«
»Oliver ist ein leidenschaftlicher Bergwanderer«, warf Candida lächelnd ein. »Ihm könnt ihr euch ruhig anvertrauen, und die Aussicht von einem der Gipfel ist atemberaubend, falls das Wetter klar ist«
»Lasst es euch ja nicht einfallen, allein in den Bergen herumzuklettern«, warnte Oliver Preston. »Noch vor einem Jahr haben zwei junge Frauen eben das getan und ihren Leichtsinn mit dem Leben bezahlt.«
»Sie verirrten sich bei dichtem Nebel und stürzten in die Todesschlucht«, erzählte Candida. »Als die Männer der Bergwacht sie fanden, konnten sie ihnen nicht mehr helfen.«
»Todesschlucht?« Jennifer schauderte. »Das hört sich ja grässlich an. Warum nennt man sie so?«
»Dort haben sich schon mehrere Unfälle ereignet. Beim schlichten Volk glaubt man, die Schlucht wäre von dem Geist des Todes bewohnt, der die Bergsteiger ins Verderben lockt.« Candida lächelte. »Das ist natürlich Aberglaube. Doch wenn die Nebel fallen, ist es schon ein unheimlicher Ort.«
*
In den nächsten Tagen bereitete Candida mit Mabel die Party vor.
Candida trug an diesem Abend das kostbare Collier, das ihr die Großmutter väterlicherseits geschenkt hatte. Die Saphire in antiker Fassung harmonierten mit ihrem blauen Organzakleid, das einen weiten schwingenden Rock hatte und in der Taille von einer tiefblauen Samtschärpe gehalten wurde.
Jennifer trat neben Candida, um sich im Spiegel zu betrachten. Ihr reiches rotes Haar war asymmetrisch frisiert und fiel in einem Schwall roter Locken auf die eine nackte Schulter. »Abgesehen von dem roten Haar sehen wir uns gar nicht ähnlich«, meinte Jennifer gedankenvoll.
»Das ist ja nicht weiter erstaunlich. Wir haben verschiedene Väter.« Candida blickte sie neugierig an. »Was ist eigentlich aus Pedro di Sevantes geworden?«
Jennifer zuckte gleichgültig die Schultern. »Keine Ahnung! Eines Tages ging er auf und davon und ließ uns sitzen. Aber er schickte regelmäßig Geld, sodass wir unser bescheidenes Auskommen hatten.«
»Warum hat sich Mama niemals an mich gewandt?«
»Dazu war sie zu stolz. Aber sie hat oft von dir gesprochen und gehofft, dich eines Tages wiederzusehen. Als sie die Nachricht vom Tod deines Vaters bekam, war sie fest entschlossen, dich zu besuchen. Doch zunächst haperte es am Reisegeld, später wurde sie dann selbst krank. In Lima brach eine regelrechte Epidemie aus. Die Menschen wurden reihenweise vom gelben Fieber dahingerafft, und die Ärzte waren machtlos. Auch ich erkrankte schwer, doch vielleicht hat meine Jugend und gute Konstitution mich gerettet. Sobald es mir besser ging, brannte ich darauf, dich kennenzulernen, und schrieb dir. Simon hatte Verständnis für meinen Wunsch und bezahlte auch für mich die Überfahrt und den Flug.«
»Ich bin froh, dass du gekommen bist«, sagte Candida herzlich. »Ich wünschte, du würdest für immer bei mir bleiben.«
Candida bestand darauf, dass Jennifer an ihrer Seite in der Halle die Gäste empfing.
Candida eröffnete mit Oliver den Tanz, und die anderen Paare folgten. Es war ein zauberhaftes Bild, als im strahlenden Glanz der Kandelaber die festlich gekleideten Paare über das Parkett glitten.
Als Candida mit Simon tanzte, spürte sie eine eigenartige Unruhe. Er sah in dem mitternachtsblauen Abendanzug fabelhaft aus. Während sie im Walzertakt mit ihm über das Parkett flog, sah er sie unverwandt aus seinen dunklen brennenden Augen an.
»Du bist die schönste Frau, die mir jemals begegnet ist«, raunte er ihr zu und zog sie fester an sich. »Wie beneide ich Oliver! Weiß er das Glück überhaupt zu schätzen, von dir geliebt zu werden?«
»Das weiß er ganz sicher!« Candida lachte verwirrt.
Sie fand es reichlich unverschämt von Simon, mit ihr zu flirten. Schließlich war er mit Jennifer verlobt. Es musste Jennifer ja kränken, sehen zu müssen, wie ihr Verlobter sie so völlig links liegen ließ. Doch bis jetzt schien Jennifer noch nichts bemerkt zu haben. Sie tanzte mit Oliver und unterhielt sich gut.
Simon war ein hervorragender, einfühlsamer Tänzer, und Candida genoss es, in seinen Armen dahinzuschweben.
Stunden später, es musste bald Mitternacht sein, fand sie sich plötzlich mit Simon in der Bar wieder, die man hinter dem Saalpodium in der Künstlergarderobe stimmungsvoll eingerichtet hatte. Ein Lautsprecher übertrug die Musik aus dem Saal. Beim obligaten roten Barlicht tranken sie roten Champagner. Im Moment waren sie allein hier. Die engagierte tiefdekolletierte Bardame, sie war mit dem Gitarrenspieler der Band befreundet, beschäftigte sich diskret mit Gläserspülen und wandte ihnen den Rücken zu.