Irrlicht 61 – Mystikroman - Mary Dean - E-Book

Irrlicht 61 – Mystikroman E-Book

Mary Dean

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Beschreibung

Der Liebesroman mit Gänsehauteffekt begeistert alle, die ein Herz für Spannung, Spuk und Liebe haben. Mystik der Extraklasse – das ist das Markenzeichen der beliebten Romanreihe Irrlicht: Werwölfe, Geisterladies, Spukschlösser, Hexen und andere unfassbare Gestalten und Erscheinungen erzeugen wohlige Schaudergefühle. Plötzlich hatte Anne das Empfinden, daß jemand hinter ihr stand. Sie drehte sich um und blickte direkt in ein rundes Frauengesicht, aus dem ihr dunkle Augen unter buschigen Brauen entgegenglühten. Dieses Gesicht war in ein Kopftuch gehüllt. In ein Tuch mit diesen Fransen. Als die Alte ihre Hand nach Anne ausstreckte, schrie diese mark-erschütternd auf, denn etwas Kaltes hatte ihr Gesicht berührt. Dann merkte sie, wie ihr die Sinne schwanden. Vergeblich versuchte sie, sich zu halten. Um sie herum wurde es dunkler und dunkler. »Was tust du hier unten?« Wie von Furien gehetzt, jagte die junge Frau durch den nebligen Wald, der sie umfangen hielt wie ein geheimnisvolles Tier, dessen Flüstern und Raunen alles um Anne Catwick herum erfüllte. Riesige, moosbewachsene Steinhaufen überkletterte Anne. Ihr kam es so vor, als würde es sich um Ruinen handeln. Eine unsichtbare Kraft trieb Anne voran. Eisiger Wind peitschte ihr ins Gesicht. Und dann sah sie die alte Frau. Sie war ganz und gar in Schwarz gekleidet und trug ein Kopftuch mit Fransen in seltsamen Farben. Ihr Gesicht war klar und deutlich zu erkennen. Es war großmütterlich rund, und in ihm stand ein dunkles Augenpaar, das in einem merkwürdigen Kontrast stand zu der Freundlichkeit, die es an sich ausstrahlte. Anne Catwick blieb wie angewurzelt stehen, denn die alte Frau in Schwarz schien ihr das Weitergehen verbieten zu wollen. Sie hob langsam ihre Hand und öffnete den Mund.

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Mary Dean

Plötzlich hatte Anne das Empfinden, daß jemand hinter ihr stand. Sie drehte sich um und blickte direkt in ein rundes Frauengesicht, aus dem ihr dunkle Augen unter buschigen Brauen entgegenglühten. Dieses Gesicht war in ein Kopftuch gehüllt. In ein Tuch mit diesen Fransen. Als die Alte ihre Hand nach Anne ausstreckte, schrie diese mark-erschütternd auf, denn etwas Kaltes hatte ihr Gesicht berührt. Dann merkte sie, wie ihr die Sinne schwanden. Vergeblich versuchte sie, sich zu halten. Um sie herum wurde es dunkler und dunkler. »Was tust du hier unten?« Diese Stimme kam aus so weiter Ferne, daß Anne sie nicht mehr richtig wahrnahm, während sie nun zu Boden sank…

  Wie von Furien gehetzt, jagte die junge Frau durch den nebligen Wald, der sie umfangen hielt wie ein geheimnisvolles Tier, dessen Flüstern und Raunen alles um Anne Catwick herum erfüllte.

  Riesige, moosbewachsene Steinhaufen überkletterte Anne. Ihr kam es so vor, als würde es sich um Ruinen handeln. Eine unsichtbare Kraft trieb Anne voran. Eisiger Wind peitschte ihr ins Gesicht.

  Und dann sah sie die alte Frau. Sie war ganz und gar in Schwarz gekleidet und trug ein Kopftuch mit Fransen in seltsamen Farben. Ihr Gesicht war klar und deutlich zu erkennen. Es war großmütterlich rund, und in ihm stand ein dunkles Augenpaar, das in einem merkwürdigen Kontrast stand zu der Freundlichkeit, die es an sich ausstrahlte.

  Anne Catwick blieb wie angewurzelt stehen, denn die alte Frau in Schwarz schien ihr das Weitergehen verbieten zu wollen. Sie hob langsam ihre Hand und öffnete den Mund.

  Dann aber hallte ein schriller, langgezogener Schrei durch den Wald. Die Alte drehte sich um, ganz langsam, wobei jede ihrer Bewegungen von großem Entsetzen geprägt war.

  Schließlich wandte sie sich wieder Anne zu. Nun zeigte ihr Gesicht einen klagenden, hilflosen Ausdruck. Dann schritt sie fast schwebend in den Wald zurück. Es schien, als würden ihre Füße kaum den Boden berühren.

  Nachdem sie im Wald verschwunden war, teilte ein flammender Blitz den Himmel…

  »Anne, was ist los?«

  Grelles Licht schien der jungen Frau ins Gesicht.

  »Ich – ich habe geträumt«, stammelte Anne und sah sich verwirrt um. Der Wald war verschwunden, ebenso die alte Frau. »Ja, ich hatte einen Traum, einen von vielen in dieser Art.«

  »Du hast geschrieen«, stellte Lisa Anderson fest.

  »Wirklich?«

  »Wenn ich es dir doch sage«, bestätigte Annes Freundin, mit der sie eine Wohnung teilte. »Was hast du nur geträumt? War es so schrecklich?«

  »Schrecklich? Ich weiß nicht«, murmelte Anne. »Diese Frau in Schwarz, sie erscheint mir immer wieder, und mir ist, als würde sie etwas von mir wollen. Ich gehe über Straßen mit Ortsschildern in einer fremden Sprache. Mir scheint, es handelt sich um eine slawische Sprache.«

  »Hast du dazu eine Beziehung?«

  »Nicht, daß ich wüßte«, sagte Anne Catwick jetzt nachdenklich.

  »Obwohl…«

  »Ja?«

  »Man sagte mir einmal, daß irgendwelche Vorfahren in Böhmen zu Hause gewesen sein sollen.«

  »Aber Genaues weißt du nicht darüber?«

  »Tante Nelly konnte mir einiges erzählen. Sie ist sehr alt, weißt du. Eigentlich ist sie ja meine Großtante. Wir haben nicht sehr viel Kontakt, denn sie wohnt in Wales in einem abgeschiedenen Dorf am Meer. Lange Jahre war ich nicht bei ihr und weiß gar nicht, ob sie noch lebt.«

  »Deine Träume müssen eine Bedeutung haben«, sagte Lisa nachdenklich. Sie studierte Psychologie. »Traumdeutung ist ein sehr umstrittenes Kapitel. Nicht immer ist alles zutreffend, weil sich vieles symbolhaft in den Tiefen der Seele verbirgt. Aber…«

  »Ja?«

  »Nun, nachdem es sich bei dir offensichtlich um Wiederholungen handelt, könnte es ein Problem sein, das du mit dir herumschleppst…«

  »Ich wüßte nicht, daß ich Probleme hätte«, blockte Anne ab. Verwirrt fuhr sie sich über das beinahe schwarze Haar.

  »Das habe ich nicht behauptet«, gab Lisa Anderson zurück. »Es gibt auch noch eine zweite Möglichkeit.«

  »Und die wäre?«

  Lisa schöpfte tief Atem. »Es ist nicht leicht zu erklären«, sagte sie. »Ich weiß nicht, ob du es vestehen kannst.«

  »Du mußt es mir unbedingt sagen«, forderte Anne sie auf.

  »Manchmal gibt es in uns Verbindungen zu Personen, die uns aus der Vergangenheit her sehr nahestehen. Sie versuchen, in unsere Zeit hineinzugreifen und uns etwas zu sagen.«

  »Das ist doch lächerlich«, tat Anne ab.

  »Das solltest du nicht sagen«, widersprach Lisa. »Es gibt in diesem Bereich viele Dinge, die sich nicht so einfach erklären lassen. So weit ist die Wissenschaft noch nicht. Vielleicht wird es ihr niemals gelingen, in diese Bereiche vorzustoßen, weil sie – nun, weil sie eben ein Teil jenes Geheimnisses sind, das unser Dasein wie ein Schleier umhüllt.«

  »Daran glaubst du als nüchtern denkende Psychologin?« fragte Anne staunend.

  »Mein Beruf verknüpft sich eng mit diesen Dingen«, gab Lisa zur Antwort. »Bereits seit längerem beschäftigt sich die moderne Psychologie sehr ernsthaft damit.«

  »Und was soll ich tun?« fragte Anne. Aus ihrer Stimme klang eine gewisse Hilflosigkeit heraus.

  »Du solltest wirklich den Versuch unternehmen mit deiner Großtante zu sprechen, falls sie noch lebt«, riet Lisa ernst. »Nur das könnte dir unter Umständen weiterhelfen.«

  »Und das glaubst du wirklich?«

  »Ich bin davon überzeugt«, erwiderte Lisa fest. »Aber nun solltest du, wenn du es kannst, versuchen, wieder einzuschlafen. Es ist drei Uhr, also zum Aufstehen noch zu früh.«

  »Ich werde es probieren«, erklärte Anne seufzend und sank in ihr Kissen zurück. »Ein solcher Traum wiederholt sich niemals in einer Nacht.«

  »Dies bestätigt meine Annahme«, sagte Lisa. »Und morgen, wenn es geht, bemühe dich, deine Großtante ausfindig zu machen.«

  »Das werde ich bestimmt tun«, versprach Anne. Sie war schläfrig geworden und kuschelte sich tief in ihr weiches Kissen. Nach einer Weile, in der Lisa noch am Bett sitzen blieb, war Anne fest eingeschlafen. Sie schlief traumlos in jener Nacht, die ihr zum Schicksal zu werden versprach.

*

  Anne Catwick besaß einen kleinen Wagen. Für sie war er groß genug, denn im dichten Verkehr der Londoner Innenstadt kam sie damit sehr gut zurecht. Auch die kleinste Parklücke genügte ihr noch.

  Jetzt fuhr sie über die Landstraße an der Küste entlang. Unter den Steinklüften schäumte wild das Meer.

  Podridgestone – Wellington – Verbrick, so führte die Fahrt ins herbe walisische Land hinein, dem Anne eigentlich nie etwas besonderes hatte abgewinnen können. Es war ihr einfach zu kalt und zu abweisend gewesen.

  Das Dorf, in dem die Großtante gelebt hatte und hoffentlich noch immer lebte, hieß East-clinch. Es war klein und verschlafen. Kaum jemand fand den Weg dorthin. Es sei denn, er mochte ein besonderes Anliegen gehabt haben.

  Nur sehr dunkel vermochte sich Anne zu entsinnen, wo Tante Nelly lebte. Sie war schon sehr lange in diesem Dorf und hatte viele Jahre als Lehrerin gedient. Sie galt als sonderbar. Man sagte ihr nach, sie habe sehr zurückgezogen gelebt, und niemand habe Genaues über ihre Vergangenheit erfahren.

  Anne war sie als zarte, puppenhafte Erscheinung in Erinnerung geblieben, die immer mit herrlichen Bonbons und köstlichem Gebäck aufzuwarten wußte. Ja, sie war wirklich sehr lieb gewesen, diese Tante Nelly. Aber alles war in der Vergangenheit versunken und teilweise sogar in Vergessenheit geraten.

  Nun, da sie das Ortsschild passierte und an der alten Schule vorbeifuhr, erwachte die Vergangenheit zu neuem Leben. Der kleine Pub, das Lebensmittelgeschäft, die Kirche mit ihrem wuchtigen, viereckigen Turm aus romanischer Zeit, der sich fast unheimlich aus dem nebligen Dunst erhob.

  Es ging eine kleine Anhöhe hinauf. Hier standen einzelne Häuser. Sie waren nicht sehr groß. Niedrig, aus Natursteinen gemauert, duckten sie sich ins karge Land, so als wollten sie Schutz suchen vor dem Unbill der Natur, der diese Gegend so oft ausgesetzt war.

  Das Häuschen der Großtante war eines der schönsten. Sahen die anderen doch recht schmucklos aus, so wirkte das Heim der Tante schon von außen her behaglich.

  Im Vorgärtchen blühten mannshohe Sonnenblumen. Etwas, das für diese unwirtliche Gegend recht ungewöhnlich war. Auch die Fensterbänke zierte Blumenschmuck, und es gab ein paar Beete, auf denen Kohl und Salat wuchs.

  Still lag das kleine Haus, als Anne das Gartentürchen öffnete und den schmalen, mit Natursteinplatten belegten Weg betrat, der zur Haustür führte.

  Dort gab es noch immer den altmodischen Klingelzug, den Anne auch nach kurzem Zögern betätigte.

  »Wer ist da?« fragte nach einer Weile eine zittrige Greisenstimme. »Ich gebe keine Spenden, und ich kaufe nichts an der Haus-tür.«

  »Tante Nelly, ich bin es, Anne!« rief die junge Frau.

  »Anne? Welche Anne?«

  »Anne Catwick!«

  Es dauerte eine ganze Weile. Anne kam es so vor, als müßte sich die alte Dame wohl erst einmal besinnen. Schließlich hörte sie, wie ein Schlüssel umgedreht wurde. Die Tür öffnete sich einen schmalen Spalt.

  »Anne? Wirklich die Enkelin meines Bruders Eduard?«

  »Ja, Tante Nelly, ich bin es wirklich«, versicherte Anne.

  Endlich öffnete sich die Tür vollständig, und vor Anne stand die Tante. Sie sah noch beinahe so aus, wie die junge Frau sie in Erinnerung hatte. Klein, zierlich und mit schlohweißem Haar, das recht ordentlich frisiert war. Sie trug ein dunkles Kleid und eine Bluse mit einem weißen Jabot. Hinter der Goldrandbrille funkelten lebendige graue Augen.

  »Du hast dich sehr verändert, Anne«, stellte die alte Dame fest. »Nun ja, du bist jahrelang nicht mehr in Eastclinch gewesen.«

  »In der Tat, es ist sehr lange her«, mußte Anne zugeben.

  »Komm doch herein, mein Kind«, bat Tante Nelly nun. »Du darfst dich allerdings an diesem oder jenem nicht stören. Meinen Augen geht es in der letzten Zeit nicht mehr so gut. Ach ja, man dürfte eben nicht alt werden.«

  Die Wohnstube wirkte so puppenhaft wie die Großtante selbst. Eine Menge Nippes stand auf den Kommoden, und das Sofa zierte eine Reihe handgestickter Kissen. Plüschdeckchen, verblichene Bilder in alten Rahmen und ein leichter Geruch nach Melissensalbe.

  »Wie geht es dir denn, Anne?« fragte Nelly Burne und drückte ihre Großnichte auf das Sofa. Dann nahm sie neben ihr Platz.

  Anne berichtete erschöpfend.

  »Es freut mich, daß es dir so gutgeht. So, und jetzt mache ich uns erst einmal einen Tee. Du magst doch welchen?«

  »O ja, danke, sehr gerne«, versicherte Anne Catwick.

  Die Tür zur kleinen Küche stand offen, und Tante Nelly plauderte munter vor sich hin, während sie dort werkelte.

  »So, da hätten wir den Tee«, sagte sie schließlich.

  »Ich habe dich aus einem bestimmten Grund aufgesucht«, sagte sie.

  »Ach?«

  »Ja, du weißt doch über die Vergangenheit unserer Familie recht gut Bescheid?«

  »Nun ja«, meinte die alte Dame seufzend. »Es ist vieles in Vergessenheit geraten, mein Kind. Wenn man alt ist, kann man sich manche Dinge nicht mehr so gut merken, verstehst du?«

  »Natürlich«, pflichtete Anne ihr bei. »Soweit ich weiß, unterhielt unsere Familie in früherer Zeit Verbindungen nach Böhmen?«

  Anne sah, wie das Gesicht der Tante sich verdüsterte. Eine Furche erschien zwischen den Brauen.

  »Erinnere mich nur nicht daran«, bat sie.

  »Aber warum denn nicht?« wollte Anne wissen.

  »Weil dies wohl das traurigste Kapitel in der Geschichte unserer Familie ist«, sagte Nelly Burne. »Unsere Vorfahren besaßen in Böhmen große Ländereien und auch ein herrliches Landgut.«

  »Das ist wirklich interessant!«

  »Nun, es war einmal«, sagte Nelly seufzend. »Im Zuge politischer Wirren hat man alles verloren. Damals brachen, wie du sicherlich weißt, drei große europäische Monarchien zusammen. Österreich, Deutschland und Rußland. Für das Habsburgerreich waren die böhmisch-mährischen Kronländer verloren, und es entstand dort eine neue Republik. Es ging damals alles drunter und drüber.«

  »Ich verstehe«, sagte Anne. »Hat man fliehen müssen?«

  »Ich weiß nicht mehr genau, wie es gekommen ist. Es war Jahre nach der Gründung dieser neuen Republik, und ich bin ein kleines Kind gewesen. Ich habe daran kaum noch Erinnerung. Es ist mir nur haften geblieben, daß wir seinerzeit mit einem Planwagen wegfuhren und daß meine Mutter fürchterlich geweint hat.«

  »Das ist traurig«, stellte Anne fest.

  »Unsere Familie hieß damals anders«, berichtete die Tante weiter. »Wir nannten uns Katwitz nach einem alten böhmischen Geschlecht. Daraus wurde später Catwick, denn der größte Teil der Familie faßte hier in England Fuß.«

  »Was ist aus dem Gut und den Ländereien geworden?« wollte Anne wissen.

  »Das weiß ich nicht«, antwortete die Großtante. »Niemand von uns ist jemals nach Böhmen zurückgekehrt.«

  »Aber du weißt doch noch, wo das Gut lag?«

  »Es lag am Rande eines kleines Dorfes«, entsann sich Nelly Burne. »Es hieß Unterhaid und lag etwa fünfzig Meilen südlich der böhmischen Hauptstadt Budweis. Die Gegend war wunderschön. Weite, unendliche Wälder, prächtige Wiesen und fruchtbare Felder. Es gab so viele Pferde. Ach ja…«

  Versonnen war der Blick der alten Dame in die Ferne der Vergangenheit geschweift.

  »Das Dorf gibt es noch?«

  »Auch das weiß ich nicht genau«, mußte Nelly zugeben. »Jemand hat erzählt, es sei völlig verfallen, nachdem es all seine Bewohner verlassen hatten. Andere wiederum sagen, es stünden jetzt neue Häuser dort. Ich weiß es nicht, Anne, wirklich nicht.«

  »Es wird sich herausfinden lassen.«

  »Weshalb interessiert dich das denn so sehr?« fragte die alte Dame.

  »Aus rein persönlichen Gründen«, erklärte Anne. Die Sache mit den seltsamen Träumen würde die Großtante vielleicht gar nicht verstanden haben. »Ich möchte dieses Land gern einmal sehen, weißt du. Bald werde ich Ferien haben. Die möchte ich nutzen, um die Heimat unserer Vorfahren zu besuchen.«

  »Du bist eine andere Generation«, meinte Nelly. »Du kannst alles mit anderen Augen sehen. Ich hingegen…«

  Aus ihrer Stimme klangen Müdigkeit und Resignation.

  »Du mußt mir alles erzählen, was du weißt oder woran du dich noch erinnern kannst«, bat Anne.