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Stefanie, die junge, attraktive Chefsekretärin der Berber-Werke, wird bewundert, aber auch beneidet: Hat sie sich ihre Stellung wirklich durch Fleiß und Intelligenz erworben – oder gilt ihre Treue nicht nur der Firma, sondern vor allem Arnold Berger, dem Besitzer des Unternehmens? Als dieser schwer erkrankt und für eine lebensgefährliche Operation in die USA reisen muss, ist es nicht seine Frau Iris die ihm zur Seite steht, sondern Stefanie. Es kommt zu einem Drama zwischen Schuld und Liebe, das drei Menschen zu zerstören droht …
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Seitenzahl: 349
Marie Louise Fischer
Roman
Der Gerichtsvorsitzende blätterte in den Akten, die vor ihm auf dem Verhandlungstisch lagen, und sagte, ohne aufzublicken: »Zeugin Stefanie Sintrop, bitte!« – Seine Stimme hatte heiser geklungen; er nahm einen Schluck Wasser aus einem weißen Plastikbecher.
Der Justizwachtmeister erhob sich, zog den grünlichen Uniformrock glatt und ging zur Seitentür. Im Zuhörerraum entstand eine leichte Unruhe.
Dr. Urban Zöllner, der nahe dem Gang in der zehnten Reihe saß, blickte gebannt auf die Tür, die der Justizwachtmeister eben geöffnet hatte und durch die jetzt die Zeugin Stefanie Sintrop in den Gerichtssaal schritt.
Sehr schlank, sehr aufrecht und sehr selbstbewusst trat sie auf den Tisch des Vorsitzenden zu. Sie hatte den Kopf mit dem dunkelglänzenden Haar stolz erhoben. Nur an der Art, wie sie die Lippen ihres vollen, kühn geschwungenen Mundes zusammenpresste, war ihre innere Anspannung zu spüren. Eine Sekunde lang glitt ihr Blick über den bis auf den letzten Platz besetzten Zuhörerraum.
Dr. Urban Zöllner lächelte ihr ermutigend zu, aber sein Bemühen blieb ohne Wirkung. Stefanie Sintrop hatte ihn unter der vielköpfigen Menge nicht erkannt.
Ein leises Stöhnen ging durch das Publikum – ein Tribut der Bewunderung für die attraktive Zeugin, die in ihrem braunen Wildlederkostüm mit den im Ton darauf abgestimmten halbhohen Trotteurs tatsächlich eine ausgezeichnete Figur machte.
Doch das Gesicht des Richters blieb ganz ungerührt, als er sie ansah. »Sie heißen?«, fragte er.
»Stefanie Sintrop.«
»Alter?«
»Achtundzwanzig Jahre!«
»Beruf?«
»Sekretärin.«
»Familienstand?«
»Ledig.«
Stefanies Antworten waren sehr klar, sehr hell, sehr entschieden gekommen.
Der Vorsitzende richtete sich auf und lehnte sich zurück. Seine Erleichterung, es mit einer sachlichen Zeugin zu tun zu haben, war unverkennbar. »Sie sind mit dem Angeklagten nicht verwandt oder verschwägert?«
»Nein.«
»Aber Sie kennen ihn? Bitte, schauen Sie ihn sich an, bevor Sie antworten.«
Stefanie Sintrop warf nur einen flüchtigen Blick, bei dem sie den Kopf kaum drehte, zur Anklagebank, sagte dann in ihrer klaren und bestimmten Art: »Ja. Ich kenne ihn.« Sie fügte hinzu: »Er war seinerzeit Referent im Wiederaufbauministerium.«
Der Angeklagte, ein schlanker, starkknochiger Mann, blieb völlig ungerührt. Er saß mit ausdruckslosem Gesicht da, die Augen hinter der randlosen Brille niedergeschlagen. Nur hin und wieder spielte jenes Zucken um seine schmalen Lippen, das ihm vom Staatsanwalt als ›höhnisches Grinsen‹ ausgelegt wurde.
Der Vorsitzende runzelte leicht die Stirn. »Was soll das heißen? Seinerzeit?«
»Im Oktober 1951. Damals habe ich zuletzt mit ihm gesprochen.«
»Sie scheinen ein hervorragendes Gedächtnis zu haben.«
Der Vorsitzende war leicht irritiert.
»Als ich die Vorladung zu diesem Prozess erhielt, habe ich selbstverständlich in unserem Briefwechsel mit Herrn Pachner nachgelesen und auch die Aktennotizen aus jener Zeit noch einmal überprüft.«
»Na, sehr schön.« Der Vorsitzende faltete die Hände. »Sie haben sich also gleich gedacht, weshalb Sie als Zeugin geladen worden sind?«
Stefanie Sintrop zögerte nur eine Sekunde. »Ich habe den Prozess Pachner in der Presse verfolgt«, sagte sie dann, »aber ich muss gleich klarstellen …«
Der Vorsitzende hob die glatte, sehr gepflegte Hand. »Halt! Einen Moment noch! Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie uns zuerst ein wenig zur Person sagen würden!«
»Zur Person?« Das Staunen in Stefanie Sintrops Stimme war deutlich.
»Ja. Zu Ihrer Person, damit wir uns nicht missverstehen. Bitte, erzählen Sie uns ein wenig von Ihrem Leben, Ihrem beruflichen Werdegang und so weiter. Ich lese hier, dass Sie Chefsekretärin in den Berber-Werken sind. Es scheint mir eine ziemlich ungewöhnliche Position für eine so junge Frau wie Sie. Ich bin sicher, das Gericht würde es interessieren, wie es dazu gekommen ist.«
Stefanie Sintrop warf den Kopf zurück, dass das dunkle Haar ihr in einer seidigen Welle bis in den Nacken fiel. Dr. Urban Zöllner konnte, wie alle im Zuhörerraum, nur ihren geraden Rücken sehen, aber er kannte sie gut genug, um zu wissen, dass sie jetzt die Flügel ihrer schmalen Nase blähte und dadurch ihrem Gesicht einen ungeheuren hochmütigen und abweisenden Ausdruck gab.
»Soll ich von Anfang an erzählen?«, fragte sie.
»Ich bitte darum!«
Sie holte Luft, bevor sie mit der Präzision einer geschulten Berichterstatterin begann. »Ich wurde im Jahre 1932 in Ennepetal in Westfalen geboren …« Man spürte, dass die kleine Pause, die sie jetzt machte, nur dazu diente, um dem Vorsitzenden Gelegenheit zu geben, ihr ins Wort zu fallen.
Als er schwieg, erzählte sie glatt und fast unbeteiligt weiter. »Mein Vater war Lokomotivführer. Er rückte im Krieg zu einer Eisenbahnerkompanie ein und fiel in den letzten Tagen des Krieges bei Smolensk. Da ich so rasch wie möglich auf eigenen Füßen stehen wollte, schied ich in der siebten Klasse aus der Hauptschule aus und trat auf die Handelsschule über, die ich zwei Jahre lang besuchte. Dann trat ich bei der Holzschraubenfabrik Altenloh, Brinck & Co. in Milspe als kaufmännischer Lehrling ein, von wo aus ich mich nach bestandener Prüfung im Jahre 1950 bei den Berber-Werken in Düsseldorf-Heerd bewarb. In dieser Firma, die bei meinem Eintritt von Kriegsschäden fast zerstört war, gelang es mir, mich zur Chefsekretärin hinaufzuarbeiten.«
»Sie waren also, wenn ich Sie recht verstanden habe«, sagte der Vorsitzende, »seinerzeit, als die Berber-Werke die Verhandlungen mit dem Wiederaufbauministerium führten, neunzehn Jahre alt und ein knappes Jahr in der Firma?«
»Das wird stimmen.«
»Können Sie uns dann nicht einmal erläutern, wie damals Ihre Stellung in den Berber-Werken war?«
»Die Firma hatte, wie ich schon sagte, durch Kriegseinwirkung sehr gelitten. Arnold Berber war erst kurz nach der Währungsreform aus russischer Kriegsgefangenschaft entlassen worden. Während seiner Abwesenheit hatte der Prokurist Hugenberg die Fabrik geleitet. Wir hatten damals, wenn ich mich recht erinnere, nur etwa zwölf Arbeiter. Ich war die einzige Bürokraft.«
»Sie arbeiteten also für beide Herren?«
»Ja.«
»Sie waren in alle Pläne Ihres Chefs und des Herrn Prokuristen … jedenfalls soweit Sie das beurteilen können … eingeweiht?«
»Ja.«
»Sie waren auch orientiert über die Bilanzen?«
»Es war meine Aufgabe, die Tagesauszüge der Banken zu überprüfen und einzuordnen.«
»Wer führte damals die Verhandlungen mit dem Wiederaufbauministerium? «
»Herr Hugenberg!«
»Aber doch im vollen Einvernehmen mit …« Der Richter warf einen Blick in die Akten. »… Arnold Berber?«
Stefanie Sintrop zögerte eine Sekunde mit der Antwort, dann sagte sie: »Ja.« Sie fügte hastig hinzu: »Ich war bei allen Besprechungen zwischen Herrn Hugenberg und Herrn Pachner anwesend. Ich habe auch den gesamten Schriftwechsel geführt. Verschiedentlich habe ich auch allein mit den Herren vom Ministerium gesprochen. Die Verhandlungen gestalteten sich sehr langwierig.«
»Stimmt. Aber die Berber-Werke erhielten den Kredit. Möchten Sie uns vielleicht erklären, wie es zu dieser Entscheidung kam?«
Stefanie Sintrop zuckte die Schultern. »Wir hatten einen Antrag gestellt. Ich erinnere mich noch, dass eine Unzahl Formulare ausgefüllt werden mussten. Das Gesuch ging den üblichen Instanzenweg, und eines Tages war es dann so weit. Schließlich sind die Berber-Werke ja nicht die Einzigen, die in jener Zeit einen Landeskredit bekommen haben.«
Der Vorsitzende räusperte sich. »Fräulein Sintrop! Ich habe Anlass, Sie aufmerksam zu machen … Sie stehen nicht als Angeklagte, sondern als Zeugin vor Gericht! Ist Ihnen das klar?«
»Jawohl, Herr Vorsitzender.«
»Wollen Sie sich daraufhin Ihre Aussage nicht noch einmal überlegen? Es kann nur in Ihrem Interesse liegen … und im Interesse Ihrer Firma, wenn Sie die reine Wahrheit sagen.«
»Das habe ich getan.«
»Tut mir leid, aber es fällt mir schwer, Ihnen zu glauben. Jedenfalls bezweifle ich, ob Sie die ganze Wahrheit gesagt haben. Denken Sie einmal gut nach! Sie sagten doch, dass Sie an allen Verhandlungen der Herren Ihrer Firma und dem Angeklagten teilgenommen haben. Hat Herr Hugenberg oder Herr Berber nie den Vorschlag gemacht, sich dem Angeklagten gegenüber in irgendeiner Form erkenntlich zu zeigen?«
»Nein. Ganz bestimmt nicht.«
»Sind auch vom Angeklagten niemals Andeutungen gemacht worden, dass ihm an einer finanziellen Zuwendung gelegen wäre?«
»Ich glaube nicht.«
»Sie können sich also nicht mehr genau erinnern?«
»Es ist möglich«, sagte Stefanie Sintrop zögernd, »dass Herr Pachner vielleicht Anspielungen dieser Art gemacht haben könnte, obwohl ich mich wirklich nicht mehr daran erinnere. Aber erhalten hat er ganz bestimmt nichts. Das müsste ich wissen.«
»Sind Sie dessen ganz sicher? Könnte Herr Berber nicht ohne Ihr Wissen Herrn Pachner eine Summe haben zukommen lassen?«
»Ausgeschlossen. Ich sagte Ihnen ja schon, dass ich ständig die Tagesauszüge der Banken überprüft habe. Ich war auch über die Höhe des Wiederaufbaukredits und seine Verwendung orientiert.«
Der Vorsitzende seufzte hörbar. »Es steht aber fest, dass der Angeklagte schon damals Ausgaben gemacht hat, die er nicht von seinem Gehalt allein finanzieren konnte. Wie erklären Sie sich das?«
»Gar nicht«, sagte Stefanie Sintrop kalt. »Ich sehe mich nicht verpflichtet, Auskünfte über das Finanzgebaren eines Herrn zu geben, von dessen Privatleben ich nicht das Geringste gewusst habe.«
»Sie sind also tatsächlich bereit, zu beeiden, dass der Angeklagte von Ihrer Firma niemals irgendwelche Geldzuwendungen erhalten hat? Weder bevor noch nachdem den Berber-Werken der Wiederaufbaukredit zugestanden und ausbezahlt worden ist?«
»Das ist die Wahrheit.«
Der Staatsanwalt meldete sich zu Wort. »Ich beantrage die Vorladung des Prokuristen Hugenberg!«, sagte er.
Der Vorsitzende blätterte in den Akten.
Bevor er noch etwas zu den Worten des Staatsanwaltes äußern konnte, erklärte Stefanie Sintrop: »Herr Prokurist Hugenberg ist im November vorigen Jahres gestorben.«
»Stimmt, Herr Kollege«, sagte der Richter.
»Nun, das erklärt natürlich einiges«, sagte der Staatsanwalt schneidend. »Die Methode, alle Verantwortung auf einen Toten abzuwälzen, ist nicht eben neu.«
»Wie können Sie das behaupten?!«, rief Stefanie Sintrop aufgebracht. »Niemals habe ich einen derartigen Versuch unternommen.«
»Oh, entschuldigen Sie, dann muss ich mich verhört haben. Sie haben also nicht behauptet, dass die Verhandlungen mit dem Angeklagten von Prokurist Hugenberg geführt worden sind?«
»Das habe ich nicht behauptet, sondern es entspricht der Wahrheit!«
»Höchst merkwürdig! Wirklich interessant! Ihr Chef war also niemals bei den Verhandlungen anwesend?«
»Doch. Natürlich. Ein- oder zweimal.«
»Also doch!«
»Aber wo liegt denn da der Unterschied?«, rief Stefanie Sintrop. »Ich habe gesagt, dass Herr Pachner kein Geld von den Berber-Werken bekommen hat, und das stimmt auch. Ich weiß es ganz genau, denn ich war ja auch bei den Besprechungen, die Herr Berber mit Herrn Pachner geführt hat, anwesend!«
»Sind Sie ganz sicher … bitte, hören Sie gut zu, was ich Ihnen jetzt sage, und überlegen Sie Ihre Antwort gründlich …, sind Sie ganz sicher, dass Ihr Chef oder dessen verstorbener Prokurist Hugenberg sich nicht auch irgendwann einmal alleine mit Herrn Pachner verabredet haben könnte … ohne Sie einzuschalten? Dass Briefe gewechselt, Telefongespräche geführt, Abmachungen getroffen worden sind, über die Sie nicht unterrichtet sind?«
»Das ist völlig ausgeschlossen.«
»Ich glaube, das genügt!«, sagte der Richter.
»Nur noch eine einzige Frage!« Der Staatsanwalt stieß mit seinem erhobenen Zeigefinger auf Stefanie Sintrop zu: »In welcher Beziehung stehen Sie zu dem Chef der Berber-Werke?«
Die Stimme der Zeugin klang ganz unerschüttert: »In jener normalen, durch die Verhältnisse gegebenen Beziehung, die zwischen Chef und Sekretärin zu herrschen pflegt.«
»Wollen Sie etwa leugnen, dass Ihre Beziehungen zu Arnold Berber sehr viel intimerer Natur sind? Überlegen Sie sich Ihre Antwort gut! Ich werde meine Behauptung beweisen!«
»Das können Sie nicht«, sagte Stefanie Sintrop verächtlich. »Mit einem Theatercoup lasse ich mich nicht erschrecken, Herr Staatsanwalt. Sie scheinen mich völlig falsch einzuschätzen!«
»Meineid wird mit Zuchthaus bestraft, Zeugin! Hoffentlich sind Sie sich darüber im Klaren.«
»Durchaus«, sagte Stefanie Sintrop mit fester Stimme.
»Nun, dann ist Ihnen eben nicht zu helfen!« Der Staatsanwalt setzte sich.
»Herr Rechtsanwalt, Fragen an die Zeugin? Nicht?« Der Vorsitzende wandte sich Stefanie zu. »Nun, dann schreiten wir zur Vereidigung. Treten Sie vor! Ja, näher zu mir! Sie schwören bei Gott dem Allmächtigen und Allwissenden, dass Sie die reine Wahrheit gesagt haben. Heben Sie die rechte Hand auf und sprechen Sie mir nach: Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe!«
»Ich schwöre es!«
Noch bevor Stefanie Sintrop den Gerichtssaal verlassen hatte, war sie vergessen.
Alle Aufmerksamkeit richtete sich auf den nächsten Zeugen, weit prominenter als die Chefsekretärin, den Generaldirektor einer namhaften Kühlmaschinen-Fabrik, dessen Zeugenaussagen möglicherweise nur eine Vorstufe zu einem weiteren Prozess waren, bei dem er selbst als Angeklagter vor Gericht stehen würde. Die Reporter stürzten sich mit hochgerissenen Blitzlichtapparaten nach vorne, um das gequälte Lächeln des Industriekapitäns für ihre Leser festzuhalten.
Dr. Zöllner konnte den Gerichtssaal nicht so schnell verlassen, wie er gehofft hatte. Es dauerte ein paar Sekunden, ehe er sich einen Weg gebahnt hatte.
Draußen im Gang begegneten ihm zwei Herren im Talar, die er grüßen musste. Stefanie Sintrop war nicht zu sehen. Womöglich hatte sie das Gebäude schon verlassen.
Dr. Urban Zöllner eilte bis zu dem riesigen quadratischen Lichthof, wo der Gang in eine der Galerien mündete, lief weiter bis zur Treppe. Aber ehe er sie noch erreichte, sah er sie.
Sie saß, die Augen geschlossen, den Kopf in den Nacken gelegt, auf einer der steinernen Bänke. Ihr Gesicht war sehr blass, die dunklen Schatten unter ihren Augen ließen ihre Backenknochen hart hervortreten. Ihre Hände waren im Schoß um die kleine Handtasche aus Straußenleder verkrampft.
»Stefanie!«, rief Dr. Urban Zöllner erschrocken. »Stefanie! Um Himmels willen, was ist los?«
Sie öffnete die dunklen, schräg geschnittenen Augen, sagte mit einem schwachen Lächeln: »Die Luft … die Luft war fürchterlich.«
»Stimmt. Wir haben eben keine Entlüftungs- und Klimaanlagen und den ganzen Komfort, den du von deiner Arbeitsstätte her gewohnt bist!« Er fühlte selber, dass leichte Bitterkeit in seiner Stimme geklungen hatte, sagte rasch: »Ist es wirklich nichts weiter?« Er suchte nach einem Ausdruck, der sie nicht verletzte. »Du siehst mitgenommen aus!«
»Es war scheußlich!«, sagte sie ehrlich.
»Dass der Staatsanwalt diese indiskreten Fragen an dich gestellt hat?! Ich bitte dich, das tut er doch immer. Sobald er nur den leisesten Anhaltspunkt hat. Es war natürlich Bluff, wie du sofort bemerkt hast.« Er lachte. »Du hast es ihm ganz schön gegeben. Der Arme. Ich hoffe, dass du ihm nicht heute Nacht im Traum erscheinst … eine Zeugin, die er nicht einschüchtern konnte!«
Langsam löste sich die Spannung in Stefanies Gesicht. »Wenn man dich sprechen hört«, sagte sie warm, »dann … ich kann dir das schwer erklären, aber dann sieht die Welt plötzlich ganz anders aus. Sauberer, fröhlicher … einfach wie ein Platz, auf dem sich’s leben lässt.«
»Du könntest das noch viel öfters haben.«
»Ja, ich weiß.« Sie stand auf, legte ihre Hand mit den lang gefeilten, muschelfarben lackierten Nägeln leicht auf seinen Arm. »Es ist alles meine Schuld. Bringst du mich nach unten?«
»Wir könnten rasch noch eine Tasse Tee zusammen trinken.«
»Ausgeschlossen. Das kann ich Berber nicht antun. Er würde rasend.«
»Auf zehn Minuten mehr oder weniger kommt es jetzt doch nicht mehr an.«
»Das sagst du?« Sie begann, auf seinen Arm gestützt, mit anmutiger Sicherheit die Treppe hinabzuschreiten. »Für uns ist jede Sekunde kostbar.«
»Für wen? Für ihn oder für dich?«
»Urban«, sagte sie, »bitte!«
Schweigend durchquerten sie die weite Halle, traten ins helle Tageslicht. Dann standen sie sich auf den Stufen, die zwischen hohen klassizistischen Säulen zum Eingang des Düsseldorfer Amts- und Landgerichtes führen, einen Augenblick unschlüssig gegenüber.
»Auf Wiedersehen, Urban!«, sagte sie.
»Ich werde dich gerne hinausfahren«, sagte er mit einer kleinen Grimasse, »auch auf die Gefahr hin, von dir für einen Faulpelz gehalten zu werden. Aber tatsächlich habe ich einen Termin, der …«
Sie unterbrach ihn lächelnd. »Sehr lieb von dir, aber ganz unnötig. Ich werde mir ein Taxi nehmen.«
»Ich wundere mich, dass du selber noch kein Auto hast. Leisten könntest du es dir doch.«
»Du weißt genau, dass ich niemals Zeit gehabt habe, fahren zu lernen. Aber wenn du es für richtig hältst, werde ich …«
»Um Himmels willen … nein! Damit ich noch weniger von dir habe! Sehen wir uns heute Abend?«
»Wenn du willst.«
»Gut. Ich werde auf dich warten. In deiner Wohnung.«
Er sah ihr nach, wie sie schlank und federnd die Straße überquerte, zündete sich eine Zigarette an. Er dachte daran, wie viele Jahre er Stefanie Sintrop jetzt schon kannte, wie lange er schon mit ihr befreundet war, ohne dass er ihr in all der Zeit jemals wirklich nahegekommen war. Manchmal war es ihm, als wenn sie statt eines Herzens einen stählernen Kern in der Brust trüge, den seine Liebe weder öffnen noch zum Schmelzen bringen konnte. Auch wenn sie in seinen Armen lag, hatte er nie das Gefühl, sie ganz zu besitzen, aber vielleicht war es gerade das, was ihn an sie fesselte. Er wusste, dass er andere Frauen haben konnte als Stefanie, schönere, jüngere, reiche – doch war nur sie es, an die er dachte. Er liebte sie. Er spürte deutlich, dass es so nicht weitergehen konnte. Wenn er ihre Liebe schon nicht erringen konnte, durfte er nicht auch noch riskieren, ihre Achtung zu verlieren, und, was schlimmer war, die Achtung vor sich selber. So wie bisher durfte es nicht weitergehen, er musste eine Wendung der Dinge herbeiführen – so oder so.
*
Wilhelm Hausmann, Chef der Hausmann-Werke, Krefeld, beugte seinen schweren Oberkörper über den Schreibtisch, drückte die rote Taste der Lautsprecheranlage nieder und tönte mit wutbebender Stimme nachhaltig ins Mikrophon. »Herr Stöger sofort zu mir!«
Er zog die volle Oberlippe zwischen die Zähne, während er noch einmal das amtliche Schreiben überflog, das vor ihm in der aufgeschlagenen Postmappe lag. Dann stand er auf, trat, die Hände auf dem Rücken, an das übergroße Fenster und starrte hinab auf das Betriebsgelände. Sein mächtiger Schädel hatte sich gefährlich gerötet.
Unten an der Laderampe waren hintereinander eine Reihe betriebseigener Lastwagen aufgefahren. Ihre grellbunten Farben leuchteten im Vorfrühlingslicht. Alle trugen sie an beiden Seiten in riesengroßen Lettern den neuen Werbeslogan der Firma: ›Ferien im Hausmann-Zelt‹. Darüber lachte eine strahlende Sonne, und ein goldgelbes Zelt mit rotem Wimpel schien tatsächlich alle erträumte Ferienherrlichkeit zu versprechen.
Einer der Wagen war fertig gepackt, er setzte sich in Bewegung, kurvte nach links und verließ durch das große Tor das Gelände. Der nächste Wagen rückte hinter ihm auf.
Es war ein Anblick, der Wilhelm Hausmanns Herz sonst zu erfreuen pflegte, aber heute sah er ihn nicht einmal. Er hatte die kleinen, sehr hellen Augen zusammengekniffen, nagte verbissen an seiner Oberlippe, während die Gedanken hinter seiner mächtigen Stirn tobten.
Als die innere der beiden schweren Doppeltüren geöffnet wurde, sagte er, ohne sich umzudrehen: »Lesen Sie, Stöger! Auf dem Schreibtisch!«
Der Prokurist Jupp Stöger, ein zierlicher alter Mann mit scharf durchfurchten Zügen und mit dunklen, jugendlichen Augen, ging mit kleinen Schritten um den blank polierten Schreibtisch herum, nahm das Schreiben aus der Mappe, studierte es, ohne eine Miene zu bewegen.
Wilhelm Hausmann fragte ungeduldig: »Na? Was sagen Sie zu dieser Schweinerei?«
Jupp Stöger rieb sich das spitze Kinn. »Ich hatte etwas Ähnliches befürchtet.«
»So? Hatten Sie?« Wilhelm Hausmann fuhr herum. »Warum haben Sie dann nicht rechtzeitig das Maul aufgemacht?«
»Ich wollte Sie nicht mit Vermutungen belästigen.«
»Sie alter Fuchs! Ich möchte mal etwas erleben, was Sie nicht vorausgesehen haben wollen! In Wirklichkeit haben Sie nichts gewusst! Einen Dreck! Sie waren genauso sicher wie ich, dass Koblenz uns den Auftrag geben würde. Mein Gott, Stöger, stehen Sie doch nicht so da und spielen den Überlegenen! Erklären Sie mir gefälligst, wie das passieren konnte! Unsere Kalkulationen waren doch haarscharf. Es ist unmöglich, dass jemand uns unterboten haben könnte.«
»Sicher nicht«, sagte Stöger bedachtsam, »aber vielleicht hatte jemand bessere Beziehungen.«
»Zum Verteidigungsministerium?«
»Eben.«
»Aber Sie haben mir doch ausdrücklich gesagt, dass mit kleinen Geschenken da nichts zu wollen wäre!«
»Ich habe Ihnen gesagt, was ich wusste.«
Wilhelm Hausmann begann mit großen Schritten im Raum auf und ab zu gehen. »Ich muss ehrlich sagen, ich verstehe Sie nicht, Stöger, noch ehrlicher, Sie sind mir widerlich! Könnten Sie sich nicht anstandshalber ein wenig … ein ganz klein wenig aufregen? Schließlich wissen Sie so gut wie ich, dass uns ein Millionenobjekt durch die Lappen gegangen ist.« Er schlug sich mit der Hand vor die Stirn. »Herrgott, gar nicht auszudenken, was da alles dringesteckt hätte! Wir hätten den Auftrag bekommen müssen … müssen, Stöger, das habe ich Ihnen oft genug gesagt!« Unvermittelt blieb er dicht vor seinem Prokuristen stehen, starrte ihn durchdringend an. »Würden Sie mir wenigstens jetzt sagen, wer uns dazwischengefunkt hat?«
Jupp Stögers Stimme blieb ganz ruhig. »Arnold Berber«, sagte er, »wer schon sonst?«
Wilhelm Hausmann schnappte nach Luft, aber der Wutausbruch, der in der Luft gelegen hatte, blieb aus. Wortlos trat er zu seinem Schreibtisch, ließ sich in dem massiven, mit rotem Leder bezogenen Sessel nieder, stützte den Kopf in beide Hände, saß ganz still da. Als er nach einer Weile wieder sprach, klang seine Stimme kalt und ohne jede Emotion. »Arnold Berber also«, sagte er, »sieh an. Der hat sich in den letzten Jahren ganz schön herausgemacht, wie?«
»Die Entwicklung der Berber-Werke …«, begann der Prokurist.
Wilhelm Hausmann unterbrach ihn. »Setzen Sie sich, Stöger. Keine Vorträge, wenn ich bitten darf!« Er bückte sich, holte eine Zigarrenkiste aus seiner Schreibtischschublade, wählte genüsslich eine der sehr dunklen, kostbaren Importe, schnüffelte daran, bevor er behutsam die Spitze abschnitt und die Zigarre mit einem langen Streichholz aufflammen ließ. Er paffte ein paar dicke Wolken vor sich hin, begutachtete zufrieden die rote Glut an der Spitze, sagte dann: »Ich fürchte, es war unser Fehler, Stöger. Wir hätten Berber stärker im Auge behalten müssen. Schließlich ist das Düsseldorfer Werk die einzige wirkliche Konkurrenz hier im Raum. Wenn er jetzt noch dieses Riesengeschäft unter Dach und Fach bringt, ist er nicht mehr einzuholen.«
»Man müsste versuchen, ihm den Auftrag abzujagen.«
»Das hätte Ihnen früher einfallen sollen, Stöger!«
»Ich habe mein Möglichstes getan.«
»Was Sie getan haben, interessiert mich nicht. Besonders, weil es von keinerlei Nutzen war. Jetzt möchte ich klipp und klar von Ihnen hören, was wir jetzt noch tun können, was wir tun müssen, um den Karren wieder aus dem Dreck zu ziehen!«
»Also … einen Vorschlag hätte ich schon«, begann Stöger behutsam tastend. Er fuhr sich mit der Hand durch das schlohweiße Haar, das ihm einen täuschenden Anschein von Würde gab.
»Lassen Sie hören!«
»Der Pachner-Prozess!«
Wilhelm Hausmann runzelte die Stirn. »Was soll diese Geheimnistuerei? Keine Andeutungen, wenn ich bitten darf! Sagen Sie offen, was Sie im Schilde führen!«
»Der Pachner-Prozess hat, wie Sie wissen, einigen Wirbel verursacht. Man könnte ihn sozusagen als den größten Korruptionsprozess der Nachkriegszeit bezeichnen.«
»Wozu erzählen Sie mir das? Meinen Sie, ich lese keine Zeitung?«
»Wenn ich voraussetzen darf, dass Sie orientiert sind …«
»Stöger! Hören Sie endlich auf, wie die Katze um den heißen Brei zu reden. Was hat Berber mit dem Pachner-Prozess zu tun?«
»Noch nichts«, sagte der Prokurist vielsagend.
Wilhelm Hausmann sah ihn kopfschüttelnd an. »Sie sind für mich das lebendige Beispiel, Stöger, wie jemand blitzgescheit und dabei doch strohdumm sein kann. Oder liegt es daran, dass Sie auf Ihre alten Tage anfangen, kindisch zu werden?«
»Auf alle Fälle würden wir damit erreichen«, fuhr Jupp Stöger so ruhig fort, als wenn er Wilhelm Hausmanns Beleidigung gar nicht gehört hätte, »dass das Verteidigungsministerium seinen Auftrag an Berber zurückzieht. Natürlich müsste man die Sache so arrangieren, dass wir selber ganz aus dem Spiel bleiben, niemand dürfte erfahren …«
»Das geht nicht, Stöger. Nein, das geht absolut nicht. Davon halte ich gar nichts. Ich bin mit meinen Mitteln nie penibel gewesen, aber das … Wenn man anfängt, Dreck aufzuwühlen, wird man zu leicht selber dabei schmutzig, Stöger. Sie wissen, was ich meine.«
»Aber es wäre meines Erachtens die einzige Möglichkeit …«
»Ihres Erachtens, Stöger. Gut, dass Sie das dabei sagen. Sie haben eben keine Fantasie. Passen Sie mal auf! Selbst wenn das Verteidigungsministerium seinen Auftrag an die Berber-Werke zurückzöge, wer sagt Ihnen denn, dass wir ihn bekommen würden? Ich sage Ihnen, wir bekämen ihn nicht. So viel Sympathien würde Berber bei den Herren schon noch besitzen, das durchzudrücken. Wahrscheinlich ginge das Geschäft an Klepper nach Rosenheim. Das wäre um nichts besser.« Wilhelm Hausmann lehnte sich in seinem Sessel zurück, nahm einen Zug aus seiner Zigarre, sagte fast behaglich: »Sie sind ein Stümper, Stöger, so leid es mir tut, muss ich Ihnen das ganz offen sagen.«
»Dann«, sagte Stöger und erhob sich, »werden Sie mir wohl erlauben, in den Ruhestand zu treten. Sie wissen, meine Frau …«
»Nein, das erlaube ich Ihnen ganz und gar nicht. In Ihrem eigenen Interesse, Stöger, geben Sie es doch zu, wenn Sie nicht mehr in die Firma kommen dürften, wären Sie längst ein toter Mann.«
»Da Sie keinen Wert auf meine Dienste legen …«
»Herrgott, Stöger, nun seien Sie doch nicht so empfindlich! Man wird doch wohl noch offen reden dürfen! Sie wissen genauso gut wie ich, wenn ich Sie nicht mehr brauchen würde, hätte ich Sie längst gefeuert! So, nun setzen Sie sich gefälligst wieder und hören sich an, was ich zu sagen habe.« Wilhelm Hausmann legte seine Zigarre in den Aschenbecher, faltete die kräftigen, kurzfingrigen Hände vor sich auf dem Schreibtisch. »Als Sie da mit Ihren makabren Vorschlägen herauskamen, Stöger, habe ich mir die Sache gründlich überlegt. Das einzige Mittel, die Berber-Werke als Konkurrenz auszuschalten … und …« Er hob seine Stimme: » … den Auftrag zu bekommen, besteht in einer Fusion.«
»Auf die Arnold Berber sich niemals einlassen wird!«, sagte der Prokurist trocken.
»Das möchte ich aber doch dahingestellt sein lassen, lieber Stöger! Man müsste ihn nur dazu bringen, die Dinge realistisch zu sehen. Er ist ein kranker Mann. Sein kleiner Sohn ist … na, wie alt ist er wohl?«
»Acht Jahre?«
»Lassen wir ihn zehn sein. Er ist frühestens in fünfzehn Jahren … allerfrühestens, Stöger … so weit, die Firma zu übernehmen. Und bis dahin … die gute Ines Berber versteht jedenfalls nichts vom Geschäft. Na also. Ich finde, dass gerade in Berbers Interesse eine Fusion das Gegebene wäre. Zusammen könnten wir in größerem Umfange und damit billiger einkaufen. Wir könnten rationeller produzieren … Vorteile über Vorteile. Er selber trüge nicht mehr allein die Verantwortung, er könnte sich gesundheitlich schonen … und wenn es dann wirklich nicht mehr geht, mit gutem Gewissen in Pension gehen. Sein Werk bliebe in guten Händen. Na, wie gefällt Ihnen das?«
»Ich bin nicht Arnold Berber.«
»Dann versetzen Sie sich gefälligst in seine Lage!«
»Nun, wenn ich Arnold Berber wäre …« Der Prokurist legte nachdenklich die Fingerspitzen gegeneinander, »ich fürchte, Herr Hausmann, ich würde auf Ihren Vorschlag nicht eingehen … gerade deshalb, weil er von Ihnen käme. Arnold Berber wird nicht glauben, dass Sie es gut mit ihm meinen.«
»Unsinn! Das denken Sie! Aber Sie vergessen, dass Arnold und ich alte Freunde sind, uralte Freunde. Wir haben über ein Jahr zusammen in derselben Firma volontiert. In Manchester. Das war … warten Sie mal … na, jedenfalls vor dem Krieg. Damals waren wir noch beide junge Schnösel. Menschenskind, Stöger, was waren das für Zeiten! Wir haben manches Ding zusammen gedreht, das können Sie mir glauben. Blackston & Fire hieß die Firma, ich erinnere mich noch ganz genau.« Er nahm den Telefonhörer ab, hielt ihn einen Augenblick zögernd in der Hand.
»Wollen Sie Berber anrufen?« fragte der Prokurist ungläubig.
»Natürlich nicht. Ich überlege nur gerade. Heute haben wir den einundzwanzigsten März. Da habe ich doch so eine Einladung bekommen …«Er legte den Hörer wieder auf, begann unter einem Stapel Papieren zu wühlen. »Ja, da haben wir’s. ›Traditionelles Frühlingsfest‹ im Golfklub. Da kommt Berber bestimmt hin. Schließlich ist er im Vorstand.« Er drückte auf die rote Taste, sagte: »Bitte, verbinden Sie mich mit meiner Tochter.«
»Das Fräulein Angela«, sagte der Prokurist, »sie lässt sich in letzter Zeit wenig hier sehen. Na, kein Wunder, junge Mädchen haben eben andere Interessen. Geht sie noch auf die Textilingenieur-Schule?«
Wilhelm Hausmann konnte ihm auf diese Frage keine Antwort mehr geben, denn eben jetzt kam das Gespräch. »Hallo, Angela«, sagte er mit betonter Herzlichkeit. »Tut mir leid, wenn ich dich störe! Also, ich bitte dich, dafür müssen diese Leute doch Verständnis haben. – Selbstverständlich mache ich es kurz. Aber wie soll ich dich sonst überhaupt noch sprechen, wenn ich nicht mal mehr mit dir telefonieren darf? Du lässt dich ja kaum noch zu den Mahlzeiten sehen. – Nein, mein liebes Kind, ich habe bestimmt keine Schuld daran. Ich …« Er wechselte den Ton. »Hör mal, es hat doch wirklich keinen Zweck, wenn wir uns zanken. Also, pass mal auf, Liebling, ich habe einen Vorschlag. Hast du heute Abend etwas vor? – So? Nein, das geht nicht. Nein, das passt mir nicht. Das musst du verschieben. Ich möchte heute Abend mit dir zusammen in den Golfklub gehen. Zum Frühlingsfest. Ich rechne mit dir, Angela. Hast du mich verstanden?« Er legte den Hörer auf.
Als er Stögers leicht amüsierten Blick sah, sagte er rasch: »Die ist ganz vernarrt in ihre Lernerei, nimmt es verdammt wichtig. Na, einerseits freut es mich ja, aber andererseits … die Kinder werden eben flügge, Stöger. Aber wem sag ich das! Wenn meine Frau noch lebte … los, Stöger, jetzt möchte ich mal eine Aufstellung unserer Umsätze vom vorigen Monat sehen!«
Der große Zeiger der elektrischen Wanduhr im Chefsekretariat der Berber-Werke rückte voran. Es war jetzt schon zwölf Uhr dreißig vorbei.
»Sie kommt nicht mehr«, sagte Rolly Schwed vergnügt. »Das wäre zu schön, um wahr zu sein.« Helen Wilde betrachtete prüfend ihre Fingernägel, stellte fest, dass an einigen Stellen der rote Lack abgebröckelt war. »Meinst du, ich kann es wagen?«, fragte sie die jüngere Kollegin.
»Unbedingt. Du wirst sehen, die Sintrop ist krank, sonst wäre sie längst hier.«
Helen Wilde zog ihre Schreibtischschublade auf, nahm ein Fläschchen Nagellack heraus, entschraubte es und begann behutsam die beschädigten Stellen auszubessern. Der durchdringende Geruch des Nagellacks verbreitete sich in dem modern eingerichteten, gepflegten Raum.
»Aber wenn sie wirklich krank wäre«, gab Helen Wilde zu bedenken, »dann würde sie doch wenigstens angerufen haben.«
»Nicht unbedingt.« Rolly Schwed schob ihren Stuhl von dem Schreibmaschinentischchen zurück, schlug ihre hübschen Beine übereinander. »Nehmen wir an, es ist mitten in der Nacht passiert, Blinddarmentzündung oder so etwas, und sie hat sofort ins Krankenhaus gemusst. Dann hätte sie doch gar nicht telefonieren können, selbst wenn sie es gewollt hätte.«
»Wenn die Sintrop narkotisiert wird, da möchte ich mal dabei sein«, sagte Helen Wilde. »Mit dem Holzhammer, das geschähe ihr gerade recht.«
»Noch im Schlaf würde die seinen Namen flüstern: ›Arnold, mein Arnold!‹« Rolly lachte. »Wie kann man nur so verrückt sein!«
»Na, du hast’s gerade nötig!« Helen Wilde wedelte mit ihren Händen durch die Luft. »Lässt dich von deinem Peter zum Narren halten, obwohl jeder weiß, dass der Junge von Kopf bis Fuß bloß aus Angabe besteht.«
»Das ist nicht wahr!«, rief Rolly empört und setzte beide Beine zu Boden. »Wie kannst du so etwas sagen!«
»Weil es stimmt. Ich hab’s mir nicht ausgedacht. Frag jeden im Betrieb.«
»Ach, hör schon auf damit! Aus dir spricht doch nur der blasse Neid.«
»Dass ich nicht lache!« Helen Wilde klopfte sich behutsam, um ihren feuchten Lack nicht zu verletzen, eine Zigarette aus einem Päckchen, steckte sie zwischen die Lippen und zündete sie an. »Werde du erst mal trocken hinter den Ohren, bevor du überhaupt …«
Sie kam nicht dazu, den Satz zu Ende zu sprechen, denn in diesem Moment wurde die Tür von außen geöffnet.
Ehe die beiden Sekretärinnen die Situation noch ganz erfasst hatten, trat Stefanie Sintrop ins Zimmer.
»Entschuldigen Sie, meine Damen«, sagte sie sarkastisch, »wenn ich Sie störe! Es war nicht meine Absicht. Wahrscheinlich hatten Sie eine kleine Verschnaufpause wohl verdient. Sind die Listen fertig, Rolly?«
»Ja, natürlich. Ich muss nur noch …« Hastig zog Rolly Schwed einen neuen Bogen in ihre Schreibmaschine.
»Anrufe?« Stefanie Sintrop öffnete ein Fenster.
»Nein. Das heißt nur … Herr Herzogenrath von der Werbeleitung«, gab Helen Wilde Auskunft. »Er ruft später wieder an.«
»Was hat er gewollt?« – »Das hat er nicht gesagt.«
Stefanie Sintrop blähte die Nasenflügel. »Es ist hoffnungslos mit Ihnen, Fräulein Wilde.« Sie streifte ihre Handschuhe ab, steckte sie mitsamt ihrer Handtasche in ein Fach ihres Schreibtisches, erklärte: »Ich gehe jetzt zum Chef. Wenn Anrufe kommen …«
»Entschuldigen Sie bitte, Fräulein Sintrop«, sagte Helen Wilde, »ich vergesse ganz, Ihnen zu sagen … Herr Berber hat eine Besprechung. Er möchte nicht gestört werden. Von niemandem.«
»Rechtsanwalt Doktor Heinrich ist bei ihm«, fügte Rolly Schwed erklärend hinzu.
Stefanie Sintrop ließ sich ihre Enttäuschung mit keinem Wimpernzucken anmerken. Sie holte sich einen Geschäftsvorgang aus dem großen Aktenschrank, begann ihn zu studieren, wobei sie sich auf ihrem Block stenografische Notizen machte.
Eines der beiden Telefone auf ihrem Schreibtisch klingelte. Sie nahm den Hörer ab, meldete sich. »Chefsekretariat der Berber-Werke. Sintrop.«
»Guten Tag, Fräulein Sintrop. Bitte, verbinden Sie mich sofort mit meinem Mann!«
Es war die wohlklingende, jetzt ein wenig aufgeregte Stimme von Ines Berber.
»Das tut mir sehr leid, gnädige Frau«, sagte Stefanie Sintrop ruhig.
»Was soll das heißen? Ist er etwa nicht in seinem Büro?«
»Doch, gnädige Frau. Aber er hat ausdrücklich Anordnung gegeben, nicht gestört zu werden. Er hat eine wichtige geschäftliche Besprechung.«
»Das interessiert mich nicht. Bitte, verbinden Sie mich! Wenn mein Mann nicht mit mir sprechen will, dann soll er mir das selbst sagen!«
»Es tut mir leid, gnädige Frau«, sagte Stefanie, »aber dazu bin ich nicht befugt.«
»Wenn mein Mann wüsste, dass ich ihn sprechen will …«
»Ich werde es ihm selbstverständlich mitteilen, sobald er wieder frei ist, gnädige Frau. Kann ich irgendetwas ausrichten?«
»Nein, danke.«
Stefanie Sintrop hörte, wie die Frau ihres Chefs den Hörer auflegte.
Susanne Berber runzelte die kindlich runde Stirn.
»Typisch«, sagte sie böse, »das hätte ich dir voraussagen können, Mami!«
»Diese Sintrop, dieser Drachen!« Jochen stellte sich auf die Zehen und wirbelte ein imaginäres Lasso über den Kopf.
»Wenn ich die mal in die Fänge kriegte, der würd’ ich’s schon zeigen! Knebeln und fesseln würde ich sie, bis sie um Gnade winselt.«
»Jochen, bitte! Hör auf mit diesem Unsinn! Du weißt, wie wenig ich das liebe.« Frau Ines Berber erhob sich aus dem kleinen Sessel neben dem Telefon im Damenzimmer, strich sich mit beiden Händen über das enganliegende weiße Jerseykleid, das ihre mädchenhafte Figur reizvoll betonte.
»Aber er hat ja recht, Mami«, sagte Susanne mit Nachdruck. »Diese Sintrop ist wirklich eine Pest! Du solltest endlich was dagegen tun!«
»Bitte, verschont mich mit diesem Gerede. Fräulein Sintrop tut nur ihre Pflicht. Wenn Vater Anweisung gegeben hat …«
»Ach was! Blödsinn!«, sagte Jochen. »Das gilt doch nicht für uns. Schließlich sind wir doch seine Familie! Jede Wette, sie sagt ihm nicht mal, dass wir ihn sprechen wollen.«
»Hat sie wenigstens gesagt, ob er zum Mittagessen nach Hause kommt?«, fragte Susanne.
»Nein.«
Frau Ines Berber warf einen Blick auf die kostbare antike Uhr auf der Rosenholzkommode. »Aber ich glaube kaum, dass wir damit rechnen können.«
»Verdammt!«, sagte Jochen. »Und was nun?«
»Jochen! Bitte einen anderen Ton!« Frau Ines Berber gab sich Mühe, streng zu sein, aber der Blick, mit dem sie ihren aufgeregten kleinen Sohn umfasste, war voller Zärtlichkeit.
»Wenn’s doch wahr ist«, maulte Jochen. »Alle anderen, die mitdürfen, haben schon längst die Erlaubnis. Bloß wir …«
»Morgen früh ist der letzte Termin«, erklärte Susanne. »Wenn wir bis dahin nicht Bescheid wissen, ist es Essig.«
»Dann werden wir eben heute Abend mit Vater darüber reden«, versuchte Frau Berber ihre Kinder zu beruhigen.
»Das sagst du nun schon jeden Tag, Mami!«, behauptete Susanne. »Aber klappen tut’s nie! Entweder kommt Vater zu spät nach Hause … oder er ist zu müde … er bringt Gäste mit oder was weiß ich sonst. Am liebsten würde ich selber zu ihm in die Fabrik fahren!«
»Au ja, fein!«, stimmte Jochen ihr begeistert zu. »Das ist die Masche! Machen wir’s gleich! Jetzt wissen wir ja, dass Vater da ist!«
»Das kommt überhaupt nicht in Frage, Kinder!« Ines fasste die beiden beschwörend bei den Schultern. »Vater hat genug Arbeit und Ärger. Ich verbiete euch, ihn auch noch mit euren Sorgen zu belasten. Ganz davon abgesehen, dass …«
Susanne unterbrach ihre Mutter, machte sich mit einem Ruck aus ihrem Griff frei. »… Fräulein Sintrop uns gar nicht vorlassen würde!«
Sie sah von einer Sekunde zur anderen nicht mehr wie ein kleines Mädchen aus, sondern wie eine gereizte, eifersüchtige Frau. »Wie ich dieses Biest hasse!«
»Sanne! Ich bitte dich!« Frau Ines hatte die Veränderung ihrer Tochter mit Schrecken bemerkt. »Das habe ich gar nicht sagen wollen! Ich habe euch nur warnen wollen. Ihr wisst beide, wie sehr Vater solche Überfälle hasst. Bestimmt würdet ihr bis zu ihm vordringen, aber erreichen würdet ihr sicher nichts.«
»Das wollen wir doch mal sehen! Buffalo Bill, der Held der Prärie …«, prahlte Jochen.
»Hör nicht auf ihn, Mami«, unterbrach Susanne ihren kleinen Bruder, schmiegte sich, wieder ganz verspieltes, kleines Mädchen, an ihre Mutter. »Hilf uns lieber, Mami. Für dich ist’s ja eine Kleinigkeit. Du brauchst bloß Ja zu sagen, und alles ist geritzt!«
»Ich habe euch schon ein paarmal erklärt … eine vierzehntägige Fahrt nach Holland, das ist keine Sache, die ich allein entscheiden kann.«
»Doch. Du kannst es, wenn du nur willst!«, sagte Susanne mit Nachdruck. »Bitte, sag Ja, Mami. Bitte, bitte, bitte! Vater bringen wir’s dann schon hinterher bei.«
»Wichtigkeit!« Jochen schnaubte durch die Nase. »Jede Wette. Der merkt nicht einmal, dass wir nicht da sind!«
»Du bist sehr ungerecht, Jochen!« Frau Berbers klare, blaue Augen wurden dunkel vor Erregung. »Ungerecht und unvernünftig. Euer Vater liebt euch, und das wisst ihr ganz genau. Für wen, glaubt ihr denn, arbeitet er sich so ab? Etwa zu seinem Vergnügen? Nein. Nur um euch eine gesicherte Zukunft bieten zu können. Dass du vorlaut bist, Jochen, habe ich dir immer wieder nachgesehen, aber Undankbarkeit kann ich nicht ertragen.«
»Entschuldige schon, Mami«, murmelte Jochen kleinlaut, »es ist mir bloß so herausgerutscht.«
»Das ist für mich keine Entschuldigung. Du bist alt genug, dir deine Worte zu überlegen.«
Jochen schlang seine Arme um den Hals der Mutter, drückte ihr einen zärtlichen Kuss auf die Wange. »Ach, Mami, sei doch nicht so streng mit uns. Ist doch klar, dass wir jetzt verbittert sind. Du weißt doch genau, dass ich’s nicht im Ernst gemeint habe!«
»Du könntest uns wirklich die Erlaubnis geben, Mami! Wirklich und wahrhaftig!«, drängte Susanne noch einmal. »Es ist doch nichts dabei! Oder hast du etwa Angst vor Vater?«
Frau Ines sah ihrer Tochter gerade in die Augen. »Nein«, sagte sie, »aber ich habe Angst um euch. Vierzehn Tage mit einer Horde von Jungen und Mädchen unterwegs, das gefällt mir gar nicht. Wenn ihr die Erlaubnis von Vater bekommt, bitte, dann habe ich nichts dagegen einzuwenden. Aber ich selber kann mich nun einmal für diesen Plan nicht begeistern. Dafür habe ich euch viel zu lieb.«
*
Es war ein Uhr vorbei, als die Tür des Chefbüros von innen geöffnet wurde.
Stefanie Sintrop erhob sich sofort, während Rolly Schwed, ohne aufzublicken, weiter auf die Tasten ihrer Schreibmaschine einhämmerte, bemüht, aufzuholen, was sie am Vormittag versäumt hatte.
Helen Wilde war zum Mittagessen in die Werkskantine gegangen.
Rechtsanwalt Dr. Heinrich, ein älterer Herr mit einem kalten, klugen Juristengesicht, trat in das Vorzimmer hinaus, grüßte mit einem Kopfnicken und einem kleinen, zerstreuten Lächeln. Stefanie Sintrop half ihm in Mantel und Hut.
»Danke, mein Kind«, sagte er abwesend. »Was ich noch sagen wollte …« Er sah Stefanie durchdringend an, aber sie kannte ihn lange genug, um zu wissen, dass er tatsächlich in Gedanken ganz woanders war.
Rechtsanwalt Heinrich sprach seinen Satz nicht zu Ende, sagte stattdessen: »Ist auch nicht so wichtig! Leben Sie wohl, meine Damen!«
Rolly ließ ein unterdrücktes Kichern hören, aber Stefanie bemerkte es nicht einmal. Sie hatte vorgehabt, sobald der Besucher gegangen war, ins Chefbüro zu gehen, aber jetzt überfielen sie Bedenken. Sie überlegte, ob es nicht besser war, zu warten, bis sie gerufen wurde.
Noch war sie zu keinem Entschluss gekommen, als die Tür abermals geöffnet wurde und Arnold Berber seinen Kopf ins Zimmer steckte. »Ist Fräulein Sintrop immer noch nicht …«, begann er, dann sah er sie, unterbrach sich, sagte mehr ärgerlich als erfreut: »Da sind Sie ja endlich! Bitte, kommen Sie! Mit Stenogramm!«
Stefanie Sintrop ging zu ihrem Schreibtisch zurück, nahm einen Stenogrammblock und zwei scharf gespitzte Bleistifte. Als sie die Schwelle zum Chefbüro überschritt, spürte sie Rolly Schweds neugierigen Blick in ihrem Rücken. Sie wusste, dass das junge Mädchen viel darum gegeben hätte, zu erfahren, was sich zwischen ihr und dem Chef hinter verschlossenen Türen abspielte.
Sie betrat das Chefbüro, einen schön geschnittenen, harmonisch eingerichteten Raum, der seine besondere Note durch einige abstrakte, außerordentlich farbkühne Gemälde erhielt. Arnold saß schon wieder hinter seinem Schreibtisch. Über seiner Nasenwurzel hatte sich eine scharfe Falte in seine Stirn gegraben, nervös trommelte er mit den schlanken, sensiblen Fingern auf die Schreibtischplatte aus weißem Ahornholz, die wie immer fast pedantisch aufgeräumt war.
»Entschuldigen Sie bitte, Herr Berber«, sagte die Chefsekretärin, »aber Sie wissen, ich musste heute früh …«
Er brauste auf. »Halten Sie mich für einen Idioten, dass ich das vergessen könnte!? Keine Vorreden, wenn ich bitten darf! Berichten Sie! Was hat man Sie gefragt?«
»Genau das, womit wir gerechnet haben.«
»Also doch. Ich hatte immer noch gehofft … aber das ließ sich ja voraussehen. Ich weiß, dass es nicht Ihre Schuld ist, Stefanie. Entschuldigen Sie, dass ich Sie vorhin angefahren habe. Es ist nur … ich bin entsetzlich nervös.«
Stefanie Sintrop trat näher. »Erst habe ich versucht, die Verantwortung auf Herrn Hugenberg abzuschieben, aber ich merkte gleich, dass es unglaubwürdig klang. Es war nicht durchzuführen.«
»Sie haben also … alles zugeben müssen?«
»Natürlich nicht. Warum sollte ich denn? Ich habe geleugnet.«
»Sie haben …« Er starrte sie an. »Das kann doch nicht Ihr Ernst sein?«
»Ich bin überzeugt, dass ich mich absolut richtig verhalten habe«, sagte sie ruhig. »Warum sollte ich etwas zugeben, was sie nicht beweisen konnten? Sie tappten völlig im Dunkeln, das habe ich gleich gemerkt. Der Staatsanwalt versuchte zu bluffen, aber darauf bin ich nicht hereingefallen.«
Sein gut geschnittenes Gesicht war sehr hart geworden; die steile Falte über seiner Nasenwurzel hatte sich noch vertieft. »Ja, haben Sie denn nicht schwören müssen?«
»Doch.« Ohne den Blick von ihm zu wenden, sagte sie nach einem tiefen Atemzug: »Ich habe einen Meineid geschworen!«
Einen Augenblick lang starrte Arnold Berber seine Sekretärin fassungslos an.
»Nein!«, stieß er hervor und noch einmal: »Nein!« Dann trat er auf sie zu. »Sind Sie wahnsinnig geworden?«
Ihr herbes Gesicht wurde plötzlich sehr weich, Tränen stiegen ihr in die dunklen Augen. »Was blieb mir denn anderes übrig?«
Er ließ sie los, stieß sie fast von sich, sagte tonlos: »Das ist ja … grauenhaft!«
Sie sah ihn an, spürte, dass er litt, auch körperlich. Zwischen Nasenflügel und Mundwinkel hatten sich zwei tiefe Furchen gegraben. Er fuhr sich mit einer gequälten Geste zum Magen.