Ist das jetzt Satire oder was? -  - E-Book

Ist das jetzt Satire oder was? E-Book

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Beschreibung

Was darf Satire? Was kann Satire? Was soll Satire? Gut dreißig Autorinnen und Autoren, darunter zahlreiche aus Titanic und taz-Wahrheit bekannte, gehen diesen Fragen nach. Ein Lesebuch mit famosen Satiren, geschickt gefakten Reportagen und spitzen Reflexionen zu Macht und Grenzen des Genres. Nach dem Attentat auf das französische Satiremagazin Charlie Hebdo wurde auch hierzulande wieder viel über das Wesen und die Aufgabe von Satire diskutiert. Heiko Werning, taz-Autor und ständiger Mitarbeiter der Titanic, und Satyr-Verleger Volker Surmann haben für diesen Band meisterliche Satiren zur bundesdeutschen Gegenwart gesammelt sowie süffisante Beiträge über Satire und ihre Rezeption zusammengetragen. Die Lage ist kurios: Satire ist so populär wie nie zuvor, das Netz ist voll mit humoristischen Seiten, doch das Satireverständnis als solches scheint sogar abzunehmen. Die aggressiv bis verunsichert vorgebrachte Frage in den Online-Kommentarspalten fehlt nämlich unter kaum einem Beitrag: "Ist das jetzt Satire oder was?" Grund genug, ein satirisches Lesebuch herauszubringen und das Verhältnis der Deutschen zur Satire gründlich zu hinterfragen - natürlich satirisch. Mit Beiträgen von Leo Fischer, Tim Wolff, Ella Carina Werner, Sebastian Krämer, Hauck & Bauer, Christian Bartel, Anselm Neft, Margarete Stokowski, Katharina Greve, Elke Wittich, Torsten Gaitzsch, Nils Heinrich, Ahne u. v. a. m.

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Heiko Werning, Volker Surmann (Hrsg.)

IST DAS JETZT SATIRE ODER WAS?

Beiträge zur humoristischen Lage der Nation

Hinweis zur Rechtschreibung in diesem Band:

Die Wahl der favorisierten Rechtschreibung oblag dem jeweiligen Verfasser.Orthografie und Grammatik in Zitaten blieben i. d. R. unverändert.

E-Book-Ausgabe Oktober 2015

© Satyr Verlag Volker Surmann, Berlin 2015www.satyr-verlag.de

Coverillustration und -grafik: Elias Hauck (Hauck & Bauer)

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über: http://dnb.d-nb.de

Die Marke »Satyr Verlag« ist eingetragen auf den Verlagsgründer Peter Maassen.

ISBN: 978-3-944035-62-8

INHALT

Heiko Werning, Volker Surmann: Einleitung

I. UND JETZT ALLE: WAS DARF SATIRE?

Kurt Tucholsky: Was darf die Satire?

Tim Wolff: Es lebe der Witz (denn das Leben ist einer)!

Stefan Gärtner: Alle Charlie, keiner Bodo

Klaus Stuttmann

Heiko Werning: Satire im Namen der Vernunft

Ahne: Zwiegespräche mit Gott. Heute: Anders begabt

Torsten Gaitzsch: Die Damhirsche und die Neunaugen

Sebastian Krämer: Unmut und Anmut des Komischen. Zum Begriff der Realsatire

Jan Gympel: Merkblatt vom Witzblatt

Francis Kirps: Gemarterte Seelen auf dem Wege der Besserung

Hauck & Bauer

Michael Ziegelwagner: Wie mir Springer einen Streich spielte

Moritz Neumeier: Satire

Elke Wittich: Satire im Netz. Oder: »Fall endlich tot um!«

Jacinta Nandi: In der Zukunft

Miriam Wurster

II. MIT MOHAMMED HÄTTET IHR EUCH DAS NICHT GETRAUT!

Leo Fischer: Die schlimmsten Leser der Welt

Volker Surmann: Wie ich einmal die Welt veränderte

Michael Ringel: Post aus Kabul

Katharina Greve

Ella Carina Werner: »Da machen Sie ein Riesenfass auf«

Heiko Werning: Hier spricht der deutsche Tierschutz

Bernd Gieseking: Nette Christen

Mark-Stefan Tietze: Opfer des Aufschwungs

Margarete Stokowski: Sie hat »ficken« gesagt

Michael Ringel: Tamtam bei der taz

Piero Masztalerz

Michael Bittner: Wie schreibe ich einen Hassbrief?

Nils Heinrich: Der Amazon-Rezensenten-Rezensent

Miriam Wurster

III. JAWOLL, ENDLICH SAGT’S MAL JEMAND!

Markus Liske: Mit dem »Penis des Blutes«

Volker Surmann: Poschardts Bürger

Anselm Neft: Schock der Woche

Thomas Blum: Stahlgewitter des Frohsinns

Christian Bartel: Talente unter Tränen

Heiko Werning: Ist das noch Wochenenddepression oder schon Midlife-Crisis?

IV. IST DAS IST JETZT SATIRE ODER WAS?

Christian Bartel: Selbstversuch in Herrenburka

Katharina Greve

Silke Burmester: Schweinebaumel am Hammel

Hazel Brugger: Das Glück bei den Füßen gepackt

Ivo Bozic: Ein Platz an der Tonne

Fritz Eckenga: Äpfelpressen in Nordhessen

Gerhard Henschel: Eine Stadt gibt sich geschlagen, doch die Menschen geben sich nicht auf

Kirsten Fuchs: Dresden, 11.11, 11:11 Uhr

Udo Tiffert: Patriot Denny Müller

Michael-André Werner: Einige aktuelle Gerichtsurteile zur Religionsfreiheit

Uli Hannemann: Tolle Werbung

Volker Surmann: Tagebuch eines Comedyautors

Die Autorinnen und Autoren

Ist Das Jetzt Satire Oder Was??

Eine Einleitung

»Was darf die Satire? Alles.«

Entschuldigung, aber wenn man ein Buch über Satire macht, kommt man um diesen Satz nicht herum. Wir dachten, wir zitieren ihn möglichst früh, dann haben wir es alle hinter uns. Denn seien wir ehrlich, normalerweise ist es doch so: Wenn irgendwo über Satire geschrieben wird, und dieses Zitat fällt in einem ernst gemeinten Kontext, also nicht selbst satirisch gebrochen, dann kann man mit sehr hoher Treffgenauigkeit annehmen, dass der Autor ein Depp ist. Und wenn diesem Zitat in irgendeiner Weise ein »aber« folgt, mit direktem Komma-Anschluss oder in relativierenden Ausführungen, dann kann man sogar sicher sein, dass der Autor ein Volldepp ist. So einfach ist die Welt manchmal.

Wenn man mit diesem schlichten Indikator die jüngsten Debattenbeiträge rund um Satire und Satirefreiheit betrachtet, muss man bestürzt feststellen, dass sie zu einem erdrückend großen Anteil von Volldeppen aufgeschrieben worden sind. Was wiederum ein tieftrauriges Bild vom Humor im deutschen Feuilleton zeichnet.

Kaum wird in Deutschland über Satire diskutiert, kramt der diensteifrige Feuilletonist oder politische Kommentator also in seinem satirischen Weltwissen, und das ist nun mal ein Mikrokosmos, und zieht dieses eine Tucholsky-Zitat hervor. Jede Wette, für die meisten ist es auch der einzige Satz, den sie überhaupt von Tucholsky kennen. (Es quiekt ein Feuilletonist dazwischen: »Stimmt doch gar nicht! ›Soldaten sind Mörder!‹, das ist auch von Tucholsky!« Tatsächlich? Und wir dachten immer, das sei von Til Schweiger. Dann entschuldigen Sie bitte.) In der Regel kennen sie den Satz auch nur vom Hörensagen, nicht etwa durch Lektüre des originären Tucholsky-Textes. Wo kämen wir denn da hin, wenn man all die Texte, aus denen man bildungsbeflissen zitiert, auch noch selbst vorher lesen müsste? Das erkennt man schon daran, dass der arme Tucholsky in der Regel falsch zitiert wird, nämlich ohne den Artikel »die«. Ja, genau: »Was darf die Satire? Alles.«

Ein ganz schön markiger Spruch, tönt es dann immer. Tucholsky! Großer Schriftsteller, wichtig, wichtig, auch integer, natürlich darf Satire alles, da hat der olle Kurt schon recht, irgendwie, also, im Prinzip sicherlich, aber … – und huch! Da ist sie schon wieder, des Deutschen liebste Zersetzungskonjunktion. Hernach wird aufgelistet, wo Tucholsky mit seinem »Alles« doch zu verallgemeinernd war und was Satire lieber nicht dürfen solle: Gefühle verletzten (religiöse, weltanschauliche, die von Hundewelpen), Witze auf Kosten von Minderheiten und anderen Personenkreisen, die sich nicht wehren können (Behinderte, Tiere, behinderte Tiere, bärtige Propheten, Feuilletonisten) oder die sich allzu sehr wehren (Islamisten, jeder, der laut genug kräht, Apple). Und, ja!, natürlich, Satire muss aufspießen – soll dabei aber bitte schön niemanden verletzen.

In der Annahme, dass unser Buch vor allem von Feuilletonisten gelesen wird (und bis zum ersten Beitrag halten selbst die ja für gewöhnlich durch), haben wir uns entschieden, es nach dieser Einleitung mit Tucholskys Originalbeitrag zu eröffnen.

Das ist ja die Last des Satirikers, man steht in einer aufklärerischen Tradition und hat immer noch diesen verdammten Bildungsauftrag an der Backe. Aber Tucholskys Text enthält durchaus noch ein paar andere hübsche Sätze. Außerdem ist er gemeinfrei und kostet uns nichts.

Ist unser ausgefuchster pädagogischer Ansatz erfolgreich, dann wird auch jeder Hinz und Kunz, der an Tucholskys Satz ein »aber« nagelt, ganz von selbst sehen, dass Tucholsky selbst damals schon Grenzen der Satire benannt hat, jedoch nicht als Schamgrenzen, sondern als Außengrenzen. Er hat die Satire von der Nichtsatire abgegrenzt, »echte Satire« vom »ständigen Eiertanz«, den – spätestens nach den Attentaten auf Charlie Hebdo – so viele wieder fordern.

Am meisten gefällt uns an Tucholskys Argumentation (na ja, zumindest Herrn Surmann, der in der Schule mal Wahrscheinlichkeitsrechnung hatte und dieses Wissen immer wieder gerne anbringt), dass sie im Grunde eine unumstößliche mathematische Wahrheit aus dem Hypothesentest enthält (man kennt es aus medizinischen Tests): Will man etwa garantiert alle mit irgendwas Infizierten aus einer Menge identifizieren, muss man das Suchraster so engmaschig anlegen, dass man sicher alle Infizierten erwischt, um den Preis, dass man dann auch Nichtinfizierte mit herausfiltert. Legt man das Suchraster dagegen weiter an, flutschen immer einige Infizierte durch. Man kann aber nur einen dieser Fehler minimieren, beide gleichzeitig geht nicht.

Satire will alle mit Dummheit Infizierten treffen, das ist ihr Ziel. Denn tut sie es nicht, wird jeder Dumme davonkommen mit dem Argument: »Ich bin’s nicht.« (Das ist natürlich ein dummes Argument, aber es kommt ja von einem Dummen.) Satire muss daher in die Breite zielen – um den Preis, dass sie immer mehr trifft, als getroffen gehören. Das ist kein Fehler der Satire, das ist ihr Wesen. Tucholsky kannte den Begriff vermutlich nicht, aber im Grunde beschreibt er einen Kollateralschaden, wenn er die Satire als »ihrem tiefsten Wesen nach ungerecht« bezeichnet und ausführt, dass die »Gerechten mit den Ungerechten« zu leiden hätten.

So ist es kein Wunder, dass Tucholskys Feststellung auch heute noch uneingeschränkt gilt: »Wenn einer bei uns einen guten politischen Witz macht, dann sitzt halb Deutschland auf dem Sofa und nimmt übel.«

Dabei boomt Satire derzeit: Böhmermann und Postillon, Heute-Show und Neues aus der Anstalt, um nur einige zu nennen, daneben natürlich die unsinkbaren Schlachtschiffe Titanic und taz-Wahrheit (gibt es den Eulenspiegel eigentlich noch?). Es wird satirisch gepostet, getwittert, geteilt und retweetet. Das Internet hat Satire beschleunigt, und es ist voll von ihr, Karikaturen und politische Cartoons schwirren uns nur so um die Ohren. Früher sagte man es durch die Blume, / heute lieber durch Cartoone. Töröö! Wahrlich: Nicht alles davon ist gut, nur das Wenigste würde unser aller Über-Kurt vermutlich als »echte« Satire durchgehen lassen, aber selbst Dieter Nuhr gelingt ja hin und wieder ein passabler Scherz.

Nun sollte man denken, dass eingedenk des flächendeckenden Bombardements durch Satire die Deutschen im Umgang mit ihr mittlerweile geübter wären. Doch weit gefehlt. So viel derzeit auch rumsatirt wird, so wenig scheinen die Rezipienten, Verbreiter und Verbraucher von Satire mit ihrem Wesen vertraut zu sein, wie die Reaktionen zeigen, wenn sie wirklich mal trifft oder ihre beleidigten Ziele, statt still vor sich hin übel zu nehmen, zur Abwechslung die Schnellfeuerwaffe unter dem Sofa hervorziehen und loslegen. Dann bricht sich zwischen Aufschrei und Solidarisierung der Zweifel an der Satire wieder Bahn.

Wir haben in diesem Band einige der wichtigsten Beiträge dokumentiert, die deutschsprachige Satiriker nach den Charlie-Hebdo-Attentaten publiziert haben, zum Teil in aktualisierten Fassungen, die mit einem halben Jahr Abstand geschrieben wurden, denn die Debatte um Satire vollführte ja kolossale Wendungen: erst das Entsetzen, dann die Solidarität, dann die Bedenkenträger, die mehr oder minder unverhohlen forderten, Satire dürfe alles, aber bloß nicht die nationale Sicherheit gefährden (oder sie selbst ärgern). Diesen Debatten haben wir den ersten Abschnitt unseres Sammelbands gewidmet.

Zum Glück haben die wenigsten Satirerezipienten eine Uzi im Haus. Dafür aber einen Computer mit Highspeed-Internetanschluss. Daher läuft das Übelnehmen heute anders ab als zu Tucholskys Zeiten. Wenn früher der stille Groll auf dem Sofa die vorherrschende Reaktion auf Satire gewesen sein soll, ist diesem spätestens im letzten Jahrzehnt ein neues Mittel an die Seite gewachsen: der Shitstorm in Form von Leserkommentaren, Tweets und Facebookeinträgen. Ein lauter Groll also. Für den man das Sofa nicht mal verlassen muss – wahrscheinlich sein Erfolgsgeheimnis.

So finden sich unter jedem halbwegs gelungenen satirischen Text im Netz mit großer Sicherheit pöbelnde Kommentare, die man mit wenigen inhaltlichen Verlusten in folgenden vier Hauptaussagen zusammenfassen kann:

–»Mit Mohammed hättet ihr euch das nicht getraut!« (Ganz gleich, ob in dem Text der Papst, Helene Fischer, Michael Schumacher, die Wombels oder Tütensuppen verspottet wurden.)

–»Das ist doch Bild-Zeitungs-Niveau!« (Gerne auch genommen von Bild-Lesern gegen Texte gegen die Bild. Kunden, die diesen Kommentar geschrieben haben, schreiben auch »Das ist doch Stürmer-Niveau!«.)

–»Ab ins Gas mit euch!« (Hier gibt es eine durchaus kenntnisreiche, große Diversität an vorgeschlagenen Todesarten, wir wollen unsere Leser nicht einfältiger darstellen, als sie in Wirklichkeit sind.)

– Und natürlich der allzeitige, universell einsetzbare Topfavorit: »Ist Das Jetzt Satire Oder Was??« Ihm zu Ehren haben wir diese kleine Sammlung nach ihm benannt.

Diese in den Kommentarspalten des Internets auftauchenden Beleidigungswellen geben uns als Satirikern einen faszinierenden Einblick in Wesen und Verständnis des Satirekonsumenten. Ein paar dieser Erkenntnisse sowie weitere Beiträge zur Rezeption dieser Kunstform haben wir in einem eigenen Kapitel versammelt. Aber Obacht und parental advisory: may contain explicit lyrics.

Nun ist es so: Satire hat eine Richtung, und zwar von unten nach oben. Satire zielt immer auch auf normative Setzungen und hinterfragt diese. Insofern kann sie nie im politischen Sinne konservativ sein, weil beharrendes Bewahren der Dynamik des Hinterfragens stets im Weg steht. Verhält es sich anders, verläuft die Richtung also von oben nach unten, sollen die bestehenden Verhältnisse zementiert statt hinterfragt werden, dann handelt es sich nicht um Satire, auch wenn ihre Urheber das gerne vorschützen (nicht zuletzt wegen des dann sehr bequemen Tucholsky-Satzes), sondern, sagen wir, um Comedy oder Karneval oder einfach nur das höhnische Johlen gemeiner Schulhofschläger oder schließlich ganz trivial um simple Hetze.

Manchmal handelt es sich aber auch um sogenannte Debattenbeiträge in der sogenannten Qualitätspresse, die sich zunehmend gerne launig bis satirisch geben. Auf jeden Fall aber mit ganz viel »Biss«. Und ist das, was Franz Josef Wagner täglich in der Bild-Zeitung schreibt, eigentlich nicht auch schon Satire? Oder doch eher Lyrik? Oder einfach nur Wahnsinn? Ist Tony Marshall wirklich nur ein harmloser Schlagersänger oder ein satirischer Performancekünstler? Und meint Xavier Naidoo das wirklich ernst, was er sagt, oder ist er ein Undercoverkollege von uns, der vorführen will, wie leicht man selbst mit dem allergrößten Quatsch noch ein »Recht hat er!«-Nicken abschöpfen kann? Im dritten Teil dieses Buches widmen wir uns beispielhaft einigen dieser Grenzgänger zwischen Realsatire (vgl. die Ausführungen von Sebastian Krämer in Teil 1) und offenkundigem Irrsinn.

Noch ein Wort zur Religion (die Überleitung, dass der Schritt vom Irrsinn zur Religion ja nur ein kleiner ist, haben wir uns wohlweislich verkniffen, wir wollen ja keine Gefühle verletzen): Heute sind die althergebrachten Normen von Religion und Bürgertum in den westlichen Gesellschaften auf dem Rückzug. Religionssatire zielt längst nicht mehr auf die religiösen Gebote an sich, sondern meistens auf die Figuren, die sie vertreten. Da reagiert ein Papst schon mal angepisst, und ein Mullah schnappatmet Fatwas aus. Religiöse Normen selbst bieten sich kaum noch als Ziel satirischen Spotts an, da sie ja schon größtenteils aus dem letzten Loch pfeifen.

Viel interessanter ist, dass mit dem Rückzug der religiösen Normen die Zahl der Normen insgesamt nicht zurückgegangen ist. Sie lauten jetzt halt anders: »Du sollst nicht blackfacen.« »Du sollst Amerika für alles Übel auf der Welt verantwortlich machen.« »Du sollst korrekt gendern.« »Du sollst kein Fleisch essen und das Tier wie einen Menschen achten.« (Auch wenn die Anhänger letzterer Norm bizarrerweise Menschen in aller Regel besonders inbrünstig hassen.)

Vor allem die Political Correctness der alternativen und linken Bewegungen gebiert zurzeit Norm um Norm, die nicht selten mit fundamentalreligiösem Fanatismus gepredigt und verteidigt werden. Die Frage ist: Welche dieser neuen moralischen Normen möchte man aufgrund schlüssiger Gründe als a priori gültig stehen lassen, und welche sind so belastbar wie eine Jungfrauengeburt?

Daher verwundert nicht, dass sich im vierten und abschließenden Teil dieser Anthologie, in dem wir ausgewählte Satiren zur Zeit versammelt haben, auffällig viele Auseinandersetzungen mit neuen Dogmen und Ideologien finden. Die drucken wir nicht ab, weil sich die alternativen Subkulturen immer so schön aufregen (na ja, gut, jedenfalls nicht nur deswegen), sondern weil Satire stets gegenmächtlich, antiideologisch und antidogmatisch auftreten muss. Und in dem Tempo, wie derzeit neue Normen auf den Markt geschmissen werden, ist es Aufgabe von Satire, sie zu hinterfragen, an ihnen zu rütteln und zu schauen, ob die Früchte der normativen Erkenntnis fest angewachsen oder bloß geistiges Fallobst sind.

Natürlich darf sich jedes Individuum so viel davon reinpfeifen, wie es will, bis es volltrunken ist von angegorenen Ideen, aber Satire muss ein- und angreifen, wenn derlei Trendgemüse als neue Früchte vom Baum der Erkenntnis gepredigt werden. Also auf: Attacke!

Bleibt uns abschließend noch der große Dank an alle Mitwirkenden dieses Buches für ihre Text- und Bildbeigaben. Ohne sie sähe dieses Buch, daran besteht kein Zweifel, anders aus.

Heiko Werning, Volker SurmannBerlin, September 2015

I.UND JETZT ALLE: WAS DARF SATIRE?

WAS DARF DIE SATIRE?

Kurt Tucholsky

Frau Vockerat: »Aber man muß doch seine Freude haben können an der Kunst.« Johannes: »Man kann viel mehr haben an der Kunst als seine Freude.« Gerhart Hauptmann

Wenn einer bei uns einen guten politischen Witz macht, dann sitzt halb Deutschland auf dem Sofa und nimmt übel.

Satire scheint eine durchaus negative Sache. Sie sagt: »Nein!« Eine Satire, die zur Zeichnung einer Kriegsanleihe auffordert, ist keine. Die Satire beißt, lacht, pfeift und trommelt die große, bunte Landsknechtstrommel gegen alles, was stockt und träge ist.

Satire ist eine durchaus positive Sache. Nirgends verrät sich der Charakterlose schneller als hier, nirgends zeigt sich fixer, was ein gewissenloser Hanswurst ist, einer, der heute den angreift und morgen den.

Der Satiriker ist ein gekränkter Idealist: er will die Welt gut haben, sie ist schlecht, und nun rennt er gegen das Schlechte an.

Die Satire eines charaktervollen Künstlers, der um des Guten willen kämpft, verdient also nicht diese bürgerliche Nichtachtung und das empörte Fauchen, mit dem hierzulande diese Kunst abgetan wird.

Vor allem macht der Deutsche einen Fehler: er verwechselt das Dargestellte mit dem Darstellenden. Wenn ich die Folgen der Trunksucht aufzeigen will, also dieses Laster bekämpfe, so kann ich das nicht mit frommen Bibelsprüchen, sondern ich werde es am wirksamsten durch die packende Darstellung eines Mannes tun, der hoffnungslos betrunken ist. Ich hebe den Vorhang auf, der schonend über die Fäulnis gebreitet war, und sage: »Seht!« – In Deutschland nennt man dergleichen ›Kraßheit‹. Aber Trunksucht ist ein böses Ding, sie schädigt das Volk, und nur schonungslose Wahrheit kann da helfen. Und so ist das damals mit dem Weberelend gewesen, und mit der Prostitution ist es noch heute so.

Der Einfluß Krähwinkels hat die deutsche Satire in ihren so dürftigen Grenzen gehalten. Große Themen scheiden nahezu völlig aus. Der einzige ›Simplicissimus‹ hat damals, als er noch die große, rote Bulldogge rechtens im Wappen führte, an all die deutschen Heiligtümer zu rühren gewagt: an den prügelnden Unteroffizier, an den stockfleckigen Bürokraten, an den Rohrstockpauker und an das Straßenmädchen, an den fettherzigen Unternehmer und an den näselnden Offizier. Nun kann man gewiß über all diese Themen denken wie man mag, und es ist jedem unbenommen, einen Angriff für ungerechtfertigt und einen anderen für übertrieben zu halten, aber die Berechtigung eines ehrlichen Mannes, die Zeit zu peitschen, darf nicht mit dicken Worten zunichte gemacht werden.

Übertreibt die Satire? Die Satire muß übertreiben und ist ihrem tiefsten Wesen nach ungerecht. Sie bläst die Wahrheit auf, damit sie deutlicher wird, und sie kann gar nicht anders arbeiten als nach dem Bibelwort: Es leiden die Gerechten mit den Ungerechten.

Aber nun sitzt zutiefst im Deutschen die leidige Angewohnheit, nicht in Individuen, sondern in Ständen, in Korporationen zu denken und aufzutreten, und wehe, wenn du einer dieser zu nahe trittst. Warum sind unsere Witzblätter, unsere Lustspiele, unsere Komödien und unsere Filme so mager? Weil keiner wagt, dem dicken Kraken an den Leib zu gehen, der das ganze Land bedrückt und dahockt: fett, faul und lebenstötend.

Nicht einmal dem Landesfeind gegenüber hat sich die deutsche Satire herausgetraut. Wir sollten gewiß nicht den scheußlichen unter den französischen Kriegskarikaturen nacheifern, aber welche Kraft lag in denen, welch elementare Wut, welcher Wurf und welche Wirkung! Freilich: sie scheuten vor gar nichts zurück. Daneben hingen unsere bescheidenen Rechentafeln über U-Boot-Zahlen, taten niemandem etwas zuleide und wurden von keinem Menschen gelesen.

Wir sollten nicht so kleinlich sein. Wir alle – Volksschullehrer und Kaufleute und Professoren und Redakteure und Musiker und Ärzte und Beamte und Frauen und Volksbeauftragte – wir alle haben Fehler und komische Seiten und kleine und große Schwächen. Und wir müssen nun nicht immer gleich aufbegehren (›Schlächtermeister, wahret eure heiligsten Güter!‹), wenn einer wirklich einmal einen guten Witz über uns reißt. Boshaft kann er sein, aber ehrlich soll er sein. Das ist kein rechter Mann und kein rechter Stand, der nicht einen ordentlichen Puff vertragen kann. Er mag sich mit denselben Mitteln dagegen wehren, er mag widerschlagen – aber er wende nicht verletzt, empört, gekränkt das Haupt. Es wehte bei uns im öffentlichen Leben ein reinerer Wind, wenn nicht alle übel nähmen.

So aber schwillt ständischer Dünkel zum Größenwahn an. Der deutsche Satiriker tanzt zwischen Berufsständen, Klassen, Konfessionen und Lokaleinrichtungen einen ständigen Eiertanz. Das ist gewiß recht graziös, aber auf die Dauer etwas ermüdend. Die echte Satire ist blutreinigend: und wer gesundes Blut hat, der hat auch einen reinen Teint.

Was darf die Satire?

Alles.

ES LEBE DER WITZ(DENN DAS LEBEN IST EINER)!

Tim Wolff

Wenige Stunden nachdem zwölf Mitarbeiter der Charlie Hebdo ermordet worden waren und ich das erste Dutzend Interviews hinter mir hatte, rief ich in die Runde meiner bereits von der unverdienten und unheimlichen Aufmerksamkeit genervten Redakteure: »Wieso muß immer alles mir passieren?« Am Abend, als ich auch noch in einem ARD-Studio die immer gleichen Fragen (»Haben Sie Angst?«, »Haben Sie auch wirklich keine Angst?«, »Haben Sie die Sicherheitsmaßnahmen erhöht?«, »Wieso haben Sie eigentlich keine Angst?«) beantwortet hatte, war endgültig klar: Ich bin eines der Hauptopfer des Anschlags.

Also schrieb ich einen Text für eine zufällig aus den Hunderten von Anfragen herausgepickte Nachrichtenseite, um die Situation wenigstens für eine Basisschulung in Sachen Satire zu nutzen. Der Text wurde erstaunlich erfolgreich, u. a. in Zeitungen dreier Länder nachgedruckt. Aber taugt denn noch, was ich da übermüdet, aufgedreht und hirngefickt spätnachts in meinem Bett in den Laptop gehauen habe? Schauen wir mal:

Es ist anläßlich der fürchterlichen Morde in Paris wohl nötig, mal wieder Grundsätzliches über Komik und Satire zu sagen. Denn nicht nur islamistischen Terroristen, so unsere Erfahrung bei der Titanic, fehlt es da an der Grundausstattung.

Daran hat sich – natürlich – wenig geändert. Durchs stets mitleidsgierige Netz ging über Wochen die erwartbare Welle unreflektierter Solidarität, die für Titanic einen bittersüßen Aborekord zur Folge hatte. Ich vermute, wenn Metzger öffentlichkeitswirksam erschossen werden, kaufen die Leute massenweise Schnitzel, wenn Satiriker, dann eben Satiremagazine. Begleitet wurde diese Welle von einer selbstverliebten Verklärung der Attentate durch jene Medien, die man auch seriöse nennt. Die hatten gleich einen Angriff auf die halt auch irgendwie sie betreffende Meinungsfreiheit ausgemacht, wo es in erster Linie um einen Anschlag auf Vertreter einer speziellen Variante einer konkreten Kunstform ging. Sowohl Publikum als auch die Traditionsmedien nahmen also etwas tödlich ernst, was genau diesem Ernst fundamental zu widerstreben versucht. Denn:

Komik ist zuallererst ein Mittel, dem Ernst des Lebens, der die meisten von uns bedrückt, selbst wenn nicht gerade Raketenwerfer in Redaktionsräumen abgefeuert werden, etwas entgegenzusetzen, im besten Falle seiner Herr zu werden. Und je ernster die Lage, desto wichtiger der Humor. Komik schafft Distanz zu bedrückenden Ereignissen, sie erlaubt, uneigentlich über eigentlich Unerträgliches zu sprechen – und so den Schrecken zu bekämpfen.

Die Raketenwerfer entspringen einer Fehlinformation aus dem frühen Nachrichtenwirrwarr, aber Maschinengewehre sind so viel besser ja auch nicht. Wichtigeres Versäumnis: Humor und Komik besser abzugrenzen. Denn Humor ist ein schwer zu fassender Begriff. Ich würde dazu neigen, ihn zwar nicht als das gleichgewichtige Gegenstück des Ernstes zu definieren – denn dieser entspricht dem vor- und überzivilisatorischen Naturzustand des Lebens –, ihn aber immerhin als die einzige Haltung anzusehen, die dieser unausweichlichen Kraft etwas profund anderes entgegenzusetzen hat: nämlich Komik.

Sehr viele Komikunkundige, ob Islamisten, Rassisten oder deutsche Durchschnittsjournalisten, begehen meist den Fehler, einen Witz auf einen unkomischen, ernsten (und zumeist noch auf einem Mißverständnis beruhenden) Aussagekern herunterbrechen zu wollen.

Mit Witz meinte ich an dieser Stelle nicht einen auf Pointe zielenden Kurztext, sondern die Essenz von Komik, das, was zum Lachen bringt. Und diese zu erkennen, verlangt vom Rezipienten immer ein dem des Produzenten ähnliches Vorwissen und einen Nerv für die Ambivalenz der Ironie. Es ist nicht wichtig, was ein Witz »ernsthaft« bedeutet, um ihn belachenswert zu finden. Womöglich ahnt der Komikunkundige das; er kann nicht ertragen, daß er als Rezipient an der Vollendung des Witzes beteiligt ist, die Lücke auffüllen muß, die ein Witz lassen muß, um Komik erzeugen zu können. Mit der Folge, daß er wahlweise den Witz nicht versteht – und sich so ausgeschlossen fühlt – oder er seine (häufig mißgünstige) Interpretation dem Komikproduzenten in die Schuhe schieben will.

So kam ich so schnell auf den deutschen Durchschnittsjournalisten zu sprechen, dem ich im Gegensatz zu religiös Irren immerhin das Interesse und die Fähigkeit zur Rezeption von Satire zutrauen möchte. Und weil sie mit ihrem Tun mehr Einfluß auf mein Dasein haben als Mohammedfanatiker. Ich würde im übrigen die These wagen, daß die Attentäter von Paris die Zeichnungen, derentwegen sie mordeten, gar nicht richtig kannten – sie mußten ja sogar erfragen, wer der Chefredakteur ist –, sie wußten nur um deren öffentliche Bedeutung. Die wer hergestellt hat?

Der professionelle Zynismus der Journalisten (persönlich sind sie natürlich alle nett) diktiert, wie ich nun aus erster Hand weiß, sich für den Moment verkaufsträchtig auch ein wenig zum Opfer und somit Kämpfer für höchste Rechtsgüter zu stilisieren, aber gleichzeitig andere, in diesem Fall auch die Titanic, in die vorderste Front zu wünschen. Denn noch besser wäre nur ein Anschlag auf deutsche Kollegen. Was mir zwangsläufig ein Problem beschert: Denn ich möchte weder den Terrorismus verharmlosen noch als Galionsfigur in einem Kampf für die Meinungsfreiheit dienen, solange diese in erster Linie die Freiheit des Springer-Verlags und seiner Epigonen ist.

Die einen, weil sie den Witz auslöschen wollen; die anderen, weil sie glauben, Satire und Komik zu ernsten Themen sei nur angebracht, wenn sie »wertvoll«, »geistreich« oder was auch immer ist.

Für ein paar Wochen schien dieser zweifelhafte Anspruch aufgrund der Heroisierung der Charlie Hebdo tatsächlich zu verschwinden. Dann folgte der diskursautomatische Zweifel an der (ohnehin verlogenen) Solidarität samt Rückfall in alte Muster (die bekanntlich bei den dänischen Mohammedkarikaturen 2006 zu wortreich begründeter Feigheit in deutschen Medien geführt hatten), mit all den ollen Fragen nach den Grenzen der Satire, der Karikatur, der Meinungsäußerung – besonders dreist und süffisant vorgeführt von den Narren der Süddeutschen Zeitung. Denn mal abgesehen von der Methode unterscheiden sich deutsche Durchschnittsjournalisten auch post Charlie in ihrer Haltung zur Satire nur bedingt von Islamisten. Allein die ständige Fragerei nach den Grenzen – als könne man diese bei welcher Kunstform auch immer im Vorhinein festlegen, ohne handfeste Zensur auszuüben – gibt der Motivation der Attentäter ein wenig Legitimation und schmäht einerseits die Getöteten, die ja wohl mit etwas abgewogenerer Satire ihr Schicksal hätten vermeiden können, nicht?; andererseits die Muslime, die Karikaturen nicht als Anlaß zum Morden sehen, auf deren Gefühle man scheint’s aber dann doch mal Rücksicht nehmen soll, wenn es um ein paar Striche auf Papier geht – als gäbe es nicht genügend handfeste Diskriminierungen.

Es ist natürlich schöner, wenn Komik auch noch eine kluge Botschaft transportiert, aber sie ist auch ohne sehr viel wert. Das müßten die meisten Menschen eigentlich wissen, denn sie praktizieren es privat. Als etwa gestern ca. 100 Journalisten Interviews und Statements von mir haben wollten, fielen immer wieder Wendungen wie »Wir wollten Sie nicht überfallen« oder »Schießen Sie los« – und was taten diese Leute, als ihnen auffiel, was sie da gerade versehentlich, aus Routine gesagt hatten? Sie lachten. Nicht etwa, weil sie sich damit über die ermordeten Satiriker lustig machten, sondern weil ihre üblichen Phrasen auf einmal in einem anderen Kontext standen, eine Bedeutung bekamen, die sie nicht haben sollten. Dahinter steckt keine wertvolle Aussage, es nimmt schlicht für einen Moment dem Ernst die Macht.

Komik ist ein anthropologischer Fakt. Der Mensch muß über etwas lachen, er kann dies primitiv und niederträchtig tun (im Islamischen Staat wird vermutlich über Geköpfte und Sklavinnen gelacht, und wen man sonst noch brutale Verachtung spüren läßt) oder mit Selbstdistanz und dem Wissen um die Uneigentlichkeit. Nur kann Komik den herrschenden Ernst nie besiegen, sondern gelegentlich seine Wirkung mildern.

Satire heißt – dies scheint mir die einzig halbwegs brauchbare Losung derzeit zu sein –, auch Komik zu erzeugen mit dem, was große Menschengruppen für heilig, unantastbar, eben dem Zweifel und der Belustigung entzogen wähnen. Und zwar Komik in all seinen Mitteln vom Nonsens bis zur Invektive. Dies gilt um so mehr für Deutschland, da es hier sonst nur Formen von Comedy und Kabarett gibt, die große Themenfelder per se ausschließen.

Und das dürfte der Grund sein, weswegen Fanatiker, speziell religiöse, Komik verachten. Sie vertreten eine todernste, einzige ewige Wahrheit, und der Witz – egal wie klug oder lustig er im Einzelfalle sein mag – bedroht diese Wahrheit. Religion (und so manch andere Weltanschauung) ist Wahnsinn im Kleide der Rationalität, Satire und Komik Rationalität im Kleide des Wahnsinns. Das eine muß das andere mißverstehen.

Eine schick formulierte Binse, unter Mithilfe der Herren Bernd Eilert und Michael Ziegelwagner. Religionssatire müßte eigentlich längst erledigt sein, weil schon alles Grundsätzliche seit Jahrhunderten gesagt ist. Weswegen Titanic den Vatikan als eine Art Königshaus sieht, religiöse Figuren nur aus konkreten, eher politischen Anlässen behandelt und somit den Islam auch nicht als akut einzig bekämpfenswerte Religion behandelt. Morde wie die in Paris berühren das Grundsätzliche nur peripher; weshalb sollte man den Mördern den Erfolg gönnen, das, was man bereits vorher als höchstens im privaten Umgang zu respektierende Angelegenheit betrachtete, nun wichtiger zu nehmen?

Deshalb werden Vertreter des heiligen Ernstes der Komik stets mit Zorn begegnen. Und es ist ihr gutes Recht. Solange sie dies mit denselben Waffen wie Satiriker tun: mit Wort und Bild. Und nicht mit Maschinenpistolen.

Seit gestern gilt mehr denn je: Es lebe der Witz. Der kluge. Der platte. Jeder, der genügend Menschen findet, die über ihn lachen. Und für alle, die ihn nicht mögen, sollte mehr denn je gelten: Ertragt ihn, oder ignoriert ihn. Ihr werdet der Komik nicht Herr!

Mit Abstand betrachtet ist mir dieser Schluß zu pathetisch. Ich möchte es jetzt lieber mit einem Sinnspruch versuchen, der mir (noch) nicht dämlich erscheint:

Das Leben ist ein Witz; man muß nur die Mittel finden, ihn zu erkennen.

ALLE CHARLIE, KEINER BODO

Stefan Gärtner

Daß es eigentlich alle wissen, wußte 2013 schon die Band Ja, Panik, und trotzdem ist man überrascht, wenn auch im Feuilleton gewußt wird, was die meisten nicht wissen wollen: »Wenn es ein Abendland gäbe, das gegen den Islam oder wen auch immer verteidigt werden müßte, worin bestünde es gegenwärtig? In einer Meinungsfreiheit, die ihren Gipfel darin erreicht, daß im Fernsehen in eigens dafür eingerichteten Gesprächsrunden arrangierte Kontroversen unter professionellen Meinungsbesitzern geführt werden? In einer Kultur des Wettbewerbs, die davon absieht, daß alle Konkurrenz weitaus mehr Verlierer als Gewinner hervorbringt? […] In der Verwahrlosung ganzer Völkerschaften, in Arbeitslosigkeit und Kriminalität, in kleinen Bürgerkriegen an den Rändern der europäischen Metropolen – und in einem erstaunlichen Frieden, in dem Menschen noch von ihrer Arbeit leben können, während um sie herum die halbe Welt auf Flucht und Wanderschaft ist?«

Daß Thomas Steinfelds gute Fragen, gestellt aus Anlaß von Houellebecqs »Unterwerfung«, an jenem Morgen in der Zeitung standen, als islamistische Mörder die Redaktion von Charlie Hebdo auslöschten, ist eine seltsame Pointe, die noch ein bißchen seltsamer wirkt, wenn zwei Tage später schon wieder zweifellos klar war, worin unsere ewigen Werte bestehen und gegen wen sie zu verteidigen sind: »Der Anschlag trifft eine kleine Zeitung, er gilt aber der ganzen freien Presse«, wußte der Frankfurter Allgemeine Berthold Kohler. »Mehr noch, er stellt eine Kriegserklärung an die ganze freie Welt dar. Die Pressefreiheit ist, wie es das Bundesverfassungsgericht schon vor einem halben Jahrhundert ausdrückte, ›schlechthin konstitutiv‹ für den demokratischen Rechtsstaat. Er kann es nicht zulassen, daß Männer mit Kalaschnikows und Panzerfäusten bestimmen, was man sagen, schreiben, zeichnen und auch nur denken darf.« Die Welt gedachte »einer Redaktion, die in ihren besten Momenten ein würdiger Erbe Voltaires sein konnte. Das heißt: bis zum letzten entschlossen, die Freiheit aller Denkenden jederzeit zu verteidigen«, und dito und für praktisch alle der Zivilgesellschafter Diekmann, der in seinem Denkerblatt einen »Anschlag auf das Herz unserer Zivilisation« notierte und »die Freiheit der Presse, die Freiheit der Meinung, die Freiheit der Künste« beschwor: »Es sind diese Freiheiten, die uns unterscheiden, abheben von den düsteren Winkeln der Welt. Es sind diese Freiheiten, auf denen Kultur, Wirtschaft, Fortschritt und Wohlstand gedeihen können.« Daß diese Freiheiten eine Spalte weiter in fortschrittlichen Schlagzeilen wie »Liebesurlaub in Dubai: So tankt Paderborn neue Power« oder »Kirstie Alley: Minus 22 Kilo« Gestalt gewannen, geschenkt, und auch Peter Rühmkorfs Beobachtung, daß die Pressefreiheit die Freiheit derer ist, denen das Papier gehört, sei hier nur der Vollständigkeit halber wiederholt. Wer aber unterschlägt, daß unsere Freiheiten ganz ursächlich mit der Teilung der Welt in Metropol- und düstere Peripherieregionen zu tun haben, wird nicht dazu beitragen, den Weltbürgerkrieg aufzuhalten. Schon eher im Gegenteil.