Ivanhoe - Der Schwarze Ritter - Walter Scott - E-Book

Ivanhoe - Der Schwarze Ritter E-Book

Walter Scott

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Beschreibung

Der angelsächsische Ritter Ivanhoe kehrt aus dem Heiligen Land nach England zurück. Obwohl er wegen seiner Gefolgschaft für Richard Löwenherz und seiner Liebe zu Rowena von seinem Vater vom Hof verstoßen wurde, schleicht er sich als Pilger verkleidet dort ein. In der Abwesenheit des Königs Richard Löwenherz hat dessen Bruder Johann versucht, die Macht an sich zu reißen. Gemeinsam mit dem geheimnisvollen schwarzen Ritter kämpft Ivanhoe gegen Johanns französische Verbündete. Aber er hat auch noch einen eigenen Kampf auszufechten, nämlich den um die Liebe seiner Angebeteten, Lady Rowena. Der Roman wurde mehrfach verfilmt. Der im Jahre 1952 gedrehte Film »Ivanhoe - Der schwarze Ritter« mit Robert Taylor und Elizabeth Taylor wurde für drei Oscars nominiert. Null Papier Verlag

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Seitenzahl: 571

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Sir Walter Scott

Ivanhoe - Der Schwarze Ritter

Sir Walter Scott

Ivanhoe - Der Schwarze Ritter

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected]Übersetzung: Richard Zoozmann EV: Th. Knaur Nachf. 4. Auflage, ISBN 978-3-954182-71-8

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Inhaltsverzeichnis

Das Buch

Ers­tes Ka­pi­tel

Zwei­tes Ka­pi­tel

Drit­tes Ka­pi­tel

Vier­tes Ka­pi­tel

Fünf­tes Ka­pi­tel

Sechs­tes Ka­pi­tel

Sie­ben­tes Ka­pi­tel

Ach­tes Ka­pi­tel

Neun­tes Ka­pi­tel

Zehn­tes Ka­pi­tel

Elf­tes Ka­pi­tel

Zwölf­tes Ka­pi­tel

Drei­zehn­tes Ka­pi­tel

Vier­zehn­tes Ka­pi­tel

Fünf­zehn­tes Ka­pi­tel

Sech­zehn­tes Ka­pi­tel

Sieb­zehn­tes Ka­pi­tel

Acht­zehn­tes Ka­pi­tel

Neun­zehn­tes Ka­pi­tel

Zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Ein­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Zwei­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Drei­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Vier­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Fün­f­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Sechs­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Sie­ben­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Acht­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Neun­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Drei­ßigs­tes Ka­pi­tel

Ein­und­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel

Zwei­und­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel

Drei­und­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel

Vierund­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel

Fün­fund­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel

Sechs­und­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel

Sie­ben­und­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel

Achtund­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel

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Der Graf von Mon­te Chri­sto

Die Schat­zin­sel

Ivan­hoe

Oli­ver Twist oder Der Weg ei­nes Für­sor­ge­zög­lings

Ro­bin­son Cru­soe

Das Got­tes­le­hen

Meis­ter­no­vel­len

Eine Weih­nachts­ge­schich­te

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Das Buch

Der an­gel­säch­si­sche Rit­ter Ivan­hoe kehrt aus dem Hei­li­gen Land nach Eng­land zu­rück. Ob­wohl er we­gen sei­ner Ge­folg­schaft für Richard Lö­wen­herz und sei­ner Lie­be zu Ro­we­na von sei­nem Va­ter vom Hof ver­sto­ßen wur­de, schleicht er sich als Pil­ger ver­klei­det dort ein.

In der Ab­we­sen­heit des Kö­nigs Richard Lö­wen­herz hat des­sen Bru­der Jo­hann ver­sucht, die Macht an sich zu rei­ßen. Ge­mein­sam mit dem ge­heim­nis­vol­len schwar­zen Rit­ter kämpft Ivan­hoe ge­gen Jo­hanns fran­zö­si­sche Ver­bün­de­te. Aber er hat auch noch einen ei­ge­nen Kampf aus­zu­fech­ten, näm­lich den um die Lie­be sei­ner An­ge­be­te­ten, Lady Ro­we­na.

Der Ro­man wur­de mehr­fach ver­filmt. Der im Jah­re 1952 ge­dreh­te Film »Ivan­hoe -- Der schwar­ze Rit­ter« mit Ro­bert Tay­lor und Eli­z­abeth Tay­lor wur­de für drei Os­cars no­mi­niert.

»Wenn Euer Geg­ner hier wäre, so wäre Eure Her­aus­for­de­rung an­ge­nom­men«, ver­setz­te der Pil­grim. »So aber braucht Ihr die Ru-he die­ser Hal­le nicht zu er­schüt­tern, in­dem Ihr prah­le­risch von dem Aus­gan­ge ei­nes Zwei­kamp­fes re­det, der ja doch, wie Ihr wisst, nie statt­fin­den kann. Wenn Ivan­hoe je zu­rück­kehrt, so will ich Bür­ge für ihn sein, dass er sich Euch zum Kamp­fe stel­len wird.«

*

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Erstes Kapitel

In der an­mu­ti­gen Pro­vinz des glück­li­chen Eng­land, die der Don durch­strömt, dehn­te sich in al­ter Zeit ein großer Wald aus, der die lieb­li­chen Hü­gel und Tä­ler zwi­schen Shef­field und der freund­li­chen Stadt Don­cas­ter be­deckt. Über­res­te die­ses mäch­ti­gen Fors­tes fin­det man noch in der Um­ge­gend der Rit­ter­sit­ze Went­worth, Warn­clif­fe-Park und bei Ro­ther­ham. Hier haus­te einst der sa­gen­haf­te Dra­che von Want­ley, hier wur­de man­che blu­ti­ge Schlacht im Bür­ger­krieg der wei­ßen und ro­ten Rose aus­ge­foch­ten, hier trie­ben vor al­ten Zei­ten die toll­küh­nen Räu­ber­hor­den ihr We­sen, de­ren Ta­ten durch die eng­li­schen Volks­lie­der über­all be­kannt ge­wor­den sind. Und hier liegt auch der ei­gent­li­che Schau­platz die­ser Er­zäh­lung und die Zeit, zu der sie spielt, reicht bis zum Ende der Re­gie­rung Richards des Ers­ten, als sei­ne Un­ter­ta­nen, die wäh­rend sei­ner lan­gen Ge­fan­gen­schaft auf jede mög­li­che Wei­se be­drückt und ge­knech­tet wa­ren, sei­ne Rück­kehr wohl von Her­zen wünsch­ten, doch nicht zu er­hof­fen wag­ten. Der Adel, der wäh­rend Ste­phans Re­gie­rung zu un­be­grenz­ter Macht ge­langt war, und den Hein­rich der Zwei­te durch klu­ge Po­li­tik der Kro­ne et­was von Neu­em un­ter­tä­nig ge­macht hat­te, schlug jetzt wie­der völ­lig über die Strän­ge, küm­mer­te sich nicht um den ohn­mäch­ti­gen Pro­test des eng­li­schen Staats­ra­tes, be­fes­tig­te sei­ne Sch­lös­ser, ver­stärk­te die Zahl sei­ner Hö­ri­gen und Rei­si­gen, mach­te sich al­les in sei­ner Um­ge­bung zu Va­sal­len und bot alle Kraft auf, um, je­der in sei­nem Krei­se, zu Macht und Ge­walt zu ge­lan­gen und in den al­ler Voraus­sicht nach nahe be­vor­ste­hen­den staat­li­chen Ka­ta­stro­phen eine her­vor­ra­gen­de Rol­le spie­len zu kön­nen. Die An­ge­hö­ri­gen des nie­de­ren Adels oder die Fran­klins, wie man sie nann­te, die von Ge­set­zes we­gen und durch den Geist der eng­li­schen Ver­fas­sung be­rech­tigt wa­ren, von der Feu­dal­ty­ran­nei un­ab­hän­gig zu blei­ben, wur­den durch die­se Zu­stän­de mehr als je in ih­rer Exis­tenz ge­fähr­det. Wenn sie sich, was meist der Fall war, dem Schut­ze ei­nes der klei­nen Kö­ni­ge aus ih­rer Um­ge­bung un­ter­stell­ten, an sei­nem Hofe Lehns­diens­te ta­ten, oder sich in ei­nem ge­gen­sei­ti­gen Schutz- und Trutz­bünd­nis ver­pflich­te­ten, ihm in sei­nen Un­ter­neh­mun­gen Bei­stand zu leis­ten, so hat­ten sie sich al­ler­dings wohl eine vor­über­ge­hen­de Si­cher­heit er­kauft, aber eben da­für die Un­ab­hän­gig­keit hin­ge­ge­ben, die je­dem eng­li­schen Her­zen lieb und teu­er ist, und sie konn­ten mit Be­stimmt­heit dar­auf rech­nen, in ein un­be­son­ne­nes Un­ter­neh­men hin­ein­ge­zo­gen zu wer­den, zu dem sich ihr Schutz­herr aus Ehr­geiz hin­rei­ßen las­sen wür­de. Auf der an­de­ren Sei­te stan­den den mäch­ti­gen Baro­nen so vie­le Mit­tel zu Ge­bo­te, die klei­nen Ad­li­gen zu knech­ten und zu schu­ri­geln, dass sie nie um einen Vor­wand ver­le­gen wa­ren und nur in sel­te­nen Fäl­len dar­auf ver­zich­te­ten, mit ih­ren Feind­se­lig­kei­ten alle die un­ter ih­ren we­ni­ger mäch­ti­gen Nach­barn zu ver­fol­gen, die es wag­ten, sich ih­rer Ober­herr­schaft zu ent­zie­hen und in die­sen ge­fahr­vol­len Zei­ten ih­ren ein­zi­gen Schutz in ih­rer ma­kel­lo­sen Füh­rung und in den Ge­set­zen des Lan­des zu su­chen.

Ein Um­stand, dem es zum großen Tei­le zu­zu­schrei­ben war, dass der hohe Adel ein so ty­ran­ni­sches We­sen trei­ben durf­te und dass sei­ne nie­de­ren Klas­sen in so arge Be­dräng­nis ge­ra­ten wa­ren, lag in den Fol­gen, die die Erobe­rung des Her­zogs von der Nor­man­die mit sich brach­te. In vier Ge­schlech­tern hat­te sich we­der das feind­li­che Blut der Nor­man­nen und der An­gel­sach­sen ver­mi­schen, noch hat­ten sich durch glei­che Spra­che, glei­che Zie­le und In­ter­es­sen zwei feind­li­che Stäm­me mit­ein­an­der ver­schmel­zen kön­nen, denn auf der einen Sei­te mach­ten sich stets der Stolz und der Dün­kel des Sie­gers gel­tend, und auf der an­de­ren hat­ten die Fol­gen der Nie­der­la­ge denn doch zu tie­fe Wun­den ge­schla­gen.

Nach der Schlacht von Has­tings hat­te der nor­man­ni­sche Adel die Ge­walt völ­lig in Hän­den, und er mach­te nicht eben mil­den Ge­brauch da­von. Das Ge­schlecht der säch­si­schen Fürs­ten und Edel­her­ren war ent­we­der völ­lig ver­nich­tet oder sei­nes Erb­teils be­raubt wor­den, bis auf we­ni­ge aus der zwei­ten oder noch nied­ri­ge­ren Klas­se, die im Lan­de ih­rer Vä­ter noch als Her­ren auf ei­ge­nem Grund und Bo­den sa­ßen. Lan­ge hat­te der Kö­nig sei­ne Ge­walt da­hin zu nut­zen ver­sucht, je­nen Teil der Be­völ­ke­rung, der er­wie­se­ner­ma­ßen stets einen tief ein­ge­wur­zel­ten Hass ge­gen den Sie­ger und Un­ter­drücker hegt, in sei­ner Macht zu schmä­lern. Alle Herr­scher nor­man­ni­schen Ge­blüts be­kun­de­ten un­strei­tig stets die of­fens­te Vor­lie­be für ihre nor­man­ni­schen Un­ter­ta­nen. Jagd­ge­set­ze und an­de­re Pa­ra­gra­fen, von de­nen der freie duld­sa­me Geist der säch­si­schen Ver­fas­sung nichts wuss­te, wa­ren dem Na­cken der un­ter­joch­ten Be­woh­ner auf­ge­bür­det wor­den, um die Fes­seln der Feu­dal­herr­schaft noch schwe­rer zu ge­stal­ten. Am Hofe selbst und in den Sch­lös­sern der ho­hen Her­ren, wo man dem Lu­xus und der Pracht des Ho­fes gleich­zu­kom­men streb­te, war nur die nor­man­nisch-fran­zö­si­sche Spra­che im Ge­brauch und in der glei­chen Spra­che wur­den auf den Ge­rich­ten die Kla­gen und die Ur­tei­le ab­ge­fasst. Mit ei­nem Wort: Fran­zö­sisch war die Spra­che der vor­neh­men Welt, der Rit­ter­schaft und der Her­ren vom Ge­richt, wäh­rend das aus­drucks­vol­le und mann­haf­te­re An­gel­säch­sisch nur noch bei den Bau­ern und Knech­ten in Ge­brauch war, die ei­ner an­de­ren Spra­che nicht mäch­tig wa­ren. Und da nun die Grund­be­sit­zer mit den Bau­ers­leu­ten Ge­mein­schaft un­ter­hal­ten muss­ten, so bil­de­te sich all­mäh­lich aus die­sem Ver­kehr eine be­son­de­re Mund­art, eine Mi­schung aus Fran­zö­sisch und An­gel­säch­sisch, in der sie sich un­ter­ein­an­der ver­stän­dig­ten. Die­ser aus Zwang ent­stan­de­ne Dia­lekt hat dann die eng­li­sche Spra­che ge­zei­tigt, in der sich die Spra­che der Sie­ger mit der der Be­sieg­ten aufs Glück­lichs­te ver­quickt hat und die dann im Lau­fe der Zeit aus Über­tra­gun­gen aus den Spra­chen des klas­si­schen Al­ter­tums und aus der Li­te­ra­tur der süd­li­chen Völ­ker Eu­ro­pas in ho­hem Maße be­rei­chert wor­den ist. -- Der Ver­fas­ser glaub­te, den Le­ser über die­sen Zu­stand der Din­ge un­ter­rich­ten zu müs­sen, da­mit er stets des­sen ein­ge­denk sein soll, dass eine Na­tio­nal­ver­schie­den­heit zwi­schen den Sach­sen und den Sie­gern und die nie ge­schwun­de­ne Erin­ne­rung an das, was sie ge­we­sen und was jene aus ih­nen ge­macht hat­ten, bis in die Re­gie­rung Eduards des Drit­ten stets wach ge­blie­ben ist. Die Wun­den, die der Geg­ner ge­schla­gen hat­te und die er, so­bald sie im Ver­nar­ben wa­ren, stets wie­der auf­riss, lie­ßen eine schar­fe Schei­dung zwi­schen den Ab­kömm­lin­gen der sieg­rei­chen Nor­man­nen und den Nach­kom­men der un­ter­drück­ten Sach­sen im­mer merk­lich er­ken­nen.

Auf ei­ner der sat­ten Wie­sen des an­fangs er­wähn­ten Wal­des lag hel­ler Son­nen­schein. Hun­der­te von brei­ten, kurz­stäm­mi­gen Ei­chen, die viel­leicht schon die rö­mi­schen Le­gio­nen in pracht­vol­lem Auf­zug vor­über­zie­hen sa­hen, be­schat­te­ten mit ih­ren wei­t­aus­la­den­den knor­ri­gen Zwei­gen den dich­ten grü­nen Tep­pich des lieb­li­chen Ra­sens. An man­chen Stel­len stan­den Bu­chen, Pap­peln und an­de­re Baumar­ten in so dich­tem Ge­misch da­zwi­schen, dass die Strah­len der sin­ken­den Son­ne kaum hin­durch­drin­gen konn­ten. An an­de­ren Stel­len bot sich ein wei­ter, herr­li­cher Durch­blick, in die das Auge so gern hin­ein­späht, wäh­rend die Fan­ta­sie in ih­ren Grün­den noch Bil­der der Wald­ein­sam­keit er­war­tet. Die Pur­pur­strah­len der un­ter­ge­hen­den Son­ne ver­brei­te­ten hier einen mil­den fah­len Schein, der da und dort auf den Zwei­gen und Stäm­men lag, und auch auf dem Ra­sen mal­ten sich stel­len­wei­se Flä­chen von Licht, die den Weg der Son­ne be­zeich­ne­ten. Ein wei­ter Kreis in der Mit­te des Gras­p­lat­zes schi­en vor Zei­ten dem Göt­zen­dienst der Drui­den ge­weiht ge­we­sen zu sein; denn oben auf ei­nem Hü­gel, der so re­gel­mä­ßig er­schi­en, als ob er von Men­schen­hän­den er­rich­tet wor­den sei, wa­ren die Über­res­te ei­nes großen Krei­ses aus ro­ten, un­be­haue­nen Stei­nen zu se­hen. Sie­ben von ih­nen wa­ren hoch­ge­stellt, die an­de­ren la­gen flach um­her und wa­ren durch­ein­an­der­ge­wor­fen, viel­leicht von ei­nem zum Chris­ten­tum be­kehr­ten Ei­fe­rer. An­de­re wie­der la­gen dicht an ih­rem al­ten Fleck, an­de­re auf dem Ab­hang des Hü­gels. Nur ein großer, um­fäng­li­cher Block war ganz her­un­ter­ge­glit­ten und hat­te den Lauf ei­nes klei­nen Ba­ches ver­sperrt, der sich sanft um den Fuß des Hü­gels her­um­schlän­gel­te und nun in lei­sem Mur­meln über die­ses Hemm­nis hin­weg­rann.

Zwei mensch­li­che Ge­stal­ten wa­ren in die­ser Land­schaft zu se­hen und Tracht und Er­schei­nung kenn­zeich­ne­te sie in ih­rer Wild­heit und Rau­heit als Wald­be­woh­ner des Wes­tens von Yorks­hi­re. Der Äl­te­re von bei­den sah ernst, wild und düs­ter aus. Sei­ne mehr als ein­fa­che Klei­dung be­stand aus ei­ner knap­pen Är­mel­ja­cke aus ge­gerb­tem Tier­fell, an der sich das ur­sprüng­lich nicht ab­ge­scho­re­ne Haar mit der Zeit so sehr ab­ge­schabt hat­te, dass sich aus dem, was noch dar­an war, schwer hät­te sa­gen las­sen, von wel­chem Tie­re der Pelz stamm­te. Die­ser Über­kit­tel ging vom Hals bis zum Knie und be­deck­te also den gan­zen Leib, und das ein­zi­ge Loch, das er hat­te, war ge­ra­de groß ge­nug, dass der Kopf hin­durch­ge­steckt wer­den konn­te. Er muss­te mit­hin wie ein Hemd beim An­zie­hen über Kopf und Schul­tern ge­streift wer­den. San­da­len mit schweins­le­der­nen Rie­men schütz­ten die Füße, eine Rol­le von dün­nem Le­der war als Ga­ma­sche um die Bei­ne ge­schlun­gen wor­den und ließ, wie es bei den schot­ti­schen Hoch­län­dern Brauch war, das Knie nackt. Da­mit die Ja­cke pral­ler sit­zen soll­te, war sie in der Mit­te durch einen brei­ten Le­der­gür­tel mit me­tal­le­ner Schnal­le zu­sam­men­ge­hal­ten. An die­sem Gurt hing an der einen Sei­te eine Art Ta­sche, an der an­de­ren ein zum Bla­sen ge­rich­te­tes Wid­der­horn mit Mund­stück. Fer­ner steck­te dar­in ein lan­ges, brei­tes Mes­ser mit scharf zu­ge­spitz­ter zwei­schnei­di­ger Klin­ge und ei­nem Griff aus Hirsch­horn. Der­ar­ti­ge Mes­ser wur­den in die­ser Ge­gend her­ge­stellt und hie­ßen schon da­mals Shef­field­mes­ser. Der Mann hat­te zur Kopf­be­de­ckung nichts wei­ter als sein star­kes zu­sam­men­ge­raff­tes und ge­floch­te­nes Haar, das im Schei­ne der Son­ne wie dun­kel­rot er­schi­en und stark ge­gen den die Wan­gen be­de­cken­den Bart ab­stach, der die Far­be des Bern­steins hat­te. Ein sehr selt­sa­mes Stück sei­nes An­zu­ges muss noch ge­nannt wer­den, näm­lich ein me­tal­le­ner Ring, der wie ein Hun­de­hals­band aus­sah, aber kei­ne Öff­nung hat­te und sich fest um den Hals schloss, ohne dass der Mann da­durch am At­men be­hin­dert wor­den wäre. Auf die­sem merk­wür­di­gen Hals­schmuck, der nur mit der Fei­le zu lö­sen ge­we­sen wäre, stand in an­gel­säch­si­schen Buch­sta­ben die fol­gen­de In­schrift: Gurth, Beo­wulfs Sohn, ist durch Ge­burt Leib­ei­ge­ner Ce­d­rics von Ro­ther­wood.

Ne­ben die­sem Schwei­ne­hir­ten, denn dies war Gurths Amt, saß auf ei­nem Trüm­mer­stein der Drui­den­stät­te ein Mann, der zehn Jah­re jün­ger zu sein schi­en und des­sen Tracht im Schnitt der sei­nes Ge­fähr­ten ähn­lich, je­doch aus bes­se­rem Stoff ge­fer­tigt war und fan­tas­ti­scher aus­sah. Sein Wams war frü­her von hel­lem Pur­pur ge­we­sen und un­be­hol­fe­ne Ver­zie­run­gen in ver­schie­de­nen Far­ben wa­ren gro­tesk dar­auf ge­malt wor­den. Der Man­tel, der ihm nur bis zur Hälf­te des Lei­bes reich­te und aus kar­me­sin­ro­tem Tuch mit hell­gel­ber Ein­fas­sung be­stand, war schon stark ab­ge­tra­gen, und da er um bei­de Schul­tern ge­wor­fen und um den Leib ge­schlun­gen wer­den konn­te, so war er im Ver­gleich zu sei­ner Kür­ze un­ver­hält­nis­mä­ßig weit und gab da­her ein recht selt­sa­mes Klei­dungs­stück ab. Der Mann trug schma­le, sil­ber­ne Arm­bän­der und um den Hals ein Band von dem glei­chen Me­tall mit der In­schrift: Wam­ba, Sohn des Wit­less, ist Leib­ei­ge­ner Ce­d­rics von Ro­ther­wood. Er trug San­da­len wie sein Ge­fähr­te, aber statt der Le­der­rol­len hat­te er rich­ti­ge Ga­ma­schen, von de­nen die eine rot, die an­de­re gelb war. Sei­ne Müt­ze war mit ei­ner Men­ge Schel­len be­setzt wie man sie den Fal­ken an­hängt. Die klin­gel­ten, wenn er den Kopf be­weg­te, und da er nicht einen Au­gen­blick still saß, so klirr­te und klim­per­te es un­auf­hör­lich. Um die Spit­ze der Müt­ze lief ein brei­tes Band von stei­fem Le­der, das oben aus­ge­zackt war und wie eine klei­ne Kro­ne aus­sah. Aus ihr hing eine Art Beu­tel her­vor, der auf die Schul­ter her­ab­bau­mel­te und sich fast wie eine alte Nacht­müt­ze oder wie ein Husa­ren­käp­pi aus­nahm. Auch dar­an hin­gen Glöck­chen.

Die­ser gan­ze Auf­putz und der halb­pfif­fi­ge, hal­b­ir­re Aus­druck sei­nes Ge­sichts kenn­zeich­ne­ten ihn hin­läng­lich als einen je­ner Haus­nar­ren, die sich die Rei­chen zum Zeit­ver­treib hal­ten, um bes­ser über die lang­wei­li­gen Stun­den hin­weg­zu­kom­men, die ih­nen in ih­ren vier Pfäh­len nicht er­spart blei­ben. Wie sein Ge­fähr­te trug auch er eine Art Ta­sche am Gurt, aber er hat­te we­der Horn noch Mes­ser, wahr­schein­lich weil es für ge­fähr­lich er­ach­tet wur­de, dem Men­schen­schlag, zu dem er ge­hör­te, schar­fe In­stru­men­te in die Hand zu ge­ben. Da­ge­gen führ­te er ein höl­zer­nes Schwert wie Kas­per­le auf dem Thea­ter. Wie das Äu­ße­re der bei­den Män­ner einen schar­f­aus­ge­präg­ten Ge­gen­satz er­ken­nen ließ, so auch ihr Blick und ihr We­sen. Der Hirt und Leib­ei­ge­ne hat­te ein trü­bes und düs­te­res Ge­ba­ren. Das Auge war mit dem Aus­druck tiefer Verzweif­lung zu Bo­den ge­senkt und schi­en gänz­li­che Apa­thie zu be­kun­den, nur ab und zu flamm­te es in sei­nem ro­ten Auge auf und deu­te­te dar­auf hin, dass sich un­ter sei­nem dump­fen Klein­mut die Emp­fin­dung, ge­knech­tet zu sein, und das Ver­lan­gen, sich da­ge­gen auf­zu­bäu­men, schlum­mernd reg­ten. Wam­bas Mie­ne da­ge­gen ver­riet die bei Men­schen sei­nes Schla­ges in der Re­gel vor­han­de­ne Neu­gier, eine queck­sil­ber­ne Hast und die größ­te Zufrie­den­heit mit sei­ner Lage und sei­ner Klei­dung. Bei­de un­ter­hiel­ten sich an­gel­säch­sisch, eine Spra­che, die, wie schon er­wähnt, aus­schließ­lich bei den nie­de­ren Klas­sen in Ge­brauch war.

»Hol der hei­li­ge Wi­thold die ver­flix­ten Schwei­ne!«, brumm­te der Hirt, nach­dem er aus Lei­bes­kräf­ten ins Horn ge­bla­sen hat­te, um die ver­streu­te Her­de zu­sam­men­zu­brin­gen, die sei­nem Rufe zwar in eben­so me­lo­di­scher Wei­se ant­wor­te­te, aber doch von sei­nem le­cke­ren und rei­chen Mah­le aus Ei­cheln und Buch­e­ckern nicht weg­zu­brin­gen war. Auch hat­ten sie nicht die ge­rings­te Lust, das schlam­mi­ge Ufer des Flus­ses zu ver­las­sen, wo sich meh­re­re recht ge­mäch­lich im Mo­ras­te wälz­ten und das Horn bla­sen lie­ßen, was es bla­sen moch­te.

»Hol sie der hei­li­ge Wi­thold und mich selbst!«, sag­te Gurth. »Wenn der Wolf mit zwei Bei­nen nicht noch ’n paar vor der Nacht weg­maust,1 will ich kei­ne ehr­li­che Krea­tur sein. -- Hier­her! Fangs! Hier­her!«, schrie er sei­nem zot­ti­gen Hun­de zu, ei­nem wolf­s­ähn­li­chen Tie­re, halb Bul­len­bei­ßer, halb Wind­spiel, der eif­rig hin und her hetz­te, um die wi­der­spens­ti­gen Grun­zer sei­nem Herrn sam­meln zu hel­fen. Ent­we­der aber ver­stand er die Horn­si­gna­le sei­nes Herrn nicht und wuss­te auch noch nicht, was ihm zu tun ob­lag, oder er han­del­te aus vor­sätz­li­cher Bös­wil­lig­keit so, denn er trieb die Schwei­ne nur noch mehr aus­ein­an­der und mach­te da­her das Übel nur noch är­ger.

»Mag der Dei­bel2 dem Viech die Zäh­ne aus­rei­ßen!«, schimpf­te Gurth. »Wam­ba, wenn du ’n bra­ver Kerl bist, so komm und hilf mir! Lauf um den Hü­gel rum, dass du ih­nen in ’n Rücken kommst. Wenn du ih­nen die Wit­te­rung ab­kriegst, kannst du sie wie harm­lo­se Läm­mer­chen vor dir her­trei­ben.«

»Weiß der Kuckuck!«, sag­te Wam­ba, ohne sich vom Fle­cke zu rüh­ren, »ich habe mei­ne Bei­ne ge­fragt, wie sie drü­ber den­ken, und die mei­nen nu mal, dass ich mei­ne Klei­der nicht durch die­se Pfüt­zen trei­ben dür­fe, wenn ich mich nicht ge­ra­de­zu ver­sün­di­gen will an mei­ner ho­hen Per­son und mei­ner fürst­li­chen Gar­de­ro­be. Der­ent­we­gen rat ich dir, Gurth, ruf den Fangs weg und über­las­se die Her­de ih­rem Schick­sal. Ob sie nu rum­zie­hen­den Sol­da­ten oder Räu­bern oder lang­wei­li­gen Pil­gern in die Hän­de fällt, es kommt doch al­les auf eins raus. Eh näm­lich der Tag an­bricht, wer­den die Schwei­ne zu dei­ner Freu­de in Nor­man­nen ver­wan­delt sein.«

»Die Schwei­ne in Nor­man­nen?«, frag­te Gurth. »Er­klär mir das, Wam­ba, denn mein Schä­del ist zu blö­de und mein Ge­müt zu be­drückt, als dass ich lus­tig ge­nug wär, um Rät­sel zu knacken.«

»Wie nennst du das grun­zen­de Viech­zeug, das sich auf vier Bei­nen rum­treibt?«, frag­te Wam­ba.

»Schwei­ne, Narr, Schwei­ne«, sag­te der Hirt, »das weiß je­der Narr.«

»Und Schwein ist ’n gut säch­sisch Wort«, sag­te der Haus­narr. »Aber wie nennst du die Sau, wenn sie aus­ge­wei­det, ab­ge­sengt und auf­ge­hängt ist wie ’n Hoch­ver­rä­ter?«

»Porc!«, ver­setz­te der Hirt.

»Freut mich, dass auch das je­der Narr weiß«, ant­wor­te­te Wam­ba. »Und Porc ist gut nor­man­nisch-fran­zö­sisch. Wenn das Viech lebt und von ’nem säch­si­schen Leib­eig­nen ge­hü­tet wird, dann hat’s sei­nen säch­si­schen Na­men, aber es wird ’n Nor­man­ne und heißt Porc, wenn es in ’n statt­li­ches Schloss ge­bracht und den ed­len Her­ren zum Mah­le auf­ge­tischt wird. Was sagst du dazu, Freund Gurth?«

»Das hat Hand und Fuß, Freund Wam­ba, wenn’s auch der Schä­del ei­nes Nar­ren aus­ge­heckt hat.«

»Noch mehr kann ich dir sa­gen«, fuhr Wam­ba im glei­chen Tone fort. »Da ist der ehr­li­che Al­der­mann Ochs, der be­hält auch sei­nen säch­si­schen Na­men, so­lang er von Knech­ten und Leib­ei­ge­nen be­wacht wird, aber so­bald er vor die hoch­ge­ehr­ten Kinn­la­den kommt, die al­lein auf Er­den dazu da sind, ihn auf­zues­sen, dann wird er so­gleich ’n stol­zer, ele­gan­ter Fran­zo­se und nennt sich Boeuf. Und das gute Bür­sch­chen Kalb wird auf die­se Wei­se Mon­sieur de Veau. So­lang es un­ter Auf­sicht ist, bleib­t’s ein Sach­se, und so­bald es eine Sa­che des Ge­nus­ses wird, ist ’n Nor­man­ne draus ge­wor­den.«

»Beim hei­li­gen Duns­tan!«, ent­geg­ne­te Gurth. »Was du da sagst, ist lei­der al­les wahr. Nicht viel mehr ist uns ge­las­sen, als die Luft, die wir at­men, und auch die schei­nen sie uns nur un­gern zu gön­nen und nur des­halb zu las­sen, da­mit wir die Las­ten tra­gen kön­nen, die sie un­serm Bu­ckel auf­ge­bür­det ha­ben. Das Leckers­te und das Fet­tes­te ist für ihre Ta­fel, und das Hüb­sche­s­te für ihr Bett, die Tüch­tigs­ten müs­sen als Sol­da­ten un­ter die frem­de Herr­schaft, in fer­nen Lan­den blei­chen ihre Kno­chen und nur we­nig blei­ben üb­rig, die die Macht hät­ten und wil­lens wä­ren, die un­glück­li­chen Sach­sen zu be­schüt­zen. Gott seg­ne un­sern Herrn Ce­d­ric! Der hat ge­han­delt wie ’n Mann, der in die Bre­sche sprin­gen will; aber Re­gi­nald Front-de-Boeuf durch­zieht selbst das Land, und wir wer­den ja se­hen, wie we­nig alle Sor­ge und Mühe Ce­d­rics hel­fen wird. -- Hier­her, hier­her!«, rief er, wie­der die Stim­me er­he­bend. »Hal­lo, hal­lo! Wa­cker, Fangs! Nu hast du sie alle bei­sam­men und treibst sie wei­ter vor dir her!«

»Gurth«, sag­te der Narr, »du hältst mich für ’n ganz dum­men Kerl, sonst tä­test du nicht so leicht­hin dei­nen Kopf zwi­schen mei­ne Zäh­ne ste­cken. Ich brauch­te Re­gi­nald Front-de-Boeuf oder Phil­ipp von Mal­voi­sin nur ein Wort zu sa­gen, dass du ver­rä­te­rische Plä­ne ge­gen die Nor­man­nen ge­äu­ßert hät­test, und du bist dei­ner Wür­de als Schwei­ne­hirt ent­setzt und wirst bald an ei­nem die­ser Bäu­me hän­gen zum ab­schre­cken­den Exem­pel für alle, die über hohe Her­ren üb­les Ge­re­de füh­ren.«

»Du Hund du!«, knurr­te Gurth. »Du wirst mich doch nicht ver­ra­ten, nach­dem du mich erst dazu ver­lei­tet hast, so zu re­den?«

»Dich ver­ra­ten!«, ant­wor­te­te der Narr. »Gott be­wah­re! Das wär nur was für einen ge­schei­ten Men­schen, ein Narr weiß nicht, wie er das an­zu­fan­gen hät­te. Doch still! Wer ist das?«, setz­te er hin­zu, in­dem er auf die Huf­schlä­ge von Pfer­den hör­te, die deut­lich zu ver­neh­men wa­ren.

»Mir ei­ner­lei«, er­wi­der­te Gurth, der jetzt sei­ne Her­de, von sei­nem Hun­de un­ter­stützt, durch einen Baum­gang vor sich her­trieb, in dem es schon dun­kel ge­wor­den war.

»Ich will aber die Rei­ter se­hen«, sag­te Wam­ba, »am Ende sind sie aus dem Feen­lan­de und brin­gen Bot­schaft von Obe­ron.«

»Hol dich der Hen­ker!«, rief der Schwei­ne­hirt. »Wie kannst du nur solch Un­sinn schwat­zen, wo we­nig Mei­len von hier ’n fürch­ter­li­ches Un­wet­ter mit Blitz und Don­ner nie­der­pras­selt. Hör nur, wie der Don­ner rollt! Nie sah ich bei ’nem Som­mer­re­gen so di­cke Trop­fen schnur­ge­ra­de run­ter­fal­len. Hier ist zwar noch al­les still, aber schon rau­schen die al­ten Ei­chen vorm Sturm, und in ih­ren Äs­ten stöhnt es und knackt es. Beiß du den Furcht­lo­sen raus, wenn du Lust hast, aber hör dies­mal auf mich und lass uns heim­ge­hen, ehe das Ge­wit­ter los­bricht. Das wird ne ent­setz­li­che Nacht!«

Wam­ba ent­zog sich die­ser Mah­nung nicht und folg­te sei­nem Ge­fähr­ten, der einen Stock vom Ra­sen auf­ge­ho­ben hat­te, nun wa­cker durch die Lich­tung wei­ter schritt und die gan­ze Her­de, die einen höchst un­me­lo­di­schen Lärm mach­te, mit­hil­fe sei­nes Hun­des vor sich her­trieb.

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Zweites Kapitel

Al­len Auf­for­de­run­gen und Schelt­wor­ten sei­nes Ge­fähr­ten zum Trotz, konn­te Wam­ba nicht um­hin, alle Au­gen­bli­cke auf der Stra­ße ste­hen zu blei­ben, weil das Pfer­de­ge­trap­pel im­mer nä­her kam. Bald riss er von ei­nem Ha­sel­strauch ein paar halb rei­fe Ha­selnüs­se ab, bald sah er ei­nem Bau­ern­mäd­chen nach, das sei­nen Weg kreuz­te. Die bei­den wur­den da­her bald von den Pfer­den und Rei­tern ein­ge­holt.

Es wa­ren zehn an der Zahl. Die zwei, die vor­weg rit­ten, schie­nen her­vor­ra­gen­de Per­so­nen zu sein, wäh­rend die an­de­ren wohl das Ge­fol­ge bil­de­ten. Es war nicht schwie­rig, Cha­rak­ter und Be­ruf des einen von die­sen bei­den Män­nern zu er­ken­nen. Er war ohne Zwei­fel ein Geist­li­cher von ho­hem Ran­ge. Er trug die Ge­wan­dung ei­nes Zis­ter­zi­en­ser­mön­ches, nur aus fei­ne­rem Stoff, als es die Or­dens­re­gel er­laubt. Kut­te und Kap­pe wa­ren aus bes­tem Flam­län­der Tuch und fie­len in wei­ten ge­schmack­vol­len Fal­ten um sei­ne hüb­sche, ob­wohl et­was be­leib­te Ge­stalt. Wie in die­ser sei­ner Art, sich zu klei­den, kei­ner­lei Ver­schmä­hung welt­li­chen Glan­zes lag, so zeig­te auch sein Ge­sicht kei­nen Zug der Selbst­ver­leug­nung. Sei­ne Phy­sio­gno­mie hät­te man an­hei­melnd nen­nen kön­nen, wenn nicht ein epi­ku­rei­sches1 Blin­zeln, das un­ter dem ge­senk­ten Lide schlum­mer­te, den ver­steck­ten Wol­lüst­ling ver­ra­ten hät­te. Au­ßer­dem hat­te er sich in sei­nem Amt und dank sei­nen Ver­hält­nis­sen eine stren­ge Herr­schaft über sei­ne Züge zu ei­gen ge­macht, und er konn­te nach Be­lie­ben zu je­der Zeit eine fei­er­li­che Mie­ne auf­set­zen, ob­gleich der na­tür­li­che Aus­druck sei­nes Ge­sich­tes gut ge­laun­te, ge­müt­li­che Gleich­gül­tig­keit und Duld­sam­keit war. Den Or­dens­be­stim­mun­gen und den Edik­ten der Päps­te und Kon­zi­len ent­ge­gen, wa­ren die Är­mel sei­nes Talars mit kost­ba­rem Pelz be­setzt und ge­füt­tert, den Man­tel hielt am Hal­se ein pracht­vol­les Schloss fest, und sei­ne gan­ze Or­den­stracht war ver­fei­nert und aus­ge­schmückt. Die­ser wür­di­ge Die­ner der Kir­che ritt auf ei­nem wohl­ge­nähr­ten Maul­tier, des­sen Zaum­zeug schön und reich ver­ziert war; der Zaum sel­ber war nach da­ma­li­gem Brauch mit sil­ber­nen Glöck­chen be­setzt. Er saß nicht mit der Un­be­hol­fen­heit ei­nes Klos­ter­bru­ders, son­dern mit der Hal­tung ei­nes ge­üb­ten Rei­ters im Sat­tel. Al­ler­dings schi­en er den gut­mü­ti­gen und gut­zu­ge­rit­te­nen Maulesel auch nur auf der Land­stra­ße zu be­nut­zen. Ein Lai­en­bru­der sei­nes Ge­fol­ges führ­te für an­de­re Ge­le­gen­hei­ten einen schö­nen spa­ni­schen Hengst bei sich, wie sie da­mals nur mit großen Schwie­rig­kei­ten und Ge­fah­ren für Per­so­nen von Rang und Reich­tum von Händ­lern nach Eng­land ge­bracht wur­den. Sat­tel und Scha­bra­cke die­ses präch­ti­gen Zel­ters2 wa­ren mit ei­nem lan­gen Tep­pich be­deckt, der bis auf die Erde her­ab­hing und mit Bi­schofs­kro­nen, Kreu­zen und an­de­ren kirch­li­chen Zei­chen reich be­stickt war. Ein an­de­rer Lai­en­bru­der führ­te ein Saum­tier, das wahr­schein­lich das Ge­päck trug, und zwei Mön­che von dem­sel­ben Or­den, doch von nied­ri­ge­rer Klas­se, rit­ten hin­ter ihm drein, mit­ein­an­der scher­zend und la­chend, und be­küm­mer­ten sich nicht im min­des­ten um die an­de­ren Mit­glie­der des Rei­ter­zu­ges.

Der Ge­fähr­te des Präla­ten war ein Mann von mehr als vier­zig Jah­ren, schlank und ha­ger, aber da­bei stark und mus­ku­lös und von ath­le­ti­schem Wuchs. Lang­jäh­ri­ge Stra­pa­zen und un­aus­ge­setz­te Be­we­gung hat­ten ihm alle Zart­heit ge­nom­men, und er schi­en nur noch aus Kno­chen, Adern und Seh­nen zu be­ste­hen. Auf dem Kop­fe trug er eine schar­la­che­ne, mit Pelz ver­bräm­te Müt­ze, die sein Ge­sicht ganz frei ließ. Der Aus­druck die­ses Ge­sichts war dazu an­ge­tan, zwar nicht Furcht, doch Ach­tung ein­zu­flö­ßen. Er­ha­be­ne, von Na­tur stol­ze und ge­wal­ti­ge Züge wa­ren von der Son­ne der Tro­pen fast bis zur Far­be ei­nes Ne­gers ge­bräunt wor­den und schie­nen nach dem vor­über­ge­braus­ten Sturm wil­der Lei­den­schaf­ten im Zu­stan­de der Ruhe zu schlum­mern. Doch die stark her­vor­tre­ten­den Stir­na­dern und das hef­ti­ge und un­ge­stü­me Zu­cken der Ober­lip­pe mit ih­rem star­ken, dun­keln Stutz­bart, das sich bei der ge­rings­ten Er­re­gung be­merk­bar mach­te, lie­ßen ver­mu­ten, dass ein Sturm nur zu leicht zu er­we­cken war. Die küh­nen, durch­drin­gen­den Au­gen des Man­nes ver­rie­ten bei je­dem Blick die Ge­schich­te über­stan­de­ner Müh­se­lig­kei­ten und Ge­fah­ren und schie­nen zum Wi­der­stand her­aus­zu­for­dern, ganz als hät­te der Mann sein Ver­gnü­gen dar­an, den Mut zu üben, und was er woll­te, mit ei­ser­nem Wil­len durch­zu­set­zen. Eine tie­fe Nar­be an der Stirn er­höh­te noch das erns­te Ge­prä­ge sei­nes Ant­lit­zes, wozu auch der ein we­nig be­ein­träch­tig­te Aus­druck des einen Au­ges bei­trug, das bei Ent­ste­hung je­ner Nar­be gleich­falls ein we­nig be­schä­digt wor­den war, nun zwar völ­lig ge­sund, aber einen schie­fen Blick be­hal­ten hat­te.

Das obe­re Ge­wand die­ses Man­nes war dem sei­nes Ge­fähr­ten ähn­lich: Es war ein lan­ger Klos­ter­man­tel, aber an der schar­lach­ro­ten Far­be war zu er­ken­nen, dass der Trä­ger zu kei­nem der vier recht­mä­ßi­gen Mönchs­or­den ge­hör­te. Die rech­te Ach­sel­sei­te des Man­tels trug ein auf­ge­hef­te­tes Kreuz von un­ge­wöhn­li­cher Ge­stalt. Das Ober­kleid ver­hüll­te et­was, was auf den ers­ten An­blick nicht zu ihm zu pas­sen schi­en: Ein Pan­zer­hemd mit Är­meln und Hand­schu­hen, das auf sinn­rei­che Wei­se so ge­ar­bei­tet und ge­webt war, dass es den Be­we­gun­gen des Kör­pers so schmieg­sam folg­te, wie jene auf dem Web­stuhl aus wei­che­rem Stoff ge­fer­tig­ten Hem­den. Auch die obe­re Sei­te sei­ner Schen­kel, so­weit sie der Man­tel se­hen ließ, war mit Me­tall­plat­ten be­deckt. Dün­ne künst­lich zu­sam­men­ge­füg­te Stahl­schie­nen schütz­ten Knie und Füße. Ein Strumpf aus Me­tall­schup­pen reich­te vom Knö­chel bis zum Knie und ver­voll­komm­ne­te die Rüs­tung des Rei­ters. Die ein­zi­ge Ver­tei­di­gungs­waf­fe, die er hat­te, war ein lan­ger, zwei­schnei­di­ger Dolch, den er im Gür­tel trug. Er ritt kein Maul­tier wie sein Ge­fähr­te, son­dern einen hand­fes­ten Klep­per, um sein ed­les Streitross zu scho­nen, das ihm ein bis an die Zäh­ne be­waff­ne­ter Knap­pe nach­führ­te. Die­ser trug vor dem Kop­fe eine Schutz­plat­te, an der ein klei­ner Sta­chel saß. An der einen Sei­te sei­nes Sat­tels hing eine kur­ze, reich da­mas­zier­te Streitaxt, an der an­de­ren Sei­te des Rei­ters Helm mit Sturm­hau­be und ein lan­ges Schwert mit zwei Grif­fen, wie es die Rit­ter zur da­ma­li­gen Zeit zu tra­gen pfleg­ten. Ein zwei­ter Knap­pe trug die em­por­ge­rich­te­te Lan­ze sei­nes Herrn, an de­ren Spit­ze ein schma­ler Wim­pel flat­ter­te, auf den ein eben­sol­ches Kreuz wie auf dem Man­tel ge­stickt war. Die­ser Knap­pe trug auch sei­nes Herrn klei­nen, drei­e­cki­gen Schild, der oben so breit war, dass er die gan­ze Brust schütz­te und nach un­ten spitz zu­lief. Hin­ter die­sen Waf­fen­trä­gern ka­men zwei Die­ner, die an der dun­keln Ge­sichts­far­be, an den wei­ßen Tur­ba­nen und an ih­ren Ge­wän­dern als Söh­ne des fer­nen Mor­gen­lan­des kennt­lich wa­ren.

Der gan­ze Auf­zug die­ses Krie­gers mach­te einen wil­den, fremd­län­di­schen Ein­druck. Sei­ne Knap­pen wa­ren prun­kend ge­klei­det, und sei­ne ori­en­ta­li­schen Die­ner tru­gen sil­ber­ne Hals­bän­der und sil­ber­ne Span­gen an den schwarz­brau­nen Ar­men und Bei­nen, die vom Ell­bo­gen ab und vom Schen­kel bis zum Knö­chel nackt wa­ren. In Sei­de und Sti­cke­rei prang­te ihre Tracht und leg­te be­red­tes Zeug­nis ab für ih­res Herrn Reich­tum und An­se­hen, gleich­zei­tig in auf­fal­len­dem Ge­gen­satz ste­hend zu der krie­ge­ri­schen Ein­fach­heit sei­nes ei­ge­nen An­zu­ges. Die Ori­en­ta­len wa­ren mit krum­men Sä­beln be­waff­net, de­ren Grif­fe und Schei­den mit fun­keln­dem Gol­de aus­ge­legt wa­ren, und hat­ten tür­ki­sche Dol­che von noch pracht­vol­ler­er Aus­füh­rung. Am Sat­tel­knauf hat­te je­der ein Bün­del Pfei­le oder Wurf­spie­ße, die etwa vier Fuß lang wa­ren und schar­fe Stahl­spit­zen hat­ten. Eben­so exo­tisch wie die Rei­ter sa­hen die Pfer­de die­ser Die­ner aus: Es wa­ren sa­ra­ze­ni­sche Ros­se von ara­bi­scher Ab­stam­mung. Die zar­ten, schlan­ken Glie­der, die dün­nen Mäh­nen und schma­len Hufe und der leicht tän­zeln­de Gang stan­den in star­kem Ge­gen­sat­ze zu den stark­kno­chi­gen, schwe­ren Pfer­den, de­ren Ras­se in Flan­dern und der Nor­man­die ge­züch­tet wur­de, um die Rit­ter der da­ma­li­gen Zeit in ih­rer vol­len Pan­zeraus­rüs­tung tra­gen zu kön­nen.

Die­se selt­sa­me Ka­val­ka­de zog nicht al­lein Wam­bas Auf­merk­sam­keit auf sich, son­dern auch die sei­nes schwer­fäl­li­ge­ren Ge­nos­sen. In dem Mön­che er­kann­te er so­gleich den Pri­or der Ab­tei Jor­vaulx, der in der gan­zen Ge­gend wohl­be­kannt war als ein Lieb­ha­ber der Jagd, der Ta­fel­freu­den und -- so­fern das Ge­re­de ihm nicht un­recht tat -- noch an­de­rer welt­li­cher Ver­gnü­gun­gen, die mit den Or­dens­ge­lüb­den noch we­ni­ger im Ein­klang stan­den. Über das Tun und Trei­ben der Geist­lich­keit dach­te aber die da­ma­li­ge Zeit so frei und lo­cker, dass Pri­or Ay­mer trotz al­lem sich in der Um­ge­gend sei­ner Ab­tei ei­nes gu­ten Ru­fes er­freu­te. Dank sei­ner Jo­via­li­tät und weil er nie­mals ir­gend­wel­che Schwie­rig­kei­ten oder Um­stän­de mach­te, wenn es galt, für alle mög­li­chen Sün­den Ab­so­lu­ti­on zu er­tei­len, war er beim ho­hen Adel und vor­neh­men Bür­ger­tum sehr be­liebt. Da er aus vor­neh­mem Nor­man­nen­hau­se stamm­te, so war er mit man­chem un­ter ih­nen ver­wandt. Die Da­men vor al­lem fäll­ten kein all­zu stren­ges Ur­teil über das Be­tra­gen ei­nes Man­nes, der ein of­fen­kun­di­ger Be­wun­de­rer ih­res Ge­schlechts war und über man­ches Mit­tel­chen ver­füg­te, die Lan­ge­wei­le zu ver­scheu­chen, die sich so leicht in den Hal­len der al­ten Adels­sch­lös­ser ein­nis­te­te. An den Freu­den ei­ner Jagd nahm der Pri­or mit wahr­haf­tem Ei­fer teil, und er stand im Rufe, die bes­ten dres­sier­ten Fal­ken und die flinks­ten Wind­hun­de in den Pro­vin­zen des gan­zen Nor­dens zu ha­ben. Mit den al­ten Her­ren gab er sich an­de­ren Lust­bar­kei­ten hin, die er, wenn es dar­auf an­kam, mit großer Fei­er­lich­keit zu be­glei­ten ver­stand.

Er tat vie­le barm­her­zi­ge Wer­ke, die eine Men­ge Sün­den auch in an­de­rem Sin­ne, als es die Schrift meint, zu­deck­ten. Bei die­ser Frei­ge­big­keit kam es ihm zu­stat­ten, dass die Ein­künf­te sei­nes Klos­ters zum größ­ten Teil zu sei­ner frei­en Ver­fü­gung stan­den; so ließ er vie­les den Bau­ern zu­kom­men und half den Un­ter­drück­ten. Wenn der Pri­or Ay­mer zur Jagd ritt, wenn er lan­ge zech­te und schmaus­te, wenn er im mor­gend­li­chen Zwie­licht von ei­nem Schä­fer­stünd­chen im Dun­keln zu­rück­kam und durch das ge­hei­me Pfört­chen der Ab­tei schlich, so zuck­ten die Leu­te die Ach­seln und dach­ten: Man­che sei­ner Brü­der trie­ben es ja nicht an­ders und mach­ten da­bei nicht ein­mal ihre Fehl­trit­te durch Wohl­ta­ten wie­der gut. Pri­or Ay­mer war auch den säch­si­schen Leib­ei­ge­nen be­kannt, sie grüß­ten ihn ehr­furchts­voll und er­hiel­ten zum Ge­gen­gruß sein »Be­ne­di­ci­te mes fils!«3

Ver­wun­dert über den ab­son­der­li­chen Rei­ter­zug ver­moch­ten sie kaum, Ant­wort zu ge­ben auf die Fra­ge des Priors von Jor­vaulx, ob in der Nähe eine Her­ber­ge zu fin­den sei, so groß war ihr Er­stau­nen über die halb mön­chi­sche, halb krie­ge­ri­sche Er­schei­nung des bräun­li­chen Fremd­lings und die selt­sa­me Tracht sei­nes ori­en­ta­li­schen Ge­fol­ges.

»Ich fra­ge euch, mei­ne Kin­der«, wie­der­hol­te der Pri­or sei­ne Fra­ge, dies­mal in der Lin­gua Fran­ca,4 je­nem Misch­dia­lekt, in dem sich die Nor­man­nen und Sach­sen un­ter­ein­an­der ver­stän­dig­ten, »ist hier in der Nähe ir­gend­ein wa­cke­rer Mann, der um Got­tes­wil­len und aus Er­ge­ben­heit zu der Kir­che, un­se­rer Alma Ma­ter, zwei­en ih­rer de­mü­tigs­ten Die­ner mit­samt ih­rem Ge­fol­ge für eine Nacht Ob­dach und Spei­se ge­wäh­ren könn­te?«

»Zwei der de­mü­tigs­ten Die­ner der All­mut­ter Kir­che!«, brumm­te Wam­ba vor sich hin, aber ob­wohl er nur ein Narr war, hü­te­te er sich doch, es laut zu sa­gen. »Da möch­te ich doch gar erst mal ihre hö­he­ren Die­ner zu se­hen be­kom­men!« Nach­dem er bei sich selbst die Be­trach­tung über die Wor­te des Priors an­ge­stellt hat­te, sah er auf und be­ant­wor­te­te die an ihn ge­rich­te­te Fra­ge: »So­fern die ver­ehr­ten Vä­ter eine rei­che Ta­fel und ein wei­ches Bett lie­ben, so liegt ein paar Mei­len von hier das Prio­rat Brinx­worth, wo die ehr­wür­di­gen Her­ren ih­rem Stan­de ent­spre­chend die eh­ren­volls­te Auf­nah­me fin­den wer­den. So­fern es ih­nen aber nicht dar­auf an­kommt, einen Abend auch mal in ge­rin­ge­rer Üp­pig­keit hin­zu­brin­gen, so brau­chen sie nur dort die Lich­tung hin­ab­zu­rei­ten. Da geht es nach der Ein­sie­de­lei Cop­man­hurst, wo ein got­tes­fürch­ti­ger Anacho­ret haust, der gern sein Dach und sei­ne An­dacht in die­ser Nacht mit ih­nen tei­len wird.«

Auf bei­de Vor­schlä­ge hat­te der Pri­or nur ein Kopf­schüt­teln. »Gu­ter Freund«, sag­te er, »das Schel­len­ge­klin­gel hat dir den Ver­stand ver­wirrt, sonst müss­test du wis­sen: Cle­ri­cus cle­ri­cum non de­ci­mat, das heißt, wir Geist­li­che neh­men nicht gern un­ter uns die Gast­freund­schaft in An­spruch, son­dern wir las­sen uns lie­ber von Lai­en be­wir­ten und ge­ben ih­nen da­durch zu­gleich eine Ge­le­gen­heit, Gott zu die­nen, in­dem sie sei­ne treu­en Die­ner eh­ren und la­ben.«

»Wahr­haf­tig«, ent­geg­ne­te Wam­ba, »ob­wohl ich nur ein Esel bin, so hab ich doch wie Euer Hoch­wür­den Maul­tier die Ehre, Schel­len zu tra­gen. Aber doch ist es mir nicht ganz be­greif­lich, wes­halb die Wohl­tä­tig­keit ge­gen die Kir­che und ihre Die­ner nicht wie an­de­re Wohl­tä­tig­kei­ten bei sich selbst den An­fang ma­chen soll­te.«

»Halts Maul, dreis­ter Lüm­mel«, un­ter­brach der be­waff­ne­te Rei­ter mit rau­er, mäch­ti­ger Stim­me Wam­bas Ge­schwätz, »sag uns den Weg zu -- wie heißt doch gleich Euer Fran­klin, Pri­or Ay­mer?«

»Ce­d­ric«, ant­wor­te­te der Pri­or, »Ce­d­ric, der Sach­se. Sag mir, gu­ter Freund, sind wir nicht mehr weit von sei­nem Hau­se und wo führt der Weg da­hin?«

»Der Weg ist schwer zu fin­den«, sag­te Gurth, jetzt zum ers­ten Mal den Mund öff­nend, »auch geht Ce­d­rics Haus­stand früh zur Ruhe.«

»Ver­scho­ne mich mit sol­chem Ge­re­de, Kerl«, sag­te der be­rit­te­ne Kriegs­mann, »sie sind leicht wie­der auf die Bei­ne zu brin­gen, dass sie Rei­sen­de wie uns auf­neh­men, denn wir ha­ben kei­ne Lust, um Gast­freund­schaft zu bet­teln, wo wir be­feh­len kön­nen.«

»Ich weiß nicht«, sag­te Gurth fins­ter, »ob ich den Weg zum Hau­se mei­nes Herrn sol­chen Leu­ten zei­gen darf, die das Ob­dach, um das sonst je­der­mann als eine Gunst bit­tet, als ihr Recht be­trach­ten.«

»Kei­nen Wi­der­spruch, Skla­ve!«, rief der Krie­ger, gab sei­nem Pfer­de die Spo­ren und ließ es eine hal­be Wen­dung über den Pfad hin­über ma­chen. Gleich­zei­tig schwang er die Reit­ger­te, um den Bau­ern für sei­ne Frech­heit zu züch­ti­gen.

Gurth schleu­der­te ihm einen wil­den rach­süch­ti­gen Blick zu und leg­te mit stol­zer, doch zau­dern­der Ge­bär­de die Faust an den Griff sei­nes Mes­sers. Pri­or Ay­mer aber lenk­te rasch sein Maul­tier zwi­schen sei­nen Ge­fähr­ten und den Schwei­ne­hir­ten und beug­te so der dro­hen­den Ge­fahr vor, dass es zu Ge­walt­tä­tig­kei­ten käme.

»Bei der hei­li­gen Ma­ria, Bru­der Bri­an«, rief er, »Ihr müsst nicht den­ken, Ihr wä­ret hier in Pa­läs­ti­na und ge­bö­tet über Hei­den, Tür­ken oder un­gläu­bi­ge Sa­ra­ze­nen!5 Wir In­sel­be­woh­ner neh­men nicht gern Schlä­ge hin, au­ßer de­nen, die die hei­li­ge Kir­che er­teilt, die die züch­ti­get, die sie liebt. -- Sage mir, gu­ter Freund«, wand­te er sich an Wam­ba, in­dem er ihm eine klei­ne Sil­ber­mün­ze in die Hand drück­te, »wo geht der Weg zu Ce­d­ric, dem Sach­sen? Ge­wiss weißt du’s, und es wäre dei­ne Pf­licht, Wan­de­rern den Weg zu wei­sen, selbst wenn sie nicht von so hei­li­gem Stan­de wä­ren wie wir.«

»Wahr­haf­tig, ehr­wür­di­ger Va­ter«, ant­wor­te­te Wam­ba, »Euer hoch­wür­di­ger Ge­fähr­te hat mir mit sei­nem Sa­ra­ze­nen­grimm einen sol­chen Schreck ein­ge­jagt, dass ich sel­ber gar nicht mehr weiß, wo es nach Hau­se geht.«

»Schweig«, sag­te der Abt, »wenn du willst, kannst du uns den Weg zei­gen. Die­ser hoch­wür­di­ge Bru­der hat sein Le­ben lang mit den Sa­ra­ze­nen um das Hei­li­ge Grab ge­kämpft, er ist vom Or­den der Tem­pel­her­ren, von dem du ge­wiss schon ge­hört hast, er ist halb Mönch, halb Sol­dat.«

»Na denn«, be­schied ihn Wam­ba, »Euer Hoch­wür­den muss auf die­sem Pfad wei­ter­rei­ten. Dann kommt Ihr an ein ver­fal­le­nes Kreuz, das kaum einen Fuß hoch über den Bo­den weg­sieht. Dann biegt Ihr nach links ein, denn an dem ver­fal­le­nen Kreuz tref­fen vier Wege zu­sam­men. Und dann glaub ich be­stimmt, dass Euer Hoch­wür­den un­ter Dach und Fach sein wird, eh das Wet­ter los­bricht.«

Der Abt dank­te für den gu­ten Be­scheid, und die Ka­val­ka­de ritt, die Pfer­de an­spor­nend, ih­res We­ges. Man merk­te es ih­nen an, dass sie es ei­lig hat­ten, in die Her­ber­ge zu kom­men. Und als die Huf­schlä­ge ih­rer Pfer­de ver­k­lun­gen wa­ren, sag­te Gurth zu sei­nem Ge­fähr­ten:

»Wenn sie sich nach dei­ner klu­gen Wei­sung rich­ten, wer­den sie schwer­lich vor Ein­bruch der Nacht nach Ro­ther­wood kom­men.«

»Frei­lich«, schmun­zel­te der Narr, »aber wenn sie Glück ha­ben, kom­men sie viel­leicht nach Shef­field, und da pas­sen sie ja hin. Ich bin kein sol­cher Pfu­scher im ed­len Weid­werk, dass ich dem Hun­de zei­ge, wo das Wild liegt, wenn ich nicht will, dass er es ja­gen soll.«

»Da hast du recht«, mein­te Gurth, »es wär nicht gut, wenn Ay­mer die Lady Ro­we­na zu se­hen be­käme, und noch schlim­mer wär’s, wenn Ce­d­ric mit die­sem krie­ge­ri­schen Mönch in Streit ge­rie­te, und das könn­te doch sehr leicht ge­sche­hen, aber wir wol­len, wie es gu­ten Die­nern ziemt, Au­gen und Ohren auf und das Maul zu ha­ben.«

Die Rei­ter, die bald die Leib­ei­ge­nen weit hin­ter sich ge­las­sen hat­ten, un­ter­hiel­ten sich jetzt wie­der in der nor­man­nisch- fran­zö­si­schen Spra­che.

»Je­des Land hat sei­ne ei­ge­nen Sit­ten«, sag­te Pri­or Ay­mer, »und wenn ich Euch jetzt den Bur­schen hät­te prü­geln las­sen, so hät­ten wir ers­tens kei­nen Be­scheid be­kom­men, wo es nach Ce­d­rics Hau­se geht, und zwei­tens hät­te dann Ce­d­ric Re­chen­schaft von Euch ver­langt. Denkt dar­an, ich habe Euch gleich ge­sagt, die­ser rei­che Fran­klin ist stolz, wild, reiz­bar und miss­trau­isch. Er be­haup­tet die Vor­rech­te sei­nes Stam­mes mit sol­cher Kühn­heit und ist so stolz dar­auf, un­mit­tel­bar von He­re­ward, ei­nem be­rühm­ten Kämp­fer der Hep­tar­chie6 ab­zu­stam­men, dass er all­ge­mein Ce­d­ric der Sach­se heißt. Für ihn ist es eine Freu­de, ein Mann die­ses Vol­kes zu sein, wäh­rend an­de­re ihre Her­kunft gern ver­leug­nen, weil sie be­fürch­ten, einen Teil des Vae Vic­tis7 oder die Las­ten der Be­sieg­ten tra­gen zu müs­sen.«

»Pri­or Ay­mer«, sag­te der Temp­ler, »Ihr seid ein ga­lan­ter Herr und im Stu­di­um weib­li­cher Schön­heit wohl er­fah­ren, aber die­se viel ge­rühm­te Ro­we­na muss ich mir sehr schön vor­stel­len, wenn mich ihr An­blick für die Selbst­ver­leug­nung und Ge­duld ent­schä­di­gen soll, die ich auf­wen­den muss, um einen so re­bel­li­schen Fle­gel, wie Ihr mir ih­ren Va­ter Ce­d­ric be­schreibt, um den Bart zu ge­hen.«

»Ihr Va­ter ist Ce­d­ric nicht«, er­wi­der­te der Pri­or, »er ist nur ein ent­fern­ter Ver­wand­ter von ihr, sie ist von noch hö­he­rer Her­kunft als er selbst. Er hat sie in Pfle­ge ge­nom­men und hat sie lieb wie sein ei­gen Kind. Über ihre Schön­heit wer­det Ihr bald selbst ur­tei­len, und wenn Euch ihre zar­te wei­ße Haut und der ma­je­stä­tisch sanf­te Aus­druck ih­rer blau­en Au­gen nicht alle schwarz­haa­ri­gen Mäd­chen Pa­läs­tinas und alle Hu­ris aus dem Pa­ra­die­se Mo­ham­meds ver­ges­sen ma­chen, so will ich ein Hei­de sein und kein ech­ter Pries­ter.«

»Wenn Eure be­rühm­te Schön­heit«, ver­setz­te der Temp­ler, »auf der Waa­ge ge­wo­gen und zu leicht be­fun­den wird, so wisst Ihr ja, worum wir ge­wet­tet ha­ben.«

»Mei­ne gol­de­ne Hals­ket­te ge­gen zehn Fla­schen Chios­wein«,8 war des Priors Ant­wort. »Ge­winnt nur die Wet­te und tragt mei­ne Ket­te! Doch hört auf mei­nen Rat, Bru­der, und ge­wöhnt Eure Zun­ge mehr an Höf­lich­keit als es bis­her im Herr­schen über ge­fan­ge­ne Ungläu­bi­ge und mor­gen­län­di­sche Leib­ei­ge­ne Eure Ge­pflo­gen­heit war. Wenn sich Ce­d­ric der Sach­se be­lei­digt fühlt, und dazu ge­hört nicht viel, so wird er sich we­nig um Eure Rit­ter­schaft oder um mein ho­hes Amt oder um die Hei­lig­keit von bei­den sche­ren und kriegt es wohl fer­tig, uns bei­de an die Luft zu set­zen und bei den Ler­chen zur Her­ber­ge zu schi­cken, und wäre es auch schon Mit­ter­nacht. Auch seid vor­sich­tig, wenn Ihr nach Lady Ro­we­na schaut, denn er hat mit miss­traui­scher Sor­ge Acht auf sie. Wenn er den min­des­ten Ver­dacht schöpft, so sind wir ver­lo­ren. Es geht das Gerücht, er habe sei­nen ei­ge­nen Sohn aus sei­ner Fa­mi­lie ver­bannt, weil er die Au­gen mit Lie­bes­glut zu ih­rer Schön­heit er­ho­ben habe. -- Doch hier ist das ver­fal­le­ne Kreuz, von dem der Narr sprach. Die Nacht ist so fins­ter, dass man nicht se­hen kann, wel­cher Weg ein­zu­schla­gen ist. Ich glau­be, er sag­te, wir müs­sen uns links hal­ten.«

»Nein, rechts, wenn ich mich recht er­in­ne­re«, sag­te Bri­an.

Je­der ver­tei­dig­te nun hart­nä­ckig sei­ne Mei­nung. Die Die­ner wur­den ge­ru­fen, aber sie wa­ren nicht nahe ge­nug ge­we­sen, als dass sie Wam­bas Be­scheid hät­ten hö­ren kön­nen.

End­lich er­kann­te Bri­an et­was, das ihm in der Dun­kel­heit bis­her ent­gan­gen war.

»Hugo!«, rief er, »am Fuße des Kreu­zes liegt ei­ner und schläft, oder es ist viel­leicht ein To­ter. Gib ihm einen Stoß mit der Lan­ze!«

Als dies ge­sche­hen war, er­hob sich die Ge­stalt und rief auf gut fran­zö­sisch: »Wer du auch sein magst, es ist un­höf­lich, mich in mei­nen Ge­dan­ken zu stö­ren.«

»Wir wol­len von dir nur wis­sen, wo es nach Ro­ther­wood geht, zu Ce­d­ric dem Sach­sen.«

»Da will ich sel­ber hin«, ant­wor­te­te der Frem­de, »und wenn ich ein Pferd hät­te, so woll­te ich Euch schon füh­ren, der Weg ist schwer zu fin­den, aber ich ken­ne ihn ge­nau.«

»Lohn und Dank har­ren dein, mein Freund, wenn du uns si­cher zu Ce­d­ric bringst«, sag­te der Pri­or.

Er rief sei­nen Die­ner und be­stieg sein ei­ge­nes Ross, das bis­her ge­führt wor­den war, wäh­rend er sei­nen Maulesel dem Frem­den über­ließ.

Ihr Füh­rer schlug einen an­de­ren Weg ein als Wam­ba ih­nen ge­nannt hat­te, der sie ja nur hat­te ir­re­füh­ren wol­len. Der Pfad führ­te tiefer in den Wald hin­ein und über man­chen Bach, der, von Sumpf um­ge­ben, schwer zu pas­sie­ren war, aber der Frem­de fand stets die si­chers­ten Stel­len und hat­te die an­de­ren bin­nen Kur­zem auf eine brei­te Al­lee ge­bracht. Auf ein großes nied­ri­ges und un­re­gel­mä­ßi­ges Ge­bäu­de zei­gend, rief er: »Dies ist Ro­ther­wood, das Haus Ce­d­rics des Sach­sen!«

Der Pri­or Ay­mer, den die­ser Ruf aus Angst und Un­ru­he be­frei­te, wand­te sich jetzt zum ers­ten Mal an den Weg­wei­ser mit der Fra­ge, wer und wo­her er sei.

»Ein Pil­grim, der eben aus dem Hei­li­gen Lan­de zu­rück­ge­kehrt ist«, war die Ant­wort.

»Ihr hät­tet dort blei­ben sol­len und um das Hei­li­ge Grab kämp­fen«, sag­te der Temp­ler.

»Frei­lich, hoch­wür­di­ger Herr«, ent­geg­ne­te der Pil­ger, dem der An­blick ei­nes Tem­pel­herrn nichts Neu­es zu sein schi­en, »wenn aber Män­ner, die durch Eid ver­pflich­tet sind, die Hei­li­ge Stadt zu er­obern, so fern vom Schau­platz ih­rer Pf­lich­ten her­um­rei­sen, wie kann es Euch da wun­der­neh­men, dass ein so fried­li­cher Land­mann wie ich nicht sei­nem Vor­satz treu ge­blie­ben ist?«

Der Temp­ler woll­te eine zor­ni­ge Ant­wort ge­ben, der Pri­or aber un­ter­brach ihn, in­dem er sein Er­stau­nen äu­ßer­te, dass sich der Füh­rer nach so lan­ger Ab­we­sen­heit noch so gut im Wal­de zu­recht­fän­de.

»Ich bin in die­ser Ge­gend ge­bo­ren«, ant­wor­te­te der Pil­ger.

Jetzt stan­den sie vor Ce­d­rics Hau­se, ei­nem nied­ri­gen, un­re­gel­mä­ßi­gen Bau, der, meh­re­re Um­zäu­nun­gen und Ab­tei­lun­gen ein­ge­rech­net, einen ziem­lich großen Raum be­deck­te. Ob­wohl man an der Form er­ken­nen konn­te, dass es ei­nem rei­chen Man­ne ge­hör­te, so war es doch grund­ver­schie­den von je­nen ho­hen, viel­tür­mi­gen, schloss­ar­ti­gen Ge­bäu­den, de­ren Stil in ganz Eng­land der Herr­schen­de ge­wor­den ist. Ro­ther­wood war nicht ohne Be­fes­ti­gung, die in die­ser un­ru­hi­gen Zeit kein Ge­bäu­de ent­beh­ren konn­te, wenn es nicht Ge­fahr lau­fen woll­te, über Nacht in Brand ge­setzt oder ge­plün­dert zu wer­den. Das gan­ze Haus um­schloss ein tiefer Gra­ben, der sein Was­ser aus dem nächs­ten Stro­me er­hielt. Er war durch dop­pel­te Pa­li­sa­den ver­stärkt, de­ren Pfahl­werk der an­gren­zen­de Wald ge­lie­fert hat­te. Vom Wes­ten her führ­te eine Zug­brücke her­ein, de­ren Zu­gang noch be­son­ders durch vor­sprin­gen­de Wäl­le ge­si­chert war. Vor die­sem Ein­gang stieß jetzt der Temp­ler laut ins Horn, denn der Re­gen, der längst los­zu­bre­chen ge­droht hat­te, fiel nun end­lich in Strö­men.

auf Ge­nuss, auf das Ge­nie­ßen ge­rich­tet, nach dem Phi­lo­so­phen Epi­kur  <<<

dres­sier­tes Reit­pferd (meist für Da­men)  <<<

Mi­schung aus La­tein und Fran­zö­sisch: »Sei ge­seg­net, mein Sohn!«  <<<

Misch­spra­che des ro­ma­ni­schen Mit­tel­al­tes  <<<

Sam­mel­be­zeich­nung für is­la­mi­sche Völ­ker  <<<

Hep­tar­chie (grie­chisch für Sie­ben­herr­schaft) ist ein Name für jene früh­mit­tel­al­ter­li­che Pe­ri­ode, in der Eng­land in an­gel­säch­si­sche Klein­kö­nig­rei­che ge­teilt war (um 600).  <<<

lat. »Wehe den Be­sieg­ten!«  <<<

Grie­chi­scher Wein  <<<

Drittes Kapitel

In ei­ner Hal­le, de­ren ge­rin­ge Höhe mit ih­rer Län­ge und Brei­te gar kein rech­tes Ver­hält­nis hat­te, stand ein lan­ger, ei­che­ner Tisch, der aus roh be­haue­nen Plan­ken des na­hen Wal­des ge­fer­tigt und kaum ein we­nig ab­ge­ho­belt wor­den war. Auf die­ser Ta­fel wur­de bei Ce­d­ric dem Sach­sen das Abendes­sen auf­ge­tra­gen. Das Dach der Hal­le be­stand aus Boh­len und Stroh­be­lag. An je­dem Ende war eine große Feu­er­stät­te, da die Ka­mi­ne aber sehr pri­mi­tiv wa­ren, so ging fast eben­so viel Rauch in das Ge­mach wie zum Schorn­stein hin­aus. Von dem fort­wäh­ren­den Qualm wa­ren die Bal­ken der De­cke mit ei­nem schwar­zen Fir­niss von Ruß be­deckt. Die Wän­de wa­ren mit Waf­fen und Jagd­ge­rät be­hängt, und an je­der Ecke führ­ten Flü­gel­tü­ren in an­de­re Tei­le die­ses um­fang­rei­chen Ge­bäu­des. Was sonst im Hau­se zu se­hen war, ent­sprach gleich­falls der ro­hen Ein­fach­heit der Sach­sen­zeit, an der Ce­d­ric fest­zu­hal­ten ent­schlos­sen war. Der Vor­saal war aus Erde und Lehm, die mit­ein­an­der ver­mengt und fest­ge­stampft wa­ren nach Art von Scheu­nen­ten­nen. Etwa ein Vier­tel des Ge­ma­ches lag um eine Stu­fe hö­her, und die­ser Teil, der so­ge­nann­te Bal­da­chin, war für die Mit­glie­der der Fa­mi­lie und für vor­neh­me Gäs­te be­stimmt.

Quer über die­sen Raum hin­weg stand ein Tisch mit ei­ner schar­la­che­nen De­cke; von sei­ner Mit­te ging der län­ge­re und nied­ri­ge­re Tisch aus, an dem in der Tie­fe der Hal­le die Die­ner­schaft und die an­de­ren ge­rin­ge­ren Leu­te speis­ten. Auf der er­höh­ten Flä­che stan­den mas­si­ge Stüh­le von ge­schnitz­tem Ei­chen­holz, und über Stüh­le und Ta­fel hin war ein Thron­him­mel von Lin­nen ge­spannt, der die Plät­ze der Vor­neh­men ein we­nig vor Wet­ter und Re­gen schütz­te, die oft durch das schad­haf­te Dach dran­gen. Und so­weit der Thron­him­mel reich­te, wa­ren die Wän­de die­ses hö­her ge­le­ge­nen Tei­les der Hal­le mit Ta­pe­ten und Vor­hän­gen be­klei­det, und die Die­le be­deck­te ein Tep­pich. Plum­pe Ver­su­che der Web- und Stick­kunst, in grel­len, fast schrei­en­den Far­ben aus­ge­führt, bil­de­ten ih­ren Zier­rat. Über der nie­de­ren Ta­fel lag die kah­le De­cke, die mit Gips be­wor­fe­nen Wän­de wa­ren nackt, und der raue Bo­den hat­te kei­nen Tep­pich. Auch war kei­ne De­cke über den Tisch ge­brei­tet, und an Stel­le der Stüh­le stan­den lan­ge Bän­ke. Die bei­den Mit­tel­sit­ze der obe­ren Ta­fel wa­ren ein we­nig hö­her als die üb­ri­gen. Das wa­ren die Plät­ze des Herrn und der Frau vom Hau­se, und ne­ben bei­den Ses­seln stand auch zum äu­ße­ren Zei­chen ih­rer hö­he­ren Wür­de eine Fuß­bank von selt­sa­mer, mit El­fen­bein aus­ge­leg­ter Schnit­ze­rei.

Auf dem einen die­ser Ses­sel saß jetzt Ce­d­ric der Sach­se. Aus sei­nen Zü­gen sprach große Bie­der­keit, aber auch eine hef­ti­ge, zor­ni­ge Ge­müts­art. Er war nicht über Mit­tel­grö­ße, aber breit in den Schul­tern und lang­ar­mig und stark ge­baut, und man sah es ihm an, dass er an die Stra­pa­zen von Krieg und Jagd ge­wöhnt war. Er hat­te ein brei­tes Ge­sicht, große, blaue Au­gen, einen of­fe­nen, ge­rad­sin­ni­gen Aus­druck, präch­ti­ge Zäh­ne und einen hübsch ge­form­ten Schä­del und war von je­ner Art fro­her Lau­ne, die man oft im Ve­rein mit ei­nem vor­schnel­len, jäh­zor­ni­gen Ge­müt an­trifft. Sein Auge blitz­te Stolz und Ei­fer­sucht, denn bis­her war sei­nes gan­zen Le­bens Ar­beit dar­auf ge­rich­tet ge­we­sen, sei­ne Rech­te ge­gen be­stän­di­ge An­grif­fe zu ver­tei­di­gen. Sein lan­ges, gel­bes Haar war in der Mit­te ge­schei­telt und von je­der Sei­te auf die Schul­ter her­ab­ge­kämmt; es war noch kaum merk­lich mit Grau ver­mischt, ob­gleich Ce­d­ric der Sach­se schon nahe den Sech­zi­gern war. Er trug einen gras­grü­nen Lei­b­rock, der an Hals und Är­me­lauf­schlä­gen mit Pelz­werk be­setzt war. Die­ser Kit­tel hing of­fen über ei­nem en­ge­ren Rock von schar­la­che­ner Far­be, der den Leib fest um­schloss. Bein­klei­der von der­sel­ben Far­be reich­ten nur bis an die Knie her­ab, die sie ganz frei lie­ßen. An den Fü­ßen trug er San­da­len, die vorn gol­de­ne Hef­tel1 hat­ten. Sei­nen Leib um­schlang ein mit Knöp­fen reich be­setz­ter Gür­tel, in dem ein kur­z­es, nicht ge­bo­ge­nes, zwei­schnei­di­ges Schwert fast senk­recht steck­te. An Schmuck­sa­chen trug er ein gol­de­nes Hals­band und gol­de­ne Arm­bän­der. Ein schar­lach­ro­ter Man­tel mit Pelz­be­satz hing hin­ter sei­nem Ses­sel, und wenn er aus­ging, ver­voll­stän­dig­te eine reich ge­stick­te Müt­ze aus dem glei­chen Stoff den An­zug des rei­chen Grund­be­sit­zers. An der Leh­ne sei­nes Stuh­les stand ein Wurf­spieß mit schar­fer stäh­ler­ner Spit­ze, den er je nach Be­darf als Spa­zier­stock oder als Waf­fe ge­brauch­te. Meh­re­re Die­ner, in de­ren Tracht man­che Ab­stu­fung, von der rei­chen Klei­dung ih­res Herrn bis zur ein­fa­chen Ge­wan­dung Gurths des Schwei­ne­hir­ten zu er­ken­nen war, stan­den sei­ner Be­feh­le ge­wär­tig. Fer­ner wa­ren ein paar große, ge­fleck­te Wind­spie­le da, wie man sie zur Hatz auf Hirsch und Wolf braucht, dann ein paar Hun­de von plum­per, kno­chi­ger Art mit dickem Na­cken und lan­gen Ohren, und end­lich noch ein paar klei­ne Dachs­hun­de.

Ce­d­ric war eben nicht in ge­müt­li­cher Stim­mung. Lady Ro­we­na, die gra­de von ei­ner Abend­mes­se zu­rück­kam, wech­sel­te ihre durch­näss­ten Klei­der. Noch war kei­ne Nach­richt ge­bracht wor­den, ob Gurth und sei­ne Her­de gut heim­ge­kom­men sei­en, und doch hät­ten sie schon längst da sein müs­sen. So we­nig si­cher war alle Habe, dass ihr Aus­blei­ben auf den Über­fall ei­ner Räu­ber­ban­de, von de­nen es im Wal­de wim­mel­te, oder auf eine Ge­walt­tat ei­nes be­nach­bar­ten Barons zu­rück­ge­führt wer­den konn­te, der im Be­wusst­sein sei­ner Über­macht frem­des Ei­gen­tum nicht ach­te­te. Hie­rin lag Grund ge­nug zu erns­ter Be­sorg­nis, au­ßer­dem aber ver­lang­te es den säch­si­schen Tha­ne2 nach sei­nem Lieb­ling Wam­ba, des­sen Spä­ße ihm, wie sie auch aus­fal­len moch­ten, das Abend­mahl und die dar­auf fol­gen­den tüch­ti­gen Becher­zü­ge tag­täg­lich würz­ten.

»Wa­rum weilt Gurth so­lan­ge im Fel­de?«, frag­te er. »Ich fürch­te, wir wer­den Schlim­mes von der Her­de hö­ren. Mir ahnt schon -- sie ha­ben mir mein Ei­gen­tum weg­ge­trie­ben und mei­nen treu­en Skla­ven er­mor­det. Und Wam­ba -- wo ist Wam­ba? Sag­te man mir nicht, er sei mit Gurth ge­gan­gen?«

Der Mund­schenk3 Os­wald, der ihm ab und zu einen sil­ber­nen Be­cher voll Wein reich­te, be­jah­te die Fra­ge.

»Im­mer bes­ser! So ha­ben sie ihn auch mit weg­ge­schleppt, und der säch­si­sche Narr soll nun den nor­man­ni­schen Her­ren die­nen. Wir sind ja frei­lich al­le­samt nichts wei­ter als Nar­ren, dass wir ih­nen die­nen, und sie könn­ten nicht mit mehr Recht un­ser spot­ten, wenn wir mit der Hälf­te un­se­res Ver­stan­des zur Welt ge­kom­men wä­ren. Aber ich will Ra­che neh­men«, rief er, in­dem er zor­nig von sei­nem Sit­ze auf­sprang und sei­nen Speer er­griff. »Ich will Ra­che neh­men! Vor den Ho­hen Rat will ich mit mei­ner Kla­ge tre­ten -- ich habe Freun­de und An­hang. Ich will den Nor­man­nen zum Zwei­kampf in die Schran­ken ru­fen, Mann ge­gen Mann! Mag er nur kom­men in Stahl­pan­zer und Schup­pen­ket­ten und al­lem, was dem Fei­gen Mut ver­leiht. -- Wohl mö­gen sie mich für alt hal­ten, aber sie sol­len se­hen! Ob ich auch alt und kin­der­los bin, noch fließt das Blut He­re­wards in den Adern Ce­d­rics. -- O, Wil­fried, Wil­fried!«, füg­te er in sanf­te­rem Tone hin­zu.

»Hät­test du dei­ne un­klu­ge Lei­den­schaft zü­geln kön­nen, so stän­de jetzt dein Va­ter in sei­nem Al­ter nicht da wie die ein­sa­me Ei­che, die ihre zer­zaus­ten Zwei­ge schutz­los dem vol­len Stur­me preis­ge­ben muss.«

Die­se Be­trach­tung schi­en ihn aus sei­ner Auf­re­gung in Schwer­mü­tig­keit zu ver­sen­ken, er stell­te den Speer hin, setz­te sich, schlug den Blick zur Erde und schi­en ganz in trüb­sin­ni­ge Ge­dan­ken ver­tieft. Aber aus die­ser Grü­belei schreck­te ihn der Klang ei­nes Hor­nes auf, den alle Hun­de in der Hal­le und noch ei­ni­ge drei­ßig in den an­de­ren Tei­len des Ge­we­ses mit lau­tem Ge­bell er­wi­der­ten.

»Ans Tor, ihr Bur­schen!«, rief der Sach­se, als der Lärm so­weit ge­stillt war, dass man wie­der sei­ne ei­ge­ne Stim­me ver­ste­hen konn­te. -- »Seht zu, was für Kun­de uns die­ses Horn bringt. Ich den­ke, Über­fall und Räu­be­rei auf mei­nem Grund und Bo­den!«

Nach ei­ner klei­nen Wei­le kam ein Auf­se­her zu­rück und mel­de­te, der Pri­or Ay­mer von Jor­vaulx und der Kom­tur des tap­fe­ren und ehr­wür­di­gen Or­dens der Tem­pel­her­ren, der edle Rit­ter Bri­an de Bois-Guil­bert nebst ei­nem klei­nen Ge­fol­ge bä­ten für die­se Nacht um gast­li­che Her­ber­ge. Sie sei­en un­ter­wegs zu ei­nem Tur­nier, das in zwei Ta­gen un­weit As­h­by-de-la-Zou­che statt­fin­den soll.

»Ay­mer, Pri­or Ay­mer?«, mur­mel­te Ce­d­ric. »Bri­an de Bois-Guil­bert? Bei­des Nor­man­nen! Doch ei­ner­lei! Die Gast­freund­schaft von Ro­ther­wood muss hoch­ge­hal­ten wer­den -- da sie es ein­mal vor­ge­zo­gen ha­ben hier Rast zu ma­chen, so sind sie will­kom­men, will­kom­me­ner frei­lich wäre es mir, sie zö­gen vor­über. Geh, Hun­de­bert!«, sag­te er zu dem Haus­ver­wal­ter, »nimm sechs von den Die­nern mit und ge­lei­te die Frem­den her­ein. Sieh nach den Pfer­den und Maul­tie­ren und sor­ge da­für, dass es dem Ge­fol­ge an nichts fehlt. Gib fri­sche Klei­der, wenn sie da­nach ver­lan­gen, und Feu­er, Wasch­was­ser, Wein und Bier! Sag auch den Kö­chen Be­scheid, dass sie mehr Es­sen ma­chen! Und den Frem­den sel­ber be­stel­le, Ce­d­ric wür­de sie gern selbst will­kom­men hei­ßen, aber er habe ein Ge­lüb­de ge­tan, sich kei­ne drei Schrit­te von sei­nem Thron­him­mel zu ent­fer­nen, so­fern nicht ein Gast kommt, der aus säch­si­schem Kö­nigs­blu­te stammt. Der Pri­or Ay­mer?«, wie­der­hol­te er, sich zu sei­nem Mund­schenk wen­dend, »man sagt, die­ser Pries­ter sei ein lus­ti­ger und frei­sin­ni­ger Mann, dem Be­cher und Hift­horn4 lie­ber sei­en als Bet­glöck­lein und Mess­buch. Den lern ich gern ken­nen. Wie aber hieß der Temp­ler?«

»Bri­an de Bois-Guil­bert.«

»Bois-Guil­bert«, sag­te Ce­d­ric vor sich hin wie ei­ner, der viel mit Un­ter­ge­be­nen zu­sam­men ist und da­her mehr mit sich selbst als mit an­de­ren spricht. »Bois-Guil­bert. -- Der Name hat gu­ten und schlim­men Klang weit und breit. Er soll an Tap­fer­keit kei­nem sei­nes Or­dens nach­ste­hen, soll aber auch die ge­wöhn­li­chen Feh­ler sei­nes­glei­chen ha­ben: Stolz und Hoch­mut, Grau­sam­keit und Wol­lust. Er soll we­der Furcht vor der Welt noch Ehr­furcht vorm Him­mel ha­ben, wie die we­ni­gen Krie­ger sa­gen, die aus Pa­läs­ti­na wie­der­ge­kom­men sind. Os­wald, zapf ab vom äl­tes­ten Wei­ne und gib vom bes­ten Met, vom schäu­mends­ten Cid­re5 und füll die größ­ten Trink­hör­ner! Temp­ler und Äbte sind Freun­de von gu­tem Trop­fen und vol­lem Maß. Und du, El­gi­tha, sage dei­ner Her­rin, wir er­war­ten sie heu­te Abend nicht in der Hal­le, wenn sie selbst nicht den be­son­de­ren Wunsch hat zu kom­men.«

»Den Wunsch wird sie frei­lich wohl ha­ben, denn sie hört gar zu gern et­was Neu­es aus Pa­läs­ti­na«, be­eil­te sich El­gi­tha, zu ant­wor­ten. Ce­d­ric warf der vor­lau­ten Zofe einen grim­mi­gen Blick zu, aber Ro­we­na und al­les, was ihr an­ge­hör­te, war vor sei­nem Zor­ne si­cher.

»Pa­läs­ti­na!«, wie­der­hol­te der Sach­se, als das Mäd­chen ge­gan­gen war. »Pa­läs­ti­na! Wie man­ches Ohr lauscht den Be­rich­ten, die über­trei­ben­de Kreuz­fah­rer oder lüg­ne­ri­sche Pil­ger aus die­sem un­glück­li­chen Lan­de mit heim­brin­gen. -- Auch ich möch­te for­schen, fra­gen, klop­fen­den Her­zens den Mär­chen lau­schen, mit de­nen uns pfif­fi­ge Wan­de­rer die Gast­freund­schaft ab­schwat­zen. Doch nein! Der Sohn, der mir den Ge­hor­sam ver­wei­gert hat, ist für­der nicht mein Sohn, und ich will mich eben­so we­nig um sein Schick­sal be­küm­mern wie um das des Ver­wor­fens­ten un­ter all den Mil­lio­nen, die das Kreuz auf der Schul­ter tru­gen und sich in Aus­schwei­fung und Blut­schuld stürz­ten un­ter dem Deck­man­tel, den Wil­len Got­tes zu tun.«

Er kniff die Brau­en fins­ter zu­sam­men und sah ein Weil­chen zu Bo­den, und als er die Au­gen wie­der auf­schlug, wa­ren die Flü­gel­tü­ren in der Tie­fe der Hal­le ge­öff­net, der Haus­ver­wal­ter mit sei­nem wei­ßen Sta­be trat her­ein, vier Die­ner mit Fa­ckeln folg­ten ihm, und hin­ter­drein schrit­ten die Gäs­te die­ses Abends.

Häk­chen, Span­gen  <<<

Als Tha­ne be­zeich­ne­te man im Mit­tel­al­ter den an­gel­säch­si­schen Ge­folgs­mann.  <<<

an Fürs­ten­hö­fen für die Ge­trän­ke ver­ant­wort­li­cher Hof­be­am­ter  <<<

Das Hift­horn ist ein klei­nes, seit dem Mit­tel­al­ter be­kann­tes Si­gnal­horn.  <<<

Ap­fel­schaum­wein  <<<

Viertes Kapitel

Pri­or Ay­mer hat­te sich die Ge­le­gen­heit nicht ent­ge­hen las­sen, sein Reit­ko­stüm ab­zu­le­gen und in ei­nem An­zug aus fei­ne­rem Stof­fe zu er­schei­nen, über dem er einen Chor­rock mit pracht­vol­ler Sti­cke­rei trug. Au­ßer dem großen Sie­gel­ring, an dem sein Rang als Geist­li­cher zu er­ken­nen war, hat­te er, im Wi­der­spruch zu den Or­dens­re­geln, noch vie­le kost­ba­re Rin­ge an den Fin­gern. Sei­ne San­da­len wa­ren aus feins­tem Le­der, und den Bart hat­te er so zier­lich ge­stutzt, als es sich nur ir­gend mit den Vor­schrif­ten ver­trug. Die Ton­sur wur­de von ei­ner schar­lach­ro­ten Müt­ze ver­deckt. Auch der Tem­pel­herr er­schi­en in an­de­rem Klei­de. Sei­ne Er­schei­nung, we­ni­ger mit Schmuck über­la­den als sein Ge­fähr­te, mach­te einen ge­bie­te­ri­schen Ein­druck. Statt sei­nes Pan­zer­klei­des trug er ein Un­ter­ge­wand aus pur­pur­ner Sei­de mit Pelz ver­brämt, über den ein lan­ges Ober­kleid von fle­cken­lo­ser Wei­ße in wei­ten Fal­ten her­ab­fiel. Das acht­e­cki­ge, aus schwar­zem Samt ge­schnit­te­ne Kreuz sei­nes Or­dens war auf die Man­te­lach­sel ge­näht. Er trug nicht mehr die hohe Schar­lach­müt­ze, sei­ne Stirn war nur noch be­schat­tet von sei­nem vol­len, krau­sen, ra­ben­schwar­zen Haar, das ihn bei sei­nem un­ge­wöhn­lich dun­keln Teint gut klei­de­te. Sein Gang und sei­ne Hal­tung wirk­ten ma­je­stä­tisch, nur ein auf­fal­len­der Aus­druck des Hoch­mu­tes, wie er ei­nem Man­ne von un­be­schränk­tem An­se­hen leicht zur zwei­ten Na­tur wird, be­ein­träch­tig­te ein we­nig die im­po­san­te Wir­kung. Hin­ter die­sen bei­den ho­hen Her­ren ka­men die Die­ner, und in be­schei­de­ner Ent­fer­nung der Weg­wei­ser, an dem nur das eine auf­fiel, dass sei­ne Tracht von dem ge­bräuch­li­chen Ha­bit der Pil­ger ab­wich. Ein gro­ber Man­tel um­schloss den gan­zen Kör­per. Der­be San­da­len wa­ren mit Rie­men an sei­ne nack­ten Füße ge­bun­den. Ein brei­ter Hut, der an der Krem­pe mit Mu­scheln be­setzt war, und ein lan­ger, ei­sen­be­schla­ge­ner Stab ver­voll­stän­dig­ten die Aus­stat­tung des Pil­gers. Be­schei­den schritt er hin­ter den an­de­ren drein, und als er sah, dass an der nied­ri­gen Ta­fel kaum Platz für Ce­d­rics Die­ner­schaft war, zog er sich auf einen Sitz ne­ben ei­nem der brei­ten Ka­mi­ne zu­rück und schi­en hier sei­ne Klei­der trock­nen und so lan­ge war­ten zu wol­len, bis am Tisch ein Platz frei oder ihm der Haus­hof­meis­ter Spei­se und Trank an sei­nen Platz brin­gen wür­de.

Ce­d­ric er­hob sich und emp­fing sei­ne Gäs­te mit al­ler Wür­de der Gast­lich­keit. Er kam von sei­ner Thron­er­hö­hung her­ab und ging ih­nen drei Schrit­te ent­ge­gen, ih­rer An­kunft har­rend.

»Hoch­wür­di­ger Pri­or«, sag­te er, »es tut mir leid, dass mich ein Ge­lüb­de bin­det, auf der Die­le mei­ner Vä­ter ir­gend­wem wei­ter ent­ge­gen zu ge­hen, sei­en es auch so hohe Gäs­te wie Ihr und der tap­fe­re Rit­ter des hei­li­gen Tem­pels. Aber mein Haus­hof­meis­ter hat Euch den Grund mit­ge­teilt, warum ich so un­höf­lich er­schei­nen muss. Ich muss Euch gleich­falls er­su­chen, es mir nicht zu ver­übeln, wenn ich mich mei­ner Mut­ter­spra­che be­die­ne und Euch bit­te, mir auch in ihr zu ant­wor­ten. Doch wenn Ihr ih­rer nicht mäch­tig seid, so ver­ste­he ich vom Nor­man­ni­schen ge­nug, dass ich Eu­ern Wor­ten fol­gen kann.«

»Ge­lüb­de«, sag­te der Abt, »müs­sen ge­hal­ten wer­den, wür­di­ger Fran­klin, oder lasst mich lie­ber sa­gen wür­di­ger Tha­ne, ob­schon die­ser Ti­tel jetzt ver­al­tet ist. Ge­lüb­de sind Ban­de, die uns an den Him­mel knüp­fen. Was die Spra­che be­trifft, so will ich mich gern in der un­ter­hal­ten, die mei­ne Groß­mut­ter ge­spro­chen hat.«

Nach die­sen ver­söhn­lich ge­mein­ten Wor­ten des Priors sag­te sein Ge­fähr­te in kur­z­em nach­drück­li­chen Tone:

»Ich spre­che stets Fran­zö­sisch, die Spra­che Richards und sei­ner Ed­len, doch ver­ste­he ich auch Eng­lisch ge­nug, um mich mit den Ein­ge­bo­re­nen un­ter­hal­ten zu kön­nen.«

Ce­d­ric warf ihm einen ra­schen un­ru­hi­gen Blick zu, aber er ge­dach­te sei­ner Pf­lich­ten als Wirt und un­ter­drück­te jede wei­te­re Äu­ße­rung sei­nes Un­wil­lens. Er wink­te sei­nen Gäs­ten, zwei Sit­ze ne­ben ihm ein­zu­neh­men, die nur ein we­nig nied­ri­ger wa­ren als der sei­ne. Dann gab er das Zei­chen, das Abendes­sen auf­zu­tra­gen. Wäh­rend die Be­feh­le des Herrn aus­ge­führt wur­den, ge­wahr­te Ce­d­ric den Schwei­ne­hir­ten Gurth, der eben mit Wam­ba her­ein­trat.

»Wa­rum habt Ihr so lan­ge drau­ßen her­um­ge­bum­melt?«, rief ih­nen der Sach­se zu. »Ist dei­ne Her­de in Si­cher­heit oder ist sie Räu­bern zur Beu­te ge­fal­len?«

»Sie ist in Si­cher­heit«, ant­wor­te­te Gurth.

»In Si­cher­heit, Spitz­bu­be!«, schalt Ce­d­ric. »Hab ich nicht hier zwei Stun­den lang in Angst ge­schwebt und auf Ra­che ge­gen mei­ne Nach­barn ge­son­nen we­gen ei­nes Un­rech­tes, das sie mir nun gar nicht zu­ge­fügt ha­ben? Prü­gel und Ker­ker sind dir si­cher, wenn du mir’s noch ein­mal so treibst.«

Gurth, der sei­nes Herrn Jäh­zorn kann­te, wag­te nicht, sich zu ent­schul­di­gen. Das Abendes­sen, das jetzt auf­ge­tra­gen wur­de, mach­te dem Wirt alle Ehre. Man­nig­fal­tig zu­be­rei­te­tes Schwei­ne­fleisch stand am un­te­ren Ende der Ta­fel, Ge­flü­gel-, Ha­sen-, Bock- und Hirsch­bra­ten, ver­schie­de­ne Fi­sche, große Ku­chen und ein­ge­mach­te Früch­te. Die Herr­schaft hat­te sil­ber­ne Be­cher, auf der Ge­sin­de­ta­fel stan­den große Trink­hör­ner. Als eben die Mahl­zeit be­gin­nen soll­te, hob der Haus­hof­meis­ter den Stab und rief laut:

»Platz für Lady Ro­we­na!«

Am obe­ren Ende der Hal­le ging eine Sei­ten­tür auf und Ro­we­na trat, von vier Zo­fen be­glei­tet, her­ein. Ce­d­ric war nicht an­ge­nehm über­rascht, dass sein Mün­del an die­sem Abend doch kam, er er­hob sich aber so­fort und ging ihr rasch ent­ge­gen, um sie ehr­furchts­voll zu dem für die Her­rin des Hau­ses be­stimm­ten er­höh­ten Platz zu sei­ner Rech­ten zu ge­lei­ten. Nun stan­den alle auf, sie zu be­grü­ßen, die Lady er­wi­der­te die­se Höf­lich­keit mit ei­ner stum­men Ver­beu­gung und schritt vol­ler An­mut zu ih­rem Platz am Ti­sche, aber noch ehe sie ihn er­reicht hat­te, flüs­ter­te der Temp­ler dem Pri­or zu:

»Ich wer­de beim Tur­nier kein gol­de­nes Hals­band von Euch tra­gen, Ihr habt den Chios­wein ge­won­nen.«

»Hab’ ich’s Euch nicht gleich ge­sagt?«, ver­setz­te der Abt, »doch mä­ßigt Euch in Eu­rem Ent­zücken, der Fran­klin hat Euch im Auge.«