Jacques der Fatalist und sein Herr oder Jakob und sein Herr - Denis Diderot - E-Book

Jacques der Fatalist und sein Herr oder Jakob und sein Herr E-Book

Denis Diderot

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Beschreibung

Mit seinem adeligen Herren reist der Diener Jacques neun Tage durch Frankreich. Anekdoten, die eigene Liebesgeschichte und philosophische Diskussionen über Willensfreiheit und Vorherbestimmung dienen ihnen der Unterhaltung und Wirken sich zugleich auf die Handlung in mehreren Ebenen aus. Immer wieder prägen Unglück und unvorhergesehene Ereignisse das Dauergespräch und sind zugleich Material für neue Geschichten Dritter und Vierter. Schließlich wird der Leser in die Diskussion verwickelt mit erstaunlichen, unerwarteten Wendungen und Entwicklungen.

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Denis Diderot

Jacques der Fatalist und sein Herr

oder

Jakob und sein Herr

1921

Abschnitt 1

Wie waren sie zueinander gekommen?

»Von ungefähr, wie das gewöhnlich der Fall ist.«

Wie hießen sie?

»Was kann euch daran liegen?«

Wo kamen sie her?

»Aus dem nächstgelegenen Orte.«

Wohin gingen sie?

»Weiß man je, wohin man geht?«

Was sprachen sie?

»Der Herr kein Wort; Jakob hingegen: sein Hauptmann habe gesagt, alles, was uns hienieden Gutes oder Böses begegne, stehe dort oben geschrieben.«

Der Herr. Das ist ein großes Wort.

Jakob. Mein Hauptmann pflegte hinzuzusetzen: jede Kugel, die aus einem Musketenlauf abgeschossen wird, hat ihre Adresse.

Herr. Und er hatte recht.

Nach einer kleinen Pause rief Jakob aus:

»Der Teufel hole den Weinschenken mit seinem Weinschank!

Herr. Warum seinen Nächsten zum Teufel wünschen? das ist nicht christlich.

Jakob. Weil ich, während ich mich an seinem schlechten Weine benebelte, unsere Pferde zur Tränke zu führen vergaß. Mein Vater wird es gewahr und gerät in Zorn. Ich setze einen Kopf auf; er erwischt einen Stock und begrüßt damit meine Schultern ein wenig derb. Eben zog ein Regiment vorbei, um ins Lager von Fontenoy zu marschieren; aus Verdruß lasse ich mich anwerben. Wir langen im Lager an; die Schlacht geht vor sich ...

Herr. Und du bekommst die Kugel unter deiner Adresse?

Jakob. Erraten! einen Schuß ins Knie, und Gott weiß, was alles für gute und böse Ereignisse dieser Schuß nach sich zog! sie greifen genau so ineinander, wie die Gelenke einer Kinnkette; ohne diesen Schuß zum Beispiel würde ich wohl nie in meinem Leben verliebt oder lahm geworden sein.

Herr. Du bist also verliebt gewesen?

Jakob. Und ob ich es gewesen bin!

Herr. Verliebt eines Schusses wegen?

Jakob. Eines Schusses wegen!

Herr. Du hast mir aber nie eine Silbe davon gesagt.

Jakob. Das glaub' ich wohl.

Herr. Und warum das?

Jakob. Weil es weder früher noch später gesagt werden konnte.

Herr. Ist der Augenblick nun gekommen, wo ich diese Liebesgeschichte erfahren kann?

Jakob. Wer kann das wissen?

Herr. Auf gut Glück, fang' nur immer an.

Und Jakob begann die Erzählung seiner Liebesabenteuer. Es war an einem Nachmittag, und die Luft sehr schwer und schwül. Der Herr schlief ein. Die Nacht überraschte sie mitten auf dem Felde, und sie waren vom rechten Weg abgekommen. Der Herr geriet in einen heftigen Zorn und fiel mit der Kardätsche über seinen Diener her; bei jedem Schlag sagte der arme Teufel bei sich: »Auch der stand offenbar dort oben geschrieben.«

Du siehst, lieber Leser, daß ich auf dem besten Wege bin, und daß es nur von mir abhinge, dich ein Jahr, zwei Jahr, drei Jahr auf die Erzählung von Jakobs Liebeshändeln warten zu lassen; ich brauchte ihn nur von seinem Herrn zu trennen und jeden in so viele Begebenheiten zu verwickeln, wie mir beliebte. Wer könnte mich verhindern, den Herrn zu verheiraten und zum Hahnrei zu machen, Jakob nach Westindien segeln zu lassen, seinen Herrn ebenfalls dahin zu schicken und beide dann auf einem und demselben Schiffe nach Frankreich zurückzuführen? Es ist ja so leicht, Geschichten zu erfinden. Doch diesmal sollen sie mit einer elenden Nacht, und du mit diesem kleinen Aufschub davonkommen.

Mit Tagesgrauen saßen sie wieder auf ihren Gäulen und setzten ihren Weg fort. – Und wo ging ihr Weg hin? – Leser, du tust mir diese Frage schon zum zweitenmal, und zum zweitenmal muß ich dir antworten: was kümmert das dich? Lasse ich mich einmal auf den Zweck ihrer Reise ein, dann gute Nacht, Jakobs Liebesgeschichte!

Stillschweigend ritten sie einige Zeit. Als sich endlich jeder von seinem Verdruß ein wenig erholt hatte, sagte der Herr zu seinem Diener: »Nun, Jakob! wo sind wir in deiner Liebesgeschichte stehen geblieben?«

Jakob. Ich glaube, bei der Flucht des feindlichen Heeres. Es lief, wer laufen konnte, die Sieger hinterdrein, und jeder dachte nur an sich. Ich blieb auf dem Schlachtfelde liegen und war unter einer Menge Toter und Verwundeter begraben. Den Tag darauf lud man mich mit einem Dutzend anderer auf einen Karren, um mich in eines unserer Lazarette zu bringen. Ach Herr! ich glaube, es gibt keine schlimmere Verwundung, als am Knie.

Herr. Geh, Jakob! du spaßest.

Jakob. Nein, beim Henker! Herr, ich spaße nicht. Es gibt da, ich weiß nicht wie viel Knochen und Sehnen und andere Sachen, die, ich weiß nicht wie, heißen ...

Eine Art Bauer, der mit einem Mädchen hinter sich unsern Reisenden auf der Ferse nachritt und ihnen zugehört hatte, nahm das Wort und sagte: Der Herr hat recht. – Man wußte nicht, wem dieses »Herr« gelten sollte; aber es ward von Jakob und seinem Herrn sehr übel aufgenommen, und Jakob sagte zu dem ungebetenen Zwischenredner: »Worein mischest du dich?«

»In mein Handwerk, – ich bin ein Wundarzt, Ihnen zu dienen, und will es Ihnen beweisen ...«

Die Weibsperson, die hinter ihm saß, sagte zu ihm:

»Herr Doktor, setzen wir unsern Weg fort und lassen wir diese Herren in Frieden, da sie es nicht gern zu sehen scheinen, daß man ihnen beweist.«

»Nein,« antwortete der Chirurgus; »ich will Ihnen beweisen und ich werde Ihnen beweisen ...«

Und indem er sich umwendete, um zu beweisen, stieß er seine Gefährtin an. Diese verlor das Gleichgewicht, fiel vom Gaul, blieb mit dem einen Fuß im Schoße seines Kleides hängen, und die Röcke schlugen ihr über dem Kopf zusammen.

Jakob sprang hurtig herunter, machte den Fuß des armen Geschöpfes los und gab ihren Röcken die vorige Lage wieder. Ich weiß nicht, ob er bei den Röcken oder mit Losmachen des Fußes anfing: genug, nach dem Geschrei der Weibsperson zu urteilen, hatte sie sich ernstlich verletzt.

»Das kommt beim Beweisen heraus,« sagte Jakobs Herr zu dem Chirurgen.

Und der Chirurg: »Das kommt heraus, wenn man nicht bewiesen haben will.«

Und Jakob zu dem gefallenen oder wieder aufgehobenen Frauenzimmer: »Tröste dich, mein gutes Kind: es ist weder deine Schuld, noch die Schuld des Herrn Doktor, noch meine, noch meines Herrn, sondern es steht dort oben geschrieben, daß heute auf dieser Landstraße, zu dieser Stunde, der Herr Doktor einen Anfall von Schwatzhaftigkeit bekommen, mein Herr und ich zum Anhören nicht aufgelegt sein, du eine Quetschung am Kopfe davontragen, und man deinen bloßen Hintern sehen sollte.«

O was könnte unter meinen Händen aus diesem Abenteuer nicht alles werden, wenn mich die Lust anwandelte, deine Geduld, lieber Leser, auf die Folter zu spannen! Ich würde aus diesem Frauenzimmer eine Person von Wichtigkeit schaffen, sie zur Nichte des Pfarrers in einem benachbarten Dorfe machen, die Bauern dieses Dorfes aufhetzen; kurz, ich würde Raufhändel und Verliebungen ohne Zahl zusammenhäufen; denn schließlich war diese Bäuerin unter ihrer Wäsche schön. Jakob und sein Herr hatten es wohl bemerkt, und nicht immer lauert die Liebe eine so verführerische Gelegenheit ab! Warum sollte Jakob nicht zum zweitenmal verliebt werden? warum nicht zum zweitenmal der Rival, und sogar der begünstigte Rival seines Herrn sein? – War ihnen das schon einmal begegnet? – Immer diese Fragen! Lieber Leser, du willst also nicht, daß Jakob in der Erzählung seiner Liebschaften fortfahren soll? Ein für allemal, erkläre dich! Macht sie dir Vergnügen, oder nicht? Macht sie dir Vergnügen, so wollen wir das Frauenzimmer wieder auf die Kruppe von des Doktors Rosinante setzen, beide ihres Weges ziehen lassen und zu unsern Reisenden zurückkehren.

Diesmal nahm Jakob das Wort und sagte zu seinem Herrn:

Das ist der Welt Lauf; Sie, der Sie in Ihrem Leben nie verwundet worden sind und nicht wissen, was ein Schuß am Knie zu bedeuten hat – – Sie wollen mir gegenüber, dem das Knie zerschmettert worden ist und der nun schon seit zwanzig Jahren hinkt, behaupten ...

Herr. Du könntest vielleicht recht haben; aber niemand als dieser unverschämte Schwätzer von Wundarzt ist schuld, daß du noch mit deinen Kameraden auf dem Karren liegst, fern vom Lazarett, fern von deiner Heilung und fern vom Verliebtwerden.

Jakob. Der Schmerz an meinem Knie war unbeschreiblich, was für eine Vorstellung Sie sich auch davon machen mögen. Die Unbequemlichkeit des Fuhrwerks und der böse Weg vermehrten diesen Schmerz noch; bei jedem Stoß des Karrens stieß ich einen lauten Schrei aus.

Herr. Weil dort oben geschrieben stand, daß du schreien solltest.

Jakob. Allerdings. Ich verblutete mich und wäre des Todes gewesen, wenn unser Karren, der letzte in der Reihe, nicht vor einer Bauernhütte gehalten hätte. Ich verlangte abgeladen zu werden, und man legte mich auf die Erde. Ein junges Weib, das in der Türe der Hütte stand, lief hinein und kam schnell mit einem Glase und einer Weinflasche zurück. Ich trank hastig ein oder zwei Schluck. Die Karren vor dem unsrigen fingen an, sich von neuem in Bewegung zu setzen. Man machte schon Anstalt, mich wieder zu meinen Gefährten zu werfen; aber ich hielt mich fest an den Kleidern des Weibes und an allem, was ich nur ergreifen konnte und beteuerte, daß ich mich nicht wieder aufladen ließe, und daß ich, wenn ich ja sterben müßte, lieber hier auf dieser Stelle, als ein paar Meilen weiter sterben wollte. Mit diesen Worten fiel ich in Ohnmacht. Als ich wieder zu mir kam, fand ich mich ausgezogen auf einem Bette in einem Winkel der Hütte liegen. Um mich standen ein Bauersmann, der Herr vom Hause; seine Frau, dieselbe, die sich meiner angenommen hatte, und einige kleine Kinder. Die Frau hatte einen Zipfel ihrer Schürze in Weinessig getaucht und rieb mir Nase und Schläfe damit.

Herr. Elender! verworfener Bösewicht! ... Jetzt sehe ich, wo du hinauswillst.

Jakob. Herr, ich glaube, Sie sehen nichts.

Herr. Hast du dich etwa nicht in diese Frau verliebt?

Jakob. Und wenn ich mich in sie verliebt hätte – was ließe sich wohl dagegen einwenden? Steht es einem frei, sich zu verlieben oder nicht? Und ist man's, hängt es von einem ab, so zu handeln, als ob man es nicht wäre? Wenn es dort oben geschrieben gewesen wäre, so hätte ich mir alles, was Ihr Euch anschickt, mir zu sagen, sagen, hätte mich ohrfeigen, mit dem Kopf gegen die Wand rennen und mir die Haare ausraufen können – es hätte doch alles nichts genützt, und mein Wohltäter wäre zum Hahnrei geworden.

Herr. Wollte man schließen wie du, so könnte man jedes Verbrechen begehen, ohne daß man sich deswegen Vorwürfe zu machen brauchte.xxx

Jakob. Der Einwurf, den Sie da machen, hat mir schon mehr als einmal das Hirn zermartert. Aber trotzdem, ich mag wollen oder nicht, muß ich bei dem Spruche meines Hauptmanns bleiben: Alles, was uns Gutes oder Böses hienieden begegnet, steht dort oben geschrieben. Herr! können Sie mir ein Mittel sagen, wie sich diese Schrift wegradieren läßt? Kann ich nicht Ich sein. Und wenn ich Ich bin, kann ich anders handeln, als Ich? Kann ich zugleich Ich und ein anderer sein? und hat es, seitdem ich auf der Welt bin, wohl einen einzigen Augenblick gegeben, wo dieses nicht wahr gewesen wäre? Predigen Sie, soviel Sie wollen. Ihre Gründe können vielleicht gut sein; aber sobald es in mir oder dort oben geschrieben steht, daß ich sie schlecht finden soll, so sagen Sie selbst, was kann ich machen?

Herr. Ich denke über etwas nach, ob nämlich dein Wohltäter zum Hahnrei geworden sein würde, weil es dort oben geschrieben stand, oder ob dies dort oben geschrieben stand, weil du deinen Wohltäter zum Hahnrei machen solltest.

Jakob. Beides stand nebeneinander geschrieben; beides war zu gleicher Zeit eingetragen worden. Man muß sich das wie eine große Rolle denken, die sich nach und nach entfaltet ...

Während unsere beiden Theologen sich stritten, ohne einander zu verstehen, ward es Nacht. Sie reisten durch eine Gegend, die zu keiner Zeit recht sicher war, am wenigsten aber jetzt, wo die schlechte Verwaltung und Mangel und Not die Zahl der Gauner und Übeltäter gewaltig vermehrt hatten. Sie kehrten in der elendesten aller Herbergen ein. Man schlug ihnen zwei Gurtbetten in einer Kammer, die aus überall klaffenden Bretterverschlägen gebildet war, auf. Sie verlangten zu Abend zu essen. Man trug ihnen Pfützenwasser, schwarzes Brot und kahmigen Wein auf. Wirt, Wirtin, Kinder, Gesinde, alle sahen unheimlich aus. Neben sich vernahmen sie das unmäßige Gelächter und die lärmende Fröhlichkeit von einem Dutzend Strauchdieben, die sich vor ihnen einquartiert und alles Vorrats bemächtigt hatten. Jakob war ziemlich ruhig; aber sein Herr ganz und gar nicht. Dieser machte sich alle möglichen Sorgen, während sein Bedienter einige Bissen schwarzes Brot verschlang und, sein Gesicht verziehend, ein paar Gläser von dem elenden Wein hinuntergoß. Indem hörten sie jemand an ihre Türe klopfen. Es war ein Knecht, den ihre unverschämten und gefährlichen Nachbarn gezwungen hatten, unseren beiden Reisenden auf einem Teller die Knochen und das Gerippe eines Huhnes zu bringen, das sie verzehrt hatten. Jakob ergrimmte und nahm die Pistolen seines Herrn.

»Wo willst du hin?«

»Lassen Sie mich nur machen.«

»Wo willst du hin, frage ich dich?«

»Diesem Gesindel Mores lehren.«

»Weißt du, daß ihrer ein Dutzend sind?«

»Und wären ihrer auch hundert! Die Zahl tut nichts zur Sache, wenn dort oben geschrieben steht, daß ihrer nicht genug sein sollen.«

»Hol' dich der Teufel mit deiner einfältigen Redensart!« ...

Aber Jakob entschlüpfte den Händen seines Herrn und trat mit einer gespannten Pistole in jeder Hand in das Zimmer der Gauner. »Auf, und zu Bette!« rief er ihnen zu; »dem ersten, der aufmuckt, schieß' ich vor den Kopf!« – In Jakobs Ton und Miene lag so viel Entschlossenheit, daß diese Schelme, die ihr Leben wenigstens ebenso lieb hatten, wie ehrliche Leute, ohne ein Wort zu sprechen, vom Tische aufstanden, sich auszogen und sich schlafen legten. Jakobs Herr erwartete, in der Ungewißheit, was für einen Ausgang dieses Abenteuer nehmen würde, mit Zittern und Zagen seine Wiederkunft. Jakob trat ins Zimmer, mit den Kleidungsstücken aller dieser Burschen bepackt, die er an sich genommen hatte, damit sie nicht in Versuchung geraten möchten, früher, als er wünschte, aufzustehen und sich anzukleiden. Er hatte ihr Licht ausgelöscht, ihre Tür verriegelt und verschlossen und trug den Schlüssel nebst einer seiner Pistolen in der Hand. »Jetzt,« sagte er zu seinem Herrn, »jetzt haben wir nichts weiter zu tun, als uns zu verbarrikadieren, indem wir unsere Betten vor diese Tür schieben und ruhig zu schlafen.« Damit fing er an, die Betten davor zu schieben und erzählte dabei seinem Herrn kühl und ohne viel Worte die Einzelheiten seiner Expedition.

Herr. Jakob! was bist du doch für ein Teufelskerl! du glaubst also ...

Jakob. Ich glaube nichts und leugne nichts.

Herr. Wenn sie sich nun geweigert hätten, zu Bette zu gehen!

Jakob. Das war unmöglich.

Herr. Warum?

Jakob. Weil sie's nicht getan haben.

Herr. Wenn sie jetzt wieder aufständen!

Jakob. Desto schlimmer oder desto besser!

Herr. Wenn... Wenn... Wenn... Und? ...

Jakob. Wenn das Meer zu kochen anfinge, so würde es, wie man zu sagen pflegt, viele gesottene Fische geben! Zum Henker, Herr! vorhin glaubten Sie Wunder, welcher Gefahr ich mich aussetzte; und doch war nicht das Geringste daran, jetzt glauben Sie sich in großer Gefahr, und doch ist daran vielleicht ebenso wenig. Wir alle, soviel es unser in diesem Hause gibt, wir alle fürchten uns einer vor dem andern; ein Beweis, daß wir alle nicht recht gescheit sind.

Und indem er so sprach, hatte er sich ausgezogen, niedergelegt und fing an, einzuschlafen. Sein Herr, der nun auch seinerseits ein Stück schwarzes Brot aß und einen Schluck von dem Krätzer nahm, spitzte die Ohren, horchte nach allen Seiten, sah Jakob an, der bereits schnarchte und sagte: »Was ist das doch für ein Teufelskerl!« – – Endlich streckte er sich, nach dem Beispiele seines Dieners, ebenfalls auf sein Lager; aber er konnte kein Auge zutun. So wie der Tag graute, fühlte Jakob eine Hand, die ihn rüttelte. Es war die seines Herrn, der ihm leise ins Ohr rief: »Jakob! Jakob!«

Jakob. Was gibt's?

Herr. Es ist Tag.

Jakob. Meinetwegen.

Herr. So steh' auf!

Jakob. Warum?

Herr. Damit wir hier so schnell als möglich wegkommen.

Jakob. Warum?

Herr. Weil wir hier schlecht aufgehoben sind.

Jakob. Wer weiß, ob wir es anderswo besser sein werden.

Herr. Jakob!

Jakob. Ja doch! Jakob! Jakob! Was für ein Teufelskerl sind Sie?

Herr. Was bist du für ein Teufelskerl! Jakob! lieber Jakob! ich bitte dich darum.«

Jakob rieb sich die Augen, gähnte zu wiederholten Malen, reckte seine Arme, stand auf, kleidete sich an, ohne sich zu beeilen, schob die Betten weg, ging zur Türe hinaus und die Treppe hinunter, begab sich in den Stall, sattelte und zäumte die Pferde, weckte den Wirt, der noch schlief, bezahlte die Rechnung, behielt aber die Schlüssel zu den beiden Kammern bei sich und verließ mit seinem Herrn den Gasthof.

Der Herr wollte in vollem Trabe davon eilen; aber Jakob, immer seinem System getreu, wollte Schritt reiten. Als sie schon eine ziemliche Strecke von ihrer fatalen Nachtherberge entfernt waren, hörte der Herr etwas in Jakobs Tasche klingeln und fragte ihn, was es wäre. Jakob gab zur Antwort: »Die Schlüssel zu den beiden Kammern.«

Herr. Warum hast du sie nicht zurückgegeben?

Jakob. Damit man zwei Türen aufzubrechen hat: die Tür unserer Nachbarn, um sie aus ihrem Gefängnisse zu befreien, und unsere Tür, um ihnen zu ihren Kleidern zu verhelfen. Auf die Art gewinnen wir Zeit und Vorsprung.

Herr. Gut ausgedacht, Jakob! Aber warum sollen wir Zeit gewinnen?

Jakob. Warum? Wahrhaftig, das weiß ich nicht.

Herr. Und wenn du Zeit und Vorsprung gewinnen willst, warum reitest du da Schritt?

Jakob. Weil man im Dunkeln über das, was dort oben geschrieben steht, weder weiß, was man tun soll, noch was man tut, und seinen Grillen folgt, die man Vernunft nennt, oder seiner Vernunft, die oft nichts weiter ist, als eine gefährliche Grille, welche bald zum Guten, bald zum Bösen ausschlägt.

Herr. Kannst du mir wohl sagen, was ein Tor und was ein Weiser ist?

Jakob. Warum nicht? – Ein Tor ... warten Sie... ist ein unglücklicher Mensch; folglich ist ein glücklicher Mensch ein Weiser.

Herr. Und was ist ein glücklicher oder unglücklicher Mensch?

Jakob. Das läßt sich sehr leicht erklären. Ein glücklicher Mensch ist der, dessen Glück dort oben geschrieben steht; und folglich ist der, dessen Unglück dort oben geschrieben steht, ein unglücklicher Mensch.

Herr. Und wer schreibt dort oben das Glück oder das Unglück der Menschen auf?

Jakob. Und wer hat die große Rolle verfertigt, worin das alles geschrieben steht? Ein Hauptmann, der Freund meines Hauptmanns, hätte gern einen Silbertaler darum gegeben, es zu wissen. Aber mein Hauptmann hätte nicht einen Heller daran gewendet, und ich ebensowenig; denn wozu würde es mir helfen? Würde ich dadurch der Grube entgehen können, worin ich mir den Hals brechen soll?

Herr. Ich glaube es doch.

Jakob. Und ich glaube es nicht; denn alsdann müßte sich eine falsche Zeile in die große Rolle eingeschlichen haben, die Wahrheit, nichts als Wahrheit und alle nur mögliche Wahrheit enthält. Wenn in dem großen Buche geschrieben stände: ,An dem und dem Tage bricht Jakob den Hals'; und Jakob bräche den Hals nicht – sagen Sie selbst, wie wäre das möglich, mag der Verfasser des Buches auch sein, wer er will?

Herr. Es ließe sich noch manches darüber sagen...

Jakob. Mein Hauptmann glaubte, Klugheit sei eine Voraussetzung, bei welcher die Erfahrung uns berechtige, die Umstände, worin wir uns befinden, als Ursachen gewisser Wirkungen anzusehen, die wir in Zukunft zu hoffen oder zu fürchten haben.

Herr. Und du hast irgend etwas davon verstanden?

Jakob. Gewiß; ich hatte mich nach und nach an seine Art zu sprechen gewöhnt. Aber wer darf sich rühmen, genug Erfahrung zu besitzen? und ist der nie betrogen worden, welcher sich schmeichelte, am besten damit ausgesteuert zu sein? Gibt es ferner einen Menschen, der imstande wäre, die Umstände recht zu kennen, in welchen er sich befindet? Die Berechnung, die wir in unserm Kopfe machen, und die Berechnung, die in das große Protokoll dort oben eingetragen ist, sind voneinander recht verschieden. Leiten wir das Geschick, oder leitet das Geschick uns? Wie viele klüglich ausgesonnene Pläne sind gescheitert, und wie viele werden noch scheitern! Und wie viele unsinnige Pläne sind geglückt, und wie viele werden noch glücken! Das wiederholte mir mein Hauptmann nach der Einnahme von Bergenopzoom und nach jener von Port-Mahon und setzte hinzu: Klugheit bürge uns nicht für einen guten Erfolg; sie tröste uns aber und entschuldige uns wegen eines schlimmen Ausgangs. Auch schlief er den Tag vor einer Schlacht so ruhig in seinem Zelt, wie in seiner Garnison, und ging ins Feuer, wie auf den Ball. Von ihm hätten Sie wohl mit Recht ausrufen können: Was für ein Teufelskerl! ...

Jakob und sein Herr setzten ihren Weg fort und wußten immer nicht, wo sie waren, ob sie gleich ungefähr wußten, wohin sie wollten. Sie suchten sich über die Langeweile und die Beschwerlichkeiten der Reise durch gleichgültiges Geschwätz hinwegzutäuschen, wie das bei Leuten so zu sein pflegt, die sich auf der Wanderung befinden, und oft auch bei Leuten, die ruhig auf ihrem Stuhle sitzen.

Diesmal brach der Herr das Stillschweigen und fing mit dem gewöhnlichen Refrain an: »Nun, Jakob! deine Liebesgeschichte!«

Jakob. Ich weiß nicht, wo ich stehen geblieben bin; ich bin so oft unterbrochen worden, daß ich ebensowohl daran tun würde, von vorn anzufangen.

Herr. Nein, nein! du hattest dich von deiner Ohnmacht an der Türe der Bauernhütte erholt und du lagst in einem Bette, und die Leute in der Hütte standen um dich her.

Jakob. Gut! Das Allernotwendigste war jetzt, einen Wundarzt aufzutreiben, und eine ganze Meile im Umkreise war keiner anzutreffen. Der gute Landmann ließ eins seiner Kinder zu Pferde steigen und schickte es in den nächstgelegenen Ort. Unterdessen hatte das gute Weib rauhen Wein ans Feuer gesetzt, und eins von ihres Mannes alten Hemden zerrissen; mein Knie wurde gebäht, mit Kompressen belegt und in Binden gewickelt; man warf einige Stücke Zucker, die man den Ameisen abgejagt hatte, in den Wein, der von dem Verbande übrig geblieben war, und gab ihn mir ein. Hierauf ermahnte man mich, Geduld zu haben. Es war spät. Die Leute setzten sich zu Tische und aßen ihr Abendbrot. Es war verzehrt, und der Bube noch nicht zurückgekommen, auch noch kein Wundarzt da. Nun wandelte den Vater, der von Natur mißmutig war, eine üble Laune an; er brummte mit seiner Frau, und es war ihm nichts recht. Seine übrigen Kinder schickte er mit harten Worten zu Bette. Die Frau setzte sich auf eine Bank, und nahm ihren Spinnrocken vor sich. Er spazierte auf und ab, und im Auf- und Abspazieren suchte er immer Gelegenheit, mit ihr zu zanken. »Wenn du in die Mühle gegangen wärst, wie ich dir gesagt hatte« – – und er endigte den Satz, indem er mit dem Kopf eine Bewegung nach meinem Bett machte.

»Ich will morgen hingehen.«

»Heute hättest du hingehen sollen, wie ich dir gesagt hatte ... Und der Rest Stroh, der noch in der Scheune liegt – worauf wartest du, ehe du es bindest?«

»Morgen soll es gebunden werden.«

»Was wir vorrätig haben, geht auf die Neige, und du hättest besser getan, es heute zu binden, wie ich dir gesagt hatte ... Und der Haufen Gerste, der auf dem Boden liegt und verdirbt! Ich wette, du hast nicht daran gedacht, ihn zu wenden.«

»Die Kinder haben's getan.«

»Du hättest es selber tun sollen. Wärst du auf dem Boden gewesen, so hättest du nicht an der Türe gestanden.« ...

Unterdessen fand sich ein Chirurg ein, und dann noch einer, und dann ein dritter mit dem ausgeschickten Knaben.

Herr. Nun, so warst du unter Wundärzten wie Sankt Rochus unter Hüten.

Jakob. Der erste war, als der Sohn des Bauern zu ihm kam, nicht zu Hause gewesen, aber seine Frau hatte nach dem zweiten geschickt, und der dritte war mit dem Boten angelangt. »Ei guten Abend, Gevattern! Treffen wir uns hier?« sagte der erste zu den beiden andern. – Sie hatten sich beeilt, wie sie nur konnten; es war ihnen warm geworden; sie hatten Durst und nahmen Platz an dem Tisch, der noch nicht abgedeckt war. Die Frau ging in den Keller und holte eine Flasche Wein herauf. Der Mann murmelte zwischen den Zähnen: »Was Teufel hatte sie aber an der Türe zu schaffen!« – Man fing an zu trinken; man schwatzte von den Krankheiten des Bezirks, man rechnete alle seine Patienten her. Ich fing an zu stöhnen und bekam zur Antwort: »Nur einen Augenblick noch Geduld; wir wollen Euch gleich helfen.« Als die Flasche ausgetrunken war, forderte man auf Rechnung meiner Kur die zweite, dann eine dritte, dann eine vierte; und bei jeder Flasche wiederholte der Mann seinen ersten Ausruf: »Aber was Teufel hatte sie an der Türe zu schaffen?«

Endlich war ich verbunden und fühlte ein wenig Linderung. Die Wundärzte hatten sich wieder wegbegeben, und meine Wirtsleute sich zu Bette gelegt. Ihre Schlafkammer war von der meinigen nur durch Bretter mit großen Spalten abgesondert, die man mit Löschpapier und bunten Bildern verklebt hatte. Ich schlief nicht und hörte die Frau zu ihrem Manne sagen: »Laß mich zufrieden! ich habe nicht Lust zu schäkern. Ein armer unglücklicher Mensch, der vor unserer Tür im Sterben liegt...«

»Frau! du kannst mir das nachher sagen.«

»Nein, du sollst nicht! wenn du nicht aufhörst, so stehe ich auf. Es macht mir kein Vergnügen, wenn ich das Herz voll habe.«

»O, wenn du dich so sehr bitten lassen willst, so wirst du am Ende zu kurz kommen.«

»Ich tue es nicht, um mich bitten zu lassen! aber du bist manchmal so hart ... so ... so ...«

Nach einer ziemlich kurzen Pause nahm der Mann das Wort und sagte: »Frau! gesteh jetzt nur, daß du uns durch ein sehr übel angebrachtes Mitleid in eine Verlegenheit gesetzt hast, aus der es fast unmöglich ist, wieder herauszukommen. Das Jahr ist schlecht; kaum können wir das Nötigste für uns und unsere Kinder bestreiten. Das Korn ist so teuer; der Wein nicht geraten. Ja, wenn es noch zu arbeiten gäbe! Aber die Reichen schränken sich ein, und die armen Leute können nichts verdienen. Auf einen Tag Arbeit kommen vier, an denen es nichts zu tun gibt! Niemand bezahlt, was er schuldig ist; die Gläubiger sind so hart, daß man darüber verzweifeln möchte. Und bei solchen Zeiten nimmst du einen Unbekannten, einen Fremdling auf, der uns nun so lange auf dem Halse liegen wird, wie es Gott und dem Wundarzte gefällig ist! und der wird gewiß nicht eilen, ihn zu kurieren; denn diese Herren ziehen die Krankheiten gern so sehr in die Länge, wie sie nur können. Der Mensch hat nicht einen Heller im Vermögen; er wird uns doppelte und dreifache Kosten machen. Sage, Frau! wie willst du es anfangen, ihn los zu werden? Sag, rede, führe mir deine Gründe an ...«

»Läßt sich denn vernünftig mit dir sprechen?«

»Du sagst, ich wäre mißgelaunt, ich zankte. Habe ich denn keinen Grund dazu? Gestern war im Keller noch etwas Wein vorrätig; der Himmel weiß, was aus dem werden wird! Die Wundärzte tranken schon gestern abend mehr, als wir und unsere Kinder in einer Woche. Und wer soll den Wundarzt bezahlen, der gewiß nicht um nichts und wieder nichts hierher gekommen sein will?«

»Ja, du hast vollkommen recht, und weil es uns so knapp und spärlich geht, machst du mir ein Kind, als ob wir ihrer nicht schon genug hätten.«

»O, nicht doch!«

»O ja, ich weiß ganz gewiß, daß ich schwanger werde.«

»Das sagst du immer.«

»Es ist jedesmal richtig gewesen, wenn mir das Ohr nachher juckte; und jetzt juckt es mir stärker als jemals.«

»Dein Ohr weiß nicht, was es will.«

»Rühr' mich nicht an! laß mein Ohr! laß es doch, Mann! Bist du verrückt im Kopf? Es wird dir übel bekommen.«

»Nein, nein! seit der Johannisnacht hat's für mich nichts mehr gegeben.«

»Du wirst so lange machen, bis ... und dann nach einem Monat brummst du mit mir, als ob es meine Schuld gewesen wäre.«

»Nein, nein!« »Und in neun Monaten ist es noch schlimmer.«

»Nein, nein!«

»Du bist's also, der's gewollt hat!«

»Ja. ja!«

»Wirst du's auch nicht vergessen? Wirst du auch nicht sprechen, wie du all die andern Male gesprochen hast?«

»Ja. ja!«

Und so geschah es denn, daß unter Nein, Nein und Ja, Ja dieser Mann, der so böse auf seine Frau war, weil sie einem Gefühle von Menschlichkeit nachgegeben hatte ...

Herr. Genau dieselbe Betrachtung habe ich auch angestellt.

Jakob. Daß dieser Mann nicht sehr konsequent war, ist gewiß; aber er war jung, und seine Frau hübsch, und nie macht man mehr Kinder, als zur Zeit der Not, des Mangels.

Herr. Es ist wahr, niemand arbeitet mehr an der Bevölkerung als die armen Leute.

Jakob. Ein Kind mehr macht ihnen nichts aus; die Mildtätigkeit anderer muß sie ernähren. Und dann ist es ja das einzige Vergnügen, das man umsonst hat; man tröstet sich bei Nacht gratis für die Leiden des Tages... Bei dem allen hatte der Mann mit seinen Bemerkungen doch recht. Während ich das zu mir selbst sagte, empfand ich einen heftigen Stich im Knie und rief aus: »Ach mein Knie!...« Und der Mann rief aus: »Ach Frau!...« Und die Frau rief aus: »Ach Mann! Aber... aber... der Fremde!«

»Ja, und der Fremde?«

»Wenn er was gehört hat!«

»Mag er doch!«

»Ich getraue mich morgen nicht, ihm ins Gesicht zu sehen.«

»Und warum denn? Bist du nicht meine Frau? Bin ich nicht dein Mann? Hat ein Mann seine Frau, hat eine Frau ihren Mann um nichts und wieder nichts?«

»Ah! ah!«

»Was gibt's? Was fehlt dir?«

»Mein Ohr!«

»Nun gut, dein Ohr?«

»Es juckt mich ärger denn je!«

»Schlaf! es wird schon vergehen.«

»Ich kann nicht. Ach, mein Ohr! mein Ohr!«

»Mein Ohr! mein Ohr! Das ist leicht gesagt.«

Ich mag dir nicht entdecken, Leser, was zwischen beiden vorging; aber als die Frau noch verschiedenemal leise und hastig: »mein Ohr! mein Ohr!« wiederholt hatte, stammelte sie zuletzt in abgerissenen Silben mit erlöschender Stimme: »Mei...n O...hr!« und ich weiß nicht, was im Anschluß an dies Mei...n...O...hr..! vereint mit dem darauffolgenden Stillschweigen, die Vorstellung in mir erweckte, daß ihr Ohrjucken auf irgendeine Weise zur Ruhe gekommen war. Das machte mir Vergnügen. Und ihr erst!

Herr. Jakob! leg die Hand aufs Herz und schwöre mir, daß es nicht diese Frau ist, in die du dich verliebt hast.

Jakob. Ich schwöre.

Herr. Desto schlimmer für dich!

Jakob. Desto schlimmer, oder desto besser! Sie glauben wahrscheinlich, Herr, daß Weiber mit einem solchen Ohr gern Gehör geben?

Herr. Ich glaube, daß es dort oben so geschrieben steht.

Jakob. Und ich glaube, es ist noch dabei geschrieben, daß sie nicht lange einem und demselben Gehör geben und mehr oder minder geneigt sind, auch einem andern das Ohr zu leihen.

Herr. Das wäre wohl möglich.

Nachdem sie eine Strecke schweigend nebeneinander hergeritten waren, nahm der Herr eine Prise Tabak und sagte zu Jakob:

»Nun, Jakob! und deine Liebesgeschichte?«

Statt zu antworten, rief Jakob aus: »Zum Teufel mit meiner Liebesgeschichte! – Habe ich nicht vergessen...«

Herr. Was denn?

Jakob kehrte, ohne zu antworten, alle seine Taschen um und befühlte sich überall; aber vergebens. Er hatte seinen Geldbeutel unter dem Kopfkissen seines Bettes liegen lassen und kaum seinem Herrn dies gestanden, als dieser ausrief:

»Auch ich wollte, daß deine Liebesgeschichte beim Kuckuck wäre! Ich habe meine Uhr am Kamin hängen lassen.«

Jakob ließ sich nicht lange bitten. Er kehrte sogleich um und ritt in langsamem Schritt zurück; denn er übereilte sich niemals...

Unterdessen setzte sein Herr immer seinen Weg fort und sah sich von Zeit zu Zeit um, ob Jakob nicht wiederkäme. Er stieg vom Pferde und ging zu Fuß, setzte sich wieder auf, ritt eine Viertelstunde, stieg von neuem ab und setzte sich auf die Erde, wobei er den Zügel seines Pferdes an den Arm hängte und den Kopf auf beide Hände stützte. Als er dieser Positur überdrüssig war, stand er auf und schaute aus, ob er Jakob nicht gewahr würde; doch kein Jakob war zu sehen! Nun ward er ungeduldig, und ohne recht zu wissen, ob er etwas sage oder nicht, brach er in die Worte aus: »Der Spitzbube! der Galgenvogel! der Taugenichts! wo bleibt er? was macht er? Braucht er soviel Zeit, einen Beutel und eine Uhr wiederzuholen? Ich will ihn totprügeln; ja gewiß, totprügeln will ich ihn! –« Und nun suchte er seine Uhr in der Achseltasche, wo sie nicht steckte, und geriet vollends aus aller Fassung; denn er wußte nicht, was er ohne seine Uhr, ohne seine Tabaksdose und ohne Jakob anfangen sollte. Das waren die drei großen Hebel seines Lebens, welches er damit zubrachte: Tabak zu nehmen, nachzusehen, wieviel die Uhr sei, und Fragen über Fragen an Jakob zu richten. Jetzt hatte er seine Uhr nicht mehr und war bloß auf seine Dose angewiesen, die er jede Minute auf- und zumachte.

Nun, Leser! Hast du den Herrn satt? und willst du, weil sein Diener nicht wiederkommt, daß wir ihn aufsuchen? Der arme Jakob! In dem Augenblick, wo wir von ihm sprechen, rief er schmerzbewegt aus: So stand es also dort oben geschrieben, daß ich an einem Tage für einen Straßenräuber angesehen, beinahe in ein Gefängnis gesperrt und beschuldigt werden sollte, ein Mädchen verführt zu haben!

Als er sich mit langsamen Schritten dem Orte des letzten Nachtlagers näherte, ging einer von den hausierenden Kleinhändlern, die man Galanteriekrämer zu nennen pflegt, bei ihm vorbei und rief ihm zu: »Herr Baron! ist nichts gefällig? Schnallen, Gürtel, Uhrketten, hochmoderne Dosen, Ringe, Petschafte als Uhranhänger, und eine Uhr! o Herr Baron! eine Uhr, eine schöne, goldene Uhr, ziseliert mit doppeltem Gehäuse, fast neu...« Jakob gab zur Antwort: ich suche wohl eine Uhr; aber das ist nicht die deinige... und setzte seinen Weg immer im Schritt fort. Indem er so weiterritt, glaubte er dort oben geschrieben zu erblicken, daß die Uhr, die ihm dieser Mann angeboten hatte, seines Herrn Uhr sein könne. Er ritt also zurück und sagte zu dem Galanteriekrämer: »Hör' Er, Freund, zeige Er mir einmal die Uhr mit dem goldenen Gehäuse; vielleicht gefällt sie mir.«

»Meiner Treu!« erwiderte der Galanteriekrämer, »das sollte mich nicht wundernehmen; sie ist schön, sehr schön und von Julien le Roi. Sie ist erst seit wenigen Augenblicken mein; ich habe sie wohlfeil erhandelt und will sie auch wohlfeil wieder weggeben. Ich bin für die kleinen aber häufigen Gewinne. Aber man ist bei den jetzigen Zeiten recht übel daran; wer weiß, ob ich in den nächsten drei Monaten wieder einen so unverhofften Gewinn machen werde. Sie scheinen mir ein artiger, feiner Herr zu sein, und ich will die Uhr lieber Ihnen als einem andern gönnen.«... Während er so sprach, setzte der Krämer seinen Kasten auf die Erde, öffnete ihn und nahm die Uhr heraus. Jakob erkannte sie auf der Stelle, ohne eben darüber in Verwunderung zu geraten; denn so wie er sich nie übereilte, so nahm ihn auch selten etwas wunder. Er betrachtete die Uhr recht genau. »Ja,« sagte er bei sich selbst, »sie ist's«... und zum Galanteriekrämer: »Du hast recht, sie ist schön, sehr schön, und ich weiß, sie geht.« Hierauf steckte er sie in seine Achseltasche und verabschiedete sich von dem Krämer mit den Worten: »Schönen Dank, mein Freund!«

»Wie? was? schönen Dank?«

»Ja, es ist meines Herrn Uhr.«

»Ich kenne Euern Herrn nicht; diese Uhr ist mein, ich habe sie gekauft und gut bezahlt.«...

Er faßte Jakob beim Kragen und schickte sich an, ihm die Uhr mit Gewalt zu nehmen. Jakob näherte sich seinem Pferd, ergriff eine von seinen Pistolen und setzte sie dem Hausierer auf die Brust. »Zurück!« rief er, »oder du bist des Todes!« – Der erschrockene Hausierer ließ unsern Jakob fahren. Dieser stieg wieder auf sein Pferd und ritt immer im Schritt nach der Stadt zu, indem er bei sich selbst sagte: »Die Uhr hätten wir wieder; nun wollen wir uns nach unserm Beutel umsehen.«... Der Galanteriekrämer machte in aller Eile seinen Kasten zu, nahm ihn auf seinen Rücken und lief hinter Jakob her, indem er aus vollen Kräften schrie: »Diebe! Räuber! Mörder! zu Hilfe! zu Hilfe!...« Es war in der Erntezeit, und die Felder wimmelten von Arbeitern. Sie ließen alle ihre Arbeit liegen, versammelten sich um den Schreienden, und fragten ihn, wo der Dieb, der Mörder sei?

»Dort, dort vorn! dort, dort!«

»Wie? der Reiter, der so langsam im Schritt nach dem Stadttore zu reitet?«

»Ja, eben der.«

»Geht, Ihr seid nicht gescheit! Das ist doch nicht die Art und Weise eines Räubers.«

»Und doch ist's ein Spitzbube; ihr könnt mir's glauben; ein Straßenräuber! er hat mir eine goldene Uhr mit Gewalt genommen.«

Die guten Leute wußten gar nicht, wie sie mit dem Geschrei des Hausierers und dem gemütlichen Schneckenritt Jakobs daran waren. »Liebe Leute,« setzte der Krämer hinzu, »ich bin ein zugrunde gerichteter Mann, wenn ihr mir nicht beisteht; sie ist dreißig Louisdor unter Brüdern wert. Helft mir! er geht mit meiner Uhr davon, und wenn er seinem Pferde die Sporen gibt, so kriege ich sie in meinem Leben nicht wieder.«

Konnte auch Jakob wegen der Entfernung das Geschrei nicht hören, so konnte er doch leicht den Auflauf bemerken; doch das trieb ihn nicht an, seinen Gang zu beschleunigen.– Endlich bewog der Hausierer die Bauern durch das Versprechen einer Belohnung, jenem nachzusetzen. Eine Menge Männer, Weiber und Kinder fingen also an, ihm nachzulaufen und zu rufen: »Fangt den Dieb, fangt ihn, fangt den Räuber!«

Der Hausierer folgte ihnen so hurtig, wie es ihm seine Bürde erlaubte, und schrie ebenfalls: »Fangt den Dieb, fangt ihn, fangt den Räuber!« So langten sie in der Stadt an. Die Einwohner liefen aus ihren Häusern, vereinigten sich mit den Bauern und dem Hausierer, und alle schrien einmütig: »Fangt den Dieb, fangt ihn, fangt den Räuber!« Alle umringten Jakob zu gleicher Zeit. Der Hausierer sprang auf ihn zu. Jakob gab ihm einen Tritt, daß er zur Erde stürzte; allein er schrie noch immer so heftig wie zuvor: »Spitzbube! Schelm! Bösewicht! gib mir meine Uhr heraus! Du mußt sie herausgeben und sollst obendrein noch gehängt werden!«...

Jakob behielt sein kaltes Blut; er wendete sich an den Haufen, der mit jedem Augenblick anwuchs, und sagte: »Es ist hier ein Polizeileutnant; man bringe mich zu ihm, und ich will beweisen, daß ich kein Schelm bin, wohl aber, daß dieser Mensch einer sein könnte. Es ist wahr, ich habe ihm eine Uhr abgenommen; aber diese Uhr gehört meinem Herrn. Ich bin in dieser Stadt nicht unbekannt. Vorgestern abends sind wir, mein Herr und ich, hier gewesen und haben bei dem Polizeileutnant, einem alten Freunde, logiert.«...

Daß ich meinen Lesern nicht eher gesagt habe, daß Jakob und sein Herr durch Conches gekommen sind und bei dem dortigen Polizeileutnant geherbergt haben, daran ist bloß schuld, daß es mir nicht eher eingefallen ist.

»Bringt mich zu dem Herrn Polizeileutnant!« sagte Jakob, und zu gleicher Zeit schwang er sich vom Pferde. So standen sie in der Mitte des Haufens, er, sein Pferd und der Galanteriekrämer. Sie begaben sich zu dem Hause des Polizeileutnants; Jakob, sein Pferd und der Galanteriekrämer gingen hinein. Jakob und der Galanteriekrämer hielten einander fest beim Knopfloch gefaßt. Das zusammengelaufene Volk blieb vor der Tür stehen.

Aber was fing Jakobs Herr unterdessen an? Er war an der Landstraße eingeschlafen, hatte den Zügel seines Pferdes an seinen Arm gehängt, und der Gaul graste um den Schläfer her, soweit die Länge des Zügels es ihm erlaubte.

Kaum wurde der Polizeileutnant Jakob gewahr, so rief er ihm zu: »Bist du's, mein guter Jakob? was führt dich so allein hierher?...«

»Die Uhr meines Herrn; er hatte sie am Kamin hängen lassen, und ich habe sie im Kasten dieses Mannes wiedergefunden. Auch komme ich unseres Beutels wegen zurück, den ich unter meinem Kopfkissen habe liegen lassen, und der sich ebenfalls wiederfinden wird, sobald Sie es befehlen.«

»Und sobald es dort oben geschrieben steht,« setzte der Herr Polizeileutnant hinzu.

Er ließ sogleich seine Leute heraufkommen; und kaum waren sie eingetreten, so zeigte der Hausierer auf einen großen Schlingschlang, der nicht die beste Miene hatte und erst vor kurzem in das Haus gekommen war.

»Dieser da«, sagte er, »hat mir die Uhr verkauft.«...

Der Herr nahm ein strenges Gesicht an und sagte zu dem Hausierer und zu seinem Bedienten: »Ihr verdient beide auf die Galeeren zu kommen; du, daß du die Uhr verkauft, und du, daß du sie gekauft hast... (Zum Bedienten): Gib diesem Manne sein Geld wieder, und zieh auf der Stelle deine Livree aus... (Zum Hausierer): Mach, daß du aus dem Lande kommst, wenn du nicht für immer hier hängenbleiben willst. Ihr treibt alle beide ein Handwerk, das Unglück bringt... Jakob, nun zu deinem Beutel.«

Die Person, die sich diesen Beutel zugeeignet hatte, erschien ungerufen. Es war ein großes Mädchen von vollen Formen.

»Ich habe den Beutel, Ihro Gnaden,« sagte sie zu ihrem Herrn; »aber ich habe ihn nicht gestohlen, er hat ihn mir gegeben.«...

»Ich hätte dir meinen Beutel gegeben?«...

»Ja.«...

»Es ist möglich; aber mich soll der Teufel holen, wenn ich mich dessen erinnere ...«

»Jakob,« sagte der Polizeileutnant, »wir wollen es gut sein lassen und nicht weiter untersuchen.«

»Ihro Gnaden...«

»Sie ist hübsch und gefällig, wie ich sehe«...

»Ihro Gnaden, ich schwöre Ihnen...«

»Wieviel war in dem Beutel?«

»Ungefähr 917 Livres.«

»Ah, Javotte! 917 Livres für eine Nacht? das ist für ihn und für dich viel zu viel. Gib mir den Beutel!«...

Das große Mädchen reichte ihrem Herrn den Beutel, und dieser nahm einen Laubtaler heraus. »Hier,« sagte er, indem er ihr den Laubtaler hinwarf, »hier ist die Bezahlung für deine geleisteten Dienste. Du bist mehr wert, aber für einen anderen, als Jakob. Ich wünsche dir, daß du alle Tage zweimal soviel verdienst; doch – außer meinem Hause. Verstehst du mich? Und du, Jakob, mach, daß du wieder auf dein Pferd und zu deinem Herrn kommst.«

Jakob grüßte den Polizeileutnant und entfernte sich, ohne zu antworten; aber er sagte sich selbst: »Die Unverschämte! die Spitzbübin! Es stand also dort oben geschrieben, daß ein anderer bei ihr schlafen und Jakob dafür bezahlen sollte? Doch tröste dich, Jakob! Bist du nicht überglücklich, mit so wenigen Kosten den Beutel und die Uhr deines Herrn wiedererlangt zu haben?«

Jakob setzte sich wieder auf sein Pferd und machte sich Platz durch das Gedränge vor der Tür der Magistratsperson; weil es ihm aber wehe tat, von so vielen Leuten für einen Dieb gehalten zu werden, so zog er die Uhr aus der Tasche, als ob er nachsehen wollte, wieviel es an der Zeit sei. Hierauf gab er seinem Pferde beide Sporen, das dergleichen nicht gewohnt war und desto schneller mit ihm davonrannte. Jakob hatte die Gewohnheit, es nach seiner Laune hinschlendern zu lassen; denn es war ihm ebenso lästig, es anzuhalten, wenn es galoppierte, als es anzutreiben, wenn es zu langsam ging. Wir glauben, daß wir das Schicksal leiten; aber das Schicksal leitet immer uns; und für Jakob war alles Schicksal, was ihn berührte, oder ihm zu nahekam: sein Pferd, sein Herr, ein Mönch, ein Hund, ein Weib, ein Maultier, eine Krähe. Sein Pferd brachte ihn also in vollem Galopp zu seinem Herrn, der, wie ich euch schon erzählt habe, mit dem Zügel seines Pferdes am Arm, neben der Landstraße eingeschlafen war. Damals hing das Pferd noch am Zügel; doch als Jakob ankam, hing wohl der Zügel noch an seinem vorigen Platze, aber das Pferd nicht mehr daran. Wahrscheinlich hatte sich ein Gauner dem Schlafenden genähert, den Zügel abgeschnitten und das Pferd mitgenommen. Über dem Getrappel, das Jakobs Pferd machte, wachte sein Herr auf. Sein erstes Wort war: »Kommst du? kommst du, Halunke? Ich will dich«... und gähnend riß er den Mund eine Elle weit auf.

»Gähnen Sie, Herr, gähnen Sie sich recht von Herzen satt,« sagte Jakob, »aber wo ist Ihr Pferd?«

»Mein Pferd?«

»Ja. Ihr Pferd.«

Der Herr ward nun gewahr, daß man ihm sein Pferd gestohlen hatte, und wollte eben mit dem Zügel über Jakob herfallen und ihn schlagen; aber Jakob rief:

»Sachte, Herr! Ich bin heute nicht aufgelegt, mich schlagen zu lassen. Den ersten Schlag nehme ich hin; aber ich schwöre, daß ich beim zweiten meinem Pferde die Sporen gebe und Sie hier sitzen lasse.«

Diese Drohung Jakobs besänftigte auf der Stelle die Wut seines Herrn, der nun in einem weit sanfteren Tone zu ihm sagte:

»Und meine Uhr?«

»Hier.«

»Und dein Beutel?«

»Hier.«

»Du bist sehr lange ausgeblieben.«

»Nicht zu lange für das, was ich unterdessen getan habe. Hören Sie mir recht aufmerksam zu! Ich bin hingeritten, habe mich herumgebalgt, habe alle Bauern im Felde, alle Einwohner der Stadt in Aufruhr gebracht; ich bin für einen Straßenräuber gehalten und vor den Richter geführt worden, habe zwei Verhöre ausgestanden, bin beinahe Ursache gewesen, daß zwei Menschen gehängt worden sind; habe einen Bedienten aus dem Hause jagen lassen und eine Magd um ihren Dienst gebracht; bin überführt worden, bei einem Geschöpfe geschlafen zu haben, das ich nie mit Augen gesehen hatte und doch bezahlte, und ich bin wieder zu Ihnen zurückgekommen.«

»Und ich, während ich auf dich wartete...«

»Es stand dort oben geschrieben, daß Sie, während Sie auf mich warteten, einschlafen und daß Ihnen Ihr Pferd gestohlen werden sollte. Nun gut, Herr! Lassen Sie uns nicht weiter daran denken. Das Pferd ist fort. Vielleicht steht's dort oben geschrieben, daß wir es wieder bekommen sollen.«

»Mein Pferd, mein armes Pferd!«

»Und wenn Sie Ihre Wehklagen bis morgen fortsetzen, so wird es doch nicht anders werden.«

»Was fangen wir an?«

»Ich will Sie hinter mir aufs Pferd nehmen, oder, wenn es Ihnen lieber ist, so wollen wir unsere Stiefel ausziehen, sie an den Sattel meines Pferdes hängen und unsern Weg zu Fuß fortsetzen.«

»Mein Pferd! mein armes Pferd!«

Sie entschlossen sich, zu Fuß zu gehen. Der Herr rief von Zeit zu Zeit aus: »Mein Pferd! mein armes Pferd!« und Jakob paraphrasierte die Geschichte seiner Abenteuer in nuce. Als er auf die Beschuldigung des Mädchens kam, sagte sein Herr:

»Hast du wirklich nicht bei dem Mädchen gelegen, Jakob?«

Jakob. Nein, Herr!

Herr. Und du hast sie bezahlt?

Jakob. Allerdings.

Herr. Ich bin einmal in meinem Leben unglücklicher gewesen als du.

Jakob. Sie bezahlten, nachdem Sie bei einer geschlafen hatten?

Herr. Getroffen.

Jakob. Wollen Sie mir die Geschichte nicht erzählen?

Herr. Ehe ich mit meiner Liebesgeschichte anfangen kann, müssen wir erst mit der deinigen fertig sein. Also, Jakob, zu deiner Liebesgeschichte, die ich für die erste und einzige Liebe, die du in deinem Leben gehabt hast, halten will, trotz dem Abenteuer mit der Magd des Polizeileutnants zu Conches; denn gesetzt auch, du hättest bei ihr geschlafen, so würdest du deswegen doch nicht in sie verliebt gewesen sein. Man schläft täglich bei Weibern, die man nicht liebt, und schläft bei denen nicht, die man liebt; aber...

Jakob. Nun gut! Aber? Was wollen Sie sagen?

Herr. Mein Pferd... Jakob! Mein Freund! Werde nicht böse! Setze dich an meines Pferdes Stelle; nimm an, daß ich dich verloren hätte und sage selbst, ob du nicht größere Stücke auf mich halten würdest, wenn du mich beständig ausrufen hörtest: »Mein Jakob! mein armer Jakob!«

Jakob lächelte und sagte: »Ich glaube, ich war bei dem Gespräche stehen geblieben, das mein Wirt mit seiner Frau in der Nacht nach meinem ersten Verbande hatte. Ich schlummerte ein wenig; mein Wirt und seine Frau standen später auf als gewöhnlich.

Herr. Das glaub' ich.

Jakob. Bei meinem Erwachen schob ich sacht die Vorhänge auseinander und sah meinen Wirt, seine Frau und den Chirurgen, der mich gestern verbunden hatte, bei der Tür in einer geheimen Unterredung. Nach dem, was ich in der Nacht gehört hatte, fiel es mir nicht schwer, zu erraten, was zwischen ihnen abgehandelt werden könnte. Ich hustete. Der Chirurg sagte zu dem Manne: »Er ist aufgewacht, Gevatter! Geht in den Keller! Wir wollen einen Schluck trinken; das macht eine sichere Hand. Hernach will ich den Verband abnehmen, und wir werden ja sehen, was weiter zu tun ist.«

Als die Flasche geholt und geleert war (denn der Kunstausdruck, einen Schluck trinken, heißt wenigstens: eine ganze Bouteille ausstechen) näherte sich der Chirurg meinem Bette und fragte: »Wie ist die Nacht gewesen?«

»Nicht schlecht.«

»Bitte, den Arm!... Gut, gut! der Puls geht nicht übel; es ist fast kein Fieber mehr da. Jetzt wollen wir nach dem Knie sehen... kommt her, Gevatterin,« sagte er zu der Wirtin, die am Fußende meines Bettes hinter dem Vorhang stand, »helft uns...«

Die Wirtin rief eines ihrer Kinder herbei...

»Nicht ein Kind brauchen wir hier, sondern Euch; eine falsche Bewegung würde uns einen ganzen Monat Pflege kosten. Kommt hierher...«