Jans muß sterben - Anna Seghers - E-Book

Jans muß sterben E-Book

Anna Seghers

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Beschreibung

In dieser frühen, bislang unbekannte Erzählung von Anna Seghers, wird das Sterben eines siebenjährigen Arbeiterjungen aus der Sicht von Mutter, Vater und dem kleinen Jans erzählt. Ihr Sohn Pierre Radvanyi fand sie zwischen anderen Papieren, die Anna Seghers im Juni 1940 in Paris zurücklassen mußte, als sie mit ihren Kindern vor der einrückenden deutschen Wehrmacht nach Südfrankreich und von dort aus nach Mexiko floh. Sie begann, wie handschriftliche Notizen belegen, im Mai 1925 daran zu arbeiten. Das unscheinbare, eng beschriebene Typoskript, das die Autorin - aus welchen Gründen auch immer - später unbeachtet liegen ließ, birgt ein meisterhaftes Stück Literatur: die Explosion eines Talentes, das sich zum Rang der bedeutendsten deutschen Erzählerin im 20. Jahrhundert entwickeln sollte. Hier ist sie bereits kraftvoll präsent, jene suggestive, gleichzeitig knappe und poetische Sprache, die das Frühwerk von Anna Seghers auszeichnet.

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Über Netty Reiling

Netty Reiling wurde 1900 in Mainz geboren. (Den Namen Anna Seghers führte sie als Schriftstellerin ab 1928.) 1920-1924 Studium in Heidelberg und Köln: Kunst- und Kulturgeschichte, Geschichte und Sinologie. Erste Veröffentlichung 1924: »Die Toten auf der Insel Djal«. 1925 Heirat mit dem Ungarn Laszlo Radvanyi. Umzug nach Berlin. Kleist-Preis. Eintritt in die KPD. 1929 Beitritt zum Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller. 1933 Flucht über die Schweiz nach Paris, 1940 in den unbesetzten Teil Frankreichs. 1941 Flucht der Familie auf einem Dampfer von Marseille nach Mexiko. Dort Präsidentin des Heinrich-Heine-Klubs. Mitarbeit an der Zeitschrift »Freies Deutschland«. 1943 schwerer Verkehrsunfall. 1947 Rückkehr nach Berlin. Georg-Büchner-Preis. 1950 Mitglied des Weltfriedensrates. Von 1952 bis 1978 Vorsitzende des Schriftstellerverbandes der DDR. Ehrenbürgerin von Berlin und Mainz. 1978 Ehrenpräsidentin des Schriftstellerverbandes der DDR. 1983 in Berlin gestorben.

Romane: Die Gefährten (1932); Der Kopflohn (1933); Der Weg durch den Februar (1935); Die Rettung (1937); Das siebte Kreuz (1942); Transit (1944); Die Toten bleiben jung (1949); Die Entscheidung (1959); Das Vertrauen (1968). Zahlreiche Erzählungen und Essayistik.

Informationen zum Buch

In dieser frühen, bislang unbekannte Erzählung von Anna Seghers, wird das Sterben eines siebenjährigen Arbeiterjungen aus der Sicht von Mutter, Vater und dem kleinen Jans erzählt. Ihr Sohn Pierre Radvanyi fand sie zwischen anderen Papieren, die Anna Seghers im Juni 1940 in Paris zurücklassen mußte, als sie mit ihren Kindern vor der einrückenden deutschen Wehrmacht nach Südfrankreich und von dort aus nach Mexiko floh.

Sie begann, wie handschriftliche Notizen belegen, im Mai 1925 daran zu arbeiten. Das unscheinbare, eng beschriebene Typoskript, das die Autorin – aus welchen Gründen auch immer – später unbeachtet liegen ließ, birgt ein meisterhaftes Stück Literatur: die Explosion eines Talentes, das sich zum Rang der bedeutendsten deutschen Erzählerin im 20. Jahrhundert entwickeln sollte. Hier ist sie bereits kraftvoll präsent, jene suggestive, gleichzeitig knappe und poetische Sprache, die das Frühwerk von Anna Seghers auszeichnet.

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Anna Seghers

Jans muß sterben

Mit einer Nachbemerkung von Pierre Radvanyi und einem Nachwort von Christiane Zehl Romero

Inhaltsübersicht

Über Anna Seghers

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Anna SeghersJans muß sterben

Anhang

Pierre RadvanyiGeschichte einer Geschichte

Zu dieser Ausgabe

Impressum

Niemand weiß, ob Jans Jansen an diesem Tag hinfiel, weil ihm schwindlig war, oder ob ihm erst schwindlig wurde, weil er hingefallen war. Er stolperte, fiel um und sprang jedenfalls gleich auf die Füße. Er griff sich an den Kopf, sein Finger war nicht einmal blutig, und er lief auf die Brücke, wohin er jeden Nachmittag zu laufen pflegte. Rittlings auf dem Geländer saßen ein paar Knaben, und Jans kletterte dazu. Es war aber heute keineswegs so großartig wie sonst, rittlings auf dem Brückengeländer zu sitzen. Nur weil er nicht den geringsten Grund wußte, es nicht mehr so großartig zu finden, blieb er sitzen. Aber die Brücke und das Wasser und die Ufer, alles war heute mit einem dünnen Staub von Langweile überzogen. Zwei, drei Knaben kletterten vorsichtig an der gefährlichen Seite des Geländers herunter, zwischen den Balken unterhalb der Brücke entlang und auf der anderen Seite wieder herauf. Mittags, wenn die Sonne durch die Ritzen der Bretter schien, konnte man im braunen Wasser unter dem Brückenbogen eine Spiegelbrücke sehn, und zwischen ihren Pfeilern, unbestimmt und glitzernd, kletterten behend die kleinen Knaben herum, die im vorigen Sommer bei diesem Spiel ertrunken waren, ohne es deshalb aufgegeben zu haben. Wer aber wieder glücklich heraufstieg, der brachte den Gefährten in seinen Augen kleine dunkle Punkte von überstandener Angst mit und in seinem verschwitzten Gesicht den Glanz des Abenteuers, der eben nur da unten zu finden war. Doch heute hatte Jans gar kein Verlangen nach Glanz, er hatte indessen Heimweh, ein quälendes, die Kehle zuschnürendes Heimweh – sonderbar, denn das Haus, in dem er wohnte, lag höchstens zehn Minuten entfernt, mürrisch und vielstöckig über dem Fluß am Ende der Gasse, Jans konnte das Küchenfenster mit den Geranientöpfen unterscheiden.

Jans kroch herunter und schlenderte nach Hause. Die Haustür war so schwer und die Treppe so steil. Aus dem Hof, wo die Abfalleimer standen, kam ein sommerlich fauler fader Geruch. Jans spürte ihn auf der Zunge. Er stieg schneller, und auf einmal war ihm wieder schwindlig, und die Stufen schwammen. Die Türklinke, die er brauchte, gelber als die übrigen auf dem Flur, flimmerte so widerlich, daß er sich gar nicht entschließen konnte, darauf zu drücken. Er tat es schließlich doch und stand auf der Schwelle. Er war sieben Jahre alt, er hatte eine rote Hose an, seine Schuhe waren niedergetreten, seine Beine nackt, mit kreisrunden Malen und Schrammen auf den Knien.

Alles an ihm war goldbraun, durchgereift vom Sommer, seine Haut, seine runden glänzenden Augen, sein Haar, das in dichten struppigen Büscheln vom Wirbel abfiel. Seine Mutter, die am Herd stand und in einem Topf rührte, drehte sich bei seinem Anblick um, überrascht, weil er so früh am Abend heimkam.

Jans’ Eltern waren noch junge Leute. Sie hatten früh geheiratet und waren gleichaltrig. Aber während Martin Jansen mit seinem rasierten Kinn, seinem blauen Arbeiterkittel immer noch einem aufgeschossenen gutmütigen Bengel glich, war Marie ein kräftiges junges Weib geworden –. Was hatte sie sich nur damals gedacht, als sie diesen Martin genommen hatte, der in die stickige, von Eltern und Geschwistern quälend übervolle Stube mit ein bißchen Zärtlichkeit und Lustigkeit hereingeschneit kam? für den es sich lohnte, das weiße Kleid zum Sonntag zu bügeln und der ihr manchmal in der Bude am Brückenkopf Veilchensträußchen kaufte? Hatte sie geglaubt, daß das neue Zimmer, in das sie gar nicht erwarten konnte einzuziehn, aus etwas andrem bestünde als aus einer Decke, vier Wänden und einem Fußboden? Hatte sie nicht geahnt, daß sein bißchen, durch allerhand Vorfreude hochgetriebene Lustigkeit sich bald abnutzen, daß es ihr mit seinen paar Zärtlichkeiten gehen würde wie mit dem Klang seiner Fußtritte, auf die sie früher ungeduldig gehorcht hatte und die sie jetzt gewohnt war ein paarmal täglich um dieselbe Zeit die Stufen heraufkommen zu hören? –

Und Marie war nicht dumm, sie war behend genug, alles gleich zu verstehn. Da gab es bald eine Liebelei mit einem hübschen Burschen, einen Stock tiefer. Doch ehe Martins Einwände noch etwas nützten, hatte der andere seinerseits eine Liebschaft mit einer jungen Magd aus der Nachbarschaft angeknüpft, und die beiden störten sich bald gar nicht daran, umschlungen im Hausflur zu stehen, wenn Marie mit ihrem Korb vorüberkam. Zuerst fühlte sie Stiche im Herz, aber dann war es ihr einerlei. Sie sah ihn, wie er war, gutmütig und zärtlich und gleichgültig, genau wie ihr Mann, einer wie der andre, nicht schlechter, nicht besser. – Es wäre ihr wohler gewesen, Jansen wäre jähzornig und unleidlich geworden, er hätte etwas an sich bekommen, um sich davor zu grauen und zu ekeln, aber da saß er friedlich mit seinen langen Beinen, lächelnd, meistens ein bißchen verlegen. Von ihm aus hätte ja keine Veränderung zu kommen brauchen, er begriff Mariens Erbitterung nicht. Er hätte ruhig seine Liedchen weitergepfiffen, seine Veilchensträußchen weitergekauft. Freilich, wie sich jetzt die Dinge anließen, hätte auch er es lieber gesehen, wenn Marie auch ihrerseits etwas abgeblüht und abgemagert wäre. Er hätte sie in ihrer ganzen Erbitterung hinter dem Küchenfenster gelassen und wäre seines Wegs gegangen. Aber wie konnte er seines Wegs gehn, wo Marie da oben saß, jung, duftend, gesund?