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Erleben Sie die Märchen und Sagen aus aller Welt in dieser Serie "Märchen der Welt". Von den Ländern Europas über die Kontinente bis zu vergangenen Kulturen und noch heute existierenden Völkern: "Märchen der Welt" bietet Ihnen stundenlange Abwechslung. Ein Auszug aus dem Inhaltsverzeichnis dieses Buches: Märchen Fabeln Göttersagen Heldensagen Geschichtliche Sagen Legenden Lokalsagen Gespenstersagen und Verwandtes
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Seitenzahl: 646
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Japanische Märchen und Sagen
David Brauns
Inhalt:
Geschichte des Märchens
Japanische Märchen und Sagen
Vorwort.
Märchen
Momotaro.
Jiraiya.
Die dankbaren Füchse.
Die Fuchshochzeit
Der Sperling mit der durchschnittenen Zunge.
Die Spatzenhochzeit.
Des Tanuki Scherflein.
Die Krabbe und der Affe.
Der neidische Nachbar.
Der Wunderkessel.
Schippeitaro.
Kätzchens Entführung.
Der Glühwurm.
Uraschimataro.
Die Qualle.
Mosoo.
Kwakkiÿo.
Oschoo.
Das Mädchen mit dem Holznapfe.
Die Warze und die Kobolde.
Fabeln
Die Ratten und ihr Töchterlein.
Der Steinhauer.
Die beiden Frösche.
Der Affe und sein Herr.
Die Seeschnecke.
Der giftige Fisch.
Göttersagen
Isanagi und Isanami.
Ukemotschi.
Amaterasu und Sosanoo.
Sosanoo und Inada.
Itakeru.
Ookuninuschi.
Die Gesandtschaften des Himmels und das Ende der Regierung Ookuninnschi's auf Erden.
Ninigi.
Hohodemi.
Die glückseligen Inseln des ewigen Lebens.
Tanabata und Inkai.
Der Erdbebenfisch.
Die sieben Glücksgötter.
Marischiten.
Herbst und Frühling.
Die Gottheiten der Lutschu-Insulaner.
Die Stammmutter der Ainoß.
Heldensagen
Jimmu Tenno, der erste Kaiser van Japan.
Jimmu's Söhne.
Kaiser Suinin.
Yamatodake.
Jingo Kogo.
Ojin Tenno und seine Söhne.
Kenzo und Ninken, Itschinobe's Söhne.
Masakado.
Das Schwert des Fuchses.
Koremotschi.
Yoschiiÿe.
Yorimasa.
Raiko und Watanabe.
Kintoki.
Tametomo.
Yoritomo.
Nawozane.
Yoschinaga.
Yoschitsune und sein getreuer Benkei.
Sui Tengo.
Geschichtliche Sagen
Die Besiedelung Japans durch chinesische Auswanderer.
Die Thonfiguren auf den Grabhügeln der Fürsten.
Die Aufzeichnung der alten Geschichte Japans.
Nakakuni.
Nitta Yoschisada.
Der Oschidori.
Die wunderbaren Schicksale Hangwan's und der Terute.
Danzaÿemon, der erste Häuptling der Yeta.
Der Glockenpfuhl von Konodai.
Die Belagerung von Ogaki.
Yui-Tschosetsu.
Legenden
Das Erscheinen Buddha's und die Ausbreitung des Buddhismus in Japan.
Schotoku-Daischi und das Meerweib.
Jikaku.
Tsuraÿuki.
Die Glocke von Miidera.
Kakekigo.
Nitschiren.
Der Priester Domei.
Ihatschi.
Die fromme Nonne.
Schiunsei.
Der Christenbekehrer.
Sankei.
Teoÿo und die Frösche.
Woschida Seoyemon sieht seine verstorbenen Eltern im Traum.
Die Bannung des bösen Geistes auf der Brücke von Tschitta durch Kouschi.
Der Kirin oder das Einhorn.
Die Nio oder riesigen Tempelwächter.
Peirun.
Die Nothhelfer.
Die geköpften Bildsäulen Buddha's.
Lokalsagen
Der Fuji-Yama und der Biwa-See.
Tawaratoda.
Der Baum am Mondflusse.
Joo und Uba.
Der Mineralquell am Tatoÿama.
Der Gesundbrunnen von Arima.
Kiohime.
Das Mädchen von Unnai.
Raitaro.
Das Federkleid.
Der Kesselpfuhl bei Numadsu.
Die Kinderseelen im Flußbette bei Odawara.
Der Hakone-See.
Der Teich der geschwollenen Füße.
Denksteine der pflichtgetreuen Söhne.
Die Schlangen der Göttin Benten.
Die Salzpfannen von Schiogama.
Tamura-Maro und das Siegesmal bei Morioka.
Der Nebelberg von Dewa.
Die Gespenster von Umu auf der Insel Sado.
Die Höhle von Hiÿe.
Yoschibe's Gedenkstein bei Schimonoseki.
Der Tempel von Tomo.
Luwen.
Gespenstersagen und Verwandtes
Die spukenden Füchse im Moor.
Die gespenstische Füchsin.
Die Vampÿrkatze.
Der gespenstische Tanuki.
Der Jäger und die Affen.
Der treue Kater.
Prinz Yaschima und seine Gattin.
Die Rache des Affen.
Die Rache der Schlange.
Die spukende Schlange.
Der Thierquäler.
Bestrafung der Mißhandlung von Pferden.
Bestrafter Pferdeknecht.
Der Rattenbiß.
Der Schuldner als Hund.
Bekehrter Geizhals.
Der Habgierige.
Inari-Sama.
Das Schiffsgespenst.
Kappa und Jinrikascha-Mann.
Das Sichel-Itatschi.
Der Oni und die Flüchtlinge.
Tengu und Knabe.
Die Erlengespenster.
Schojoo.
Der Wiedererstandene.
Der Mann an der Felswand.
Der Schädel.
Ein wiedergeborener Gläubiger.
Ein Gespenst auf dem Friedhof.
Miura Takeschi.
Zenroku.
Das Gespenst von Sakura.
Iwama Kanzaÿemon.
Wunderbare Bestrafung eines Mordes.
Herrn Kamon's Söhne.
Herr Asai.
Mima Saidsauro.
Jÿa Gozaÿemon.
Aoÿama.
Der Wechselbalg.
Tajima Schume und der Priester.
Die Rache eines verlassenen Mädchens an dem Treulosen.
Das Gottesurtheil.
Yasumasa.
Der Wahrsager.
Japanische Märchen und Sagen, David Brauns
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
Loschberg 9
86450 Altenmünster
ISBN: 9783849603311
www.jazzybee-verlag.de
Frontcover: © Sweet Angel - Fotolia.com
Ein Märchenist diejenige Art der erzählenden Dichtung, in der sich die Überlebnisse des mythologischen Denkens in einer der Bewußtseinsstufe des Kindes angepaßten Form erhalten haben. Wenn die primitiven Vorstellungen des Dämonenglaubens und des Naturmythus einer gereiftern Anschauung haben weichen müssen, kann sich doch das menschliche Gemüt noch nicht ganz von ihnen trennen; der alte Glaube ist erloschen, aber er übt doch noch eine starke ästhetische Gefühlswirkung aus. Sie wird ausgekostet von dem erwachsenen Erzähler, der sich mit Bewußtsein in das Dunkel phantastischer Vorstellungen zurückversetzt und sich, vielfach anknüpfend an altüberlieferte Mythen, an launenhafter Übertreibung des Wunderbaren ergötzt. So ist das Volksmärchen (und dieses ist das echte und eigentliche M.) das Produkt einer bestimmten Bewußtseinsstufe, das sich anlehnt an den Mythus und von Erwachsenen für das Kindergemüt mit übertreibender Betonung des Wunderbaren gepflegt und fortgebildet wird. Es ist dabei, wie in seinem Ursprung, so in seiner Weiterbildung durchaus ein Erzeugnis des Gesamtbewußtseins und ist nicht auf einzelne Schöpfer zurückzuführen: das M. gehört dem großen Kreis einer Volksgemeinschaft an, pflanzt sich von Mund zu Munde fort, wandert auch von Volk zu Volk und erfährt dabei mannigfache Veränderungen; aber es entspringt niemals der individuellen Erfindungskraft eines Einzelnen. Dies ist dagegen der Fall bei dem Kunstmärchen, das sich aber auch zumeist eben wegen dieses Ursprungs sowohl in den konkreten Zügen der Darstellung als auch durch allerlei abstrakte Nebengedanken nicht vorteilhaft von dem Volksmärchen unterscheidet. Das Wort M. stammt von dem altdeutschen maere, das zuerst die gewöhnlichste Benennung für erzählende Poesien überhaupt war, während der Begriff unsers Märchens im Mittelalter gewöhnlich mit dem Ausdruck spel bezeichnet wurde. Als die Heimat der M. kann man den Orient ansehen; Volkscharakter und Lebensweise der Völker im Osten bringen es mit sich, daß das M. bei ihnen noch heute besonders gepflegt wird. Irrtümlich hat man lange gemeint, ins Abendland sei das M. erst durch die Kreuzzüge gelangt; vielmehr treffen wir Spuren von ihm im Okzident in weit früherer Zeit. Das klassische Altertum besaß, was sich bei dem mythologischen Ursprung des Märchens von selbst versteht, Anklänge an das M. in Hülle und Fülle, aber noch nicht das M. selbst als Kunstgattung. Dagegen taucht in der Zeit des Neuplatonismus, der als ein Übergang des antiken Bewußtseins zur Romantik bezeichnet werden kann, eine Dichtung des Altertums auf, die technisch ein M. genannt werden kann, die reizvolle Episode von »Amor und Psyche« in Apulejus' »Goldenem Esel«. Gleicherweise hat sich auch an die deutsche Heldensage frühzeitig das M. angeschlossen. Gesammelt begegnen uns M. am frühesten in den »Tredeci piacevoli notti« des Straparola (Vened. 1550), im »Pentamerone« des Giambattista Basile (gest. um 1637 in Neapel), in den »Gesta Romanorum« (Mitte des 14. Jahrh.) etc. In Frankreich beginnen die eigentlichen Märchensammlungen erst zu Ende des 17. Jahrh.; Perrault eröffnete sie mit den als echte Volksmärchen zu betrachtenden »Contes de ma mère l'Oye«; 1704 folgte Gallands gute Übersetzung von »Tausendundeiner Nacht« (s. d.), jener berühmten, in der Mitte des 16. Jahrh. im Orient zusammengestellten Sammlung arabischer M. Besondern Märchenreichtum haben England, Schottland und Irland aufzuweisen, vorzüglich die dortigen Nachkommen der keltischen Urbewohner. Die M. der skandinavischen Reiche zeigen nahe Verwandtschaft mit den deutschen. Reiche Fülle von M. findet sich bei den Slawen. In Deutschland treten Sammlungen von M. seit der Mitte des 18. Jahrh. auf. Die »Volksmärchen« von Musäus (1782) und Benedikte Naubert sind allerdings nur novellistisch und romantisch verarbeitete Volkssagen. Die erste wahrhaft bedeutende, in Darstellung und Fassung vollkommen echte Sammlung deutscher M. sind die »Kinder- und Hausmärchen« der Brüder Grimm (zuerst 1812–13, 2 Bde.; ein 3. Band, 1822, enthält literarische Nachweise bezüglich der M.). Unter den sonstigen deutschen Sammlungen steht der Grimmschen am nächsten die von L. Bechstein (zuerst 1845); außerdem sind als die bessern zu nennen: die von E. M. Arndt (1818), Löhr (1818), J. W. Wolf (1845 u. 1851), Zingerle (1852–54), E. Meier (1852), H. Pröhle (1853) u. a. Mit M. des Auslandes machten uns durch Übertragungen bekannt: die Brüder Grimm (Irland, 1826), Graf Mailath (Ungarn, 1825), Vogl (Slawonien, 1837), Schott (Walachei, 1845), Asbjörnson (Norwegen), Bade (Bretagne, 1847), Iken (Persien, 1847), Gaal (Ungarn, 1858), Schleicher (Litauen, 1857), Waldau (Böhmen, 1860), Hahn (Griechenland u. Albanien, 1863), Schneller (Welschtirol, 1867), Kreutzwald (Esthland, 1869), Wenzig (Westslawen, 1869), Knortz (Indianermärchen, 1870, 1879, 1887), Gonzenbach (Sizilien, 1870), Österley (Orient, 1873), Carmen Sylva (Rumänien, 1882), Leskien und Brugman (Litauen, 1882), Goldschmidt (Rußland, 1882), Veckenstedt (Litauen, 1883), Krauß (Südslawen, 1883–84), Brauns (Japan, 1884), Poestion (Island, 1884; Lappland, 1885), Schreck (Finnland, 1887), Chalatanz (Armenien, 1887), Jannsen (Esthen, 1888), Mitsotakis (Griechenland, 1889), Kallas (Esthen, 1900) u. a. Unter den Kunstpoeten haben sich im M. mit dem meisten Glück versucht: Goethe, L. Tieck, Chamisso, E. T. A. Hoffmann, Fouqué, Kl. Brentano, der Däne Andersen, R. Leander (Volkmann) u. a. Vgl. Maaß, Das deutsche M. (Hamb. 1887); Pauls »Grundriß der germanischen Philologie«, 2. Bd., 1. Abt. (2. Aufl., Straßb. 1901); Benfey, Kleinere Schriften zu Märchen-forschung (Berl. 1890); Reinh. Köhler, Aufsätze über M. und Volkslieder (das. 1894) und Kleine Schriften, Bd. 1: Zur Märchenforschung (hrsg. von Bolte, das. 1898); R. Petsch, Formelhafte Schlüsse im Volksmärchen (das. 1900).
Eine Sammlung japanischer Märchen und Sagen ist gewiß in mehr als einer Beziehung berechtigt, das Interesse der europäischen Leserwelt in Anspruch zu nehmen. Zuvörderst sind dieselben für den Ethnologen sowohl als für das Publikum im allgemeinen ein geradezu unentbehrliches Hülfsmittel, den Charakter, die Denkart und die Veranlagung des japanischen Volkes kennen zu lernen. Nicht nur der Stoff, auch die Art der Behandlung der mythischen Traditionen, selbst solcher, die von Haus aus nicht dem eigenen Boden entstammen, ja schon die Auswahl der wirklich populär gewordenen Objekte giebt ohne alle Frage eine der besten Handhaben für die Beurtheilung eines Volkes ab. Die sittlichen Anschauungen desselben, seine Gefühls- und Geschmacksrichtung liegen ungleich klarer vor uns, sobald wir seine volksthümlichen Ueberlieferungen kennen; ohne diese Kenntniß aber geht uns immer ein gutes Stück seines Charakters verloren.
Aber selbst ohne alle Rücksicht auf die ethnologische Bedeutung der hiermit dem Publikum gebotenenen Sammlung ist sie sicherlich schon an und für sich der Beachtung werth. Der Genuß, welchen uns die phantasiereichen, oft anmuthigen, oft ergreifenden Märchen und Sagen des Orientes immerdar bereiten, wird gewiß auch manche der japanischen Mythen zu Lieblingen von Jung und Alt machen, und es möchte nicht zu viel behauptet sein, daß unsere Leserwelt voraussichtlich gern aus diesem frischen Borne schöpfen werde, der uns bisher wenig bekannt war.
Will man indessen das Vergnügen, das die abenteuerlichen Gebilde der Phantasie eines fernen Volkes uns zu verschaffen vermögen, minder hoch in Anschlag bringen, so sind doch die japanischen Mythen unbedingt für das Studium der vergleichenden Mythologie von Wichtigkeit. In dieser Hinsicht verleiht schon die eigenthümliche Lage Japans und die Stellung, welche seine Bewohner den Kulturerscheinungen des östlichen Kontinentes gegenüber einnehmen, den mythischen Erzählungen derselben eine gewisse Bedeutung. Nicht ohne Ueberraschung wird man gewahr, daß sich manches in jenem äußersten Winkel der alten Welt erhalten hat, was auf dem Kontinente verrieben und verblichen ist; und wenn diese Dinge in Japan vielfach umgemodelt und auf urwüchsige, uns fremdartige Erscheinungen aufgepfropft erscheinen, so thut dies doch den engen Beziehungen zu den übrigen Ländern des ostasiatischen Kulturkreises keinen Eintrag, und diese Beziehungen sind vielleicht nur um so interessanter, als eine Rassenidentität und eine Gemeinsamkeit oder wahre Verwandtschaft der Sprache durchaus nicht vorliegt. Wie nun alle sonstigen Kulturzweige, so weisen auch die Sagen zu einem großen Theil auf einen hohen Grad von Abhängigkeit hin, in welchem Japan seit unvordenklichen Zeiten von den benachbarten Theilen des asiatischen Festlandes gestanden haben muß.
Ganz besonders gilt dies von den Göttersagen und älteren Heldensagen, und wenn wir diese näher betrachten und analysiren, so finden wir, wie schon lange vor den buddhistischen Importen naturreligiöse Ueberlieferungen von Korea und China nach Japan gedrungen sein müssen, welche im Verein mit den autochthonen Vorstellungen, mit dem urheimischen Ahnenkultus, jenes eigenthümliche Produkt, den Schintoo und seine Sagenkreise schufen, deren Verständniß in Europa noch äußerst mangelhaft genannt werden muß. Auf diesen Punkt werfen nun gerade die Sagen und Märchen der Japaner wesentliche, ja unentbehrliche Schlaglichter. Es ist allerdings nicht möglich, hier auf die vergleichend-mythologischen Erörterungen einzugehen, zu welchen diese Sagen und Märchen in reichem Maße Veranlassung geben, vielmehr habe ich, theils um gegenwärtige Schrift nicht allzu umfangreich werden zu lassen, theils um sie dem Volke einschließlich der Jugend durchweg verständlich und zugänglich zu erhalten, alle derartigen Auseinandersetzungen auf ein später zu edirendes, ergänzendes Werk über die Mythologie der Japaner aufgespart. Darauf möchte ich jedoch in aller Kürze hinweisen, daß manche der Sagen mit ihren Wurzeln tief in den indochinesischen Kulturkreis hineinreichen, daß aber namentlich sich zwei Wege ergeben, auf denen von Südkorea aus sich solche Sagenkreise nach Japan verbreiteten, über Idzumo und über Kiuschiu oder, wie der alte Name dieser Insel lautet, über Tsukuschi. Diese Sagenkreise begegneten sich dann in Yamato und verbreiteten sich von dort aus vereint weiter nach Osten. In mancher Beziehung tritt der Charakter dieser Sagen als Produkte einer Naturreligion um so deutlicher hervor, je näher wir dem Ort und dem Zeitpunkte der Einführung treten; je weiter man sich davon entfernt, desto mehr verschwimmen jene Züge in den eigentlich volksthümlichen Charakter des reinen Ahnenkultus, das heißt der mit hoch gesteigertem Gespensterglauben Hand in Hand gehenden Verehrung der persönlichen Vorfahren. Schon hierdurch wird uns die Thatsache vor Augen geführt, daß jenem urwüchsigen Seelenkultus nur in zweiter Instanz, so alt immerhin diese Phase des Schintoo sein mag, das Dogma hinzugefügt wurde, daß zu den persönlichen Vorfahren eines jeden Japaners Gottheiten zu rechnen sind, welche im Grunde nichts andres als personificirte Naturmächte darstellen, und unter denen die Sonnengöttin Amaterasu oder Tenjodaijin als Stammmutter des Herrschergeschlechtes die hervorragendste Rolle spielt. Hierdurch erklärt sich denn auch, wie der Schintoo schließlich zu einer das Gemüth wenig befriedigenden Staatsmaschinerie sich ausbildete, bei welcher die alten, gemüthvolleren Seiten des Ahnenkultus mehr in den Hintergrund treten.
Die Erkenntniß, daß eine richtige Auffassung des Schintoo, der doch immer einen der wichtigsten Schlüssel für das Studium des Japanerthums abgeben muß, ohne ein eingehendes Studium der mythischen Überlieferungen der Japaner unmöglich sei, kam daher zu jenen erstgenannten Gesichtspunkten hinzu, um mich zu veranlassen, daß ich einen längeren Aufenthalt im eigentlichen Mittelpunkte des modernen Japan, in Tokio, und mancherlei Beobachtungen auf Reisen im Lande dazu benutzte, mir, wie in die geistigen Leistungen des Volkes überhaupt, so auch in ihre volksthümlichen Erzählungen und Traditionen einen besseren Einblick zu verschaffen, als ihn unsere Literatur zu gewähren im Stande war. Diese Aufgabe erwies sich allerdings bald als eine sehr schwierige, und wenn nicht mancherlei günstige Verhältnisse mir zu Hülfe gekommen wären, so würde sie keinenfalls auch nur annähernd so vollständig ausführbar gewesen sein, als ich sie in vorliegender Schrift zu bieten vermag.
Zunächst darf ich wohl sagen, daß frühere Studien auf dem Felde der vergleichenden Mythologie mir sowohl einen geeigneten Ausgangspunkt, als ein Mittel der Orientirung boten, ohne welches ich keinenfalls mit gleicher Sicherheit hätte vorgehen können. Alsdann aber muß ich meine regen Beziehungen zu fast allen Gesellschaftskreisen der Japaner, bis zum niederen Volke hinunter, hierher rechnen. Namentlich als sich mir die "gesprochene Sprache" mehr und mehr erschloß, lernte ich nicht nur durch das eigentliche Volk schätzbares Material kennen, sondern ich nahm auch wahr, wie viel vollständiger, belebter und besser motivirt die mündlichen Mittheilungen waren als jede schriftliche Aufzeichnung in japanischer Sprache. Unstreitig verleitet bei Abfassung von Büchern oft schon die Schwierigkeit des Ausdruckes für abstrakte Dinge die japanischen Autoren, so sehr sich viele von ihnen im Ausmalen von Kleinigkeiten und Nebendingen gefallen, in der Hauptsache gar oft zu einer Art von epigrammatischen Kürze; die trockne Thatsache genügt ihnen, die Motivirung wird weggelassen oder nur in einer für Fremde kaum ersichtlichen Weise angedeutet. Dazu kommt die gekünstelte Schreibweise mancher Japaner; sie suchen häufig sogar in einer gewissen Dunkelheit der Sprache ihren Ruhm, und die japanischen Leser, die auf der anderen Seite in das Errathen der nur angedeuteten Gedanken ihren Stolz setzen, bestärken sie darin. So kommt es, daß bei den schriftlichen Aufzeichnungen weit mehr als beim Reden das wegbleibt, was der Erzählende als selbstverständlich voraussetzt, was dem Japaner auch in vielen Fällen selbstverständlich ist, während der Ausländer, und namentlich Jeder, der in Japan fremd ist, dem gegenüber rathlos dasteht. Alles dies gestaltet sich beim mündlichen Verkehr weit günstiger. Die an sich ungefüge, wenig entwickelte Sprache gewinnt hier durch größere Ausführlichkeit der Mittheilung, durch subjektive Einschaltungen, durch fast unwillkürliche Gefühlsäußerungen, oft schon durch den Ton der Stimme und durch Mienen und Gesten in hohem Grade an Deutlichkeit und Nachdruck; und wo dies alles nicht genügt, geben Zwischenfragen stets ein Mittel ab, das Verständniß zu vervollständigen.
Wenn aber die volksthümliche Erzählung eine unentbehrliche Grundlage meines Unternehmens genannt werden muß, so war doch die Beihülfe mir näher stehender gebildeter Japaner unbedingt ebenso wichtig, und ich ergreife mit Freuden die Gelegenheit, hier meinen Freunden in Tokio und in Sonderheit meinen ehemaligen Assistenten und vorgeschritteneren Zuhörern von der Universität daselbst meinen herzlichen Dank für die vielfache Unterstützung auszusprechen, welche sie mir fast beständig zu Theil werden ließen. Mancher derselben, unter denen ich die Herren Nischi, Kato, Sekino, Fujitane, Jokoyama und Kotschibe hervorheben möchte, hat werthvolle Beiträge für mich gesammelt, und ganz besonders vermittelten die Darstellungen derselben die mündliche Wiedergabe mit der schriftlichen, indem sie an jene sich anschlossen und diese in jeder Weise erläuterten. Dies war namentlich im Beginne meines Aufenthaltes in Japan um so wichtiger, als natürlicher Weise damals die von allen jenen Herren kundig gehandhabte englische Sprache die einzige war, durch welche ich eingehende Belehrung erlangen konnte. Auch möchte ich nicht unterlassen, zu erwähnen, wie bereitwillig und rasch diese meine japanischen Freunde auf den objektiven Standpunkt eingingen, den ich zu ihrer anfänglichen Ueberraschung sowohl der gläubigen, als der skeptisch-deutelnden Tendenz gegenüber festhielt, welche innerhalb und außerhalb Japans bis jetzt im Grunde die einzig maßgebenden Gesichtspunkte waren, von denen aus man die japanische Mythologie betrachtete.
Alsdann darf ich nicht unterlassen, der sehr wesentlichen Hülfe zu gedenken, welche ich meiner Frau, C.W.E. Brauns, zu verdanken habe, die schon vor Erscheinen gegenwärtiger Schrift Gelegenheit gefunden hat, ihr richtiges, eingehendes Verständniß des japanischen Wesens weiteren Kreisen darzulegen, aber auch an dem Zustandekommen vorliegender Sammlung einen so bedeutenden Antheil hat, daß sie als Mitarbeiterin derselben bezeichnet werden muß. Nicht nur durch Sammeln von Beiträgen, insbesondere bei den ihr in hohem Grade zugänglichen japanischen Frauen, sondern mehr noch durch Theilnahme an der Uebersetzung der Märchen und Sagen und an der definitiven Formgebung hat sie mich in einer Weise unterstützt, wie es Niemand auch nur annähernd vermocht hätte, der nicht in so hohem Grade mit Japan und seinen Bewohnern vertraut ist.
In einer Beziehung habe ich durchweg eine skeptisch-kritische Haltung bewahren zu müssen geglaubt, nämlich bei der Benutzung der Mittheilungen von Erzählern von Fach, der Theaterstücke und musikalischen Recitationen. Die Willkür, welche namentlich in letzter Zeit die Japaner bei der Behandlung ihrer Mythenstoffe sich öfter zu Schulden kommen lassen, erreicht in jenen Fällen und namentlich bei den fachmäßigen, meist dem Schauspielerstande entstammten und nur oberflächlich unterrichteten "Erzählern" wohl ihr Maximum, und dies ist auch ganz erklärlich, da sie auf alle Weise den Beifall ihrer Zuhörer – von dem sie ja vollständig abhängig sind – zu erringen trachten müssen. Die oft herzlich geschmacklosen, breiten Ausschmückungen, mit denen sie den weit ansprechenderen und wirksameren Volkston fälschen, die vielen Entstellungen und irrthümlichen Vermengungen ihrer Stoffe machten es geradezu unmöglich, sie ohne strenge Kritik zu benutzen, und man wird finden, daß gerade in dieser Beziehung meine Sammlung auf einem ganz entgegengesetzten Standpunkte sich befindet, als die – oft nur zu sehr den Mangel an Stoff durch die Zuthat verdeckenden – westländischen, insbesondere amerikanischen Autoren, welche sich ausgesprochener Maßen mit solchen japanischen Erzählern identificiren möchten. Das ist dann nicht mehr japanisches Volksleben, das ist ein Versuch, allerhand japanische Notizen in einer so zu sagen salonmäßigen Form zu geben; ein Versuch, der ebensowenig vom dortigen Volke herrührt, als er unserem Volke wirklich verständlich und für dasselbe genießbar sein dürfte.
Eine ähnliche Zurückhaltung mußte bei der Benutzung der Literatur obwalten, wenigstens hinsichtlich des populäreren, mehr belletristisch gehaltenen Theiles derselben, welcher sich ja mit den Leistungen der Erzähler mehrfach berührt. So lückenhaft in solchen Werken meistens die japanischen Märchen und Sagen enthalten sind, so willkürlich pflegen dieselben mit alledem umzugehen, was sie bieten. Häufig begegnet man allerhand Irrthümern und Verdrehungen oder Lesarten, die unmöglich echt sein können; und fast durchgehends kann man sagen, daß sie an einer geschraubten, unnatürlichen Darstellungsweise kranken. Am günstigsten ist es noch, wenn ein derartiger Autor den Standpunkt eines trocknen Übersetzers einnimmt, obwohl auch dabei nicht immer Fehler und Dunkelheiten des Ausdruckes gehörig vermieden werden. Weit mißlicher aber ist es, wenn der Darsteller sein Erzählertalent glänzen lassen will und demzufolge die Stoffe willkürlich modelt und mit unmotivirten Zusätzen versieht, wie dies im höchsten Grade bei dem überdies auch noch tendenziösen Griffis1 der Fall ist. Die einzigen dieser populären oder halb populären Schriftsteller, welche hie und da schätzbare Beiträge liefern, sind wohl Pfoundes (Kodomo Mukashi banashi u.a.m.) und Mitford, Verfasser der auch ins Deutsche übersetzten "Tales of old Japan"; indessen war auch hier durchgehends große Vorsicht bei der Benutzung geboten. Ungleich werthvoller waren die Vergleichsmomente und Beiträge, welche ich älteren japanischen Quellen und den wissenschaftlichen Bearbeitungen derselben verdanke. Von jenen sind außer den beiden Hauptwerken über die sogenannte alte Geschichte Japans einschließlich der "Göttergeschichte", dem Nihongi und ganz besonders dem Kojiki, hauptsächlich die "Rollen der Göttergeschichte", die "alten Überlieferungen" und die japanischen Commentare über alle diese Werke, zum Theil von namhaften Forschern über die Schintoo-Lehren herrührend, alsdann die "Erzählungen der Ise", die "zehntausend Blätter" und mancherlei Volksbücher zu nennen. Diese Schriften sind größtenteils durch gründliche Kenner der japanischen Sprache übersetzt und erläutert, unter denen zuvörderst A. Pfizmaier zu nennen sein dürfte, welcher in vielen Abhandlungen der Sitzungsberichte der Wiener Akademie die japanische Sagenzeit nach einheimischen Quellen behandelt, alsdann Ernest Satow, der theils in den Transaction of the Asiatic Society of Japan, theils in englischen Zeitschriften die Schintoo-Religion ausführlich bearbeitet hat, und B. Chamberlain, welcher ebenfalls in den genannten Transactions, aber auch in besonderen Werken und in englischen Zeitschriften nicht nur viele ältere japanische Dichtungen, sondern auch das obenerwähnte Kojiki2 vollständig wiedergiebt. So wenig alle diese Bearbeitungen einem größeren Leserkreise verständlich sein dürften, so unentbehrlich und von so entscheidender Bedeutung waren sie für die eigentliche Forschung, für welche nächstdem einige Abhandlungen aus den "Mittheilungen der deutschen Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens" von H. von Siebold, Lange, Funk, Westphal u.A., sowie manche Notizen aus Ph. von Siebold's "Nippon, Archiv zur Beschreibung von Japan" und aus des alten Kämpfer "Geschichte Japans" von Wichtigkeit waren, welche sämmtlich sorgsam zur Vergleichung gezogen wurden.
Mit Hülfe aller dieser Quellen stellte ich auf der oben bezeichneten volksthümlichen Grundlage die vorliegende Sammlung her, welche folglich alle mythischen Erzählungen der Japaner umfaßt, soweit sie überhaupt bis jetzt bekannt geworden sein dürften. Im ersten Abschnitte giebt sie die Märchen, wie sie unter Kindern und Erwachsenen zirkuliren, und ihnen reihen sich die märchenartigen Fabeln des nur kurzen zweiten Abschnittes an. Aus diesem Theile der Sammlung wird man ersehen, daß zwar die Anzahl der Nummern nicht übermäßig groß ist, daß aber Mitford's Annahme doch ungerechtfertigt war, nach welcher nur die geringe von ihm seinen "Tales of old Japan" eingefügte Zahl von kaum zehn solcher Erzählungen überhaupt in Japan im Umlaufe sein sollte. Auf den Ursprung dieser Märchen näher einzugehen, ist hier nicht der Ort, obwohl gerade in diesem Falle die Versuchung dazu nahe lag und ich nur ungern die vielfach complicirte Untersuchung und Erörterung jener Frage vor der Hand dem Leser überlasse.3
Der dritte Abschnitt umfaßt die Göttersagen, unter denen zuvörderst diejenigen Traditionen der Japaner – bis zum neunten Stücke einschließlich – folgen, welche man wohl als die eigentlich kanonischen Erzählungen des Schintoo bezeichnen könnte. Dieselben geben vielleicht die reichste Fundgrube für den vergleichenden Mythologen ab, möchten aber nicht minder für Jedermann eine anziehende Lectüre bieten. Fast unmerklich, nur durch den ganz willkürlich angesetzten Zeitpunkt der "Gründung des japanischen Reiches" durch Jimmu unterbrochen, geht die Göttersage in die Heldensage über, und diese wandelt sich ihrerseits ganz allmählig in die eigentliche Geschichtssage um, welche sich auf historisch beglaubigtes niederschlägt und endlich in einzelnen Sagen ziemlich neuen Datums ausklingt. Die beiden Abschnitte der Sammlung, welche diese Sagen umfassen, der vierte und fünfte, sind insofern ganz besonders lehrreich, als sie für jeden Unbefangenen schlagend darthun, wie weit in die späteren Jahrhunderte in Japan die Sage reicht, und zu welchen gradezu lächerlichen Consequenzen es führt, wenn man – in gedankenloser, oberflächlicher Weise den japanischen Quellen folgend – die Sagenreihe, welche begreiflicher Weise in Japan selbst als Geschichte angesehen wird, im wesentlichen als solche gelten lassen oder ihr doch einen ungebührlich großen historischen Kern zuerkennen will. Es wird sich ohne Zweifel mit jedem Fortschritte der kritischen Forschung deutlicher herausstellen, daß die authentische Geschichte in ganz Ostasien einschließlich des chinesischen Reiches weit jüngeren Datums ist, als man gewöhnlich glaubt; für Japan aber steht diese Thatsache nach den Untersuchungen eines Chamberlain, Satow u.A. unbedingt schon heutzutage fest, so daß bis zum Ausgange der Regierung des Kaisers Nintoku, des Sohnes des japanischen Kriegsgottes Hatschiman oder Yabata, also etwa bis zum Jahre 400 nach Christus, von einer japanischen Geschichte überhaupt nicht die Rede sein kann. Alles, was man von nordischen und malayischen Invasionen des Inselreiches, von unbehelligter Succession der Enkel der Sonnengöttin auf dem Throne von Japan u.s.w. aus den noch älteren Überlieferungen hat folgern wollen, ist ebenso grundlos wie die Nachrichten von der Eroberung Koreas durch Jingo Kogo, von den Kriegszügen Yamatodokes; alle Heldengestalten jener Zeit, Jimmu, Yamatodake und Ojin oder Hatschiman, sind nichts als Göttergestalten oder Hypostasen von Gottheiten.4
Aber auch in den folgenden Jahrhunderten zeigt die Geschichte sehr starke Beimischungen der Sage, ganz analog den Erscheinungen, die wir bei jedem anderen Volke finden. Bei der einen Nation tritt der Zeitpunkt früher, bei der anderen später ein, wo die beglaubigten Daten die Oberhand gewinnen; bei den Japanern dürfen wir denselben keinenfalls früher ansetzen als etwa in den Ausgang des zwölften Jahrhunderts unserer Zeitrechnung. Grade die zweite Phase der Heldensage, welche das Geschlecht der Minamoto, die Ahnherren der bekanntlich 1868 beseitigten weltlichen Herrscher oder Schogune Japans verherrlicht, gipfelt in der zweiten Hälfte jenes Jahrhunderts, und hier treten uns die offenbar rein mythischen Gestalten eines Tametomo und Yoschitsune, in zweiter Linie die eines Raiko, Watanabe, Yorimasa, Kintoki entgegen und kennzeichnen die Berichte aus jenen Tagen unbedingt nur als eine Art von Analogon der pseudoturpinischen Chronik und keinenfalls als Geschichtsschreibung. Auf alle Fälle dürfte die einheitliche Zusammenstellung der sagenhaften Züge jener Berichte wesentlich dazu beitragen, ihren wahren Charakter völlig klar zu stellen.
In der dritten Gruppe von Geschichtssagen, welche dem vierzehnten Jahrhundert angehört und den Heerführer Nitta Yoschisada und die ersten Schogune aus der Dynastie der Aschikaga zum Mittelpunkte hat, tritt in Wahrheit zum ersten Male der sagenhafte Charakter hinter den chronistischen oder auch hinter den romanhaften zurück; sowohl poetisch, als mythologisch halten dieselben daher keinen Vergleich mit den älteren Sagen aus, obschon sie wegen ihres spezifisch japanischen Gepräges immer beachtenswerth bleiben. Noch ärmer an sagenhaften Zügen werden dann die Überlieferungen aus dem sechzehnten und siebenzehnten Jahrhundert, doch sind sie nicht nur aus dem nämlichen Grunde von Interesse, sondern sie erläutern auch das allmälige Verlöschen des Sagencharakters in viel zu anschaulicher Weise, als daß ihnen nicht eine Stelle in vorliegender Sammlung gebührt hätte.
Eine besondere Abtheilung, die sechste, machen die Legenden aus, die bei ihrem vorwiegend buddhistischen Ursprunge namentlich die Behandlungsweise charakterisiren, welche die Japaner den ihnen durch diese Religion zugeführten mythischen Stoffen haben angedeihen lassen.
Den werthvollsten Stücken der Sammlung möchten einige der Lokalsagen zuzurechnen sein, sowohl solche, die – wie Kiohime, Tawaratoda, das Federkleid, die Schlangen der Benten – buddhistisch oder doch stark buddhistisch beeinflußt sind, als auch solche, wie namentlich das Mädchen von Unnai, welche entschieden dem Schintoo angehören oder, wie Luwen, den chinesischen Ursprung an der Stirn tragen. Wenn auch die Zahl der Lokalsagen nicht so groß ausgefallen ist, als wohl hie und da vermuthet worden, so ist sie doch immerhin beträchtlich genug, um auch diesem Abschnitte eine gewiße Bedeutung zu sichern.
Am zahlreichsten sind die Gespenstersagen und die ihnen verwandten Erzählungen, welche mehr als lange Abhandlungen die Denkart des japanischen Volkes – von ehedem und von heute – und die Unhaltbarkeit vieler über dasselbe verbreiteter Angaben darthun, und von denen die Mehrzahl jedenfalls einen ganz primitiven, unverfälscht japanischen Charakter trägt.
Was die Art der Wiedergabe aller dieser Sagen und Märchen betrifft, so war ich – wie im Grunde schon aus der Widmung dieses Buches an die Manen unserer nicht genug zu preisenden Brüder Grimm hervorgeht – vor allem bestrebt, die strengste Objektivität zu wahren. Aufs gewissenhafteste bemühete ich mich, mit aller diesem Gegenstände so sehr wie irgend einem anderen schuldigen Pietät den Inhalt bis auf jedes einzelne Wort unverfälscht und echt zu halten. Es wurden daher nicht nur alle Zusätze meinerseits vermieden, sondern auch spätere Einschiebsel, die als solche erkennbar waren, sorgsam ausgemerzt. Dagegen wurde nirgends etwas wesentliches weggelassen, und es kam dabei selbstverständlicher Weise nicht in Betracht, ob irgend ein Gegenstand oder eine Wendung etwa minder anziehend oder in ästhetischer Hinsicht minder werthvoll war. Die von manchen Seiten gehegte Befürchtung, daß bei der Leichtlebigkeit der Japaner Momente in die Erzählungen einzuflechten seien, welche leicht unseren Lesern anstößig werden könnten, fand ich bei sorgfältiger Durcharbeitung des Gegenstandes im allgemeinen nicht bestätigt. Die japanische Sage verhält sich in dieser Beziehung genau so wie die der europäischen Nationen, und nach Weglassung von drei kurzen, episodischen und ganz unerheblichen Stellen ließ sich der ganze Inhalt derselben ohne irgend welches Bedenken Jedermann, Kindern und Erwachsenen, vorlegen5.
Die große Zahl von Varianten, welche sich bei vielen der japanischen Märchen und Sagen vorfinden, machte ganz besondere Sorgfalt in der Auswahl der besten Lesart nothwendig. Es ist jedoch hier unbedingt nicht der Platz, die Gründe, welche in den einzelnen Fällen für die getroffene Wahl maßgebend waren, auseinander zusetzen, und begnüge ich mich, auch in dieser Beziehung auf die später erscheinende Schrift über die japanische Mythologie zu verweisen. Nur auf einen Umstand möchte ich aufmerksam machen, daß in vielen Fällen einer – wie es scheint namentlich in letzter Zeit – in Japan eingerissenen Unsitte zu steuern war, in Folge deren gewisse sagenhafte Züge willkürlich aus einer Sage in die andere übertragen werden. Auch in dieser Beziehung möchte solchen "Erzählern", die durch geistreiche Combinationen glänzen wollen, ein großer Theil der Schuld zufallen. Die Sache selbst ist um so bedauernswerther, als dieses willkürliche Verfahren, das man kaum umhin kann, eine wirkliche Fälschung des ursprünglichen Charakters der Sagen zu nennen, bereits in die ausländische Literatur übergegangen und auch auf die bildlichen und plastischen Darstellungen mythischer Scenen in Japan selbst nicht ohne Einfluß geblieben ist. Es mußte deshalb mit Entschiedenheit dagegen vorgegangen und alles, was in dieser Beziehung gesündigt ist – wie z.B. die Einschwärzung des ungeheuerlich aussehenden Wegegottes, welcher dem Ninigi begegnet, in die Sage von Jimmu, oder wie die des Kranichs von Konodai in die Sage von Yamatodake und wie die der Ebbe- und Fluthsteine des Hohodemi in die Erzählung der Eroberung Koreas durch Jingo Kogo –, wurde von vornherein durchaus beseitigt.
Hinsichtlich des Stiles mußte allerdings auf die Grundverschiedenheit der Sprachen Rücksicht genommen und besonders alles das klargelegt werden, was die Japaner wirklich haben ausdrücken wollen; denn nur so konnte die Erzählung mit dem richtigen Sinne des Originals übereinstimmen. Daß aber dabei jede unnöthige Umschreibung vermieden wurde, ist bei der eingeschlagenen Methode selbstverständlich; die Uebersetzung schließt sich dem Gange der japanischen Erzählungen stets aufs gewissenhafteste an und würde, wenn zurückübersetzt, unbedingt Niemand in Japan anders als echt japanisch erscheinen.
Noch eine Eigenthümlichkeit, die vielleicht Manchem schon auf den ersten Blick auffällt und jedenfalls die vorliegende Sammlung von vielen anderen Büchern über und aus Japan unterscheidet, möchte ich nicht unerwähnt lassen, nämlich die Sparsamkeit, die ich mir hinsichtlich der Verwendung japanischer Namen zur Regel gemacht habe. In der That bin ich der Meinung, daß das ewige Wiederholen der zwei, drei Namen, welche ein und derselbe Gott oder Held führt, oder die lange Namenreihe, die sich um den eigentlichen Hauptnamen herumkrystallisirt hat, den nichtjapanischen Leser nur verwirren und abschrecken kann; daher habe ich, soviel es irgend anging, die Namen vereinfacht und verdeutscht. Wie z.B. der japanische Name des Frühlings- und Herbstgottes lautet, ist jedem Nichtkenner der japanischen Sprache unbedingt gleichgültig; ebenso, wie etwa bei seinen Lebzeiten der erste Kaiser Jimmu geheißen. Auch ist für unsere Leser gewiß so leicht nichts ermüdender als die stete Wiederholung der Endsilben – no mikoto bei den alten Kaisern, oder des Vorsatzes Minamotono – bei allen Abkömmlingen der Minamotofamilie, und wurden daher alle derartigen luxuriösen Namendetails abweichend von dem Usus manches anderen Schriftstellers beseitigt. Konnte ich nicht durch eine einfache Übersetzung den Sinn ganz korrekt wiedergeben und dabei doch wiederum den Charakter eines Eigennamens wahren, so ließ ich die japanischen Namen lieber unerörtert stehen und verweise in dieser Hinsicht abermals auf die späteren Erläuterungen.
Da, wo für Kunstprodukte oder Thiere und Pflanzen keine direkte Übersetzung thunlich war, wie z.B. bei Koto, bei dem Kaki und dem Tanuki, für welche wir in Europa keinen volksthümlichen Ausdruck haben, weil wir sie eben nicht kennen, habe ich stets eine Erklärung, sei es im Texte, sei es durch Anmerkungen gegeben und denke, daß man in dieser Beziehung keine Lücken finden wird.
Somit hoffe ich denn, eine allgemein verständliche Übertragung eines Materiales in unsere Sprache geliefert zu haben, welches in seiner schlichten Volkstümlichkeit und in seiner Echtheit kaum verfehlen kann, sich Freunde zu erwerben und namentlich auch unsere Jugend anzusprechen. Und wenn das Buch auch den Deutschen in eine fremdartige Welt einzuführen unternimmt, so wird es doch, wie ich hoffe, denselben befähigen, mehr und mehr in die innerste Gefühls-und Denkweise jenes fernen Volkes einzudringen, dem sein Inhalt entstammt.
Daß dieser Versuch unserem Volke zu bleibendem Nutzen und Genusse gereichen möge, ist mein aufrichtigster Wunsch.
Halle, im Juni 1884.
David Brauns.
Fußnoten
1 Verfasser von "the Mikado's empire" und "Japanese fairyworld". – In ähnlicher Weise tendenziös, doch zur Vergleichung weit besser zu verwerthen sind F.A. Junker v. Langegg's "segenbringende Reisähren".
2Bd. X, Appendix, der Transaction of the Asiatic Society of Japan, 1883.
3 Unter diesen Märchen haben drei (Mosoo, Kwakkiyo und Oschoo) Platz gefunden, die zwar, wie ausdrücklich gesagt wird, chinesischen Ursprungs, aber in Japan heimisch geworden sind; ähnlich die Lokalsage von Luwen und ein Theil der Mythen der sieben Glücksgötter. Geschichten evident westländischen Ursprungs, wie die neuen Uebertragungen des Däumlingmärchens u. dergl. m., blieben weg; die einzige Ausnahme machte in dieser Beziehung "Die Warze und die Kobolde", die zwar einem irischen Märchen sehr ähnlich, aber doch eigenthümlich japanisch gefärbt ist und, wenn importirt, jedenfalls schon früher in Japan heimisch war. Die Aufnahme der – ursprünglich indischen – Fabel von den Ratten rechtfertigt sich unbedingt schon durch die mit ihr in Japan vorgenommenen Aenderungen.
4 Es ließe sich unschwer an der Hand der einzelnen Sagen und sagenhaften Züge nachweisen, welche Naturkräfte (Gottheiten) durch die Heroen repräsentirt werden – durch Jimmu der Donnergott, durch Yamatodake die Sonne u.a.m.
5 Diese drei bedenklichen Stellen sind erstens ein Einschiebsel der Sage von Isanagi und Isanami, das durch Kämpfer und Wieland in unsere Literatur eingeführt, aber nur Variante ist und kaum die ihm gezollte Beachtung verdient; zweitens die Erzählung von der Herkunft der Gattin Jimmu's, auf welche hernach nie wieder zurückgekommen wird, die daher nur eine – noch dazu unbedeutende – Episode ist; drittens ein Passus in der Geschichte der Werbung Yamatodake's um Miazu, ebenfalls ohne Belang.
Vor langen, langen Jahren lebte in einem Dorfe ein altes Ehepaar. Trotz ihrer Armuth hätten die beiden alten Leute recht zufrieden leben können, wenn sie nur Kinder gehabt hätten. Aber die fehlten ihnen, und so sehr sie sich dieselben auch Zeit ihres Lebens gewünscht hatten, so war ihnen doch dieser Wunsch versagt geblieben. So verbrachten sie ihre Tage einsam und allein und grämten sich oft so sehr, daß selbst die Nachbarn ihren Kummer theilten, sich mit ihnen betrübten und sie nach Kräften zu trösten suchten.
Da begab es sich eines Tages, daß das alte Mütterchen aus der Hütte heraustrat und zum Flusse hinabging. Die Sonne schien hell, und der breite Strom trieb das klare Wasser rauschend über die Steine daher. Mütterchen hatte ein Bündel schmutziger Kleider mitgebracht, das sie nun löste, und emsig ging sie an das Waschen der Kleider. Sie war ganz vertieft in ihre Arbeit und achtete auf nichts weiter, als plötzlich auf dem Wasser eine große schöne Pfirsiche gerade auf sie zugeschwommen kam. Freudig griff sie danach; ach, selten gab es wohl eine so herrliche, schöne und reife Frucht wie diese. Sie war dick und rund und strahlte rosig in der Sonne. Nun denkt ihr wohl, das alte Mütterchen hätte sogleich die schöne Pfirsiche gegessen? Nein, das that sie nicht, sie legte sie beiseite und dachte sogleich an ihren guten alten Mann zu Hause; der sollte auch davon etwas bekommen! Und als die Arbeit beendet war, ging sie heim und gab dem alten Manne die Pfirsiche; der freute sich nicht wenig über den schönen Fund, holte ein Messer und schnitt die Frucht vorsichtig in zwei gleiche Theile. Und was geschah nun? Zu dem größten Erstaunen der beiden Alten sprang ein wunderhübsches, munteres Knäblein daraus hervor. Und das war eine Freude, so groß, das sie nicht zu beschreiben ist. Nun hatten die alten einsamen Leute plötzlich einen Sohn, den sie sich so lange gewünscht hatten, und sie dankten den Göttern inbrünstig für die unverhoffte Gnade. Zur Erinnerung an seine wunderbare Auffindung nannten sie ihn Momotaro, das heißt Pfirsichjunge. Sorgfältig zogen sie ihn auf, und er ward ein schöner Jüngling, begabt mit allen Tugenden eines guten Menschen, die Stütze und der Stab ihres Alters. Momotaro liebte seine guten Eltern ebenso sehr, als diese ihn liebten, und war ihnen so dankbar, daß er Tag und Nacht daran dachte, ihnen alle ihre Liebe und Aufopferung zu vergelten, sie recht glücklich zu machen und vor allen Dingen ihre ärmlichen Verhältnisse in bessere zu verwandeln. Er grübelte fortwährend darüber, wie er es wohl anfangen sollte, Reichthümer für seine Eltern zu erwerben, und nahm sich vor, eine Wallfahrt nach berühmten Tempeln anzutreten, um sich dort Raths zu erholen. Doch bevor er noch diesen Entschluß ausführte, hatte er einen so lebhaften Traum, daß er sich nur danach zu richten beschloß und alle anderen Pläne aufgab.
Nahe bei seinem Wohnorte nämlich lag eine Insel im Meere, welche niemand betrat, denn dieselbe war ausschließlich von bösen Geistern bewohnt. In Japan heißen solche bösen Geister Oni, weshalb auch diese gefürchtete Insel Onigaschima, Insel der bösen Geister, genannt wurde. Nun ging die Sage, daß die Oni, welche dort hausten, in ihren Höhlen ungeheure Schätze aufgehäuft hätten, die sie streng bewachten, und der Geist, dem die Wache hauptsächlich oblag, hieß Monban. Momotaro hatte nun geträumt, er sei nach dieser Insel gefahren, hätte alle die bösen Geister besiegt und ihre Schätze erobert. Was aber die Hauptsache war und ihn vornehmlich in der Absicht bestärkte, die Fahrt nach Onigaschima zu wagen, war der Götter Gunst, die ihm im Traume bei seinem Unternehmen zu theil ward; denn in Gestalt von allerlei Thieren halfen ihm die Götter glücklich alle Gefahren bestehen und den Sieg gewinnen.
Das erste, was Momotaro nun that, war, daß er sich in der Kunst übte, Waffen zu führen und besonders eine schwere Keule zu schwingen, und als er dies verstand, ging er zu seinen Eltern und sagte ihnen, was er zu thun beschlossen hätte. Ganz bestürzt hörten sie ihn an und waren tief betrübt, daß sie ihren lieben Jungen verlieren sollten; sie baten ihn, doch ja sein Vorhaben aufzugeben und weinten, wenn sie daran dachten, wie furchtbar die Gefahren wären, denen er entgegen ginge. Als aber Momotaro dennoch darauf bestand, sein Abenteuer zu wagen, als er ihnen vorstellte, der Traum habe ihm ja der Götter Gunst und Hilfe zugesagt, da dachten sie an den schönen Tag, wo er ihnen aus der Pfirsiche entgegengesprungen war, und gaben ihre Einwilligung; die Götter, das war ihr Trost, würden dem Sohne, welchen sie ihnen auf so wunderbare Weise geschenkt hatten, auch ihren Schutz nicht versagen.
Momotaro rüstete sich also zum Abschiede, und seine Eltern bereiteten eine Menge köstlicher Klöße aus Hirse, die sie ihm auf seine Reise mitgaben, damit er seinen Hunger stillen könnte. Und als nun alles in Bereitschaft war, sagte der gute Sohn seinen Eltern Lebewohl und ging von dannen.
Wohlgemuth zog er seines Weges dahin, als ihm ein Hund entgegenlief. Zutraulich wedelte dieser mit dem Schwanze und sprang bellend an Momotaro in die Höhe, als er sah, daß derselbe sich seines Anblicks freute. "Laß mich mit dir ziehen," sprach der Hund, "ich will dir nützlich sein auf deiner Reise und dir treu dienen, wenn du mir etliche von deinen schönen Klößen abgeben willst." Momotaro erfüllte diesen Wunsch sofort; er gab ihm einige Klöße und ließ ihn neben sich herlaufen. Nicht lange waren sie zusammen gewandert, so begegnete ihnen ein Affe, der sie freundlich grüßte und Momotaro fragte, wohin er mit all seinen vielen Waffen reisen wolle. Dieser erwiderte, daß er gegen die Insel der bösen Geister ausziehen und ihre Schätze erobern wolle, um sie seinen Eltern als Lohn für alle Wohlthaten zu bringen. "Dann will ich mit dir ziehen und dir helfen," sagte der Affe, "du wirst mir gewiß dafür auch gern etwas von deinen schönen Klößen schenken, nicht wahr?" – "Gewiß, die sollst du haben," entgegnete Momotaro und gab ihm sofort in voller Freude eine große Portion, und als der Affe sie aß, schmeckten sie ihm so gut, daß er seinen Freund, den Fasan herbeirief, der davon kosten mußte. Der Fasan, der ganz in der Nähe war, flog herbei und labte sich an der köstlichen Speise, und als er hörte, wohin die Reise gehe, bat er Momotaro, auch ihn mit zu nehmen; er wolle vereint mit seinem Freunde, dem Affen, und mit dem Hunde ihm beistehen, die schreckliche Insel zu erobern. Momotaro war es zufrieden, und so zogen sie alle vier getrost und muthig dem Strand entgegen. Als sie denselben erreicht hatten, war freilich ein Boot vorhanden, das sie hinüber zur Insel bringen konnte, aber es lag weit im tiefen Wasser und war an einen Pfahl gebunden. Was war zu thun? Momotaro sann vergebens, wie er sich helfen sollte. Da aber wußte der Affe Rath; er sagte dem Hunde: "Du kannst ja schwimmen! Also rasch, begib dich ins Wasser; ich springe auf deinen Rücken, du trägst mich zu dem Kahne und wir holen ihn zusammen hierher ans Ufer". Gesagt, gethan; der Hund trug den Affen auf seinem Rücken durch das Wasser zum Kahne hin, der Affe löste das Tau und gab es dem Hunde ins Maul, freudig und stolz schwamm der Hund zurück ans Ufer und brachte so den Kahn ans Land. Nun stiegen sie alle außer dem Fasanen ein; dieser aber flog voran zu der Insel hinüber, um einen guten und sicheren Platz auszukundschaften, wo sie unbemerkt landen könnten. Die bösen Geister durften sie nicht sehen und vor allen Dingen den Kahn nicht; denn wie hätten sie ohne diesen, wenn sie die Schätze eroberten, dieselben fortschaffen wollen? Momotaro lobte den Fasan für seine Vorsicht und ließ ihn vorauf fliegen, und Dank seiner umsichtigen Führung konnten sie nicht allein ungesehen und gefahrlos landen, sondern der Fasan brachte sie auch gleich zum Eingange der großen Höhle, die er bald ausgekundschaftet hatte.
Momotaro schlug mit seiner Keule gegen die eiserne Pforte der Höhle, aber keine Antwort erfolgte. Ungeduldig und zornig zerschmetterte er die Thür und trat ein. Aber wie staunte er über den Anblick! Er hatte erwartet, an einen finstern, grausigen Ort zu gelangen, und nun fand er das Gegentheil; es war ein prächtiger, heller und glitzernder Palast, in den er eintrat. Hier sollte das Oberhaupt der bösen Geister hausen? Momotaro war ganz verwirrt, doch seine Begleiter ließen sich nicht irre machen und brachten auch ihn bald wieder zur Besinnung. Der Fasan flog abermals voraus, weit in den Palast hinein, der Affe kletterte auf das Dach, der Hund kroch unter den Fußboden, um zu sehen, wo wohl die Schätze versteckt wären, und während er dies glücklich herausfand, waren Affe und Fasan auch nicht müßig, und alle drei kehrten bald zu ihrem harrenden Herren mit guter Botschaft zurück. Momotaro, von allem unterrichtet, schritt geraden Weges auf das Zimmer des Oberhauptes der bösen Geister los, und da unzählige kleine Kobolde ihn hindern wollten, schlug er so kräftig um sich und bläuete sie so wacker durch, daß sie schleunigst die Flucht ergriffen. Nun brach Momotaro ohne Zögern in das Gemach des obersten bösen Geistes ein, und der gräuliche Oni wurde sehr zornig, als er seiner ansichtig ward. Er rief seine Dienerschar und befahl ihr, ihm zu helfen; doch es ließ sich niemand sehen, und Momotaro schlug kräftig auf ihn ein. Der Affe aber, der wohl einsah, daß der große Geist stärker war, als Momotaro, sprang ihm flugs auf den Rücken und hielt ihm die Augen zu, so daß er seinen Gegner nicht sehen konnte, und der Hund war auch nicht faul, sondern biß den bösen Oni tüchtig in die Beine, während der Fasan draußen die anderen Geister fern hielt und jedem, der sich in die Nähe wagte, die Augen auspickte. So geschah es, daß der arg bedrängte große Oni gar bald um sein Leben bat. Momotaro versprach, dasselbe zu schonen, wenn er ihm alle kostbaren Schätze der ganzen Insel geben wolle. Das versprach der böse Geist denn auch und gab sie in der That sofort heraus. Die Diener, obgleich vom Fasan des Augenlichts beraubt, mußten sie alle in den Kahn schleppen, und als sie damit fertig waren, schiffte sich der junge Held mit seinen drei Gefährten vergnügt und froh ein.
Die Reise verlief glücklich, und als sie anlangten, da war die Freude der Eltern Momotaros über die Maßen groß, am größten darüber, daß sie ihren geliebten Sohn glücklich und gesund wiedersahen. Doch waren sie auch sehr zufrieden damit, daß er so reiche und kostbare Schätze von der Insel der bösen Geister mitgebracht hatte. Da war Gold und Silber in Fülle, köstliches Gestein und Gewand, auch zauberhafte Schätze, ein Mantel und ein Hut, die jeden, der sie trug, unsichtbar machten, und noch viel andere wunderbare und seltene Dinge. Nun konnten sie alle ohne Sorge leben, und Momotaros Ruhm zog durch die ganze Welt.
Auch eine wunderschöne Prinzessin, die in einem großen, herrlichen Garten wohnte, hörte von ihm, aber da Momotaro sie nicht kannte, so konnte er auch nicht wissen, wie sehnlich sie sich ihn zum Gemahle wünschte. Der Fasan aber, der weit im Lande herumflog, kannte sie und errieth sehr bald ihre Wünsche, von denen er Momotaro erzählte, und dieser war so glücklich über die Nachricht, daß er sogleich seine Mutter zu der Prinzessin sandte und um ihre Hand bitten ließ. Die Prinzessin war voller Freude über die Botschaft und zögerte nicht einen Augenblick, einen so schönen, tapferen Mann, wie Momotaro war, zum Gemahle zu nehmen.
Dem alten, guten Ehepaar blieb nun nichts mehr zu wünschen übrig, und so verlebten sie alle miteinander noch lange, glückliche Tage. Momotaro aber hielt den Hund, den Affen und den Fasan hoch in Ehren und behielt sie zu Freunden bis an sein Lebensende.
Jiraiya1 war der Sohn eines Daimio2 im östlichen Japan; dieser sein Vater, Fürst einer großen Provinz, hatte einen erbitterten Krieg gegen einen benachbarten Daimio zu führen, welcher ihn schließlich in einer großen Schlacht besiegte und erschlug, alle seine Krieger tötete oder in die Flucht trieb und das ganze Erbe Jiraiyas an sich riß. Dieser war gezwungen, als Flüchtling die väterliche Provinz zu verlassen.
Tief ergrimmt über sein Schicksal, floh Jiraiya weiter und weiter in finstere Wälder. Er wußte nicht, was er beginnen sollte; er vermochte sich nicht zu entschließen, Dienste bei einem anderen Fürsten zu nehmen, da er ein Prinz von Geblüt war. Da er nun nichts auf der Welt mehr besaß, um sein Leben zu fristen, und dabei ein unerschrockener, starker Krieger war, so faßte er den Entschluß, sich von Straßenraub zu nähren, und so setzte er sich in den Bergen von Etschigo fest und ward einer der gefürchtetsten Räuber, die es gab. Es war aber die Gegend voll von seinesgleichen, und als die übrigen Räuber erkannten, daß Jiraiya unstreitig der kühnste und verwegenste unter ihnen allen war, so kamen sie zu ihm und baten ihn, ihr Oberhaupt zu werden. Jiraiya willigte ein und wurde in der That ein Räuberhauptmann, wie es einen mächtigeren nie gegeben hatte.
Er fühlte sich nun nicht mehr unglücklich über sein Schicksal, sondern er lebte der gewissen Hoffnung, daß er mit der Zeit Mannschaften und Geld genug bekommen würde, um gegen seinen mächtigen Feind, den Mörder seines Vaters, einen erfolgreichen Kampf zu unternehmen, und zu diesem Zwecke häufte er Schätze auf Schätze.
Nun lebte in demselben Gebirge in einer tiefen Höhle ein Eremit Namens Senso-Dojin, der ein Freund von Jiraiyas Vater gewesen war und seine Zuneigung auf den Sohn übertrug. Dieser Eremit trieb aber Zauberei und war namentlich im Besitze eines sehr wichtigen und mächtigen Zaubers, des sogenannten Froschzaubers oder, wie es im Japanischen heißt, Gamano-jutsu. Mit Hilfe dieses Zaubers vermochte Senso-Dojin sich und andere Menschen in riesengroße Frösche zu verwandeln, die dann mit Leichtigkeit unerkannt und wohlgeborgen jedes Gewässer durchschwimmen konnten oder auch am Ufer saßen und den Menschen auflauerten und viele andere außerordentliche Dinge zu stände brachten. Der Eremit, der sehr stolz auf den Besitz dieses merkwürdigen Zaubers war, konnte sich desselben doch nicht so von Herzen freuen, wie er wünschte, denn es war damit eine große Unannehmlichkeit verknüpft, welche ihn gar nicht seines Lebens froh werden ließ. Es gab nämlich im nämlichen Gebirge eine bösartige große Schlange, Orotschi genannt,3 die auch zauberkundig war und die Kraft besaß, Senso-Dojins Froschzauber zu vernichten. Sie haßte den Eremiten und trachtete ihm unaufhörlich nach dem Leben, und da sie ihm nicht anders beizukommen wußte, so nahm sie Menschengestalt an und umschlich sehr oft seine Höhle. Der Eremit war in beständiger Angst vor dem Thun und Treiben seiner Feindin, so daß er nur selten seine Höhle zu verlassen wagte. Endlich kam ihm der Gedanke, Jiraiyas Hilfe in Anspruch zu nehmen. "Wir können beide uns nützen," sprach er zu ihm. "Du erhältst meinen Froschzauber, den ich dir schenke, damit du durch seine Hilfe dich an deinem Feinde rächest, welchen du sonst doch schwerlich besiegen könntest, denn er ist sehr mächtig; und dafür schaffst du mir meinen Feind, die Schlange fort und befreiest mich von ihren gräulichen Nachstellungen. Ach, ich bin überzeugt, daß sie mich trotz aller Vorsicht erwischen und fressen wird. Deshalb hilf mir und tödte sie mit menschlicher Kraft und menschlichen Waffen."
Jiraiya hörte diese Worte mit vielem Vergnügen und nahm ohne Zögern den Vorschlag an. Ungesäumt empfing er den Froschzauber; dann aber zog er, der Tapferste unter den Tapfern, sofort gegen den bösen hinterlistigen Feind des Eremiten aus. Orotschi, die Riesenschlange, welche keine Ahnung von der Gefahr hatte, die sie bedrohte, und sich deren nicht versah, wurde alsbald von der Hand des Helden Jiraiya erlegt. Ein Pfeil durchbohrte sie und machte ihrem tückischen Treiben ein Ende.
Der Eremit Senso-Dojin war damit freilich aus aller Gefahr befreit, aber Jiraiya kam nicht so gut davon. Er hatte sich in eine böse Lage gebracht und büßte beinahe das Leben ein. Die Angehörigen der Schlange nämlich konnten den Tod der großen Zauberin nicht verschmerzen und sannen auf Rache gegen Jiraiya. Und wie das Schlangengelichter ein kriechendes, hinterlistiges Geschlecht ist, so kamen sie nicht in offenem Kampfe zu zu Jiraiya, sondern bereiteten heimtückisch einen Trank aus Schlangengift, den sie ihm eines Tages beizubringen wußten. Er, ahnungslos, trank die Schale und wurde auf der Stelle zum Tode krank. Sicherlich hätte er sterben müssen, wenn ihm nicht abermals wunderbarerweise durch einen Zauber geholfen wäre.
In der Nähe wohnte eine Jungfrau mit Namen Tsunade, die bereits viel von Jiraiya gehört hatte, denn das Volk ehrte ihn als einen Tapferen. Diese Jungfrau hatte von einem alten Manne, einem Freunde ihres Vaters, den berühmten heilkräftigen Schneckenzauber erlernt, der gegen den Schlangenzauber und namentlich gegen das Gift der Schlangen schützt. Die Jungfrau war deshalb auch beim Volke sehr beliebt und hatte großen Ruhm, denn weit und breit nahm man ihre Hilfe in Anspruch, sobald jemand von einer Schlange gebissen war. So hatte sie schon viele Menschen vom Tode errettet. Sie hörte nun, daß der tapfere Jiraiya an Schlangengift sterben müsse. Sofort machte sie sich auf den Weg und eilte zu ihm; sie kam auch nicht zu spät. Jiraiya ward durch sie gerettet und stand bald wieder kräftig und gesund auf seinen Füßen. Zum Danke für ihre Hilfe nahm er Tsunade zum Weibe; diese war sehr glücklich, den berühmten Krieger Jiraiya zum Gatten bekommen zu haben, und zog fortan stets mit ihm und verließ ihn nie.
Jetzt aber war es Zeit, daß Jiraiya seine eigentliche Lebensaufgabe löste und endlich gegen seinen eigenen Feind zog, der ihn aus dem Hause und dem Reiche seiner Väter vertrieben hatte. Er legte die Rüstung an und nahm seine Waffen zur Hand; dann versammelte er die Seinen und zog gegen die feindliche Burg. Dieselbe war von einem breiten, tiefen Wassergraben umgeben, über den keine Brücke führte. Dies war Jiraiya stets als größtes Hindernis erschienen, wenn er daran dachte, den Mörder seines Vaters zu bekriegen; denn Schiffe wurden von den Mauern des Schlosses beobachtet, und deren Bemannung hätte den Pfeilen unmöglich standhalten können, welche vom Schlosse her auf sie geschossen wären. Heute lachte Jiraiya über den breiten Graben; er war ja im Besitze des Froschzaubers, der ihn in den Stand setzte, samt allen Genossen ungesehen durch die Fluten zu gelangen. Dann konnte er nach kurzem Kampfe den überraschten Feind schlagen, Rache für seinen Vater üben und für sich selbst zurücknehmen, was ursprünglich und von Rechts wegen sein Eigenthum war. Überglücklich in diesem Gedanken und von Kampfeslust beseelt, zog Jiraiya aus; allein es kam ganz anders, als er geglaubt. Der Schlangentrank, der ihm freilich vermöge Tsunades Hilfe an Leben und Gesundheit keinen Schaden gethan, ward ihm dennoch verderblich, denn er hatte die Kraft des Froschzaubers gebrochen.
So stand Jiraiya wuthschnaubend vor der Burg seiner Väter, und als er dennoch den Kampf wagte, war der Erfolg – wie bei der Übermacht seines Gegners vorauszusehen – ein sehr schlechter. Überall geschlagen, mußte er abermals flüchten und auf seine Rache für immer verzichten.
Mit dieser Erkenntnis war auch seine Lust am Kampfe und am fröhlichen Kriegerleben dahin. Er fand keinen Gefallen mehr daran und zog sich in tiefe Einsamkeit in die Berge zurück, wo er fortan bis zu seinem Tode mit seiner Frau und seinem alten getreuen Freunde lebte.
Fußnoten
1 Während sonst die Aussprache der japanischen Wörter wesentlich der deutschen entspricht, mußte doch das J hier, wie stets in der Folge als Zeichen gelten für einen dem englischen J, oder G in George, dem italienischen G vor e und i, ähnlichen Laut, der aber oft unmerklich in das französische J übergeht. Von diesem Laut gab nämlich das sonst wohl dafür gesetzte dsch doch eine unrichtige Vorstellung, abgesehen von seiner Unbequemlichkeit. – In "Japan" sollte bekanntlich das J ebenso gelesen werden. Der Laut unseres J ist dagegen stets durch Y wiedergegeben. In analoger Weise ist auch noch das z sanft, ähnlich dem englischen und französischen, auszusprechen, dagegen der scharfe Laut des deutschen z durch ts wiedergegeben.
2 Herrscher eines Gebietes und Haupt einer vornehmen Familie.
3 Eines der sagenhaften Thiere Japans.
Zwei Freunde trafen auf einem Spaziergange Kinder, welche einen jungen Fuchs gefangen hatten. Sie hielten das Thier in Stricken gebunden und erklärten, es in ihrem Dorfe verkaufen zu wollen; ein junger Mann habe ihnen ein hübsches, blankes Geldstück dafür versprochen. Der eine der Freunde beschloß sogleich, den Fuchs zu kaufen und bot den Kindern noch mehr dafür; der andere spottete anfangs darüber, gab aber doch seine völlige Beistimmung zu erkennen, als sein Freund erklärte, er habe das Füchslein nur gekauft, um es auf der Stelle in Freiheit zu setzen. So geschah es denn auch, und beide Freunde freuten sich herzlich über die possierlichen Sprünge des jungen Fuchses beim Wiedersehen mit seinen Eltern, die anfangs sehr betrübt, dann höchst vergnügt, die Vorgänge aus der Ferne beobachtet hatten.
Lange Zeit hernach – niemand dachte mehr an die Geschichte – erkrankte der Wohlthäter des jungen Fuchses, der unterdessen in eine andere, ferne Stadt gezogen war, sehr bedenklich. Die Ärzte erklärten, nur der Genuß einer Fuchsleber könne ihn retten. Keiner seiner Bekannten aber konnte eine solche herbeischaffen, und es ward daher ein Brief an einen entfernt wohnenden Freund abgesandt, mit der Bitte, wenn irgend möglich, recht bald eine Fuchsleber für den Patienten zu senden. Es währte nicht lange, da kam ein wohlgekleideter Mann und brachte mit vielen Höflichkeitsbezeugungen, aber in sehr ernster und trauriger Stimmung, eine frische Fuchsleber. Der Kranke ließ sie sofort nach ärztlicher Vorschrift zubereiten und bekam auch durch deren Genuß seine Gesundheit vollkommen wieder. Er glaubte natürlich, sein entfernter Freund habe das Heilmittel gesandt, und war daher sehr überrascht, ein paar Tage später von diesem die Nachricht zu erhalten, er habe keine Fuchsleber anschaffen können. Nun erinnerte der Genesene sich wohl des früheren Abenteuers und zweifelte nicht, daß die Füchse, deren Wohlthäter er geworden, in irgend einer Weise ihre Dankbarkeit hätten beweisen wollen. Die Sache blieb jedoch unaufgeklärt, bis er wieder einmal seinen früheren Wohnort besuchte. Hier sah er den alten Fuchs wieder und rief ihn an. Derselbe kam auch herzu und berichtete, er und seine Frau hätten seiner Zeit zu ihrer tiefen Betrübnis durch andere Füchse erfahren, daß ihr Wohlthäter so schwer und gefahrvoll erkrankt sei. Sie hätten es nicht über sich gewinnen können, ihn im Stiche zu lassen und hätten lieber den damals durch ihn befreiten und nur durch ihn am Leben erhaltenen Sprößling geopfert, als daß sie seinen Tod sich zum Vorwurfe hätte machen müssen. Seine Frau aber sei noch opferwilliger gewesen, als er selbst, denn sie habe selber ihr Söhnlein getödtet.
Der Mann war tief gerührt und dankte dem Fuchse mit Thränen in den Augen. Er gelobte aber auch, seinen Dank zu bethätigen, und stiftete ein schönes Fuchsbildnis beim Tempel der Göttin von Inari, gemäß der alten Sitte, solche Fuchsbilder – die oft in langer Reihe neben den Tempelzugängen stehen – vor den Heiligthümern dieser Gottheit aufzustellen.
Es lebte einst ein Ehepaar weißer Füchse, und die hatten einen Sohn, so nett und glatt, wie nur je einer zu sehen war, schneeweiß, wie seine Eltern. Als der junge Fuchs erwachsen war, da sagte ihm sein Vater: "Jetzt will ich mich aufs Altentheil setzen und dir das Regiment des Hauses überlassen. Suche du dir eine Frau und fang an, selbst zu wirthschaften; mit Rath und Hilfe will ich dich gern zu jeder Zeit unterstützen." Der junge Fuchs dankte seinem Vater aufs verbindlichste und begann sogleich mit Eifer zu arbeiten und den neuen Hausstand vorzubereiten.
Die Frage, wen er als Braut heimführen sollte, war auch sehr bald entschieden, denn gar nicht weit wohnte ein anderes Paar weißer Füchse, die ein Töchterchen hatten, das seiner Schönheit halber berühmt war, sein Fell strahlte weithin und war so glatt wie Seide. Nun war es vor allen Dingen nöthig, die Einwilligung der Eltern des schönen Mädchens zu haben. Allein ein geschickter Brautwerber fand sich und brachte die Angelegenheit in der üblichen Weise, mit allen erdenklichen Höflichkeitsbezeugungen, ohne weitere Hindernisse in Gang. Geschenke vom Freier kamen an, und der Bote, der sie mit zierlich gesetzten Glückwünschen anschleppte, ward mit reichem Lohn entlassen. Nun ward eine Zusammenkunft der Brautleute verabredet, damit sie sich doch vorher kennen lernten, ehe die Braut in ihres Mannes Haus käme; das übliche Faß Sake1 wanderte in die Wohnung des künftigen Paares, und es blieb nichts übrig, als einen guten, glückbringenden Tag im Kalender für die Hochzeit auszuwählen.
Endlich kam dieser heran; aber leider war es recht schlechtes Wetter. Schwere Wolken zogen unablässig am Himmel dahin, und fast beständig fielen Regenschauer herab. Dennoch setzte sich der Zug mit der Braut zu rechter Zeit in Bewegung, und, siehe da, bei vollem, strömendem Regen lachte die Sonne, gerade als die Braut unterwegs war. Alle Welt wunderte sich und war darüber sehr erfreut, und daher sagt man noch heutzutage in Japan, wenn bei vollem Regen die Sonne scheint: "Die Braut des Fuchses geht in ihres Mannes Haus."
Hier angelangt, leerte die schöne junge Braut die Sakeschale, von der zuvor ihr Bräutigam getrunken; dann waren alle vergnügt und tanzten, sangen und tranken nach Herzenslust.
Und so lustig die Hochzeit, so glücklich war das fernere Dasein des jungen Paares. Füchslein, alle nett und weiß von Pelz, der eine noch runder und kräftiger als der andere, umsprangen sie bald in Menge und gediehen zur Freude der Eltern und des würdigen alten Großvaters, der nicht verfehlte, jeden derselben seinen Schutzpatronen, der Göttin und dem Gotte von Inari, vorzustellen und sie ihrem Schutze zu empfehlen. Und die Götter halfen auch getreulich, die ganze Familie vor bösen Hunden und anderen Feinden zu bewahren, und so dauerte das Glück viele viele Geschlechter hindurch bis auf den heutigen Tag.
Fußnoten
1 Reiswein.