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"Von allen Unsterblichen ist Jim Morrison der Unsterblichste – und derjenige, bei dem sich Erwachsene immer etwas verschämt winden: ›Die Doors? Habe ich als Teenager geliebt!‹" Freier Oberkörper, wallendes Haar, dunkle Stimme, Ekstase auf der Bühne: Jim Morrison und seine Band The Doors eroberten Ende der 1960er die Welt mit sensationellen Songs wie "Break on Through", "Light My Fire" oder "Riders on the Storm" und wurden zu einer der größten Rockbands aller Zeiten. Birgit Fuß nähert sich der Kultfigur Morrison, stellt ihn als Dichter vor, dessen Schriften Erstaunliches offenbaren, und als Rockstar, der lustvoll Grenzen überschritt. Bis er am 3. Juli 1971 im Alter von 27 Jahren starb. Noch heute pilgern unzählige Fans nach Paris, um Morrison auf dem Friedhof Père Lachaise nahe zu sein.
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Seitenzahl: 118
Birgit Fuß
Reclam
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www.reclam.de/100Seiten
2021 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Covergestaltung nach einem Konzept von zero-media.net
Infografiken: annodare GmbH, Agentur für Marketing
Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Made in Germany 2021
RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
ISBN978-3-15-961865-4
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-020576-1
www.reclam.de
»Light My Fire«: Prolog
»People are strange when you’re a stranger«: Der Junge, der Mann
»We Could Be So Good Together«: Die Band
»Break on Through (to the Other Side)«: Sieben Alben und mehrere Filme
»The men don’t know / But the little girls understand«: Die Liebe
»I am the Lizard King / I can do anything«: Der Dichter und der Spirituelle
»When the music’s over / Turn out the lights«: Die Skandale
»This is the end / Beautiful friend«: Der Abschied
Zeittafel: Sechs wilde Jahre
Lektüretipps
Bildnachweis
Zur Autorin
Über dieses Buch
Leseprobe aus Jimi Hendrix. 100 Seiten
Auf die Frage, ob ich mir vorstellen könne, ein Buch über Jim Morrison zu schreiben, schickte ich ein leicht vergilbtes Foto zurück. Wenn ich an den Sänger der Doors denke, bin ich sofort zurück im Jahr 1989. Ich sehe mich mit 17 an seinem Grab in Père-Lachaise sitzen. Paris fand ich von der Architektur abgesehen überwiegend doof, weil ich kein Französisch konnte und mich unwillkommen fühlte. (Es half nicht, dass ein Typ, den ich auf Englisch fragte, wo der Ostbahnhof sei, mit »Vive la France!« antwortete, und meine Jugendherberge neben einer Sadomaso-Spelunke lag.) Auf dem Friedhof war dagegen eine faszinierende Ruhe. Es saßen nur ein paar Hippies herum, die wir damals Ökos nannten, manche rauchten und tranken Bier. Alle flüsterten. Der Steinklotz wirkte schäbig, die pompösen Gräber von Oscar Wilde und Edith Piaf waren weit weg. Ich wollte so gern cool sein, doch ich war so traurig. Hier liegt also das bisschen Materie, das auf der Erde von ihm übrig geblieben ist. Seine wahre Bedeutung, das wurde mir im Laufe der nächsten 30 Jahre klar, sitzt in unseren Köpfen und Herzen – und da hat er sich erstaunlich tief eingegraben.
Spontan: Was fällt einem zu Jim Morrison ein? Viele sensationelle Songs. Fotos mit nacktem Oberkörper. Das Grab. Die Lederhose. Die Lippen. »Whisky a Go Go«. Verhaftungen. Gedichte. Aggression. Suff. Sex. Tod. Und dann war da noch: der Hass auf den Offiziersvater, die Faszination für »Indians« und Schamanen, der Spaß an der Manipulation, das Interesse an Filmen und Symbolismus, die Mischung aus Dionysos und Apoll, Ödipus und Sisyphos, der Hang zu Exzess, Exhibitionismus und Ekstase, aber auch die Verehrung für Jack Kerouac, Arthur Rimbaud und Friedrich Nietzsche. Vielleicht war manches davon oberflächlich, und natürlich war Morrison kein Baudelaire. Seine Poesiebände sind nicht so beeindruckend wie die Songs der Doors, weil sein Pathos dort von den unwiderstehlichen Melodien und der dunklen Stimme aufgefangen wird, während es auf Papier manchmal ein wenig übertrieben wirkt. Man muss Morrison auch nicht dafür lieben, dass er sich »The Lizard King« nannte und »Mr. Mojo Risin’«, wobei zumindest beim Eidechsenkönig durchaus eine Ironie mitschwang, die meistens übersehen wurde.
Zwischen Graffiti und leeren Flaschen blieb noch etwas Platz zum Trauern: Birgit Fuß an Jim Morrisons Grab (1989)
Aber wie viele Rockstars kennen Sie, die sich überhaupt für Existenzialisten, Surrealisten und Okkultisten interessieren? Kann sein, dass Jim Morrison kein großer Dichter und Denker war, doch er versuchte verdammt noch mal wenigstens, einer zu sein! Er gab sich nicht zufrieden, nie. Er hasste die Leute, die nur seinen Körper sexy fanden und nicht seine Seele, seinen Geist. Er war wohl zu schön, um ernst genommen zu werden, also legte er sich einen Bart und einen Bauch zu. Es half nichts, die Paranoia wuchs. Er floh nach Paris, und dann starb er: die letzte Herausforderung, das definitive Abenteuer.
Am 3. Juli 1971 wechselte er, mit gerade mal 27, in eine andere Welt. Und 50 Jahre später haben die Doors immer noch nichts von ihrer Magie verloren. Wie ist das möglich?
Sie hatten – vom Erscheinen ihres Debüts im Januar 1967 an gerechnet – nicht einmal fünf Jahre. Sogar die Beatles hatten mehr Zeit. Vergleichbar ist die Wucht, mit der die Doors in der Welt aufschlugen und wieder verglühten, allenfalls mit Nirvana. Doch Kurt Cobain taugte zwar zur Projektionsfigur und Glorifizierung, aber nicht als hedonistischer Rebell. Von allen Unsterblichen ist Jim Morrison der Unsterblichste – und derjenige, bei dem sich Erwachsene immer etwas verschämt winden: »Die Doors? Habe ich als Teenager geliebt!« Das Pin-up-Poster von Morrison wurde von der Wand genommen, doch wer schlau war, legte die Alben weiterhin auf: Es gab immer mal wieder etwas Neues zu entdecken in den Liedern, auch jenseits von juveniler Begeisterung. Sicher war Morrisons Lyrik nicht immer subtil (und sein Auftreten schon gar nicht), die Themen blieben aber relevant: Wo kommen wir her, wo wollen wir hin, wer sind wir, und was soll das alles? Das gilt übrigens genauso für einen anderen Mann, der stets den Zauber und die Weisheit suchte, irgendeine Utopie und irgendeinen Sinn: Hermann Hesse. Die Doors-Biographie Keiner kommt hier lebend raus von Jerry Hopkins und Danny Sugerman stand in vielen Regalen gleich neben Demian und Der Steppenwolf.
»No eternal reward will forgive us now / for wasting the dawn«, sprach Morrison in »Stoned Immaculate«. Er hat keine Zeit verschwendet, nur sich selbst. Wenn er in »Take It As It Comes« so lässig »Specialize in having fun« empfiehlt, klingt das schon fast wie Hohn – ein Hippie, der einfach mal alles auf sich zukommen lässt, war Morrison nicht. »We want the world, and we want it now!«
Innerhalb von sechs Alben wandelten sich die Doors von der psychedelischen Pop- zur Bluesband, blieben dabei aber immer unverwechselbar. Was nicht nur am Sänger lag. Er überschattete seine drei Kollegen bald, doch er brauchte sie; ohne sie wäre er vielleicht nur ein weiterer Rumhänger in Venice Beach geworden, der sich für etwas Besonderes hält. Diese Typen haben an ihn geglaubt und ihn hochgehalten, solange es ging: Ray Manzarek mit seiner grandiosen Orgel und der ungenierten Hybris, Robby Krieger mit seinem eingängigen Songwriting und der angenehmen Zurückhaltung, John Densmore mit seinem vertrackten Schlagzeug und der dringend nötigen Vernunft.
Was sie nach dem Tod ihres Sängers alles veranstaltet haben (die peinlichen Comebacks, die Streitereien, die Veröffentlichungen jedes Schnipsels), soll hier kein Thema sein. Erinnern wir uns an Jim Morrison und die Doors, wie sie ewig bestehen: Von den ersten Takten von »Break on Through (To the Other Side)« bis zu den letzten von »Riders on the Storm« eröffneten sie uns in kaum mehr als vier Jahren eine Welt. Sie war wild und sinnlich, oft beängstigend, manchmal grotesk, aber eins war sie nie: klein.
»Oh, don’t ask why«, singt er im »Alabama Song«, doch in einer Zeit, in der an allem gerüttelt wurde, was bisher als gesellschaftliche Norm galt, war Jim Morrison der König der Fragen. Er säte mit Absicht Unruhe, weil er wollte, dass die Menschen anfangen zu zweifeln und über das Gewohnte hinauszudenken. »Have you been born yet, and are you alive?« Ach, Jim, Du hast so viele kluge Fragen gestellt und so wenig Zeit gehabt, Antworten zu finden. So gern würde ich noch so viel von Dir wissen. Wie schrieb Rilke in Briefe an einen jungen Dichter? Es geht darum,
Geduld zu haben gegen alles Ungelöste in Ihrem Herzen und zu versuchen, die Fragen selbst liebzuhaben wie verschlossene Stuben und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache geschrieben sind. Forschen Sie jetzt nicht nach den Antworten, die Ihnen nicht gegeben werden können, weil Sie sie nicht leben könnten. Und es handelt sich darum, alles zu leben. Leben Sie jetzt die Fragen. Vielleicht leben Sie dann allmählich, ohne es zu merken, eines fernen Tages in die Antwort hinein.
Nach all den Jahren sind immer noch so viele Fragen offen – und weil Jim Morrison am 3. Juli 1971 den Planeten verlassen hat, kann ich sie ihm nicht mehr stellen. Das hat mich schon als Jugendliche gefuchst, und vielleicht bin ich auch deshalb Journalistin geworden – um die Musiker zu befragen, die noch zur Verfügung stehen. Aber eigentlich dachte ich schon an Morrisons Grab: Die Antworten sind gar nicht entscheidend, vielleicht waren sie es nie. Wichtig ist, niemals mit dem Suchen aufzuhören. Also, Jim, wo immer Du jetzt bist – was mich bis heute umtreibt: Wenn Du die Musik, das Schreiben so geliebt hast, warum konntest Du auf den Schnaps nicht verzichten? Ist Betäuben nicht eigentlich das Gegenteil von Exzess – und Sucht das Gegenteil von Freiheit? Hättest Du vielleicht noch viel mehr (er)leben können ohne den ständigen Rausch, der ja weniger Ekstase war als Weltflucht? Hätte Dich irgendjemand oder irgendetwas retten können? »Well, the music is your special friend / Dance on fire as it intends«: Was ist die Wahrheit dahinter? Warum hast Du nicht versucht zu lernen, so auf dem Feuer zu tanzen, dass Du nicht verbrennst? Du hast Dich verschwendet, und dann bist Du verschwunden, bevor Dein Funken ganz verglühen konnte. Bist Du friedlich gegangen? Und wo kamst Du eigentlich her?
Hätte man sich denken können, dass aus dem nichts wird. Oder eben einer der größten Rockstars aller Zeiten. Die Renitenz, der Hang zur Provokation war von klein auf in ihm angelegt. James Douglas Morrison wurde am 8. Dezember 1943 in Melbourne/Florida als Sohn von Clara (1919–2005) und George Stephen (1919–2008) geboren, einer Sekretärin und einem Marine-Offizier. Seine Kindheit war geprägt von permanenten Ortswechseln und entsprechend wenig Stabilität. Die Morrisons wohnten am Golf von Mexiko, in Washington, in Albuquerque, in verschiedenen Städten in Kalifornien – wie es eben so üblich ist, wenn der Vater vom Militär ständig versetzt wird. Manchmal sah Jim ihn wochenlang nicht. Natürlich muss das nicht zwangsläufig bedeuten, dass sich ein Heranwachsender nirgendwo integrieren kann und sich nirgends zu Hause fühlt, auch nicht in der eigenen Haut. Aber bei Jimmy, wie ihn seine Familie damals nannte, war es offensichtlich so – sobald er Freunde gefunden hatte, fuhr schon der nächste Umzugswagen vor. Er lernte, sich nicht zu sehr auf andere einzulassen, und Autoritäten waren ihm früh ein Graus. Und dann war da noch etwas in ihm, das wir wahrscheinlich nie wirklich ergründen oder erklären können – etwas Dunkles, das sich durch sein gesamtes kurzes Leben zog.
Ein Zwischenfall ist wohl der berühmteste aus Morrisons frühen Jahren, er kam selbst immer wieder darauf zurück und bezeichnete ihn als den wichtigsten Moment seines Lebens – wenngleich er damals erst fünf war. Jimmy war mit seinem Vater und seiner Großmutter auf dem Weg von Albuquerque nach Santa Fe, als sie zu einer Unfallstelle kamen. Ein LKW war umgestürzt, sie sahen etliche verletzte, womöglich tote Pueblos auf und neben der Straße liegen, einige weinten. George Stephen Morrison hielt an, rief Polizei und Krankenwagen. Angeblich war der kleine Jim so entsetzt von der Szene, dass sein Vater ihn kaum beruhigen konnte und schließlich behauptete, es sei alles nur ein böser Traum gewesen. Jim wiederum war später davon überzeugt, dass damals »die Seele eines sterbenden Indianers« in seinen Körper gedrungen sei. Den Schmerz wurde er nie wieder los.
Die Highschool begann Jim 1957 in Alameda/Kalifornien, wo es einen großen Marinestützpunkt gab. Es war schon das siebte Zuhause des gerade mal 14-Jährigen. Er machte sich dort nicht beliebt mit seinen Streichen und frechen Kommentaren. Zwar attestierten ihm die Lehrer Talent in einigen Bereichen, aber auf manch kreative Leistung reagierten sie ablehnend – zum Beispiel auf Jims obszöne Zeichnungen. Eine zeigte einen Mann, der eine Cola-Flasche als Penis und einen Flaschenöffner als Hoden hatte, dazu floss undefinierbare Flüssigkeit an ihm herunter.
Im Winter desselben Jahres veränderte sich das Leben des Schülers für immer – so wie sich nur in den Teenagerjahren die Welt verändern kann: mit einem Buch. Er las Jack Kerouacs On The Road – Unterwegs. Und dann las er einen Schriftsteller aus der Beat Generation nach dem anderen. Er liebte auch Lawrence Ferlinghetti und Allen Ginsberg, doch in Kerouacs Roman fand er die Figur, die er sein wollte: Dean Moriarty. Er imitierte dessen Lachen, und natürlich liebte er die Stelle, in der Kerouac schreibt, die einzig wahren Menschen seien für ihn die Verrückten. Die, die wie Wunderkerzen brennen. So einer wollte Jim sein, auf keinen Fall ein Staatsdiener wie sein Vater. Er saß stundenlang in seinem Jugendzimmer und las. An den Wochenenden fuhr er manchmal mit dem Bus in irgendein entlegenes Stadtviertel, ging spazieren und schoss viele Fotos. Bilder und Sprache wurden ihm das Wichtigste. Er entdeckte auch den englischen Dichter und Naturmystiker William Blake (1757–1827), der einen entscheidenden Einfluss auf Jims weiteres Leben hatte: Den späteren Bandnamen The Doors entlehnte er dessen Satz »If the doors of perception were cleansed, everything would appear to man as it truly is, infinite« (»Wenn die Pforten der Wahrnehmung gereinigt würden, würde alles dem Menschen erscheinen, wie es ist: unendlich«) aus der Ideenschrift The Marriage of Heaven and Hell (1790–1793). Auch eine andere berühmte Erkenntnis Blakes zitierte Morrison später immer wieder: »There are things that are known, and things that are unknown, and in between there are doors.« (»Es gibt das Bekannte und das Unbekannte – und die Türen dazwischen.«) Aldous Huxley führte diese Überlegungen 1954 in seinem Essay »Die Pforten der Wahrnehmung« fort, in dem er die Wirkung von Meskalin aufs Bewusstsein beschreibt, aber auch Fragen zu Musik und Kunst erörtert.
Eine Tür – genau das wollte Morrison mit seiner Musik sein: der Übergang zum Neuen, Geheimnisvollen, Mythischen. Wie man dort hinkommt – auch dafür fand er das passende Blake-Zitat: »The road of excess leads to the palace of wisdom.« (»Der Weg der Exzesse führt zum Palast der Weisheit.«) Morrisons Dichterfreund Michael McClure erinnerte sich später gern noch an ein anderes: »Prudence is a rich, ugly, old maid courted by incapacity.« (»Umsicht ist eine reiche, hässliche alte Jungfer, hofiert von Unfähigkeit.«) Und er ergänzte lachend: »Umsicht ging Jim komplett ab.«