Jüdisches Leben - Leopold von Sacher-Masoch - E-Book

Jüdisches Leben E-Book

Leopold von Sacher-Masoch

0,0
2,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Man hat viel über die Juden geschrieben, aber erst seit einem halben Jahrhundert hat man angefangen sie ohne Voreingenommenheit, ja mit Interesse zu betrachten. Bis dahin waren ihre grossartigen wechselvollen Schicksale im Alterthum und ihr langes Märtyrerthum nach und während ihrer Zerstreuung nur von Gelehrten und Geschichtsforschern in parteiischen, von Leidenschaft getränkten Werken gewürdigt worden, die der jüdischen Rasse oft mehr feindlich als sympathisch gesinnt waren.
Unter der Einwirkung der liberalen und humanitären Ideen, welche jetzt die Welt beherrschen, werden die barbarischen Vorurtheile, welche die Juden ausnahmslos als Parias betrachteten, bald gänzlich verschwunden sein. Ueberall weichen diese Vorurtheile von den Fortschritten der Freiheit und Zivilisation zurück; man findet sie nur noch und zwar sehr abgeschwächt, in einigen Provinzen des östlichen Europas. Sonst geniessen die Juden überall, wo Freiheit herrscht und besonders in den westlichen Staaten in Frieden alle Vorrechte des freien Mannes, gerade so wie sie dessen Rechte ausüben und dessen Pflichten erfüllen. Sie hängen aufrichtig an dem Lande, in dem sie geboren wurden, ohne jedoch im geringsten die Lebensfähigkeit ihrer Rasse einzubüssen, ohne ihre traditionellen Gefühle zu verleugnen, ohne die Gemeinschaft mit den über die ganze Erde zerstreuten Brüdern aufzuheben. Sie lieben ihr Vaterland und dienen ihm treu.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



UUID: 0f9ef866-179d-11e7-b6cb-0f7870795abd
Dieses eBook wurde mit StreetLib Write (http://write.streetlib.com) erstellt.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort.

ISRAEL.

Bessure towe.

Lewana.

Der Buchbinder von Hort.

Rabbi Abdon.

Das Mahl der Frommen.

David und Abigail.

Schimmel Knofeles.

Galeb Jekarim.

Wie Slobe ihre Schwester verheirathet.

Frau Leopard.

Der schöne Kaleb.

Gelobt sei Gott, der uns den Tod gegeben!

Schalem Alechem.

Machscheve.

Der Todesengel.

Haman und Esther.

Die Erlösung.

Das Trauerspiel im Rosengässchen.

Kätzchen Petersil.

Der falsche Thaler.

Zwei Aerzte.

Die Iliade von Pultoff.

Die Geschichte von der römischen Matrone.

Du sollst nicht tödten.

Bär und Wolf.

Zweierlei Adel.

Fußnoten:

Vorwort.

Man hat viel über die Juden geschrieben, aber erst seit einem halben Jahrhundert hat man angefangen sie ohne Voreingenommenheit, ja mit Interesse zu betrachten. Bis dahin waren ihre grossartigen wechselvollen Schicksale im Alterthum und ihr langes Märtyrerthum nach und während ihrer Zerstreuung nur von Gelehrten und Geschichtsforschern in parteiischen, von Leidenschaft getränkten Werken gewürdigt worden, die der jüdischen Rasse oft mehr feindlich als sympathisch gesinnt waren.Unter der Einwirkung der liberalen und humanitären Ideen, welche jetzt die Welt beherrschen, werden die barbarischen Vorurtheile, welche die Juden ausnahmslos als Parias betrachteten, bald gänzlich verschwunden sein. Ueberall weichen diese Vorurtheile von den Fortschritten der Freiheit und Zivilisation zurück; man findet sie nur noch und zwar sehr abgeschwächt, in einigen Provinzen des östlichen Europas. Sonst geniessen die Juden überall, wo Freiheit herrscht und besonders in den westlichen Staaten in Frieden alle Vorrechte des freien Mannes, gerade so wie sie dessen Rechte ausüben und dessen Pflichten erfüllen. Sie hängen aufrichtig an dem Lande, in dem sie geboren wurden, ohne jedoch im geringsten die Lebensfähigkeit ihrer Rasse einzubüssen, ohne ihre traditionellen Gefühle zu verleugnen, ohne die Gemeinschaft mit den über die ganze Erde zerstreuten Brüdern aufzuheben. Sie lieben ihr Vaterland und dienen ihm treu.Sobald es ihnen gestattet ist mit demselben Rechte wie ihre übrigen Mitbrüder nach allen Berufsstellen, Ehren und Auszeichnungen zu streben, wissen sie sich derselben auch würdig zu bezeigen und viele unter ihnen erreichen sogar die höchsten Stellen. Dadurch haben die Juden ihre Befähigung zur Litteratur, zu den Wissenschaften ebenso wie zu den Gewerben und zum Handel bewiesen.Seit aber Juden unter den gebildeten Nationen Bürger geworden sind wie alle anderen, müssen sie sich dem Einflusse des Kreises, in dem sie geboren wurden oder in dem sie leben, beugen. Allmählich und unmerklich nehmen sie die äusseren Gewohnheiten und Sitten desselben an; die intimen Gebräuche widerstehen länger, aber für viele unter ihnen ist das alte jüdische Leben heute nur noch eine poetische Erinnerung wie die an das Ghetto.Um die alten jüdischen Sitten mit ihrem biblischen Charakter, ihrem naiven Aberglauben, ihren poetischen Legenden und ihrem stark ausgeprägten Gefühl für das patriarchalische Leben wiederzufinden, muss man sie in den Dörfern und kleinen Städten des Ostens, im Elsass, im östlichen Deutschland, in Oesterreich, Polen und sogar in England und Spanien, das heisst so ziemlich überall mit Ausnahme der grossen Städte aufsuchen.In diesen verschiedenen Landschaften nun hat Sacher-Masoch, der wohl bekannte Autor des »Vermächtniss Kains« und zahlreicher ebenso origineller, entzückender Werke, Beobachtungen gesammelt, die er in dem »Jüdischen Leben«, das heute veröffentlicht wird, niedergelegt hat. Auf diese Weise hat er eine abwechslungsvolle Reihe kleiner Gedichte in Prosa geschaffen, von dichterischem Schwung und Kraft, voll schlagender Gegensätze, lebhafter bald scherzhafter, und komischer, bald ernster, düsterer aber immer wahrheitsgetreuer Gestalten und Szenen.Die Litteraturfreunde wissen in wie hohem Grade Sacher-Masoch es versteht, seinen Schöpfungen Bewegung und Farbe zu verleihen, wie man zuerst versucht ist zu glauben, dass alles auf einer Nadelspitze erbaut ist, und wie es sich dann plötzlich zu einer weiten Szene öffnet, in der sich Personen und Situationen in überraschender Weise vervielfältigen. Man kennt die glänzenden Eigenschaften des Autors, seinen humoristischen Geist, seine alles durchdringende Poesie, seine heit're milde grossmüthige, wenn auch mit einem leichten Anflug von Pessimismus gefärbte Philosophie, seinen kräftigen, massvollen Stil voll Leben, Kraft, diesen so originellen, so ganz persönlichen Stil, der im Geiste des Lesers zahllose Gedanken und Bilder wach ruft.Der litterarische und moralische Werth dieser reizenden Sittenschilderungen haben uns veranlasst eine reich illustrirte Ausgabe zu veranstalten. Wir haben infolge dessen die berufensten Künstler, die das jüdische Leben aus dem Grunde kennen, zur Mitarbeiterschaft herangezogen. Nach unserer Meinung hätte der Text nicht geistvoller, wahrheitsgetreuer, schöner interpretirt werden können, als es Gérardin, Alphons Lévy, Emil Lévy, Henri Lévy, Eduard Loevy, Schlesinger, Wolf und Worms gethan haben. Die zahlreichen im Text verstreuten Zeichnungen tragen einen lebenswarmen Ausdruck.Wir wagen desshalb zu hoffen, dass alle Leute von Urtheil und gutem Geschmack uns das Zeugniss geben werden, dass das »Jüdische Leben« zu den originellsten litterarischen und künstlerischen Erscheinungen unserer Zeit gehört.

ISRAEL.

Goethe sagt: Das auserwählte unter den Völkern ist nicht das beste, sondern das andauerndste.In diesem wunderbaren Ausspruch ist die ganze Geschichte des israelitischen Volkes enthalten, alle seine Schicksale, gute und böse, spiegeln sich in demselben. Ja, es war unter allen Völkern, die den Erdball bewohnen, das ausdauerndste und deshalb hat es viel grössere und wichtigere, als es selbst war, überlebt und sah den Ruhm, die lärmenden Thaten, den Glanz der Jahrhunderte vorüberziehen, gleich Schemen. Es hat das üppige Babylon in den Staub sinken sehen und das Reich der Pharaonen und Rom, der Sturm der Völker brauste an ihm vorüber, Gothen, Vandalen und Hunnen, das römische Kaiserreich Karl's des Grossen fiel in Trümmer, das geistliche Weltreich der Päpste, die Monarchie Karl's V., in der die Sonne nicht unterging, Holland, Schweden, Polen, traten vom Schauplatz ab, Spanien erntete die traurigen Folgen seiner Verfolgungswuth, der Thron der Bourbonen wurde umgestürzt, und der neue Cäsar fand in den Eiswüsten Russlands sein Ende, doch Israel bestand noch immer. Es trotzte dem Mord, der Pest, dem Scheiterhaufen und ging durch den Wechsel der Zeiten, ergeben und geduldig, die heiligen Gesetzrollen im Arm.Kein Volk ist so oft von Eroberern unterjocht, in die Sklaverei geschleppt, getheilt und zerstreut, keines so mit Feuer und Schwert verfolgt, unterdrückt, beraubt, geschmäht und gequält worden und es lebte immer und lebt noch heute, frisch und kräftig, wie einst in den gesegneten Thälern Kanaans.Und doch ist heute wieder eine grosse Verfolgung gegen dasselbe im Zuge, ein Kampf, der durch alle Länder Europas geht, bedroht die schwer errungenen Rechte, die Bildung, das Eigenthum der Israeliten, ja ihre Existenz.Woher in unserer Zeit, genau ein Jahrhundert nach der grossen Revolution, nach der Proklamation der Menschenrechte, dieser Hass, dieser Rassenkrieg, dieser religiöse Verfolgungswahn?Mögen sich auch starke, egoistische, zumeist ökonomische Interessen unter der religiösen und nationalen Maske verbergen, es zeigt sich trotzdem in dieser ganzen Bewegung unleugbar eine Leidenschaft, welche nicht durch nüchterne Motive dieser Art erklärt werden kann.Das jüdische Volk ist das älteste Kulturvolk Europa's. Das ist der Grund. Andere Völker, welche eine gleich alte Kultur besitzen, sind ohne Einfluss auf uns geblieben, wie die Chinesen und Inder, oder vom Schauplatz verschwunden, wie die Egypter, Griechen, Römer. Hier ist aber ein Volk, mitten unter uns, das eine geordnete, musterhafte Staatsverfassung, das gute, vernünftige, humane Gesetze, eine reine Religion, einen erhabenen Kultus, edle Sitten, die einzig richtige Moral und eine grosse, herrliche Litteratur besass, zu einer Zeit, wo unsere Voreltern noch in Höhlen oder Pfahlbauten wohnten, und im Kampfe mit wilden Thieren selbst ein halbthierisches Dasein führten. Und diese alte Kultur, dieser reine Glaube, diese herrliche Moral sind diesem Volke nicht zu einer Vergangenheit geworden, mit der spätere Schicksale und eine neue Civilisation jeden Zusammenhang zerrissen haben, sie sind keine interessanten Antiquitäten geworden, oft nur mit dem Reiz der Rarität, wie die Religion des Inkas, wie die altgermanische Götterwelt der Edda oder der Perun und die Lada der alten Slaven, nein, der Strom ihrer Bildung geht ununterbrochen, nur immer breiter und mächtiger durch die Jahrhunderte von Palästina an, durch die Blüthezeit griechischer Kunst und römischen Staatswesens, durch das finstere Mittelalter mit seinem grossen Kampfe der Kaiser gegen die Päpste, durch die kirchliche Revolution Luther's und die Umwälzung von 1789 hindurch bis in unsere Tage.Das Volk Israel ist aber nicht nur das älteste Kulturvolk, sondern auch heute in Europa mitten unter gebildeten Völkern, die eine hohe Stufe der Gesittung erreicht haben, das gebildetste, jenes, das den reinsten Gottesglauben, die beste Moral, die mildesten Sitten besitzt und auf allen Gebieten menschlichen Wissens die regste Thätigkeit entwickelt.Die alte Kultur ist nicht ohne Einfluss auf seine physische Natur geblieben. Durch Jahrtausende mit grossen Ideen, erhabenen Empfindungen, edlen Gesinnungen und guten, menschlichen Sitten vertraut, hat es die thierischen Instinkte, die barbarischen Atavismen, weit mehr überwunden, als jedes andere und übertrifft alle an Humanität, das ist an Friedensliebe, Abscheu vor Gewaltthat und Blutvergiessen, Sittlichkeit und Nächstenliebe.Dies beweist die europäische Statistik und gegen die Sprache der Zahlen gibt es keine Einwendung. Der Hass anderer Völker gegen das Volk Israel's ist also nichts anderes, als der Hass des Indianers gegen den Trapper, der Hass des Wilden gegen civilisirte Menschen.Nie hat ein wahrhaft gebildeter Geist, ein wahrhaft edles Herz, ein wahrhaft reiner Charakter die Juden gehasst oder verfolgt, im Gegentheil, die erleuchteten Männer aller Zeiten, aller Nationen haben sie vertheidigt und beschützt.Diese Auserwählten liebten und lieben die Juden aus verschiedenen Gründen.Zuerst, weil in dem jüdischen Volke, wie in keinem anderen, der Familiensinn lebendig ist, welcher die wichtigste Grundlage einer gesunden, sittlichen, politischen und sozialen Entwickelung ist.In unseren Tagen wird viel und von verschiedenen Seiten gegen die Familie agitirt; in Deutschland sind es die Sozialisten und die Poeten der freien Bühne, in Frankreich die Kommunisten und die naturalistische Schule, im Osten die Nihilisten, welche ihr den Untergang geschworen haben.Alle diese Feinde der Familie sind in dem merkwürdigen Irrthum befangen, dass die Ehe, die Familie, eine rein jüdisch-christliche Einrichtung ist und gegen die Gesetze der Natur verstösst.Die Natur kennt allerdings in Bezug auf das Verhältniss von Mann und Weib nur ein Ziel: Die Erhaltung der Gattung.Es sieht so aus, als ob ihr die Eltern gleichgiltig, die Kinder alles wären. Um die Gattung zu erhalten, hat sie den Eltern den Trieb gegeben die Kinder gross zu ziehen, bis sie sich selbst erhalten können.Wir sehen in Folge dessen bei den Thieren, dass die Gatten mit wenigen Ausnahmen so lange beisammen bleiben, bis die Jungen gross gezogen sind.Für die Menschen galt wohl im Urzustand ausschliesslich dasselbe Naturgesetz.Da aber kein Thier so viel Zeit zu seiner Entwickelung braucht wie der Mensch, welcher – sogar im Naturzustand – nicht vor dem zehnten Jahre im Stande ist, selbst seine Nahrung zu suchen, so musste es geschehen, dass, während das erste Kind langsam heranwuchs, ein zweites, drittes und viertes folgte, und so der Trieb, die Pflicht ihre Kinder aufzuziehen, die Eltern gebieterisch zwang bis in ihr Alter zusammen zu bleiben.Auf diese Weise entstand die Ehe, die Familie, nicht durch religiöse Satzungen oder politische Gesetze, sondern ausschliesslich infolge eines Naturtriebes und vollständig den allgemeinen Naturgesetzen entsprechend.Wer gegen die Familie ist, ist also nicht allein gegen die Religion und die Moral, sondern vor allem gegen die Natur, und jenes Volk, wo Mann und Weib die Ehe scheuen und der Pflicht, Kinder zu erziehen aus dem Wege gehen, sündigt gegen die Natur und befindet sich in der Phase des Verfalls und der Auflösung.Dass das israelitische Volk, als das älteste Kulturvolk den Sinn für Ehe und Familie am kräftigsten bewahrt hat, dass Ehelose in demselben eine seltene Ausnahme bilden, dass es mit Kindern reicher gesegnet ist, als jedes andre, dass in ihm die Liebe zwischen den Gatten, die Liebe der Eltern zu ihren Kindern und der Kinder zu ihren Eltern so lebendig ist, beweist, dass die Kultur, welche es besitzt, die geistigen Vorzüge nicht auf Kosten der physischen entwickelt hat, dass sie, statt den Verfall der jüdischen Rasse herbeizuführen, dieselbe in einem blühenden Zustand erhalten hat, somit, dass diese Kultur eine gesunde und naturgemässe ist.Ein zweites Moment des jüdischen Wesens, das ihm die Herzen gewinnt, ist das Mitleid.Schopenhauer, der Philosoph des Pessimismus, sieht im Mitleid die edelste, schönste Blüthe des Menschenthums, die Ueberwindung des Willens, der Selbstsucht.Diese schönste Blüthe der Menschennatur, sie treibt nirgends so reich wie an dem jüdischen Stamm, in keinem Volke ist das höchste Moralgesetz, das Gesetz der Nächstenliebe so lebendig wie in dem israelitischen.Als die Judenbill im englischen Oberhause diskutirt wurde, fragte ein Mitglied des Hauses den Erzbischof von Canterbury, den Primas der englischen Hofkirche: Ist es wahr, dass die Juden eine andere Moral haben als die Christen?Da erwiderte der erleuchtete Oberhirt: Die Juden haben dieselbe Moral wie wir, der Unterschied besteht nur darin, dass sie dieselbe befolgen und wir nicht.Kein Volk ist so mitleidig, so wohlthätig wie das jüdische, und es fragt nicht erst lange, ob der Unglückliche die Hülfe auch verdient, es fragt auch nicht, welchem Volke oder Glauben er angehört. Der Jude sieht in dem Hilfsbedürftigen einen Menschen, einen Bruder und hilft ihm, er kleidet den Blossen, speist den Hungrigen und pflegt den Kranken.Der Jude ist so glücklich, wenn er helfen kann, dass der jüdische Bettler gar nicht gewohnt ist zu bitten, er verlangt und ist stolz auf seine Armuth, denn indem er dem Wohlhabenden Gelegenheit gibt ein gutes Werk zu verrichten, baut er ihm eine Stufe in das Himmelreich, welche die Frommen sicherer dahin führt als Gebet und strenge Befolgung der rituellen Vorschriften.Eine weitere Tugend des jüdischen Stammes, welche derselbe aus seinen ältesten Wohnsitzen mitgebracht und unter allen Verhältnissen bewahrt hat, ist die Achtung vor dem Geiste und dem Wissen.Der Jude als wahrhaft gebildeter Mensch, den die Bildung von allem Erbtheil einer finsteren Zeit freimacht und bei dem sie die ganze physische Konstitution verändert und verfeinert hat, verabscheut den Krieg und alles was damit zusammenhängt. Der Kampf mit geistigen Waffen sagt ihm besser zu und mit Recht, denn hier muss, welcher Theil auch Sieger bleibt, das Ganze, die Menschheit, immer gewinnen, während dort die Menschheit sich geschädigt, gestört in ihren friedlichen Fortschritten unterbrochen sieht, gleichgiltig wer die blutigen Lorbeeren davon trägt.Mit dieser Achtung vor dem Geiste, vor dem Wissen geht Hand in Hand die Liebe zur Freiheit und zum Fortschritt. Diese grosse, jüdische Eigenschaft hat das Volk Israel zu einer ganz besonderen für die ganze Menschheit segensreichen Rolle berufen. Zerstreut über den ganzen Erdboden sind die Juden doch ein Volk, eine grosse Gemeinde geblieben, und so wurden sie gleichsam die elektrischen Drähte, auf denen die neuen Ideen und Tendenzen durch die Welt liefen, zugleich aber, gewohnt in den Juden eines fernen Landes ebenso gut einen Bruder zu sehen wie in jenem, der Thüre an Thüre mit ihnen wohnte, wurden sie erst unbewusst, dann mehr und mehr mit der edelsten Absicht die Träger des Kosmopolitismus.Wenn die andren Völker von ihren nationalen Interessen beherrscht und eingeengt wurden, blickte der Jude frei über die Grenzpfähle hinweg und fühlte sich vor allem als Mensch. Sein Gesichtskreis war jederzeit ein weiter, er umfasste die ganze gebildete Welt, ja, darüber hinaus die Menschheit, und wenn die Andren sich befehdeten, beraubten, mit Feuer und Schwert verfolgten, so erinnerte sie der Jude an jene höheren, grösseren Ziele und Interessen, welche Allen gemeinsam sind und Allen Segen bringen, während das Schwert dem Sieger ebenso gut Wunden schlägt wie dem Besiegten.Eine wahrhafte Geschichte der europäischen Zivilisation, nach den einzig richtigen naturwissenschaftlichen Prinzipien eines Thomas Buckle ist noch nicht geschrieben; wenn wir sie eines Tages haben werden, wird sie zugleich eine ruhmreiche Geschichte des jüdischen Namens sein.Indem ich es unternommen habe, die Juden in den verschiedenen europäischen Ländern in einer Reihe kleiner Erzählungen vorzuführen, hat sich von selbst eine Geschichte des jüdischen Volkes daraus ergeben.Wir sehen in den östlichen Ländern die Juden vielfach auf einer Stufe, die nicht weit von jener entfernt ist, die sie im Mittelalter einnahmen, ja manchmal sogar an biblische Verhältnisse erinnert, man sieht noch die Herrschaft des Aberglaubens, den Kampf, den erleuchtete Geister gegen denselben führen, und langsam gegen Westen ziehend, verfolgen wir die Fortschritte des Judenthums im Laufe der Jahrhunderte, bis wir dasselbe in den westlichen Landen auf dem Höhepunkt der Freiheit und der Gesittung finden, gleichberechtigt im Staate wie in der Gesellschaft, und infolge der errungenen Rechte doppelt eifrig in der Erfüllung aller nationalen und patriotischen Pflichten.Zugleich mit dieser Kulturgeschichte des jüdischen Volkes ziehen die Sitten, die religiösen Lehren und Meinungen, die mit dem Glauben und den Schicksalen Israels eng verbundenen, jährlich wiederkehrenden Feste vorüber, und so fügt sich Bild zum Bilde und hilft das grosse Gemälde vollenden, das ein Denkmal sein soll für Israel, seine Kämpfe und Leiden, seine Befreiung und Erhebung.Leopold von Sacher-Masoch.

Bessure towe.

– GALIZIEN. –Der Prosteck. – Cheder. – Chassidim. – Masser.Herz Maisel galt bei den Chassidim, den Zeloten, die in Sadagora herrschten, als Prosteck. Es ist dies nicht etwa ein Mensch, der die Gesetze verletzt, aber ein Simpel, der die Welt nicht versteht und deshalb stets an der Schattenseite stehen bleibt. Und doch hatten ihn die Chassidim sorgsam beschützt, als er zur Welt kam und während er sich die Kinderschuhe ablief, sie hatten Alles gethan, um sein Glück auf Erden und im Himmel zu sichern.Kaum war Herz geboren, gab der Zadik, der weise wunderthätige Rabbi der Chassidim, dem Himmel und Hölle gehorchten, seinem Vater einen Zettel. Sein Vater hatte einen besonderen Eifer entwickelt, dem Zadik die Lulka (Pfeife) zu stopfen, er hatte also ein Anrecht auf diesen Zettel, welcher den Neugeborenen während der ersten acht Tage beschützen sollte.In dieser Zeit umschwärmt nämlich Lillith, die schöne Teufelin, das Haus im Bunde mit ihrem Gefolge von vierhundert und achtzig unreinen Geistern. Der Pergamentstreifen mit den Namen der drei Engel Senoï, Sansenoi und Sammangelef an den Thürpfosten genagelt, beschirmte den kleinen Herz vor dieser Vorhut des höllischen Heeres.Nun rückten aber andere Dämonen an, zu Tausenden, zu Millionen. Wieder ging der Vater zum Zadik, und diesmal brachte er einen ganzen Stoss kleiner Zettel mit, sorgsam in sein rothes Schnupftuch gewickelt. Auf diesen Zettelchen standen die Namen der Erzväter und Erzmütter, der Propheten und der grossen Talmudisten und Zadikim und noch verschiedene kräftige Stellen aus der heiligen Schrift und dem Talmud.Es galt nun dieselben richtig zu vertheilen. Abraham, Isaak und Jakob wurden rechts vom Kinde postiert, Sarah, Rebekka, Lea und Rachel links, Moses und der grosse Bescht, der Begründer des Chassidismus, kamen unter den Kopfpolster. Mit den übrigen Zettelchen wurden die Fenster, die Schlüssellöcher, der Rauchfang und die Ritzen in der Mauer besetzt.An die Thüre kamen die Namen der Engel Jehoel, Michael und Sangsagael, welcher der Lehrer des Moses war und die Stelle aus dem Psalm 55: »Er erlöst mein Leben, dass sie sich mir nicht nahen können.«Trotzdem wollte der kleine Herz kein kaballistisches Genie werden, ja er lernte in der Cheder nur mit Mühe hebräisch lesen. Aleph und Beth waren für ihn zwei Dämonen, die ihn quälten, er verwechselte sie unausgesetzt, und der Melamed (Lehrer) verschwendete vergeblich alle seine Geduld an ihn, wenn der Unglückliche vor dem Sidur (Gebetbuch) sass. Vergeblich zeigte er ihm immer wieder die Buchstaben mit dem Deutel (Stäbchen), vergeblich versprach die hübsche, dunkeläugige Rebezin (Frau des Lehrers) dem Chederjüngel Kuchen und Obst. Die Hühner, welche in dem Schulzimmer umherliefen und gackerten, beschäftigten ihn mehr als die Hieroglyphen, welche er entziffern sollte. Da sagte der Melamed: »Höre, Herz, sobald Du Aleph und Beth kannst, wird Dir ein Engel von der Decke einen Groschen herabwerfen.«Das verstand der Bocher (Junge) und blickte nun mit Eifer statt nach dem Buche, nach der Decke der Stube und erwartete den Groschen mit offenem Munde. Der Melamed griff nun zu einem drastischeren Mittel, er griff in die grosse Dose, die auf dem Tisch stand, schob dem kleinen Herz eine Prise Schnupftabak in die Nase und jagte ihn unter den Tisch, wo schon zwei andere Jüngel dieselbe Strafe erduldeten. Jedesmal, wenn unten ein verzweifeltes Niesen ertönte, rief der Melamed: Zur Gesundheit! und die ganze Cheder rief mit ihm: zur Gesundheit!Doch Herz begriff noch immer nichts. Es währte lange Zeit, ehe er das Alphabet erlernt hatte und der Melamed erklärte eines Tages, dass er keinen Kopf zum Lernen habe und schickte ihn aus der Schule fort.So kam es, dass Herz im Geschäft seines Vaters mitzuhelfen begann, dass der Zadik seine mächtige Hand von ihm zurückzog und dass er ein Prosteck wurde.Als echter Prosteck nahm er ein Weib ohne Mitgift, setzte ein Dutzend Kinder in die Welt und kämpfte bei allem Fleiss, allem Geschäftsgeist, den er besass, sein Leben lang mit Noth und Elend.Es kümmerte ihn wenig, dass die Chassidim ihn einen Chamer (Esel) und einen Schlemil (ungeschickten, unglücklichen Menschen) nannten, wusste er sich doch keines Chilul hasthem (Vergehen gegen Gott oder das Gesetz) schuldig, konnte er denn dafür, dass sich Riceh (Teufel) und Dalles (Elend) bei ihm ein Stelldichein gegeben hatten?Er wohnte mit seiner Familie in einem kleinen Hause, dessen Mauern von aussen mit Balken gestützt waren. Eine grosse Stube war durch einen Kreidestrich abgetheilt, wie die Staaten auf der Karte durch farbige Grenzen von einander geschieden sind. Auf einer Seite wohnte Herz mit seiner Frau Jüdke, seiner erwachsenen Tochter Riffke und seinen anderen Kindern, jenseits des Striches hauste der Schneider Saduel Pjetruschka mit seiner alten Mutter, seinem Sohne Gideon und seinem Schwager, dem Talmudisten Reb Isaschar.Herz ertrug alles geduldig, die Grenzstreitigkeiten mit Saduel, den Rauch, mit dem der Ofen die Stube füllte, den Regen, der zu Zeiten durch die Decke herabtropfte, die kärgliche Nahrung, den Mangel an Kleidern, alles, nur eines schmerzte ihn, dass er für seine Riffke, die so hübsch und klug war, keinen Mann fand und dass sie immer so »verschmuddelt« (vernachlässigt) herumging.Er hätte sie so gern wie eine Prinzessin oder doch mindestens wie eine Schlachtzizenfrau angezogen.Doch Riffke verlor deshalb ihre gute Laune nicht. Sie sang den ganzen Tag, denn sie konnte nicht arbeiten ohne zu singen und sie arbeitete den ganzen Tag. Während sie ihre grobe Wäsche nähte, sass jenseits der Grenze Gideon auf seinem Tisch da wie ein Pascha mit gekreuzten Beinen und liess gleichfalls die Nadel fliegen, nur dass es prächtige Stoffe waren, Seide, Sammt, türkische Gewebe, die er zu Kunstwerken der Toilette vereinte.Allmählig begannen die jungen Leute ein Wort, eine Phrase zu wechseln, und endlich fing Gideon an mit Riffke zu wetteifern. Sobald sie ihren Gesang unterbrach, begann er zu erzählen und gab als wahre Geschichten zum Besten, was er in den abgegriffenen Bänden der Leihbibliothek zusammengelesen hatte, heute den Grafen von Monte-Christo, morgen die Kapitänstochter, übermorgen die Geisterseher.Und jedesmal, wenn irgend eine reiche Robe, eine prächtige Kazabaika, ein königlicher Mantel fertig war, lud er Riffke ein, das Kunstwerk zu probiren, und dann hoben alle die Köpfe um sie zu bewundern, und sogar Reb Isaschar vergass für einen Augenblick seinen Talmud.»Wissen Sie etwas, Herz?« sagte dieser einmal plötzlich in der Nacht, als Alle bereits zu Bette waren.»Was? Ich weiss nichts.«»Sie müssen versuchen Ihr Glück, um zu bekommen eine Mitgift für Ihre Riffke.«»Kann ich dafür,« rief Herz, »dass ich habe Unglück in Allem? Wenn Jemand etwas Dummes thut in Sadagora, muss ich es gewesen sein, und thut Jemand etwas Schlechtes, ist es wieder Herz Maisel, der Bösewicht, gewesen. Soll ich denn das Kaporehändl sein für alle?«»Sie haben recht, Herz,« gab der Alte zur Antwort, »und so will ich Ihnen geben einen guten Rath. Heute ist die Hoschana-Raba-Nacht, wo ein Jeder kann sein Schicksal befragen. Stehen Sie auf, wir wollen suchen drei Nummern im Talmud. Geben Sie mir das Buch.«Herz brachte das Buch, und Reb Isaschar, ohne sein elendes Lager zu verlassen, die Augen geschlossen, schlug es auf.»Sehen Sie die Seite nach.«»Es ist einunddreissig.«»Schreiben Sie einunddreissig.« Wieder schlug der Alte den Talmud auf.»Und jetzt?«»Sieben.«»Schreiben Sie sieben, und jetzt?«»Fünfundachtzig.«»Schreiben Sie fünfundachtzig! Jetzt haben Sie drei Nummern 31, 7, 85. Diese Nummern setzen Sie morgen in die Lotterie, secco terno und setzen zehn Gulden darauf.«»Wo hab' ich zehn Gulden?«»Sie müssen leihen zehn Gulden, Herz, es muss geliehenes Geld sein, das bringt Glück.«Herz Maisel ging am Morgen über Land, brachte der Edelfrau Bistonizka verschiedene Gegenstände, die sie bestellt hatte und bat sie ihm zehn Gulden zu leihen. Mit diesen zehn Gulden ging er in die Lotteriekollektion und setzte die drei Nummern, die ihm der Talmud gegeben. Dann ging er auf den Friedhof auf das Grab seines Vaters, um zu beten.Am nächsten Sonntag, als beide Familien gerade den Mittagstisch deckten, kam Reb Isaschar feierlich herein, die Zobelmütze kühn wie ein Kosak auf dem Kopfe. Sein gutes Gesicht strahlte wie eine Sonne aus Lebkuchen. »Bessure towe« (Gute Nachricht!) rief er, »Bessure towe!«»Was ist geschehen?« fragten alle zugleich.»Welch' ein Massel! (Glück!) Soll noch einer sagen, dass der Herz ist ein Schlemil.«»Reden Sie doch, Reb Isaschar.«»Ich rede ja immerfort. Also – aber setzen Sie sich Herz, sonst fallen Sie um.«Herz setzte sich.»Hören Sie, Herz. Bessure towe! Sie haben gewonnen, Herz! Das grosse Terno haben Sie gemacht, Herz, 48,000 Gulden haben Sie gewonnen, Herz!«Herz blieb wie versteinert auf seinem Stuhle sitzen.»Hören Sie, Herz, 48,000 Gulden!«Das erste Wort, welches Herz aussprach, war »Riffke!«, dann fügte er nach einiger Zeit hinzu: »Jetzt sollst Du haben einen Mann, mein Kind, jeden, den Du willst.«Dann stand er auf, ging langsam bis zu der Wand und, das Gesicht gegen diese gekehrt, begann er laut zu beten und zu schluchzen.Als man sich etwas von dem Schrecken erholt hatte, denn eine grosse Freude zermalmt uns ebenso wie ein grosses Unglück, sagte Herz: »Nun, vor allem will ich geben Masser und dann erst soll Riffke einen Mann haben.«»Wenn Sie wollen geben Masser«, sagte Reb Isaschar, »das macht 4800 Gulden nach dem Gesetz.«»So will ich geben die 4800 Gulden dem Saduel Pjetruschka«, sagte Herz, »es ist besser zu helfen einem braven Menschen, als vielen geben eine Kleinigkeit, das kann keinem dienen.«Saduel sah Herz erstaunt an, dann nahm er ihn um den Hals und küsste ihn.»Danken Sie mir nicht«, sagte Herz, »es geschieht um meinetwillen. Und Riffke? Hast Du etwa schon einen Bocher gefunden, der Dir gefällt? Sprich, mein Kind, Du sollst ihn haben.«»So will ich Gideon«, sagte sie rasch, »wenn er mich nämlich will.«Gideon lächelte verlegen und reichte ihr die Hand. »Sagen Sie mir, Riffke«, flüsterte er, »ist das alles ein Traum oder ist es wahr?«

Lewana.

– TÜRKEI. –

Das Mondheiligen. – Befreiung aus der Sklaverei.

In einer jener engen dunklen Strassen des alten Belgrad, die zugleich ein Bazar, ein Paradies Muhameds und ein Schlupfwinkel des Verbrechens sind, befand sich ein kleines Kaffeehaus, das von einer Italienerin, Frau Peregrino, gehalten wurde. Hier sass eines Abends ein junger Mann in ein Wiener Journal vertieft, während ringsum Geschäfte aller Art verhandelt wurden und im Hinterzimmer Zigeuner ihre wilden Weisen spielten, gluthäugige Zigeunerinnen die Tambourine schwangen und tanzten.

Plötzlich legte ihm die Wirthin die Hand auf die Schulter und flüsterte: »Sie sind immer so traurig, Herr Bukarest, was haben Sie denn eigentlich?«

»Ich möchte fort«, gab er zur Antwort.

»Weil Sie das Mädchen, das Sie lieben, nicht bekommen können.«

Nahum Bukarest zuckte die Achseln. »Mein Oheim ist Kaufmann in Konstantinopel«, sagte er, »ich will zu ihm reisen. Können Sie mir sagen, wie ich am billigsten hinkomme.«

»Oh! das trifft sich sehr gut«, erwiderte die Wirthin, »hier ist eine Dame, die Sie schon mehrmals gesehen hat und Gefallen an Ihnen findet. Ihr Vater ist Kapitän, er wird Sie auf sein Schiff nehmen. Kommen Sie.«

Frau Peregrino führte den jungen, hübschen Israeliten in ein kleines Kabinet, in dem nur ein türkischer Divan stand. Auf diesem sass ein schönes Weib in halborientalischer Tracht und begrüsste Nahum mit einem koketten Lächeln. Die Wirthin sprach von seinen Plänen und liess ihn dann mit der schlanken Schönen allein. Diese zog ihn zu sich auf die schwellenden Kissen, und während sie heiter plauderte, fühlte Nahum mehr und mehr die Macht ihrer fremdartigen Reize und befand sich endlich in einer Art von Opiumrausch, von anmuthig phantastischen Bildern umgaukelt.

Es wurde abgemacht, dass er mit Varsava, so hiess die Fremde, und ihrem Vater, dem griechischen Kapitän Trifoniades, nach dem goldenen Horn segeln sollte, und als die Schöne das Kaffeehaus verliess und Nahum sie begleitete, schlang sie plötzlich auf der dunklen Strasse die Arme um seinen Hals und küsste ihn.

Am folgenden Abend erschien der Kapitän in demselben Kaffeehaus und vereinbarte mit Nahum das Reisegeld. Es war in der That sehr wenig, was er verlangte, so dass Nahum von der Summe, die er zur Verfügung hatte, noch einen beträchtlichen Theil in seiner Tasche behalten konnte.

Er fand diesmal Varsava in dem kleinen Kabinet in Gesellschaft von drei jungen bildhübschen Mädchen, von denen zwei Ungarinnen waren, während die Dritte aus Serbien stammte. Varsava hatte ihnen gute Stellen in Konstantinopel zugesichert. Die eine sollte in einem Konfektionsgeschäft, die zweite als Kassiererin in einem Kaffee, die dritte als Kammerjungfer bei einer österreichischen Gräfin eintreten.

»Sehen Sie, mein Freund,« rief Varsava, »was Sie für eine reizende Reisegesellschaft haben werden. Ich fürchte, dass Sie mir untreu werden.«

Nahum erröthete und Varsava gab ihm einen leichten Schlag mit der Hand, der beiläufig sagen wollte: Oh! ich bin Deiner vollkommen sicher.

Zwei Tage später bestiegen alle zusammen das Schiff des Kapitän Trifoniades und fuhren die Donau hinab. Varsava beschäftigte sich viel mit Nahum. Sie wechselte Blicke mit ihm, welche ihm die kühnsten Hoffnungen erweckten und erlaubte sich eine Reihe kleiner Vertraulichkeiten, welche den jungen, unerfahrenen Mann mit unsichtbaren magischen Schlingen umgaben.

Es wurde Abend, als sie die Donaumündung verliessen. Mitten in der Nacht, im offenen Meer, steuerte ein anderes Schiff auf sie zu. Die beiden Kapitäne wechselten Zeichen, dann legten sich ihre Fahrzeuge gegen einander, und der Grieche hiess Nahum und die drei Mädchen auf das fremde Schiff übersteigen.

»Weshalb?« fragte Nahum erstaunt, »Was soll denn dies bedeuten?«

»Fragen Sie nicht erst lange,« rief Varsava, »kommen Sie.«

Sie ging voran über die Brücke, die man von Bord zu Bord gelegt hatte und die Anderen folgten.

Während der Grieche weitersegelte, gab die seltsame Schöne Nahum einen Wink ihr zu folgen und führte ihn in eine geräumige Kajüte, die einem kleinen Harem glich, mit ihren türkischen Divans, ihren persischen Teppichen und ihren weichen Pantherfellen. Varsava streckte sich auf den goldgestickten Kissen aus, betrachtete den immer mehr verwunderten Nahum mit einem spöttischen Lächeln und sprach: »Jetzt bist Du mein.«

Zugleich rauschte der Teppich, welcher den Eingang schloss, und ein kräftiger hübscher Mann, in armenischer Tracht trat ein. Er stemmte die Arme in die Seiten und lachte, dann stiess er einen leisen Pfiff aus, und sofort drangen zwei Neger in die Kajüte, ergriffen Nahum, warfen ihn zu Boden und fesselten ihn.

»Du hast einen guten Fang gemacht«, sagte der Armenier, »die Mädchen sind jung und schön, sie werden jedem Harem zur Zierde gereichen, was willst Du aber mit diesem hier beginnen?« Er deutete auf Nahum.

»Wir werden ihn in Kleinasien verkaufen«, erwiderte Varsava, »weisse Sklaven sind heute eine Seltenheit, es findet sich leicht ein Liebhaber für solche Waare.«

Die Neger hoben jetzt den armen Nahum wie einen Sack auf, trugen ihn hinaus und warfen ihn in einen dunklen Winkel, in dem Taue und Tonnen lagen.

»Sagt mir doch, wo bin ich«, bat Nahum die Matrosen, »wer ist der Mann, dem das Schiff gehört?«

»Der Herr heisst Sahag und ist ein armenischer Sklavenhändler.«

»Und Varsava?«

»Das ist seine Frau. Sie ist schlau wie eine Schlange und geschickt im Vogelfang wie keine zweite. Du bist nicht der erste, den sie liefert. Sie versteht sich auf Menschenwaare und auf den Sklavenhandel.«

Nahum fragte nicht weiter. Er sank zurück auf die Schiffstaue und presste seine heisse Stirn gegen die feuchte Holzwand.

Sahag landete in einem kleinen Hafen an der Küste von Kleinasien. Die vier Opfer wurden jetzt geknebelt, in Säcke gesteckt und mit anderen Waaren auf einen Wagen geladen. In dem von hohen Mauern umgebenen kleinen Hofe des Hauses, das dem Armenier gehörte, befreite man sie von ihren Fesseln.

»Meine Lieben«, sprach Varsava zu den Mädchen, die furchtsam vor ihr standen, »Euch steht ein grosses Glück bevor, bald wird Euch Glück und Reichthum umgeben, aber vorher müsst Ihr erst eine Schule bei mir durchmachen, ich werde Euch die Kunst lehren Eurem künftigen Herrn stets zu gefallen und ihn zu fesseln. Und Du«, – wendete sie sich an Nahum – »Du musst erst Gehorsam und Demuth lernen. Ich gebe Dir deshalb einen guten Rath. Ergieb Dich ruhig in Dein Schicksal. Du wirst an Sahag einen trefflichen Lehrmeister haben, wenn Du Dich aber wiederspenstig zeigen solltest …«

»Dann gibt es Mittel«, sagte der Armenier ruhig, »die noch jeden zahm gemacht haben.« Er nahm die grosse Sklavenpeitsche vom Nagel und liess sie knallen, während die schöne Verrätherin in ein lautes brutales Gelächter ausbrach.

Nahum senkte stumm das Haupt und ergab sich. Sahag liess ihn verschiedene Arbeiten im Hause und Garten verrichten. Er zeigte sich willig und gelehrig, so dass der Armenier mit ihm ausnehmend zufrieden war und keinen Anstand nahm, ihn schon einen Monat später einer reichen Wittwe vorzuführen, welche zu ihm kam, um einen Sklaven zu kaufen.

Nahum blickte scheu von der Seite auf die mittelgrosse schlanke Gestalt, die in einem blauen, goldgestickten Burnus vor ihm stand und deren schwarze Augen ihn aus dem dichten Schleier hervor neugierig musterten.

»Das ist ein Prachtstück«, sprach Sahag, indem er Nahum auf die Schulter klopfte, »jung, kräftig, aus gutem Hause, unterrichtet und gelehrig. Sie werden einen vorzüglichen Diener an ihm haben, Zamira Ben Oporte, und solch' ein Gesicht zu sehen, ist auch angenehmer als das eines Negers.«

Zamira erwiderte nichts, sondern begnügte sich die angebotene Waare zu prüfen. Sie untersuchte den Arm, sie besah, wie bei einem Pferde, die Zähne und klopfte auf Nahum's Brust. Endlich nickte sie und verlangte den Preis zu wissen. Nach langem Handeln wurden sie einig. Die Wittwe bezahlte, und eine Stunde später wurde der neue Sklave in ihrem Hause abgeliefert.

Zamira war die Wittwe eines reichen Kaufherrn. Sie handelte mit orientalischen Stoffen, Pantoffeln, Schmuckgegenständen, Pfeifen und Waffen, und besass drei Schiffe, die abwechselnd auf dem schwarzen Meer, dem Mittelmeer und nach Indien segelten.

Es machte sie von Anfang ungeduldig, dass Nahum nur wenig arabisch verstand, sie wollte ihn in ihrem Kaufladen beschäftigen und musste sich vorläufig damit begnügen, ihn den Lastträgern beizugesellen, welche die Waarenballen in ihrem Hause abluden und in den Magazinen aufstapelten.

Es regte sich jedoch noch eine Empfindung in dem stolzen Herzen des schönen Weibes, welche Zamira gegen Nahum aufbrachte. Sie war böse auf sich selbst, weil sie mehr und mehr an ihrem Sklaven ein Wohlgefallen fand, das ihr unwürdig und verächtlich erschien.

Und er? Er hatte nur einmal ihre schlanke, elastische Gestalt, ihr edles, feingeschnittenes Gesicht unverhüllt gesehen, und seitdem gehörte er ihr, auch ohne dass sie ihn gekauft hätte, seine Phantasie beschäftigte sich Tag und Na [...]