JUGEND SUCHT - Christoph Möller - E-Book

JUGEND SUCHT E-Book

Christoph Möller

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Beschreibung

Sucht bei Jugendlichen ist ein Thema, das emotionale Reaktionen hervorruft wie Ablehnung, Angst, aber auch Unverständnis. Anliegen dieses Buches ist es, die betroffenen Jugendlichen selbst zu Wort kommen zu lassen, damit sich die Leser besser in ihre Welt hineindenken und -fühlen können. In elf Interviews blicken Jugendliche nach ihrer Therapie zurück auf das Leben mit Drogen oder mit ihrer PC-Sucht. Die Erzählenden haben in ihrer Vorgeschichte Gewalt, Traumatisierungen, sexuelle Übergriffe, Ablehnung, Verständnislosigkeit, Beziehungsabbrüche erfahren. Der Weg in die Abhängigkeit von Drogen oder Internet ist vielfach eine Flucht aus der Lebensrealität gewesen, ein Versuch, die Schmerzen zu lindern oder vorübergehend zu vergessen. Diese Lebensgeschichten machen vieles nachvollziehbar und verständlich. Eltern, Lehrer, professionelle Helfer und andere, die mit drogen- oder internetsüchtigen Jugendlichen zu tun haben, können hierdurch Zugang zu ihnen und Verständnis entwickeln.

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Den Jugendlichen gewidmet,die auf der Suche nach ihrem Weg sind.

Christoph Möller

JUGEND SUCHT

Ehemals Drogenabhängige berichten

4., aktualisierte Auflage

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

ISBN 978-3-647-99731-5

Umschlagabbildung: © U.S. Drug Enforcement Administration

© 1. Auflage 2003 Gesundheitspflege initiativ, gemeinnützige Bildungsgesellschaft mbH

© 2015, 2009, 2007, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen/Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A.www.v-r.deAlle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. –Gesamtherstellung: Hubert & Co, Göttingen, www.hubertundco.de

Inhalt

Grußwort von Doris Schröder-Köpf

Vorwort von Rainer Thomasius

Einleitung

Drogenabhängigkeit bei Jugendlichen

Alkohol

Cannabis

Ecstasy- und Cannabiskonsumenten

Internet- und Computersucht

Was ist Sucht?

Wie kommt es zur Sucht?

Folgen des Drogenkonsums

Adoleszenz und Drogenkonsum

Was können Angehörige, Freunde und Lehrer tun?

Die Therapiestation Teen Spirit Island

Kooperationsnetzwerk für drogenabhängige Jugendliche

Die Interviews

Ich habe nicht gedacht, dass die mir was Schlechtes wollen (Annette, 16 Jahre)

Weihnachten, Silvester und Geburtstag im Gefängnis (Florian, 16 Jahre)

Mit einer Psychose in Amsterdam (Hans, 18 Jahre)

50 Euro am Tag weggekifft (Peter, 14 Jahre)

Wegen der Drogen habe ich mein Kind weggegeben (Tanja, 17 Jahre)

Anfangs hat es Spaß gemacht und geholfen zu vergessen (Thomas, 16 Jahre)

Ich war ganz allein (Sabine, 16 Jahre)

Kiffen in zweiter Generation (Alisha, 16 Jahre)

Ich wollte der King sein (Daniel, 13 Jahre)

Mit der Sucht durch den Alltag (Saskia, 17 Jahre)

Ich hatte keine Freunde – World of Warcraft war meine Welt (Kevin, 17 Jahre)

Fazit

Grußwort von Doris Schröder-Köpf

»Träume nicht dein Leben, sondern lebe deine Träume«, sagt die 17-jährige Saskia am Ende ihres Interviews. Damit spricht sie aus, was wahrscheinlich viele Jugendliche sich erhoffen, nachdem sie ihren Aufenthalt auf der Therapiestation »Teen Spirit Island« des Kinderkrankenhauses auf der Bult in Hannover abgeschlossen haben.

Als Mutter und als Schirmherrin von »Teen Spirit Island« haben mich die Erfahrungsberichte dieser jungen Menschen im Alter von 14 bis 18 Jahren sehr ergriffen. Es ist sehr selten, dass man ungefiltert mit der Sichtweise derjenigen konfrontiert wird, deren Stimme allzu oft nicht wahrgenommen wird. Eindrücklich werden die Erfahrungen mit dem Drogenkonsum und die sozialen Folgen beschrieben. Der Weg in die Drogenabhängigkeit fällt oftmals zusammen mit schweren psychischen Störungen und Problemen in der Familie.

Ein besonderer Schwerpunkt der Interviews liegt auf den Drogen Cannabis und Ecstasy, die in der Jugendszene häufig verharmlost werden. Schwierigkeiten in der Schule, einseitige Interessenorientierung auf den Drogenmissbrauch und ein schleichender Verfall der sozialen Bezüge werden plastisch geschildert.

Sicherlich wird die Lektüre dieses Buch eine Stütze und Anregung für Jugendliche sein, die eine Therapie benötigen. Aber auch Lehrer, Eltern und Sozialarbeiter können ihre Sensibilität für Jugendliche schärfen. Jugendliche haben häufig nicht gelernt, ihre Frustrationen aktiv zu reflektieren und zu bewältigen. Hierbei müssen Verantwortliche und Betroffene helfen, indem sie frühzeitig Fragen stellen, zuhören und wenn nötig professionelle Hilfe suchen.

Alle Interviewten sind ehemalige Patienten der Therapiestation »Teen Spirit Island«. Die Erzählungen zum Therapieverlauf zeigen, wie wichtig es ist, Entgiftung und Langzeittherapie miteinander zu verbinden. Erst nach einer harten Phase der Entgiftung können die Jugendlichen langsam wieder Halt finden und einen Sinn für unser Wertesystem entwickeln. Schritt für Schritt muss Vertrauen aufgebaut werden. Nur so kann erfahren werden, dass es eine echte Wahlmöglichkeit gibt: Die Möglichkeit, sich für ein drogenfreies Leben zu entscheiden.

Dem Team von »Teen Spirit Island« wünsche ich auch für die Zukunft viel Erfolg. Ich hoffe, dass möglichst viele junge hilfsbedürftige Menschen ebenso wie Saskia zu der Einsicht gelangen: »Das Leben hat nicht mehr mich in der Hand, sondern ich mein Leben.«

Vorwort von Rainer Thomasius1

In den letzten Jahren weisen Untersuchungen in Deutschland hohe Steigerungsraten beim Konsum legaler und illegaler Suchtmittel (Tabak, Alkohol, Cannabis, Ecstasy, Amphetamine, Kokain) durch Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene aus. Junge Menschen geraten immer früher mit Suchtmitteln in Kontakt, das Einstiegsalter sinkt. Aus Beratungs- und Behandlungsstellen wird von besonders intensivem Konsum dieser Substanzen durch Jugendliche berichtet.

Riskante Konsumformen sind mit teilweise erheblichen gesundheitlichen Folgen verbunden. So werden bei manchen jungen Konsumenten Entwicklungsstörungen infolge eines Substanzmissbrauchs beobachtet (ungünstige Auswirkungen des Substanzmissbrauchs auf die Persönlichkeitsentwicklung, Leistungsfähigkeit, Motivation etc.), des Weiteren psychische Störungen (Depressive Störungen, Angststörungen, Psychosen etc.) und körperliche Erkrankungen (Hirnleistungsstörungen, Infektionen, Vergiftungen etc.). Heute stellen die Suchtstörungen eines der zahlenmäßig größten Risiken für die altersgerechte Entwicklung und Gesundheit im Kindes- und Jugendalter dar.

Aus der klinischen Arbeit mit betroffenen Kindern und Jugendlichen ist bekannt, dass die Gründe für die Zunahme der Suchtstörungen in dieser Altersgruppe auf mehrere Einflüsse zurückzuführen sind: gestiegene Griffnähe (Konsumangebote in Freundeskreis und Nachbarschaft), veränderte Einstellungen und Erwartungshaltungen (»Spaßkultur«), konsumierende Peers, nachlassende soziale Kontrolle (gesellschaftliche und familiäre Funktionen), Substanzmissbrauch der Eltern sowie seelische Traumatisierungen und Störungen im Kindes- und Jugendalter.

Der wachsenden Zahl suchtgefährdeter und süchtiger Kinder, Jugendlicher und junger Erwachsener stehen in Deutschland erhebliche Defizite und Mängel in der therapeutischen Versorgung speziell dieser Altersgruppe gegenüber. Um suchtgefährdete und süchtige Kinder und Jugendliche frühzeitig und gezielt zu befähigen, auf einen Suchtmittelkonsum zu verzichten, ist ein Ausbau des Hilfesystems dringend erforderlich. Dabei gibt es manches zu berücksichtigen: Ausstiegshilfen für Kinder und Jugendliche müssen abstinenzorientiert sein. Die Angebotsstrukturen müssen kind- und jugendgerecht ausgerichtet werden. Die Therapie muss familien-, entwicklungs- und störungsorientiert sein. Persönliche, familiäre und soziale Konflikte, die dem Substanzmissbrauch häufig zugrunde liegen, müssen rechtzeitig erkannt und im Therapieprozess einer Lösung zugänglich gemacht werden. Mit Ausnahme weniger Modelleinrichtungen werden diese Anforderungen in Deutschland jedoch bislang bei weitem nicht erfüllt.

Dieses Buch enthält eine Dokumentation über zehn Interviews, die mit süchtigen Jugendlichen geführt worden sind. Der Autor Christoph Möller hat mit jungen Patientinnen und Patienten gesprochen, als sie am Ende ihrer Suchttherapie in »Teen Spirit Island« standen. Diese Facheinrichtung gehört zu den wenigen stationären Modellen für süchtige Kinder und Jugendliche in Deutschland. Christoph Möller war maßgeblich am Aufbau dieser Einrichtung beteiligt. Heute leitet der Kinder- und Jugendpsychiater, der als Suchtexperte große Anerkennung erhält, diese Klinik.

Die Gesprächspartner von Christoph Möller sind zwischen 14 und 18 Jahre alt; alle wiesen eine schwerwiegende Suchterkrankung auf, als sie in Teen Spirit Island angekommen waren. Der Autor hat seine Fragen behutsam gestellt: Warum hast du Drogen genommen? Welche erwünschte Wirkung haben die Substanzen bei dir hervorgerufen? Wie hat sich der Substanzmissbrauch auf dein Zusammenleben mit Eltern, Geschwistern und Freunden ausgewirkt? Welchen Einfluss hatte der Konsum von Alkohol und Drogen auf deine Schulausbildung und Entwicklung? Mit welchen seelischen und körperlichen Auswirkungen war der Substanzmissbrauch verbunden?

Die Offenheit, mit der die Jugendlichen diesen Fragen begegnen, ist beeindruckend. Der Leser wird bei der Lektüre der Interviews an sehr persönliche Schilderungen der Jugendlichen herangeführt; diese Darstellungen gehen unter die Haut. Man spürt, dass die Jugendlichen in vertrauter Atmosphäre Auskunft über sich gegeben haben.

Der Leser erfährt aus den Berichten der Jugendlichen viele Details über deren anfangs kontrollierten, dann aber zusehends entgleisenden Konsum legaler und illegaler Suchtmittel. Der Weg in die Sucht, das lehren die Schilderungen der jungen Patienten, wird nicht etwa in aller Abgeschiedenheit beschritten. Vielmehr unterhalten die meisten suchtgefährdeten beziehungsweise süchtigen Kinder und Jugendlichen enge persönliche Kontakte. Die Sucht der Jugendlichen wirkt sich in besonderer Weise auf die Beziehungen zu nahen Angehörigen aus. In umgekehrter Richtung hat das Verhalten der Angehörigen einen wichtigen Einfluss auf die Suchtentwicklung des Jugendlichen. Gerade zu Beginn des Substanzmissbrauchs suchen viele Jugendliche im Rausch eine Abkehr von familiären Spannungen und Konflikten.

Nicht jeder Konsum von Alkohol und illegalen Drogen mündet zwangsläufig in der Substanzabhängigkeit. Das Risiko süchtig zu werden, ist von vielen Faktoren abhängig. Gefährdet sind vor allem jene Jugendliche, die bereits in ihrer Kindheit besonderen inneren und äußeren Belastungen ausgesetzt gewesen waren. Die Aufzeichnungen der Interviews geben dafür eindrucksvolle Beispiele ab. Fast durchgängig sprechen die jungen Interviewpartner ihre verlorene Kindheit an, die nicht selten durch einen Mangel an Fürsorge und Verbundenheit und in manchen Fällen durch frühe Gewalterfahrung gekennzeichnet ist.

Trotz solcher anhaltenden Traumatisierungen kam kaum jemand aus eigener Initiative nach Teen Spirit Island. Süchtige Jugendliche haben in der Regel keine Einsicht in ihr Suchtproblem. Wer die berauschende Wirkung eines Suchtmittels – aber manchmal auch die Umstände des Konsums – erst kürzlich zu schätzen gelernt hat, der will sich nicht behandeln lassen. Daher führt häufig erst der Druck durch Angehörige, Lehrer oder Betreuer zur Einweisung in die Klinik. Diesen Umstand wissen die jungen Patienten erst am Ende der Therapie zu würdigen, zu einem Zeitpunkt also, wenn die stabilisierte Psyche den Blick für die eigene Lebensgeschichte frei macht.

Ein weiter Aspekt sticht aus der Fülle der Schilderungen hervor: Bei der Behandlung des Suchtproblems fühlen sich Jugendliche durch ganz unterschiedliche Therapieelemente angesprochen. So unterschiedlich wie ihre Biographien sind, so verschieden fällt auch die Bewertung all dessen aus, was aus der Sucht herausgeführt hat. Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen wird der Erfolg der Suchttherapie bei Kindern und Jugendlichen entscheidend durch das Maß an Flexibilität bestimmt, die Behandlung an den Bedürfnissen und Erfordernissen des Einzelfalls auszurichten. Am deutlichsten bringen dies die Interviewpartner zum Ausdruck, indem sie sagen, dass sie sich auf Teen Spirit Island verstanden gefühlt haben. Dieses Gefühl ist der Nährboden für eine positive Richtungsänderung.

Die befragten Jugendlichen wollen nach ihrer Entlassung aus der Suchttherapie vom Drogenzwang befreit bleiben. Sie möchten ihre Schulausbildung nachholen, sagen sie, und all die anderen Dinge, die in der langen Phase des Substanzmissbrauchs auf der Strecke geblieben sind. Was, fragt Christoph Möller, ist am Ende einer Suchttherapie noch Positives über Drogen zu erwähnen? Nichts, antworten die Jugendlichen.

Die abgedruckten Interviews veranschaulichen in einer auch für den Laien leicht verständlichen Weise, welche individuellen, familiären und sozialen Konstellationen im Einzelfall dazu beitragen können, dass Kinder und Jugendliche in der Sucht nach Alkohol und Drogen einen Ausweg aus ihrem persönlichen Dilemma suchen. Zugleich belegen die Schilderungen der behandelten Suchtpatienten exemplarisch, dass betroffene Jugendliche erfolgreich aus dieser Sackgasse in ein von Drogen befreites und selbstbestimmtes Leben heraus geführt werden können, wenn kompetente Hilfestellung angeboten wird. Die Lektüre des Buches ist gerade aus dem zuletzt genannten Grund sehr ermutigend. Betroffene Jugendliche, besorgte Eltern, Experten der Jugendhilfe, Suchthilfe und Pädagogik sowie viele andere am Thema Interessierte können gleichermaßen davon profitieren.

Ich wünsche diesem Buch, dass es viel gelesen und als eine Hilfe genutzt wird, Zugang zu diesem sehr wichtigen Thema zu finden, das unsere Gesellschaft aller Voraussicht nach auch in Zukunft intensiv beschäftigen wird.

»Silvester: Ich komme um 23.30 Uhr nach Hause, weil ich nach übermäßigem Alkoholkonsum keine Lust mehr hatte etwas zu unternehmen! Wenig später esse ich einen Berliner, verschlucke mich und es bleibt etwas in der Nase hängen. Jetzt auf einmal, wo ich die ganze Zeit am Hochziehen bin, fragt mein Vater, ob ich koksen würde. Ich bin in Rage, da ich nie etwas außer Wied und Peace konsumiert habe und auch noch betrunken war, fange an rumzuschreien und nehme meinen Vater in den Schwitzkasten und reiß ihn zu Boden. Als er dabei war, mich zu überwältigen, biss ich ihm ein Stück Fleisch vom Arm und rannte aus dem Haus, zu meiner Mutter, die nur zehn Minuten zu Fuß entfernt wohnte. Das war so um null Uhr.«

1   Professor und Chefarzt am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Zentrum für Psychosoziale Medizin.

Einleitung

Drogenabhängigkeit bei Jugendlichen ist ein Thema, das die meisten Leser emotional berührt. Viele Menschen treten diesen Jugendlichen mit Unverständnis, Angst und Ablehnung gegenüber. Diese Jugendlichen begegnen uns zum Beispiel am Bahnhof oder in der Innenstadt mit ihren Hunden. Sie betteln um Geld und fallen durch ihr oft buntes Erscheinungsbild oder durch ihr lautstarkes Auftreten auf. Diese Bilder werden viele bei diesem Thema vor Augen haben. Sie machen aber nur einen kleinen Anteil der Drogenproblematik bei Jugendlichen aus.

Als Kinder- und Jugendpsychiater und Psychotherapeut durfte ich viele dieser Jugendlichen in einem therapeutischen Setting über Monate begleiten. Ich habe viele Lebensgeschichten gehört und Veränderungen in der Lebensgestaltung miterlebt. Wenn ich die Lebensgeschichte der Jugendlichen kennenlerne, wird vieles nachvollziehbar, auch verständlich. Sie haben in ihrer Vorgeschichte Gewalt, Traumatisierungen, sexuelle Übergriffe, Ablehnung, Verständnislosigkeit, Beziehungsabbrüche und anderes Negatives erfahren. Der Weg in die Drogenabhängigkeit ist vielfach eine Flucht aus der Lebensrealität, ein Versuch, mit Drogen die Schmerzen zu lindern oder vorübergehend zu vergessen.

Anliegen dieses Buches ist es, die Jugendlichen selbst zu Wort kommen zu lassen. Wenn sich der Leser/die Leserin besser in die Welt der Jugendlichen hineinfühlen kann und ihnen mit ein wenig mehr Verständnis begegnet, ist ein Ziel dieses Buches erreicht.

In dieser Einleitung soll die Problematik der Drogenabhängigkeit bei Jugendlichen umrissen werden. Ein Behandlungsansatz speziell für diese Jugendlichen wird vorgestellt und der Kontext der Interviews erläutert.

Drogenabhängigkeit bei Jugendlichen

Drogenkonsum bei Jugendlichen ist ein wachsendes Problem. Immer früher beginnen Kinder und Jugendliche Drogen zu nehmen. Nach eigenen Angaben fangen sie teilweise mit unter zehn Jahren an zu rauchen und Alkohol zu trinken. Es folgen Cannabis, manchmal Ecstasy und andere Partydrogen. Wenige beginnen dann mit Kokain- und Heroinkonsum. Der Drogenmissbrauch und die Abhängigkeit gehören zu den häufigsten psychiatrischen Auffälligkeiten bei Jugendlichen. Fachleute gehen von einer Häufigkeit bis 20 Prozent aus. In den letzten zwanzig Jahren ist auf der Drogenszene eine Verschiebung von den betäubenden Rauschmitteln wie den Opiaten (z.B. Heroin) zu stimulierenden Drogen wie Amphetaminen und Ecstasy zu beobachten. Bei den polizeilich erfassten Erstkonsumenten sind die stimulierenden Drogen mit rund 50 Prozent vertreten. Heroinkonsum ist in der Jugendszene heute selten. Eine unter Jugendlichen weit verbreitete Droge ist Cannabis.

In der Diskussion um die Legalisierung von Cannabis wird oft der Vergleich mit den so genannten legalen Drogen Nikotin und Alkohol gezogen. An den Folgen des Alkoholkonsums sterben in Deutschland jährlich etwa 70.000 Menschen. Bei Nikotin sind es 100.000 bis 140.000 Menschen. An den Folgen des Heroinkonsums sterben im Jahr unter 1.500 Menschen, Tendenz rückläufig. Neben diesen Zahlen ist das Leid und Elend zu berücksichtigen, welches vor allem der Alkohol in das Leben vieler Menschen und Familien bringt. Besonders wenn es um Kinder und Jugendliche geht, dürfen die so genannten legalen Drogen Nikotin und Alkohol sowie Cannabis nicht verharmlost werden.

Alkohol

In Deutschland leben 2,5 bis 3 Millionen Alkoholkranke, davon etwa eine halbe Million im Alter zwischen 12 bis 21 Jahren. Bundesweit ist ein Anstieg von Alkoholintoxikationen bei Minderjährigen zu beobachten, wobei der Anteil der unter 15-Jährigen in Hannover bei 38 Prozent liegt und die Mädchen deutlich stärker vertreten sind als die Jungen. Mit Zucker angereicherte alkoholische Mixgetränke, die so genannten Alkopops, oder seit Einführung der Alkopopsteuer auch vermehrt Bier- und Wein- Mixgetränke, spielen bei dieser Entwicklung eine maßgebliche Rolle. Der Konsum von Alkopops stieg zwischen 2001 und 2004 bei den 12- bis 25-Jährigen von 8 auf 16 Prozent an. 34 Prozent dieser Altersgruppe gab an, im letzten Monat riskantes Trinken im Sinne von »Rauschtrinken« (gezieltes Verabreden, um sich zu betrinken, so genanntes »binge drinking«) durchgeführt zu haben. 40 Prozent hatten in den letzten 12 Monaten einen oder mehrmals einen Alkoholrausch. Das Durchschnittsalter beim ersten Alkoholrausch liegt bei 15,5 Jahren.

Cannabis

Die von Jugendlichen am häufigsten konsumierte illegale Droge ist Cannabis. In den letzten Jahren war eine deutliche Zunahme des Cannabiskonsums zu beobachten (1993: 23 Prozent männliche und 12 Prozent weibliche Jugendliche; 2004: 26 Prozent männliche und 27 Prozent weibliche Jugendliche). Seit 2004 ist der Cannabiskonsum rückläufig, wobei die Zahl der regelmäßig konsumierenden Jugendlichen relativ stabil bleibt. Das Einstiegsalter ist im gleichen Zeitraum von 17,5 auf 16,4 Jahre gesunken. Unter den Nichtrauchern konsumieren nur 5 Prozent Cannabis, während es unter den Rauchern 44 Prozent sind. Unter Jugendlichen, die keinen Alkoholrausch hatten, finden sich nur 6 Prozent Cannabiskonsumenten. Jugendliche mit mehr als 6 Alkoholräuschen konsumieren zu 66 Prozent Cannabis. Nikotin und Alkohol sind damit maßgeblich am Einstig in den Suchtmittelmissbrauch beteiligt. Präventive Maßnahmen müssen vermehrt auch auf die so genannten legalen Drogen fokussieren.

Konsumieren Jugendliche regelmäßig ein und mehr Gramm Cannabis am Tag, verändert dies ihre Entwicklung nachhaltig: In der Schule kommt es meist zu einem Leistungsabfall, der Interessenhorizont schränkt sich deutlich ein, viele Jugendliche werden motivations- und antriebslos, »Kiffen« bestimmt den Tag. In der Altersgruppe 14 bis 24 Jahre finden sich unter den aktuellen Konsumenten bei 8 bis 9 Prozent Symptome eines Cannabismissbrauchs und bei weiteren 4 bis 7 Prozent eine Abhängigkeitsproblematik. Bei anderen illegalen Drogen liegen die Zahlen von Missbrauch und Abhängigkeit deutlich niedriger: bei Ecstasy 4 Prozent, Amphetaminen 3 Prozent, LSD 2 Prozent, Kokain 2 Prozent, Heroin 0,3 Prozent, Crack 0,2 Prozent.

Ecstasy- und Cannabiskonsumenten

Die Gruppe der Ecstasy- und Cannabiskonsumenten grenzt sich deutlich von der Szene der Heroinabhängigen ab. Es kann der »nette Nachbarsjunge« sein, der normal die Schule besucht und anfangs noch in seine soziale Umgebung integriert ist. Am Wochenende geht er tanzen und konsumiert Ecstasy und Cannabis. Ecstasy wird in Tablettenform angeboten, einer scheinbar harmlosen Form, die vermitteln mag, dass es sich um ein freiverkäufliches medizinisches Produkt handelt, das nicht in der Apotheke, sondern in der Diskothek erworben werden kann. Die Aufdrucke und Namen wie »Playboy« oder »Mercedes« appellieren an Wünsche und Phantasien der Jugendlichen.