Julia Royal Band 3 - Leanne Banks - E-Book

Julia Royal Band 3 E-Book

Leanne Banks

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Beschreibung

VERLIEBT IN MEINEN BODYGUARD von LEANNE BANKS Treat Walker ist der perfekte Bodyguard! Trotzdem will die alleinerziehende Prinzessin Fredericka nicht Tag und Nacht von ihm bewacht werden - bis sie erkennt, wie wichtig ihm ihr kleiner Sohn ist. Und plötzlich kann sie das aufregende Knistern zwischen ihnen nicht mehr leugnen … HERZÖGE KÜSSEN BESSER von SHARON KENDRICK Binnen eines Tages verliert Roxy ihre Wohnung, den Job - und das Bewusstsein. Als sie erwacht, erblickt sie ausgerechnet den Mann, der sie auf die Straße gesetzt hat: Titus Alexander, Herzog von Torchester! Und über dessen verführerische Lippen kommt bereits die nächste Überraschung … WARUM IST DER MANN BLOSS SO SEXY? von MICHELLE CELMER Prinz Aaron ist der attraktivste Mann, dem Olivia je begegnet ist. Während sie das Mittel gegen eine rätselhafte Pflanzenkrankheit sucht, muss sie immer wieder an ihn denken. Ob es auch ein Mittel gegen diese sinnliche Spannung zwischen ihnen gibt? Denn eine heiße Affäre mit dem Prinzen - das kann nicht gut gehen. Oder?

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Seitenzahl: 539

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Leanne Banks, Sharon Kendrick, Michelle Celmer

JULIA ROYAL BAND 3

IMPRESSUM

JULIA ROYAL erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Christina SeegerGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

Neuauflage in der Reihe JULIA ROYALBand 3 - 2020 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg

© 2014 by Leanne Banks Originaltitel: „A Royal Christmas Proposal“ erschienen bei: Harlequin Enterprises, Ltd., Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Johannes Martin Deutsche Erstausgabe 2015 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe ROMANA EXTRA, Band 35

© 2012 by Sharon Kendrick Originaltitel: „Back in the Headlines“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Emma Luxx Deutsche Erstausgabe 2013 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe JULIA EXTRA, Band 370

© 2009 by Michelle Celmer Originaltitel: „Christmas with the Prince“ erschienen bei: Silhouette Books, Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Ute Augstein Deutsche Erstausgabe 2011 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe BACCARA, Band 1686

Abbildungen: Harlequin Books S. A., Getty Images / ErenaWilson, mirawonderland, scyther5, Sirichoke, Marsevis, alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 12/2020 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783751500050

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

Verliebt in meinen Bodyguard

1. KAPITEL

Prinzessin Fredericka hoffte inständig, ihr Bruder würde nicht zu abweisend sein. Sie wusste selbst, dass sie schwere Fehler gemacht hatte. Als Teenager war sie ein Wildfang gewesen und hatte ihre Familie mit ihren Eskapaden oft zur Verzweiflung gebracht.

Alle waren erleichtert gewesen, als sie geheiratet hatte, denn sie schien dadurch ruhiger und besonnener zu werden. In gewisser Weise stimmte das auch, aber gleichzeitig hatte sie begreifen müssen, dass sich im Leben nicht alle Erwartungen erfüllten.

Fredericka kannte ihren Bruder Stefan, den regierenden Prinzen von Chantaine, gut genug. Würde er einer geschiedenen Frau gestatten, ihren Sohn Leo allein zu erziehen?

Nervös wartete sie im Vorzimmer des Prinzen. Mehrere Palastdiener waren damit beschäftigt, weihnachtliches Grün zu dekorieren und Kerzen in die Fenster zu stellen. Vermutlich hatte Eve, Stefans Ehefrau, den Auftrag zum Schmücken erteilt. Als Kind hatte Fredericka den Weihnachtsschmuck im Palast kaum wahrgenommen – abgesehen von der riesigen Tanne, die alljährlich im Ballsaal des Schlosses aufgestellt wurde.

Natürlich hatte das angespannte Verhältnis ihrer Eltern nicht gerade zur Weihnachtsstimmung beigetragen. Frederickas Vater, Prinz Edward, war ein Weltenbummler gewesen, der sich weder um seine Frau noch um seine Kinder kümmerte. Ihre Mutter hatte sich wie eine Gefangene gefühlt, und ihr Kummer war allmählich in Verzweiflung übergegangen.

Fredericka selbst kannte nur den einen Wunsch: weg von zu Hause, möglichst weit weg. Es hatte auch mehrere Fluchtversuche gegeben – genau deswegen fürchtete sie, dass die Unterhaltung mit ihrem Bruder nicht glatt verlaufen würde. Prinz Stefan war ein äußerst besonnener Herrscher, und als ältester Bruder fühlte er sich für seine jüngeren Geschwister und ihre Familien voll verantwortlich.

Endlich wurde die Tür zum Arbeitszimmer des Prinzen geöffnet. „Bitte treten Sie näher, Hoheit“, forderte Rolf, Stefans Privatsekretär, sie höflich auf.

„Danke.“ Fredericka nickte ihm zu und betrat das Zimmer. Rolf zog sich diskret zurück. „Stefan.“ Sie ging auf ihren Bruder zu und küsste zur Begrüßung seine Wange. Dabei bemerkte sie zum ersten Mal die grauen Streifen in seinem dunklen Haar. Sein Amt lastete anscheinend schwer auf ihm. „Wie geht es dir?“

„Danke, gut“, erwiderte er und küsste sie ebenfalls „Allerdings mache ich mir Sorgen um dich und Leo.“

Fredericka lächelte. „Oh, wir fühlen uns beide pudelwohl. Ich freue mich, wieder hier zu sein. Das Jahr bei Valentina war doch recht lang.“

„Du hättest in Chantaine bleiben können“, bemerkte Stefan und setzte sich hinter seinen Schreibtisch.

Fredericka nahm den Besuchersessel ein und fixierte ihren Bruder. „Ich glaube, es war richtig, während meiner Schwangerschaft in Texas unterzutauchen und dort auch meinen Sohn zur Welt zu bringen. Tina und ihr Mann haben sich rührend um mich gekümmert, und ihre kleine Tochter Katarina ist ein Schatz. Vielleicht ein bisschen zu lebhaft, aber …“ Fredericka schwieg, denn sie musste unwillkürlich an sich selbst denken.

„Das glaube ich gern.“ Stefan nickte zustimmend. „Aber nun zu dir, Ericka. Ich wünsche mir, dass du mit Leo in den Palast ziehst.“

Ericka war ihr Kosename in der Familie. Sie widersprach ihrem Bruder nur ungern, aber bei dieser entscheidenden Frage ließ es sich nicht vermeiden.

„Ich bin anderer Ansicht, Stefan. Ich habe ein hübsches kleines Cottage mit Zaun und verschließbarem Tor gefunden … und dazu eine Nanny für Leo. Sie heißt Marley.“

Stefan runzelte die Stirn. „Und wie steht es um die Sicherheit? Ein Zaun und ein Tor … was bedeutet das schon? Für euch gilt die höchste Sicherheitsstufe, die eigentlich nur hier im Palast gewährleistet ist.“

Ericka schüttelte den Kopf. „Ich fühle mich im Palast nicht heimisch. Sei ehrlich, Stefan … wir fühlen uns hier alle nicht richtig wohl. Außer dir wohnt von unseren Geschwistern niemand im Palast. Es klingt vielleicht hässlich, aber das ganze Gebäude wirkt auf mich wie ein Gefängnis. So soll Leo nicht aufwachsen.“

„Er ist noch ein Baby, Ericka, das seine Umgebung gar nicht wahrnimmt.“

„Da täuschst du dich. Babys nehmen viel mehr wahr, als man denkt. Leo würde instinktiv spüren, dass ich mich nicht wohlfühle. Wir brauchen unser eigenes Heim. Nanny Marley ist eine Perle und weiß mit Leos Taubheit umzugehen.“

„Irrst du dich auch nicht hinsichtlich seiner Taubheit? Er ist doch erst einige Monate alt.“

„Nein, leider nicht.“ Ericka fühlte noch jetzt den Schmerz, der sie bei der Nachricht überwältigt hatte. Ihr einziger Sohn … und taub? Aber die vielfältigen Tests hatten das Ergebnis immer wieder bestätigt. „Leo ist taub, zumindest äußerst schwerhörig, und kann nur auf die Operation hoffen, die für das nächste Frühjahr geplant ist.“

„Gerade darum bin ich der Meinung, dass ihr im Palast besser aufgehoben seid.“

„Nein, Stefan … und bitte zwing mich nicht zu etwas, das ich nicht will. Ich weiß am besten, was gut für uns ist, und bitte dich nur um deine Unterstützung.“

Stefan seufzte. „Die hast du natürlich, aber es wird trotzdem schwer für dich werden. Ich möchte nicht über die Vergangenheit sprechen, aber …“

„Du denkst an die Zeit meines Entzugs“, unterbrach Ericka ihn. Sie verstand die Sorgen ihrer Familie, aber sie hatte die schwere Zeit überstanden und war daran gewachsen. „Ich habe gelernt, mich vor Drogen in Acht zu nehmen und nur sehr wenig Alkohol zu trinken. ‚Keine Drogen und kein Alkohol.‘ Das sage ich mir jeden Morgen beim Aufwachen.“

„Man merkt, dass du einiges durchgemacht und aus eigener Kraft überwunden hast“, gab Stefan zu. „Gerade darum möchte ich dich vor neuem Unheil bewahren.“

„Im Moment bin ich nur Mutter, Stefan. Die Erfahrung ist neu für mich, aber ich bin eine Devereaux und nicht mehr das schwächste Glied in der Familienkette.“

„Das habe ich nie behauptet“, protestierte Stefan.

„Aber sicher gedacht.“ Er wollte abermals widersprechen, aber sie hob abwehrend eine Hand. „Das alles bringt uns jetzt nicht weiter. Du wirst sehr bald feststellen, was alles in mir steckt. Ich werde mich in dem gemütlichen Cottage sehr wohlfühlen.“

„Also gut.“ Stefan gab seinen Widerstand auf. „Gegen einen persönlichen Leibwächter hast du hoffentlich nichts einzuwenden. Erwarte ihn innerhalb der nächsten zwei Tage.“

Ericka verzog das Gesicht. „Wenn du darauf bestehst … Aber besorge mir einen bescheidenen, zurückhaltenden Mann, der mir nicht auf die Nerven geht. Er darf mich auf keinen Fall herumkommandieren.“

„Du bekommst den besten“, entschied Stefan, ohne auf ihre Bedingungen einzugehen. „Durch dein Engagement für die ‚Königliche Gesellschaft für eine bessere Welt‘ bist du von öffentlichem Interesse. Du hast die Organisation der Konferenz übernommen, die im nächsten Jahr hier stattfinden soll. Wie du das allerdings mit einem Baby und ohne Ehemann bewältigen willst, ist mir schleierhaft.“

„Alleinstehende Mütter sind heute beileibe keine Ausnahme mehr. Die meisten kommen sehr gut mit ihrer Situation zurecht“, erklärte Ericka. „Und vergiss bitte nicht Nanny Marley und meine Schwestern, die jederzeit für mich da sind.“

Das musste Stefan zugeben. „Soweit es Eve betrifft, hast du mit deiner Einschätzung recht. Sie würde mich umbringen, wenn ich dir unsere Hilfe versagte.“ Nach einer Pause fügte er hinzu: „Aber vergiss bitte nicht, dass du jederzeit im Palast herzlich willkommen bist.“

„Ich danke dir, obwohl mein Entschluss feststeht. Können wir jetzt das Thema wechseln und über die bevorstehende Konferenz sprechen?“

„Schon wieder ganz Geschäftsfrau?“, fragte Stefan lächelnd.

Ericka griff nach ihrem Tablet-PC. „Immer im Dienst, liebster Bruder.“

Zwei Tage später rief Stefan bei Ericka an und teilte ihr mit, dass sein Privatsekretär vorbeikommen würde, um ihr den neuen Leibwächter vorzustellen. Das passte ihr gar nicht. Der Zeitpunkt war schlecht gewählt. Sie hatte kaum geschlafen und war noch nicht einmal im Badezimmer gewesen. Leo hatte sie die halbe Nacht wach gehalten, und sie war aus Rücksicht auf Nanny Marley selbst bei ihm geblieben, um ihn immer wieder zu beruhigen.

Gähnend fasste sie ihr Haar zu einem lockeren Knoten zusammen, begnügte sich im Badezimmer mit einer Katzenwäsche und zog sich an. Fünf Minuten, dachte sie. Dann würde alles erledigt sein. Sie würde sich noch einmal hinlegen und erst später an die Arbeit gehen.

Vor Leos Geburt hätte Ericka sich keinem Fremden gezeigt, ohne perfekt zurechtgemacht und nach neuestem Schick angezogen zu sein. Ein Baby veränderte eben alles. Auch die eigenen Prinzipien.

Es klopfte an der Haustür, und Ericka beeilte sich zu öffnen. Draußen stand Rolf, mit einem fremden, mindestens ein Meter neunzig großen Mann hinter sich, der sie an ihren texanischen Schwager erinnerte. Was hatte ihr Bruder sich bloß dabei gedacht? Dieser Hüne würde überall auffallen, und genau das hatte sie vermeiden wollen.

„Guten Morgen, Hoheit.“ Rolf machte eine leichte Verbeugung. „Ich bringe Ihnen Mr. Treat Walker … Ihren persönlichen Leibwächter.“

Ericka nickte und wandte sich gleich an den Fremden. „Hallo, Mr. Walker.“

Treat neigte nur leicht den Kopf. „Hoheit.“ Er sprach mit deutlichem texanischen Akzent.

Ericka ahnte nichts Gutes. Der Mann hatte ein zu eigenwilliges Kinn und viel zu breite Schultern, um ihr nicht ständig im Weg zu sein. Sie wandte sich wieder an Rolf, der sich ängstlich weggeduckt hatte. „Danke, dass Sie vorbeigekommen sind. Ich melde mich später bei meinem Bruder.“

„Und ich kontrolliere erst mal die Alarmanlage in Ihrem Haus“, erklärte Treat.

„Wie bitte?“ Ericka konnte ihr Unbehagen nicht verbergen.

„Ja“, antwortete der viel zu große, viel zu muskulöse und viel zu texanische Treat. „Ich habe den Auftrag, Sie zu schützen, und muss wissen, wie weit dafür vorgesorgt ist.“

„Die Alarmanlage wurde gerade erst eingebaut“, erklärte Ericka. „Nach neuesten Erkenntnissen.“

„Dann haben Sie sicher nichts dagegen, wenn ich mich davon überzeuge.“

Sie hatte sogar sehr viel dagegen, aber das durfte sie nicht zugeben. Widerstrebend machte sie die Tür weiter auf. „Stören Sie bitte nicht mein Baby.“

Treat zuckte nur die Schultern und kam herein. „Ich werde mir Mühe geben, aber es muss alles kontrolliert werden.“

Der ungnädige Blick, der eigentlich Treat Walker galt, traf den armen Rolf. „Noch einmal: Sagen Sie meinem Bruder, dass ich mich bei ihm melde.“

„Danke, Hoheit“, erwiderte Rolf und zog sich erleichtert zurück.

„Ihr Bruder hat mich fest angestellt“, bemerkte Treat, während er Rolf nachsah. „Bitte finden Sie sich damit ab.“

Ericka versuchte, noch ungnädiger dreinzuschauen. „Bitte keine vollendeten Tatsachen.“

„Ich fürchte doch. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte. Ich muss die Alarmanlage überprüfen.“

Ericka sah ihm nach. Einen Gang hatte der Mann! „Wie bereits gesagt … wecken Sie nicht mein Baby auf.“

Treat drehte sich um. „Ist der kleine Leo nicht völlig taub?“

Ericka hätte schreien mögen. Sie wusste ja selbst nicht genau, wie taub ihr Sohn war. Auch die Ärzte hatten nicht mehr gesagt, als dass sich noch alles ändern und durch eine rechtzeitige Operation verbessern könne.

„Es scheint so“, antwortete sie. „Er hat letzte Nacht kaum geschlafen.“

Treat nickte. „Dann gehe ich jetzt an die Arbeit. Wenn ich irgendwo störe, brauchen Sie es nur zu sagen.“

Ericka starrte ihm nach. Sie mochte ihn nicht … oder vielleicht doch? Was wusste ein Mann wie er schon über Kinder mit einer so schweren angeborenen Behinderung? Sicher nichts. Sein Leben verlief bestimmt ruhig und unkompliziert.

Ein Schatten huschte über den Flur. „War das eine Katze?“, fragte Treat.

Ericka nickte. „Die Ärzte meinten, ein Haustier sei gut für Leo.“

„Eine Katze? Verschlafen Katzen nicht den ganzen Tag?“

„Sam nicht. Er schläft wenig und passt treu auf Leo auf. Wahrscheinlich ist er eben nur vorbeigeschlichen, um den fremden Eindringling auszukundschaften. Bitte bedenken Sie, dass Ihr Job einen sehr heiklen Punkt hat … meinen Sohn. Seine Geburt wurde öffentlich bekannt gegeben, und man freut sich über meine Rückkehr aus Texas.“

„Das mag sein, aber eine einzige Person, die sich nicht freut, könnte Ihre Sicherheit gefährden. Vor dieser Person muss ich Sie schützen.“

Ein Blick in seine dunklen Augen überzeugte Ericka davon, dass er es mit dem Schutz ernst meinte. Je länger sie ihn ansah, umso milder erschienen ihr seine Züge. Das überraschte sie. Besaß ein Mann, der so hart wirkte, auch menschliches Mitgefühl?

Falls er es Leo gegenüber nicht besaß, konnte sie ihn nicht brauchen. Und was Sam betraf … wenn Treat einen kastrierten Kater nicht akzeptieren konnte, würde sie ihn entlassen.

Treat sah in Erickas blaue Augen, die jetzt so feindselig dreinblickten. Er kannte ihre Personalakte. Ein wilder Teenager. Eine Schönheit. Mehrfacher Drogenentzug, bevor sie zu sich gekommen war und einen französischen Filmregisseur geheiratet hatte. Kürzlich war sie nach Chantaine zurückgekehrt – nicht nur wegen ihrer Familie, sondern auch wegen der „Bessere Welt“-Konferenz, die sie organisierte.

Mit ihrem Ehemann war sie zwar auf Filmfestivals über den roten Teppich geschritten, aber ihr wirkliches Interesse hatte nicht dem Film, sondern der Kunstgeschichte gegolten. Als ihr Mann sich einer jüngeren Schauspielerin zuwandte, war ihr Leben erneut ins Wanken geraten. Der Skandal, verbunden mit ihrer Schwangerschaft, hatte sie nach Amerika getrieben – nach Texas, wo ihre verheiratete Schwester Valentina auf einer Farm lebte.

Schon auf den ersten Blick sah Treat ihr die Prinzessin an. Fredericka Devereaux wirkte fast zu perfekt. Das feine aristokratische Gesicht, die schlanke Figur – jedem Bildhauer der Renaissance hätte sie Modell stehen können. Jetzt versuchte sie zwar, ihm ihre Verachtung zu zeigen, aber er spürte das gute Herz und auch die unterschwellige Angst. Sie sah müde aus, hatte dunkle Ringe unter den Augen und brauchte Schlaf.

Ein taubes Baby zu versorgen war eine schwere Aufgabe. Besonders, wenn man sich selbst um alles kümmerte, was hier offenbar der Fall war. „Ihr Sohn hat Glück, dass Sie ihm die beste Pflege und volle medizinische Versorgung bieten können“, sagte er abschließend. „Nicht jedes behinderte Kind wächst so auf.“

Das wusste Ericka auch, und trotzdem wunderte sie sich über Treats Bemerkung. Sprach er vielleicht aus Erfahrung? Sie ließ den Gedanken schnell wieder fallen.

„Geld ist nicht alles“, entgegnete sie. „Manche würden sogar vorziehen, keins zu haben.“

Damit ließ sie ihn stehen.

2. KAPITEL

Der Tag verging im ständigen Wechsel zwischen Babypflege und Planung der Konferenz. Wenn Marley Einkäufe machte oder anderweitig zu tun hatte, trug Ericka ihren kleinen Leo im Tragetuch mit sich herum. Wenn sie dabei telefonierte, schlief er regelmäßig ein und lehnte seinen Kopf an ihre Schulter. Dann legte sie ihn erleichtert wieder in sein Kinderbett – mit dem Ergebnis, dass er aufwachte und losschrie.

In solchen Momenten legte Ericka gern eine Hand auf seinen Bauch. Tina hatte ihr das beigebracht. Das Baby sollte noch den mütterlichen Kontakt spüren, um sich nicht plötzlich verlassen zu fühlen. Meist funktionierte der Trick. Leo hörte dann auf zu weinen, seufzte tief und schlief wieder ein.

Auch heute hatte Ericka Erfolg. Sie blieb noch eine Weile am Kinderbett stehen und stahl sich dann aus dem Zimmer, dessen Tür sie halb offen ließ. Unmittelbar darauf prallte sie gegen eine Wand – jedenfalls kam es ihr so vor. Aber Wände protestierten nicht und fluchten auch nicht leise vor sich hin. Tatsächlich war sie frontal mit Mr. Treat Walker zusammengestoßen.

Er fasste sie an beiden Armen, als hätte er Angst, sie könnte stürzen. Das ärgerte Ericka. „Lassen Sie mich gefälligst los!“, befahl sie in dem eisigen Prinzessinnenton, den sie bei ihren Gouvernanten gelernt hatte.

Er gehorchte sofort, und sie stolperte zurück. „Wollten Sie nicht Zusatzgeräte für die Alarmanlage besorgen? Was stehen Sie hier herum? Sie hätten anklopfen können.“

„Als Bodyguard gehöre ich zur Familie und muss daher nicht anklopfen“, entgegnete Treat.

„Oh, da bin ich anderer Ansicht“, widersprach Ericka. „Sie gehören nicht zur Familie, sondern zum Personal und müssen daher anklopfen.“

„Um Ihr Baby aufzuwecken?“

Erickas Zorn verpuffte wie Luft aus einem Ballon. Warum gelang es ihr nicht, diesen Mann, der viel zu viel Platz einnahm, auf Abstand zu halten? Er dachte an Leo, da war es schwer, ihm Vorwürfe zu machen. „Ich mag es nicht, wenn man sich von hinten an mich heranschleicht“, sagte sie, halb versöhnt.

„Und ich wollte nur feststellen, was an der Alarmanlage noch zu verbessern ist.“

Immer hatte er eine Antwort parat. Immer wusste er alles besser! Erickas Verstimmung nahm wieder zu. „Ich weiß nicht, ob es mit uns beiden gut geht“, sagte sie. „Marley und ich kommen prächtig miteinander aus und arbeiten Hand in Hand. Ich fürchte, Sie stören nur.“

„Warten Sie die nächsten Tage ab“, riet Treat. „Dann werden Sie mich kaum noch wahrnehmen.“

Von wegen, dachte Ericka. Sie wollte ihren Bruder anrufen und Mr. Walkers Entlassung verlangen, aber der Prinz hatte sein Handy ausgeschaltet, und Rolf sprach von einer vorübergehenden Unpässlichkeit. Das war nichts als Taktik. Stefan hatte ihren Protest erwartet und ging auf Tauchstation. Einen Moment überlegte Ericka, ob sie ihre Schwägerin anrufen sollte, aber Eve war schwanger und hatte genug mit sich selbst zu tun. Sie musste sich schon an Stefan halten.

Ein letzter Versuch galt dem Chefsekretär Bernard, und der war tatsächlich zu erreichen. „Mein Bruder ist unpässlich?“, fragte Ericka.

„Er hat heute sehr viel zu tun, Hoheit“, wich Bernard aus. „Das Wohl seines Landes …“

„Ich verstehe schon. Sagen Sie ihm, dass ich kurz vorbeikomme. Nur für eine Minute. Ciao.“

„Aber, Hoheit …“

Ericka beendete das Gespräch. Stefan war schlau, aber sie ebenfalls. Wenn sie plötzlich in seinem Vorzimmer auftauchte und ihn sprechen wollte, konnte er sie kaum abweisen. Er musste zumindest den Schein wahren.

Ericka suchte nach Marley und fand sie auf der Veranda, wo sie eine kleine Pause einlegte. „Ich muss kurz in den Palast“, sagte Ericka. „Es wird nicht lange dauern.“

„Keine Sorge, Hoheit“, versicherte Marley. „Ich passe auf den Kleinen auf.“

Ericka drohte ihr mit dem Zeigefinger. „Hatten wir uns nicht darauf geeinigt, dass Sie mich nicht mit ‚Hoheit‘, sondern mit meinem Vornamen anreden?“

Marley wand sich. „Das vergesse ich immer wieder. Es klingt in meinen Ohren so respektlos.“

„In meinen nicht, und ich wünsche es so. Einverstanden?“

„Ja, Miss Ericka.“

„Sehen Sie … es geht doch. Nur die ‚Miss‘ stört noch. Also, wie gesagt, ich bin bald wieder da.“

„Nehmen Sie sich ruhig Zeit … Ma’am!“, rief Marley ihr nach.

Ericka fuhr mit ihrem kleinen Sportwagen durch die engen, kurvenreichen Straßen der Hauptstadt Chantaine, die dem kleinen Inselreich den Namen gegeben hatte. Ab und zu bot sich ein schöner Ausblick auf das azurblaue Meer und den weißen Strand, den die Wellen umspülten. Erst jetzt merkte Ericka, wie sehr sie ihre Heimat vermisst hatte. In Texas hatte sie noch erwogen, Chantaine für immer zu meiden. In ihrer Erinnerung war es ein Gefängnis geblieben, ein Ort, an dem man nicht frei atmen konnte.

Auch jetzt empfand sie noch eine gewisse Bedrängnis, aber sie war fest entschlossen, ihren angestammten Platz einzunehmen, ohne sich weiter gängeln zu lassen. Die Wohnung im Palast abzulehnen war der erste wichtige Schritt gewesen. Nanny Marleys Einstellung der zweite, und Mr. Walkers Entlassung würde der dritte sein.

Die Palastwache erkannte sie und winkte sie durch. Sie parkte seitlich vom Hauptgebäude, berührte am Eingangsportal den Sensor und gelangte so in die große, kühle Marmorhalle, in der ihre Schritte ein lautes Echo hervorriefen.

Stefan hatte die Büroräume seines Vaters übernommen. Prinz Edward hatte sie seinerzeit nur selten aufgesucht und sich lieber mit wechselnden Freundinnen auf seiner Jacht vergnügt. Ericka verstand immer noch nicht, wie es ihm gelungen war, neben seinen vielen Affären noch sechs legitime Kinder zu zeugen. Zu spät wurde ihr klar, dass ihre Mutter bei jedem Kind gehofft hatte, die Liebe ihres Mannes zurückzugewinnen – eine Hoffnung, die sich nicht erfüllt hatte.

Sie betrat das Vorzimmer ihres Bruders und wartete. Als nichts geschah, wurde sie ungeduldig und klopfte an die Tür zum Arbeitszimmer. Rolf öffnete, machte eine höfliche Verbeugung und kam heraus. Die Tür ließ er angelehnt.

„Hoheit …“

„Ich muss meinen Bruder sprechen.“

„Das geht leider nicht. Er …“

„Ich brauche nicht lange. Stefan?“, rief sie so laut, dass er es hören musste. „Ich weiß, dass du da bist. Muss ich mir hier draußen die Lunge aus dem Hals schreien?“

Rolf wurde verlegen, zögerte noch einen Moment und gab dann den Weg frei. Ericka betrat das Arbeitszimmer, wurde aber ungnädig empfangen. „Ich habe gerade eine Konferenzschaltung mit einflussreichen spanischen und italienischen Politikern beendet, Ericka.“

„Dann komme ich ja genau richtig.“

„Und ich habe noch mehr zu tun.“ Stefan ließ sich nicht so schnell beruhigen. „Ich nehme an, du bist hier, um dich über Mr. Walker zu beschweren?“

„Du hast es erraten. Ich hatte extra um einen unauffälligen, zurückhaltenden Mann gebeten, der mich nicht ständig behindert und mir unnötige Aufmerksamkeit beschert.“

„Mr. Walker hat ausgezeichnete Empfehlungen. Ich wollte für dich und Leo nur den Besten.“

„Das mag sein, aber Mr. Walker ist ein Ärgernis, seit er das Haus betreten hat. Er mag Sam, unseren Kater, nicht …“

„Verständlicherweise.“

„Aber Leo mag Sam …“

„… weil er noch zu klein ist, um Unterschiede zu machen“, fiel Stefan ihr ins Wort. „Hör mich an, Ericka. Du hast Mr. Walker noch keine echte Chance gegeben. Er ist heute den ersten Tag bei dir. Ich finde, eine Probezeit hat er verdient.“

„Du meinst wohl, einen zweiten Tag.“

„Nein.“ Stefan schüttelte den Kopf. „Ich spreche von mindestens einer Woche. Er hat auf meinen Wunsch zu Hause einen guten Auftrag abgelehnt.“

„Mir gefällt diese Überwachung meines Privatlebens nicht“, beharrte Ericka. „Glaubst du etwa im Ernst, dass Leo oder mir hier in Chantaine Gefahr droht?“

„Denk an den Zusammenstoß, den Eve vor unserer Hochzeit mit diesen Rowdys hatte.“

„Da ging es um etwas ganz anderes. Ich werde mich so wenig wie möglich in der Öffentlichkeit zeigen. Sollte es doch einmal unumgänglich sein, kannst du jemanden von deiner Schutztruppe für mich abstellen.“

„Ich will dir keine Angst machen, aber ich traue deinem Exmann nicht“, gab Stefan offen zu. „Er könnte einen Anschlag auf Leo planen, um uns finanziell zu erpressen.“

Ericka erschrak. „Jean Claude? Warum sollte er es auf Leo abgesehen haben? Meine Schwangerschaft war ihm völlig gleichgültig. Er versuchte nicht mal, mich zurückzuhalten, als ich nach Texas flüchtete.“

„Er könnte seine Meinung ändern, und für den Fall möchte ich vorbereitet sein.“

Treat hörte Stimmen auf der Veranda, als er durch den Flur ging. Er blieb stehen und sah durch die Glastür. Ericka saß gemütlich draußen, hatte ihren Tablet-PC vor sich und übte Gebärdensprache. Leo lag neben ihr und schien zu schlafen.

„Wie gefiel dir das, Leo?“, hörte er Ericka fragen. Dann begann sie zu lachen. „Du bist offenbar vor Langeweile eingeschlafen. Also kommst du ins Bett.“

Sie stand auf, nahm Leo auf den Arm und wandte sich zur Tür. Als sie Treat bemerkte, blieb sie abrupt stehen. Er öffnete ihr die Tür und sagte: „Ich habe beschlossen, den ganzen Gartenzaun zu sichern und Ihnen und Nanny Marley einen Alarmknopf zu geben.“

„Gut“, erwiderte Ericka gleichgültig. „Ich will Leo gerade ins Bett bringen. Er schläft, und das muss ich ausnutzen.“

„Ich habe inzwischen begriffen, dass er ein Schlafproblem hat“, sagte Treat. „Wegen der Taubheit sind seine anderen Sinne wahrscheinlich besonders aktiv. Lassen Sie nachts in seinem Schlafzimmer Licht an?“

„Nein“, gab sie zu. „Der Gedanke ist mir nicht gekommen. Ich lasse tagsüber sogar die Jalousien herunter, damit er nicht von der Sonne geblendet wird.“

„Man sollte vielleicht darüber nachdenken. Leo reagiert offenbar stark auf visuelle Reize. Und noch etwas. Sie sind allein in den Palast gefahren, ohne mir Bescheid zu sagen. Sie wissen doch, dass ich Sie begleiten muss?“

„Ich habe nicht daran gedacht. Es ist eine Umstellung für mich, wieder auf Schritt und Tritt überwacht zu werden.“

„Beschützt zu werden, wollten Sie wohl sagen. Noch eine letzte Kleinigkeit. Haben Sie etwas dagegen, wenn ich nachts den Swimmingpool benutze? Schwimmen gehört zu meinem täglichen Fitnessprogramm.“

Treat bemerkte den Blick, den Ericka auf seine Schultern heftete. Sie wirkte plötzlich befangen. „Natürlich habe ich nichts dagegen“, antwortete sie, nachdem sie sich geräuspert hatte. „Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte.“

Treat fühlte etwas Weiches an seinen Knöcheln und sah an sich hinunter. Sam strich um seine Füße.

„Er mag Sie“, stellte Ericka fest und ließ ihn stehen.

Treat sah ihr nach. Er kniff die Augen zusammen und trat von einem Fuß auf den anderen. Sam beobachtete ihn, miaute leise und erntete dafür einen vernichtenden Blick.

Treat wurde nicht schlau aus Ericka. Er hatte eine hochnäsige Prinzessin erwartet, und vielleicht war sie das sogar. Aber inzwischen hatte er auch andere Seiten an ihr entdeckt. Welche Prinzessin versuchte schon, sich selbst und ihrem kleinen Sohn die Gebärdensprache beizubringen?

Seit Jahren – genauer gesagt, seit seiner Footballverletzung – hatte sich Treat mit keiner Frau mehr ernsthaft eingelassen. Eine erfolgreiche Karriere war ihm wichtiger gewesen. Er hatte sich zum Bodyguard umschulen lassen und kämpfte seitdem mit seinem Partner für eine eigene Agentur. Der Ruf nach Chantaine bedeutete für ihn die Chance, sich auch im Ausland einen Namen zu machen.

Eine harmonische Zusammenarbeit mit Prinzessin Fredericka war daher von entscheidender Bedeutung für ihn. Und natürlich durfte er keine persönlichen Gefühle für sie entwickeln.

Kein Problem, dachte er.

3. KAPITEL

Wieder eine schlaflose Nacht, dachte Ericka, als am nächsten Morgen die Sonne durch den Spalt zwischen den Gardinen schien. Leo hatte nur stundenweise geschlafen. Vielleicht ängstigte ihn wirklich die Dunkelheit, wie Treat vermutet hatte. Sie musste sich darum kümmern.

Marley wollte ihr Leo abnehmen, aber nach der unruhigen Nacht zögerte Ericka, ihr Baby jemand anderem zu überlassen. Schließlich gab sie Marleys Drängen nach und ließ sich dann noch einmal erschöpft auf ihr Bett fallen. Sie hätte die Vorhänge öffnen sollen, um richtig wach zu werden, aber sogar dafür fehlte ihr die Energie.

Endlich stand sie mühsam auf, schleppte sich unter die Dusche und erschien kurz darauf halbwegs erfrischt in der Küche. „Hallo“, sagte Marley und schenkte ihr Kaffee ein. „Ich glaube, der Kleine schläft jetzt.“

Ericka nickte. „Er muss total übermüdet sein. Einschlafen … aufwachen, einschlafen … aufwachen … so ging es die ganze Nacht.“

„Sie hätten mich rufen sollen“, tadelte Marley.

„Schon möglich, aber ich war bockig und wollte es allein schaffen.“ Ericka trank den Kaffee wie ein Lebenselixier. „Mr. Walker hat vorgeschlagen, nachts in Leos Zimmer etwas Licht brennen zu lassen. Er meint, dass ein taubes Kind stärker als andere auf visuelle Reize angewiesen ist. Wenn ich nur wüsste, wo ich mir Rat holen kann.“

„Erstaunlich“, meinte Marley. „Ich hätte nicht geglaubt, dass sich Mr. Bodyguard solche Gedanken macht.“

„Ich, ehrlich gesagt, auch nicht“, gab Ericka zu.

„Noch Kaffee, Ma’am?“

Ericka hielt Marley ihre Tasse hin. „Gott sei Dank muss ich heute niemanden empfangen. Ich kann alles telefonisch erledigen.“

„Dann rate ich Ihnen zu einem ausgiebigen Nachmittagsschlummer. Anschließend gibt es Tee und Rosinenkuchen. Das wird Ihnen guttun.“

Im Lauf des Tages erledigte Ericka alle wichtigen Telefongespräche und ergänzte ihre Unterlagen für die Konferenz. Starker Kaffee half ihr dabei. Kurz vor dem Dinner schaltete sie ihren Computer aus, stand auf und reckte sich. Ein Sprung in den Swimmingpool … ja, das wäre jetzt genau das Richtige. Der Pool war beheizt und eine Runde im angenehm warmen Wasser würde sie jetzt wunderbar entspannen.

Sie zog einen Badeanzug an und ging über die Terrasse zum Pool. Mehrere Stufen führten ins Wasser hinunter, und auf der letzten blieb sie stehen. Es war doch kühler, als sie vermutet hatte. Sie zögerte, aber dann überwand sie sich und tauchte unter.

Sie zog eine lange Bahn, drehte um und schwamm zurück. „Los“, spornte sie sich selbst an. „Noch eine Runde.“

Wieder kraulte sie bis ans andere Ende und zurück. Diesmal war sie so außer Atem, dass sie sich am Beckenrand festhalten und nach Luft schnappen musste.

Eine warme Hand legte sich auf ihre. „Alles in Ordnung?“

Vor Schreck schluckte Ericka Wasser und musste husten. Sie hustete, hustete und hustete. Plötzlich spritzte es neben ihr, und jemand klopfte ihr auf den Rücken. Sie keuchte noch ein paar Mal und atmete dann tief durch.

„Mussten Sie mich so erschrecken?“, fragte sie und sah Treat vorwurfsvoll an. Er war mit voller Kleidung ins Wasser gesprungen. Das nasse Polohemd klebte ihm auf der Haut.

„Ich fürchtete, Sie könnten ersticken“, antwortete er. „Sie bekamen keine Luft mehr.“

„Ich hatte vor Schreck Wasser geschluckt“, erklärte Ericka. „Eigentlich wollte ich noch eine dritte Runde schwimmen, aber das haben Sie verhindert. Dabei habe ich in letzter Zeit viel zu wenig Sport getrieben.“

„Wenn Sie es sagen …“ Treat ließ sie nicht aus den Augen.

„Sind Sie schon mal Vater geworden?“

Er lächelte. „Nicht, dass ich wüsste.“

Ericka bemühte sich, die Treppe zu erreichen. Sie scheute Treats Berührung, aber er legte beide Hände um ihre Taille und half ihr die Stufen hinauf.

„Das … ist nicht nötig …“

„Ich helfe Ihnen gern.“

„Lassen Sie mich bitte los, ich komme allein zurecht.“

Doch er gab sie erst frei, als sie wirklich sicher auf den Steinfliesen stand. Dann fragte er: „Schläft Leo nachts immer noch so unruhig?“

„Leider ja.“

„Und Sie wachen lieber selbst bei ihm, anstatt die Nanny zu bitten? Das ist sicher sehr anstrengend – dann sollten Sie sich beim Sport vielleicht besser nicht so verausgaben.“

Warum musste er immer recht haben? Es wäre Ericka lieber gewesen, er hätte sich geirrt. Gründlich geirrt. „Es geht schon.“

„Ich bin Ihr Bodyguard.“ Treat streckte seine Hand aus. „Es darf Ihnen nichts geschehen.“

Sie ignorierte die Hand und wandte sich ab. „Sie haben mir das Bad verdorben.“

„Verdorben? Ich habe Sie gerettet!“, korrigierte er.

Ericka fuhr herum. „Wissen Sie was, Mr. Walker? Sie sind eine einzige Plage und werden in sechs Tagen von hier verschwinden!“

Diesmal lächelte er auf die überlegene Weise, die sie schon kannte. „Sechs Tage … arme Prinzessin. Ihr Bruder hat auf der Probewoche bestanden, nicht wahr?“

„Ich hasse Sie!“ hätte sie ihm am liebsten ins Gesicht geschrien, ließ ihn dann aber einfach stehen.

„Gute Nacht“, sagte sie über die Schulter. „Sie werden bald nicht mehr hier sein.“

„Wussten Sie, dass Beethoven einige seiner berühmtesten Werke geschrieben hat, als er schon völlig taub war?“, rief Treat ihr nach.

Ericka blieb stehen. Das hatte sie nicht erwartet. Die Erwähnung des tauben Komponisten rührte sie – viel tiefer, als sie sich eingestehen wollte.

„Gute Nacht“, wiederholte sie, aber diesmal klang es nicht so frostig.

Obwohl Ericka eine kleine Tischlampe in Leos Zimmer brennen ließ, wachte er in regelmäßigen Abständen auf und schrie aus Leibeskräften. Marley war immer gleich zur Stelle, aber Ericka fühlte sich als Mutter verantwortlich und blieb ebenfalls. Sobald sie Leo auf den Arm nahm, auf und ab ging und ihn dabei wiegte, hörte er auf zu weinen und schlief schnell wieder ein.

Zwischendurch setzte sie sich hin, nahm Leo auf den Schoß und versuchte, ein bisschen zu schlummern. Irgendwann kam Marley, nahm ihr das Baby ab und schickte sie ins Bett. Zu dem Zeitpunkt war sie so müde, dass sie augenblicklich einschlief.

Prompt erwachte sie am nächsten Morgen später als sonst. Sie fühlte sich zerschlagen und stand nur widerwillig auf. Die kurze Dusche belebte sie kaum. Sie brauchte unbedingt frischen, heißen Kaffee, und wie immer hielt Marley ihn in der Küche bereit.

„Milch und Zucker?“, fragte sie.

„Ein himmlischer Vorschlag. Haben Sie überhaupt ein Auge zugetan?“

„Ja, Ma’am. Seine Hoheit war so gnädig, eine halbe Flasche zu trinken und danach einzuschlafen. Bei Männern dreht sich alles ums Essen.“

„Wie wahr.“ Ericka kicherte vor sich hin. „Und wie steht es jetzt?“

„Er schläft noch.“

„Ich frage mich, ob wir zum Kochen und Putzen nicht eine zusätzliche Hilfe brauchen“, überlegte Ericka.

„Meinen Sie? Ich halte das für überflüssig. Sie haben doch mich … abgesehen von den wenigen freien Tagen, die ich in meinem kleinen Apartment verbringe.“

„Das stimmt schon, aber Leos Pflege ist anstrengender und zeitraubender, als ich gedacht habe. Allein schaffen wir es nicht.“

„Sie tun alles, was Sie können“, tröstete Marley sie. „Sie sind eine tapfere Frau. So ganz ohne Mann …“ Sie verstummte und schlug sich eine Hand vor den Mund.

„Schon gut.“ Ericka war nicht gekränkt. „Sie haben ja recht. Ich versuche trotzdem, alles richtig zu machen.“

„Und das gelingt Ihnen großartig. Seien Sie nicht zu streng mit sich selbst. Das macht die Last nur schwerer.“

Während Ericka an ihrem Computer arbeitete, rief ihre Schwester Bridget an. Auf die Frage, wie es ihr gehe, antwortete sie: „Wie soll es einem gehen, wenn man schwanger ist, fünfjährige Zwillinge an der Kandare halten und dazu alle möglichen Tiere versorgen muss, die unsere sogenannte Ranch bevölkern? Als ich einwilligte, einen amerikanischen Arzt zu heiraten, ahnte ich nicht, dass er Chantaine in ein zweites Texas verwandeln würde!“

Ericka lächelte über den Unmut ihrer Schwester, der nie lange anhielt. Bridget hatte ihre Rolle als Prinzessin früher sehr ernst genommen. Später hatte sie sich dann verliebt und unversehens in eine Farmersfrau verwandelt, die neben den Zwillingen – adoptierten Neffen ihres Mannes – auch zahlreiche Haustiere umsorgte.

„Wie viele Tiere habt ihr denn inzwischen? Ich meine, außer den Pferden, Rindern, Schafen und Ziegen …“

„Oh, Darling … wir haben längst einen kompletten Zoo und könnten Eintritt verlangen. Doch deswegen rufe ich nicht an. Ich weiß, du hast viel zu tun, aber Eve, Pippa und ich wollen, dass wir uns zu viert zum Lunch treffen. Bald ist Weihnachten, und ich muss jeden Tag mit dem Einsetzen der Wehen rechnen …“

„Ich würde gern kommen“, erwiderte Ericka, „wenn ich bloß mehr Zeit hätte! Leo und die Konferenz …“

„Du hast doch Nanny Marley und sicherlich noch mehr Hilfe.“

„Marley ist eine Perle, aber ich fürchte, ich muss noch jemanden einstellen … für die Küche, die Einkäufe und das Saubermachen.“

„Das hättest du längst tun sollen“, meinte Bridget. „Du mutest dir zu viel zu. Davon hat niemand etwas. Lass dir doch aus dem Palast das Essen schicken. Simon ist ein brillanter Koch.“

„Ich möchte den Palast ungern bemühen“, wandte Ericka ein.

„Ich weiß. Stefan regt sich darüber auf, dass du unbedingt in deinem Cottage bleiben willst. Persönlich kann ich dich gut verstehen. Ich wohne auch lieber weiter draußen, aber ich bestehe darauf, dass du dir Hilfe holst und dich übermorgen mit uns zum Lunch triffst. Kein Widerspruch!“

„Gut“, gab Ericka nach.

„Versprich mir, dass du dich im Palast meldest.“

„Auch das. Ciao, Bridget.“

Ericka zögerte, ließ sich schließlich aber doch mit der Personalabteilung des Palastes verbinden und fragte, ob man ihr in Zukunft das Abendessen ins Cottage schicken könne. Sofort erhielt sie die Zusicherung, dass es dem Chefkoch Simon eine Ehre sein würde.

Sie fütterte Leo, trug ihn eine Weile im Haus herum und vergaß darüber völlig die Zeit. Plötzlich war es Abend geworden. Sie rief nach Marley und übergab ihr das Baby. Erst jetzt merkte Ericka, wie hungrig sie war.

Ab morgen musste sie sich nicht mehr um das Abendessen kümmern, aber nun brauchte sie auf der Stelle etwas zu essen, und während sie noch überlegte, fiel ihr ein, was sie während ihrer Schwangerschaft in Texas so gern gegessen hatte.

Ein Sandwich mit Erdnussbutter und Speck.

Der Duft nach gebratenem Speck lockte Treat in die Küche, wo er Ericka antraf. „Sie braten sich Speck?“, fragte er überrascht.

„Schinkenspeck, um genau zu sein“, korrigierte sie ihn.

„Es riecht aber nach Speck.“

„Und doch gibt es einen Unterschied. Ich hätte lieber den Speck, den ich bei meiner Schwester in Texas gegessen habe, aber es muss auch so gehen. Ich darf den Schinkenspeck nur nicht zu scharf anbraten. Dann schmeckt er auch auf Erdnussbutter.“

„Erdnussbutter?“, wiederholte Treat verblüfft.

Ericka nickte. „Das Rezept stammt von meinem texanischen Schwager. Man braucht dafür Brot, Erdnussbutter und gebratenen Speck. Ein ausgezeichnetes Mittel gegen Stress. Es hat mir während meiner Schwangerschaft gute Dienste geleistet.“ Sie ließ den Schinkenspeck auf Küchenpapier abtropfen und bestrich eine Scheibe Brot mit Erdnussbutter.

„He!“, rief Treat. „An mich denken Sie gar nicht?“

„Wenn Sie Appetit darauf haben …“ Ericka lachte. „Schinkenspeck ist reichlich da, aber mit der Erdnussbutter muss ich sparen. Meine Schwester schickt sie mir aus Texas.“

„Dann nehme ich nur den Schinkenspeck“, erklärte Treat.

„Auf keinen Fall.“ Sie schnitt eine weitere Scheibe Brot ab, bestrich sie mit Erdnussbutter und legte den knusprigen Schinkenspeck darauf. „Guten Appetit … auf Ihr eigenes Risiko.“

„Das gehe ich ein.“ Er biss kräftig ab und prüfte den Geschmack. „Gar nicht schlecht.“ Er biss zum zweiten Mal ab. „Hmm, köstlich. Der Schinkenspeck ist vielleicht etwas zu salzig, aber es schmeckt trotzdem lecker.“

„Leider bestehen in Chantaine Importbeschränkungen, sonst würde ich vielleicht echten amerikanischen Speck bekommen“, meinte Ericka. „Vielleicht sollte ich mit Stefan sprechen oder meine Schwester Tina heimlich bitten, in das nächste Paket nicht nur Erdnussbutter, sondern auch echten Speck zu tun.“

„Ausgeschlossen“, sagte Treat. „Bedenken Sie den Skandal, wenn es herauskäme. ‚Prinzessin Fredericka importiert verbotenen Speck‘ …“

„Sie haben recht“, lachte Ericka. „Leider.“

Treat hatte sein Sandwich inzwischen aufgegessen und wischte sich die Hände ab. „Nach dem späten Imbiss gibt es nur noch das Bett.“

Ericka verschluckte sich an ihrem letzten Bissen, und Treat musste sie wieder auf den Rücken klopfen.

„Danke“, keuchte sie. „Es geht schon …“

Treat brachte ihr ein Glas Wasser, und das half. Sie trank in kleinen Schlucken und konnte endlich wieder frei atmen „Sie haben recht. Es ist Schlafenszeit.“

„Kann ich noch irgendetwas für Sie tun?“

„Nein danke, Mr. Walker.“

„Nennen Sie mich Treat.“

„Treat … was für ein seltsamer Name.“

„Es ist die Abkürzung von Montreat. So, wie Ericka die Abkürzung von Fredericka ist.“

„Interessant. Also dann … Gute Nacht, Mr. Walker.“

„Gute Nacht, Hoheit.“

Sie verstand den Wink. „Meinetwegen … Treat. Schlafen Sie gut. Ich muss noch aufräumen.“

„Das können Sie mir überlassen.“

Treat wusch die Pfanne und das Geschirr ab. Er ließ sich absichtlich Zeit dabei, denn er wollte Ericka Gelegenheit geben, sich in Ruhe zurückzuziehen. Als er die Küche endlich verließ, hörte er das Baby schreien. Sollte er Ericka zuvorkommen und sich um Leo kümmern? Er eilte die Treppe hinauf, aber es war schon zu spät. Ericka war über das Babyfon wieder aufgeschreckt worden.

„Was tun Sie hier oben?“, flüsterte sie.

„Ich wollte nach Leo sehen.“

„Das ist meine Aufgabe.“

„Schon möglich, aber Sie brauchen dringend Schlaf. Auch die heilige Fredericka muss sich gelegentlich ausruhen.“

Ericka verzog das Gesicht. „Ich habe nie behauptet, eine Heilige zu sein.“

„Dann versuchen Sie es auch nicht. Legen Sie sich wieder hin.“

„Und wer kümmert sich um Leo?“

„Ich“, stellte Treat nüchtern fest.

„Sie?“ Ericka machte große Augen. „Ein Football würde besser zu Ihnen passen.“

„Football oder Baby … das ist ziemlich egal. Man muss mit beiden behutsam umgehen.“

„Sie können ein Baby nicht mit einem Football …“

„Das war ein Scherz“, unterbrach er sie. „Ich habe schon mal ein Baby in den Schlaf gewiegt.“

„Wirklich?“ Ericka zögerte, aber sie war zum Umfallen müde und konnte das Angebot einfach nicht ablehnen. „Also gut. Nur für einige Minuten. Dann wecken Sie mich, und ich löse Sie ab.“

Sie verschwand in ihrem Schlafzimmer, und Treat übernahm den Dienst. Ein seltsamer Triumph erfüllte ihn, während er mit dem schreienden Baby auf dem Arm im Zimmer hin und her ging.

4. KAPITEL

Ericka erwachte während der Nacht und lauschte auf Geräusche aus dem Babyfon, aber es war nichts zu hören. Eine Weile starrte sie ins Dunkle, dann sagte sie sich, dass alles in Ordnung sei und sie weiterschlafen könne.

Aber war wirklich alles in Ordnung? Nein, denn sie hatte ihr Baby einem Footballspieler anvertraut.

Mit einem Satz sprang sie aus dem Bett. Sie musste verrückt gewesen sein, Treat mit Leo allein zu lassen!

Mit jagendem Puls erreichte sie das Kinderzimmer. Treat ging mit einer Taschenlampe auf und ab und malte Kreise an die Zimmerdecke. Als er Ericka bemerkte, legte er einen Finger auf den Mund und gebot ihr Schweigen.

Sie sah zu Leo hinüber. Seine Augen waren offen. Mit schläfrigem Blick folgte er den Lichtkreisen. Seine Lider senkten sich, wurden schwer und schwerer und fielen schließlich ganz zu.

Treat legte die Taschenlampe weg und scheuchte Ericka aus dem Zimmer.

„Was hatte das zu bedeuten?“, fragte sie.

„Wie ich schon sagte … Leo scheint Licht zu mögen.“

„Darum habe ich die Tischlampe brennen lassen.“

„Ich glaube, er mag bewegliches Licht, das er mit den Augen verfolgen kann. Er ist ein schlauer kleiner Bursche.“

Das Lob tat Ericka wohl. Sie wusste, dass ihr Leo Verstand besaß, aber bisher hatte das noch niemand so eindeutig bestätigt. Er war als hübsch, niedlich oder lebhaft bezeichnet worden, aber schlau hatte ihn noch niemand genannt.

„Ja, das ist er. Danke, dass Sie bei ihm gewacht haben. Dazu sind Sie nicht verpflichtet.“

„Ich brauche nicht viel Schlaf“, versicherte Treat.

„Darum beneide ich Sie.“ Ericka merkte, wie nah sie sich gegenüberstanden. Sie konnte sein frisches Shampoo und sein Duschgel riechen – und wie groß, wie riesengroß er war! Sie wollte das abstoßend finden, aber wenn sie ehrlich war, fand sie es eher anziehend. Die Art, wie er sie ansah … Unvermittelt spürte sie ein leises Ziehen im Magen. Was hatte das zu bedeuten?

„Sie können sich hinlegen. Marley und ich werden jetzt allein fertig. Nochmals vielen Dank.“

„Schon gut.“

Treat ging die Treppe hinunter und verschwand durch die Haustür. Er bewohnte einen seitlichen Anbau mit eigenem Eingang. Ericka hätte gern gewusst, womit er sich dort den ganzen Tag beschäftigte, wenn er nicht darüber nachgrübelte, wie sie und ihr Baby noch besser geschützt werden konnten. Sie selbst wäre in der Einsamkeit verrückt geworden. Sie brauchte Menschen um sich, aber Treat schien sich allein sehr wohlzufühlen.

Plötzlich wurde ihr klar, dass sie schon viel zu lange über ihn und seine Gewohnheiten nachdachte. Was ging es sie an, ob er andere Menschen brauchte oder nicht? Er lief ihr viel zu oft über den Weg und hinderte sie daran, das zu tun, was notwendig war.

Treat kehrte in seine kleine Privatwohnung zurück, fühlte sich dort aber wie ein Raubtier im Käfig. Am liebsten hätte er sich draußen müde gelaufen, aber er durfte das Grundstück nicht verlassen. Also kam nur der Swimmingpool infrage. Vielleicht würde er dann ruhiger werden.

Das Wasser kam ihm warm vor, aber daran war sicher die kühle Nachtluft schuld. Er schwamm mehrere Runden und wartete darauf, dass sich seine innere Unruhe legen würde. An dieser Anspannung war nicht nur die Prinzessin schuld. Die Stunden bei Leo hatten Erinnerungen in ihm geweckt – Erinnerungen an seinen behinderten Bruder.

Jerry.

Jerry war mit mehreren geistigen und körperlichen Behinderungen auf die Welt gekommen, aber mit einer reinen Seele. Das hatten seine Augen und sein Lächeln verraten. Leo dagegen lächelte kaum. Er beobachtete seine Umgebung zu genau, um zu lächeln. Er stellte Forderungen, und nicht nur, weil er taub war.

Jerry hatte auch Forderungen gestellt, aber nur, weil er sich selbst nicht helfen konnte. Der Vater war früh gestorben, und Treat hatte mit ansehen müssen, wie seine Mutter um das finanzielle Überleben kämpfte. Die Arzt- und Medikamentenrechnungen für Jerry waren bald nicht mehr zu bezahlen. Treat tat, was er konnte, aber seine Mutter drängte ihn, ein Sportstipendium anzunehmen. Also ließ er sich zum Footballspieler ausbilden, in der Hoffnung, später als Spitzensportler viel Geld zu verdienen und die Familie unterstützen zu können.

Doch seine Rechnung ging nicht auf. Jerry starb, wenige Monate nachdem Treat ans College gegangen war, und seine Mutter folgte ihm bald nach. Seitdem fühlte sich Treat wie ein Blatt im Wind. Wie ein Boot ohne Ruder.

Er schwamm noch einige Runden, um die quälenden Gedanken loszuwerden. Die Erinnerungen an Jerry und seine Mutter verblassten. Dafür drängten sich wieder Ericka und ihr Baby in den Vordergrund. Ob er es nun zugab, oder nicht: Ihre Hoheit beschäftigte ihn weit mehr, als er erwartet hatte und ihm lieb war.

Ericka stand früh auf, denn zwei Bildschirmkonferenzen standen auf ihrem Programm. Eigentlich telefonierte sie lieber mit ihren Gesprächspartnern, dann musste sie sich nicht umständlich zurechtmachen, aber in diesem Fall war ihr keine Wahl geblieben.

Später kam ein Anruf aus dem Palast, mit der Nachricht, dass im befreundeten Königreich Sergenia Unruhen ausgebrochen seien. Die jüngeren Mitglieder der regierenden Familie fühlten sich nicht mehr sicher und baten Chantaine um Asyl.

Es folgte eine Unterrichtsstunde mit Leo, die diesmal nicht der Gebärdensprache, sondern der Kunstgeschichte gewidmet war.

„Das ist Da Vincis ‚Mona Lisa‘“, erklärte Ericka und zeigte auf ihren Tablet-PC. „Er war ein berühmter Maler … genau wie Raffael.“ Sie lud eins seiner Gemälde herunter. „Dann ist da noch Michelangelo, dessen ‚David‘ du unbedingt kennenlernen musst. Eine ganz unglaubliche Skulptur! Es gibt nichts Vergleichbares.“ Bei den letzten Worten wies sie auf ihr Gesicht, was in der Gebärdensprache so viel wie wunderbar, unglaublich bedeutete.

„Ich merke, ich muss noch viel lernen“, erklang es von der Tür her. „Ich hörte erst als Teenager von Da Vinci.“

„Sie Ärmster.“

Treat lachte. „Keine Sorge. Ich habe später einiges über die Renaissancekünstler erfahren. Mir genügt es, aber mit Ihrer hohen Bildung kann ich natürlich nicht mithalten.“

Ericka überhörte die Spitze. „Sie können immer noch dazulernen“, meinte sie.

„Ich werde mich bemühen. Sind Sie so weit, Ihre Schwestern zum Lunch zu treffen?“

„Ja.“ Ericka stand auf und drängte sich an Treat vorbei. „Ich muss mich noch frisch machen. Marley wird sich um Leo kümmern.“

Sekunden später betrat Nanny Marley das Zimmer. „Wie geht es unserem Liebling?“

„Er hat eine Lehrstunde in Kunstgeschichte hinter sich.“

Marley nickte. „Ihre Hoheit gibt sich große Mühe, Leo künstlerisch und wissenschaftlich heranzubilden.“

„Wie steht es mit Sport?“

„Das muss ein anderer übernehmen.“

Ericka tauchte im Flur auf. „Ich bin fertig, Treat.“

„Ich komme, Hoheit.“

Ericka runzelte die Stirn. „Sie müssen mich nicht mit meinem offiziellen Titel anreden. Sonst nenne ich Sie wieder Mr. Walker.“

„Und wie soll ich Sie anreden?“

„Da Sie zum Haushalt gehören, dürfen Sie Ericka sagen.“

„Und in der Öffentlichkeit … wenn ich im Dienst bin?“

Ericka überlegte. „Warum nicht Miss? Einfach Miss? Ja, ich glaube, das ist am besten.“

„Einverstanden, Ericka.“ Treat begleitete sie zum Auto und hielt ihr die Tür zum Einsteigen auf.

Bis zu dem Café, wo das Treffen stattfinden sollte, war es nicht weit. Ericka wollte schnell aus dem Auto springen, aber das ließ Treat nicht zu. „Ich begleite Sie ins Café“, erklärte er.

„Hoffentlich nicht, um zu bleiben“, erwiderte Ericka, während er den Wagen parkte. „Es werden schon genügend Männer vom Sicherheitsdienst herumschwirren. Ihre Anwesenheit ist absolut überflüssig.“

„Überflüssig?“, wiederholte er und nahm ihren Arm. „Wie nett Sie das ausdrücken.“

Ericka seufzte. „Damit will ich nicht Ihre Männlichkeit infrage stellen, Treat. Ich kenne nur meinen Bruder. Er übertreibt gewaltig, wenn es um unsere Sicherheit geht.“

„Genau das schätze ich an ihm. Sie sind für andere zu wichtig.“ Er öffnete die Tür zum Café. „Ich glaube, dort drüben ist Ihr Tisch. Melden Sie sich, falls Sie mich brauchen.“

Ericka dachte noch über Treats letzte Worte nach. Waren sie wirklich für andere wichtig – nur, weil sie zur Herrscherfamilie gehörten? Das leuchtete ihr nicht ein, aber sie kam zu keiner Lösung, denn die hochschwangere Bridget erwartete sie mit ausgebreiteten Armen.

„Komm an meine Brust, Schwesterherz … sofern das bei dem Bauch noch möglich ist.“

Ericka fiel ihr lachend um den Hals. „Du siehst prächtig aus, Bridget.“

„Prächtig? Das wohl erst wieder nach der Entbindung.“ Sie deutete auf ihre Schwägerin. „Eve ist erst im sechsten Monat und kann sich noch sehen lassen. Wie geht es dem kleinen Leo?“

„Ausgezeichnet … sobald er schläft. Leider tut er das gerade nachts nicht.“

„Im Ernst?“, mischte sich Pippa ein. „Das hängt sicher mit seiner Taubheit zusammen.“

„Wir haben schon mit Hörgeräten geübt … bisher leider umsonst. Jetzt setzen wir alle Hoffnung auf die Operation, aber ich bringe ihm vorsichtshalber schon langsam die Gebärdensprache bei.“

Pippa seufzte. „Die sollten wir besser alle lernen.“

„Wie lieb von dir.“ Ericka war zu Tränen gerührt und drückte Pippa an sich.

„Nicht so wild, liebe Schwester.“ Pippa löste sich aus der Umarmung. „Jetzt denken wir erst mal an unser leibliches Wohl.“

Sie setzten sich um den Tisch herum und genossen den alkoholfreien Preiselbeercocktail, den Erickas Schwestern schon bestellt hatten. Anschließend gab es Omelette aux fines herbes mit Salat und als Dessert Mousse au Chocolat.

„Köstlich“, schwärmte Bridget. „Apropos, Ericka … Stefan lobt deinen Einsatz für die ‚Bessere Welt‘ Konferenz.“

„Auch uns gegenüber“, stimmten Pippa und Eve gleichzeitig zu.

Ericka bekam rote Wangen. „Vielen Dank. Ich habe sehr gute Kontaktleute. Über etwas anderes mache ich mir mehr Sorgen. Die Unruhen in Sergenia weiten sich aus. Der Prinz und seine Schwestern suchen Asyl, und ich halte Chantaine durchaus für geeignet.“

„Unser kleines Inselreich?“, meinte Pippa zweifelnd. „Wo wollen sie sich hier verstecken?“

„Sie müssten inkognito kommen und einen Job annehmen. Wie ich hörte, sind sie dazu bereit.“

„Was sagt Stefan denn dazu?“, fragte Bridget. „Er war immer für strikte Neutralität.“

„Man müsste ihn wohl ein wenig unter Druck setzen.“ Ericka sah ihre Schwägerin an. „Diese Rolle würde dir zufallen.“

„Da müsste ich erst Genaueres wissen“, antwortete Eve. „Stefan ist ein Schatz, aber er kann unglaublich stur sein.“

„Wohl wahr“, seufzte Pippa und hob ihr Glas. Sie tranken alle sprudelndes Mineralwasser. „Auf die Familie Devereaux und eine glückliche Zukunft.“

„Auf uns.“ Die vier Frauen stießen mit ihren Gläsern an, und Eve fügte hinzu: „Nächste Woche wird der Weihnachtsbaum im Ballsaal des Schlosses aufgestellt. Bridget hat für den festlichen Empfang schon abgesagt.“

„Weil mir im Moment nicht danach zumute ist. Meine Entbindung steht unmittelbar bevor. Außerdem haben wir zwei neue Ziegen bekommen. Ist eine von euch vielleicht interessiert?“

Alle schwiegen. Keine hatte Verwendung für eine Ziege.

Wenig später brachen sie auf. Ericka blieb zurück, bis Bridget, Pippa und Eve gegangen waren, und verließ dann erst das Café. Draußen erwartete sie eine Volksmenge, mit der sie nicht gerechnet hatte. Sie winkte und lächelte und atmete auf, als Treat plötzlich neben ihr stand.

„Gehen Sie zum Auto“, raunte er ihr zu. „Es steht hinter Ihnen.“

Im Nu war sie verschwunden, und Treat folgte ihr. „Das nächste Mal verlassen Sie als Erste das Lokal“, erklärte er streng. „Die Menge strömte erst zusammen, als man Ihre Schwestern erkannt hatte.“

„Ich bin nur aus Höflichkeit geblieben“, verteidigte sich Ericka.

„Das war dumm und leichtsinnig. Sie hätten zuerst oder mit ihnen zusammen das Café verlassen sollen. Denken Sie beim nächsten Mal daran. Ohne mich wären Sie in arge Bedrängnis geraten.“

Ericka wollte widersprechen, überlegte es sich aber anders. Treat hatte recht. Während ihres Aufenthalts in Texas hatte sie vergessen, wie neugierig die Menschen auf ihre gekrönten Häupter waren. Als Mutter musste sie jetzt doppelt aufpassen. Zum Glück war Treat zur Stelle gewesen, um sie zu schützen.

Als sie beim Cottage ankamen, kehrte ihre innere Ruhe zurück. Hier fühlte sie sich sicher und geborgen. Treat reichte ihr die Hand zum Aussteigen.

„Danke“, sagte sie. „Ich wollte meine Unabhängigkeit beweisen und habe dabei übertrieben. Entschuldigen Sie.“ Erst jetzt bemerkte sie die blutige Schramme auf Treats Stirn. „Mein Gott, Sie wurden ja verletzt. Und das meinetwegen!“

„Ein Verehrer war etwas hartnäckig“, erwiderte er. „Halb so schlimm.“

Ericka hob hilflos die Hände. „Wie leid mir das tut! Sie müssen sich unbedingt verbinden lassen.“

„Das ist nicht nötig. Ich habe schon bedeutend Schlimmeres erlebt. Sie sind nicht verletzt?“

„Ich?“, fragte sie überrascht. „Wie sollte das möglich sein? Sie haben doch auf mich aufgepasst.“

„Umso besser. Gehen Sie jetzt ins Haus … ruhen Sie sich aus. Ich bin in meiner Wohnung, falls Sie mich brauchen.“

Ericka sah ihm nach, bis er verschwunden war. Sie hätte ihm gern die Stirn verbunden. Die ganze Zeit hatte sie trotzdem behauptet, sie bräuchte ihn nicht, und stand jetzt da wie ein kleines, dummes Mädchen. Als Prinzessin Fredericka konnte sie sich einfach nicht so frei bewegen wie normale Menschen. Daran musste sie in Zukunft denken. Schließlich ging es nicht nur um sie, sondern auch um ihren Sohn.

5. KAPITEL

Am nächsten Tag wurde der künstliche, mit elektrischen Kerzen versehene Weihnachtsbaum geliefert. Er bestand aus drei Teilen, die zusammengesetzt werden mussten. Treat nahm die Kartons entgegen und trug sie herein.

„Starren Sie nicht so auf meine Stirn“, sagte er zu Ericka, die ihre Hilfe vergeblich angeboten hatte. „Wie geht es unserem kleinen Nervtöter heute Morgen?“

„Ich hasse es, ihn zu wecken.“

Treat runzelte die Stirn. „Aber ihm macht es nichts aus, Sie zu wecken.“ Er deutete auf die drei Kartons. „Die Lichterketten werden eine völlig neue Erfahrung für ihn sein.“

„Ganz bestimmt.“

Entgegen ihrer Überzeugung, ging Ericka nach oben, um Leo zu wecken. „Sei mir nicht böse“, murmelte sie zärtlich, als er den Mund weinerlich verzog. „Auf dich wartet eine tolle Überraschung.“

Sie sprach ganz bewusst mit ihm, obwohl er kein Wort hören konnte. Nach der Operation, so hoffte Ericka inständig, würde er sie hören und sogar verstehen. Darum sprach sie schon jetzt mit ihm.

Zusammen mit Leo setzte sie sich auf das Sofa und sah Treat erwartungsvoll an. „Wir sind so weit.“

„Okay, okay“, erwiderte er. „Es geht schon los.“

In erstaunlich kurzer Zeit hatte er die Kartons ausgepackt und den Baum zusammengesetzt. Leo nuckelte an seinem Schnuller, strampelte ab und zu mit den Beinen, gab aber keinen Laut von sich.

Erst als Treat die Kerzen einschaltete, verharrte er regungslos und sah mit großen Augen in das funkelnde Licht.

„Es gefällt ihm“, strahlte Ericka. „Er mag den Baum.“

Treat lächelte zufrieden. „Er wird ihn noch mehr lieben, wenn er geschmückt ist.“

„Ach ja, der Schmuck!“ Ericka fasste sich an die Stirn. „Er müsste oben in meinem Kleiderschrank sein. Meine Schwester Tina hat ihn mir mitgegeben.“ Sie stand auf. „Ich hole ihn.“

„Nein, überlassen Sie das mir. Sie bleiben hier bei Leo.“

Ericka setzte sich wieder hin und nahm Leo auf den Schoß. „Die Kerzen gefallen dir, nicht wahr, mein Süßer? Weihnachten ist die schönste Zeit im Jahr. Die Zeit des Lichts und der Liebe. Vergiss das nie.“

Treat kam mit zwei Schachteln und einer Girlande zurück. „Zuerst die Girlande“, meinte er. „Sie könnten inzwischen die Schachteln öffnen.“ Er flocht die glitzernde Kette geschickt durch die Zweige. Ehe Ericka die erste Silberkugel aufgehängt hatte, war er fertig und griff nach einem Goldstern.

„Überlassen Sie mir wenigstens die Kugeln“, bat Ericka. „Sie scheinen ein Experte im Baumschmücken zu sein.“

„Zu Hause gehörte es zu meinen Aufgaben, den Baum aufzustellen und zu schmücken“, erklärte er. „Wir hatten nicht so kostbaren Schmuck wie Sie, und es gab auch kein Ingwerbrot und keinen edlen Braten. Aber wenn die Kerzen angezündet wurden, war ich zufrieden. Es tat mir jedes Mal weh, wenn der Baum nach Neujahr wieder entfernt wurde.“

Ericka nickte. „Ich bekam als Kind nie mit, wann der Baum aufgestellt und wann er weggeschafft wurde. Das erledigte das Hauspersonal. Ich weiß nur, dass ich jedes Jahr vergeblich darum bat, unter dem Baum schlafen zu dürfen. Sobald er nicht mehr da war, wirkte der Palast wieder kalt und fremd. Ganz anders war es bei meiner Schwester in Texas. Ein so buntes und fröhliches Weihnachtsfest hatte ich noch nie erlebt. Diese Erfahrung möchte ich an Leo weitergeben.“

„Sie sind gerade dabei“, bemerkte Treat und fing an, Lametta in die Zweige zu hängen.

Nach einer knappen halben Stunde stand der Baum fertig geschmückt da. Treat trat zurück und begutachtete sein Werk. „Ein schöner Anblick“, meinte er.

Leo quiekte und strampelte wild mit den Beinen. „Er reagiert auf den Baum“, sagte Ericka erfreut.

„Ein gutes Zeichen“, stimmte Treat zu. „Immerhin ist es sein erstes Weihnachten. Auf ein Gemälde von Picasso würde er vermutlich nicht so begeistert reagieren.“

Ericka lachte. Treats Scherze lockerten sie auf. Überhaupt fühlte sie sich so leicht und frei wie seit Leos Geburt nicht mehr. Sie betrachtete ihren kleinen Sohn, und eine wachsende Freude erfüllte ihr Herz. Ihre Wangen röteten sich, die blauen Augen leuchteten vor Glück. Sie würde diesen besonderen Moment immer im Gedächtnis behalten.

„Danke“, sagte sie zu Treat und wiederholte es in allen Sprachen, die sie kannte. „Grazie, Merci, Gracias, Thank you …“

Treat legte ihr einen Finger auf den Mund. „Ich habe schon verstanden, Ericka … und es war mir ein Vergnügen. Sie können stolz auf sich sein.“

„Ich … stolz auf mich?“, fragte sie erstaunt. „Dies alles ist doch Ihr Werk.“

„Unterschätzen Sie sich nicht.“ Er winkte Leo zu und verließ den Raum.

Ericka blickte ihm nach. Ohne Leo wäre sie jetzt vor Rührung in Tränen ausgebrochen. Mit bebenden Händen streichelte sie sein Gesichtchen, aber er schien es kaum zu bemerken. Er sah mit großen, glänzenden Augen immer nur auf den Weihnachtsbaum.

Abends machte Treat seinen letzten Rundgang, trainierte anschließend und schwamm mehrere Runden im Swimmingpool. Das leicht erwärmte Wasser tat ihm wohl. Es umschmeichelte seinen erhitzten Körper und brachte ihn auf andere Gedanken.

Doch es fiel ihm schwer, die Prinzessin und ihren Sohn zu vergessen. Sie beschäftigten seine Fantasie, und er musste sich müde schwimmen, wenn er wenigstens vorübergehend Schlaf finden wollte.

Er schlief auch tatsächlich ein, aber Ericka und Leo verfolgten ihn bis in seine Träume. Er wurde die Bilder einfach nicht los und war kurz nach Mitternacht schon wieder wach.

Seine Schutzbefohlenen beschäftigten ihn weit mehr, als ihm lieb war.

Der Erste, der Treat am nächsten Morgen begrüßte, war Sam. Er strich schnurrend um seine Beine und folgte ihm bis in den behaglichen Wohnraum, wo der Weihnachtsbaum stand.

Ich muss den Baum anbinden, dachte Treat, sonst wirft der Kater ihn noch um. Er holte eine Schnur aus seinem Zimmer, wand sie auf halber Höhe um den Baumstamm und befestigte die Enden an einem Wandhaken.

„Wozu soll das gut sein?“ Ericka erschien in der offenen Tür. Sie trug einen leichten Morgenmantel und war anscheinend gerade erst aufgestanden.

„Ich befestige den Baum“, antwortete Treat. „Das hätte ich schon gestern tun sollen.“

„Aber warum?“

„Weil ein Kater im Haus ist. Er könnte den Baum als Spielplatz betrachten.“

„Er scheint Sie viel interessanter zu finden. Ich fürchte, er mag Sie.“

„Sam streicht um meine Beine, um seinen Duft abzusetzen. Mein Menschengeruch stört ihn.“

Sam miaute kläglich.

„Er verlangt sein Frühstück“, meinte Ericka. „Mir geht es genauso.“

Der Kater schien sie verstanden zu haben, denn er jagte mit erhobenem Schwanz davon.

Treat sah ihm nach. „Hat Sam besondere Angewohnheiten?“

„Tagsüber schläft er viel“, antwortete Ericka. „Nachts legt er sich auf das Wandbrett über Leos Bett, hält Wache und miaut laut, wenn wir nicht schnell genug auf Leos Weinen reagieren.“

„Ein kluges Tier.“ Treat folgte Sam in die Küche. „Ich brachte als Kind einmal eine herrenlose Katze mit nach Hause, aber mein Vater zwang mich, sie ins Tierheim zu geben.“

„Wie grausam“, sagte Ericka voller Mitgefühl.

„Bedauern Sie mich nicht. Ich habe es überlebt.“

„Ich bedauere Sie nicht, sondern ich spreche aus Erfahrung. Ich wünschte mir einen Hund, als ich noch klein war, aber im Palast kam das natürlich nicht infrage. Es wäre nicht passend gewesen.“ Ericka nahm Sam auf den Arm und streichelte ihn, bis er anfing zu schnurren.

„Er mag Sie und nicht mich“, beendete Treat das Gespräch. „Ich bin eher ein Konkurrent für ihn, der sein Revier bedroht.“

Er ging und fühlte die Blicke, die Ericka und Sam ihm nachschickten. Er musste zugeben, dass er ein bisschen durcheinander war.

Nachdem Ericka einige wichtige Telefonate erledigt hatte, wechselte sie Leos Windel und zog ihn für einen Besuch im Krankenhaus an, wo sein Gehör getestet werden sollte.

Sie saß schon am Steuer und wollte gerade losfahren, als Treat ihr in den Weg trat. „Halt!“, rief er. „Was haben Sie vor?“