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LIEBESSOMMER MIT EINEM FÜRSTEN von SHARON KENDRICK In London lernt Melissa den attraktiven Fürsten Cristiano von Zaffirinthos kennen. Mit feurigen Küssen umwirbt er sie heiß. Aber meint er es ernst? Oder sucht der begehrteste Junggeselle Europas nur eine sinnliche Sommerromanze? WIE SOMMERREGEN IN DER WÜSTE von JENNIFER LEWIS Ein Garten mitten in der Wüste? Landschaftsarchitektin Celia ist hingerissen. Doch der Auftrag kommt von Scheich Salim Al Mansur. Obwohl er ihr einst das Herz brach, weckt er noch immer ihre Leidenschaft. Dennoch: Niemals darf er ihr größtes Geheimnis erfahren! SOMMER DER SEHNSUCHT von MAUREEN CHILD Jesse King!Sofort erkennt Bella ihren neuen Vermieter. Und die Erinnerungen an die gemeinsame magische Nacht lassen ihr verletztes Herz schneller schlagen. Eigentlich dürfte sie sich nicht mehr nach jenem Sommer sehnen. Doch der Geschäftsmann ist einfach unverschämt sexy …
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Seitenzahl: 560
Sharon Kendrick, Jennifer Lewis, Maureen Child
JULIA SAISON BAND 62
IMPRESSUM
JULIA SAISON erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg
Neuauflage in der Reihe JULIA SAISON, Band 62 07/2021
© 2010 by Sharon Kendrick Originaltitel: „The Royal Baby Revelation“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: SAS Deutsche Erstausgabe 2010 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe JULIA EXTRA, Band 325
© 2010 by Jennifer Lewis Originaltitel: „The Desert Prince“ erschienen bei: Silhouette Books, Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Kai Lautner Deutsche Erstausgabe 2010 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe BACCARA, Band 1628
© 2009 by Maureen Child Originaltitel: „Conquering King’s Heart“ erschienen bei: Silhouette Books, Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Andrea Greul Deutsche Erstausgabe 2010 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe BACCARA, Band 1620
Abbildungen: BigLike Images / Shutterstock, alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 07/2021 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783751501705
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY
Goldenes Licht strahlte von der hohen Decke herab, doch Melissa nahm es kaum wahr. Selbst ein Palast verblasste zur Bedeutungslosigkeit im Vergleich mit dem Wissen, dass der Augenblick gekommen war.
Endlich.
Manchmal schien es, als wäre ihr ganzes Leben auf diesen einen Moment ausgerichtet gewesen. Jenem Moment, in dem sie den kleinen Plastikstreifen in den zitternden Fingern gehalten und auf den blauen Punkt gestarrt hatte, der ihre Schwangerschaft bestätigte.
In diesem Augenblick hatte sich die Welt, wie Melissa sie kannte, komplett verändert.
„Hast du mich überhaupt gehört, Melissa?“ Stephens Stimme holte sie jäh aus ihren Gedanken zurück. „Ich sagte, der Fürst wird dich gleich empfangen.“
„Ja, natürlich habe ich gehört.“ Mit klopfendem Herzen warf sie einen kurzen Blick in einen der großen Spiegel, die im Vorzimmer zum Audienzraum des Palastes von Zaffirinthos hingen. Sie war nicht eitel, für Eitelkeit war in ihrem Leben kein Platz, selbst dann nicht, wenn ihr Aussehen die Rechtfertigung dafür geliefert hätte. Nein, mit ihrem Äußeren würde sie niemanden zu Begeisterungsstürmen hinreißen. Aber eine Audienz beim Fürsten …
Dem Fürsten, der Vater ihres Sohnes war.
Wohl zum hundertsten Male richtete sie sich das lange dichte Haar und hoffte, dass sie besser aussah, als sie sich fühlte. Denn sie wollte den bestmöglichen Eindruck machen. Cristiano sollte sehen, dass sie etwas wert war – dass sie es wert war, die Mutter seines Kindes zu sein.
Mit feuchten Handflächen strich sie sich das neu erstandene Leinenkleid glatt. „Wie sehe ich aus?“, fragte sie Stephen nervös.
Er warf ihr einen kurzen Blick zu, bevor er sich wieder auf das Clipboard in seinen Händen konzentrierte. „Gut. Dir ist schon klar, dass er nicht einmal bemerken wird, was du anhast, oder? Das tun Aristokraten nie. Wir sind angeheuert worden, gehören somit zur Dienerschaft – sozusagen zum Inventar. Und damit haben wir ungefähr den gleichen Status wie die Tapete an der Wand.“
„Tapete, also“, wiederholte sie tonlos.
„Richtig, Tapete. Wir gehören zum Hintergrund, zur Umgebung. Von dir will er nur knappe Informationen für den heutigen Ball. Den genauen Ablauf habe ich ihm schon unterbreitet, aber da du die Blumenarrangements und das Orchester organisiert hast, will er mit dir persönlich sprechen. Aus Höflichkeit, um dir zu danken. Also, denk dran – halte es kurz und bündig, und rede nur, wenn du gefragt wirst.“
„Das ist mir klar.“ Sie hielt inne. „Ich bin dem Fürsten schon einmal begegnet.“
Stephen sah mit gerunzelter Stirn auf. „Wann?“
Warum hatte sie das jetzt gesagt? Etwa, um den Weg für die Verwirklichung des Traumes zu ebnen, den sie schon so lange träumte? Nämlich, dass Cristiano ohne Zögern Ben als seinen Sohn und Erben anerkennen würde. Damit sie endlich stolz den Namen von Bens Vater preisgeben konnte, anstatt bei der Frage verlegen an der Lippe zu kauen und zu antworten, dass sie lieber nicht darüber sprechen würde.
Das Problem war nur, ein solches Traumszenario war eben nicht mehr als das – ein Traum. Der Fürst würde alles andere als begeistert sein, wenn sie die Bombe platzen ließ, vor allem, da die Frau seines jüngeren Bruders gerade erst einen Sohn zur Welt gebracht hatte. Die internationale Presse hatte die Geburt des Erben auf den Thron des märchenhaft schönen Fürstentums im Mittelmeer gefeiert. Nur wusste Melissa, dass es so nicht stimmte. Denn Ben war der wahre Thronerbe.
Sie räusperte sich. „Damals bei der Ausstellung von Zaffirinthos’ Schätzen in London. Cristiano kam zu der Feier am Abend. Erinnerst du dich nicht?“
„Sicher erinnere ich mich. Du hast damals mitgeholfen, Kanapees anzubieten. Aber Mel, mal ehrlich … ich bezweifle, dass du mehr zu ihm gesagt hast als: ‚Noch ein Hors d’œuvre, Hoheit?‘ Meinst du, daran erinnert er sich noch?“
Melissa lächelte nur nervös. Natürlich war es ihrem Chef nicht aufgefallen. Zwischen der Assistentin des Eventplaners und dem illustren Ehrengast hatte es weder Augenkontakt noch sonstige Anzeichen gegeben, die bei irgendjemandem Vermutungen heraufbeschworen hätten.
Doch wie würde Stephen wohl reagieren, wüsste er, was der Fürst am nächsten Abend zu ihr gesagt hatte, als sie sich kalt und ausgebrannt gefühlt und sich nach menschlicher Wärme und Trost gesehnt hatte? Sinngemäß etwas in der Richtung, welches Verbrechen es sei, dass sie Unterwäsche trug … und dann hatte der Fürst begonnen, ihr die Unterwäsche auszuziehen, begleitet von heißen, leidenschaftlichen Küssen, die jeden möglichen Widerstand sinnlos erscheinen ließen.
Offensichtlich ahnte Stephen nicht einmal, dass sie eine Liebesnacht mit dem Regenten des reichen Inselfürstentums erlebt hatte. Dass Fürst Cristiano Bens Vater war. Aber, um genau zu sein, ihre Tante in England, die sich im Moment um Ben kümmerte, wusste es ebenso wenig. Niemand wusste es, nicht einmal Cristiano selbst. Ein schmerzliches Geheimnis, das sie bisher für sich behalten hatte. Aber schon bald würde sie endlich von dieser Last befreit sein.
„Und man ist natürlich noch immer um die Gesundheit des Fürsten besorgt“, sagte Stephen jetzt.
Melissa verspannte sich. „Er ist doch nicht etwa krank?“
„Krank? Nein, er ist der durchtrainierteste Mann, den ich je gesehen habe. Ein Wunder, wenn man bedenkt, dass er letztes Jahr noch mit dem Tod gerungen hat.“
Trotz des lauen Maiabends erschauerte Melissa. Nur zu gut erinnerte sie sich an die Zeit, da sie stundendenlang vor dem Fernsehgerät gesessen und auf Neuigkeiten in den Nachrichten gewartet hatte.
Der Fürst kämpft um sein Leben war die grausige Schlagzeile gewesen, die ihr klargemacht hatte, dass sie etwas unternehmen musste. Nach Cristianos Genesung konnte sie den Kopf nicht länger in den Sand stecken. Sie musste ihm von dem Baby erzählen. Bisher hatte sie keinen Erfolg gehabt, ihn zu kontaktieren – Leute wie sie kamen nun mal schwer in die Nähe von Landesregenten –, aber diese Gelegenheit musste sie wahrnehmen. Ben war mehr als nur der wunderschöne kleine Junge, den sie mehr als ihr Leben liebte. Er war ein Fürstensohn, ein Thronerbe. Und hatten nicht Vater und Sohn beide das Recht, voneinander zu erfahren?
„Er ist vom Pferd gestürzt, nicht wahr?“ Es war das Einzige, was sie über den Unfall wusste. Vielleicht konnte Stephen ihr ja mehr erzählen?
„Ja. Der tollkühne Narr. Ist direkt auf den Kopf gefallen, hat wochenlang im Koma gelegen.“
„Aber jetzt geht es ihm wieder gut?“
„Scheinbar. Einer aus der Dienerschaft war jedoch indiskret genug, um mir gegenüber anzudeuten, dass er seit seinem Unfall eine Kälte im Umgang mit anderen Menschen an den Tag legt, vor der jedem graust.“
Das war nicht das, was Melissa sich zu hören gewünscht hatte. Sie wollte hören, dass der Fürst der netteste, freundlichste Mensch auf der Welt war. Dass er ihr, nachdem sie ihm ihre weltbewegenden Neuigkeiten mitgeteilt hatte, lächelnd versicherte, dass sie sich keine Sorgen zu machen brauche, weil er sich von nun an um alles kümmern würde.
„Kälte?“
„Eiseskälte“, bekräftigte Stephen lachend. „Also, wie ich gesagt habe – kurz und bündig.“
„Ich werd’s versuchen.“ Mit seltsam stockenden Schritten folgte sie dem Diener, der aufgetaucht war, um sie in das Arbeitszimmer des Fürsten zu führen.
Erst gestern war Melissa im Palast angekommen – eingeflogen mit einem Privatjet, um Stephen bei der Ausrichtung des Balls zu helfen, den der Fürst nachträglich für die Hochzeit seines jüngeren Bruders Xaviero und dessen Frau Catherine sowie zur Geburt ihres Sohnes gab. Sicherlich eine ganz andere Art zu reisen, als sie es sonst von den überfüllten Bussen und Bahnen her gewohnt war.
Stephen Woods, ihr Chef, schien dieser Tage das Monopol auf das Organisieren von Anlässen in höchsten Gesellschaftskreisen zu besitzen, vor allem beim Adel. Dabei war Melissa eher durch Zufall in diese Anstellung hineingestolpert. Sie hatte als Zeitkraft in einer seiner Filialen gearbeitet, nachdem sie nach dem Tod ihrer Mutter das Studium hatte abbrechen müssen.
Der extrovertierte Eventplaner erkannte ihr Talent sofort und machte sie zu seiner Assistentin. Immer wieder versicherte er ihr, wie unschätzbar wertvoll ihre Arbeit für ihn war. Daher stimmte er auch bedenkenlos zu, dass sie ihre Arbeitszeiten selbst bestimmte, damit sie sich um Ben kümmern konnte – und dafür war sie ihm unendlich dankbar.
Ben … Melissa befand sich so sehr in Gedanken verwoben über die Zukunft ihres kleinen Jungen, dass sie ihre prachtvolle Umgebung gar nicht wahrnahm, bis eine tiefe Stimme hinter der reich verzierten Flügeltür, an die der Diener geklopft hatte, kurz angebunden hervordrang.
„Sí?“
Schon wurden die Türen aufgestoßen. Melissas Hände zitterten leicht, als sie über die Schwelle trat – und nicht nur ihre Hände. Sie fragte sich ernsthaft, ob ihre Beine sie tragen würden …
Und dann sah sie ihn. Hinter seinem Schreibtisch sitzend, eine Aktenmappe vor sich, über die er den Kopf gebeugt hielt. Er hätte eine reglose Statue sein können, gehauen aus schwarzem Marmor. Ihre Gegenwart nahm er vorerst nicht wahr, und so nutzte Melissa den Moment, um seinen Anblick in sich aufzusaugen. Das dunkle Schimmern seiner Haare und die breiten Schultern ließen ihren Puls schneller schlagen. Er mochte geboren worden sein, um ein Land zu regieren, aber für sie war er einfach nur der attraktivste Mann, den sie je gesehen hatte. Daran schien sich auch in den fast zwei Jahren seit ihrer ersten Begegnung nichts geändert zu haben.
Sein Kopf ruckte hoch, er blickte zu ihr hin, und goldene Augen, umrahmt von dichten schwarzen Wimpern, bohrten sich in ihre. Das rabenschwarze Haar, die muskulöse Gestalt, die markanten Züge … ja, das war Cristiano, so, wie sie ihn in Erinnerung hatte, wie sie ihn immer wieder in ihren Gedanken und Träumen vor sich gesehen hatte. Und doch war etwas grundlegend anders. Seine Züge waren härter geworden, grimmiger. Melissa schluckte. Er trug eine Art Uniform, strahlte hochherrschaftlichen Stolz aus und schien absolut unnahbar.
Dabei war er damals durchaus zugänglich gewesen, oder etwa nicht? Melissa versuchte, sich die Nächte in Erinnerung zu rufen, als ihre Körper sich in hitziger Leidenschaft vereint hatten, doch das half nicht, ihre plötzliche Nervosität zu dämmen. Nur, weil man etwas mit dem Verstand begreifen konnte, hieß das nicht, dass man auch in der Lage war, emotionell damit umzugehen.
Doch es war zu spät, um noch einen Rückzieher zu machen. Mit hämmerndem Herzen lächelte Melissa. Er war der Vater ihres Kindes. Ganz gleich, was in der Vergangenheit geschehen war … die Zukunft konnten sie sicherlich wie vernünftige Erwachsene besprechen, oder?
Sie hatte nicht unbedingt damit gerechnet, dass er aufspringen und sie beglückt in seine Arme ziehen würde, aber irgendein Zeichen des Erkennens hätte sie schon erwartet – Erstaunen, auch Schock und Empörung, doch nichts. Seine Haltung blieb kühl und distanziert – frostig, eiskalt.
„Hallo“, brachte sie nur mühsam hervor.
Cristiano war so sehr in seine Arbeit vertieft gewesen, dass er für einen Moment nicht auf den Gruß mit dem weichen britischen Akzent reagierte. Erst jetzt musterte er die Frau, die vor ihm stand, mit zusammengekniffenen Augen.
Ihr langes Haar hatte die Farbe starken Tees, ihre Augen waren grün, die Haut so hell, dass sie fast durchsichtig schien. Die auffälligste Eigenschaft ihres klassisch geschnittenen Kleides war die Tatsache, dass es die Aufmerksamkeit automatisch auf lange, wohlgeformte Beine zog.
Er runzelte die Stirn. Sein ganzes Leben wurde von Protokoll und Etikette bestimmt, sie gehörten zu seinem Leben wie jeder Atemzug, den er tat. Des Öfteren lehnte er sich dagegen auf, aber … dass ihm beides plötzlich abhanden gekommen schien, reichte aus, um ihn zu verärgern.
Der Fürst legte den goldenen Füllfederhalter ab. „Und Sie sind …?“
Melissas Lächeln wankte. Sollte das ein Scherz sein? Und hieß es nicht, bernsteinfarbene Augen seien warm? Doch der Blick, mit dem Cristiano sie musterte, war eiskalt. Mit hämmernden Herzen suchte sie in seiner hochmütigen aristokratischen Miene nach einem Zeichen des Erkennens, irgendeine Andeutung, dass er in ihr die Frau sah, die er immer und immer wieder geliebt hatte. Doch nichts. Nichts außer dieser frostigen, ablehnenden Musterung. Und langsam dämmerte ihrem protestierend aufbegehrenden Verstand die unfassbare Wahrheit.
Er weiß nicht, wer du bist!
Sicher, ihre Affäre hatte nur wenige Tage gedauert. Aber war sie wirklich so leicht zu vergessen? Hatte er ihr nicht sogar versichert, dass er die Leidenschaft, die sie miteinander geteilt hatten, auf immer in Erinnerung behalten würde? Oder war das nur sein üblicher Spruch, den er bei allen seinen Gespielinnen aufsagte? Auch wenn er ihr damals das Gefühl gegeben hatte, etwas Besonderes für ihn zu sein …
Melissa blinzelte und musste sich zusammennehmen, um nicht etwas völlig Verrücktes zu tun. Um nicht herauszusprudeln: „Hoheit, ich kann das Gesicht meines Sohnes in Ihren Zügen sehen.“ Oder anders: „Zu Hause habe ich jeden Tag eine Miniaturversion von dir vor Augen, Cristiano. Deinen Erben, von dem du noch nichts weißt.“
Nur konnte sie das unmöglich tun, erst recht nicht, da er sie anschaute, als wäre sie unerwartet vom Himmel gefallen und würde jetzt ein Loch in den kostbaren Seidenteppich brennen.
„Ich bin Melissa.“ Gegen alle Vernunft hoffte sie, dass ihr Vorname eine Erinnerung in ihm wachrief. Hatte er nicht einmal zu ihr gesagt, ihr Name ließe ihn an köstlichen Nektar denken? „Melissa Maguire.“
Gelangweilt schaute er sie an. „Jetzt weiß ich auch nicht mehr.“
Was könnte sie sagen, um an seine Erinnerung zu rühren? „Ich … ich lebe ein wenig außerhalb von London, in Walton-on-Thames.“ Hatte er ihr nicht gestanden, dass der Tag, an dem sie mit dem kleinen Boot den Flussarm entlanggerudert waren, einer der schönsten seines Lebens gewesen war? „Man kann dort Ruderboote mieten. Vielleicht können Sie sich ja …“
„Ich wollte nicht Ihre Lebensgeschichte hören, sondern wissen, weshalb Sie in meine Privaträume eindringen und zudem eine Haltung an den Tag legen, der es eindeutig an Respekt für meine Position mangelt. Weder senken Sie den Blick noch machen Sie einen Hofknicks, Dinge, die mir normalerweise entgegengebracht werden. Stattdessen richten Sie das Wort an mich wie an einen alten Bekannten.“
Zutiefst erniedrigt schlug Melissa den Blick nieder und sank in einen Hofknicks, während heißer Zorn an ihr nagte. Wieso sollte sie vor ihm kriechen, wenn sie die Mutter seines Kindes war?!
Nur war es vermutlich nicht der richtige Zeitpunkt, sich widerspenstig zu geben. Also vollzog sie den besten Knicks, der ihr möglich war, so weit ihre Rage und ihr Kleid es zuließen. „Verzeihen Sie, Hoheit.“
„Hoheit“ – nicht mehr lange würde man ihn mit diesem Titel anreden. Düster dachte er an den Weg, den er einzuschlagen gedachte. Schon bald würde er frei von allen Pflichten sein, die sein Leben zu einem goldenen Käfig machten. Wenn er erst seine Ankündigung auf dem Ball heute Abend gemacht hätte, würde das ein für alle Mal die Spekulationen beenden.
Noch während er auf das gebeugte Haupt der Engländerin schaute, meldete sich seine Intuition – etwas, das nach dem Reitunfall nicht verloren gegangen war, obwohl der Sturz ihm vieles geraubt hatte. Etwas an ihr, an ihrem Verhalten, ergab keinen Sinn, auch wenn er es nicht greifen konnte.
„Stehen Sie auf!“, wies er ungeduldig an.
Melissa richtete sich auf und hob den Blick. „Ja, Hoheit?“
„Wieso sind Sie hier?“
„Sie haben nach mir geschickt.“
Hatte er? In Wahrheit beschäftigte er sich schon länger so intensiv mit dem Schritt, den er unternehmen wollte, dass er sich um das Tagesgeschäft im Palast kaum noch gekümmert hatte. Kühl schaute er sie an. „Nun gut, dann frischen Sie meine Erinnerung auf. Beantworten Sie endlich meine Frage – wer sind Sie, und was wollen Sie?“
Auf beleidigendere Weise hätte er ihre Unwichtigkeit wohl kaum betonen können, nur würde sie ihn nicht sehen lassen, wie sehr es sie verletzte. Sie würde sich auf die Tatsache beschränken, die den Vorwand für ihr Hiersein geliefert hatte.
„Ich arbeite für Stephen Woods, den Eventplaner. Von England aus habe ich bei der Organisation des heutigen Balls mitgewirkt. Gestern bin ich angekommen, um die letzten Details zu arrangieren. Stephen bat mich, Ihnen eine kurze Übersicht über den zeitlichen Ablauf zu geben.“ Stephen hatte auch gesagt, der Fürst wolle ihr danken, aber irgendwie hielt sie das jetzt für unwahrscheinlich.
„Hat er das?“ Cristianos Augen wurden schmal. „In diesem Falle … Setzen Sie sich und führen Sie mich durch die Planung.“
Melissa befeuchtete sich die trockenen Lippen und ermahnte sich, nicht nervös zu sein. Vielleicht sollte sie ihn mit ihrer Professionalität beeindrucken, bevor sie ihn damit überrumpelte, dass er Vater war.
„Sie eröffnen den Ball um acht, Hoheit. Mit Ihnen kommen auch Prinz Xaviero, seine Frau, Prinzessin Catherine, und ihr Sohn, Prinz Cosimo an.“
„Ist das nicht zu spät für ein Baby?“, presste er sofort hervor.
„Nun, ein wenig vielleicht schon.“ Sie räusperte sich. „Wir hielten es für eine gute Gelegenheit, einen Fototermin zu genehmigen. Es liegen bereits zahllose Anfragen der Presse nach Fotos des jungen Elternpaares mit ihrem Sohn vor. Wir gehen davon aus, dass endlich Ruhe einkehrt, sobald die Presse entsprechendes Fotomaterial erhält.“
Mit starrem Blick hörte er ihr zu. Natürlich hatte sie recht. Nicht nur sein Volk, die ganze Welt war neugierig auf seinen neugeborenen Neffen. Ein Baby in einem regierenden Fürstenhaus fesselte immer die öffentliche Aufmerksamkeit. Nicht nur, weil Cosimo ein hübsches Baby war, sondern weil er die Zukunft einer der ältesten Adelsfamilien Europas symbolisierte. Und hatte die Geburt des Babys etwa nicht den Druck auf Cristiano erhöht, sich eine Frau zu nehmen, um einen Thronfolger zu zeugen?
Nun, er würde nicht mehr mitmachen. Sein ganzes Leben lang hatte er sich an Anweisungen und Erwartungen gehalten. Aber er würde kein Kind zeugen, nur um seine Pflicht zu erfüllen. Seit Monaten fühlte er eine tiefe Rastlosigkeit in sich, noch verschlimmert durch den Sturz. Und ein rastloser Herrscher war kein guter Herrscher. Cristianos Mund wurde schmal. Da gab es auch noch einen anderen Grund, etwas, das ihn heimsuchte, seit er aus dem Koma erwacht war …
„Hätten Sie Einwände gegen einen zeitlich begrenzten Fototermin für die Familie Ihres Bruders, Hoheit?“
Er lachte bitter auf. „Mindestens hundert. Aber ich sehe den Sinn in dem, was Sie sagen. Arrangieren Sie das mit meinen Sicherheitsleuten. Und achten Sie darauf, dass die Zeit nicht überschritten wird. Ein Blitzlichtgewitter ist nicht gut für ein Neugeborenes. Für Erwachsene auch nicht“, fügte er trocken hinzu. „Was folgt danach?“
„Das Dinner. Mit zweihundert geladenen Gästen. Ihr Bruder wird Ihnen eine kurze Dankesrede widmen, da Sie die Feier ausgerichtet haben. Dann kommt das Feuerwerk, und danach …“
„Halt.“ Sein harscher Befehl ließ sie abrupt verstummen, und er wunderte sich über das seltsam bleierne Gefühl in seinem Herzen. „Vor meinem Bruder möchte ich eine Ansprache halten.“
Alarmiert setzte Melissa sich aufrechter hin. „Aber Hoheit …“
Seine Augen blitzten warnend. „Was?“
Er konnte unmöglich in letzter Minute den Zeitplan umwerfen, wenn doch all die Honoratioren aus Übersee und der gesamte Hochadel Europas anwesend waren. Der Zeitplan war so oder so schon eng genug. „Der Ablauf ist bis auf die letzte Sekunde detailliert ausgearbeitet …“
„Dann arbeiten Sie ihn um“, knurrte er harsch. „Werden Sie dafür nicht bezahlt?“
Seine unfreundlichen Worte versetzten ihr einen schmerzhaften Stich, was sie sich jedoch nicht anmerken ließ. „Sehr wohl, Hoheit. Wenn Sie mich nur wissen lassen könnten, wie viel Zeit Sie für Ihre Rede benötigen …?“
Während sie sprach, suchte ihr Blick ein allerletztes Mal in seiner Miene nach irgendeinem Zeichen des Erkennens. Erinnere dich an mich, flehten ihre Augen, erinnere dich an die Zeit, die wir zusammen verbracht haben …
Cristiano runzelte die Stirn. Irgendetwas schien von ihr auszugehen und auf ihn zuzukommen. Ihre grünen Augen waren plötzlich dunkler geworden, ihre Lippen hatten sich leicht geöffnet. Als wären sie zum Küssen geschaffen … Auch wehte ihr Parfüm an seine Nase, ein dezenter Fliederduft, und für einen Moment verharrte er verdutzt.
Dieser Duft … In den Tiefen seines Gedächtnisses regte sich etwas, doch er bekam es nicht zu fassen. Still fluchte er, als sich ein eindeutiges Ziehen in seinen Lenden meldete. Einen verrückten Moment lang verspürte er das überwältigende Bedürfnis, sie in seine Arme zu ziehen, seine Finger in das glänzende braune Haar zu schieben und diese rosigen Lippen mit seinem Mund zu bedecken.
Verärgert schüttelte er den Kopf. Was war nur mit ihm los?! Vor ihm saß eine kleine Bedienstete und keine atemberaubende Frau. Sicher, es war Ewigkeiten her, seit er sich in körperlichen Freuden verloren hatte, noch lange vor dem Reitunfall, da war er aus irgendeinem Grund sicher. Aber war er tatsächlich so frustriert, dass sein Urteilsvermögen darunter litt? Er konnte doch jede Frau haben, die er wollte. Schon bald würde er das auch ausnutzen, wie er sich schwor.
Anfangen würde er damit heute Abend auf dem Ball. Alle Frauen würden um seine Aufmerksamkeit buhlen, die meisten davon aus adeligen Familien und somit durchaus passende Ehefrauen. Aber er suchte nicht nach einer Ehefrau, er brauchte nur eine Geliebte. Eine Geliebte, die sich mit dem zufrieden gab, was er ihr bot.
Es wurde Zeit, die selbst auferlegte Enthaltsamkeit zu beenden. Wenn er in die Welt des sinnlichen Vergnügens eintauchte, dann mit einer Frau, die seine Zuneigung wesentlich eher verdiente als diese große Engländerin mit dem seltsam intensiven Gehabe.
Ihm wurde bewusst, dass sie noch immer dort saß und ihn anstarrte. „Wir haben dann wohl alles besprochen“, sagte er.
Damit war sie entlassen. Und nur für den Fall, dass Melissa es nicht verstanden haben sollte, wurden genau in diesem Augenblick die Türen aufgezogen. Entweder er hatte eine versteckte Klingel gedrückt, oder sie hatte einfach ihre Zeit aufgebraucht.
Es war keiner der Diener, sondern der engste Mitarbeiter des Fürsten erschien mit hartem Gesicht auf der Schwelle.
„Ah, Orso“, wandte Cristiano das Wort an den Mann. „Bitte begleiten Sie Signorina Maguire hinaus.“
„Sehr wohl, Hoheit.“ Mit einer leichten Verbeugung bedeutete Orso Melissa, das Zimmer zu verlassen.
Der Fürst saß schon wieder hinter seinem Schreibtisch und widmete sich seinen Papieren, so als hätte er ihre Anwesenheit bereits vergessen.
In Gedanken schalt Melissa sich dafür, dass sie sich die Chance hatte entgehen lassen, Cristiano von seinem Sohn zu erzählen. Und fragte sich, ob sie je eine zweite erhalten würde.
Nachdem die Engländerin gegangen war, blieb Cristiano einen Moment lang reglos sitzen, bevor er das Blatt aufnahm, auf dem er die wichtigste Rede seines Lebens niedergeschrieben hatte. Nicht einmal Orso, seit Jahren sein engster Vertrauter, wusste von dem Inhalt.
Es war die Rede, mit der er vor aller Welt seine Abdankung bekannt gab.
Er schluckte die Emotionen hinunter, die ihm in die Kehle steigen wollten, und schritt auf das große Fenster zu. Vor ihm breiteten sich die Palastgärten aus. Rosen und Orangenbäume, Statuen und muntere Springbrunnen und dahinter die endlose Weite des Meeres.
Von Kindheitsbeinen an war ihm dieser Blick vertraut, seit sein Vater ihn für die Übernahme der Regentschaft erzogen hatte. Im Palastarchiv gab es sogar Fotos von ihm, wie er als Kleinkind unter dem Schreibtisch seines Vaters saß und spielte, während der alte Fürst Staatsverträge unterzeichnete.
Dann war seine Mutter an einer Hirnblutung gestorben, und der Vater hatte noch mehr Zeit und Energie darauf verwandt, seinen Erstgeborenen in die Pflichten eines zukünftigen Herrschers einzuführen.
Oft ahnte Cristiano, dass sein Bruder Xaviero sich ausgeschlossen fühlte. Xaviero hatte nicht nur die Mutter verloren, sondern nun auch indirekt seinen Vater. In den damaligen Zeiten erlaubte sich der Hochadel nicht, Trauer zu zeigen, geschweige denn darüber zu sprechen, und so hatten beide Jungen eine einsame Kindheit durchlebt.
Cristiano hatte sein Schicksal nie infrage gestellt, im Gegenteil. Mit Schwung und Energie hatte er die notwendigen Modernisierungen seines geliebten Landes in Angriff genommen und Reformen auf Zaffirinthos durchgeführt. Unter seiner Regentschaft war die Insel im Mittelmeer aufgeblüht. Doch mit dem Erfolg kam auch die Erkenntnis, dass er kein eigenes Leben mehr besaß, sondern nur noch für das Fürstentum lebte.
Es gab allerdings noch einen zweiten Grund für seinen Verzicht auf den Thron. Der Reitunfall hatte einen begrenzten, dennoch eindeutigen Gedächtnisverlust zurückgelassen. Niemand wusste davon, nicht einmal seine Ärzte, ein Landesfürst durfte nach Cristianos Ansicht keine Schwäche zeigen. Und so fühlte er sich abwechselnd schuldig, weil er seine gesamte Umgebung täuschte, oder aber über alle Maßen frustriert und wütend, weil es ihm nicht gelang, sich zu erinnern.
Es gab allerdings eine Lösung, eine erschreckend einfache Lösung. Der Zeitpunkt war gekommen, die Regentschaft dem Bruder zu überlassen, der schon lange mit dem Thron liebäugelte und zudem schon den Erben mitbrachte. Xaviero sollte Herrscher werden, und für Cristiano wurde es Zeit zu gehen.
Heute Abend würde er die offizielle Ankündigung machen.
Nach einem Blick auf die Uhr suchte Cristiano die Unterlagen zusammen, ging dann in seine Privatgemächer, zog sich aus und stellte sich unter die Dusche.
Während er sich unter dem prasselnden Wasserstrahl einseifte, tauchte plötzlich das Gesicht der Engländerin vor seinem geistigen Auge auf. Sein Körper reagierte auf eindeutige Weise, wie schon vorhin, als er den sanften Duft von Flieder und ihre schimmernden Lippen wahrgenommen hatte. Verärgert drehte er das eiskalte Wasser auf, damit der Strahl das jähe Verlangen abkühlen sollte.
Erfrischt und gefasst, in einen formellen dunklen Anzug gekleidet, in dessen Jackett das Blatt mit der vorbereiteten Rede steckte, betrat Cristiano zusammen mit seinem Gefolge und von Fanfarenklängen begleitet um Punkt acht Uhr den Ballsaal. Applaus brandete auf, der betäubende Duft von Parfüm, Blumengestecken und Hunderten von flackernden Kerzen hing schwer in der Luft.
Alle Augen lagen auf ihm. Die weiblichen Gäste hatten sich mit edlen Roben und Juwelen herausgeputzt, um sich im vorteilhaftesten Licht dem Regenten zu präsentieren. Und selbst für eine verheiratete Frau gab es keine größere Ehre und Genugtuung, als ein wohlwollendes Nicken vom Herrscher von Zaffirinthos. Und sicherlich waren viele darunter, die ihm auf einen einzigen Fingerzeig hin mehr als nur ein strahlendes Lächeln gewähren würden.
Doch eines Augenpaares war Cristiano sich besonders bewusst. Ein Paar grüner Augen, die sich regelrecht in ihn bohrten – die Augen der Engländerin, die vorhin in sein Arbeitszimmer gekommen war. Durch den Saal schaute sie zu ihm hin, mit einem Ausdruck auf dem Gesicht, den er zuvor noch nicht gesehen hatte. Und immerhin reizvoll genug, dass er für einen Moment vergaß, welches Damoklesschwert über ihm hing.
Mit ihren Fanfaren kündigten die Herolde jetzt die Ankunft des Infanten an, und allgemeiner Jubel erhob sich im Ballsaal. Cristiano fiel auf, dass das grüne Augenpaar der Engländerin allein auf ihm lag, während alle anderen Anwesenden die Hälse reckten, um einen Blick auf das Baby zu erhaschen. Über diese mangelnde Diskretion hätte er verärgert sein müssen, und doch, aus unerklärlichen Gründen, hatte sie damit seine Aufmerksamkeit erregt.
Vielleicht war es nur eine Ablenkungstaktik, um nicht an die Aufgabe denken zu müssen, die er zu erledigen hatte, aber … er ertappte sich dabei, dass er zurückstarrte. Dabei hatte ihre Erscheinung keinen zweiten Blick von ihm verdient, verglichen mit den anderen Frauen hier im Saal.
Das Kleid, das sie trug, war bodenlang und bedeckte die perfekt geformten Beine, die ihm vorhin kurz aufgefallen waren, vollständig. Schwarze Seide fiel bis zu ihren Füßen, der Ausschnitt war eher brav, auf keinen Fall aufsehenerregend, und trotzdem zog sie erstaunlicherweise seinen Blick auf sich, gerade weil sie so schlicht gekleidet war.
Natürlich, fand er die logische Erklärung, während unzählige Kameras aufblitzten. Schlicht gekleidet war sie, weil sie zum Personal gehörte, und wenn man vor einem Buffet mit erlesenen Delikatessen stand, stachen ein einfacher Laib Brot und ein Stück Käse sofort ins Auge. Manchmal verfügte gerade das Einfache über eine enorme Macht.
Doch während ihr Blick weiterhin auf ihm brannte, fühlte Cristiano eine gewisse Unruhe in sich aufsteigen. So als würden unsichtbare Finger an seine Erinnerung rühren.
Er ertrug das lange Bankett mit Haltung, auch wenn weder die verschiedenen Gänge des erlesenen Menüs noch die Prinzessin, die an seine Seite gesetzt worden war und die hartnäckig versuchte, mit ihm zu flirten, sein Interesse wecken konnten. Mehr und mehr wurde Cristiano sich bewusst, wie dunkel sein Herz war. Die einzige Ablenkung bot die Engländerin, die abseits in einem Alkoven am anderen Ende des Saales stand. Und jedes Mal, wenn er kurz zu ihr hinschaute, sah er, dass sie ihn noch immer unverwandt anstarrte.
Er war daran gewöhnt, dass Frauen ihn anschauten, aber niemals mit solch unverblümter Aufdringlichkeit. Es erstaunte und verärgerte ihn. Wie hatte sie sich überhaupt so lange in ihrem Beruf halten können? War ihr denn nicht klar, dass es extrem unhöflich war, einen Landesfürsten so offen anzustarren?
Schon dachte er darüber nach, wie er vielleicht einiges aus dem Protokoll auslassen konnte, als er überrascht bemerkte, dass sie sich durch die Menge einen Weg zu ihm bahnte, entschlossen und schüchtern zugleich.
Er runzelte die Stirn. Bildete sie sich etwa ein, die kurze Audienz gäbe ihr das Recht auf freien Zugang zu ihm? Dass sie jetzt jederzeit das Wort an ihn richten könnte? Aus dem Augenwinkel sah er, wie Orsos muskelbepackte Gestalt sich rührte und mit erstaunlicher Geschmeidigkeit an seine Seite trat.
„Soll ich mich um sie kümmern, Hoheit?“, fragte Orso leise.
Impulsiv wollte Cristiano mit Ja antworten. Doch während die Frau, die Melissa hieß, immer näherkam, reichte ihre Übertretung des Protokolls aus, um seine Neugier zu wecken. Außerdem stand etwas in ihrem Gesicht, etwas, das tief in ihm eine Saite anschlug, so als hätte er es früher schon einmal gesehen.
Der Instinkt riet ihm, mit ihr zu reden. Und jetzt, da er davorstand, die Einschränkungen des Protokolls für immer abzuschütteln, hatte er endlich die Möglichkeit, seinen Instinkten zu folgen. Warum also sollte er seine Neugier nicht befriedigen?„Nein. Lass sie kommen. In gewisser Weise beeindruckt sie mich. Vielleicht gibt es ja irgendein Problem. Da ich den Ball zu Ehren meines Bruders gebe, trage ich auch einen Teil der Verantwortung.“
„Aber Hoheit …“
„Soll sie sich ruhig nähern. Aber hilf ihr, es diskreter zu tun, Orso. Alle Augen liegen auf ihr, und sie besitzt weder die Haltung noch das Aussehen, um diese unbarmherzige Musterung zu ertragen.“
„Sehr wohl, Hoheit.“
Mit klopfendem Herzen steuerte Melissa auf den Fürsten zu. Sie selbst konnte kaum glauben, dass sie es wirklich tat. Doch als sie sich vorhin für den Ball zurechtgemacht hatte, war ihr klar geworden, dass sie ihm die Wahrheit nicht länger vorenthalten konnte. Die Chance, es ihm unter vier Augen mitzuteilen, hatte sie verpasst. Und auf den „richtigen Zeitpunkt“ zu warten … Den würde es nie geben, nicht unter diesen verrückten Umständen.
Jetzt sah sie die große Gestalt des Leibdieners auf sich zukommen. Grimmige Entschlossenheit stand in seinen dunklen Augen, sie war sicher, dass er die Anweisung hatte, sie aufzuhalten. Einen verrückten Moment lang spielte sie mit dem Gedanken, zu einem Spurt anzusetzen und Haken durch den Ballsaal zu schlagen, um vor allen Anwesenden ihr Geheimnis am Tisch des Fürsten herauszuposaunen.
Doch da stand Orso auch schon an ihrer Seite und umklammerte mit eisernem Griff ihren Ellbogen. „Sie wünschen mit dem Fürsten zu sprechen?“
„Ja“, brachte sie mühsam hervor.
„Worüber?“
Ihr Mut durfte sie jetzt nicht verlassen! „Das geht allein den Fürsten und mich etwas an.“
„Dann werden Sie sich Seiner Hoheit mit mehr Diskretion nähern.“ Die Missbilligung war deutlich in Orsos Stimme zu hören. „Es sei denn, Sie möchten, dass die Palastwache sich auf Sie stürzt und Sie direkt ins Gefängnis von Ghalazamba abführt.“
„Nein, na… natürlich nicht.“ Jetzt sank ihr Mut doch ein wenig.
„Dann folgen Sie mir.“
Orso führte sie am äußeren Rand des Saales entlang zu der Estrade, auf der der Fürst zusammen mit ausgewählten Gästen saß. Melissa schaute stumm auf die Rücken, sah die schweren Juwelen am Hals der Frauen, die kostbaren Ohrgehänge, die die bloßen Schultern umschmeichelten, und einen Moment lang fragte sie sich schon, ob Cristiano vergessen hatte, dass sie hier stand.
Bis er sich plötzlich zu ihr wandte und den goldenen Blick auf sie richtete. Mit einem kaum merklichen Nicken bedeutete er ihr, näher zu treten.
„Sie beweisen eine unvergleichliche Unverschämtheit“, raunte er ihr zu, als sie nahe genug herangekommen war, um seine vorwurfsvollen Worte verstehen zu können. „Sie starren mich an wie eine Hyäne, die ein besonders saftiges Stück Fleisch beäugt.“
War ihr Blick so zu verstehen gewesen? „Das war nicht meine Absicht, Hoheit.“
Ihr Fliederduft fiel ihm wieder auf, als sie sich leicht zu ihm herunterbeugte. Ein kurzes Bewusstsein flackerte in ihm auf und erstarb wieder, ohne dass er es hätte bestimmen können. „Benehmen Sie sich immer so auf gesellschaftlichen Anlässen?“
Nein, natürlich nicht. Aber hatte sie sich nicht auch schon bei der ersten Begegnung mit ihm alles andere als professionell benommen? Selbst wenn er es gewesen war, der sich ihr genähert hatte. War sie wirklich so unscheinbar und unbedeutend, dass er sich an nichts erinnern konnte?
„Sicherlich verhalte ich mich normalerweise nicht so. Vielleicht … vielleicht ist es die Wirkung, die Sie auf mich haben, Hoheit.“
„Wie bitte?!“
„Sie erinnern sich nicht, oder?“, flüsterte sie.
Wenige Worte, die schneidend scharf wie ein Schwert in seine Achillessehne fuhren. Cristiano versteifte sich. „Woran sollte ich mich erinnern?“
Musste sie es ihm wirklich beschreiben? War sie so leicht zu vergessen, dass er nicht die geringste Erinnerung an die gemeinsame Zeit hatte? Für einen kurzen Moment erlaubte Melissa es sich, an den Abend zurückzudenken, als sie sich zum ersten Mal begegnet waren.
Londons größtes Museum hatte die beispiellosen Statuen ausgestellt, die bei archäologischen Ausgrabungen auf Zaffirinthos gefunden worden waren. Die Feier anlässlich der Eröffnung hatte hinterher in dem prächtigen Herrenhaus eines britischen Aristokraten stattgefunden.
Das Besondere an diesem Abend war, dass der Herrscher von Zaffirinthos extra eingeflogen war, um an den Feierlichkeiten für die erste Eröffnung der weltweiten Tournee seiner Landesschätze teilzunehmen. Seine Person hatte mehr Medieninteresse geweckt als die Statuen. Die Schlagzeilen hatten ihn sofort als den „begehrtesten Junggesellen Europas“ bezeichnet.
Ein einziger Blick auf den Fürsten, während man ihn vor der Eröffnung durch das Museum führte, hatte Melissa klar gemacht, warum die Regenbogenpresse so begeistert war und jeder in der Hauptstadt sich überschlug, um den Namen des Regenten von Zaffirinthos auf seine Gästeliste setzen zu dürfen.
Es war ein faszinierendes Gesicht. Aristokratische Züge, goldschimmernde Haut und goldene Augen, das alles eingerahmt von rabenschwarzem Haar. Melissa hatte sich bei dem Gedanken ertappt, dass er selbst wie eine seiner unerreichten Statuen aussah.
Dennoch hatte seine beherrschte Haltung nicht kaschieren können, dass ihn eine geheimnisvolle Aura umgab, die nicht in seinem fürstlichen Status begründet lag. Melissa hatte das sichere Gefühl, dass da etwas Wildes und Ungezähmtes unter seinen erlesenen Manieren schwelte.
Natürlich hatte sie nicht das Wort an ihn gerichtet. Die Gastgeberin auf dem Anwesen legte peinlich genau Wert darauf, dass alles an dem Abend auch wirklich perfekt ablief, und so war Melissa vollauf beschäftigt gewesen.
Es war ausgerechnet der Abend, an dem sich der Todestag ihrer Mutter jährte, die bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. Natürlich war ihr klar, dass es für eine erwachsene Frau eher töricht war, sich als Waise zu bezeichnen, doch jedes Jahr durchlebte sie an diesem einen Abend noch einmal das Entsetzen, das sie vor all den Jahren gepackt hatte, als sie die schreckliche Nachricht erhielt.
Da sie ihre Arbeit erledigen musste, hatte sie ihre Emotionen eisern unter Kontrolle gehalten, so lange sie konnte. Doch zum Ende des Abends hatte sie den Kampf gegen die Tränen verloren und war in den Keller gegangen, damit niemand ihre leisen Schluchzer hören konnte.
Als sie wieder auf den Korridor trat, an dessen Ende die Treppe zum oberen Teil des Hauses lag, wäre sie fast mit einem großen Mann zusammengestoßen. Sie wollte nicht, dass irgendjemand sie in diesem aufgelösten Zustand sah, und wandte hastig das Gesicht ab, während sie versuchte, an ihm vorbeizukommen.
„Warum so eilig?“
Sie hätte den Akzent erkennen müssen, doch sie war zu beschäftigt damit, sich die Augen mit dem zerknitterten Taschentuch zu tupfen. „Gehen Sie weg“, sagte sie und erkannte erst in diesem Moment, wer da vor ihr stand.
Er wirkte, als wüsste er nicht, ob er verärgert oder amüsiert sein sollte.
„Sie haben geweint.“
Mit den verquollenen Augen und der roten Nase musste sie fürchterlich aussehen. „Ja“, antwortete sie mit kleinlauter Stimme und hasste es, sich so elend und erbärmlich zu fühlen, ausgerechnet vor ihm. Sie fragte sich, warum er nicht oben war und Champagner mit den anderen Gästen trank.
„Warum?“
„Das ist unwichtig.“
„Oh nein, im Gegenteil. Ich möchte es wissen. Ist Ihnen nicht klar, dass ich der Regent bin und mir daher alle meine Wünsche erfüllt werden?“
Zuerst glaubte sie, er würde nur scherzen, doch schnell wurde ihr klar, dass er eine Antwort von ihr erwartete. Nun, sollte er sie ruhig haben, dann würde es ihm leidtun, dass er die Frage überhaupt gestellt hatte.
„Heute ist der Todestag meiner Mutter.“
„Oh.“
Sie sah, dass seine Züge sich plötzlich anspannten. Draußen prasselte der Regen auf den Bürgersteig, mit gerunzelter Stirn schaute er auf ihr billiges Schuhwerk, so als wollte er abschätzen, wie nass ihre Füße werden würden.
„Soll ich Sie nach Hause bringen? Oder holt jemand Sie ab? Vielleicht Ihr Freund?“
Argwöhnisch musterte sie ihn. Machte er sich lustig über sie? „Nein, ich werde nicht abgeholt. Ich fahre immer mit der U-Bahn nach Hause.“
„Nun, heute nicht. Ich warte draußen auf Sie. Aber lassen Sie mich nicht zu lange stehen.“
Daraufhin ging er die Treppe hinauf. Melissa starrte ihm nach, als hätte sie soeben einen Geist gesehen. Und während sie einen letzten prüfenden Blick in die Küche warf und ihre schwarze Arbeitsuniform gegen Jeans, Pullover und Regenmantel tauschte, fragte sie sich, ob sie sich das alles vielleicht nur eingebildet hatte.
Aber nein, ihre Fantasie hatte ihr keinen Streich gespielt. Als sie das Haus verließ, wartete eine große schwarze Limousine auf sie. Ein Chauffeur stieg aus und hielt den Wagenschlag für sie auf.
Ihr schoss der Gedanke in den Kopf, dass es genau so eine Szene war, vor der die Polizei immer wieder warnte. Cristiano saß auf dem Rücksitz, ihr Zögern schien ihn zu amüsieren.
„Steigen Sie nun ein, oder wollen Sie weiter im Regen stehen bleiben?“
Noch immer rührte sie sich nicht.
„Oder haben Sie Angst, dass ich mich auf Sie stürze, sobald Sie im Wagen sitzen?“
Jetzt machte er sich allerdings über sie lustig. Und plötzlich war es ihr gleich – ob es richtig oder falsch war, ob er ein Staatsoberhaupt war oder nicht.
„Warum tun Sie das?“, fragte sie, während sie in den Wagen und damit in seine Welt des unbegrenzten Luxus einstieg.
Eine Weile schwieg er mit düsterer Miene, dann sagte er völlig unerwartet: „Weil ich weiß, wie schwer es ist, die eigene Mutter zu verlieren.“
Und diese Erklärung gab den Ausschlag. Zwei Menschen, die sich in einer verregneten Nacht fanden und ohne große Worte verstanden, was der andere mitgemacht hatte. So unwahrscheinlich es auch war … für kurze Zeit wurden sie ein Paar.
In Melissas winzigem Apartment probierte er, ein Mann, der die Delikatessen der Welt gekostet hatte, zum ersten Mal in seinem Leben Bohnen auf Toast. Er trank billigen Wein und Tee aus einem irdenen Becher. Sie mieteten ein Boot und ruderten den Fluss hinunter, kauften sich Tickets und machten eine Stadtbesichtung durch London auf dem offenen Deck eines roten Touristenbusses.
Und sie verbrachten träge Nachmittage im Bett, lauschten auf das stetige leise Rauschen des Londoner Verkehrs und auf das rasende Pochen ihrer Herzen. Er sagte ihr, dass sie duftete wie eine Sommerwiese und dass ihre Augen wie smaragdfarbene Sterne funkelten, und sie sonnte sich in seinen Liebkosungen und seinen Komplimenten.
Natürlich war ihr klar, dass es vorbei sein würde, noch bevor es richtig begonnen hatte. Cristiano hatte ihr nie etwas anderes versprochen. Nichtsdestoweniger konnten fünf Tage und Nächte eine ganze Ewigkeit bedeuten.
Der Schmerz wurde auch nicht geringer, nur weil sie von Anfang an gewusst hatte, dass es zu nichts führen konnte. Nachdem Cristiano fort war, fühlte Melissa eine verzehrende Leere in sich, eine trostlose Einsamkeit. Und als sie die monumentale Neuigkeit erhielt, zerbrach ihre Welt vollkommen …
„Woran erinnern?“
Cristianos harsche Frage holte Melissa mit einem Ruck in die Gegenwart zurück. Den leidenschaftlichen Liebhaber in ihrem kleinen Apartment gab es nicht mehr, nur einen distanzierten Fremden inmitten seiner adeligen Entourage.
Doch sie hielt seinem eisigen Blick stand. „Wir haben uns schon einmal getroffen, Hoheit.“
„Und?“
Melissa blinzelte verwirrt. „Und … erinnern Sie sich nicht daran?“
Cristiano schnalzte missbilligend mit der Zunge, zog das Blatt mit der Rede aus der Tasche und setzte an, sie mit einem Handwink zu entlassen. „Wissen Sie eigentlich, wie viele Menschen ich ‚getroffen‘ habe? Müsste ich mich an jeden erinnern …“ Ungeduldig verzog er seine Miene.
„Nein, Sie verstehen nicht.“ Melissa sah den überraschten Ausdruck in seinen Augen, dass sie es wagte, ihm zu widersprechen. Doch das hier war ihr letzte Chance, sie musste sie nutzen.
„Was verstehe ich nicht?“, fragte er warnend.
„Unser Treffen war … anders.“
Gehörte sie etwa zu den Frauen, die sich an die Fersen berühmter Persönlichkeiten hefteten? Cristiano kniff die Augen zusammen. Doch etwas in ihrem Gesicht, der Ausdruck in ihren Augen ließ seinen Puls ungut schneller schlagen. Er sah zu Orso hinüber, der bereit stand, diese Unterhaltung auf Cristianos leisesten Wink hin zu unterbrechen. Die Palastwachen hielten sich im Hintergrund, würden aber sofort zur Stelle sein. „Sprechen Sie weiter.“
Jeder konnte sie hier sehen. Es schien Melissa schrecklich falsch, vor den neugierigen Augen eines internationalen Publikums eine so einschlagende Botschaft zu übermitteln. „Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich vorschlagen, irgendwohin zu gehen, wo es privater ist.“
„Das halte ich nun wirklich für unwahrscheinlich“, kam es leise von Cristiano. „Sie haben bereits mehr als genug Konzessionen von mir erhalten. Sie haben genau zwei Minuten, um mir zu sagen, was diese Geheimnistuerei soll.“ Er presste die Lippen zusammen. „Und es sollte besser eine sehr gute Begründung sein.“
Ihre Stimme bebte, dennoch brachte sie die Worte hervor. „Wir trafen uns im Sommer vor zwei Jahren, Hoheit, in England. Die Marmorstatuen, die man auf Zaffirinthos ausgegraben hatte, gingen zu einer weltweiten Ausstellungstour auf Reisen. Die Feier, auf der wir uns trafen, sollte den Beginn der Tour markieren. Um genau zu sein, ‚treffen‘ ist eine unzulängliche Beschreibung für das, was zwischen uns passiert ist. Wir hatten eine kurze Affäre, und als Konsequenz …“ Sie konnte ungläubigen Ärger in seine goldenen Augen ziehen sehen. „… und als Konsequenz habe ich jetzt … Ich habe einen kleinen Sohn. Anders ausgedrückt, wir haben einen Sohn. Was ich sagen will, Hoheit … Sie haben einen Sohn.“
Cristiano starrte auf Melissas blasses Gesicht. Heiße Wut wallte in ihm auf ob ihrer ungeheuerlichen Behauptung. Am liebsten hätte er sie bei den Schultern gepackt, um das Geständnis aus ihr herauszuschütteln, dass alles nur erfunden und erlogen war.
Doch das konnte er nicht, nicht, wenn alle Augen auf ihm lagen. So wie es schon sein ganzes Leben war. Adeligen Herrschern war es nicht erlaubt, Gefühle zu zeigen, und so konnte er seiner Wut auf die Engländerin keine Luft verschaffen, diesen Luxus konnte er sich nicht leisten. Er musste sich damit begnügen, unter dem Tisch die Faust zu ballen – wobei er nicht bemerkte, dass er das schneeweiße Büttenpapier mit seiner Abdankungsrede zerknüllte.
Der Fürst lehnte sich zu ihr, als würde er entspannt mit ihr plaudern. „Haben Sie den Verstand verloren?“ Er sprach so leise, dass nur sie ihn hören konnte. „Gehören Sie zu diesen Irren, die sich irgendeinen berühmten Mann aussuchen und dann behaupten, von ihm schwanger zu sein?“
Die blanke Wut in seinen Augen ließ sie zusammenzucken. „Nein! Ich sage die Wahrheit.“
„Nur glaube ich Ihnen nicht.“
„Wieso nicht?“
„Muss ich es Ihnen wirklich genau erklären?“ Er wollte sie verletzen, wollte sich revanchieren für ihren Wahnwitz, ihn mit einem solchen Szenario zu behelligen. „Meinen Sie etwa, ich könnte nicht jede Frau haben? Wissen Sie nicht, wie viele Frauen sich mir täglich anbieten? Überlegen Sie doch mal, cara“, fuhr er verächtlich fort. „Wenn ich aus den schönsten Frauen dieser Welt wählen kann, wieso, zum Teufel, sollte ich mich ausgerechnet für eine wie Sie entscheiden?“
Melissa schluckte. Sie konnte nichts erwidern. Hatte sie sich nicht dieselbe Frage gestellt? Hatte sie nicht schon damals kaum glauben können, dass ein Mann wie er ausgerechnet sie als seine Geliebte wählte? Sie konnte es ihm also nicht verübeln, wenn er es jetzt aussprach. Doch eines schmerzte unerträglich. „Sie erinnern sich überhaupt nicht an mich?“
Cristianos Puls beschleunigte sich. Orso musste die Unruhe seines Dienstherrn gespürt haben, denn er trat einen Schritt vor.
„Soll ich Miss Maguire zur Küche zurückgeleiten, Hoheit? Es wird bald Zeit für Ihre Rede.“
Cristiano schaute auf das zerknüllte Blatt in seiner Hand. Wie sich das Leben doch auf einen Schlag ändern konnte, dachte er bitter. Jetzt hätte er eine neue Richtung einschlagen können, den ersten Schritt in eine neue Freiheit tun sollen. Stattdessen …
Sein Blick wanderte zu der Engländerin. Die Entschlossenheit in ihren grünen Augen passte nicht zu den bebenden Lippen. Er konnte nicht sagen, ob sie einfach nur eine Verrückte war, oder ob das Ganze eine ausgebuffte Erpressung werden sollte. Doch der Trotz, der aus ihrer Miene blitzte, und der Fliederduft, der zu ihm herüberwehte, ließen ihn beschließen, der Sache auf den Grund zu gehen. Er fragte sich, wie viel sie wusste. Oder ahnte. Nur durfte sie nicht vergessen, dass er es war, der die Kontrolle über die Situation in den Händen hielt.
„Ja, bring sie weg“, wies er Orso knapp an. „Und ich werde jetzt anfangen.“
Melissa machte einen letzten Versuch. „Hoheit …“
„Gehen Sie“, befahl er. „Gehen Sie endlich!“
Sein harscher Befehl schockierte sie. Cristiano scheuchte sie fort wie ein lästiges Insekt! Was sie ihm soeben eröffnet hatte, war ihm völlig gleichgültig! Benommen folgte sie Orso zu der Nische am entlegensten Ende des Saales.
Der Leibdiener wandte sich zu ihr um. „Sie werden Seine Hoheit nicht mehr belästigen“, sagte er mit unverhohlener Feindseligkeit. „Niemals mehr. Haben Sie das verstanden?“
Ein Teil von ihr wollte aufbegehren, wollte ihm sagen, dass es ihn überhaupt nichts anging, doch besaß sie dazu weder Mut noch Energie. Und wenn sie Orso den wahren Grund für ihre Hartnäckigkeit nannte, würde er sie erst recht aus dem Palast werfen lassen. Cristiano glaubte ihr nicht, also würde auch niemand anders ihr glauben. Sie entsprach ja auch nicht unbedingt dem Bild der Geliebten eines Herrschers.
Von Cristianos Rede nahm sie nur Bruchstücke wahr, hörte gar nicht wirklich zu. Vernahm Worte wie „feierlicher Anlass“, „Grund zum Feiern“ und „neues Leben“, und die Worte verstärkten nur den unerträglichen Schmerz, der tief in ihrem Innern brannte.
Irgendwie gelang es ihr, bis zum Ende des Banketts durchzuhalten. Um Mitternacht bat sie Stephen, sich ausnahmsweise zurückziehen zu dürfen. Normalerweise hätte sie nicht einmal im Traum an so etwas gedacht, wäre geblieben, bis sich der letzte Gast verabschiedet hatte. Aber vielleicht war sie bleich wie ein Laken, vielleicht alarmierte etwas in ihrer Stimme ihn, sodass Stephen zustimmte und ihr riet, sie solle am besten gleich zu Bett gehen.
„Vergiss nicht, dass wir morgen schon früh abreisen.“
Als ob sie das vergessen könnte. Nie wieder würde sie einen Fuß auf diese Insel setzen. Ben würde aufwachsen und seinen Vater nie kennenlernen. Eines Tages würde sie ein schmerzliches Gespräch mit ihrem Sohn führen und ihn die Wahrheit wissen lassen müssen.
Melissa ging zu dem Haus, das man ihr auf dem zum Palast gehörenden Land zur Verfügung gestellt hatte, aber sie legte sich nicht gleich ins Bett. Sie war zu aufgewühlt, um Schlaf finden zu können.
Sie vermisste Ben und wünschte, sie könnte ihn anrufen. Gestern gleich nach ihrer Ankunft hatte sie es probiert. Laut ihrer Tante hatte Ben ständig nach dem Hörer gegrabscht, und als er dann die Stimme seiner Mutter aus der Muschel hatte kommen hören, war er in verzweifeltes Weinen ausgebrochen.
Melissa begann, ihren Koffer für die Abreise zu packen. Als sie damit fertig war, ging sie duschen. Schon morgen würde sie wieder unter dem lauwarm tröpfelnden Duschkopf in ihrem winzigen Bad zu Hause stehen, also sollte sie wohl den Luxus des prasselnden heißen Wasserstrahls hier ein letztes Mal genießen.
Doch unter den gegebenen Umständen war es schwierig, Begeisterung aufzubringen. Das heiße Wasser und die Auswahl diverser duftender Seifen und teurer Shampoos halfen nicht, um ihre wirbelnden Gedanken abzulenken. Plan A war gewesen, Cristiano von Ben zu erzählen … und einen Plan B hatte sie nicht.
Sie stieg aus der Dusche, trocknete sich ab und schlüpfte in ein übergroßes Schlafshirt. Dann kämmte sie sich das nasse Haar und war gerade auf dem Weg in die Küche, um einen Kräutertee für sich aufzubrühen, als es energisch an der Haustür klopfte.
Mit gerunzelter Stirn schaute sie zur Uhr. Fast zwei Uhr morgens. Stephen würde sicher nicht so spät noch bei ihr vorbeischauen. Und wenn es nicht der furchteinflößende Orso war, der sich bereitmachte, ihre Tür einzutreten und sie vom Gelände zu werfen, fiel ihr nur noch eine Person ein, die um diese Zeit Einlass begehren würde.
Auf Zehenspitzen schlich sie zur Tür. „Wer ist da?“
„Wer, zum Teufel, sollte es wohl sein?“
Er klang so gar nicht nach einem Fürsten. Als Melissa die Tür aufzog und ihn erblickte, sah er auch nicht wie ein Fürst aus. In Jeans, die seine langen Beine betonten, und schwarzem T-Shirt wirkte er eher wie ein Filmstar während der Drehpause. Allerdings gehörten die gebieterische Ungeduld und Arroganz, mit der er sich an ihr vorbei ins Haus drängte und dann die Tür zuschlug, eindeutig zu einem Herrscher.
Er drehte sich zu ihr um und musterte sie ungläubig. Ihr nasses Haar begann zu trocknen und sich zu einer wolkig-wirren Mähne zusammenzuziehen, von dem formlosen Ding, das sie offensichtlich als Nachthemd trug, fragte ein übergroßes Mobiltelefon mit einem anzüglichen Grinsen den Betrachter, ob er „angemacht“ sei.
Verächtlich verzog Cristiano die Lippen – und trotzdem musste ihre dürftige Aufmachung etwas in seinem Unterbewusstsein ansprechen. Denn jetzt fielen ihm ihre langen bloßen Beine auf. Ihre Fußnägel waren nicht lackiert, und sie hatte kleine feste Brüste, die sich unter dem T-Shirt wölbten und deren Spitzen sich hart wie Perlen hervordrängten.
Es war lachhaft und absolut unerklärlich, dass er eine solche Frau attraktiv finden sollte. Doch er wäre ein Lügner, würde er nicht zugeben, dass sich jäh ein verlangendes Ziehen in seinen Lenden meldete.
Er verdrängte es entschieden. Ihre unerhörte Behauptung vorhin im Ballsaal hatte Wirkung bei ihm gezeigt, immerhin so sehr, dass er seine Abdankungsrede vorerst nicht gehalten hatte.
„Was … was tun Sie hier?“, fragte sie, während er sie stumm und wütend anfunkelte.
In der Tat, was machte er hier überhaupt? Ihr milder Fliederduft hatte ihn ebenso hergelockt wie der Drang, ihre Behauptung als ungeheuerlichen Bluff zu enttarnen. „Ich will wissen, was Sie sich von mir erhoffen.“
„Ich möchte, dass Sie zum Leben Ihres Sohnes gehören.“
Er schüttelte den Kopf. „Sie scheinen nicht zu verstehen. Ihre kleine Inszenierung ist reine Zeitverschwendung.“ Goldene Augen bohrten sich in ihre. „Sehen Sie, Sie sind wirklich die letzte Person, die die Mutter meines Kindes sein könnte.“
Verwirrt starrte sie ihn an. „Was meinen Sie?“
„Haben Sie vorhin etwa nicht zugehört?“ Er lachte trocken auf. „Bei der Wahl meiner Gespielinnen greife ich generell höher in der gesellschaftlichen Skala, cara.“
Reagier nicht auf seine Beleidigungen, ermahnte sie sich stumm. Hier ging es nur noch um ihren Sohn, und sie würde ihren kleinen Jungen verteidigen wie eine Löwin ihr Junges.
Die Verachtung in seinem Blick machte ihr nichts mehr aus. Sie schüttelte das halb trockene lange Haar zurück auf den Rücken und hob das Kinn an. „Außer meines gesellschaftlich inakzeptablen Status … gibt es noch einen anderen Grund?“, wollte sie kühl wissen.
„Mehrere“, gab er glatt zurück. „Zum einen ziehe ich blonde und kurvenreiche Frauen vor. Sie sind weder das eine noch das andere. Hinzu kommt, dass die Frauen, mit denen ich intim werde, nur feinste Spitze und Satin auf ihrer Haut tragen.“ Sein Blick haftete missbilligend auf ihrem Schlafshirt. „Und nicht etwas, das man nur bei jemandem sehen würde, der im Straßengraben schläft.“
Noch immer zeigte sie keine Regung, auch wenn sie spürte, wie kleine Pfeile in ihr Herz drangen. Pfeile, die alles, was sie einst für ihn gefühlt hatte, zerstörten. Seine Zärtlichkeit, während er sie in den Armen gehalten hatte. Seine liebevolle Aufmerksamkeit. Sie hatte die Gefühle in ihrer Erinnerung bewahrt wie einen wertvollen Schatz, und mit jedem Tag, mit dem Ben heranwuchs, waren auch diese Gefühle gewachsen.
Doch jetzt wurde ihr klar, dass ihre Fantasie eine Traumgestalt geschaffen hatte, dass der wahre Mann nichts als ein arroganter, dünkelhafter, verletzender Mistkerl war. „Also, ich habe die falsche Haarfarbe, meine Figur weist nicht genügend Kurven auf, und ich kleide mich wie eine Landstreicherin. Sonst noch etwas?“
Cristiano runzelte die Stirn. Ihre Beharrlichkeit war verblüffend. Sie hätte längst die Maske fallen lassen müssen, hätte anfangen müssen zu stottern, um ihm irgendeine rührselige Geschichte aufzutischen, dass sie unbedingt Geld brauchte. Und sich entschuldigen müssen, dass sie eine so weit hergeholte Story nutzte, aber sie sei eben wirklich verzweifelt …
„Um genau zu sein, ja.“ Seine Stimme klang jetzt stahlhart. „Wenn ich mit einer Frau schlafe, benutze ich grundsätzlich immer einen Schutz.“ Er konnte mitverfolgen, wie ihre Wangen sich rosig färbten. Würde seine unmissverständliche Beschreibung sie endlich aufrütteln? „Sehen Sie, es herrscht die allgemeine Auffassung, dass mein Samen wertvoll ist. Wertvoller als der anderer Männer.“ Unverhohlen setzte er ein sarkastisches Lächeln auf. „Das hat damit zu tun, dass ich über einen Staat herrsche.“
Melissa ließ einen Moment verstreichen, um diesen unerhörten Kommentar zu verdauen. „Warum sind Sie dann überhaupt gekommen?“, fragte sie schließlich leise.
Erneut brachte ihre Abgeklärtheit ihn aus dem Konzept. Ja, wieso war er gekommen? Wäre er wirklich überzeugt, dass sie nichts als eine kümmerliche Betrügerin war, wäre sie nicht auf hundert Meilen an ihn herangekommen. Warum also? Warum erfasste ihn diese unerklärliche Unruhe, jedes Mal, wenn er sie anschaute?
Seit seinem Unfall hatte sich vieles in seinem Leben geändert. Viele seiner riskanten Zeitvertreibe hatte er aufgegeben, es war ewig her, seit er Gefahr verspürt hatte. Warum also erfüllte ihn dieses Gefühl ausgerechnet jetzt? Seit jenem Tag hatte er auch nicht mehr auf dem Rücken eines seiner geliebten Pferde gesessen. Jetzt hatte er das gleiche Gefühl, als würde er mit seinem Hengst zum Sprung über einen tiefen Graben ansetzen.
Und ausgelöst wurde es durch eine Frau, die einfach unglaublich war. Nicht blond, nicht klein, nicht kurvig, sondern eine große Brünette mit endlos langen Beinen und Augen in der Farbe von Smaragden … Selbst dieser Vergleich setzte etwas in ihm hinter einer nebeligen Wand in Bewegung, etwas, das er nicht bestimmen konnte.
„Vielleicht bin ich ja gekommen, um meiner Erinnerung auf die Sprünge zu helfen.“
Seinen nächsten Schritt hätte Melissa niemals vorausgesehen. Denn ihrer Überzeugung nach riss man eine Frau, die man gerade noch beleidigt hatte, nicht in seine Arme. Doch genau das tat er jetzt, zog sie an sich, presste sie an seinen harten, muskulösen Körper.
Die pure Freude erfüllte Melissa. Es fühlte sich so gut an, von ihm gehalten zu werden – trotz der Umstände. Ihre Haut begann zu prickeln, ihr Herz jubelte auf. Aber es war nicht in Ordnung …
„Was … was erlauben Sie sich?“, stammelte sie atemlos.
„Sie müssen sich schon entscheiden, cara mia“, stieß er heiser aus. „Behaupten Sie nicht, ich wäre Ihr Liebhaber gewesen?“
„Weil es die Wahrheit ist!“
„Der Geschmack Ihrer Lippen ruft vielleicht die Erinnerung hervor“, sagte er noch, bevor er den Kopf beugte und seinen Mund auf ihren presste. Hart und unbarmherzig, nahezu verächtlich, hatte dieser Kuss nichts mit der sanften Zärtlichkeit zu tun, die Cristiano ihr früher erwiesen hatte. Dennoch erschauerte Melissa, denn er küsste sie mit einer Meisterschaft, die ihr den Atem raubte.
„Cristiano“, hauchte sie. Sicherlich durfte man selbst einen Fürsten beim Vornamen nennen, wenn er einen küsste?
„Dio …“ Dass sie die Lippen öffnete, ließ seine Beherrschung bröckeln. Auf dieses jähe Verlangen war Cristiano nicht vorbereitet gewesen. Er hatte erwartet, sie würde sich wehren, hatte sich schon auf einen Streit eingestellt, damit er sie zwingen konnte zuzugeben, wie lächerlich und unhaltbar ihre Behauptung war.
Stattdessen schmiegte sie sich seufzend an ihn. Ihre Brustspitzen wurden hart, und Cristiano fühlte sein eigenes Verlangen aufflammen.
Er hatte ihr nur eine kurze Demonstration seiner sexuellen Macht geben wollen, mehr nicht, er hätte den Kuss längst abbrechen müssen. Warum also konnten seine Lippen sich nicht von ihren lösen? Warum lag seine Hand auf ihrer Brust und liebkoste gierig die kleine feste Rundung?
„Oh …“ Sie wusste, sie müsste ihn aufhalten. Doch wie sollte sie, hatte sie sich doch so lange nach ihm gesehnt? Seine Berührungen verjagten jeden klaren Gedanken aus ihrem Kopf. „Cristiano“, hauchte sie noch einmal, sein Name Stoßgebet und Verlockung.
Ihre Nachgiebigkeit erregte und verärgerte ihn zugleich. Ihre kleinen Seufzer trieben ihn an, er zerrte an ihrem Schlafshirt wie ein übereifriger Teenager. Und sie erlaubte es ihm!
Seine Hand stahl sich zwischen ihre Schenkel, und er hörte sie nach Luft schnappen. „Du bist gut“, murmelte er an ihren Lippen. Viel zu gut. Das Blut rauschte in seinen Ohren, die Versuchung, sich in ihrer Hitze zu verlieren, wurde nahezu übermächtig. Er wollte sie, hier und jetzt. Sofort. Auf dem Boden, in ihrem Bett …
Und dann?
„Nein, es wird nicht passieren.“ Abrupt gab er sie frei und trat von ihr zurück, sah Fassungslosigkeit und Enttäuschung in ihren grünen Augen, sah, wie ihre Brust sich heftig hob und senkte und wie sie mit den Fingern ihre Lippen berührte.
Erleichterung überflutete ihn und ließ ihn die körperliche Frustration leichter ertragen. Er hatte ihnen beiden bewiesen, dass er einen eisernen Willen besaß. Er hatte ihr gezeigt, mit wem sie es zu tun hatte. Jetzt würde sie es einsehen und ohne Skandal und Szenen gehen müssen.
Sie zog ihr Schlafshirt zurecht und fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar. Mit erhitzten Wangen schaute sie ihn an, eine Mischung aus Verlegenheit und Trotz lag in ihrem Blick.
„Sie gehen sehr freigiebig mit Ihren Liebesdiensten um“, meinte er gedehnt.
„Sie auch!“, erwiderte sie heftig. „Ist das der Grund, weshalb Sie sich nicht an mich erinnern? Weil Sie so viele Frauen hatten, dass sie alle zu einer gesichtslosen Masse verlaufen?“
Einen Moment lang herrschte Schweigen, in Cristianos Augen loderte Empörung. „Wie können Sie es wagen, so mit mir zu sprechen!“
„Ich ahme Sie bloß nach!“ Die Worte sprudelten wütend aus ihr hervor. „Oder meinen Sie, nur Sie haben das Recht, Menschen zu beleidigen, weil Sie der Herrscher sind und ich zum niederen Fußvolk gehöre? Vor allem, wenn wir beiden wissen, dass Sie sich nur vor der Verantwortung drücken wollen!“
„Vor der Verantwortung drücken?“, wiederholte er fassungslos.
„Alles, worum ich Sie bitte, ist, dass Sie Ben ein einziges Mal sehen. Ihn einfach nur sehen, dann werden Sie sofort erkennen, dass er Ihr Sohn ist. Was haben Sie schon zu verlieren?“
Mit einem grimmigen Lächeln musterte er sie. Mehr, als sie ahnen konnte. Wenn er tatsächlich einen Erben hatte, würde sich alles ändern. Sein Leben, seine ganze Zukunft …
Doch während er sie anschaute, wurde ihm klar, dass sie nicht so leicht gehen würde. Und sollte sie gehen, dann blieben Hunderte von Fragen ungeklärt. Fragen, die ihn auf ewig verfolgen würden. „Wenn ich ihn mir anschaue“, hob er nachdenklich an, „und dennoch nicht glaube, dass das Kind von mir ist, werden Sie dann Ihre Geschichte fallen lassen und mich nie wieder belästigen?“