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Julies Leben besteht aus Höhepunkten. Und Tiefpunkten. Mehr Tiefpunkten, wenn sie ehrlich sein soll. Die beinhalten ein uraltes Ponynachthemd (zur unpassenden Zeit getragen), einen süßen Jungen (der ungerne in Kellern eingesperrt ist) und eine Person, die dringend Hilfe braucht, sich aber nicht helfen lassen will!! Als einzige Ratgeberin muss Sharon von der Sexhotline aus dem Nachtprogramm herhalten. Und Julies Tagebuch. Noch Fragen? Dann Julie lesen!
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 292
FRANCA DÜWEL
Julie
und Schneewittchen
Schlimmer geht’s immer
Mit Illustrationen von Katja Spitzer
Weitere Titel von Franca Düwel in dieser Reihe im Arena Verlag: Julie und die schwarzen Schafe Julie und das Herzschlamassel Julie und die Frage, was Jungs wollen Julie. Mein Tagebuch Julie. Mein Notizbuch
Die gleichnamigen Hörbücher sind bei Arena audio erschienen.
Mehr zu Julie unterwww.julies-tagebuch.de.
Franca Düwel, geboren 1967, studierte Literaturwissenschaften und Pädagogik. Nach diversen Stationen in der Filmbranche ist sie als Drehbuchautorin hocherfolgreich. Sie entwickelte unter anderem die Kinderserie »Die Pfefferkörner« und schrieb zahlreiche Folgen von »Berlin, Berlin«. Franca Düwel lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Töchtern in der Nähe von Hamburg. Die Julie-Bände sind ihre ersten Bücher, schon Band 1 eroberte die Herzen der Leserinnen im Sturm.
1. Auflage als Sonderausgabe im Arena-Taschenbuch 2014 © 2009 Arena Verlag GmbH, Würzburg © Text: Franca Düwel Coverillustration und Innenvignetten: Katja Spitzer Vermittelt durch die Agentur Susanne Koppe, Hamburg Innengestaltung: Georg Behringer · Umwerk München Umschlagtypografie: knaus. büro für konzeptionelleund visuelle identitäten, Würzburg ISSN 0518-4002 ISBN 978-3-401-80042-4
www.arena-verlag.de Mitreden unter forum.arena-verlag,dewww.julies-tagebuch.de
Inhaltsverzeichnis
Samstag, der 1. Mai
Samstag, der 2. Mai
Montag, der 3. Mai
Dienstag, der 4. Mai
Mittwoch, der 5. Mai
Donnerstag, der 6. Mai
Freitag, der 7. Mai
Montag, der 10. Mai
Dienstag, der 11. Mai
Mittwoch, der 12. Mai
Donnerstag, der 13. Mai
Freitag, der 14. Mai
Samstag, der 15. Mai
Montag, der 17. Mai
Dienstag, der 18. Mai
Mittwoch, der 19. Mai
Donnerstag, der 20. Mai
Freitag, der 21. Mai
Samstag, der 22. Mai
Montag, der 24. Mai
Dienstag, der 25. Mai
Mittwoch, der 26. Mai
Donnerstag, der 27. Mai
Freitag, der 28. Mai
Montag, der 24. November
Für meine Töchter
Samstag, der 1. Mai
Höhepunkte
1) Heute ist Mama mit Ottilie aus dem Krankenhaus nach Hause gekommen. Endlich! Hab mich total auf sie gefreut und war meganeugierig, wie meine neugeborene Schwester wohl aussieht.
Tiefpunkte
1) Ottilie sieht aus wie ein hochroter, glatzköpfiger Zwerg.
2) Papa meint, sie sieht mir ähnlich.
LIEBES TAGEBUCH,
bisher habe ich noch nie Tagebuch geschrieben, aber das soll sich jetzt ändern. Als Mumi, meine Oma, mir dich mit der Post geschickt hat, hat sie dazugeschrieben, dass alle großen Schriftsteller mit Tagebuchschreiben angefangen hätten, und deshalb fange ich jetzt auch damit an.
Mumi hat noch eine Karte dazugelegt, auf der stand, dass so ein Tagebuch einem auch hilft, wenn man sich mal allein und traurig fühlt, und das würde ich jetzt ja vielleicht manchmal tun, wo sich so viel bei uns geändert hat. Ich fand das ziemlich nett von ihr, aber dooferweise hat Papa die Karte vorhin, als Mama Eva gewickelt hat, in die Finger gekriegt, und da ging es natürlich gleich los.
(Ottilie heißt eigentlich Eva, aber wenn sie ein Junge geworden wäre, hätte sie Otto geheißen und ich finde, Ottilie passt viel besser zu ihr.)
Erst hat Papa eine Sekunde stumm auf die Vorderseite von der Karte gestarrt, weil da einer dieser männerfeindlichen Witze stand, wie Mumi sie gerne mag (»Wie kriegt man das Gehirn eines Mannes auf die Größe einer Erbse? Aufpusten!«).
Danach hat er die Karte umgedreht und anschließend gesagt, meine Oma sei der einzige Mensch, den er kenne, der aus allem, aus wirklich allem ein Problem machen würde.
»Anstatt dir zu gratulieren, dass du jetzt eine kleine Schwester hast, schreibt sie dir so einen Blödsinn! Allein und traurig – dass ich nicht lache!«
Ich hab versucht, ihn zu beruhigen, aber er hat sich richtig reingesteigert und gemeint, seine Schwiegermutter hätte überhaupt keine Ahnung von zwölfjährigen Mädchen und erst recht nicht von mir. Schließlich hätte ich Eltern, die alles für mich tun würden, und eine bildhübsche neugeborene Schwester und Hanna und Sophie und noch tausend andere Freundinnen und deswegen wäre das mit dem Alleinfühlen totaler Quatsch. Und dann hat er mich gefragt, ob ich das nicht auch so sehe. Ich hab schnell genickt und er hat ganz erleichtert ausgesehen und mir einen Kuss gegeben. Und damit war die Sache vom Tisch. Gott sei Dank.
Letztes Mal, als Papa gedacht hat, dass ich Sorgen hätte, hat er mich bei einem Freizeitwochenende für Zehn- bis Zwölfjährige angemeldet. Damit ich mehr an die frische Luft komme.
Außer mir waren da nur noch zehnjährige Jungs und alle trugen Shorts, obwohl es irre kalt war. Tagsüber mussten wir stundenlang angeln (ich hab meine Fische immer wieder ins Wasser geworfen, weil die mir leidtaten) und am Abend sollten wir die geangelten Fische dann vor der Jugendherberge ausnehmen und die Innereien in einen Plastikeimer werfen. Dabei gab’s immer ein ganz grässliches Geräusch. So eine Art »Blabsch«. Echt eklig. Irgendwann hat einer der Jungs angefangen, die anderen mit den Fischdärmen zu beschmeißen, dann hat einer der Betreuer einen ganzen Batzen Därme mitten ins Gesicht gekriegt und anschließend mussten wir alle schon um acht ins Bett.
Am nächsten Tag sollte ich dann noch bei einer Höhlenwanderung mitmachen, obwohl ich tierische Platzangst habe. Ich hab gesagt, dass ich definitiv in nichts gehe, was dunkel ist und keine Fenster hat, weil ich mich mit vier Jahren aus Versehen im Kleiderschrank meiner Oma eingesperrt habe und stundenlang echte Todesangst hatte. Aber das hat natürlich keiner von den Jungs verstanden. Stattdessen hat mich einer der Darmschmeißer Feigling genannt und danach so doll geschubst, dass ich fast hingefallen wäre. Na ja und da hab ich ihn eben zurückgeschubst und dann musste ich früher als die anderen nach Hause fahren, weil der Typ blöderweise der Sohn von dem Pastor war, der die ganze Sache geleitet hat.
Als ich wieder zu Hause war, hab ich mir geschworen, dass ich ab jetzt nur noch heule, wenn Papa nicht da ist. Wer weiß, was ihm sonst noch so einfällt. Nachher …
Moment! Papa ruft.
Bin schon wieder da. Soll für Papa ein Paket Windeln kaufen, weil die, die er gekauft hat, Ottilie zehn Nummern zu groß sind. Ich muss mich beeilen, sonst macht der Supermarkt bei uns um die Ecke zu. Bis morgen!!!!
Samstag, der 2. Mai
Höhepunkte
1) Habe heute früh eine halbe Stunde mit der schlafenden Ottilie vor dem Spiegel verbracht und dabei zwei Dinge festgestellt: a) Sie sieht zwar wie ein japanischer Sumo-Ringer aus, aber ich habe sie trotzdem ganz doll lieb. b) Ich hab vielleicht eine klitzekleine Speckrolle am Bauch und genauso blaue Augen wie sie, aber sie sieht mir definitiv nicht ähnlich!
Tiefpunkte
1) Mama verhält sich merkwürdig.
Heute ist ein ziemlich öder Tag. Seit Mama mit Ottilie gestern aus dem Krankenhaus nach Hause gekommen ist, habe ich viereinhalb Stunden ferngesehen, zweieinhalb Stunden Gameboy gespielt und dreieinhalb Tafeln Schokolade gegessen und niemand hat etwas dagegen gesagt. Kein Wunder. Papa hat mit der schreienden Ottilie alle Hände voll zu tun und Mama liegt die ganze Zeit im Bett und starrt schluchzend an die Decke. Komisch, oder?
Eigentlich hab ich gedacht, Frauen, die gerade ein Baby bekommen haben, sind total glücklich. Und jetzt das. In den letzten Wochen haben meine Eltern ständig mit mir darüber geredet, dass sie sich am Anfang viel um Ottilie kümmern werden und dass ich deswegen nicht eifersüchtig zu sein brauche, weil das ja nicht bedeutet, dass sie mich weniger lieb haben und so. (Ich hab ihnen nicht gesagt, dass ich den Elternratgeber, aus dem sie das haben, auch gelesen hab.)
Aber das hier ist wirklich merkwürdig. Mama weint die ganze Zeit leise vor sich hin und allmählich tut mir Ottilie richtig leid. Schließlich ist sie erst sechs Tage alt, und wenn man sich erst mal an ihren roten Kahlkopf gewöhnt hat, ist sie wirklich süß. Ihre Haut riecht total schön nach warmer Milch, und wenn sich ihre kleine Hand um meinen Finger krallt, dann will ich sie Papa am liebsten gar nicht mehr zurückgeben, so niedlich ist sie. Nur wenn sie schreit, dann werden Papa und ich immer ein bisschen panisch. Aber das tut sie meistens nur, wenn sie Hunger hat. Dafür dann aber so was von laut! Und sie hört erst auf, wenn irgendetwas, woran sie saugen kann, in ihre Nähe kommt.
Vorhin, als ich Ottilie auf dem Arm gehabt hab, hat sie sogar an meiner Nasenspitze gesogen, und als sie gemerkt hat, dass da nichts rauskommt, hat sie so verzweifelt geschrien wie ein kleiner Vogel, der aus dem Nest gefallen ist. Mein Herz hat richtig laut zu klopfen angefangen und ich bin ganz schnell zu Mama ins Schlafzimmer gelaufen. Die hat aber nur schluchzend ihr T-Shirt hochgeschoben und Ottilie an ihre Brustwarze angedockt. Und während Ottilie zu saugen angefangen hat, hat sie einfach weitergeschluchzt.
Das war furchtbar. Eigentlich ist Mama nämlich überhaupt nicht so. Normalerweise lacht sie ganz viel und will immer wissen, ob man schon Hausaufgaben gemacht hat oder ob ihr Hintern in der Jeans, die sie anhat, dick aussieht. Aber im Moment scheint ihr das alles egal zu sein. Ihre Augen sind rot und verheult und ihr Blick ist ganz komisch nach innen gerichtet, so als würde sie gar nicht so richtig mitkriegen, was um sie herum passiert. Außerdem hat sie mich schon seit Tagen nicht mehr »Wurzelgemüse« genannt, obwohl sie das sonst immer tut (auch wenn ich ihr schon x-mal gesagt habe, dass das oberpeinlich ist).
Papa meint, das mit dem Heulen kommt von den Hormonen, die bei Mama im Körper verrücktspielen. So was dauert ein paar Tage, aber es ist ganz normal, hat Papa gesagt, und nennt sich Baby-Blues. Erst war ich beruhigt, weil Baby-Blues nicht sonderlich schlimm klang, aber dann hab ich das Wort doch noch mal im Internet gegoogelt und da hörte sich das Ganze gar nicht mehr so harmlos an.1 Hoffentlich geht das bei Mama schnell wieder vorbei. Apropos vorbei …
Mir fällt gerade ein, dass Hanna mich vorhin am Telefon angefleht hat, das Bio-Referat für sie fertig zu machen, weil sie am Wochenende mit ihren Eltern auf einer Wellnessfarm war und das Referat vor lauter Wellness total vergessen hat und die Simbrinck ihr am Montag sonst garantiert eine Fünf gibt.
Mist! Frag mich mal nach Lust, mich jetzt noch an den Schreibtisch zu setzen und irgendwas über den Blättermagen der Kuh rauszusuchen. Aber was tut man nicht alles für seine Freundin …
Es ist komisch, aber irgendwie buhle ich noch immer um sie, obwohl ich das eigentlich gar nicht mehr bräuchte. Okay, sie ist die Beliebteste in unserer Klasse, und als ich sie in der Fünften zum ersten Mal gesehen hab, habe ich mir gleich gewünscht, dass sie mal meine beste Freundin wird. Aber manchmal kann sie auch ganz schön anstrengend sein. Andererseits – wer ist das nicht? Wenn man Papa fragen würde, wäre anstrengend wahrscheinlich mein zweiter Vorname. Auf jeden Fall sind wir inzwischen eine ziemlich gute Gang – Hanna, Katja, Sophie und ich. Manchmal ist Franzi auch dabei und meistens bestimmt Hanna, was wir machen. Weil sie einfach die abgefahrensten Ideen hat. (Neulich hat sie den Schminkkoffer ihrer Mutter geplündert und dann sind wir in voller Kriegsbemalung in eine Karaoke-Bar und haben Weihnachtslieder gesungen. Im April!!) Hanna hat einfach so was wie … Führungsstärke oder so. Charisma2 eben. So ein bisschen wie eine Hollywood-Schauspielerin. Und das nicht nur, weil sie so hübsch ist oder weil ihre Eltern so viel Geld haben oder …
Oh, Papa ruft gerade, er klingt Ich schau mal nach, was los ist.
Nachher oder morgen schreib ich weiter! Versprochen!
1Da stand nämlich ein Verweis zu Depressionen. Jemand, der eine Depression hat, ist anscheinend nicht nur ein paar Tage traurig wie beim Baby-Blues, sondern über Monate oder sogar Jahre! Immerhin stand da aber auch, dass es Medikamente dagegen gibt. Keine Ahnung, welche. Ob’s so was wie Glücklichmach-Pillen gibt? Kann ich mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, dann würde sie ja jeder nehmen.
Montag, der 3. Mai
Höhepunkte
1) Außer dass Bio ausgefallen ist, weil Frau Simbrinck krank war – keine.
Tiefpunkte
1) Der Fernseher ist kaputtgegangen.
2) Schon wieder Nudeln mit Maggi (das dritte Mal in Folge).
3) Mama weint.
Es ist kurz nach 15.00 Uhr. Mama liegt noch immer wie ein gestrandeter trauriger Wal im Schlafzimmer und schluchzt. Papa sitzt die meiste Zeit bei ihr drinnen und hält ihre Hand, Ottilie schläft in ihrer Wiege und ich langweile mich zu Tode.
In der Schule war es heute auch doof.
In Sport haben wir Handball gespielt und Scharina hat ein Eigentor geworfen. Hanna, die im Tor stand, hat fast einen Kollaps gekriegt, weil sie sich sicher war, dass Scharina das mit Absicht gemacht hat, aber ich glaube, das war einfach nur ein blödes Versehen. Wissen tut man das bei Scharina allerdings nie so genau.
Hanna meint, dass Scharina Spaß daran hat, wenn alle sich streiten, aber ich vermute, das sagt sie nur, weil sie sich darüber ärgert, dass sie den Ball durchgelassen hat. Und weil Scharina und sie sich sowieso ständig anzicken.
Am ersten Tag, als Scharina neu von der Realschule zu uns in die Klasse gekommen ist, haben wir alle noch gedacht, dass Hanna und sie ganz dicke miteinander sind. Immerhin hat unsere Rektorin sie extra in unsere Klasse, die 6b, gesteckt, weil Hanna und Scharina sich noch aus der Grundschule kennen. Ehrlich gesagt hab ich am Anfang sogar Angst gehabt, dass Hanna jetzt, wo sie ihre alte Grundschulfreundin wiederhat, vielleicht gar keine Lust mehr auf mich und unsere Clique hat, aber dann hat sich ziemlich schnell herausgestellt, dass ich mir gar keine Sorgen hätte machen müssen. Hanna hat Sophie, Katja und mir nämlich gleich an Scharinas erstem Schultag zugeflüstert, dass die anderen in der Grundschule Scharina wegen ihrer schwarzen Haare und ihrer dünnen Beine immer »Schneewittchen, Schneewittchen, kein Arsch und kein Tittchen« genannt haben und in der Pause ist sie dann zu Frau Simbrinck gegangen und hat gesagt, dass sie auf keinen Fall neben Scharina sitzen will. Und damit war klar, dass das mit der Freundschaft zwischen den beiden wohl nichts werden würde. Eher im Gegenteil.
Zuerst hab ich mich darüber gewundert, dass Hanna Scharina gleich so miesgemacht hat, weil ich fand, dass Scharina mit ihren schrägen Augen und den dunklen Haaren eigentlich ganz nett aussah (ein bisschen wie Pocahontas aus dem Zeichentrickfilm).
Aber dann hat Hanna uns anvertraut, dass Scharina in der Grundschule etwas wirklich Schlimmes gemacht hat und das könne sie ihr noch immer nicht verzeihen. Ich wollte natürlich gleich wissen, was sie denn damals gemacht hat, aber Hanna meinte, darüber wolle sie nicht reden, und da hab ich dann nicht weiter nachgefragt. Schließlich ist es völlig okay, wenn man ein Geheimnis für sich behalten will. Auch wenn mich natürlich brennend interessiert hätte, was es war.
Inzwischen hab ich eine weitere Theorie entwickelt, warum die beiden sich nicht mögen. Wahrscheinlich liegt es daran, dass Scharina und Hanna beide auf ihre Art richtig gut aussehen. Wenn man sich so umguckt, ist es schließlich fast immer so, dass Mädchen, die wie Heidi Klum aussehen (und Hanna sieht wirklich ein bisschen aus wie Heidi Klum), nie beste Freundinnen haben, die wie indianische Häuptlingstöchter aussehen (also wie Scharina). Sondern eher welche, die so aussehen wie Sophie oder ich, also ziemlich normal. Wenn ich mein Aussehen benoten müsste, dann wäre ich wahrscheinlich eine glatte Zwei. Na ja oder eine Zwei minus. (Das Minus ist wegen meiner Nase. Die ist ein klitzekleines bisschen zu groß. Aber dafür habe ich ziemlich nette blaugraue Augen und Papa meint, meine Haare wären gar nicht so fisselig, wie ich immer sage.)
17.32 Uhr.
War eben bei Sophie, um mit ihr, Hanna und Katja für Erdkunde zu üben, und da hat Sophie erzählt, dass sie am Wochenende zum ersten Mal ihre Tage gekriegt hat. Danach war an Erdkunde natürlich nicht mehr zu denken. Hanna hat Sophie gleich gefragt, ob ihre Mutter ihr zur Feier ihrer »Frauwerdung« (das Wort hat sie echt benutzt!) auch ein Armband aus Silber geschenkt hätte. Sophie hat den Kopf geschüttelt und geantwortet, sie hätte dafür eine Packung Binden bekommen, aber man hat gemerkt, dass sie gar nicht gewusst hat, dass man für seine Tage auch Schmuck bekommen kann. Anschließend hat Katja gemeint, dass ihre Mutter Tampons hygienischer findet als Binden, und dann haben alle stundenlang über ihre Blutungen geredet und ich hab mich erst mal aufs Klo verpieselt und schließlich behauptet, dass ich früher nach Hause muss.
Wie sehr ich dieses ganze Tage-Thema hasse! Und das liegt nicht daran, dass ich sie noch nicht habe. Wirklich nicht! Meinetwegen bräuchte ich die überhaupt nie zu kriegen! Allein der Gedanke, nie wieder eine weiße Jeans anhaben zu können, weil man immer befürchten muss, dass man gleich alles durchblutet. Einfach ätzend! Ich meine, ich weiß, dass das irgendwann kommt, aber sooo wichtig, dass man ständig darüber reden muss, ist es doch auch nicht, oder?
Je länger ich darüber nachdenke, umso froher bin ich sowieso, dass ich noch keine Frau bin. Und ich habe auch nicht vor, so schnell eine zu werden. Und schwanger schon gar nicht! Erst hängst du monatelang über der Kloschüssel, dann wirst du so dick, dass du im Eiscafé nicht mehr auf die Stühle passt (Mama musste sich richtig reinquetschen, dabei haben Schwangere doch oft Lust auf Eis, das hätten die Stuhlhersteller mal bedenken sollen), und dann erleidest du auch noch höllische Schmerzen, um dein Kind auf die Welt zu bringen. Nee, das ist nichts für mich.
Wenn ich erwachsen bin, werde ich erst mal überall herumfliegen und Reiseromane schreiben. Vielleicht werde ich auch Naturforscherin, so eine wie Dian Fossey, die mit Gorillas gelebt hat. Oder ich werde Entwicklungshelferin und gehe nach Afrika und kämpfe da gegen Hunger und Kinderarmut.
Vorhin sind wir beim Erdkundelernen darauf gekommen, was wir später mal machen wollen, und als ich das von Afrika erzählt hab, meinte Hanna, dass sie schon einmal mit ihren Eltern in Kenia war und dass die garantiert niemanden wie mich gebrauchen könnten, weil es dort vor Spinnen nur so wimmeln würde. Na ja und da war ich erst mal bedient. Eigentlich hab ich Hanna das mit meiner Arachnophobie3 nämlich ganz im Vertrauen erzählt und dass sie das vor den anderen so breitgetreten hat, fand ich voll daneben. Erst war ich richtig sauer auf sie, aber dann hat Sophie mir zugeflüstert, dass Hannas Wellness-Urlaub voll der Flop war und sie das ganze Wochenende allein in dem bekloppten Hotel rumhängen musste, während ihre Eltern acht Stunden auf dem Golfplatz waren. Und da hab ich ihr die Bemerkung dann wieder verziehen.
Hanna hat’s schließlich auch nicht leicht. Abgesehen von irgendwelchen teuren Urlauben kümmern sich ihre Eltern nämlich so gut wie gar nicht um sie. Wahrscheinlich wissen sie noch nicht mal, dass ihre Tochter später Model werden will oder dass sie in Ben aus der 8a verliebt ist. Im Grunde genommen ist Hanna für ihre Eltern nur ein Vorwand, um ihr Zimmer wie aus Schöner wohnen einrichten zu können. Aber das darf man nicht laut sagen. Noch nicht mal Hanna selbst gegenüber, obwohl die sonst immer tierisch über ihre Eltern ablästert. Aber wehe, jemand anders sagt was, dann wird sie total sauer. Ich hab einmal angebracht, dass ich es merkwürdig finde, dass ihre Mutter mich noch immer Julia nennt, obwohl sie nach fast zwei Jahren ja eigentlich mitbekommen haben müsste, dass ich Julie heiße. Aber da hat Hanna mich ganz eisig angesehen und ich hab gewusst, dass ich jetzt besser die Klappe halte.
So, gerade war Papa bei mir im Zimmer und hat mich gefragt, ob ich ihm bei der Wäsche helfen kann. Ottilie schreit auch schon wieder und Mama heult noch immer. Ich schreib morgen weiter oder übermorgen, falls ich morgen nicht dazu komme.
3Das Wort hat mir Papa beigebracht, als ich neun Jahre alt war. Es bedeutet Spinnenangst. Komisch, oder? So ein schönes Wort für so eine ätzende Angst …
Dienstag, der 4. Mai
Höhepunkte
1) Heute gab es zum ersten Mal nicht Nudeln mit Maggi, sondern …
Tiefpunkte
1) … Tiefkühlgemüse. Würg.
2) Ottilie schreit andauernd. Außerdem kratzt sie sich wie blöde im Gesicht. Da sie ziemlich lange Fingernägel hat, sieht sie inzwischen aus wie Freddy Krüger.
3) Habe in Mathe eine Fünf zurückbekommen. Das ist die erste Fünf meines Lebens. Wahrscheinlich werde ich ein Schulversager.
4) Hanna und ich haben uns tierisch gefetzt.
5) Mama heult noch immer. Fange langsam an, mir ernsthaft Sorgen zu machen.
Ich habe heute die erste Fünf meines Lebens zurückbekommen. Papa meinte, das sei nicht schlimm, er sei auch immer schlecht in Mathe gewesen, aber das sagt er nur, um sich nicht weiter damit beschäftigen zu müssen. Mit dem Kopf ist er nämlich ganz woanders.
Ottilie hat wieder die halbe Nacht durchgeschrien und Papa hat nur zwei Stunden am Stück geschlafen. Ich hab echt Glück, dass mein Zimmer auf der anderen Seite des Flurs liegt. Sonst sähe ich jetzt wahrscheinlich genauso grau und ZERKNITTERT aus wie er.
Normalerweise sieht Papa echt gut aus. Katja meinte sogar einmal, dass ich Glück hätte, wenn ich mehr nach ihm komme als nach meiner Mutter (wegen Mamas dickem Po), aber im Moment dürfte sie ihn echt nicht zu Gesicht bekommen. Nicht den Po, sondern meinen Vater, meine ich. Unter den Augen hat Papa nämlich zurzeit ganz dunkle Ringe und sein Zwanzig-Cent-Stück auf dem Kopf (die kahle Stelle, von der er immer sagt, dass es sie gar nicht gibt) ist inzwischen mindestens so groß wie ein Zwei-Euro-Stück. Weil Ottilie so viel schreit, trägt Papa sie die ganze Zeit über der Schulter und dabei spuckt Ottilie ihn manchmal mit einem weißlichen Brei voll, sodass sein Rücken inzwischen aussieht, als wäre er voller Vogelkacke. Leider hört Ottilie selbst beim Spucken nicht auf zu schreien und deshalb hat Papa heute die Hebamme angerufen und die hat gesagt, dass Ottilie vielleicht deswegen so viel schreit, weil es mit dem Stillen nicht so richtig klappt.
Also war ich eben im Supermarkt und hab Milchpulver gekauft, aber bisher weigert sich Ottilie noch standhaft, das Zeug zu trinken. Ottilie will an die Brust, aber jedes Mal, wenn sie zu saugen anfängt, fließen bei meiner Mutter wieder die Tränen und dazu macht sie ein Geräusch wie das Pumuckl-Pupskissen, das Paul neulich auf Jannicks Stuhl gelegt hat. Das mit dem Pupskissen war echt lustig, aber bei meiner Mutter hört es sich gar nicht lustig an. Eher so wie bei einem verendenden Tier. Bambi oder so. So als wäre sie ganz allein auf der Welt und müsste demnächst ganz jämmerlich sterben.
Als ich Mamas Pups-Schluchzen zum ersten Mal gehört hab, habe ich sie gedrückt und ihr gesagt, dass ich sie ganz doll lieb habe und Ottilie und Papa auch, aber selbst das hat sie nicht wieder aufgebaut. Sie hat immer nur weitergeheult und mir dabei über den Kopf gestrichen, als wenn ich Krebs hätte. Und »Wurzelgemüse« hat sie wieder nicht gesagt.
Papa meint, Mama ginge es morgen garantiert besser. Aber das hat er vorgestern auch schon gesagt und gestern auch und deshalb glaube ich ihm das nicht mehr. Meiner Meinung nach müsste er mal jemanden, der etwas davon versteht, fragen, ob das mit diesem Baby-Blues noch normal ist, aber davon will er nichts hören. Ich weiß nicht, ob das bei anderen Vätern auch so ist, aber Papa hasst es, andere um Rat zu fragen. Wenn wir uns verfahren haben, kurvt er grundsätzlich erst stundenlang in der Gegend rum, ehe er an der Tankstelle nach dem Weg fragt. Und letztes Jahr mussten wir unsere Fahrräder monatelang draußen im Regen stehen lassen, weil der Fahrradschuppen, den er gebaut hat, nach drei Tagen wieder zusammengebrochen ist. Mama hat gesagt, er hätte vielleicht doch ein richtiges Fundament bauen sollen. Und warum er nicht unseren Nachbarn gefragt hat, der ist schließlich Bauingenieur. Aber Papa meinte, Bauingenieure wüssten auch nicht alles und dass der Schuppen zusammengebrochen ist, käme nur von den Maulwurfsgängen drum herum – die unterhöhlen nämlich das ganze Erdreich und dagegen hätte auch unser Nachbar nichts tun können. Oh, das Telefon klingelt. Bin gleich wieder da …
Zehn Minuten später.
Das war Hanna, die gefragt hat, ob ich Lust hätte, nachher zu ihr rüberzukommen. Klar hab ich Lust! Denn erstens haben wir uns wieder vertragen (wir haben uns so was von gestritten, aber dazu später mehr!) und zweitens treffen wir uns seit Wochen fast immer bei mir und das nervt allmählich echt. Katja, Sophie und Hanna (und manchmal auch Franzi) sind nämlich nicht bei mir, weil sie mein Zimmer so toll finden, sondern weil Ben aus der 8a im Reihenhaus direkt nebenan wohnt und weil Hanna seit dem Auftritt seiner Band neulich auf dem Schulfest so tierisch verknallt in ihn ist. Ich bin hier also quasi die Liebes-Basisstation. Das ist natürlich nicht wirklich schlimm, aber sonderlich toll ist es auch nicht. Weil ich Ben doch schon aus dem Kindergarten kenne, wo er mich immer vor dem fiesen Till aus der orangen Gruppe beschützt hat, und weil Hanna jetzt jedes Mal, wenn wir ihm draußen auf der Straße über den Weg laufen, an ihrem Ausschnitt herumzupft und »Oh, mein BH drückt vielleicht!« stöhnt. Oder so was Ähnliches. Nur damit Ben auch garantiert mitkriegt, dass sie schon einen trägt.
Ich versinke dann immer halb in den Boden vor lauter Scham, aber bisher habe ich mich noch nicht getraut, das Hanna zu sagen, weil die anderen sonst garantiert wieder behaupten würden, dass ich völlig unreif und in Jungssachen einfach unterentwickelt bin.
Letzte Woche ist die ganze Sache dann beinahe äskaliert.4 Hanna hatte nämlich beschlossen, dass wir alle ganz »zufällig« vor Bens Haustür auf dem Kantstein sitzen sollten, und als er mit seinem Skateboard in der Hand rausgekommen ist, hat sie ihn doch tatsächlich gefragt, ob sie sich nicht mal verabreden wollen. Unglaublich, oder? Hanna hat manchmal ein richtiges Kamíkaze-Gen.
Ben ist stehen geblieben und hat einen Moment entgeistert geguckt, aber dann hat er Hanna geantwortet, es täte ihm leid, im Moment hätte er ziemlich zu tun. Und anschließend ist er mit einem »Tschau, Julie!« ab auf sein Skateboard und weg.
Bei dem »Tschau, Julie!« sind meine Wangen ganz heiß geworden (was aber nichts mit Ben zu tun hat, wirklich nicht) und für einen Augenblick hatte ich das Gefühl, Hanna hätte was davon gemerkt, weil sie so komisch geguckt hat, aber gesagt hat sie zum Glück nichts. (Bei so was ist sie echt ein super Kumpel.) Sophie und Katja haben Hanna fragend angesehen, weil Bens Antwort ja nun wirklich nicht sonderlich ermutigend klang, aber Hanna hat ganz locker gemeint, Ben hätte garantiert nur so reagiert, weil wir dabei gewesen wären, und das nächste Mal würde sie ihn besser alleine ansprechen. Cool, oder? Papa meint immer, von Hannas Selbstbewusstsein könnte ich mir eine Scheibe abschneiden, und wahrscheinlich hat er recht. Obwohl ich inzwischen glaube, dass sie diesmal doch ein bisschen zu weit gegangen ist.
Hanna ist vielleicht der Star bei uns in der sechsten Klasse, aber hey – die Achtklässler spielen doch in einer GANZ ANDEREN Liga. Und außerdem ist Ben sowieso anders. Bei ihm hat man nämlich immer das Gefühl, dass es ihm ganz egal ist, ob er beliebt ist oder nicht. Dabei ist er wirklich sehr beliebt.
Wahrscheinlich ist das so wie die Frage nach der Henne und dem Ei. Entweder muss man beliebt sein, damit es einem egal sein kann, ob man beliebt ist oder nicht. Oder man ist deshalb so beliebt, weil die anderen merken, dass es einem schnurzpiepegal ist, ob man nun beliebt ist oder nicht.
Dummerweise ist es mir überhaupt nicht egal, wie beliebt ich bin. Ich meine, ich muss nicht unbedingt die Beliebteste in der Klasse sein, aber im oberen Drittel zu sein, ist schon ein ziemlich beruhigendes Gefühl. Immer wenn wir Sportunterricht haben und ich werde vor Scharina und Christian und der dicken Jette gewählt, bin ich ganz erleichtert. Weil ich es mir schrecklich vorstelle, ganz bis zum Schluss sitzen bleiben zu müssen. Christian und die dicke Jette gucken auch immer ganz traurig und ich nehme mir dann vor, sie eher zu wählen, wenn ich mal dran bin, eine Mannschaft zusammenzustellen. (Aber bisher war ich noch nie dran.)
Scharina guckt nie traurig. Die guckt immer nur wütend. Vor allem, wenn Christian und der rothaarige Oliver sie »Schneewittchen, Schneewittchen, kein Arsch und kein Tittchen!« nennen.
Den Spruch haben Christian und der rothaarige Oliver natürlich von Hanna, obwohl sie das nie zugeben würde. Aber sie ärgert Scharina ständig damit, so nach dem Motto: »Kannst du mir mal den Stift geben, Schnee- … Scharina?« Anschließend tut sie zwar immer so, als ob es aus Versehen passiert wäre, aber das stimmt nicht. Hanna weiß ziemlich genau, was sie sagt.
Scharina war übrigens auch der Grund, warum ich mich heute in der kleinen Pause so mit Hanna gefetzt habe. Heute hat Hanna Scharina in der Pause nämlich mit Absicht ein Bein gestellt, und als Scharina wieder hochgekommen ist, hat Hanna sich so überschwänglich bei ihr entschuldigt, dass jeder wusste, eigentlich meint sie genau das Gegenteil. Als wir anschließend alleine waren, hab ich mir einen Ruck gegeben und ihr gesagt, dass ich das voll fies fand. Weil mir Scharina allmählich nämlich richtig leidtut. Woraufhin Hanna ausgerastet ist. Und wie! Sie hat behauptet, ich halte nicht zu ihr, sondern zu Scharina, obwohl wir doch in einer Clique sind und beste Freundinnen, und ich hätte überhaupt keine Ahnung, um was es ginge, und wenn ich nicht aufpassen würde, wäre ich in der Klasse demnächst ganz unten durch.
Erst hab ich nicht begriffen, was sie damit meint, aber dann bin ich echt sauer geworden. Nur weil SIE gemein zu Scharina ist, soll ICH in der Klasse bald unten durch sein???
Hallo? Hat sie sie noch alle? Genau das habe ich sie dann auch gefragt und danach bin ich wütend abgezischt und habe sogar Sophie, Katja und Franzi stehen gelassen, die wissen wollten, was los ist.
Als ich dann aber in unserem Klassenzimmer saß und leise vor mich hin gekocht hab (Mama behauptet immer, bei mir raucht es sogar aus den Ohren, wenn ich wütend bin), ist Hanna zur Tür hereingekommen.
Ich wollte ihr gerade sagen, dass sie sich sonst wohin verkrümeln könnte, da habe ich gemerkt, dass etwas nicht stimmte.
Hanna hatte Tränen in den Augen Kannst du dir das vorstellen? Das ist noch nie passiert, niemals!
Ich hab mich ganz schön erschrocken. Und dann hat Hanna mir verraten, was zwischen Scharina und ihr damals in der Grundschule passiert ist. Und echt, jetzt kann ich sogar ein bisschen verstehen, warum Hanna so ätzend zu Scharina ist.
Hannas Stimme hat ganz verändert geklungen, als sie angefangen hat zu sprechen.
»Weißt du, meine Eltern haben behauptet, es wäre meine Schuld und ich wäre schlampig. Und Scharina hat kein Wort gesagt. Aber die Sache mit dem Klauen war wirklich mies!«
Ich muss Hanna ziemlich perplex angeguckt haben. »Deine Schuld? Die Sache mit dem Klauen?«
Erst hab ich nur Bahnhof verstanden, aber dann hat Hanna mir die ganze Geschichte der Reihe nach berichtet.
Wie Scharina ihr das silberne Armband, das sie zur Einschulung von ihrer Mutter geschenkt bekommen hat, aus ihrer Federtasche gestohlen hat. Und wie sie erst gedacht hat, sie hätte es verloren, und sie tierischen Ärger mit ihren Eltern bekommen hat. Und wie sich anschließend herausgestellt hat, dass Scharina es ihr weggenommen hat. Und nicht nur das!! Scheinbar hat sie damit auch noch vor den anderen aus der Klasse angegeben.
Hanna hat ganz elend ausgesehen, als sie mir das erzählt hat. Und ich weiß auch genau, warum. Ich kann mir schon vorstellen, was bei ihr zu Hause los war, als ihre Eltern dachten, sie hätte das Armband verloren.
Aber dass Scharina eine Diebin ist, das hätte ich nicht gedacht! Gut, sie ist immer nur für sich und lächeln scheint auch nicht so ihr Ding zu sein. Und jeder hat ihr angemerkt, dass sie nicht gerade erfreut war, als sie gesehen hat, dass Hanna bei uns in der Klasse ist.
Aber auf die Erklärung wäre ich nie gekommen!
Kurz vor Pausenende sind dann noch Katja, Franzi und Sophie gekommen, die wissen wollten, was los ist, und da hat Hanna sie auch eingeweiht.
Katja meinte, das mit dem Klauen, das hätte Scharina bestimmt von ihrem Vater. Scharinas Vater soll nämlich voll mies drauf sein, hat sie von irgendwem gehört. Ein richtig gefährlicher Typ, der sogar schon im Gefängnis gesessen hat. Wegen schwerem Raub mit Körperverletzung. Sophie hat zwar gesagt, ihre Mutter hätte mal erwähnt, dass Scharinas Vater ein stinknormaler Elektriker ist, der Scharinas Mutter schon vor Jahren verlassen hat, aber Hanna meinte, das würde Scharinas Mutter vielleicht nur sagen, weil ihr die Wahrheit so peinlich ist. Ich weiß nicht so ganz, wem ich jetzt glauben soll, aber irgendwie denke ich, dass das mit dem kriminellen Vater stimmt.
Einen Halbbruder hat Scharina auch noch und Katja sagt, der wäre das einzig Gute an der Familie.
Scheinbar ist er der Sohn von Scharinas Vater aus erster Ehe und schon siebzehn und hat ganz lange schwarze Haare und trägt immer supercoole Klamotten. Und das, obwohl seine Familie so wenig Geld hat. Katja und Hanna haben ihn mal beim Shoppen in der Einkaufsstraße gesehen und Katja meinte, er sähe aus wie Johnny Depp in jung, irgendwie »süß«.
Also was mich angeht, ich könnte mit einem Bruder im Moment echt nichts anfangen – egal, ob er nun »irgendwie süß« ist oder nicht. Mir reicht eine Schwester, vor allem, wenn sie so doll stinkt wie Ottilie zurzeit. Boah! Hättest du eine Nase, müsstest du sie dir jetzt zuhalten. Der Geruch von Babykacke wabert nämlich gerade durch unser ganzes Haus. Muss Papa unbedingt Bescheid sagen, dass er Ottilie so schnell wie möglich wickelt.
Aber pronto!!
4Oder wird das »eskaliert« geschrieben? Keine Ahnung. Heißt auf jeden Fall so viel wie »übergekocht«. Eins der Wörter, mit denen ich immer gnadenlos erwachsen klinge. Vergesse aber oft, es einzusetzen.
Mittwoch, der 5. Mai
Höhepunkte
Keine.
Tiefpunkte
1) Wieder Nudeln mit Maggi.
2) Der Fernseher ist noch immer kaputt.
3) Bin eventuell das Opfer einer Lesbe.
Der Besuch bei Hanna gestern war voll der Flop. Ihre Mutter hatte eine Bekannte da und wir mussten die ganze Zeit leise sein. Irgendwann kamen sie dann zu uns rein und ich wurde ihrem Besuch vorgestellt. Ich kam mir vor wie ein Kaninchen auf der Kaninchenzüchterausstellung. »Und das ist unsere Hanna und ihre Freundin Julia. Julias Eltern sind in der Werbung, nicht wahr?« Ich hätte am liebsten gesagt: »Nein, mein Vater ist Müllmann«, aber dann hab ich mich doch nicht getraut. Hannas Mutter lächelt immer so gekünstelt, und wenn sie Besuch von einer »Bekannten« hat, ist es besonders schlimm. Hannas Mutter hat schon zweimal versucht, meine Eltern zum Essen einzuladen (»Ganz zwanglos, nur auf ein, zwei Häppchen …«), aber zum Glück finden meine Eltern Hannas Eltern genauso blöde wie ich.