Die Originalausgabe erschien unter dem Titel “Guarded Heart”
Edel eBooks
Ein Verlag der Edel Germany GmbH
© 2015 Edel Germany GmbH
Neumühlen 17, 22763 Hamburg
www.edel.com
Copyright © 2008 by Jennifer Blake
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2008 by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH.
Ins Deutsche übertragen von Michael Koseler
Covergestaltung: Agentur bürosüd°, München
Konvertierung: Jouve
Inhaltsverzeichnis
TiteleiImpressumErstes KapitelZweites KapitelDrittes KapitelViertes KapitelFünftes KapitelSechstes KapitelSiebtes KapitelAchtes KapitelNeuntes KapitelZehntes KapitelElftes KapitelZwölftes KapitelDreizehntes KapitelVierzehntes KapitelFünfzehntes KapitelSechzehntes KapitelSiebzehntes KapitelAchtzehntes KapitelNeunzehntes KapitelZwanzigstes KapitelEinundzwanzigstes KapitelZweiundzwanzigstes KapitelDreiundzwanzigstes KapitelVierundzwanzigstes KapitelFünfundzwanzigstes KapitelSechsundzwanzigstes KapitelSiebenundzwanzigstes KapitelAchtundzwanzigstes KapitelNeunundzwanzigstes Kapitel
Erstes Kapitel
New Orleans, Louisiana
Januar 1844
»Ich benötige Ihre Fachkenntnis, um einen Mann zu töten.«
Gavin Blackford war gerade dabei, ein Glas Madeira vom Tablett auf dem Beistelltisch zu nehmen. Abrupt hielt er inne. Dass solch eine mit klarer, wenn auch gedämpfter Stimme vorgebrachte Bitte während eines Anstandsbesuchs anlässlich des Réveillon, der Feier des Neujahrstages, an ihn gerichtet wurde, war ungewöhnlich. Besonders überraschend war jedoch, dass die Bitte von einer Dame kam.
Jenseits der abgeschiedenen Ecke, in der sie standen, wurden zahlreiche lebhafte Gespräche geführt, ein Zeichen der heiteren Geselligkeit dieses Tages, an dem es Sitte war, dass die Männer von Haus zu Haus gingen, um die Damen aus ihrem Bekanntenkreis aufzusuchen und mit ihnen auf das neue Jahr anzustoßen. Das war bereits der zehnte Besuch, den Gavin an diesem Nachmittag absolvierte, wobei er immer wieder gezwungen gewesen war, durch den strömenden Regen zu eilen, der nach wie vor hinter den Verandatüren des elegant eingerichteten Salons niederging. Da er auch schon sein zehntes Glas Wein oder Rumpunsch trank und leicht beschwipst war, war er sich in keiner Weise sicher, ob er die Worte, die er eben gehört hatte, richtig verstanden hatte.
»Wie bitte?«
»Ich denke, Sie haben gehört, was ich gesagt habe.«
Nachdem er das Glas, das er Madame Ariadne Faucher hatte reichen wollen, vorsichtig wieder hingestellt hatte, drehte Gavin sich zu ihr zurück, um sie im flackernden Licht der über ihnen hängenden Gasleuchter zu betrachten. Für eine Frau war sie ziemlich groß. Ihre aufrechte, elegante Gestalt war in rosafarbene Seide gehüllt, die nach der neuesten Pariser Mode mit schwarzen Rüschen besetzt war. Ihr Blick war fest und verriet eine leichte Befangenheit, ohne jedoch irgendwie unsicher zu wirken. Ihre großen Pupillen und der dunkelgraue Außenrand ließen die tiefbraune Iris ihrer Augen fast schwarz aussehen. Ihr glänzendes ebenholzfarbenes Haar war zu einem einfachen Knoten gebunden, in dem ein Strauß Rosenknospen steckte. Hier und da hatten sich Strähnen aus dem Knoten gelöst, die sich aufgrund der abendlichen Feuchtigkeit an ihren Schläfen kringelten. Die Haut ihres Gesichts und ihrer Schultern war feinporig und blass und besaß einen Glanz, als sei sie mit Perlmutt bestreut. Obwohl es sich nicht gehörte, den Blick zu senken, um auf die milchweißen Kurven zu starren, die ihr Dekolleté enthüllte, nahm Gavin am Rande seines Blickfelds wahr, dass diese liebreizenden Kurven den gleichen matten Schimmer aufwiesen. Das warf unweigerlich die Frage auf, ob der Rest ihres Körpers wohl einen ähnlichen perlmuttfarbenen Glanz hatte.
Als seine Gastgeberin Maurelle Herriot sie einander vorgestellt hatte, um sich anschließend wieder ihren anderen Gästen zu widmen, hatte er Madame Faucher für eine recht interessante, angenehm kultivierte Erscheinung gehalten, auch wenn sie mit ihren ein wenig zu ausgeprägten Gesichtszügen so gar nicht dem gegenwärtigen
Schönheitsideal entsprach, demzufolge Frauen bleich und zart auszusehen hatten. Wie hätte er denn ahnen sollen, dass sie solch tödliche Pläne hegte?
»Verzeihen Sie, madame«, sagte er mit einer leichten Neigung des Kopfes. »Obwohl ich gestehen muss, dass mir die ehrenhafteren Formen des Blutvergießens ein gewisses Vergnügen bereiten, habe ich nichts für Mord übrig.«
»Darüber ließe sich in Anbetracht Ihres Rufs als Duellant gewiss streiten.«
Das war ein Umstand, an den er nur ungern erinnert wurde. »Gleichwohl ist mein Degen nicht zu vermieten.«
»Man hat mir erzählt, Sie seien ein maître d’armes«, erwiderte sie stirnrunzelnd.
»Ein ehrbarer und durchaus legaler, wenn auch ein wenig anrüchiger Beruf.«
Bevor sie antwortete, presste sie leicht die Lippen zusammen, was angesichts ihrer rosenroten Farbe und ihrer üppigen, schön geschwungenen Fülle bedauerlich war. »Ich habe nichts Ungesetzliches vor. Ich brauche Unterricht im Gebrauch eines Floretts.«
»Sie brauchen Unterricht«, gab er in verständnislosem Ton zurück.
»Ist das so schwer zu akzeptieren?«
»Sie werden zugeben, dass das ungefähr so unüblich ist, als wehre sich ein Kätzchen mit einem Küchenmesser gegen eine Bulldogge.«
»Aber es ist nicht unmöglich.«
Unwillkürlich stellte Gavin sich die Frau vor ihm in einer Aufmachung vor, wie seine männlichen Schüler sie zum Fechten trugen. Er malte sich aus, dass sie nur ein
einfaches, am Hals offenes Mieder und Hosen anhaben würde, damit sie sich ungehindert bewegen konnte. Ihr Dekolleté würde den Blick auf Reize freigeben, wie sie in der Junggesellenbude seines Fechtstudios noch nie zu sehen gewesen waren, und bei jedem heftigen Ausfall würden Beine zur Geltung kommen, die, wie er vermutete, köstlich lang waren.
Sein Mund wurde trocken, während sich in seiner Lendengegend etwas rührte, das ihn an die Notwendigkeit erinnerte, seine Gedanken auf andere, höhere Dinge zu lenken. Ärger stieg in ihm auf. Normalerweise hatte er solche Reaktionen besser unter Kontrolle.
»Rein theoretisch ist es nicht unmöglich«, räumte er ein. »Ich weiß von ein oder zwei Damen, die gelegentlich mit ihrem Vater oder Bruder zur Übung fechten.«
»Das ist schwerlich das, was ich benötige.«
»Wie dem auch sei, wenn Ihr Gemahl sich zu mir bemühen würde, könnte er sie dann seinerseits instruieren.«
»Ich bin Witwe. Mein Vater und mein Bruder sind ebenfalls tot. Wenn sie es nicht wären, bräuchte ich diese Sache nicht selbst in die Hand zu nehmen.«
Ihr kühler, gelassener Ton passte weder zu dem Schmerz, der sich in ihren Augen widerspiegelte, noch zu der Röte, die ihre Wangen überzog, noch zu dem erregten Pulsieren ihrer Halsschlagader. Sie war, wie er feststellte, nicht so selbstbewusst, wie er zunächst angenommen hatte. Außerdem war sie wohl auch jünger, als er zunächst gedacht hatte, er schätzte sie irgendwo zwischen zwanzig und fünfundzwanzig. Einen Moment lang wurde er von dem Bedürfnis, ihr Trost zu spenden, überwältigt. Das war jedoch ebenso inakzeptabel wie ihre
Bitte, da sie offenbar dem haut ton angehörte, den oberen Schichten der französisch-kreolischen Gesellschaft, an deren Rand er sich bewegte. Sie wäre zweifellos schockiert gewesen, wenn er irgendetwas in dieser Richtung angedeutet hätte.
Was hatte Maurelle noch einmal gesagt, als sie sie einander bekannt gemacht hatte? Er hatte nicht genau hingehört, da es ihn frappiert hatte, Madame Faucher überhaupt vorgestellt zu werden. Frauen ihres Status verkehrten gewöhnlich nicht mit Fechtmeistern und wurden ihnen deshalb höchst selten förmlich vorgestellt. Ihm war so, als wäre die Rede davon gewesen, dass sie vor kurzem aus Paris zurückgekehrt sei, aber sicher war er sich nicht.
Er riss sich zusammen und sagte: »Mein Beileid, madame. Darf ich dem entnehmen, dass Sie alleinstehend sind?«
»In gewisser Weise.«
Sie warf einen Blick auf einen hünenhaften Mann mit Schnurrbart, der nicht weit von ihnen entfernt mit einigen anderen Gästen zusammenstand. Der Mann hatte das silberweiße Haar vorzeitig ergrauter Menschen und einen hochmütigen Gesichtsausdruck. Gavin bemerkte, dass der Gentleman auf eine Weise in ihre Richtung starrte, die nichts Gutes verhieß. »Es gibt also niemanden, der Ihnen für eine Beleidigung, die Sie erlitten haben, Genugtuung verschaffen könnte.«
»So ist es.«
»Wenn Sie die Sache selbst in die Hand nehmen, stellt sich freilich das Problem, dass kein Gentleman, der den Namen verdient, die Herausforderung einer Dame annehmen würde.«
»Ich habe nicht gesagt, dass es sich bei dem Betreffenden um einen Gentleman handelt.«
»Dann haben Sie umso mehr Grund, dieses blutdürstige Vorhaben noch einmal zu überdenken«, meinte Gavin mit einem Stirnrunzeln.
»So nennen Sie das, wo Sie doch selbst schon auf dem Feld der Ehre getötet haben?«
Dieser Punkt schien ihr wichtig zu sein, da sie ihn bereits zum zweiten Mal erwähnte. »Nur, wenn es nicht anders ging, oder aus Versehen. Gewöhnlich reicht es bei Ehrenhändeln aus, wenn ein wenig Blut fließt.«
»Das liegt in meinem Fall auch im Bereich des Möglichen.«
Ihre grimmige Miene ließ ihn an dieser Bemerkung zweifeln. Dass die Dame nach Satisfaktion strebte, konnte mehrere Gründe haben. Vielleicht war ihrem verstorbenen Ehemann in der Vergangenheit eine Beleidigung zugefügt oder sein Andenken in den Schmutz gezogen worden. Oder aber sie war von einem Liebhaber zurückgewiesen beziehungsweise betrogen, möglicherweise sogar körperlich misshandelt worden. Ungeachtet all dessen war es in keiner Weise üblich, dass Frauen zu einer Stichwaffe griffen, um Vergeltung zu üben.
Bevor er etwas sagen konnte, fuhr sie mit verächtlich blitzenden Augen fort: »Zögern Sie etwa, weil Sie glauben, dass es nur Männern zusteht, Beleidigungen zu rächen?«
»Ich fürchte, das liegt in der Natur der Dinge.« Er zog eine seiner Schultern hoch. »Es hat wenig Ehrenhaftes an sich, einen Gegner zu besiegen, der einem in puncto Gewicht nachsteht oder dessen Schwertarm eine geringere Reichweite hat. Und der vielleicht so zart ist wie ein
Lämmchen, so dass man sich nie und nimmer getrauen würde, zuzustoßen. Überdies ist weibliche Vergeltung gewöhnlich subtiler.«
»Aber nicht so befriedigend.«
»Im Gegenteil«, erwiderte er im Brustton der Überzeugung. »Oft ist es so, dass sie weit verheerendere Folgen hat.«
Ohne auf diese Bemerkung einzugehen, sah sie ihm forschend ins Gesicht. »Dann lehnen Sie meine Bitte also ab.«
Gavin neigte zustimmend den Kopf. Gleichzeitig bemerkte er, dass der silberhaarige Gentleman mit der herrischen Miene von seinen Gesprächspartnern wegtrat und auf sie zukam. »Es schmerzt mich, einer Dame nicht gefällig sein zu können ...«, begann Gavin.
»Aber es versteht sich von selbst, dass er ablehnt«, fiel der Neuankömmling ihm ins Wort. »Wie sollte es auch anders sein? Habe ich Ihnen das nicht vorausgesagt, ma chère?«
Die Worte des Mannes waren an Madame Faucher gerichtet, galten aber ganz offenkundig Gavin. Obwohl der Mann hervorragend Französisch sprach, hatte er den harten Tonfall eines Russen. Überdies sprach er mit entschieden gebieterischer Stimme. Gavin merkte, wie er in Rage geriet. Auf Befehle reagierte er stets allergisch, selbst wenn jemand das Recht hatte, ihm welche zu erteilen.
Als Ariadne Faucher sich dem Russen zudrehte, blitzten ihre schönen dunklen Augen verärgert auf. »Das geht Sie nichts an, Sascha. Haben Sie die Güte, sich nicht einzumischen.«
Der Mann richtete sich zu seiner vollen Größe auf, als
sei er auf einer Parade, ein Eindruck, der durch seinen auf militärische Weise mit goldenen Litzen besetzten Gehrock aus weißem Kammgarn ebenso verstärkt wurde wie durch das unmodisch kurz geschnittene Haar, den üppigen Schnurbart und die von einem Säbelhieb stammende Narbe, die sich über seine linke Wange zog. »Alles, was Sie betrifft, geht mich etwas an, ma chère madame«, erklärte er in inbrünstigem Ton. »Dass Sie so besessen vom Fechten sind, ist höchst unvernünftig. Dabei könnten Sie verletzt werden, und es wäre tragisch, wenn Ihr hübsches Gesicht oder Ihre liebreizende Gestalt eine Narbe davontrüge.«
»Ich bilde mir ein, nicht ganz so ungeschickt zu sein«, murmelte Gavin, obwohl er der Ansicht des Russen zustimmen musste.
»Jetzt sind Sie derjenige, der sich einmischt, monsieur«, erwiderte der andere, kaum dass er ihn eines Blickes würdigte. »Ich rate Ihnen, das zu unterlassen.«
»Das Gespräch, so belanglos es auch gewesen sein mag, fand zwischen der Dame und mir statt. Sie sind derjenige, der hier unerwünscht ist, mon vieux.«
Madame Faucher warf ihm einen erstaunten Blick zu, als sei sie es nicht gewohnt, dass jemand für sie Partei ergriff, und als registriere sie diese Bemühung mit einer gewissen Dankbarkeit. Das schien Gavin etwas zu sein, das zu bestärken sich lohnte, obwohl ihm gleichzeitig vage zu Bewusstsein kam, wie absurd das Ganze war.
»Es wäre besser, wenn sie sich mit jemandem wie Ihnen überhaupt nicht unterhalten würde«, stieß der Russe zwischen den Zähnen hervor. »Sie dürfen sich zurückziehen.«
»Sascha!«
»Dazu sehe ich mich nicht imstande«, gab Gavin zurück.
»Ich bitte Sie zu bleiben«, warf Madame Faucher rasch ein. »Zumindest so lange, bis wir uns einig geworden sind.«
Der Russe ballte die Fäuste und sagte mit einem Dünkel, der auf seine aristokratische Herkunft schließen ließ: »Daraus wird nichts werden.«
Es war völlig falsch, der Dame gegenüber eine solche Haltung an den Tag zu legen, wie Gavin dem anmaßenden Rüpel hätte sagen können, obwohl er Madame Faucher erst seit wenigen Minuten kannte. Ariadne Faucher kam ihm nicht wie jemand vor, der es gewohnt war, zu gehorchen. Sie war prachtvoll in ihrem Zorn. Hoch aufgerichtet und stolz stand sie da, mit geröteten Wangen und wütend funkelnden Augen. Unwillkürlich stieg ein heißes, völlig unerwartetes Gefühl in Gavins Brust auf und raubte ihm den Atem.
»Sie sind nicht mein Hüter, Alexander Nowgorodtschew«, sagte sie in unmissverständlichem Ton. »Ich bestimme jetzt selbst über mein Leben, ich und niemand anders. Wenn Sie weiterhin zu meinen Freunden zählen möchten, werden Sie mir gestatten, meine Entscheidungen selbst zu treffen.«
Deutlicher hätte die Botschaft nicht ausfallen können. Der Russe musste ihre Bedingungen akzeptieren oder auf ihre Bekanntschaft verzichten. Die Mühe, die es ihn kostete, sich ihrem Willen zu beugen, spiegelte sich klar in seinem breiten, grausam wirkenden Gesicht wider. Nach einer Weile gelang es ihm, gezwungen zu lächeln. »Wie immer soll es so sein, wie Sie es wünschen, ma chère
madame. Ich überlasse es ganz Ihnen, ein Arrangement zu treffen.«
Unter den gegebenen Umständen zog sich der Russe recht gut aus der Affäre, wie Gavin zugestehen musste, während er den hochfahrenden Gentleman betrachtete, der respektvoll die Hacken zusammenschlug und sich entfernte. Dass damit auch die drohende Gefahr eines Duells zwischen ihnen abgewendet war, fand er erfreulich, da eine Herausforderung zum Zweikampf einen Misston in Maurelles Neujahrsempfang gebracht hätte. Nichtsdestotrotz stand er nach wie vor der heiklen Aufgabe gegenüber, wie er der eigensinnigen Dame vor ihm beibringen sollte, dass er ihr nicht helfen konnte.
Aber warum eigentlich nicht? Es mochte unkonventionell sein, einen weiblichen Schüler zu haben, doch sofern das der Dame nichts ausmachte, brauchte er sich nicht darüber den Kopf zu zerbrechen. Natürlich konnte sie nicht zu ihm in die Passage de la Bourse kommen, diese schäbige Gasse, in der sich Rechtsanwaltskanzleien, Tavernen und Fechtstudios aneinanderreihten. Dort wagte sich niemand so ohne Weiteres hin, am allerwenigsten Damen von gutem Ruf. Gleichwohl würde sich wohl irgendein Ort finden lassen, wo er sie unterrichten konnte.
»Nun, monsieur?«
Er hatte wohl wirklich zu viel getrunken, da ihm die Vorstellung, eine Schülerin zu haben, gar nicht mehr so abwegig vorkam. Dass dieser Gedanke sein Blut in Wallung brachte, machte das Ganze nur umso berauschender. Es war viele Monate her, seit irgendetwas derart sein Interesse erregt hatte. Trotzdem war da etwas im Benehmen der Dame, das ihn instinktiv zögern ließ, sich auf die Sache einzulassen.
»Es mag sein, dass ich wie ein verschämter Chorknabe mit einer Engelsstimme um mein Können weiß, aber bisher meinte ich immer, dieses Können sei nur Gott bekannt«, sagte er in ironischem Ton. »Warum haben Sie sich gerade an mich gewandt, wo es in New Orleans doch über fünfzig andere Fechtmeister gibt?«
»Weil Sie mir wärmstens empfohlen wurden.« Ariadne Faucher richtete den Blick auf ihren schwarzen Spitzenfächer, ließ ihn aufschnappen und wedelte ihn hin und her, um sich das Gesicht zu kühlen.
»Und von wem, wenn ich fragen darf?«
»Von unserer gemeinsamen Freundin Madame Herriot, wenn Sie es unbedingt wissen wollen. Sie sagte, dass noch ein oder zwei andere Fechtmeister aus ihrer Bekanntschaft in Frage kämen, die inzwischen aber keinen Fechtsalon mehr betreiben. Außerdem hätten ihre Frauen wahrscheinlich etwas dagegen, wenn sie abends zu lange ausblieben.«
Gavin hatte den Eindruck, dass sie seinem Blick auswich, als sie ihre Aufmerksamkeit von ihrem Fächer abwandte und in dem bezaubernden Salon mit seiner dunkel gestreiften Tapete, den mit cremefarbenem Brokat bezogenen Louis-quinze-Möbeln und dem Marmorkamin umherschaute. Überall standen plaudernde Gäste, auf den Sofas saßen Damen, deren in zarten Farben gehaltene Röcke sich wie Blütenblätter um sie breiteten, während ihre männlichen Begleiter sich hinter ihnen zu geselligen Gruppen zusammengefunden hatten. Madame Fauchers Verhalten konnte bedeuten, dass sie nicht ganz aufrichtig zu ihm war. Es konnte aber auch ein Hinweis darauf sein, dass sie sich der Unangemessenheit ihres Vorhabens bewusster war, als sie vorgab.
Da er in den Anblick der Dame vertieft war, deren seidige Wimpern interessante Schatten warfen, brauchte er einen Moment, um zu begreifen, was sie gerade gesagt hatte. »Wenn sie abends zu lange ausblieben?«
»Sie würden natürlich zu mir kommen müssen, und es würde nicht angehen, wenn dies allzu oft tagsüber geschähe.«
»In der Tat«, erwiderte er trocken, »obwohl es nicht weniger skandalös sein dürfte, Sie um Mitternacht aufzusuchen.«
»Sie würden natürlich nicht mich besuchen, sondern Maurelle. Sie sagt, solche Besuche wären in keiner Weise unziemlich, besonders wenn Sie von Zeit zu Zeit ihre Freunde mitbringen.«
»Mit anderen Worten, sie hat Ihnen für diese Stelldicheins ihr Haus zur Verfügung gestellt.«
Falls er die Absicht gehabt hatte, sie mit dieser Anspielung auf die Verstohlenheit des Ganzen aus der Fassung zu bringen, dann erlebte er eine Enttäuschung. Sie ließ ihren Fächer zuschnappen und sah ihn unverwandt an. »So ist es.«
Was kümmerte es ihn denn, wie die Sache arrangiert wurde? Sie hatte das Recht, ihren guten Ruf zu schützen, und ihm war durchaus bewusst, dass er in seiner gegenwärtigen Rolle gesellschaftlich nicht akzeptabel war. Gleichwohl stieg Ärger in ihm auf.
Er hatte nicht immer außerhalb der Gesellschaft gestanden. Als jüngerer Sohn eines Marquis, der nach seinem Bruder Anspruch auf den Titel hatte, hatte er sich einst in der obersten Londoner Gesellschaftsschicht bewegt. Sein Status war fraglos akzeptiert worden, er selbst überall willkommen gewesen. Einzig und allein seine Neigung,
in gewissen Momenten auf schickliches Benehmen zu verzichten, sowie die Gerüchte über seine Vergangenheit hinderten ihn daran, Zugang zu den erlesenen Kreisen um die junge Königin und ihren Prinzgemahl aus dem Hause Sachsen-Coburg zu finden. Sein gesellschaftlicher Abstieg war seine eigene Entscheidung gewesen, eine Entscheidung, die er an dem Tag getroffen hatte, an dem er Englands grüne Ufer verließ. Das machte sein Exil freilich nicht weniger bitter.
»Wer ist dieser Mann, den Sie derart hassen, um solche Risiken auf sich zu nehmen?«, fragte er mit tonloser Stimme. »Was hat er Ihnen angetan?«
»Das ist meine Angelegenheit.« Sie reckte das Kinn in die Höhe, so dass das Gaslicht ihr Haar aufschimmern ließ und ihre Wangenknochen hervorhob.
»Trotzdem könnte es nützlich sein zu wissen, ob er ein ungeschickter Tölpel oder ein renommierter Fechter ist. Im ersten Fall hätten Sie eine gewisse Aussicht auf Erfolg. Gegen einen renommierten Fechter anzutreten wäre Selbstmord.«
»Ich brauche Unterricht, um für das Treffen vorbereitet zu sein. Die Konsequenzen brauchen Sie nicht zu interessieren.«
Ihm fielen zahlreiche Dinge ein, in denen er sie bei privaten abendlichen Zusammenkünften gern unterrichtet hätte, Dinge, die alle nichts mit Stichwaffen zu tun hatten. Die Heftigkeit dieser impulsiven Reaktion beunruhigte ihn. Er neigte eigentlich nicht zu wilden Fantasien. Ein Mann, der seine Fantasie nicht zu zügeln vermochte, stellte auf dem Duellplatz eine Gefahr für sich selbst dar.
»Da irren Sie sich«, antwortete er. »Ich muss an den
Ruf meines Fechtstudios denken. Und ich lehne es ab, für den Tod eines Unschuldigen verantwortlich zu sein.«
Sie öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, schloss ihn jedoch wieder und presste die Lippen zusammen. Ihre Hände umklammerten ihren Fächer derart fest, dass die bemalte Seide von den Elfenbeinstäben abriss. Nachdem sie tief Luft geholt hatte, wobei sich die sanften Kurven ihrer Brüste ein Stück aus ihrem seidigen Gefängnis hoben, betrachtete sie den Schaden, den sie angerichtet hatte, und strich mit zitterndem Finger den Riss glatt. »Verstehe. Sie wollen mir also nicht helfen.«
»Ich bedaure zutiefst ...«, begann er.
»Vielleicht können Sie mir dann jemanden empfehlen, der entgegenkommender ist.«
Gavin zögerte. Er konnte ein Dutzend Fechtmeister nennen, wenn auch nur ein oder zwei, die so vertrauenswürdig waren, dass sie die Dame unterrichten würden, ohne die Situation auszunutzen. Die maître d‘armes der Passage de la Bourse waren auf ihre Weise zwar durchaus ehrenhaft, aber keine Heiligen.
»Wenn ich‘s recht bedenke, brauchen Sie sich die Mühe gar nicht zu machen«, fuhr sie fort, das Kinn in die Höhe reckend. »Monsieur Nowgorodtschew wird nur zu gern bereit sein, mich zu instruieren. Ich war der Ansicht, dass Sie im Vergleich zu seinen auf einer Militärakademie erworbenen Fechtkünsten vielleicht über andere Fertigkeiten, über mehr Finesse verfügen, aber dann wird das, was er mir vermitteln kann, eben ausreichen müssen.« Mit raschelndem Gewand wandte sie sich von ihm ab und schickte sich an davonzugehen.
»Warten Sie«, stieß er mit einem Widerstreben, das seine Stimme rau klingen ließ, hervor.
Sie hielt inne und drehte sich langsam mit hochgezogenen Augenbrauen zu ihm zurück. Ihre Augen waren so dunkel wie der Himmel bei einem winterlichen Unwetter. Gleichzeitig sprühten sie jedoch vor Leben, und Hoffnung schien in ihnen aufzuschimmern. »Monsieur?«
Es war Wahnsinn, sich darauf einzulassen. Zweifellos würde er es später bereuen. Der Grund für sein Verhalten war nur zum Teil darauf zurückzuführen, dass er sich über den Russen geärgert hatte oder vielmehr bezweifelte, dass sie bei ihm oder einem anderen Fechtmeister sicher war. Tatsache war, dass er sich langweilte. Er brauche Anregung, ein neues Interesse, ein neues Ziel.
In den vergangenen ein oder zwei Jahren waren seine Freunde in der Stadt in den Hafen der Ehe gesegelt, und obwohl sie ihn häufig zu sich nach Hause einluden, war ihm voller Unbehagen bewusst, dass er außerhalb ihres Familienkreises stand. Die Bruderschaft, dieser lose Zusammenschluss von Fechtern, der vor rund vier Jahren gegründet worden war, um Frauen und Kindern Schutz angedeihen zu lassen, den das fragile Rechtssystem einer in drei verschiedene Kommunen aufgeteilten Stadt nicht zu gewährleisten vermochte, war zu einem bloßen Schatten ihres früheren Selbst dahingeschwunden. Die Aktivitäten des ursprünglichen, aus Rio, Conde de Lérida, dem Iren Caid O‘Neill und Gavins Halbbruder Nicholas Pasquale bestehenden Trios, zu dem dann noch er selbst hinzugekommen war, waren so erfolgreich gewesen, dass sie heute nur noch selten einzugreifen brauchten. Das Ansinnen Madame Fauchers schien ihm die Möglichkeit zu bieten, seiner aufgestauten Energie ein Ventil zu verschaffen.
Dann war da noch die Verachtung, die aus den Augen
Zweites Kapitel
Erst nachdem Ariadne die Hälfte des Raums und eine große Anzahl von Maurelles Gästen zwischen sich und den englischen Fechtmeister gebracht hatte, drehte sie den Kopf, um zu ihm zurückzuschauen. Er war überhaupt nicht so gewesen, wie sie es erwartet hatte. Seine Manieren waren so formvollendet wie seine ganze Person, was von einer Kultiviertheit zeugte, die in keiner Weise mit dem Bild übereinstimmte, das sie sich von seinem Beruf gemacht hatte. Sein blauer Gehrock und seine grauen Hosen saßen tadellos, seine weiße Seidenweste fiel ins Auge, ohne irgendwie protzig zu wirken. Sein Haar hatte den Schimmer alter Goldmünzen. Seine Augenbrauen, die ein wenig dunkler waren als sein Haar, waren dicht, ohne buschig zu sein, während sein Gesicht glattrasiert war, sah man einmal von den Koteletten ab, wie sie zurzeit die meisten Gentlemen trugen. Seine schwarzen Stiefel waren spiegelblank, die Knöpfe seiner Kleidung und seine Uhrkette waren zwar sehr schlicht, aber auf Hochglanz poliert. Kurzum, er wirkte derart wie aus dem Ei gepellt, dass seine Erscheinung wie ein bewusster Versuch anmutete, unerwünschte Aufmerksamkeit von sich abzulenken. Vielleicht war das Ganze aber auch nichts als Fassade, hinter der er seine wahre Natur verbarg.
Dann waren da noch seine Augen, die blau wie das karibische
Meer waren und die vor Intelligenz funkelten, in denen sich aber auch Spottlust andeutete. Gleichzeitig wirkte sein Blick jedoch abgeschirmt und zurückhaltend. Sie befürchtete, dass er zu viel von dem, was sie gedacht und empfunden hatte, bemerkt hatte, obwohl sie sich nicht vorzustellen vermochte, wie ihm das gelungen sein sollte. Kurz darauf war sein Gesicht völlig ausdruckslos geworden, bar jeden menschlichen Gefühls, obgleich es nach wie vor fesselnd wirkte wie das Antlitz eines mächtigen Engels, den Gott aus dem Himmel verstoßen hatte. Wenn sie daran zurückdachte, wie er sie gemustert hatte – mit einem Blick, der alle ihre Geheimnisse zu ergründen schien –, lief ihr ein Schauder über den Rücken, und es kam ihr so vor, als gäben ihre Knie nach.
Sie hatte sich an Gavin Blackford gewandt und ihm das Versprechen abgerungen, auf ihren Wunsch einzugehen. Die Würfel waren gefallen.
»Nun, ma chère, ist der englische Fechtmeister damit einverstanden?«, fragte Maurelle mit ihrer trägen, ziemlich schwülen Stimme, während sie mit ihren raschelnden Kleidern neben ihr haltmachte. Sie trug eine Abendrobe aus blassgoldenem, mit cremefarbener Spitze besetztem Taft und war mit vielen Zitrinen und Diamanten geschmückt. Ihr Haar war hochgebunden, was die vorspringenden Wangenknochen sehr betonte, die verhinderten, dass ihr Gesicht zu rund wirkte. Wie die cremeweißen Kamelien, die in ihrem Haar steckten, stand sie in voller Blüte und gab in ihrer kurvenreichen Üppigkeit eine majestätische Erscheinung ab. Sie war wie Ariadne Witwe, ein Status, der ihr ebenso wie dieser zusagte.
Ariadne lächelte matt. »Ja. Allerdings musste ich ihm erst gut zureden.«
»Erstaunlich. Ich hätte um jede beliebige Summe gewettet, dass er ablehnt.«
»Zunächst habe ich das auch angenommen.«
»Und was hat ihn umgestimmt?«
Ariadne betrachtete ihren Fächer und klappte ihn zusammen, damit man den Schaden, den sie angerichtet hatte, nicht sah. »Ich wünschte, das wüsste ich.«
Sie war sich sicher, dass es besser gewesen war, ihn erst aus der Ferne zu beobachten, um ihn besser einschätzen zu können, bevor sie Maurelle gebeten hatte, ihm vorgestellt zu werden. Deshalb hatte sie ihm gegenüber mehr von ihren Ansichten preisgegeben, als sie eigentlich vorgehabt hatte, vielleicht sogar mehr, als klug war. Sowohl Maurelle als auch Sascha nahmen an, dass es eine Laune von ihr sei, fechten zu lernen. Nur sie und Gavin Blackford kannten ihren eigentlichen Plan, er allerdings nur zum Teil.
»Ich möchte dich darauf hinweisen, dass er morgen Abend herkommt«, fuhr sie nach einer kurzen Pause fort.
»Du meinst, um mit dem Unterricht zu beginnen? So bald? Parbleu, du musst ja großen Eindruck auf ihn gemacht haben!«
»Was soll das heißen?«
»Er ist nicht nur äußerst wählerisch, was Schüler angeht, es gibt auch eine lange Warteliste mit Leuten, die ganz erpicht darauf sind, ihm auf der Fechtbahn gegenüberzutreten.«
Ariadne gestattete sich ein zynisches Lächeln. »Vielleicht liegt es am Reiz des Neuen.«
»Oder daran, dass er auf eine neuartige Weise der
Entlohnung hofft«, erwiderte Maurelle, indem sie amüsiert die vollen Lippen kräuselte.
»Da wird er eine Enttäuschung erleben.«
»Ach, ich weiß nicht recht. Du bist Witwe, und er ist doch ein prachtvolles Mannsbild. Diese Fechtmeister sind alle von imposanter Gestalt, da sie viele Stunden auf der Fechtbahn verbringen. Ihre Schultern sind breiter, ihre Schenkel fester als die anderer Gentlemen. Und ich bin mir sicher, dass er ein Ausbund an Diskretion ist.«
»Ich ... habe keine Zeit für Spielchen dieser Art.« Ariadne gab sich alle Mühe, das heiße, prickelnde Gefühl zu ignorieren, dass sie bei dem Gedanken an Gavin Blackfords Erwartungen durchströmte. »Außerdem bist du es, die ins Gerede geraten wird, wenn bekannt wird, dass er regelmäßig herkommt.«
Maurelle legte den Kopf schräg, während der amüsierte Ausdruck aus ihren Augen wich. »Möglicherweise, aber nur zu Anfang. Danach dürften die Klatschmäuler auf eine wahrscheinlichere Erklärung verfallen.« Sie machte eine Pause. »Bist du völlig sicher, dass du weißt, was du tust, ma chère? Es mag ja angehen, sich die Haltung eines Bohemiens zuzulegen, aber um einer Laune willen seinen guten Ruf zu opfern, steht auf einem ganz anderen Blatt.«
Die Warnung war durchaus ernst gemeint. Ariadne wusste, dass Maurelle sich mit dem Problem bestens auskannte, da sie seit Jahren den schwierigen Balanceakt vollbrachte, ungebunden zu leben und gleichzeitig ihren guten Ruf zu wahren. Nachdem sie in jungen Jahren mit einem wesentlich älteren Mann verheiratet worden war, war ihr das Witwentum mehr als willkommen gewesen,
und sie hatte sich geschworen, daran festzuhalten. Obwohl sie darauf achtete, nie zu sehr gegen die Konventionen zu verstoßen, hatte sie einen bunt gemischten Kreis von Freunden, den sie regelmäßig bei sich empfing. Vielen davon – darunter auch den maîtres d‘armes – war der Zugang zu den traditionsgebundeneren Häusern des aristokratischen New Orleans verwehrt. Es ging das Gerücht, dass sie sich mindestens einmal einen Fechtmeister zum Geliebten genommen hatte, doch offenbar hatte sie nicht zugelassen, dass dieses Arrangement sie aus ihrer ruhigen Lebensbahn brachte.
Ariadne und Maurelle hatten sich vor einiger Zeit in Paris kennengelernt. Maurelle hatte der Stadt ihren jährlichen Besuch abgestattet, um Verwandte aufzusuchen und ihren Kleiderschrank wieder aufzufüllen, während Ariadne gerade erst begonnen hatte, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, weil Jean Marc darauf bestand, der Mann, mit dem sie erst seit einem Jahr verheiratet war und der damals schon an der Schwindsucht litt, der er schließlich erliegen sollte. Die Wege der beiden Frauen hatten sich auf einer Soirée gekreuzt, und Maurelle hatte um die Erlaubnis gebeten, Ariadne aufsuchen zu dürfen.
Während jenes nachmittäglichen Besuchs hatte sie von Ariadne erfahren, dass deren Pflegebruder Francis Dorelle bei einem geselligen Beisammensein auf Maison Blanche, Ariadnes Plantage, in einem Duell getötet worden war. Diese tränenreiche Situation stellte den Beginn ihrer Bekanntschaft dar. Und wie sich herausstellte, hatten sie vieles miteinander gemein – beide stammten sie aus Louisiana, beide zogen sie es vor, unabhängig zu sein, beide waren sie in gewisser Weise Opfer arrangierter
Heiraten mit älteren Männern. Rasch waren sie Freundinnen geworden und hatten füreinander oft als Anstandsdame fungiert.
Auch nachdem Jean Marc gestorben war und Ariadne sich aus der Gesellschaft zurückgezogen hatte, um die erforderliche zweijährige Trauerzeit einzuhalten, hatte Maurelle sie bei ihren Parisaufenthalten besucht, um ihr den neuesten Klatsch aus New Orleans mitzuteilen – welche Dame ein Kind zur Welt gebracht hatte, das ihrem Mann in keiner Weise ähnelte, welche Dame auf Befehl ihres Mannes eine Europareise machen musste, welcher Gentleman die neueste Ballerina aus dem Théatre d‘Orléans aushielt. Sie beschlossen, dass Ariadne, sobald die Trauerzeit vorüber und Jean Marcs Nachlass geregelt war, zu Maurelle reisen würde, um ein neues Leben zu beginnen.
Diese Aussicht hatte dafür gesorgt, dass Ariadne in der Zeit, die sie in schwarzen Kleidern hatte zubringen müssen, nicht den Verstand verlor. Paris war ihr öde und grau vorgekommen, und die Verwandten ihres Mannes hatten sie ihre Missbilligung spüren lassen. Es empörte sie, dass Ariadne das Vermögen geerbt hatte, das Jean Marc als Hauptinvestor eines internationalen Bankhauses zusammengetragen hatte. Sie habe ihn ungebührlich beeinflusst, behaupteten die Verwandten, und ihn dazu gebracht, dass Vermögen nicht seinen Brüdern und Schwestern, Neffen und Nichten zu hinterlassen, die ein größeres Anrecht darauf hatten. Sie sei viel zu jung und unerfahren, um allein über einen solchen Reichtum zu verfügen. Sie solle in Paris bleiben, wo sie von den klugen Ratschlägen von Jean Marcs Bruder, dem neuen Oberhaupt der Familie, profitieren
könne und wo man vor allem die Möglichkeit hatte, darüber zu wachen, dass sie keine neue Verbindung einging, die nicht die Billigung der Familie fand. Welchen Zweck sollte es denn haben, wenn sie irgendwo anders hinging? Ihre Familie in Louisiana, ihre Eltern und ihr Bruder, waren doch nicht mehr am Leben, n‘est-ce pas? Sie hatte doch keinen Grund, an solch einen ungesunden, unzivilisierten Ort zurückzukehren.
Doch da hatten sie sich geirrt, in fast jeder Hinsicht.
»Mein guter Ruf?«, erwiderte sie mit ironischem Lächeln. »Wen sollte der kümmern? Abgesehen von dir natürlich, meine liebe Maurelle.«
»Dich, ma chère, wie du feststellen wirst, falls du ihn verlieren solltest.«
Es war lieb von Maurelle, dass sie sich solche Sorgen machte. Es beunruhigte Ariadne und rief Schuldgefühle in ihr hervor, dass sie ihre Freundin in etwas hineinziehen könnte, dass dieser missfiel. Maurelle hatte sich zunächst gesträubt, sie Gavin Blackford vorzustellen, da sie wusste, dass Ariadnes Pflegebruder durch seinen Degen zu Tode gekommen war. Sie hatte sich nur deswegen dazu bereit erklärt, weil sie die Hoffnung hegte, dass eine nähere Bekanntschaft vielleicht zu einer Verständigung führte.
»Soll ich mir einen anderen Ort für diesen Unterricht suchen?«, fragte Ariadne. »Ich könnte in ein Hotel oder in eine andere Unterkunft ziehen, wenn dir das angenehmer ist.«
»Red nicht solchen Unsinn.« Maurelle schloss sie fest in ihre nach Jasmin duftenden Arme. »Wo ich doch darauf brenne zu erleben, wie es mit dir und Monsieur
Blackford weitergeht. Das verspricht die seit Jahren aufregendste saison de visites zu werden.«
Drittes Kapitel
Voller Ungeduld wartete Ariadne am folgenden Abend auf die Ankunft des Fechtmeisters. Diesen Moment hatte sie sich so lange ausgemalt, dass ihr das Ganze jetzt, da es unmittelbar bevorstand, fast ein wenig unwirklich vorkam.
Im Garçonnière-Flügel des Herriotschen Stadthauses war ein Kinderzimmer für das Treffen vorbereitet worden. Wer immer dieses Zimmer entworfen hatte, musste eine große, aus Jungen bestehende Kinderschar gehabt haben, denn es war lang und schmal und ähnelte einem Schlafsaal. Oberhalb der Täfelung aus haltbarem Zypressenholz waren die Wände weiß verputzt. Die sechs im Zimmer stehenden Betten waren entfernt worden, und an den Wänden zwischen den Fenstern hatte man mehrere Kandelaber aufgestellt. Obwohl die Empfangsräume mit Gaslicht ausgestattet waren, war Maurelle eine zu sparsame Hausfrau, als dass sie im ganzen Haus eine Gasleitung hätte legen lassen. Trotz der winterlichen Kälte und des unablässig niedergehenden Regens standen die hohen Fenster weit auf, um frische Luft hereinzulassen. Wein und Wasser standen bereit, falls jemand etwas trinken wollte. Im Zentrum des Raums war ein etwa fünf Fuß breiter und fünfzehn Schritt langer, in der Mitte und an jedem Ende markierter Streifen aus Segeltuch ausgelegt worden. Das war die
Fechtbahn, die piste, auf der der Unterricht stattfinden würde.
Ariadne fiel nichts mehr ein, was noch erforderlich gewesen wäre. In ein altes graues Straßenkostüm gekleidet, schritt sie mit raschelndem Rock im Zimmer auf und ab, die Hände so fest zusammengepresst, dass sie sich schon ganz taub anfühlten.
Maurelles andere Gäste waren bereits eingetroffen. Von ferne hörte Ariadne Stimmen und Gelächter und vernahm, wie Karten auf den Tisch geknallt wurden. Warum war der maître d‘armes noch nicht da? Wodurch war er aufgehalten worden? Hatte er es sich anders überlegt und beschlossen, ihr doch keinen Unterricht zu erteilen?
»Monsieur Blackford, madame.«
Sie fuhr herum und erblickte Solon, Maurelles großen, würdevollen Majordomus, der seit vielen Jahren bei ihr in Diensten stand, in der Tür. Nachdem er sein ergrauendes Haupt mit der Anmut eines Aristokraten geneigt hatte, wich er zur Seite, um den Engländer eintreten zu lassen. Der Diener trug einen Degenkasten unterm Arm, den er Blackford offenbar abgenommen hatte, zusammen mit seinem Hut, seinem Stock und dem regenfeuchten Umhang. Er legte alles auf einen Tisch, verbeugte sich von neuem und bot mit unbewegter Miene Erfrischungen an. Als sowohl Ariadne wie auch Blackford ablehnten, richtete er Grüße von seiner Herrin aus und forderte die beiden auf, nach ihm zu klingeln, falls sie noch etwas benötigten. Dann zog er sich zurück.
Als Ariadne mit dem Fechtmeister allein war, musterte sie ihn einen ausgedehnten Moment lang. Er hatte Abendkleidung an und trug einen zweireihigen Gehrock,
Hosen aus dunkelblauem Kammgarn, eine Weste mit dezentem Karomuster sowie ein cremefarbenes Seidentuch. Seine Kleidung war zweifellos bestens für Maurelles Abendgesellschaft geeignet, an der er angeblich teilnahm, schien andere Dinge aber auszuschließen. Das konnte bedeuten, dass er nicht vorhatte, in puncto Fechten ernsthaft zur Sache zu kommen.
Mit steifen Bewegungen trat sie auf ihn zu, um ihm die behandschuhte Hand entgegenzustrecken. »Es freut mich, Sie endlich zu sehen, monsieur. Ich dachte schon, dass Sie es sich anders überlegt hätten.«
»Ich habe Ihnen mein Wort gegeben, Madame Faucher.« Er beugte sich über ihre Fingerspitzen und hielt diese fest, während er sich wieder aufrichtete. Dann ergriff er ihre Hand, als begrüße er einen Mann. »Drücken Sie zu«, sagte er. »So stark, wie Sie können.«
»Monsieur?« Die Wärme und Intimität seines festen Griffs jagte ihr einen Schauder über den Arm. Gleichzeitig vermeinte sie, trotz der Lederhandschuhe, die sie beide trugen, die harten Schwielen zu spüren, die das Fechten auf seiner Handfläche hinterlassen hatte. Ärger stieg in ihr auf. Es gehörte nicht zu ihrem Plan, diesen Fechtmeister auf irgendeine Weise zu berühren, die über die Formen höflicher Begrüßung hinausging.
»Sie können mir nicht wehtun«, sagte er mit versonnenem Lächeln, »und falls Sie es doch schaffen, werde ich mir nichts anmerken lassen.«
Aus nächster Nähe wirkten seine Augen unglaublich blau. In ihren Tiefen war ein humorvolles Funkeln auszumachen, was ihn auf unerwartete Weise anziehend machte. Der Duft gestärkten Leinens, parfümierter Rasierseife und sauberer männlicher Haut stieg ihr derart
aufreizend in die Nase, dass sie den fast unwiderstehlichen Drang verspürte, sich von ihm loszureißen. Dass sie es unterließ, hatte weniger mit Selbstbeherrschung zu tun als mit dem Wissen, dass es sich als unmöglich erweisen könnte. Sie hatte nicht die Absicht, als Versagerin zu erscheinen, weder jetzt noch irgendwann sonst.
»Und ich werde Ihnen ebenfalls nichts zuleide tun«, fügte er in leisem, beruhigendem Ton hinzu.
Er dachte, sie habe Angst vor ihm oder misstraue zumindest seinen Absichten. Das durfte sie nicht zulassen.
»Dessen bin ich mir sicher«, erwiderte sie, indem sie rasch das Kinn in die Höhe reckte. Dann packte sie seine Hand und drückte mit aller Kraft zu. Er ließ ihre Hand nicht los, erwiderte den Druck jedoch nicht. Wenn er etwas von dem Druck, den sie ausübte, spürte, dann ließ er sich – ganz wie er versprochen hatte – nichts anmerken.
Sie vermochte nicht ganz so gelassen zu bleiben. Trotz der Handschuhe empfand sie es als beunruhigend intim, wie sich seine warme harte Handfläche gegen die empfindliche Haut der ihren presste. Sie spürte die ganze Kraft, die in ihm aufgestaut war. Außerdem war er ihr viel zu nahe. Sie musste sich sehr zusammenreißen, um nicht zurückzuweichen und eine Distanz herzustellen, die mehr Sicherheit gewährte.
»Hervorragend«, sagte er, nachdem er sie einen Moment lang getestet hatte. »Es dürfte Ihnen keinerlei Schwierigkeiten bereiten, Ihre Waffe fest im Griff zu behalten.«
Sie deutete ein Nicken an und lockerte ihren Griff. Er ließ sie sofort los, was sie einigermaßen überraschte, da sie fast damit gerechnet hatte, dass er die Sache hinauszögern
und vielleicht sogar irgendeine schäkernde Bemerkung machen würde. Die meisten Gentlemen aus ihrer Bekanntschaft hätten das gemacht, schon einmal deswegen, weil sie meinten, dass man so etwas von ihnen erwartete. Sie war froh, dass er erkannte, dass sie kein Interesse an solch bedeutungsloser Tändelei hatte.
»Haben Sie irgendwelche Erfahrungen auf der Fechtbahn?«, fragte er über die Schulter, während er zu dem Tisch ging, auf den Solon den Degenkasten gelegt hatte.
»Nicht die geringsten.«
»Gleichwohl haben Sie sich für den Degen entschieden, um Vergeltung zu üben. Warum, wenn ich fragen darf? Haben Sie eine Vorliebe für scharfe Gegenstände? Oder liegt es an der hübschen Silberziselierung, die sich manchmal auf der Klinge findet?«
Seine Herablassung ärgerte sie so sehr, dass sie in scharfem Ton antwortete: »Weder das eine noch das andere. Ich halte diese Waffe für geeignet, da sie von dem betreffenden Gentleman bevorzugt wird.«
»Was ein gewisses Können seinerseits voraussetzt.« Er öffnete den Verschluss des Rosenholzkastens und klappte den Deckel zurück. Er entnahm dem Kasten ein langes schmales Florett, hielt es in die Höhe und blickte die Klinge entlang, als überprüfe er, ob sie auch gerade sei. »Und Sie sind immer noch sicher, dass dies hier genau Ihren Wünschen entspricht?«
»Absolut.«
Abrupt drehte er sich um und warf das Florett in ihre Richtung. Vor Entsetzen stockte Ariadne der Atem, als sie sah, wie die im Kerzenlicht funkelnde Klinge auf sie zugewirbelt kam. Instinktiv riss sie den Arm hoch. Das Heft des Floretts prallte gegen ihr behandschuhtes
Handgelenk. Die glitzernde Klinge glitt über ihren Rock nach unten und fiel klirrend zu Boden. Wie versteinert stand Ariadne da, die Waffe anstarrend.
»Der Sinn der Übung war«, teilte Gavin Blackford ihr in leicht tadelndem Ton mit, »dass Sie das Florett auffangen.«
Sie erschauderte, riss sich jedoch sogleich wieder zusammen. Sie hatte noch nie eine Stichwaffe in der Hand gehabt, und der Gedanke, so etwas zu tun, war ihr erst vor wenigen Monaten gekommen. Einen Moment lang wurde sie von Zweifeln zerrissen. Wie sollte sie diese Sache durchziehen? Das schien ihr unmöglich. Aber was blieb ihr anderes übrig, wo doch ihr Seelenfrieden davon abhing!
»Sie hätten mir mitteilen sollen, was Sie vorhaben, monsieur«, erwiderte sie in verärgertem Ton. »Ich bin nicht hier, um Spielchen zu spielen.«
»Ich auch nicht«, gab er mit harter Stimme zurück. »Fechten ist eine Kunst, die nicht nur Kraft und Können erfordert, sondern auch starke Nerven und ein schnelles Reaktionsvermögen. Wenn Sie die Absicht haben, sich vor jeder Waffe, die auf Sie zukommt, zu ducken und entsetzt aufzuschreien, dann sollten wir die Sache sofort abbrechen, weil sie für uns beide reine Zeitverschwendung wäre.«
Welches Recht hatte er, sie auf die Probe zu stellen? Sie bezahlte ihn, damit er ihr etwas beibrachte, nicht damit er beurteilte, wie fit sie war. Gleichwohl hatte er nicht ganz unrecht, auch wenn sie das nur ungern zugab.
Das Zittern in ihren Fingern unterdrückend, bückte sie sich, um das Florett aufzuheben. Dann richtete sie sich wieder zu voller Größe auf. »Danke für die Lektion«,
sagte sie mit gepresster Stimme, den Blick auf die Klinge gerichtet, die sie in der Hand hielt. »Ich werde mir eine solche Schwäche nicht mehr zuschulden kommen lassen.«
Er schwieg einen ausgedehnten Moment lang. Sie vermeinte, den forschenden Blick zu spüren, mit dem er ihr halb abgewandtes Gesicht betrachtete – einen Blick, der für ihren Geschmack viel zu durchdringend und intelligent war. Einen Augenblick befürchtete sie, er könne ihr auf die Schliche kommen und alles, was es über sie zu wissen gab, herausfinden. Mit Wut gemischte Panik stieg in ihr auf, die sie zu ersticken drohte.
»Wenn Ihnen das gelingt«, sagte er schließlich mit leicht amüsierter Stimme, »werden Sie besser sein als die meisten anderen.«
Ihre Erleichterung war so groß, dass sie sie fast überwältigte. Gleichzeitig ärgerte sie sich über sich selbst. Er war wohl doch nicht ganz so scharfsinnig, wie sie angenommen hatte, konnte es in Anbetracht seiner Lebensgeschichte gar nicht sein. Wenn er es gewesen wäre, wäre sie nicht hier. »Sie können sich darauf verlassen.«
Nachdem er kurz genickt hatte, um seiner Zufriedenheit Ausdruck zu geben, fuhr er fort: »Ich sollte Ihnen vielleicht noch mitteilen, dass Sie auf der Fechtbahn gewisse Vorteile auf Ihrer Seite haben, weil Sie eine Frau sind.«
»Das überrascht mich.«
»Gestatten Sie mir, sie aufzuzählen«, setzte er seine Ausführungen fort, indem er eine seiner dunkelblonden Augenbrauen hochzog, möglicherweise als Reaktion auf ihren ironischen Ton. »Weil Ihre unteren Gliedmaßen verglichen mit den längeren Beinen von Männern
in einem proportionierterem Verhältnis zu Ihrem Rumpf stehen, werden Sie sich auf der Fechtbahn mit größerer Sicherheit hin und her bewegen, so dass die Wahrscheinlichkeit, dass Sie stolpern oder gegen Ihren Willen zurückgedrängt werden, geringer ist. Allgemein gesprochen sind Frauen geschickter in ihren Bewegungen. Außerdem neigen sie nicht dazu, mit theatralischen Bewegungen, die keinen Zweck haben, Energie zu verschwenden. Einige Fechtmeister meinen, dass Frauen besser imstande sind, während eines Kampfs ihre Aufmerksamkeit zu teilen, das heißt, sich auf das zu konzentrieren, was ihr Gegner macht, während sie gleichzeitig ihren nächsten Schritt planen.«
Es schien ihm gar nicht bewusst zu sein, welches Sakrileg es war, von ihren unteren Gliedmaßen zu sprechen. Dieser Umstand gestattete es ihr, die Hitze, die ihr ins Gesicht gestiegen war, zu ignorieren. »Und worin bestehen die Nachteile? Auf die werden Sie mich doch gewiss ebenfalls hinweisen, oder?«
»In einer kürzeren Reichweite, wenn man einen Ausfall macht, einfach deswegen, weil die Arme der meisten Frauen im Verhältnis zu ihrem Körper nicht so lang sind wie die von Männern. Hinzu kommt noch ein angeborenes Widerstreben anzugreifen, wenn sich eine Möglichkeit dazu ergibt, und eine Schwäche des Gegners auszunutzen.« Er lächelte schief. »Letzteres sind natürlich zwei Züge, die bei zukünftigen Gattinnen und Müttern höchst begrüßenswert sind. Sie werden sich von allem, was Sie in dieser Hinsicht gelernt haben mögen, losmachen müssen.«
»Ich werde mir Mühe geben. Gibt es sonst noch etwas?«
Er neigte bejahend den Kopf, während er sich zur Seite drehte, um das andere Florett aus dem Kasten zu nehmen. »Sehen Sie sich bitte Ihre Waffe an.«
»Ja?« Sie hielt die Waffe so, wie er sie hielt, indem sie den Griff mit der rechten Hand packte und die Spitze auf den Fingern ihrer Linken balancierte.
»Das ist ein Florett, die Übungswaffe beim Fechten. Es ist leichter als ein épée und wesentlich biegsamer als ein Degen. Es wird zur Verlängerung Ihres Arms, zu einem weiteren Finger an Ihrer Hand werden.«
Dann erläuterte er ihr in aller Ausführlichkeit die unterschiedlichen Teile des Floretts – Heft und Knauf, Schutzglocke, Klinge und stumpfes Ende – und erklärte ihr, wie man eine Waffe pflegte und säuberte. Anschließend zeigte er ihr genau, wie sie das Florett zu halten hatte. Überdies erfuhr sie, was es mit dem gepolsterten Brustschutz auf sich hatte, der lebenswichtige Organe schützte, sowie mit der Fechtmaske, die verhinderte, dass man sich Gesichtsverletzungen zuzog. Diese beiden Gegenstände beschrieb er ihr lediglich, da er sie am heutigen Abend nicht mitgebracht hatte. Als er damit fertig war, lenkte er ihre Aufmerksamkeit auf die Fechtbahn aus Segeltuch und setzte ihr die strenge Etikette auseinander, die dort galt und zu der die Begrüßung des Gegners sowie andere Aspekte sportlichen Benehmens gehörten.
Ariadne lauschte jedem Wort, als hinge ihr Leben davon ab, was ja in der Tat der Fall sein mochte. Während er sprach, ruhte ihr Blick auf dem Gesicht des Fechtmeisters. Es war deutlich zu merken, dass die Einzelheiten des Berufs, den er ausübte, ihm großes Vergnügen bereiteten. Seine Gründlichkeit ließ überdies darauf
schließen, warum er in diesem Beruf ein Meister war. Das immerhin vermochte sie zu respektieren.
Sie hatte indes nicht die Absicht, ihn zu respektieren, und es behagte ihr in keiner Weise, dazustehen und dem Rhythmus seiner tiefen, angenehmen englischen Stimme zu lauschen, die seinem Französisch solch einen melodischen Tonfall verlieh. Er war viel zu ansehnlich, seiner selbst und seines Könnens viel zu sicher. Die Breite seiner Schultern und seine Kopfhaltung, die superbe athletische Beherrschtheit, mit der er sich bewegte, seine Art sich anzuziehen und der exzellente Schnitt seiner Kleidung – alles an ihm wühlte sie wider Willen auf. Sie spürte den Magnetismus seiner maskulinen Persönlichkeit, der mit einem natürlichen Charisma einherging, das sie zu ihm zu ziehen schien. Die Art, wie das Kerzenlicht auf sein Gesicht fiel, es zum Leuchten brachte, Vertiefungen, Kanten und Schatten hervorhob, war viel zu faszinierend. Die gähnende Dunkelheit jenseits des Kerzenscheins, das Prasseln des Regens hinter den Fenstern – beides umschloss sie auf höchst beunruhigende Weise. Wenn sie sich nicht bald dem zuwandten, was sie hergeführt hatte, würde sie schreien.
»Monsieur Blackford«, sagte sie schließlich. »Ich habe weder den Wunsch noch die Absicht, mich zur Fechtlehrerin ausbilden zu lassen. Für die Feinheiten dieser Kunst habe ich wenig Verwendung, so faszinierend sie auch für Aficionados sein mögen. Alles, was ich benötige, ist die Fähigkeit, einen Mann mit dem Schwert in der Hand gegenüberzutreten.«
»Sowie die Fähigkeit, das Ganze zu überleben. Zumindest nehme ich das an. Oder haben Sie lediglich die Absicht, Ihre Seele teuer zu verkaufen?«
»Was auch immer ich vorhaben mag, ich möchte bezweifeln, dass Vorträge über die Umgangsformen auf dem Duellplatz meinen Plänen förderlich sind.«
»Die Art, wie ein Mann stirbt beziehungsweise am Leben bleibt, ist doch wohl genauso wichtig wie die Tatsache als solche.«
Sie sah ihn stirnrunzelnd an, während die ruhige Eindringlichkeit seiner Stimme sie innerlich derart aufwühlte, dass ihr der Atem stockte und die Spitzen ihrer Brüste sich zusammenzogen. Solch eine idealistische Einstellung hatte sie nicht von ihm erwartet. »Zweifellos«, gab sie in schroffem Ton zurück. »Zumindest sollte es bei einem Ehrenhandel zwischen ebenbürtigen Gegnern so sein. Das Treffen, das mir vorschwebt, ist völlig anders beschaffen.«
»Eher wie eine Züchtigung – rasch, gemein und notfalls hinterhältig.«
»Das habe ich nicht gesagt.«
»So wie Geier von Aas angezogen werden, ergeben sich manche Dinge auf natürliche Weise.«
»Monsieur!« Sie vermochte es kaum zu glauben, dass er sie gerade mit einem Geier verglichen hatte. Das hatte er doch, oder?
»Aber Sie dürfen nicht glauben«, fuhr er mit unbewegter Miene fort, »dass ich den Beginn des Unterrichts um Ihres süßen Lächelns willen hinauszögere. Diese Präliminarien sind völlig normal, so langweilig sie auch sein mögen. Auch mir wurde seinerzeit erst nach einem langen Monat voll öder Unterweisungen gestattet, endlich ein Florett in die Hand zu nehmen.«
Sie hatte ihm weder ein süßes noch ein sonst irgendwie geartetes Lächeln geschenkt, was hieß, dass er sie
aufzog. Dass er das wagte, trug in keiner Weise dazu bei, ihre Gereiztheit zu beschwichtigen. »Was Sie ertragen mussten, interessiert mich nicht, da ich mich nur auf ein einziges Treffen vorzubereiten habe und mir im Gegensatz zu Ihnen nicht ein ganzes Leben für solche Dinge zur Verfügung steht«, erwiderte sie, indem sie ihre Klinge zischend vor ihm durch die Luft fahren ließ. »Könnten wir jetzt bitte mit der eigentlichen Verwendung dieses Floretts anfangen?«
Er bewegte sich so schnell, dass sie das Ganze nur verschwommen wahrnahm. Eben hatte er noch lässig drei Schritt von ihr entfernt gestanden, und schon im nächsten Moment befand er sich direkt vor ihr, presste seinen harten Körper von der Brust bis zu den Knien gegen sie und packte sie so beim Handgelenk, dass ihr Florett nicht in die Nähe ihrer Körper geriet. Jäh entwich der Atem ihren Lungen. Nachdem sie scharf Luft geholt hatte, versuchte sie, sich aus seinem Griff zu befreien.
»Richten Sie niemals auf jemanden eine Waffe, wenn Sie es nicht ernst meinen«, sagte er, indem er sie finster ansah. »Der Instinkt eines Fechters ist so beschaffen, dass er sich unverzüglich und ohne nachzudenken verteidigt. Davon hängt sein Leben ab. Wenn er selbst einen Degen in der Hand hält, könnte es passieren, dass der Angreifer aufgespießt wird, bevor der andere erkennt, ob es sich um einen Freund oder Feind, um Mann oder Frau handelt. Zweifellos würde er es hinterher zutiefst bedauern, eine so weiche Brust wie die Ihre durchbohrt zu haben, aber tot wären Sie dann trotzdem.«
Sie konnte seinen Herzschlag spüren, die harten Muskeln seines Arms, der sich hinten gegen die Stäbe ihres Mieders presste, seine Beine, die sich zwischen die
Falten ihres Rocks gedrängt hatten. Seine Körperwärme schien in ihre Poren einzudringen und das Kältegefühl zu vertreiben, das sie bisher gar nicht bemerkt hatte. Unwillkürlich überlief sie ein Schauder, und erneut versuchte sie, sich von ihm loszumachen. Sein Griff war von einer Festigkeit, wie sie sie noch nie erlebt hatte, am allerwenigsten damals bei ihrem Mann. Er schien ihre Willenskraft zu untergraben, so dass ihr nichts anders übrig blieb, als steif und unnachgiebig in seiner Umklammerung zu verharren.
»Lassen Sie mich los«, presste sie zwischen den Zähnen hervor.
»Gleich. Aber erst müssen Sie mir sagen, dass Sie verstanden haben, was ich meine.«
»Mag sein, dass ich unvorsichtig gewesen bin, aber dumm bin ich nicht. Ich habe alles bestens verstanden.«
Ein kurzes, lautloses Lachen ging, wie sie spürte, durch seinen Körper. »Sie sind nicht nur kühn, sondern haben auch eine spitze Zunge. Das dürfte ausreichen. Aus diesem Grund werde ich den Unterricht beschleunigen, damit wir so bald wie möglich ein Match mit Floretten austragen können. Zunächst jedoch gibt es noch einige weitere Einzelheiten, die Sie wissen sollten.«
So abrupt, wie er sie gepackt hatte, ließ er sie wieder los. Sie geriet aus dem Gleichgewicht und schwankte ein wenig. Rasch streckte er die Hand aus, um ihr zu helfen, doch sie sah ihn nur verständnislos an.
Es hätte ihr zuwider sein müssen, von ihm festgehalten zu werden, und es hätte sie freuen müssen, losgelassen zu werden. Dass weder das eine noch das andere der Fall war, verblüffte sie über alle Maßen. Seine Schnelligkeit hatte sie überrascht, seine Dreistigkeit hatte sie
geärgert, die Hitze und Härte seines Körpers hatten sie aufgewühlt. Abgestoßen hatte sie sich jedoch auf unerklärliche Weise nicht gefühlt. Dass er von ihr wegtrat, ließ ein flaues Gefühl in ihrem Magen entstehen, als hätte er sie zurückgewiesen. Das war in höchstem Maße beunruhigend und sogar ein wenig erschreckend. Was für eine Frau war sie denn, dass sie sich auf diese Weise beeinflussen ließ?
Sie hatte alles so sorgfältig geplant. Sie hatte gewusst, dass Gavin Blackford auf Frauen anziehend wirkte. Warum hatte sie diesen Umstand nicht berücksichtigt?
Tatsache war, dass sie sich selbst für immun gehalten hatte. Weil sie sich in körperlicher Hinsicht nicht mit Männern auskannte, sah man einmal von ihrem ältlichen Ehemann ab, der lediglich ihr Mitgefühl geweckt hatte, weil sie in den Salons von Paris keinem Mann begegnet war, bei dem ihr Herz schneller geschlagen hätte, hatte sie die Möglichkeit einer körperlichen Reaktion nicht in Erwägung gezogen. Das war ein Fehler gewesen, einer, den sie von nun an würde vermeiden müssen. Sie hatte durchaus die Fähigkeit, aus ihren Fehlern zu lernen.
»Madame?«
Sie hob den Blick, um sein Gesicht nach Anzeichen von Triumph oder Amüsement abzusuchen, nach irgendetwas, das darauf hinwies, dass er sich ihres Dilemmas bewusst war. Die blauen Tiefen seiner Augen waren klar, sein fester, sinnlich geschwungener Mund zu keinem Lächeln verzogen; die gerunzelte Stirn drückte nichts als höfliches Interesse aus.
Als er von ihr weggetreten war, hatte er ihr das Florett abgenommen und es auf den Beistelltisch gelegt. Was sicher
besser war. Sie brauchte eher einen lebenden Lehrer als einen toten.
»Sie haben von weiteren Einzelheiten gesprochen«, sagte sie mit gepresster Stimme.
Nachdem er einen ausgedehnten Moment lang reglos dagestanden hatte, deutete er ein Nicken an. »In der Tat. Lassen Sie uns von Durchhaltevermögen und Atemtechnik, der Positionierung der Füße, Kreidelinien und vor allem von der Beherrschung reden.«
»Beherrschung.« Während er sprach, hatte sie tief Luft geholt. Mit Erleichterung stellte sie fest, dass ihre Stimme jetzt einigermaßen ausgeglichen klang.
»Unserer Waffen wie auch unserer selbst«, erklärte er, um sogleich fortzufahren: »Kommen Sie, stellen Sie sich hier auf die piste.«
Er unterließ es, sie anzufassen, und gab ihr nur mit einer eleganten Geste seiner Hand zu verstehen, wo sie sich hinstellen sollte. Mit zusammengepressten Lippen nahm sie ihren Platz ein und drehte sich ihm zu. Sein Gerede von Beherrschung ließ darauf schließen, dass er ihre Verwirrung doch bemerkt hatte. Das ging nicht an. Er durfte unter keinen Umständen annehmen, dass ihrer Einstellung zu ihm etwas Persönliches anhaftete. Ihr Stolz würde es ihr nicht gestatten, weibliche List anzuwenden, um ihn in die Falle zu locken. Überdies würde ihr das in keiner Weise Genugtuung bereiten.
»Und jetzt«, sagte er mit ernstem Gesichtsausdruck, während er sich zu ihr auf den Segeltuchstreifen gesellte, »strecken Sie bitte Ihre Arme auf diese Weise aus.«
Sie folgte seinem Beispiel und streckte die Arme vom Körper weg, so gerade, wie die enganliegenden Ärmel ihres Kostüms es erlaubten. Dann ging er mit gespreizten
Knien in die Hocke, wobei sein rechter Arm ausgestreckt blieb, während er den linken so anwinkelte, dass seine Hand sich in Kopfhöhe befand.
»Gehen Sie auch in diese Position.«
Sie tat, wie er ihr geheißen hatte, obwohl sie merkte, wie sie knallrot wurde. Ihr ganzes Leben lang hatte man ihr eingeschärft, dass eine Dame beim Sitzen oder Stehen nie die Knie spreizte. Sie vorsätzlich zu spreizen – und noch dazu vor diesem Engländer – war, als gebe sie jegliche Sittsamkeit auf. Das Ganze hatte etwas Anzügliches, ja, Erotisches, obwohl ihr bewusst war, dass es sich dabei um eine typische Position beim Fechten handelte, wie sie sie schon oft in der Oper und im Theater gesehen hatte.
»Weiter nach unten«, sagte er. »Sie müssen Ihre Knie stärker beugen. Und heben Sie die Arme höher.«
Ihre Röcke breiteten sich auf dem Fußboden aus, während sie dem ersten Befehl nachkam. Ihre engen Ärmel hinderten sie jedoch daran, die Arme höher zu heben. Sie zerrte an dem Stoff, der ihre Schultern einschnürte, und versuchte, ihn weiter nach oben zu ziehen.
Er schüttelte den Kopf. »Lassen Sie das, das bringt nichts. Allerdings werden Sie etwas Bequemeres tragen müssen, wenn wir weitermachen. Und jetzt heben Sie Ihre Hacken, bis Sie auf den Zehenspitzen stehen. Jetzt wieder nach unten. Auf und nieder. Und noch einmal. Exzellent. Diese Übung werden Sie jeden Morgen und jeden Abend hundert Mal machen, um die Beinmuskulatur zu stärken. Sehen Sie?«
»Ja.« Was sie sah, war das Spiel der Muskeln in seinen langen Beinen, war seine Männlichkeit, die sich undeutlich in seinem Schritt abzeichnete. Als sie den Blick
abwandte und hochsah, bemerkte sie, dass seine Augen amüsiert funkelten. Offenbar verstand er ihr Unbehagen, hielt es jedoch für unangebracht. Vielleicht meinte er auch, dass sie kein Recht habe, sich zu beklagen, da sie sich das Ganze selbst zuzuschreiben hatte. Und sie würde sich auch nicht beklagen, obwohl sie die Zähne zusammenbiss, bis ihre Kiefermuskeln schmerzten.
»Bien. Und jetzt machen Sie einen Ausfall, und zwar so.«
Er ballte die Faust, als hielte er ein Florett in der Hand, und ließ seinen rechten Arm vorschnellen. Die Bewegung war so geschmeidig, als hätte er sie schon unzählige Male gemacht, als wäre sie für ihn etwas so Natürliches wie das Atmen. Sie erfolgte rasch und lautlos und wurde mit solcher Kraft ausgeführt, dass seine Faust in unmittelbare Nähe ihrer Brust gelangte. Seine Gesichtszüge waren wie erstarrt, seine Augen undurchdringlich, als hätte er alle Gefühle ausgeschaltet und sich derart in sich selbst zurückgezogen, dass niemand ihn mehr zu erreichen vermochte. Wenn er einen Degen in der Hand gehabt hätte, dann wäre sie jetzt tot gewesen, das wusste sie mit Sicherheit.
Sie war nicht zurückgezuckt und hatte sich auch sonst nicht bewegt. Das war ein gewisser Trost.
Als er sich in seine Ausgangsposition zurückbegab, kochte plötzlich Wut in ihr hoch. Sie schnellte ebenfalls hoch, ihre imaginäre Waffe fest umklammernd. Durch ihren Ärmel behindert, vermochte sie nur ein tief liegendes Ziel zu erreichen, so dass ihre geballte Faust seine Lendengegend streifte.
Wie erstarrt standen sie einander gegenüber. Gleich darauf zuckte es um seine Lippen, während in seinen
Augen unbändige Heiterkeit auffunkelte. Dann wandte er sich ab und brach in Gelächter aus.
Ariadne fühlte sich so gedemütigt, dass sie sich eine Zeit lang nicht zu rühren vermochte. Dann kehrte sie ihm den Rücken zu und schlug die Hände vor die glühenden Wangen.
Sie wusste, oh, sie wusste in der Tat, was sich hinter dem glatten Stoff seiner Hosen verbarg, an der Stelle, an der ihre Knöchel ihn gestreift hatten, wusste, was diese stählerne Härte, die sie berührt hatte, zu bedeuten hatte. Dass sie die Tollkühnheit besessen oder das Pech gehabt hatte, genau dort zu landen, war eine Sache. Dass er sie deshalb auslachte, stand jedoch auf einem ganz anderen Blatt. Sie konnte überhaupt nichts Komisches daran finden.
Überdies entsetzte es sie, dass ihn irgendetwas an dem bisherigen Unterricht erregt hatte. Die männliche Leidenschaft hatte etwas Willkürliches. Zumindest hatte ihr Aufenthalt in der Pariser Gesellschaft ihr diesen Eindruck vermittelt. Aber das hier war höchst unpassend. Wie sollte sie denn weitermachen, wenn sie befürchten musste, dass er zudringlich wurde?