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Die Menschheit ist bedroht: Außerirdische Invasoren sind dabei, den Erdplaneten zu erobern und die Bewohner zu versklaven. Christina und ihre Mitstreiterinnen - die sich bereits in früheren Leben begegnet sind -, wollen nicht zulassen, dass ihre Heimat von finsteren Eindringlingen beherrscht wird. Sie sind zum Widerstand bereit und finden mächtige Verbündete im Orden der Bewahrer, die dem Schutz der Erde dienen. Gemeinsam nehmen sie den Kampf auf.
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Seitenzahl: 407
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Der Mensch lebt in zwei Welten:Der äußeren und derinneren WeltC.G. Jung
Für meine Freundin
Birgit,
die mit ihren
vielen Anregungen
und Illustrationen
mein Buch enorm
bereichert hat.
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Kapitel 54
Kapitel 55
Kapitel 56
Kapitel 57
Kapitel 58
Kapitel 59
Kapitel 59
Kapitel 60
Kapitel 61
Kapitel 62
Kapitel 63
Kapitel 64
Kapitel 65
Kapitel 66
Kapitel 67
Kapitel 68
Kapitel 69
Kapitel 70
Kapitel 71
1
Von dem Leben, das ich bisher führte, hatte ich genug. Täglich dasselbe Einerlei, ohne nennenswerte Aussicht, das Dasein sinnvoll zu gestalten. Die so genannte ‚Zivilisation’ ging mir gehörig auf die Nerven – ich brauchte dringend eine Auszeit. Schließlich kam ich auf die Idee, mir ein kleines Holzhaus in einem nahe gelegenen Waldstück zu mieten. Kurz entschlossen packte ich meinen Hund Leo ins Auto – und los ging die Fahrt! Mein Handy hatte ich vorsorglich ausgestellt. Nie hätte ich mit den unvorstellbaren Folgen gerechnet, die sich aus meiner spontanen Entscheidung ergeben sollten.
Am Ziel angekommen, stellte ich den Wagen ab, schnappte mir Leo und spazierte ein wenig in der Gegend herum. Eine ungewöhnliche Stille umgab mich. Kein Vogellaut war zu hören und dunkle Nebelschwaden zogen durch die Bäume. Es war Spätfrühling, dennoch spürte ich hier eine sonderbar düstere Atmosphäre. Mein Hund drückte sich scheu an mich, was ungewohnt für ihn war.
Da diese kleine Inspektion der Umgebung nicht die erwartete Entspannung gebracht hatte, kehrte ich um und ging in Richtung Hütte. Plötzlich, wie aus dem Nichts, erhob sich ein heftiger Sturm. Ein großer Ast krachte vor mir nieder und hätte mich beinahe getroffen! Eilig schloss ich die Hüttentür auf und stemmte mich von innen mit aller Kraft dagegen, um sie zu schließen. Fast schien es so, als wollte irgendetwas Dunkles mit hereindringen. Endlich gelang es mir, die Tür zu schließen. Ich drehte den Schlüssel zweimal herum und lehnte mich herzklopfend an die Wand. Dann ließ ich mich mit zitternden Knien in den Sessel fallen.
Durch den Raum wehte eine Eiseskälte und ich begann zu frösteln. Mein Hund drückte sich an mich, so als wollte er mich wärmen. Schnell entfachte ich ein kleines Feuer im Kamin und schloss die Augen. Die Holzscheite knisterten und sprühten Funken. Mein Hund setzte sich zu meinen Füßen nieder. Ich wurde zusehends entspannter und ein wohliges Gefühl überkam mich. Vor Erschöpfung wurde ich schläfrig und nickte ein.
Doch meine Idylle wurde bald gestört. Plötzlich vernahm ich wie aus weiter Ferne ein leises Knurren. Ich öffnete die Augen und sah, wie ein Holzscheit im Kamin förmlich explodierte und sich ein Funkenregen vor dem Kamin ergoss. Ich blickte genauer hin und stellte fest, dass sich eine dunkle Masse auf dem Boden vor dem Kamin angesammelt hatte. Sie begann sich zu regen!
Nach und nach wurden die Umrisse einer Gestalt deutlich erkennbar. Ich staunte nicht schlecht, als die Gestalt männliche Formen annahm und sich vor mir aufbaute. Sie schien mich ins Visier zu nehmen. Augenblicklich wurde ich von Panik ergriffen. Ich begann vor Angst zu schwitzen und hätte am liebsten Reißaus genommen. Doch wie gebannt blieb ich sitzen.
Dann hörte ich ein Wispern und mir war, als würde eine wohl tönende Stimme beruhigend auf mich einreden. Sie gab mir zu verstehen, dass ich keine Angst zu haben brauchte.
„Wer bist du?“ brachte ich hervor.
„Ich bin… der Geist des Windes…“, meinte ich zu verstehen.
„Warum bist du hier?“ flüsterte ich erschrocken. Es entstand eine lange Pause. Ich dachte schon, alles wäre nur ein Traumbild gewesen, als die Stimme wieder zu reden begann:
„Ich weiß, wie es um dich steht und bin gekommen, um dir etwas zu zeigen“, säuselte es um mich herum. Ich spürte einen leichten Windhauch. „Lass uns einen kleinen Ausflug machen.“ Bei dieser Mitteilung ergriff mich plötzlich eine rotierende Windböe – und im Nu befand ich mich hoch in den Lüften!
„Ich komme von weither und überall herum“, brauste der Wind. „Ich bin so alt wie die Welt. Ich war schon hier, als es noch keine Menschen gab. Ich habe alles, was jemals erschaffen wurde, kommen und gehen sehen. Von Ferne habe ich dich beobachtet in all den Formen, die du in den vergangenen Leben bekleidet hast.“
Ich kam aus dem Staunen nicht heraus. Was widerfuhr mir hier? Ich wusste, dass ich nicht träumte. Fragen nach der Sinnhaftigkeit des Daseins bewegten mich bereits seit geraumer Zeit und ich hoffte inständig, mehr von dem uralten Wesen zu erfahren.
„Wir wechseln in eine andere Frequenz“, vernahm ich plötzlich. Die Landschaft unter mir verschwand; Mond und Sterne waren nicht mehr zu sehen. Stattdessen breitete sich eine riesige 3D-Landkarte unter mir aus, die immer näher kam und größere Ausmaße annahm. Leider konnte ich mit dem Geschauten nicht viel anfangen.
„Dort sind alle deine Leben aufgezeichnet“, erklärte mir der Windgeist. „Alles, was du dir vorgenommen hast, um die dir gestellten Aufgaben zu erfüllen. Dabei liegt es an dir, das Tempo zu beschleunigen oder zu verringern, je nachdem, was dir wichtig erscheint.“
„Aber… wieso wird ausgerechnet mir eine solche Gunst gewährt?“ entfuhr es mir.
„Weil du darum gebeten hast“, lautete die überraschende Antwort. Bevor ich etwas erwidern konnte, verschwand unvermittelt das ganze Szenario. Ich wurde in eine Art Strudel hinein gesogen und landete kurz darauf ein wenig unsanft wieder in meinem Sessel vor dem Kamin.
Das Feuer war fast heruntergebrannt und es war unangenehm kühl in der Hütte. Hastig legte ich noch etwas Holz nach und wechselte in das weiche Bett hinüber. Als ich mir die Decke über den Kopf zog, dachte ich: ‚Was für ein seltsamer Traum – oder ist das alles tatsächlich passiert?’ Wie eine kleine Nachtmusik klangen die Geräusche aus dem Dunkel. Ein leichter Lufthauch zog über mein Gesicht. Dann hörte ich noch eine leise Stimme wispern: „Ich komme wieder…“ Vielleicht war es doch nur eine Nachteule vor meinem Fenster?
2
Als ich erwachte, war es bereits heller Tag. Ich räkelte mich ausgiebig und ließ mir Zeit mit dem Aufstehen. So putzmunter und ausgeschlafen hatte ich mich schon lange nicht mehr gefühlt. Die Ereignisse des gestrigen Tages tauchten langsam vor meinem inneren Auge auf. Sie kamen und zogen vorbei wie flüchtige Wolken. Manche reihten sich ein in meinen Erfahrungsschatz und immer noch konnte ich nicht sagen, was davon Traum war und was Wirklichkeit. Hatte ich tatsächlich eine mysteriöse Begegnung gehabt?
Als mein vierbeiniger Begleiter sich ungeduldig meldete, sprang ich mit einem Ruck aus den Federn. Ich öffnete Fenster und Türen und wurde von strahlende Sonnenschein und lautem Vogelgezwitscher begrüßt.
Würzige Luft wehte mir entgegen und ich hatte es eilig, nach draußen zu kommen. Schnell warf ich mir eine Jacke über. Leo stand schwanzwedelnd vor mir und konnte es gar nicht abwarten, bis es endlich losging. Sobald ich die Tür geöffnet hatte, erkundete er in rasantem Tempo die Umgebung. Ausgelassen tollte er umher und scheuchte dabei etliche Vögel auf, die hastig das Weite suchten. Auch ein Eichhörnchen flüchtete bis hoch in die nächste Baumspitze, von wo es entrüstet herunterstarrte.
Plötzlich wirbelte ein ungewöhnlich kräftiger Windstoß um mich herum. Als ich nach unten sah, entdeckte ich zu meinem großen Erstaunen einen kleinen Zettel vor meinen Füßen. Kaum hatte ich ihn erblickt, flog er auf und flatterte davon, so als wollte er mit mir Fangen spielen. Nach einigem Hin und Her erhaschte ich ihn und faltete ihn aufgeregt auseinander. Perplex entzifferte ich die etwas verwaschenen Zeilen:
„Guten Morgen, meine Schöne, erinnerst du dich an mich? Wir sehen uns schon bald wieder – heute Abend ist es soweit.“ Über die Maßen verwundert schüttelte ich den Kopf. Damit konnte doch unmöglich ich gemeint sein? Achtlos stopfte ich den Zettel in die Jackentasche und dachte nicht mehr daran.
Wie herrlich war es, das alte Leben hinter sich zu lassen und frohgemut in Begleitung seines Vierbeiners durch den Wald zu streifen! Tief sog ich die würzige Luft ein, begleitet von einem warmen Wind, der mich streichelte. Befreit atmete meine Seele auf. Ich fühlte mich eins mit der Natur und den Bäumen, die mich umgaben.
Bald entdeckte ich einen kleinen See mitten im Wald. An seinem Ufer ließ ich mich nieder und sank ins weiche Gras. Ich hielt mein Gesicht den wärmenden Sonnenstrahlen entgegen. Verträumt schaute ich auf die sich leicht kräuselnden Wellen; horchte auf das Knacken im Unterholz und lauschte dem Gezwitscher und Gezänk der kleinen Bewohner der Lüfte. Dabei bemerkte ich nicht, wie die Zeit verstrich. Erst als die Sonne langsam im Westen unterging, kam ich wieder zu mir und riss mich los von meinen Träumereien.
Mein Magen meldete sich mit einem hartnäckigen Knurren. „Es wird Zeit, Leo“, sagte ich zu meinem vierbeinigen Freund, und gemeinsam machten wir uns auf den Weg. In der Hütte angelangt, machte sich Leo heißhungrig über sein Futter her. Ich packte meine mitgebrachten Vorräte aus und bereitete aus ihnen einen würzigen Bauernsalat. Dann schenkte ich mir ein Glas Rotwein ein und ließ mich im Schaukelstuhl am Kamin nieder. Das Glas war schnell geleert; es folgte rasch ein zweites. Versonnen schaukelte ich vor mich hin und geriet bald in einen tranceartigen Zustand.
Da war mir, als streichelte etwas meinen Nacken und eine leise Stimme flüsterte mir ins Ohr. Ich glaubte, die Worte zu verstehen:
„Habe ich nicht gesagt, ich käme wieder? Bist du bereit für die nächste Reise?“ Ich zögerte nur kurz. Oh ja, ich war bereit, komme was da wolle! Im gleichen Moment wurde ich wie beim ersten Mal von einem Strudel angezogen und hoch in die Lüfte gehoben, bis mein Atem stockte. Kurz darauf kam ich in ruhigere Gefilde und spürte freudig erregt zum ers- ten Mal in meinem Leben die Erhabenheit und Stille des weiten Raumes, der uns umgab. Entzückt segelte ich durch das blinkende Sternenmeer und betrachtete staunend den geheimnisumwitterten Vollmond ganz aus der Nähe. Eine tiefgehende Dankbarkeit breitete sich in mir aus. Dass ich dies alles erleben durfte! Unter mir schaute ich den blauen Planeten Erde, meine Heimat, und ich wurde von tiefer Liebe zu ihm erfüllt. Er musste unter allen Umständen geschützt und erhalten werden.
Dann breitete sich vor mir erneut die Landkarte aus und ich sah wieder die Gebilde, die anscheinend alle meine Leben darstellten und die Gegenwart, Vergangenheit und die voraussichtliche Zukunft umfassten. Es waren Gebilde, die in sich eine Einheit darstellten und den Entwicklungsgang eines Menschen bis zurück in die Urheimat beinhalteten.
Eines dieser Gebilde – besser gesagt: Existenzen – leuchtete hell auf. Anscheinend stellte es das Ziel dieser nächtlichen Reise dar. Wir näherten uns dem leuchtenden Punkt, bis er größer und größer wurde und schließlich den gesamten Raum einnahm.
Die Landung ging sanft vonstatten und ich musste mich erst einmal orientieren. Was war bisher geschehen? Mein windiger Freund hatte mich aus meiner Hütte herausbefördert, war mit mir durch den Raum gesegelt und hatte mich nun in dieser Landschaft abgesetzt.
„Du bist in Frankreich“, blies er mir sanft ins Ohr. „Anno 1550. Das war die dunkle Zeit, in der weise Frauen als Hexen auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurden. Auch Heilerinnen wurden verfolgt und hingerichtet. So stellten sie keine Konkurrenz mehr dar für die windigen Quacksalber, die allerorten ihr Unwesen trieben. In erster Linie waren es Frauen, die den Schergen zum Opfer fielen, doch auch etliche Männer teilten ihr trauriges Schicksal. Ihr Vermögen wurde eingezogen und floss der Kirche zu.
Den Menschen von damals mangelte es an Mitgefühl; sie hatten ihre Menschlichkeit verloren. Ohne Skrupel denunzierten sie ihre Mitmenschen und wohnten mit hämischer Freude den unmenschlichen Qualen derjenigen bei, die als Hexen und Hexer diskreditiert worden waren. Ihre eigenen niederen Beweggründe übertrugen sie auf die Opfer, selbst wenn diese ihnen einst in schweren Zeiten, als sie krank daniederlagen, geholfen hatten. Und dennoch fühlten sie sich im Recht bei ihrem böswilligen Treiben.
„Ein solches Verhalten könnte jederzeit wieder Wirklichkeit werden, auch in eurer so vermeintlich aufgeklärten Zeit“, flüsterte mir mein Freund, der Windgeist, ins Ohr.
Unvermutet fand ich mich in einem Waldstück wieder und hörte durch die Bäume hindurch deutliches Pferdegetrappel und laute Männerstimmen. Ich war nicht allein; einige andere Frauen waren an meiner Seite. Leider war unser Versteck schlecht gewählt. Schon bald fühlten wir uns ergriffen, in Ketten gelegt und – fort ging es im Galopp!
Wir wurden in einen Ort verschleppt, dessen Mittelpunkt ein großer Platz mit einem riesigen Dom bildete. Dort warf man uns ohne viel Aufheben in ein Verlies. Die Häscher kassierten für den guten Fang, den sie ablieferten, einen großen Batzen an Goldmünzen.
Eine leichte Brise umwehte mich. „Bleib ganz ruhig“, flüsterte mir der Geist des Windes ins Ohr. Er überwand offenbar jeden Widerstand und kannte keinerlei Grenzen; daher war es für ihn ein Leichtes, mich zu erreichen. Leise flüsterte er:
„Das, was hier geschieht, hast du alles schon einmal erlebt. Betrachte daher das Szenario mit einem gewissen Abstand.“ Meine Mitgefangenen waren verzweifelt. Verständlicherweise standen sie große Ängste aus, denn sie erwartete ein grausames Martyrium, das auch ich in gewissem Sinne mit ihnen teilte. Nach und nach wurden die Frauen, eine nach der anderen, grob an den Haaren gepackt und hinausgezerrt. Die schöne lange Haarpracht wurde ihnen abgeschnitten; ihre Köpfe wurden geschoren und sie wurden – in ein Sackgewand gehüllt – zum Scheiterhaufen geschleppt. Ihre gellenden Schreie dröhnten mir noch lange in den Ohren und ließen mich vor Schreck erstarren.
Schließlich war es soweit und die Reihe kam an mich. Zu meiner Verwunderung vergriffen sich die Schergen nicht an meiner Kleidung, und auch mein Kopf wurde nicht geschoren. Stattdessen wurde ich in den Dom geschleppt und dort angekettet.
„Lassen wir es damit fürs Erste genug sein“, hörte ich den Windgeist zu meiner großen Erleichterung wispern. „Die Reise durch die Lüfte wird dich entspannen und erfreuen. Morgen sehen wir dann weiter.“ Die Schönheit des Rückfluges und das Betrachtens meines blauen Heimatplaneten ließen mich die Schrecken der Vergangenheit, die ich mehr oder weniger bildhaft erlebt hatte, wie einen Traum erscheinen.
Es dauerte nicht lange, da überkam mich eine bleierne Müdigkeit und ich fiel in einen tiefen Schlaf. Mitten in der Nacht wachte ich in meinem Schaukelstuhl in der Waldhütte auf. Verwundert rieb ich mir die Augen und tappte hin zu meinem gemütlichen Bett. Dort zog ich mir die Decke über die Ohren und schlief bald tief und fest.
3
Ein paar vorwitzige Sonnenstrahlen kitzelten mir in der Nase und weckten mich. Verschreckt betrachtete ich ein paar Feuerkringel an der Wand. Siedend heiß kam mir zu Bewusstsein, dass die Scheiterhaufen brannten! Panisch sprang ich aus dem Bett und stellte erleichtert fest, dass es die Sonne war, die feuerähnlichen Kringel an die Wand malte. Ich befand mich daheim in meinem gemütlichen Refugium. Mein Herz klopfte wie wild und ich konnte mich nur langsam beruhigen. Nachdem ich mir einen Kaffee aufgebrüht hatte, schön heiß mit viel Sahne, setzte mich auf den Bettrand und wurde langsam gefasster. Mir war immer noch nicht klar, ob ich eine Reihe von Alpträumen hatte. War die Stille um mich herum schuld daran, dass Vergangenes an die Oberfläche kam? Das ist ja ein wohlbekanntes Phänomen. Auf der anderen Seite waren die Erlebnisse derart lebendig und greifbar, dass ich sie nicht einfach ins Traumreich verbannen konnte.
Was immer es auch sein mochte, ich kam zu keiner Lösung. Daher machte ich meine Morgentoilette, aß noch etwas Zwieback und ging hinaus in die Morgensonne. Erleichtert atmete ich tief ein und vergaß die nächtliche Reise. Stattdessen freute ich mich über das herrliche Wetter, die zwitschernde Vogelschar und den sanft-warmen Luftzug, der mich begleitete.
Nach einem ausgedehnten Morgenspaziergang kamen Leo und ich mit knurrendem Magen in unsere hölzerne Behausung zurück. Ich sorgte dafür, dass unsere Mägen bekamen, wonach sie verlangten. Dann setzte ich mich an den winzigen Schreibtisch und schlug meinen Notizblock auf, um meine Erlebnisse niederzuschreiben. Beim Öffnen fiel eine wunderschöne Feder heraus und segelte auf meinen Schoß. Erstaunt nahm ich sie in die Hand. Sie war außergewöhnlich gemustert. Mir war kein Vogel bekannt, von dem sie stammen könnte. War das nicht erneut ein Zeichen, dass an meinen so genannten ‚Alpträumen’ doch etwas dran war? Ich verfiel in eine seltsame Stimmung und brachte meine Erlebnisse zu Papier. Anschließend bereitete ich mir ein wohlschmeckendes Abendessen, das ich im Schaukelstuhl vor dem Kamin aß, und genoss dazu ein Glas Rotwein. Diese wundersame abendliche Entspannung vor dem Kamin im Schaukelstuhl, bei der ich genießerisch ein Glas Wein schlürfte, war in gewisser Weise der Auftakt zu meinen Reisen in das Land der Erkenntnis.
Ich war innerlich aufgewühlt und in Erwartung der Dinge, die da kommen würden. Langsam wurde ich etwas schläfrig, bis ich plötzlich wieder die hell blinkenden Sterne am dunklen Firmament erblickte. Eine Sternschnuppe schoss dicht an mir vorbei, so dass ich sie fast greifen konnte. Ein warmes Gefühl der Zuneigung und Ehrfurcht durchströmte mich. Ehe ich’s mich versah, fühlte ich mich dem alltäglichen Dasein entrückt; ganz ähnlich wie auch schon die Nächte zuvor.
Sanft strich mein geistiger Freund, der Wind, über mein Haar, nicht ohne mir erneut zu versichern, dass die schlimmen Dinge, die ich gleich erleben würde, wie ein Traumgeschehen an mir vorüber ziehen würden.
Schon fand ich mich wieder angekettet in einem großen Raum, der zu einem Dom gehörte. Der Wind fächelte mir Kühlung zu, so schien es mir jedenfalls. Bei dem Gedanken an seine Anwesenheit fühlte ich mich ein wenig sicherer. Von dort, wo ich mich befand, konnte ich durch die Fenster das Flackern von Scheiterhaufen sehen und hörte gedämpfte Schreie.
Urplötzlich näherte sich aus dem Dunkel des Doms eine Gestalt, die in einen dunklen Talar gehüllt war, ähnlich wie ihn die Priester tragen. Diesen Mann, der sich mir näherte, umgab eine dunkle Aura. Mit einer gewissen Neugier sah ich ihm entgegen. Ich wollte verhindern, dass er mir zu nahe kam und bot meine gesamte mentale Energie auf, um ihn zu stoppen. Tatsächlich ging er plötzlich nicht weiter. Es war ihm offenbar nicht möglich, sich mir auf mehr als zwei Meter zu nähern. Stumm blickten wir uns an. Er hatte nachtschwarze Augen, in denen eine Spur von Wahnsinn aufschien. Ich konnte erkennen, dass er jederzeit unbarmherzig und ohne jeden Skrupel seinen Willen durchsetzte, wobei ihm seine hypnotische Ausstrahlung zu Hilfe kam. Er war es gewohnt, Befehle zu erteilen und erwartete, dass man sie strikt befolgte.
Bei solchen Überlegungen wurde ich fast neugierig auf diesen Mann – und nun begann der Tanz: Ich nahm meine Energie zurück, so dass es ihm möglich war, sich mir anzunähern. Auf sein Geheiß hin wurden die Ketten, die mich festhielten, gelöst. Offenbar handelte es sich um den Bischof dieser Stadt, wie ich den Gesprächen entnahm. Grob nahm er mich am Arm und sagte mit einer beschwörenden Stimme:
„Du verfügst anscheinend über besondere Kräfte. Ich will wissen, wo deine Energie her kommt.“ Als ich beharrlich schwieg, zog er mich mit sich und wir durchquerten den Dom, stiegen einige Wendeltreppen hinauf und gelangten in einen kleinen Raum. Er gab mir einen Becher mit einer bitter schmeckenden Flüssigkeit zu trinken. Als ich zögerte, befahl er mir herrisch, den Becher zu leeren. Widerstand war zwecklos, sagte ich mir und ich tat, was er verlangte. Dann schien ich zu schweben und hatte Einblick auf das erschreckende Bild unter mir. Nach einer Weile wurde mir schwindelig und Dunkelheit hüllte mich ein.
Ich erwachte mitten in der Nacht in meinem Schaukelstuhl, ein leeres Weinglas in der Hand. Fröstelnd begab ich mich in meine Koje und war bald weggedämmert. Schon fast im Schlaf spürte ich einen leichten Windhauch über mich hinweg streichen.
4
Zunächst schlummerte ich tief und traumlos. Doch jäh wurde ich durch ein Geräusch geweckt. War das ein Knacken der Holzscheite im Kamin? Ich richtete mich auf und sah genauer hin. Eine kleine Flamme züngelte noch an einem Stück Holz entlang; mal war sie am Verglimmen, dann wieder schoss sie in die Höhe und malte Muster an die Wand. Hastig zog ich die Decke über meinen Kopf, lugte daraus hervor und beobachtete das fantastische Farbenspiel. Dann stieg jäh die Erinnerung in mir hoch an die schaurigen Erlebnisse der letzten Nacht.
Sie fühlten sich so real an, so dass ich mich einmal mehr fragte: Was war Wirklichkeit und was war Traum? Waren es Fantasien, hervorgerufen durch die Einsamkeit und die Stille meiner Umgebung, oder handelte es sich dabei um tatsächliche Erinnerungen aus fernen Dimensionen? Was es auch immer war, es berührte mich tief in meinem Innern. Auf jeden Fall hatte es eine tiefe Bedeutung für mich, das spürte ich sehr klar. Unruhig wälzte ich mich hin und her. Mein braver Hund tappte heran, leckte meine Hand und ließ sich dicht neben mir nieder. Um das Haus sang der Wind seine Melodie. Darüber wurde ich erneut müde und sank in einen erholsamen Schlaf.
Sonnenstrahlen erfüllten den Raum mit hellem Schein, als ich erwachte. Das war mir sehr willkommen. Ich war noch etwas benebelt und kam nur langsam zu mir. Aus der Ferne ertönte ein Pfiff und mein Hund begann zu knurren. Was war das? Ich war doch hier ganz allein. Dann war nichts mehr zu hören und ich dachte, es sei nur ein Traumrest gewesen. Etwas steif stieg ich aus meiner mollig warmen Koje, kochte mir einen heißen Kaffee, der mich vollends weckte, stopfte mir eine Handvoll Nüsse in den Mund und ging hinaus.
Langsam kehrten meine Lebensgeister zurück. Ich lief mit Leo um die Wette, obwohl er mir natürlich haushoch überlegen war. Das wollte ich aber nicht einsehen und legte noch an Tempo zu. Dabei stolperte ich über einen Ast und fiel der Länge nach auf den Boden. So ein Mist! Als ich mich etwas benommen aufrappelte, sah ich vor mir auf dem Boden etwas blinken. Ich griff danach und hielt eine wunderschöne Goldkette in der Hand, an der ein Medaillon hing mit einem Symbol darauf, das ich nicht kannte. Erstaunt und erfreut über dieses Kleinod legte ich es mir um den Hals.
Frohgemut und etwas aufmerksamer als zuvor, wanderte ich mit Leo an meiner Seite bis zu dem kleinen See, den ich vor kurzem erst entdeckt hatte. Dort machte ich halt und watete mit nackten Füßen im Wasser herum. Das wirkte sehr belebend. Das Wasser war sehr klar und ich konnte die Fische beobachten, wie sie um meine Füße schwammen und an ihnen zupften. Plötzlich hatte ich einen ungewohnt klaren Blick. Alles um mich herum trat besonders scharf hervor, was mich sehr verwunderte. Ich konnte mich nicht erinnern, jemals die Welt um mich her so intensiv und klar in ihren Konturen wahrgenommen zu haben. Ich lenkte meine Aufmerksamkeit auf den Kies unter meinen Füßen, der beim Gehen meine Füße sanft massierte. Ein Wohlgefühl floss durch meinen ganzen Körper und ich fühlte mich munter wie ein Fisch im Wasser.
Plötzlich zerriss ein schriller Pfiff die Stille. Erschreckt horchte ich auf. War hier noch jemand in der Nähe? Eilig watete ich aus dem Wasser heraus und lauschte eine ganze Weile. Alles blieb still und ich wandte mich wieder dem Weg zur Hütte zu. Vielleicht war es ein Vogel gewesen, dessen Pfiff ich gehört hatte? Entschieden verdrängte ich die Unsicherheit, die mich überkommen hatte.
Gegen Abend machte ich es mir wieder in meinem Schaukelstuhl am Kamin gemütlich und kraulte Leo, der sich an mich schmiegte. Leicht schaukelte ich hin und her und summte ein altes Volkslied vor mich hin. Das Feuer flackerte und ich kam ins Träumen. Urplötzlich schwebte ich wieder in der Luft, getragen vom Windgeist, meinem alten Bekannten. Der Flug währte diesmal nur kurz. Nur zu bald befand ich mich wieder in dem Raum, den ich gestern verlassen hatte. Ich lag auf einer Liege, vor mir ein bekanntes Gesicht, das sich über mich beugte. Es gehörte dem absonderlichen Kirchenmann, der mich letzte Nacht in das kleine Turmzimmer geführt und mir gegen meinen Willen ein betäubendes Getränk verabreicht hatte.
„Ich habe dich vor dem Scheiterhaufen bewahrt“, fuhr er mich an. „Dafür bist Du mir jetzt verpflichtet.“ Ich war noch ganz benommen und mir war schwindelig. Was wollte der Mann von mir? Am Turmfenster entdeckte ich einen großen Raben, der in das kleine Zimmer hineinlugte. Ein heftiger Windstoß drückte gegen das Fenster und es öffnete sich ein wenig. Der Wind strich sacht über meine Stirn. Ich wurde innerlich ganz ruhig und sank erneut in eine Ohnmacht.
Zwischendurch kam ich kurz zu mir und hörte die Stimme des dunklen Mannes, der eindringlich auf mich einredete. Beständig fragte er:
„Was verbirgst du vor mir? Woher kommt diese besondere Energie? Verrate es mir, ich muss es wissen!“ Ich begriff nicht so recht, was er von mir wollte und flüsterte:
„Ich weiß gar nicht, was Sie meinen…“ Auf dem Tisch neben dem Unhold lag ein langes, scharfes Messer. Ich sah es, empfand jedoch keine Angst. Dann bemerkte ich, wie ein heulender Sturm in das offene Fenster hereintobte und ein Schwindel ergriff mich. Alles wurde dunkel um mich herum.
Völlig gerädert erwachte ich in meiner Hütte. Eilig kroch ich ins Bett, kuschelte mich in die warme Decke und war im Nu eingeschlafen.
5
Nur langsam kam ich wieder zu mir; eine zeitlang schwankte ich zwischen Wachen und Träumen hin und her. Ich fühlte mich benommen und blinzelte in die so genannte ‚Realität’. Zögerlich sammelte ich mich und holte Stück für Stück die vergangenen Ereignisse zurück ins Gedächtnis. Nach einer Weile hatte ich mich wieder so weit gefasst, dass alles Erlebte klar vor meinem inneren Auge stand. Was geschah hier nur mit mir? Warum hatte ich mich spontan für diese Auszeit entschieden? Anscheinend hatte dies einen tieferen Grund.
Ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass ich lange geschlafen hatte; dennoch fühlte ich mich immer noch nicht fit. Erst eine kalte Dusche holte meine Lebensgeister zurück. Leo wartete schon ungeduldig, als ich zur Tür ging.
Wir machten einen kleinen Spaziergang in der frischen Waldluft. Ich atmete in vollen Zügen ein und meine Gedanken klärten sich. Gemächlich wanderte ich durch die Natur. Die Bäume entfalteten ihr grünes Laub, während die kleinen geflügelten Wesen sich eifrig um ihr Brutgeschäft kümmerten und Futter suchend umher schwirrten. Ich genoss die Atmosphäre des Waldes, fernab dem Lärm der Zivilisation. Nur die Zweige unter mir knackten. Langsam traten meine traumhaften Erlebnisse der letzten Nacht in den Hintergrund.
Zurück in meiner kleinen Hütte, die mir inzwischen lieb gewordenen war, bereitete ich mir etwas zu Essen und dazu einen Kaffee zur weiteren Ermunterung. Auch Leo kam nicht zu kurz; dafür sorgte er schon selbst. Nach einem weiteren Kaffee setzte ich mich an den kleinen Schreibtisch, um meine Erlebnisse zu Papier zu bringen. Das laute Pfeifen eines der geflügelten Wesen nahe dem Fenster weckte meine Aufmerksamkeit. Ich blickte auf und sah einen kunterbunt gefiederten Vogel auf einem der Äste nahe dem Fenster hocken. Er blickte unverwandt in meine Richtung, so als wollte er mir etwas mitteilen.
Mir war seltsam zumute und plötzlich fiel mir die Goldkette ein, auf die ich im wahrsten Sinne des Wortes gestoßen war. Ja – sie war mir zugefallen, wobei es fraglich ist, ob ‚Zufälle’ in dem uns bekannten Sinne überhaupt existieren. Geschieht nicht alles, sobald der richtige Zeitpunkt gekommen ist? Ich nahm die Kette in die Hand und betrachtete das Medaillon. Immer noch konnte ich mir über seine Bedeutung keinen Reim machen. Und was wollte mir der bunte Geselle vor meinem Fenster mitteilen? Vielleicht war es überhaupt kein Vogel? Jedenfalls war mir ein so außergewöhnlicher Anblick bisher noch nie untergekommen.
Unversehens kam mir die Legende vom Vogel Phönix in den Sinn. Phönix, der nach seinem Hinscheiden aus der Asche immer wieder neu erstand. Und ging es mir nicht ähnlich? War ich nicht auch wieder neu erstanden, immer wieder in ein neues Leben, um irgendwann am Ziel allen Strebens anzulangen? Was hatte es mit diesem Ziel auf sich? Solche Überlegungen weckten in mir einen unstillbaren Drang nach Wissen, nach Erkenntnis. Vielleicht war das einer der Gründe, weshalb ich die Einsamkeit gesucht hatte. Und wirklich schien sich hier eine völlig andere Welt für mich aufzutun.
Nachdem ich eine ganze Zeit am Schreibtisch gesessen und die Geschehnisse der letzten Stunden aufgezeichnet hatte, war ich in Gedanken versunken lange Zeit sitzen geblieben. Als ich mich erhob, schickte sich die Sonne bereits an, im Westen zu verschwinden. Zuvor verbreitete sich ein faszinierend buntes Schauspiel am Himmel, das sich im Zimmer widerspiegelte. Der gesamte Raum war in ein interessantes Farbspiel getaucht. Ein letzter Sonnenstrahl traf auf den Spiegel an der Wand. Zufällig blickte ich hinein, und glaubte meinen Augen nicht zu trauen! Ein fremdes, hübsches Gesicht, umrahmt von dunkelbraunen langen Locken, sah mir direkt in die Augen. Ich bekam einen Heidenschreck und die Knie zitterten mir. Das war eindeutig nicht mein eigenes Gesicht! Denn ich hatte kurze blonde Locken und sah überdies völlig anders aus.
Einige Sekunden blickten wir uns an. Ich war fassungslos! Dann verschwand der Sonnenstrahl und damit das fremde Gesicht. Zum Vorschein kam das mir bekannte Konterfei. Was um Himmels Willen war das? Ich lief im Zimmer auf und ab, bis ich mich wieder beruhigt hatte. Es konnte nur eine Spiegelung gewesen sein, nichts weiter. Oder doch? Ich nahm mir ein Glas Wein und setzte mich, immer noch aufgeregt, vor den Kamin. Dabei schaukelte ich vor mich hin und wurde ruhiger. All die Erlebnisse, die mir in den letzten Tagen widerfahren waren, gerieten in den Hintergrund. Langsam dämmerte ich weg und meine kritische Vernunft zog sich zurück.
6
Die Sonne war untergegangen und die Schatten der Nacht eroberten langsam den Himmel. Plötzlich schreckte ich jäh auf und bemerkte, dass ich nicht mehr in meinem Schaukelstuhl saß, sondern mich an dem kleinen See mitten im Wald befand. Was war das denn? Wie kam ich denn plötzlich hierher? Ich begann, an meinem Verstand zu zweifeln. Fröstelnd zog ich meine viel zu dünne Jacke fest um mich. Da blies plötzlich ein Windhauch von hinten in meinen Nacken und eine wohl tönende Stimme wisperte:
„Du bist im Schlaf gewandelt und ich habe dich hier gefunden. Keine Angst, ich gebe auf dich Acht.“ Es hörte sich an wie ein Säuseln in den Blättern. Schon befand ich mich wieder hoch in den Lüften. Ich hörte es noch raunen:
„Heute wird es wohl für dich ein intensives Erlebnis werden, aber denk daran: Das alles geschieht im Traumland.“ Es verging nur ein kurzer Moment, und ich befand mich wieder in dem kleinen Turmzimmer. Ich lag auf einer Liege und der finstere Mann, der ganz in schwarz gekleidet war, blickte mit einem harten Ausdruck in den Augen auf mich herab. Ich versuchte, mein Gewahrsein an die veränderte Situation anzupassen. Die schnelle Abfolge der Ereignisse machte mir zu schaffen. Außerdem hatte ich wieder dieses betäubende Gefühl, so als ob Rauschmittel meine Sinne benebelten.
Der Mann knurrte irgendwas, doch ich verstand ihn nicht. Alles drehte sich um mich. Ungeduld und Ärger schienen in meinem Kerkermeister hoch zu steigen. Mit schneidender Stimme, die mir einen Schauer über den Rücken jagte, grollte er:
„Ich habe nun alles Mögliche mit dir angestellt. Dir ist vielleicht nicht klar, dass du eine bevorzugte Behandlung gegenüber den anderen Frauen einnimmst.“ Ich dachte im Stillen: ‚Das kann ja wohl nicht wahr sein.’ Aber er vertrat wohl derart abwegige Meinungen und knurrte:
„Ich verfolge bestimmte Absichten mit dir. Nachdem ich deinen Körper nach allen Regeln der Kunst untersucht habe, konnte ich nicht das entdecken, was ich zu finden hoffte. Ich will mehr über dich in Erfahrung bringen. Woher kommt die Kraft in dir, deine außerordentliche Energie? Ich muss das wissen!“
Gern hätte ich ihm eine Antwort gegeben, doch ich verstand einfach nicht, was er von mir wollte. Uns Heilerinnen verbanden Gefühle der Zuneigung und das Mitleid mit den kranken Menschen, denen wir halfen. Doch von Mitgefühl und Liebe konnte bei ihm und seinesgleichen wohl nicht die Rede sein.
„Du bist eine schöne Frau und es ist schade um dich“, fuhr er mit Grabesstimme fort. „Irgendwie tust du mir leid, doch mein Anliegen ist mir wichtiger als alles andere. Ich will in den Besitz dieser Kraft kommen, koste es, was es wolle!“
Hinter ihm auf dem Tisch lag immer noch das lange, scharfe Messer. Trotz des Nebels in meinem Gehirn machte mein Herz einen Sprung. Unaufhaltsam kam er mit dem Messer auf mich zu. Mir stockte der Atem, als er es oben an meinem Hals ansetzte. Ich konnte nicht mehr klar denken. Panik erfasste mich. Da drückte der Unmensch das Messer in mein Fleisch; er schnitt hinein und zog die Klinge den ganzen Körper hinunter. Der schrille Pfiff eines Vogels war am Fenster zu hören. Ein brausender Sturm erhob sich und drückte so heftig gegen die Scheiben, dass sie mit lautem Krach zu Bruch gingen. Mit letzter Kraft entriss ich dem Unhold das Messer. Kaum war mir bewusst, was ich tat, als ich es ihm mit aller Kraft in die Kehle stieß! Mein Blut vermischte sich mit dem Seinen. Schwer fiel er auf mich und Blutströme ergossen sich rings um uns herum.
Laut schreiend erwachte ich in meinem Bett in der Waldhütte. Da streichelte ein leichter Hauch mein Gesicht, als wollte er mich trösten.
„Es ist alles in Ordnung, meine Liebe. Du warst im Traumland und kannst nun ruhig schlafen. Du liegst sicher in deinem Bett und morgen kommt ein neuer Tag“, wisperte es über mir. Meine Augen fielen zu und ich schlief tief und traumlos.
7
Huch, was war denn das? Ich schlug die Augen auf und blinzelte in die Sonne. Irgendjemand wischte in meinem Gesicht herum. Bei näherem Hinsehen war es die Zunge von Leo, meinem Vierbeiner, die mein Gesicht hingebungsvoll abschleckte.
„Na sag mal, du Schlingel“ lachte ich und schob ihn sanft zurück. „Hast du es denn so eilig?“ Und wirklich waren die Zeiger der Uhr bedenklich weit in den Tag hinein gewandert. Schnell kam ich aus dem Bett hervor und Leo sprang freudig an mir hoch.
„Nun hab ein wenig Geduld“ tadelte ich ihn, „ich beeile mich ja.“ Genau das tat ich dann auch und in Windeseile war alles erledigt. Im Laufschritt liefen wir die Waldwege entlang. Ich fühlte mich ausgeruht und unternehmungslustig. Leo sprang munter vor mir her. Bald begann mein Magen zu knurren; denn in der Eile hatte ich nicht ans Essen gedacht. Wir waren schon eine ganze Weile unterwegs, als der Wald sich lichtete und in der Ferne Häuser zu erkennen waren. Da war ein kleines Dorf ganz in der Nähe, was ich beim Einzug in die einsame Waldhütte nicht bemerkt hatte. Das war mir nun ganz recht. Mal sehen, ob ich dort etwas Essbares auftreiben konnte. Es dauerte nicht lange, bis ich einen kleinen Gasthof entdeckte.
„Komm Leo“ rief ich, „lass uns mal hineinsehen.“ Ich öffnete die Tür und wir betraten einen gemütlichen, rustikal eingerichteten Raum mit einer gediegenen Theke und verschnörkelten Holztischen. Der Gastraum war fast leer; lediglich in einer Ecke saß ein Mann, der seine Mahlzeit verzehrte. Ich beachtete ihn nicht weiter. Aus einem Nebenraum kam eine adrette junge Frau, die mich begrüßte.
„Wollen Sie sich bei dem schönen Wetter nicht in den Garten setzen?“, fragte sie freundlich. Das war mir nur recht. Ich suchte mir einen angenehm halbschattigen Platz im Freien. Irgendwie war ich froh, nicht mit dem fremden Mann in der Gaststube zu sitzen, ohne dass mir klar war, weshalb ich es vorzog, allein zu sein. Nun, das war im Augenblick auch nicht so wichtig. Hungrig bestellte ich ein deftiges Frühstück und ließ es mir schmecken. Für Leo orderte ich eine ansehnliche Wurst, denn in der Eile hatte ich nichts für ihn eingesteckt. Er schien ebenfalls sehr hungrig zu sein; im Nu war die Wurst verschlungen.
Nach der Mahlzeit lehnte ich mich zufrieden in dem gemütlichen Stuhl zurück und bestellte mir noch einen Kaffee. Als ich versonnen den Blick wandern ließ, kamen mir wieder die Ereignisse der letzten Nacht in den Sinn. Ich war mir immer noch nicht sicher, ob ich das alles nur geträumt hatte, oder ob ich auf einer anderen Ebene unterwegs war. Auf irgendeine Weise hatte ich das Gefühl, dass diese Erlebnis-Träume zu mir gehörten. Eine entfernte Erinnerung begann Gestalt anzunehmen. Auch sprachen die Zeichen, die mir begegneten, ihre eigene Sprache.
Die freundliche Wirtin tauchte auf und fragte, ob es mir hier in der Gegend gefiele und ob ich es wäre, die die einsame Waldhütte gemietet hatte? Ich bejahte und erzählte ihr, wie angenehm es sei, einmal Urlaub in dieser Art zu machen und alles andere hinter sich zu lassen. Im Stillen dachte ich an meine nächtlichen Erlebnisse, die gewiss alles andere als erfreulich, sondern eher aufwühlend waren. Davon erzählte ich ihr jedoch nichts. Als ich zur Wirtin aufschaute, schien ihr die Sonne ins Gesicht und spiegelte sich in einem goldenen Medaillon, das sie um den Hals trug. Ich war nicht wenig erstaunt, denn es glich wie ein Ei dem anderen meinem eigenen Kleinod, das ich im Wald gefunden hatte und dass mir regelrecht ‚zugefallen’ war. Zuerst verschlug es mir die Sprache. Seltsame Dinge geschahen hier, die ich mir nicht erklären konnte und die mich merkwürdig berührten. Eine ferne, leise Erinnerung, die ich nicht zuordnen konnte, bewegte mich auf eine mir unverständliche Art und Weise.
„Eine hübsche Kette haben Sie da“, sagte ich zur Wirtin. Meine hatte ich leider gerade nicht bei mir. „Was hat das Symbol zu bedeuten?“ erkundigte ich mich.
„Ich habe diese Kette im Nachlass meiner verstorbenen Mutter gefunden; für mich ist sie etwas ganz Besonderes“, ließ sie mich wissen.
„Sie ist wirklich sehr schön“, meinte ich bewundernd.
„Ja – sie bedeutet mir sehr viel und ich lege sie fast nie ab“, bemerkte sie versonnen und ließ das Medaillon durch ihre Finger gleiten. Wir plauderten eine ganze Weile miteinander. Als ich gehen wollte, stellte ich zu meinem Verdruss fest, dass ich in der Eile meine Geldbörse vergessen hatte. Das war mir sehr unangenehm.
„Das macht doch nichts“, sagte die Wirtin freundlich. „Dann bezahlen Sie eben ein andermal. Sie kommen bestimmt wieder.“
„Das werde ich. Nun habe ich einen weiteren Grund, Sie wieder zu besuchen. Das tue ich sehr gern. Sie wissen darüber hinaus, wo ich zu finden bin, also kann ich ihnen nicht entkommen“, scherzte ich.
In einem sehr warmherzigen Einvernehmen verabschiedeten wir uns. Als ich durch den rustikalen Gastraum zur Tür ging, saß der fremde Mann immer noch an seinem Tisch. Unvermittelt jagte mir ein kalter Schauer über den Rücken. Schnell öffnete ich die Tür und trat hinaus in den sonnigen Tag.
8
Im Wald angekommen, atmete ich erleichtert auf und schritt beschwingt in Richtung meiner Hütte. Dabei kamen wir an dem kleinen See vorbei und Leo ließ es sich nicht nehmen, im Wasser herumzutollen. Ich sah mich um, betrachtete die aufblühende Vegetation, die Blumen, die in verschieden leuchtenden Farben ihre winzigen Hälse reckten, das frische Grün rings umher. In einem der Bäume bewegte sich etwas. Als ich verwundert näher hinsah, glaubte ich zu träumen. War das nicht… Ja, er war’s, der kunterbunte Vogel, der kürzlich auf einem Baum vor meinem Fenster gehockt und unverwandt in meine Richtung geschaut hatte. Er war es tatsächlich. Dann erblickte ich einen weiteren Vogel, mutmaßlich ein Rabe, der ihm gegenüber saß. Welch einen Kontrast diese beiden stolzen Vögel zueinander bildeten!
Obwohl mir der schöne bunte Vogel – den ich im Stillen Phönix getauft hatte – äußerlich besser gefiel, so wirkte sein dunkler Geselle, dessen Gefieder in der Sonne bläulich schimmerte, auf seine eigene Weise faszinierend. Ich stand eine Weile bewegungslos und bewunderte die beiden Erscheinungen. Kamen sie aus einer anderen, uns unbekannten Welt? Vielleicht brachten sie eine Botschaft mit oder wirkten in irgendeiner Form auf unsere Realität ein. In meinem Innern raunte eine leise, vertraute Stimme:
„Es sind Seelenvögel.“ Ich rieb mir über die Augen. Als ich wieder hinsah, waren die Botschafter verschwunden. Verwundert fragte ich mich, ob ich fortdauernd träumte. Konnte ich Traum und Realität nicht mehr unterscheiden? Langsam wurde es bedenklich. Kopfschüttelnd rief ich:
„Komm Leo, wir gehen weiter!“ Fröhlich kam er angesprungen. Hunde machten sich keine Gedanken darüber, was auf sie zukam. Sie lebten im Augenblick, waren voller Zuneigung und Hingabe ihren menschlichen Gefährten gegenüber. Sie waren treu, beschützten ihre Menschen und ihre Liebe war durch nichts zu erschüttern.
Gedankenverloren ging ich meines Weges und beneidete fast ein wenig die Unbeschwertheit meines Hundes. Plötzlich wurde ich jäh durch einen schrillen Pfiff aus meinen Betrachtungen gerissen. Ganz in der Nähe strich ein großes Tier durch das Gebüsch und bewegte sich direkt auf uns zu. Ich bekam einen Riesenschreck, als ein stattlicher Hund zum Vorschein kam, der alles andere als Vertrauen erweckend wirkte. Leo begann zu knurren. Da ertönte ein lauter Pfiff; das fremde Tier spitzte die Ohren, machte kehrt und verschwand im Gehölz. Er lief wohl zu seinem Herrn zurück.
„Puh“, dachte ich, „das ist ja noch mal gut gegangen.“ In der Ferne bemerkte ich einen Mann, der Ähnlichkeit mit dem Fremden im Gasthaus hatte. Momentan hatte ich keine Lust auf derlei Kontakte und beschleunig- te meine Schritte in Richtung meines Heims, gefolgt von Leo. Irgendein Mann ist doch immer im Spiel, dachte ich amüsiert. Doch solche Fantasien lagen mir derzeit eher fern.
Erleichtert ging ich weiter und versank wieder in Tagträumereien. Obwohl die Sonne ihre wärmenden Strahlen sendete, begann ich zu frösteln. Da bemerkte ich einen Windstoß, der die trockenen Blätter umherwirbelte. Ich zog meine kurze Jacke etwas enger um mich und blickte umher. Was war denn das? Der Wald sah auf einmal völlig anders aus, als ich ihn bisher kannte. Er wirkte dunkel und unheimlich. Dichtes Gestrüpp versperrte mir zeitweilig den Weg. Ich fand die Richtung zu meiner Hütte nicht mehr! Bewegungslos wartete ich und hielt Ausschau nach Leo, doch der war verschwunden. Heillose Angst überfiel mich. Da raunte es mir leise ins Ohr:
„Nur die Ruhe. Du warst, ohne es zu bemerken, wieder in den Lüften unterwegs. Ich zeigte dir die andere Welt, denn dazu bin ich hergekommen“, wisperte es weiterhin in meinem Ohr. Es war mein Beschützer, der Windgeist, da war ich mir sicher. „Dir wird nichts geschehen“, verstand ich noch.
Ich versuchte, mich zu beruhigen und mein Herzschlag verlangsamte sich. Immerhin befand ich mich in der frischen Waldesluft, also atmete ich tief ein und aus. Kleine, muntere Vögel umschwirrten mich und gaben mir ein heimisches Gefühl.
„Geh nur weiter den Weg hier entlang“, hörte ich es flüstern. Nach einer kleinen Weile lichtete sich der Wald und es wurde heller um mich. Durch die Bäume hindurch glaubte ich, Mauerwerk zu erkennen. Beim Näherkommen erblickte ich zu meinem Erstaunen eine Burg. Eine gewaltige Mauer grenzte das Anwesen ein; das Hauptgebäude war umgeben von Türmen. Sattgrüne Wiesen und ein gepflegter Garten waren zu sehen. Erfreut und etwas neugierig schritt ich darauf zu und sah mich um. In der Nähe gab es einen Pferdestall, dessen Tür offen stand. Ich betrachtete die edlen Tiere voller Bewunderung. Sie wieherten, als sie mich sahen. Da hörte ich eine Frauenstimme hinter mir:
„Da bist du ja! Du sollst doch nicht immer allein im Wald herumlaufen. Du weißt, in welcher Gefahr wir schweben“, ermahnte sie mich. Ich hörte mich antworten:
„Meine Liebe, ich habe nur nach einem bestimmten Heilkraut gesucht, das wir so dringend benötigen. Das finde ich leider nur an den dunkelsten Stellen des Waldes. Doch keine Sorge, ich habe mich vorgesehen.“ Im Stillen dachte ich: ‚Woher weiß ich das alles?’ und erinnerte mich plötzlich daran, dass es sich hier um einen Teil meiner vergangenen Welt handelte, in einer anderen Zeit und in einem anderen Leben.
Langsam dämmerten mir Einzelheiten auf. Ich lebte in Frankreich im Mittelalter; zu einer Zeit, als Hexen verbrannt wurden und Frauen, die über heilerische Fähigkeiten verfügten, gejagt, verfolgt und umgebracht wurden. Das jetzige Erleben führte mich noch weiter in eine andere Zeit zurück; eine Periode, bevor ich im Dom gefangen war.
„Du weißt doch Melli, dass wir das Heilkraut unbedingt brauchen“, sagte ich wie in Gedanken. „Und stell’ dir vor, ich habe es tatsächlich gefunden, sogar eine große Menge an einer versteckten Stelle im Wald. Sieh mal.“ Dabei blickte ich erstaunt auf meine Finger; sie hielten tatsächlich einen kleinen Strauß eines stark duftenden Krautes umschlossen.
„Warte ein Weile“, sagte ich eilfertig. „Es ist gar nicht weit von hier. Und es standen noch andere seltene Kräuter dort. Ich bin bald zurück.“ Und schon war ich verschwunden. Nun hatte ich Zeit, mich erst einmal zu sammeln. Unversehens war ich in einer Gegend unterwegs, die ich gut kannte. Hinter mir hörte ich ein Hecheln und drehte mich hastig um. Da war mein Leo!
9
„Mein liebster bester Leo“. stammelte ich und nahm ihn fest in den Arm. Mein Vierbeiner wusste nicht, wie ihm geschah. Ich sah den vertrauten Wald, der mich umgab und fand schnell die Richtung zu meiner Hütte. Dort angekommen, bereitete ich mir erstmal einen heißen Kaffee und ließ mich erschöpft auf die Bank vor der Tür fallen. Die warmen Sonnenstrahlen belebten mich. Ich dachte bei mir: ‚Habe ich etwa meinen Verstand nicht mehr beisammen? Jetzt träume ich schon tagsüber!’
Ein leichter Wind kühlte meinen erhitzten Kopf, so als wollte er mir sagen, alles wäre in Ordnung. Langsam wurde ich entspannter und beruhigte mich. Ich dachte über mein sonderbares Erlebnis nach. Anscheinend äußerte sich der Stress des Alltages manchmal in solch außergewöhnlichen Zuständen. Doch ich war mir keineswegs sicher; ob diese Erklärung ausreicht. Das war schon äußerst merkwürdig, was mit mir geschah. Wie um meine Zweifel zu untermauern, flog urplötzlich ein Zettel auf meinen Schoß. Nachdem ich ihn entfaltet hatte, las ich die etwas verwehte Schrift:
„Traum ist Realität und Realität ist Traum. Alles ist anders herum, als wir glauben.“ Wieder so ein Zeichen, wie ich sie schon einige Male erhalten hatte. Ich steckte den Zettel in meine Jackentasche, um ihn später sicher zu verwahren, und erhob mich. In diesem Moment hörte ich wieder einen lauten Pfiff, der mir mittlerweile bekannt vorkam. Und siehe da, der angsteinflößende Hund brach plötzlich durch das Gebüsch und sprang direkt auf mich zu. Kurz vor mir machte er Halt und blickte mich griesgrämig an. Zu meinem Glück folgte dem Untier sogleich der Mann, dem er offensichtlich gehörte. Ich war ihm bereits begegnet. Nun standen beide vor mir und mir war gar nicht wohl dabei.
„Entschuldigen sie“, brach der Mann das unangenehme Schweigen, „Harras scheint sie irgendwie zu mögen. Es tut mir leid, dass er sie nun schon wieder erschreckt hat, er ist im Grunde ein friedlicher Zeitgenosse. Doch wer ihn nicht kennt, kann das natürlich nicht einschätzen“, informierte er mich.
Mit etwas zitternden Knien und unsicherer Stimme fragte ich ihn, ob er einen Kaffee möchte, ich wäre gerade dabei, einen aufzubrühen.
„Wenn es ihnen keine Umstände macht, sage ich nicht nein“, war seine höfliche Antwort. Ich bat ihn, Platz zu nehmen und verschwand in der Hütte, froh darüber, erst einmal Abstand zwischen uns gebracht zu haben. Eine unerklärliche Furcht hatte von mir Besitz ergriffen und gleichzeitig fröstelte ich, trotz des warmen Wetters. Leo war mir gefolgt; auch ihm schien es nicht ganz geheuer zu sein. ‚Dummes Zeug!’ rief ich mich zur Ordnung.
Am Anzug des Mannes konnte man erkennen, dass er wohl der Förster war und hier seine Rundgänge absolvierte; – was er mir später auch bestätigte. Was konnte mir da schon passieren? Außerdem war es angenehm, etwas Unterhaltung zu haben, die mich davon abhielt, mich noch mehr in meine Gedanken und Träumereien zu verspinnen. Bei diesem Gedanken trat ich mit dem zubereiteten Kaffee forsch ins Freie.
Mein Gast trank seinen Kaffee schwarz, wie er mir mitteilte. Ich hingegen liebte das Gebräu mit einem Schuss Sahne. ‚Schwarz und schwarz-weiß’, kam es mir in den Sinn. Ich setzte mich zu dem Förster, in Ermangelung einer weiteren Sitzgelegenheit, auf die Bank. Dabei achtete ich auf gebührenden Abstand, so weit es irgend ging. Ich konnte ein Gefühl der Unsicherheit nicht abstreifen. Eigenartige Gedanken kamen mir in den Sinn. Der Wald wirkte derzeit etwas dunkler als sonst. Zuvor war alles sonnig und hell gewesen, doch jetzt kam es mir so vor, als sei ein Teil der Lichtung, auf der meine Hütte stand, in Dunkelheit getaucht; so als wäre der Wald dort düsterer und von dunklen Wesen bewohnt.