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Absonderlicher Knochenfund in Berlin: Privatdetektive Becker und Funke auf Spurensuche Ein Koffer voller menschlicher Gebeine taucht in der deutschen Hauptstadt auf. Der rätselhafte Fund stellt Hauptkommissarin Kami Bogatsu vor ein Rätsel: Handelt es sich hierbei um ein Verbrechen oder "nur" um ein altes Skelett, dessen Ursprung sich nicht mehr zurückverfolgen lässt? Bogatsu bittet das Privatermittler-Duo Bastian Becker und Janina Funke um Unterstützung. Als die gerichtsmedizinische Untersuchung Schabspuren an den Knochen zutage fördert, kommt Becker ein schauriger Verdacht: Könnte es sich um einen Fall von Kannibalismus handeln? Nach dem Erfolg von Viral. Blutrausch schickt Mark Benecke das Ermittler-Team auf gefährliche Spurensuche, die sie immer tiefer in die dunklen Ecken Berlins führt. - Woher stammt der geheimnisvolle Knochen-Koffer? Ein packender Kriminalroman - Privatdetektive im Fadenkreuz: Stoppt Becker den Täter, ohne seine Partnerin zu gefährden? - Mörderische Jagd: Ein Berlin-Krimi, inspiriert durch wahre Begebenheiten - Zweiter Band der Crime-Noir-Reihe von Bestsellerautor und Kriminalbiologe Mark Benecke Krimi aus der Feder eines Experten: Ein neuer Fall für Becker und Funke Drei Wochen. So lange hat Bastian Becker Zeit, um das Rätsel rund um den Knochenfund zu lösen. Wer ist dieser Mensch, der Gebeine abschabt und sie anschließend leicht auffindbar deponiert? Bei seiner Suche nach Erklärungen gerät er selbst ins Visier des Täters und bringt sich und seine Partnerin Janina Funke unwissentlich in große Gefahr. Auch in seinem zweiten Kriminalroman verbindet Kriminalbiologe Mark Benecke berufliches Fachwissen mit Hochspannung. Ein mörderisch-spannender Krimi rund um ein Privatermittler-Duo, das in die düstere Welt des Kannibalismus eintaucht!
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Seitenzahl: 240
MARK BENECKE
mit Dennis Sand
Kriminalroman
Sämtliche Angaben in diesem Werk erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr. Eine Haftung der Autoren bzw. Herausgeber und des Verlages ist ausgeschlossen.
1. Auflage© 2023 Benevento Verlag bei Benevento Publishing München – Salzburg, eine Marke der Red Bull Media House GmbH, Wals bei Salzburg
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags, der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen sowie der Übersetzung, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Medieninhaber, Verleger und Herausgeber:Red Bull Media House GmbHOberst-Lepperdinger-Straße 11–155071 Wals bei Salzburg, Österreich
Satz: MEDIA DESIGN: RIZNER.ATGesetzt aus der Minion, Gist Rough, Futura, NorwesterUmschlaggestaltung: ZERO Media, MünchenUmschlagmotive: FinePic®, MünchenAutorenillustration: © Claudia Meitert/carolineseidler.com, nach einem Foto von Dennis Ostermann & Jens HoworkaISBN 978-3-7109-0157-7eISBN 978-3-7109-5147-3
Vorspiel
TEIL 1
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
TEIL 2
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
TEIL 3
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Zum Autor
Dunkelheit. Da war nur Dunkelheit. Eine vollkommene Finsternis. Er konnte regelrecht fühlen, wie sie in ihn gekrochen war. Sie beherrschte ihn. Seinen Körper, seinen Geist, seinen Willen.
Der schmächtige Mann öffnete die Augen und starrte an die Decke. Bewegungslos lag er da. Er war ganz ruhig. Als würde er nicht mehr er selbst sein. Die kleine Wohnung war abgedunkelt. Die Vorhänge zugezogen, die Fenster geschlossen. Kein Geräusch drang von der Außenwelt herein. Vierundzwanzig Quadratmeter. Eine abgeschlossene Welt für sich.
Er fragte sich, wie spät es wohl war. War es Tag? War es Nacht? Er hatte die letzten drei Tage nicht mehr richtig gelebt. Nur noch funktioniert. Geschlafen. Gegessen. Getrunken. Dann wieder geschlafen. Unendlich lange geschlafen. Er hatte die kleine Wohnung nicht verlassen. Er musste erst einmal verarbeiten, was geschehen war.
Die letzten Tage waren ein einziger Ausnahmezustand gewesen. Kurz flackerten die Bilder wieder auf. Das Blut. Die Schreie. Das Fleisch. Ein Ekel überkam ihn. Genug. Nicht mehr darüber nachdenken. Er hatte getan, was getan werden musste. Es gab kein Zurück mehr. Jetzt galt es, nach vorn zu schauen.
Es musste weitergehen.
Der Schmächtige stand auf und zog einen der schweren dunklen Vorhänge zur Seite. Es war tiefste Nacht. Nur der Vollmond erleuchtete den Himmel ein wenig. Er schaute aus seinem Fenster hinunter auf die Großstadt. Von hier oben hatte er einen guten Blick über alles, was um ihn herum geschah. Aber es war nicht viel zu sehen. In den Hochhäusern, die gegenüber seiner Wohnung lagen, brannte nur noch vereinzelt Licht. Auf der großen Hauptstraße fuhren lediglich ein paar Autos vorbei.
Er schloss die Vorhänge wieder und streifte durch das kleine Wohnzimmer. Ein unangenehmer Geruch von Fäulnis lag in der Luft. Bei jedem Schritt knisterte die Plastikfolie unter seinen Füßen. Er hatte den kompletten Raum damit ausgelegt. Das war nötig gewesen. Dann betrachtete er die Wände. Sie waren mit Papieren behangen. Keine einzige Stelle war frei geblieben, alles war beklebt. Er streckte seinen linken Arm aus und streifte sachte, beinahe liebevoll über die Zettel, die für ihn ein Teil seiner selbst gewesen waren. Gedanken. Ideen. Träume. Ängste. Alles hatte er auf ihnen festgehalten.
Und er kam kaum hinterher. Ständig waren da neue Gedanken in seinem Kopf. Viel zu viele, um sie zu ordnen, zu sortieren. Er schaute noch einmal auf die vollbehangenen Wände. Das hier war nur ein erster Schritt. Er wusste, dass er weiter gehen musste. Dass er weit über jede Grenze hinausgehen musste, die er je für vorstellbar gehalten hatte. Er hatte Angst. Angst vor dem, was noch kommen würde. Aber er fühlte sich auch bereit. Das war er schon lange. Schon seit seiner Kindheit. Vielleicht sogar schon seit seiner Geburt. Er war dafür vorgesehen. Er war etwas Besonderes.
Und jetzt war die Zeit gekommen. Der schmächtige Mann öffnete die Küchentür.
Er schaute sich im Raum um. Vor ihm stand eine schwarze Mülltüte auf dem gefliesten Boden. Er hatte sich zu lange davor gedrückt. Aber da musste er jetzt durch. Er griff nach einem Stuhl, zog ihn in die Mitte des Raums und schüttete den Inhalt des Müllsacks vor sich aus. Ein Schwarm von Fliegen kam ihm entgegen, sie verbreiteten sich schnell im gesamten Raum.
Der schmächtige Mann musste würgen. Vor ihm lagen Dutzende von Leichenteilen. Er hielt sich den Arm vor den Mund und drehte sich weg. Er brauchte ein paar Sekunden, um klarzukommen.
Als sich sein Magen wieder etwas beruhigt hatte, nahm er sich sein Werkzeug, griff eines der Leichenteile und begann langsam das Fleisch von den Knochen herunterzuschaben.
Das war keine gute Idee. Bastian Becker lehnte sich in seinem Sitz zurück und starrte durch das Fenster auf die lange Hauptstraße. Ein Wagen reihte sich an den anderen. Alles war komplett dicht. Da ging gar nichts mehr.
»… im Berliner Osten sind große Teile der Landsberger Allee bis zur Höhe Wuhletal gesperrt. Dreizehn Kilometer Stau, umfahren Sie das Gebiet im besten Fall weiträumig. Auf der …«
Becker schaltete das Radio wieder ab. Hätte er doch bloß nicht das Auto genommen.
Becker starrte wieder auf die Straße. Es war nicht mehr weit. Noch ein paar Hundert Meter vielleicht. Aber hier bewegte sich einfach gar nichts mehr. Kompletter Stillstand. Der Verkehr war tot. Er schaute auf die Uhr. Er war schon verdammt spät dran. In seinem Kopf begann es zu arbeiten. Er schaute einmal nach links, einmal nach rechts, dann zuckte er mit den Schultern. Ach, was soll’s. Er lenkte seinen Wagen über den Fahrradstreifen, halb auf den Bürgersteig, drückte auf das Gaspedal und fuhr einfach an den anderen Autos vorbei.
Die Reaktionen hatte er erwartet. Mit ihrer Körpersprache gaben die anderen Autofahrer ihm zu verstehen, dass es nicht gerade die besten Wünsche waren, die man ihm da übermittelte. Berlin halt. Becker hob entschuldigend die linke Hand, als er an ihnen vorbeifuhr, nickte geduldig als Zeichen, dass er verstanden hatte, was für ein Arschloch er doch sei, und war schließlich erleichtert, als er am Ende der Straße schon das kreisende Blaulicht erkennen konnte. Bastian Becker war am Ziel. Endlich. Selten war er so erleichtert, an einem Tatort angekommen zu sein.
Er parkte seinen alten Peugeot gleich hinter einem Polizeiwagen, zog den Untersuchungskoffer vom Beifahrersitz und ging auf die Beamten zu, die am rot-weiß gestreiften Absperrband Stellung bezogen hatten.
»Hallo«, nickte er den beiden uniformierten Männern zu und zog seinen Ausweis hervor. »Bastian Becker. Ich bin Sonderermittler und …«
»… ist schon okay«, hörte er eine ihm bekannte Stimme. »Er gehört zu uns.«
Die beiden Polizisten gingen einen Schritt zur Seite, und vor Becker stand Hauptkommissarin Kami Bogatsu. Sie lächelte. Zumindest für den Bruchteil einer Sekunde. Vielleicht bildete sich Becker das aber auch nur ein.
»Habe ich das gerade richtig gesehen, dass Sie …«
»… war nur eine kleine Abkürzung«, winkte Becker ab. »Keine große Sache.«
Bogatsu schüttelte den Kopf. Becker schaute auf die Uhr. Er war nur dreißig Minuten zu spät. Das ging noch.
»Was haben wir hier?«, fragte er.
»Zu viel, um heute Nacht ruhig schlafen zu können. Zu wenig, um zu wissen, was los ist«, knurrte sie. Bogatsu war ziemlich mies drauf. Und das wollte was bedeuteten.
Becker kannte sie schon lange. Sie war eine außergewöhnliche Person. Eine groß gewachsene Frau, die sich ihre Haare auf eine Drei-Millimeter-Frisur heruntergestutzt hatte, das sah man nicht alle Tage im deutschen Polizeidienst. Viel mehr beeindruckte ihn allerdings ihr Werdegang. Bogatsu war die erste Frau, die es geschafft hatte, innerhalb kürzester Zeit so schnell aufzusteigen, dass sie mit Anfang dreißig schon Hauptkommissarin und für die Ermittlungen von besonders harten Fällen zuständig war. Sie galt nicht nur als außerordentlich gerissen und gewissenhaft, sie war auch jemand, die sich gerne an einem Fall festbiss. Wenn sie irgendeine Spur hatte, dann ließ sie nicht mehr locker. Das mochte Becker. Er war ja nicht anders.
»Schauen Sie sich das Ganze einmal selbst an«, sagte Bogatsu und nickte in Richtung der großen Müllbehälter, die an einer Häuserfassade standen.
Becker streifte sich Handschuhe über und ging langsam auf die Müllbehälter zu. Die Kollegen von der Spurensicherung waren bereits mit ihrer Arbeit fertig. Es stand nur noch ein einzelner Polizeifotograf herum, der ein paar Bilder von der Umgebung machte.
Es lag ein süßlich-fauliger Geruch in der Luft. Wahrscheinlich vom Abfall. Verschimmeltes Obst, dachte Becker und betrachtete den schwarzen abgewetzten Koffer, der vor ihm stand und um den herum einige neongelbe Tatortaufsteller angeordnet waren.
»Das hier?«
»Das hier.«
Okay. Becker hatte etwas anderes erwartet. Eine Leiche. Vielleicht sogar zwei Leichen. Immerhin hatte Bogatsu ihn extra dazugeholt. Als Privatermittler wurde er eigentlich nur in besonders schwierigen Fällen hinzugerufen. Kostete die Stadt ja schließlich Geld. Aber das? Ein Koffer. Na gut.
Becker ging in die Hocke. Er zog einen Kugelschreiber aus der Tasche und öffnete damit vorsichtig den Reißverschluss des Koffers. Das Ding schien wirklich alt zu sein. Mindestens dreißig oder vierzig Jahre, dachte er.
In dem Moment spürte er, wie jemand ihn an der Schulter berührte. »Na«, hörte er die vertraute Stimme seiner Partnerin Janina Funke. »Hast du es dir auch noch einrichten können?«
»Es war viel los«, sagte Becker.
»Du siehst beschissen aus, Bastian.«
Beschissen. So fühlte er sich auch. Vielleicht hatte er sich irgendwas eingefangen. Oder einfach nur zu wenig geschlafen. Wahrscheinlich eine ungesunde Mischung aus beidem.
Becker öffnete mit dem Kugelschreiber den Koffer, legte den Kopf schräg und betrachtete das, was er vor sich sah. Scheiße. Damit hatte er nicht gerechnet. Knochen. Das gesamte Ding war voller Knochen. Vorsichtig wog er seinen Kopf und nahm Maß. Dann schaute er zu Funke. Sie nickte. Die beiden dachten dasselbe. Das waren nicht irgendwelche Tierknochen. Dafür waren sie groß. Nein, das waren Menschenknochen. Und unter den Gebeinen lag ein Buch.
»Darf ich?«, fragte Becker die Hauptkommissarin und zeigte auf den Koffer.
»Nur zu, die Spurensicherung ist bereits durch«, sagte sie. Becker breitete eine kleine Decke aus und nahm die einzelnen Knochen vorsichtig aus dem Koffer, um sie darauf abzulegen. Er zählte sie durch. Fast sechzig Stück. Becker nickte. Das kam hin, dachte er. Der Mensch hat so viele Knochen. Die Gebeine, die hier lagen, waren die größten aus dem menschlichen Skelett. Dazu Rippen, Oberschenkelknochen, Wirbelsäule, zumindest soweit er das erkennen konnte. Es fehlten ein paar kleinere Knochen, aber die waren meist nur wenige Zentimeter groß und ließen sich problemlos auch sonst wie entsorgen. Aber noch etwas fehlte. Der oder die Schädel.
»Wer auch immer das gemacht hat, der- oder diejenige weiß, was er oder sie tut«, sagte Becker mehr zu sich selbst als zu den anderen. Er wusste jetzt, warum Bogatsu ihn angerufen hatte. Für Ermittler war ein solcher Fund schwierig. Ohne Schädel lässt sich ein Skelett nur schwer einer Person zuordnen. Die eindeutigen Erkennungsmerkmale wie das Gebiss fehlten. Könnte kniffelig werden.
Dann betrachtete er das Buch, das ebenfalls in dem Koffer lag. Es war ziemlich alt. Und nicht mehr im besten Zustand. Becker betrachtete den Titel. Ludwig Bechsteins Märchenbuch. Hatte er noch nie gehört.
»Wie haben Sie den Koffer gefunden?«, fragte Becker die Hauptkommissarin. Die zeigte auf einen großen Müllwagen, der an der Straßenkreuzung stand. Davor zwei Männer mit orangen Warnschutzlatzhosen. »Die Jungs haben uns informiert.«
»Kann ich mit ihnen sprechen?«
»Klar, darum sind sie noch hier. Sie warten schon seit …« Bogatsu schaute auf ihre Uhr. »… fünfunddreißig Minuten auf Sie.«
»War viel los«, sagte Becker noch einmal.
Dann ging er auf die Männer zu. Sie standen an eine Hauswand gelehnt und zogen gelangweilt an ihren Zigaretten. Becker grüßte, sie nickten zurück.
»Sie haben diesen Koffer entdeckt?«, fragte er.
»Ham wa doch schon der Kollegin erzählt«, sagten sie etwas ungeduldig.
»Schon klar, Jungs. Aber ihr wisst doch – deutsche Behörden. Wollen immer alles doppelt und dreifach wissen.« Becker zog ebenfalls eine Zigarette aus seiner Tasche und steckte sie sich an. Dann lehnte er sich zu den Männern an die Wand. »Wo war der Koffer?«
»Na, gleich hier«, sagte einer der Männer und zeigte auf den großen Müllbehälter.
»Der Koffer war im Behälter?«
»Nee, Chefchen«, schüttelte der Mann den Kopf. »Er stand daneben, leicht geöffnet. Als wir ihn genommen haben und in den Wagen schmeißen wollten, da kam uns die ganze Scheiße schon entgegengeflogen.«
»Die Knochen?«
»Die Knochen, ja. Sauerei ist das doch.«
»Ick hab ja schon vieles jesehen in zwanzig Berufsjahren, Chefchen«, mischte sich nun der zweite Mann ein. Er war sehr viel größer und trug einen stolzen Bauch vor sich her. »Die Leute schmeißen ja alles weg mittlerweile. Aber ditt? Ist ditt ne Leiche, oder wie? Einfach in’n Koffer und zu? Is doch ne Frechheit.«
»Keine Ahnung, was genau das ist«, sagte Becker und nahm einen tiefen Zug. »Im Moment sind es nur Knochen. Zu wem oder zu was die gehören, finden wir hoffentlich bald raus.«
Becker schaute seine Partnerin an. Funke nickte ihm zu. Die beiden dachten dasselbe. Merkwürdige Sache. Wer einen Koffer voller menschlicher Knochen entsorgen wollte, der ging vorsichtiger vor. Das hier wirkte beinahe so, als ob jemand wollte, dass man die Knochen fand.
»Meister? Können wa so langsam abdüsen hier?«
Sein Kollege tippte auf seine Uhr. »Eigentlich haben wir schon seit einer halben Stunde Feierabend.«
»Ich habe keine Fragen mehr.«
Bogatsu nickte. »Wir haben alles. Danke, meine Herren.«
Während sich die drei Männer in ihren Wagen setzten und ihn an der Absperrung vorbei zurück auf die große Hauptstraße lenkten, ging Becker ein paar Schritte vom Fundort weg. Er musste jetzt das große Ganze zusammenfügen. Er setzte sich seine Kopfhörer auf und schaltete seinen kleinen tragbaren Kassettenrekorder an. Klassische Musik. Bach. Sonate Nr. 2. Das brauchte er jetzt. Der Lärm der großen Stadt verschwand hinter den Violinen, und Becker war nun ganz bei sich. Er lief einmal über das abgesperrte Gelände und schaute sich um. Ging ein paar Schritte zurück. Verschaffte sich einen Überblick. Er drehte sich einmal um seine eigene Achse. Dann erkannte er, dass sich die Plattenbauten auf einer Art Insel befanden. Sie standen inmitten einer großen kreisrunden Grünfläche. Kein Park. Mehr eine Hundewiese mit ein paar Bäumen. »Perfekt«, nuschelte Becker vor sich hin.
Bogatsu betrachtete den Privatermittler, wie er weiträumig über das Geländer tänzelte. Sie schaute zu Funke, die nur mit den Schultern zuckte. So war er halt. Becker hatte schon immer seine ganz eigenen Methoden. »Geht es ihm gut?«, fragte Bogatsu.
»Ich denke schon«, antwortete Funke. »Lassen Sie ihn einfach, Kami. Er ist immer dann am besten, wenn er ganz für sich ist.« Die beiden beobachteten Becker, wie er zu der Wiese ging und diese inspizierte. Er ließ sich Zeit. Ging in die Hocke. Fuhr mit seinen Händen durch das noch feuchte Gras. Stand auf. Ging ein paar Meter weiter. Dann wiederholte er das Prozedere. Nach gut zwanzig Minuten kam er zurück zu den anderen.
»Und?«, fragte Funke.
Becker setzte seine Kopfhörer ab und schüttelte den Kopf. »Nichts«, sagte er. »Keine Spuren.«
»Das ist schlecht«, sagte Bogatsu.
»Nicht unbedingt«, erwiderte Becker und ging auf den Koffer zu. Er setzte sich auf den harten Straßenboden und zog ihn zu sich heran.
»Ich brauche einen Schraubschlüssel.«
Funke kniete sich neben ihren Partner, öffnete den Untersuchungskoffer, den er ihr gegeben hatte, und zog einen kleinen Schraubschlüssel heraus.
»Perfekt«, sagte Becker und begann das Kugellager von dem Rollkoffer aufzuschrauben. »Was machen Sie da?«, fragte Bogatsu.
»Spuren sichern. Wenn der Koffer nicht gerollt, sondern getragen wurde, dann haben wir vielleicht ein paar unverfälschte Spuren vom eigentlichen Tatort.«
»Und woher wissen Sie, dass er getragen wurde?«
»Weil er keine Spuren auf der Wiese hinterlassen hat«, sagte Becker.
Funke reichte ihm eine Pinzette, mit der er ein paar Haare und Federn zwischen den Rollen herauszog, um sie anschließend in einen kleinen Druckverschlussbeutel zu stecken. Daraufhin kratzte er noch ein wenig Erde von den kleinen Rädchen und steckte sie mit der Pinzette in ein zweites Beutelchen. Das hatte die Spurensicherung anscheinend übersehen.
»Was genau ist das?«, fragte Bogatsu.
»Ein Anfang«, antwortete Becker.
Es war kalt. Verdammt kalt. Becker betrachtete die grauen Fliesen und richtete seinen Blick dann auf den Obduktionstisch vor ihm. Auf dem glänzenden Edelstahl lagen die Knochen aus dem Koffer so angeordnet, dass man nun klar das Skelett erkennen konnte. Auf der anderen Seite des Tischs stand Katharina Lingen und stellte ihre Ergebnisse vor. Lingen war eine junge, aber umso begabtere Rechtsmedizinerin, Mitte zwanzig, frisch von der Universität, aber schon ziemlich abgebrüht … oder schon immer abgebrüht. Gerade hatte sie im Schnelldurchlauf alle Befunde vorgetragen, nun legte sie das Klemmbrett zur Seite und kam zum entscheidenden Punkt. »… wir können also mit Sicherheit sagen, dass das hier menschliche Knochen sind. Und so, wie es aussieht, gehören sie alle zur selben Person.«
»Wissen wir, ob unser Knochenhaufen ein Mann oder eine Frau ist?«, fragte Bogatsu, die neben Becker und Funke stand und wesentlich ausgeschlafener als die beiden wirkte.
Die Rechtsmedizinerin zeigte auf die Beckenknochen. »Bei dieser schmalen Hüfte können wir mit Sicherheit sagen, dass es sich um einen Mann handelt«, erläuterte sie. »Etwas schwieriger wird es bei der Frage, wie alt unser Freund hier war. Es gibt ein paar Möglichkeiten, das ungefähre Alter zu bestimmen. Gut wären dafür die Zähne.« Lingen machte eine kurze Pause, stemmte beide Fäuste in die Hüften und schaute auf den Obduktionstisch. »Aber leider fehlt unserem Freund hier ja der Schädel.« Sie schaute zu Bogatsu. Die Hauptkommissarin zog eine Augenbraue hoch.
»Es gibt aber auch noch andere Möglichkeiten, das Alter eines Skeletts zu bestimmen«, fuhr Lingen fort. »Schauen Sie, im Inneren der Knochen gibt es einen ganz besonderen Aufbau.« Sie nahm ein Stück von der Wirbelsäule in die Hand. »Ein beinahe schwammartiges Gewebe. Wir nennen das die Bälkchenstruktur. Je älter man wird, desto mehr nimmt die Festigkeit dieser Bälkchen ab. Daraus können wir herleiten, dass unser Kollege hier schon gut fünfzig bis sechzig Jahre alt gewesen sein muss, als er gestorben ist.«
Becker nahm einen Schluck von seinem Kaffee und rieb sich über sein Gesicht.
»Und wann ist er gestorben?«, fragte Bogatsu weiter.
»Das nur anhand der Knochen zu bestimmen ist so gut wie unmöglich …«
»Dann kommen wir doch zur wichtigsten Frage: Liegt hier ein Verbrechen vor oder nicht? Und bitte …«, sagte sie und setzte ein überbetont freundliches Lächeln auf, »… eine kurze Antwort.«
»Ich kann es sehr kurz machen«, sagte Lingen kühl. »Ich weiß es nicht.« Sie steckte die Hände in die Taschen ihres weißen Kittels. »Es spricht nichts dafür. Die Knochen weisen keine Brüche oder Risse auf. Das heißt, es gibt keine Anzeichen für Gewalteinwendung. Auf der anderen Seite …«
»… fehlt uns der Schädel«, ergänzte Bogatsu. »Ich weiß. Wir drehen uns im Kreis.«
»Es gibt aber dennoch etwas, das ungewöhnlich ist«, sagte Lingen, trat einen Schritt auf den Tisch zu und nahm sich einen Beinknochen. »Schauen sie«, sagte die Rechtsmedizinerin und hielt den anderen einen Knochen entgegen. »Das hier, auf der Oberfläche, das sind deutliche Schabspuren. Und die finden wir überall.«
»Schabspuren?«, fragte Bogatsu.
Die junge Rechtsmedizinerin nickte.
»Und das deutet nicht auf ein Verbrechen hin? Wenn Knochen abgeschabt sind?«
»Nein, nicht unbedingt. Die Spuren müssen nachträglich entstanden sein. Der Kollege war bereits tot, als man ihm das Fleisch heruntergeschabt hatte.«
Bogatsu verzog das Gesicht. »Was zur Hölle …?«
»Das ist alles kein Zufall«, sagte Becker, der bislang ungewöhnlich still geblieben war. Er trat einen Schritt nach vorn und stemmte sich mit beiden Händen auf dem Obduktionstisch ab. Sein Blick lag auf den Knochen. Stille im Raum. Man hörte nur das Brummen der Kühleranlagen. Becker fuhr mit seinem Zeigefinger leicht über die Oberfläche der Gebeine. »Warum sollte jemand so gewissenhaft das Fleisch von jedem einzelnen Knochen abkratzen? Wenn es jemandem nur darum gehen würde, Spuren zu verwischen, dann könnte er das wesentlich einfacher haben.« Er ließ eine kurze Pause. »Mit Chemie zum Beispiel«, fuhr er fort. »Es gibt Waschmittel, die er ohne Probleme in einem Supermarkt hätte einkaufen können. Alles in eine Wanne schütten, Leichenteile rein, Fleisch zerfällt. Wäre keine große Sache gewesen. Aber das hier … ich meine, schaut euch doch mal diese kleinteilige Arbeit an.«
Becker nahm einen der Knochen und hielt ihn in das grelle Licht der Obduktionslampe. »Das Fleisch wurde mühselig abgeschabt. Das macht man nicht so nebenbei. Das ist wirkliche Handarbeit.«
»Und was schließen Sie nun daraus?«, fragte Bogatsu, die langsam ungeduldig wurde.
»Ich glaube, dass es dem Kerl in erster Linie nicht darum ging, die Spuren zu verwischen. Ich glaube, dass es ihm um das Fleisch ging.«
»Kommen Sie schon, Becker«, entfuhr es Bogatsu, die langsam die Geduld verlor. »Sagen Sie schon, was Sie uns sagen wollen! Warum soll es ihm um das Fleisch gegangen sein?«
Becker schaute die Hauptkommissarin direkt an. »Ich glaube, dass der Typ, der das gemacht hat, ein Kannibale ist.«
Bogatsu zuckte für den Bruchteil einer Sekunde zusammen, versuchte sich aber nichts anmerken zu lassen und ungerührt zu bleiben. »Kommen Sie schon, Becker«, sagte sie. »Das ist doch wirklich nicht ihr Ernst. Ich habe sie zu dem Fall hinzugezogen, damit Sie uns bei den Spuren helfen. Nicht, damit sie uns irgendwelche Horrorgeschichten auftischen.«
»Das ist keine Horrorgeschichte«, sagte Becker. Er war ganz ruhig. »Es passt alles zusammen. Und ich würde noch einen Schritt weiter gehen«, sagte er. »Ich glaube, dass unser Täter uns eine Botschaft hinterlassen hat.«
»Ich sehe die Botschaft nicht«, sagte Bogatsu.
Er wollte, dass wir das alles finden. Die Jungs von der Müllabfuhr meinten, dass der Koffer offen gewesen wäre. Da ist jemand, der seine Verbrechen nicht verstecken will.«
Bogatsu massierte sich die Schläfen. Die Wendung, die dieser Fall plötzlich nahm, hatte sie so nicht erwartet. Insgeheim wäre es ihr doch am liebsten gewesen, wenn sich alles schnell aufgeklärt hätte. Alte Knochen. Mindestens hundert Jahre alt, Herkunft nicht mehr zu ermitteln, Fall abgeschlossen und danke schön, gern geschehen. Aber jetzt das. Ein Kannibale. Mitten in Berlin. Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Als hätte sie nicht schon genug Mist auf ihrem Schreibtisch liegen.
»Also gut, Becker. Klären Sie uns auf. Was hat es mit dem Koffer auf sich?«
»Sagt Ihnen der Name Issei Sagawa noch etwas?«
»Nein, sollte er?«
»Sagawa ist einer der bekanntesten Kannibalen-Mörder der Geschichte. Ein Japaner. Er tötete und verspeiste eine junge Frau. Mit einer beinahe liebevollen Sorgfalt hatte er ihr vorher sorgfältig das Gewebe von den Knochen geschabt.«
»Das ist ja schön für diesen Samwa…«
»Sagawa.«
»Sagawa, meinetwegen, aber was hat das mit unserem Fall zu tun?«
»Sagawa wurde damals erwischt, als er die Leichenteile in einem Koffer durch Paris zog.« »Koffer, abgeschabte Knochen. Haben wir sonst noch etwas?«
»Das Märchenbuch«, sagte Funke. »In dem Koffer war ein Märchenbuch. Wenn ich mich richtig erinnere, hatte Sagawa damals in einem Verhör angegeben, dass er sich schon sehr früh von einem bestimmten Märchen angezogen fühlte. Von Hänsel und Gretel.« Sie schaute zu Becker rüber. Der nickte.
»Natürlich«, sagte Bogatsu. »Was auch sonst.«
»Ich habe mir das Buch gestern Abend noch einmal mit den Jungs von der Spurensicherung genauer angesehen. Es ist eine sehr alte Ausgabe von einer berühmten deutschen Märchensammlung. Ungewöhnlich gut erhalten. Dürfte einigermaßen wertvoll sein«, sagte Funke. »Allerdings fehlen ein paar Seiten. Sie wurden fein säuberlich entfernt. Und so wie ich es nachvollziehen konnte, stand auf den fehlenden Seiten eine ganz bestimmte Geschichte.«
»Lassen Sie mich raten, es war Hänsel und Gretel.«
Funke nickte. »Das würde zu Bastians Vermutung passen …« Bogatsus Gesichtsausdruck verfinsterte sich. »Haben Sie noch irgendeine andere Erklärung für die Schabspuren an den Knochen?«, fragte sie die Rechtsmedizinerin.
Katharina Lingen schüttelte den Kopf. »Ich sehe da nur zwei Möglichkeiten«, sagte sie. »Entweder wollte jemand vermeiden, dass man herausfinden kann, wem diese Knochen gehören.«
»Oder?«
Lingen schaute einmal in den Raum. »Oder jemand wollte an das Fleisch von den Knochen kommen. Aus welchem Grund auch immer. Das kann ich nicht beurteilen.«
»Scheiße.« Bogatsu fasste sich mit beiden Händen an den Kopf. »Scheiße! Wirklich. Das ist einfach eine riesengroße Scheiße!«
Das musste jetzt einfach mal raus.
Sie atmete zweimal tief durch, um sich ein wenig zu beruhigen. »Was ist mit den restlichen Spuren, die Sie am Koffer gefunden haben, Becker? Haben wir da schon was?«
»Wenig aussagekräftig«, sagte er. »Ich habe heute Morgen die Ergebnisse aus dem Labor bekommen. Staub, Erde, ein paar Haare und ein, zwei Federn. Die Haare haben laut Spurensicherung keine Treffer in den polizeilichen Datenbanken ergeben. Sie könnten vom Täter sein, aber genauso gut vom Opfer. Oder von der Straße, über die der Koffer irgendwann einmal gerollt wurde.«
»Becker, Sie sprechen hier schon von einem Täter. Wenn ich das richtig sehe, dann haben wir noch überhaupt keinen Beweis vorliegen, dass es irgendeine Tat gegeben hat.«
»Na ja«, sagte Becker und legte seinen Kopf schräg. »Jemand hat das Fleisch von Menschenknochen heruntergeschabt.«
»Die Knochen könnten uralt sein. Vielleicht hat jemand sie irgendwo ausgegraben und einfach so an ihnen, nun …«
»… herumgespielt?«
»… herumgespielt. Meinetwegen. Ist das möglich?«
»Möglich wäre es. Wahrscheinlich ist es eher nicht.«
»Was ist mit den Federn?«
»Hühnerfedern. Auch das bringt uns nicht weiter. Es gibt viele Hühner in diesem Land.«
»Okay, gehen wir ganz abgeklärt an die Sache heran«, sagte Bogatsu und stemmte ihre beiden Fäuste auf den Obduktionstisch. »Wir haben keine eindeutigen Anzeichen für ein Verbrechen vorliegen, richtig?«
»Wir haben sehr deutliche Hinweise auf ein Verbrechen.«
»Wir haben auch überhaupt keinen Beweis, dass es sich hier um einen Fall von Kannibalismus handelt. Das sind alles nur Vermutungen.«
Die anderen schwiegen. Das Summen der Kühlbehälter war deutlich zu vernehmen.
»Sie haben drei Wochen, Becker. Drei Wochen. Und ich brauche Beweise. Richtige Beweise. Nicht nur irgendwelche Vermutungen und alte Fälle aus Japan.«
»Geht klar.«
»Gut«, sagte Bogatsu und klopfte mit ihrem goldenen Ring einmal auf den Obduktionstisch. »Drei Wochen. Danach landet der Fall in der Schublade. Mehr kann ich Ihnen für einen Knochenfund und klare Beweise für ein Verbrechen nicht geben.«
Frische Luft. Endlich. Das half jetzt. Besser noch als die viel zu dünne Plörre, die sie einem hier als Kaffee einschenken wollten. Becker zog seine Zigarettenpackung aus der Tasche und blickte in den Himmel. Es waren graue Wolken aufgezogen. »Ich verstehe das nicht«, sagte er und klopfte seine Jacken- und Hosentaschen ab. Wo war doch gleich …?
»Was verstehst du nicht?«, fragte Funke und hielt ihm mit ausgestreckter Hand ein Feuerzeug entgegen. »Dass man dir nicht gleich um den Hals fällt, wenn du eine deiner wilden Vermutungen auf den Tisch packst?« Becker steckte sich seine Zigarette in den Mund, beugte sich nach vorn und bildete mit seinen Händen einen kleinen Windschutz. Er sog, bis die Zigarette sich entzündet hatte. Dann blies er den Rauch aus und legte dabei den Kopf in den Nacken. »Vermutungen«, sagte Funke, »die du im Übrigen nicht einmal im Ansatz belegen kannst. Auch wenn die Ähnlichkeiten zum Sagawa-Fall … nun … auffällig sind.«
»Nein«, antwortete Becker. »Das meine ich nicht.« Er gab seiner Partnerin ein Zeichen, dass er gern eine kleine Runde gehen wollte. Becker schaute sich um. Eine gut gepflegte Gartenanlage. Drinnen verwesen die Leichen, und draußen blühten Rosen und Nelken. Er spazierte mit Funke ein paar Schritte über das weitläufige Gelände der Rechtsmedizin.
»Ich meine«, setzte er schließlich wieder an und führte seine Gedanken aus. »Ich meine, dass es jedes Mal so ein unglaublicher Kampf ist, wenn man einer ungewöhnlichen Spur nachgehen will. Und es wird immer schlimmer. Man erwartet mehr und mehr. Und ist gleichzeitig immer weniger bereit, Dienstzeit in so einen Fall reinzustecken.«
Becker blies den Rauch aus und lenkte Funke in Richtung Parkplatz.
»Kein Geld. Keine Arbeitskraft. Man geht nur den konkreten Spuren nach. Man denkt nicht mehr weiter. Dabei ist das doch der beste Weg, um in alle Richtungen zu ermitteln und einen Fall schließlich zu lösen.«
Becker blieb kurz stehen. Schloss die Augen. »Erst wenn man das Unmögliche ausgeschlossen hat, muss das, was übrig bleibt, die Wahrheit sein. So unwahrscheinlich sie auch klingen mag.«
»Schönes Zitat«, lächelte Funke. Sie kannte es bereits. Arthur Conan Doyle. Beckers Lieblingsschriftsteller. Es gab viele Gelegenheiten, bei denen er den Sherlock-Holmes-Erfinder zitierte.
»Aber du weißt, dass es aus einer Zeit stammt, in der die Dinge noch ein wenig anders liefen, ja?«
»Polizeiarbeit ist Polizeiarbeit. Die Methoden ändern sich vielleicht, aber im Kern geht es doch immer um dasselbe. Spuren finden. Den Spuren nachgehen. Und wenn man sich verrannt hat, dann geht man ein paar Schritte zurück und wagt einen neuen Anlauf.«
»Bastian«, sagte Funke beinahe nachsichtig und legte ihre Hand auf seine Schulter. »Du weißt doch besser als jeder andere, wie die Lage ist. Du weißt doch, dass die meisten Behörden völlig überlastet sind und mit den Ermittlungen kaum noch nachkommen. Ich kann mir vorstellen, wie Kamis Schreibtisch aussieht.«