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Kara ben Nemsi und Hadschi Halef Omar geraten bei ihrer Reise durch die Wüste in einen Sandsturm. In einer nahe gelegenen Oase finden sie Hinweise auf die Entführung eines Mannes. Die Gefährten folgen den Spuren zu einem Dorf, in dem gerade Mädchenhändler auf der Suche nach Opfern sind.
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Seitenzahl: 216
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Kara Ben NemsiDIE EL-WAHABIYA-BANDE
In dieser Reihe bisher erschienen
1801 Die Rückkehr des Schut
1802 Die Rache des Schut
1803 Der Fluch des Schut
1804 In der Gewalt des Schut
1805 Das Geheimnis des Schut
1806 Der Krieg des Schut
1807 Die Schatzräuber und die Felsenstadt
1808 Das Königsgrab in der Felsenstadt
1809 Das Vermächtnis aus der Felsenstadt
1810 Die Shejitana
1811 Im Reich der Shejitana
1812 Königin Shejitana
1813 Die Reise zum Toten Meer
1814 Die Stadt am Toten Meer
1815 In der roten Wüste
1816 Die El-Wahabiya-Bande
1817 Karawanentod
Kara Ben Nemsi
Die El-Wahabiya-Bande
Eine Reiseerzählung nach den Charakterenvon Karl May
Aufgeschrieben von Axel J. Halbach
Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2020 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Ralph KretschmannUmschlaggestaltung: Mario HeyerLogo: Mark FreierInnenillustration: Ralph KretschmannSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-126-7Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!
Wie schrieb ich doch nach meiner letzten großen Reise, die mich und meine Freunde nach Ägypten, in das Tal der Könige, geführt und die für alle meine Gefährten ein so trauriges Ende gefunden hatte? Richtig – mein Blick war auf die vielen kleinen grünen Bände aus meiner Feder gefallen und damals hatte ich ja beschlossen, sie alle noch einmal zu lesen, um so mein wahrlich abenteuerliches Leben noch einmal Revue passieren lassen zu können. Je weiter ich so in den vergangenen Monaten in meine Vergangenheit vorgedrungen war, umso mehr ‒ das muss ich ehrlich zugeben ‒ gewann ich wirklich Hochachtung vor mir selbst! Was war ich doch für ein unüberwindlicher Bursche gewesen ‒ allerdings hatten dabei auch meine vielen guten Freunde und eine gehörige Portion Glück eine nicht zu unterschätzende Rolle gespielt. Als kleiner Bahnvermessungsingenieur war ich in jungen Jahren in die Neue Welt gekommen ‒ und welche so vollkommen unglaubliche Wende hatte mein Leben von da an genommen!
Winnetou steht nicht nur für meine Erlebnisse im Wilden Westen, sondern er war vor allem auch mein unübertroffener Lehrmeister, der mich erst zu dem gemacht, zu dem ich dann geworden bin – dies allerdings auf der Grundlage offenbar sehr guter vorhandener Anlagen und Fähigkeiten. Leider war die Zeit mit ihm viel zu kurz, wie ich überhaupt zugeben muss, dass mich nach meinen ersten Reisen in den Orient die dortigen Landschaften, Menschen und Kulturen viel stärker in den Bann gezogen haben, als es bei den Tipis der Apachen, Schoschonen oder Komantschen der Fall gewesen war. Im Erfindungsreichtum des Verbrechens standen sich diese beiden Weltregionen zwar in Nichts nach ‒ und doch erscheint mir heute, nachträglich betrachtet, die teils so traditionell überaus gastfreundliche, teils aber auch so abgrundtief verdorbene und verlogene, nichtsdestoweniger aber vielleicht gerade deshalb so besonders anziehende und bunte Welt des Orients, des Islam, des Mohammedaners viel interessanter und eindrucksvoller, als der von Stammesfehden, weißen Trappern und Verbrechern sowie einer sich immer weiter ausbreitenden europäischen Zivilisation gekennzeichnete ehemalige Wilde Westen. Hieran muss es gelegen haben, dass ich den nordamerikanischen Kontinent nach dem Tod von Winnetou nur noch selten und für kurze Zeit aufsuchte, während es mich immer wieder in das Morgenland zog.
Als ich mir hierüber so meine Gedanken machte, musste ich immer wieder an meinen liebsten Freund und Begleiter bei meinen Reisen durch die nordafrikanischen Sand- und Steinwüsten, durch die unendlichen Einöden Arabiens oder die Schluchten des Balkans denken: an den kleinen Hadschi mit seinen zwölf Schnurrbarthaaren, seinem riesengroßen Turban, an seine so überaus orientalisch-blumige Redeweise ‒ vor allem aber auch an seine absolute Ergebenheit mir gegenüber, seinen unerschütterlichen Mut, der in keinem Verhältnis zu seiner Körpergröße stand, ganz zu schweigen von den vielen lustigen und listigen Einfällen, die meinen kleinen Hadschi wahrlich zu einem ganz besonderen Menschen unter den vielen gemacht hatten, mit denen ich auf unseren ausgedehnten Reisen in Berührung kam.
Wie ich so die Vergangenheit wieder an mir vorbeiziehen ließ, war natürlich die Erinnerung an unser letztes gemeinsames Abenteuer im Tal der Könige, bei dem er auf so tragische Weise für uns alle sein Leben ließ, noch besonders frisch und lebendig. Je länger ich aber meine Gedanken schweifen ließ, umso deutlicher standen mir auch wieder die vielen kleinen ergötzlichen Auseinandersetzungen vor Augen, die wir am Anfang ‒ und nicht nur damals ‒ unserer vieljährigen Freundschaft hatten. Wenn ich nur daran denke, wie der unverbesserliche Hadschi Halef Omar mit seinem langen Namen immer wieder versuchte, mich ein für alle Mal zu seinem Islam zu bekehren.
„Sihdi ‒ ist es denn wirklich wahr, dass du von dem einzigen wahren Glauben immer noch nichts wissen willst? Wie lange willst du dich noch der Erkenntnis widersetzen, dass es kein leuchtenderes Beispiel der Überlegenheit des Islam gibt als mich selbst? Warum wehrst du dich immer noch gegen die Glückseligkeit, die Mohammed allen Gläubigen versprochen hat?“
„Lieber Halef ‒ warum soll nur der Islam zur Glückseligkeit führen? Warum soll es nur einen wahren Glauben geben? Warum kann nicht jeder auf seine Art selig werden? Werde du mit Allah und Mohammed glücklich und lass mir meinen Isa ben Maryam!“
„Aber das ist ja gerade dein großer Irrtum, Sihdi ‒ ich möchte wirklich, dass auch du die Freuden des Paradieses kennenlernst! Mit Mohammed kommst du in den siebten Himmel ‒ aber bei deinem Isa ben Maryam weiß keiner, ob du nicht am Ende doch im Fegefeuer landest!“
„Ich bin der Überzeugung, Halef, dass es hier weniger auf den jeweiligen Glauben als auf das Leben ankommt, das man hier auf Erden geführt hat ‒ ob man dort zu den guten oder zu den bösen Menschen gehört hat, und du kannst nicht bestreiten, dass es gerade auch unter den Anhängern Mohammeds recht üble Burschen gibt!“
„Sihdi ‒ da hast du recht! Aber wir haben die Möglichkeit, Allah milde zu stimmen! Wenn ich sechsmal am Tag meine Gebete gen Mekka richte, kein Schweinefleisch esse und alles meide, was trunken macht ...“
„Oh Halef ‒ wenn dem wirklich so sein sollte, dann sehe ich schwarz für dich! Hast du nicht erst kürzlich von dem köstlichen Palmwein getrunken, den uns die Beni Suef angeboten hatten?“
„Ich ... ich ... du weißt doch ... das ... das war eine Ausnahme, die zählt nicht! Und außerdem ‒ es war auch nur ganz wenig und meine Trunkenheit war so verborgen wie die dunklen Schatten der Nacht, die das Leben unsichtbar machen!“
„Und du glaubst nicht, dass zumindest Allah auch hinter diese dunklen Schatten der Nacht blicken kann?“
„Aber Sihdi, wo denkst du hin ‒ er kann sich doch nicht um jede Kleinigkeit kümmern!“
„Da können wir nur hoffen, dass du dich nicht irrst! Und wie beurteilst du das so überaus schmackhafte Mahl, zu dem wir vor Kurzem unweit von Kerbela eingeladen waren? “
„Wahrlich, Sihdi ‒ wenn ich nur daran denke, laufen mir wieder sämtliche Wasser im Mund zusammen! Es war wirklich der köstlichste Hammelbraten, den ich je verspeist habe!“
„Es war aber kein Hammelbraten, Halef!“
„Nicht? Dann muss es das zarteste junge Kamel gewesen sein, das je meinen Gaumen in höchste Verzückung versetzt hat! Hast du schon einmal ein altes Kamel gegessen? Es schmeckt so grauslich und zieht sich wie ein Lederriemen in die Länge, dass ich eine gebratene Kröte vorziehen würde!“
„Es war aber auch kein Kamel, weder ein altes noch ein junges.“
„Auch kein Kamel? Was kann es dann gewesen sein? Ich habe mich schon den Speisekammern des Paradieses nahe gefühlt! Vielleicht ein zartes Perlhuhn? Oder das Kitz einer feingliedrigen Antilope?“
„Es war auch kein Perlhuhn oder eine Antilope ‒ es war die hervorragend zubereitete, saftige Lende eines sehr nahrhaften Tiers, das ihr zu Unrecht mit so großer Verachtung bestraft: Es war ein wirklich köstlicher Schweinebraten!“
„Allahu akbar! Wirklich ein Schwein? Wie kann ein Schwein so wunderbar schmecken? Vielleicht hat sich Allah geirrt und uns in Wirklichkeit das Kamel verboten? Aber wenn ... aber wenn ... Sihdi, wie entsetzlich ... wenn er nun doch das Schwein gemeint hat ... und es war ja auch helllichter Tag, keine Schatten der Nacht konnten das Schwein vor seinen Augen verbergen!“
„Lieber Halef ‒ ich kann dich beruhigen! Tatsächlich hat Mohammed gar nicht den Genuss von Schweinefleisch insgesamt verboten.“
„Wirklich nicht, Sihdi? Du erleichterst meine im tiefsten Trübsinn versunkene Seele! Aber wieso nicht? Im Koran steht ...“
„Auch der Koran kann sich irren, denn die in ihm zusammengetragenen Reden von Mohammed sind erst viele Jahre nach seinem Tod von anderen aus der Erinnerung niedergeschrieben worden.“
„Und dann hat man sich falsch erinnert und das Kamel für ein Schwein gehalten?“
„Nein ‒ das nun auch wieder nicht! Mohammed hat jedoch nicht grundsätzlich den Verzehr von Schweinefleisch verboten, sondern nur den Genuss eines bestimmten Teils vom Schwein.“
„Aha! Und warum sagt uns der Koran dann nicht, um welches Teil es sich handelt?“
„Eben daran haben sich diejenigen, die später den Koran niedergeschrieben haben, nicht mehr genau erinnert! Sie wussten nur noch, dass es sich um einen Teil dieses Tieres gehandelt hat ‒ und um nichts falsch zu machen, haben sie eben das ganze Schwein verboten!“
„So eine Dummheit! Aber wenn dieses Teil nun gerade die saftige Lende gewesen sein sollte ...?“
„Das halte ich für sehr unwahrscheinlich ‒ wie du vielleicht weißt, war auch Mohammed selbst alles andere als ein Kostverächter ‒ warum sollte er dann gerade das beste Stück dieses Tiers verboten haben?“
„Sihdi ‒ meine Seele beginnt wieder, sich aus den Verkrampfungen tiefster Verzweiflung zu befreien! Natürlich ‒ Mohammed hat sicher nur die Ohren und den Schwanz gemeint, an denen ist sowieso nichts dran! Wenn doch jeder den Koran so gut kennen würde wie du! Gerade deshalb aber verstehe ich nicht, warum du so hartnäckig an deinem Isa ben Maryam festhältst! Hast du je darüber nachgedacht, was dir der Islam sonst noch alles bieten kann?“
„Du wirst es mir sagen, lieber Halef.“
„Und ob ich es dir sagen werde ‒ obwohl es wahrlich nicht das erste Mal ist! Ich kann es immer noch nicht begreifen, dass du bei dir zu Hause im fernen Germanistan niemanden hast, der dich in deinem Zelt verwöhnen, dir deine Pantoffeln bringen, die Wasserpfeife richten, Wohlgerüche verbreiten, schmackhafte Speisen zubereiten und deine Nächte zu einem süßen Traum machen kann! Wenn du aber einmal eine gefunden hast, die dich mit ihren rehbraunen Augen, hennahgefärbten Lippen und langen, zu Zöpfen geflochtenen Haaren in tiefste Verwirrung stürzt, dann muss es bei euch immer bei dieser einen bleiben! Hast du nie darüber nachgedacht, wie es später sein wird, wenn die Jahre tiefe Furchen über ihr Gesicht gezogen haben, die schwarzen Haare grau geworden sind oder gar auszufallen beginnen, wenn die Anmut der Jugend dem krummen Rücken des Alters gewichen ist ‒ auch dann hast du keine andere Wahl! Wir Mohammedaner aber, wir können drei, vier oder noch mehr Frauen haben ‒ so viele eben, wie wir uns leisten können, und das nicht erst, wenn eine von ihnen alt und grau geworden ist! Könnte nicht wenigstens das ein Grund für dich sein, vielleicht doch ...“
„Halef, bevor du weiterredest: Was würde denn wohl deine Hanneh sagen, wenn du jetzt schon ... oder eben erst später, wenn sie alt und grau geworden ist ‒ dir zwei ... oder drei ... junge Gazellen mit rehbraunen Augen in dein Zelt holst?“
„Oh Sihdi, das ist etwas anderes, daran darf ich gar nicht denken! Sie würde mir erst die Augen auskratzen, dann meine Ohren so lang ziehen, dass ich sie hinter dem Kopf zusammenknoten kann, dann würde sie mir die unflätigsten Ausdrücke entgegenschleudern, die je eines Weibes Mund verlassen haben, alle Töpfe und Pfannen in der Küche würden mir um die Ohren fliegen ‒ und dann würde sie für immer verschwinden!“
„Aber das macht doch nichts ‒ du hast dann ja noch die anderen zwei, drei oder vier ...“
„In schā‘ Allāh, verstehst du denn nicht? Die würden sich erst gegenseitig die Augen auskratzen und dann allesamt auf mich losgehen! Wie soll ich das überleben? Mit Hanneh allein ist es manchmal schon schwierig genug!“
„In der Tat, Halef, ich glaube, dass du in diesem Fall die zu erwartenden Folgen sehr wirklichkeitsnah geschildert hast! Und doch rätst du mir, mich wegen dieser angeblichen Vorteile dem Islam zuzuwenden?“
„Ich ... ich meine ... ich habe ... nein, Sihdi, es ist ja nur ... ich möchte doch nur ... weil es eben für dich der einzige Weg in den siebten Himmel wäre!“
„Eben das bestreite ich, mein lieber Halef ‒ es gibt mit Sicherheit verschiedene Wege in den Himmel und mir würde schon einer genügen!“
Ja ‒ solche Gespräche hatten Halef und ich wieder und wieder geführt, wobei der kleine Kerl, je öfter und länger er mich auf meinen Reisen begleitete, in Wahrheit längst dem fatalistischen Glauben des Islam entsagt hatte ‒ nur ihm selber war dies noch nicht bewusst geworden. Auch andere Erlebnisse mit ihm standen mir jetzt plötzlich wieder ganz lebensnah vor Augen. So hatte er einmal erst vor wenigen Wochen zum ersten Mal mit mir die Zelte der Haddedihn verlassen, um mich zu begleiten ‒ wobei er sich aber durchaus nicht als mir in irgendeiner Weise nachgeordnet oder gar untergeben ansah. Im Gegenteil ‒ wie er bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit mit einem Schwall von Worten bekräftigte, sah er sich als meinen Beschützer an, ohne den ich diese feindselige, gefährliche, von durchtriebenen Schurken, hinterhältigen Ganoven und skrupellosen Verbrechern geradezu wimmelnde Weltgegend kaum wieder lebend verlassen würde. Als er in diesem Zusammenhang wieder einmal seine Beschützerrolle in den Vordergrund stellte und ich mir schon verschiedentlich Gedanken über seine doch ziemlich vorsintflutliche Bewaffnung gemacht hatte ‒ denn friedlich waren die Gegenden, durch die wir ritten, wahrlich nicht ‒ ergab sich einmal folgender Wortwechsel.
„Deine gute Absicht in allen Ehren, lieber Halef ‒ aber nun sage mir doch einmal, womit du mich eigentlich beschützen willst, wenn sich uns einer oder gar mehrere dieser durchtriebenen Halunken nähern sollten?“
„Aber Sihdi, wo hast du deine Augen und Ohren? Als Erstes werde ich den räudigen Schakalen, die sich uns in den friedlichen Weg stellen, einen Schwall so grauslicher und ehrenrühriger Worte entgegenschleudern, dass sie an allen Gliedern zu zittern beginnen und unverzüglich die rettende Flucht ergreifen, um meiner mächtigen Stimme zu entkommen!“
„Hm ‒ nehmen wir aber einmal an, diese hinterhältigen Schurken lassen sich nicht davon beeindrucken? Vielleicht sind sie auch schwerhörig?“
„In diesem höchst unwahrscheinlichen Fall werde ich den Burschen mit der Kurbadsch, meiner Nilpferdpeitsche, die Bastonade androhen, falls sie nicht sofort mit der Eile des Springhasen die letzte Chance ergreifen, ihr Leben zu retten! Ich werde ihnen mit furchterregenden Worten deutlich machen, wie sie anderenfalls mit ihren zerplatzten Fußsohlen mühselig auf allen vieren durch den stinkenden Staub kriechen müssen!“
„Das ist wirklich eine entsetzliche Vorstellung ‒ mir läuft schon selber ein Schauder über den Rücken! Aber wenn auch dies nichts hilft, wenn die üblen, durchtriebenen Wegelagerer ihre Messer zücken oder gar ihre Flinten auf uns richten?“
„Oh ‒ wenn diese ahnungslosen Schlitzohren es zum Äußersten kommen lassen wollen, dann werde ich ihnen meine kampferprobte Langrohr-Donnerbüchse entgegenhalten, die im Umkreis von hundert Metern Tod und Verderben streut!“
„Deine Donnerbüchse? Lass einmal sehen ‒ sie scheint mir nicht gerade das neueste Fabrikat zu sein.“
Halef reichte mir seinen Schießprügel ‒ und diese Bezeichnung war noch mehr als schmeichelhaft! Da trug er doch tatsächlich noch einen vorsintflutlichen Vorderlader mit sich herum, der vielleicht bei Stammesfehden vor hundert Jahren eine Rolle gespielt haben mochte, der aber heute längst in ein Museum für Vorgeschichte gehörte! Ungläubig reichte ich ihm das altertümliche Schießgerät zurück.
„Aber Halef, das ist nun wirklich kaum zu glauben! Mit diesem verbeulten Eisenrohr willst du noch jemanden in die Flucht schlagen? Wo hast du dieses Ding überhaupt her?“
„Beleidige die Zierde meiner Verteidigungsbereitschaft nicht! Mit diesem ehrwürdigen Gerät der Selbstverteidigung hat schon mein Großvater Dawuhd al Gossarah viele siegreiche Schlachten geschlagen, bei meinem Vater Abul Abbas hatte dieses unvergleichliche Donnerrohr stets einen Ehrenplatz in seinem Lieblingszelt und nun werde ich es erneut zu Ruhm und Glanz führen!“
„Ich muss zugeben, jetzt bin ich sprachlos! Diese Donnerrohrflintenbüchse ist ja, wie ich sehe, nicht einmal geladen!“
„Natürlich nicht ‒ für wie dumm hältst du mich eigentlich? Siehst du denn nicht, dass ich sie mit dem Lauf nach unten trage, weil sich sonst dieses lange Rohr immer wieder mit meinem Turban verheddert? Und mit dem Lauf nach unten fallen Pulver und Kugel wieder heraus! Also lade ich sie erst, wenn Gefahr im Verzuge ist ‒ und mit der Schnelligkeit eines Blitzes ist diese todbringende Langrohr-Donnerbüchse einsatzbereit!“
„Das findet meine höchste Aufmerksamkeit! Lade sie doch bitte und zeige mir, wie zielsicher du bist!“
„Sofort, Sihdi, sofort ‒ richte deine Augen auf ein Beispiel unvergleichlicher Geschicklichkeit!“
Halef stellte seinen Schießprügel mit dem Lauf nach oben auf den Boden, holte aus einem Beutel eine Kugel und stopfte diese in den Lauf hinein. Dann legte er seine todbringende Waffe quer über die Knie, zog einen weiteren Beutel mit Pulver hervor, das er in reichlicher Menge auf die Pfanne schüttete, spannte den Zündbolzen, hielt seinen Vorderlader dabei aber etwas schräg, sodass die Kugel wieder aus dem Lauf heraus rollte, stopfte diese dann erneut, ohne eine Miene zu verziehen, in das Eisenrohr hinein und wandte sich schließlich wieder erwartungsvoll meiner Person zu. Die ganze Prozedur hatte etwa zwanzig Minuten gedauert.
„Nun, Sihdi, was sagst du jetzt? Ich bin zum Kampf bereit!“
„Halef, mir ... mir fehlen die Worte!“
„Ich wusste es, Sihdi ‒ die unvergleichliche Schnelligkeit, mit der ich dieses ehrwürdige Andenken an meinen Großvater in den Zustand höchster todbringender Vernichtung versetzt habe, muss bei dir sprachloses Erstaunen hervorrufen! Teile mir dein Entzücken mit, sobald du deine verloren gegangenen Worte wiedergefunden hast!“
„So ist es, Halef, ich bin wirklich ... einfach ... ohne ... ohne Worte! Und nun willst du mit dieser furchterregenden Waffe auch tatsächlich schießen?“
„Aber natürlich, Sihdi ‒ warum hätte ich mir sonst diese ganze Mühe gemacht? Sage mir nur, was ich treffen soll, und ich werde es in tausend Stücke zerfetzen!“
„Nun gut ‒ auf deine Verantwortung, Halef! Siehst du da drüben, etwa fünfzig Meter entfernt, den alten Holzkübel, der offenbar früher einmal zum Wasserschöpfen aus dem nahe liegenden Brunnen genutzt wurde? Versuche einmal, diesen Kübel zu treffen!“
„Versuchen? Was heißt hier versuchen? Ich werde ihn in tausend Stücke zerschmettern!“
Halef legte an, wobei es ihm aber schwerfiel, das lange Schießgerät einigermaßen ruhig zu halten. Der Lauf schwankte immer noch ein wenig hin und her, als er schließlich den Abzug betätigte und den Hammer auf die Pulverpfanne herunterkrachen ließ. Dieses Geräusch wurde aber sofort von einer regelrechten donnerartigen Explosion übertönt, die todbringende Waffe des Dawuhd al Gossarah flog Halef aus der Hand und zerbrach in mehrere Teile, die Kugel, die offenbar noch vor dieser Zerteilung das Rohr verlassen hatte, ließ etwa zehn Meter entfernt den Sand aufspritzen und Halef selbst war für kurze Zeit in eine regelrechte Wolke aus Pulverdampf gehüllt. Erst als sich dieser wieder verzogen hatte, war das ganze Bild des Jammers richtig zu übersehen: Halef, der glücklicherweise unverletzt geblieben war, rieb sich Arm und Schulter, rückte mit einiger Mühe seinen verrutschten Turban zurecht, sah ungläubig die Reste seiner großväterlichen Erbschaft an und wandte sich dann schließlich wieder mir zu.
„Sihdi ... es ... ich ... ich habe ... hast du ... hast du jemals schon so einen eindrucksvollen Donner gehört?“
„Halef ... ist dir klar, dass dieser Donner dich ganz erheblich hätte verletzen können?“ Ich machte mir große Vorwürfe, ihn zu diesem Experiment angestiftet zu haben, wenngleich ich mit einem solchen Ausgang auch nicht gerechnet hatte. „Wie oft hast du schon mit diesem Tod und Verderben bringenden Rohr geschossen?“
„Ich ... ich ... es war das erste Mal, Sihdi ... es sollte doch ... es sollte doch eigentlich nur abschrecken ... und jetzt ...“
„In einem hast du recht ‒ der ohrenbetäubende Lärm hätte sicher eine ganze Kompanie von Feinden in die Flucht geschlagen ‒ dies aber nur, wenn sie dir die Zeit gelassen hätten, dieses Museumsstück mit Kugel und Pulver zu versehen! Allah sei Dank ‒ um mit dir zu sprechen ‒, dass dieses todbringende Instrument jetzt aufgehört hat zu existieren, das nur für dich, aber für niemanden sonst eine Gefahr dargestellt hat! Du brauchst ein vernünftiges, modernes Gewehr ‒ hast du überhaupt jemals schon ein solches in den Händen gehabt?“
„Oh ja, Sihdi ... wirklich ... bei uns, bei den Haddedihn ... aber ich ... es gehörte einem anderen ... ich ... ich konnte mir so ein schönes, modernes ... ich kann es mir nicht leisten und habe ... habe deshalb die alte Waffe von meinem ... von Dawuhd ...“
„... al Gossarah vom Haken genommen, die sicherlich hundert Jahre alt war! Was für ein sträflicher Leichtsinn! Und damit wolltest du den zahllosen Räuberbanden, von denen du immer sprichst und die es schließlich auch tatsächlich gibt, Respekt einjagen? Ich will dir zeigen, wie man diesen Burschen das Fürchten beibringt!“
Mit diesen Worten ergriff ich meinen Henrystutzen, legte auf den Wasserkübel an und gab in schneller Folge zehn Schüsse ab, die auf dem Kübel einen genauen, in sich geschlossenen Kreis ergaben. Halef sperrte seinen Mund auf, brachte aber keinen Ton hervor.
„Nun ‒ was sagst du jetzt?“
„Al... Allah, ... ein ... ein Zauber... Zaubergewehr ... das ohne Unterlass ... ohne zu laden ... immerfort schießen kann ... und es trifft ... es trifft immer genau ... genau ... das ist ... das ist unmöglich!“
„Keineswegs, lieber Halef ‒ um so schnell schießen und so genau treffen zu können, habe ich viel üben müssen!“
„Aber ... aber ... du hast gar nicht geladen ... du hast immer nur geschossen ... wie ist ... wie ist das möglich?“
„Nun ‒ wie du schon sagst: Ein Zaubergewehr kann in diesen Gegenden sehr nützlich sein!“ Ich nahm den Stutzen erneut in die Hand und gab weitere zehn Schüsse ab, die auf dem Kübel zwei sich kreuzende Linien innerhalb des zuvor geschossenen Kreises entstehen ließen.
„Allah ... Sihdi ... das gibt es nicht! Das ist Zauberei ... Allah bewahre mich ... welcher Dschinn ist in dein Gewehr gekrochen, damit es ununterbrochen schießen kann?“
„Das tut jetzt nichts zur Sache, Halef ‒ wichtig ist nur, dass du nun mein Zaubergewehr kennst, das uns sicher noch viele gute Dienste erweisen wird. Aber natürlich brauchst auch du eine vernünftige Waffe! Deine Kurbadsch und furchterregende Donnerstimme werden im Ernstfall nicht ausreichen, einer wirklichen Gefahr erfolgreich zu begegnen! Im nächsten größeren Ort werde ich dir ein vernünftiges Gewehr kaufen und dir Schießunterricht geben, damit du mich wirklich beschützen kannst!“
So geschah es dann auch und es stellte sich heraus, dass Halef zum Glück doch nicht dieser vollkommen ungeübte und wirklichkeitsferne Schütze war, wie ich es nach dem Donnergetöse seiner großväterlichen Waffe befürchtet hatte. Nach einiger Übung war aus ihm sogar ein nicht nur passabler, sondern sogar überdurchschnittlich guter Schütze geworden, und hinsichtlich seiner Fähigkeiten mit der Zunge und seiner Nilpferdpeitsche brauchte ich mir ohnehin keine Sorgen zu machen. Was meinen fünfundzwanzigschüssigen Henrystutzen anging, so ließ ich ihn allerdings in dem Glauben, dass es sich bei diesem tatsächlich um ein Zaubergewehr handeln müsse ‒ wer weiß, wozu dies noch einmal gut sein konnte!
Wie war es nur möglich, dass diese weit, weit zurückliegenden Ereignisse plötzlich wieder so lebendig waren, dass mich die Erinnerung so intensiv an Halef, an unsere ersten gemeinsamen Abenteuer denken ließ, dass alles wieder so vor meinem inneren Auge stand, als hätten diese Zwiegespräche erst gestern stattgefunden? Zugegeben ‒ die Lektüre meiner vielen kleinen grünen Bände hatte so manches Erlebnis wieder ganz wach werden lassen ... aber je länger ich darüber nachdachte ... fehlte da nicht etwas? Je länger ich grübelte, umso klarer wurde mir: Damals, in den ersten Jahren mit Halef, als er noch so manches lernen und sich aneignen musste, waren wir einmal von seinen Weidegründen im nördlichen Arabien zum Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris unterwegs gewesen ‒ und dieser gemeinsame Ritt hatte zur Aufdeckung eines der schlimmsten Verbrechen geführt, mit denen ich mich auf meinen Reisen immer wieder herumschlagen musste.
Mein damaliges Ziel war dieses ehemals so fruchtbare Tal gewesen, in dem seinerzeit die ältesten Kulturen der Menschheit entstanden waren und das von vielen noch heute als das einstige Paradies interpretiert wird, von dem in fast allen Überlieferungen der verschiedensten Völker die Rede ist. Dieses Land hatte schon immer meine Phantasie ganz besonders beschäftigt und nun wollte ich mir endlich einen eigenen Eindruck von diesem seit langem verloren gegangenen Paradies verschaffen. Bagdad, Babylon, Ninive, Nimrud, Assur ‒ alle diese Namen bargen für mich ein Geheimnis, waren Zeugen einer weit, weit zurückliegenden Vergangenheit ‒ auch wenn heute, wie ich gehört und gelesen hatte, von diesen ältesten Kulturstätten oft nicht einmal mehr Steinfragmente erhalten sein sollen.
Dorthin ‒ jetzt erinnerte ich mich ganz genau ‒ waren Halef und ich vor vielen, vielen Jahren unterwegs gewesen ‒ aber wo hatte ich diese unsere damaligen Erlebnisse niedergeschrieben? Wo war das kleine grüne Buch, das die wahrlich aufregenden Ereignisse dieser meiner ersten längeren Reise im Orient festgehalten hatte? Dieses Buch gab es nicht! Jetzt fiel es mir wieder ein: Erst danach, bei späteren Aufenthalten in diesem Land der Berge, Schluchten und Wüsten, der Sonne, Hitze und Trockenheit, hatte ich mich entschlossen, meine Erlebnisse für die Nachwelt festzuhalten. Wahrhaftig ‒ hier gab es eine Lücke, die ich nicht bestehen lassen konnte ‒ und da ich mich plötzlich wieder an alles bis ins kleinste Detail erinnerte, beschloss ich, dieses sträfliche Versäumnis ungeschehen zu machen ...
Vor einigen Tagen hatten Halef und ich die Weidegründe der Haddedihn in den nördlichen Ausläufern der Nefud, der großen roten Wüste, verlassen, waren dem Wadi el Cher weiter in Richtung Norden gefolgt und befanden uns jetzt am westlichen Rand des El-Hadschara-Sanddünenfeldes, als mich Halef auf eine plötzliche Veränderung am zuvor strahlend blauen Himmel aufmerksam machte.
„Sihdi ‒ fällt dir gar nichts auf?“