Kasperles Abenteuer in der Stadt - Josephine Siebe - E-Book

Kasperles Abenteuer in der Stadt E-Book

Josephine Siebe

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Beschreibung

Mitten in dem schönen Garten, der das Schloss der Gräfin Rosemarie umgab, stand Schlaupeterle, wie man ihn nannte, und hielt eine Gießkanne in der Hand. Es war auch Wasser in der Gießkanne, aber Schlaupeterle vergaß das Gießen, weil es ihm gar so gut in dem weiten Garten gefiel. Er war zu Besuch zu seinem Großvater, dem Schlossverwalter, gekommen. Als Ferienbesuch in einem Schloss zu wohnen, das lohnte sich schon! Schlaupeterle stand und staunte. Das Schloss war gerade unbewohnt, denn die Gräfin Rosemarie war mit ihrem Manne, dem berühmten Geiger Michael, in die weite Welt gefahren. Hei, dachte Schlaupeterle, in dem Schloss möchte ich immer wohnen. Er sah zu den Fenstern empor. Bis auf eins waren sie in den oberen Stockwerken alle geschlossen. Auf dieses eine starrte Schlaupeterle wie auf eine Geburtstagstorte. Er überhörte dabei, dass jemand kam, und er erschrak gewaltig, als ihn der Großvater unversehens auf die Schulter schlug. »Willst wohl 'n Loch ins Schloss gucken?« fragte der. »Wer wohnt denn da?« Schlaupeterle zeigte mit dem Finger auf das eine offene Fenster. »Niemand«, brummte sein Großvater. »Zuletzt hat Kasperle in dem Zimmer geschlafen.« »Kaaa . . .« »Himmel, Bengel, reiß doch den Mund nicht so auf!« rief der Schlossverwalter. »Ist dir was im Halse steckengeblieben?« Aber Schlaupeterle bekam den Mund nicht gleich zu: »Kaaa . . .« stotterte er wieder, und da lachte sein Großvater. »Du willst wohl sagen: "Kasperle"?«, fragte er. »Ja, der hat da drin gewohnt.« Schlaupeterle tat nun endlich einen tiefen Seufzer. Klapp! ging der Mund zu, klapp! riss ihn der Bube wieder auf und schrie: »Das ist ja 'n Märchen!« »Unsinn, Wahrheit ist's! Hast du denn noch nie etwas vom Kasperle gehört?« ...

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Kasperles Abenteuer in der Stadt

Kasperles Abenteuer in der StadtIm Garten der Gräfin RosemarieAbschied von der HeimatAbenteuer auf der FluchtMit dem Kasperlemann unterwegsFlorizel, der SpielmannDie Reise nach TorburgDie neue Heimat, neue Freunde und FeindeKasperle gewinnt noch mehr FreundeKasperle will nicht in Spiritus sitzenEine aufregende GeschichteDas feine Marlenchen kommtIm Garten vor dem ToreAuf dem Torburger JahrmarktGeraubtDes Herzogs GeburtstagImpressum

Kasperles Abenteuer in der Stadt

Josephine Siebe

Eine lustige Kasperle-Geschichte

Im Garten der Gräfin Rosemarie

Mitten in dem schönen Garten, der das Schloss der Gräfin Rosemarie umgab, stand Schlaupeterle, wie man ihn nannte, und hielt eine Gießkanne in der Hand. Es war auch Wasser in der Gießkanne, aber Schlaupeterle vergaß das Gießen, weil es ihm gar so gut in dem weiten Garten gefiel. Er war zu Besuch zu seinem Großvater, dem Schlossverwalter, gekommen. Als Ferienbesuch in einem Schloss zu wohnen, das lohnte sich schon! Schlaupeterle stand und staunte. Das Schloss war gerade unbewohnt, denn die Gräfin Rosemarie war mit ihrem Manne, dem berühmten Geiger Michael, in die weite Welt gefahren. Hei, dachte Schlaupeterle, in dem Schloss möchte ich immer wohnen.

Er sah zu den Fenstern empor. Bis auf eins waren sie in den oberen Stockwerken alle geschlossen. Auf dieses eine starrte Schlaupeterle wie auf eine Geburtstagstorte. Er überhörte dabei, dass jemand kam, und er erschrak gewaltig, als ihn der Großvater unversehens auf die Schulter schlug. »Willst wohl 'n Loch ins Schloss gucken?« fragte der.

»Wer wohnt denn da?« Schlaupeterle zeigte mit dem Finger auf das eine offene Fenster.

»Niemand«, brummte sein Großvater. »Zuletzt hat Kasperle in dem Zimmer geschlafen.«

»Kaaa . . .«

»Himmel, Bengel, reiß doch den Mund nicht so auf!« rief der Schlossverwalter. »Ist dir was im Halse steckengeblieben?«

Aber Schlaupeterle bekam den Mund nicht gleich zu: »Kaaa . . .« stotterte er wieder, und da lachte sein Großvater. »Du willst wohl sagen: ‚Kasperle‘?«, fragte er. »Ja, der hat da drin gewohnt.«

Schlaupeterle tat nun endlich einen tiefen Seufzer. Klapp! ging der Mund zu, klapp! riss ihn der Bube wieder auf und schrie: »Das ist ja 'n Märchen!«

»Unsinn, Wahrheit ist's! Hast du denn noch nie etwas vom Kasperle gehört?«

»Nä!«, schrie Schlaupeterle. »Den gibt's nicht – nur auf dem Jahrmarkt.«

Da besann sich der Großvater, dass Schlaupeterle von weit hergekommen war und darum nichts von Kasperle wissen konnte. Er setzte sich an ein Beet, auf dem die Tulpen bunt blühten, und sagte: »Stell mal deine Kanne hin, Schlaupeterle; ich will dir von Kasperle erzählen. Aber – «

Vorsicht! konnte der Großvater nicht mehr sagen, denn Kanne und Schlaupeterle waren vor lauter Eifer schon zusammen in das Tulpenbeet gerutscht. »Dumm!«, rief der Schlossverwalter, und Schlaupeterle dachte erschrocken: Nun gibt es keine Geschichte.

Es gab aber doch eine. Schlaupeterle musste sich in die Sonne setzen und sich trocknen lassen, und der Großvater erzählte dazu von Kasperle.

»Vor Jahren, als die Gräfin Rosemarie, der jetzt das Schloss gehört, noch ein Mädchen war, das mit Puppen spielte, hat Meister Friedolin, der in einem Waldhaus wohnt, einmal in einem alten Schrank ein Kasperle gefunden. Ganz verstaubt hat es ausgesehen, aber wie ihm die Sonne auf die Nase geschienen hat, ist es putzlebendig geworden.«

»Nä, das gibt's nicht!«, schrie Schlaupeterle.

»Doch, das gibt es! Halt den Schnabel!« brummte der Schlossverwalter. »Das Kasperle ist vielleicht noch das einzige richtige Kasperle auf der Welt. Es hatte beinahe hundert Jahre in dem Schrank geschlafen, aber nun ist es wieder lebendig und sehr unnütz, potztausend ja! Erst ist es im Waldhaus ausgerissen, ist nach Protzendorf gekommen und hat dem Bauer Strohkopf den Kuchen vor der Nase weggegessen. Dann ist Kasperle Gänsehirte geworden, hat nichts wie Dummheiten gemacht und ist schließlich dem Grafen von Singerlingen auf den Wagen gesprungen. Hier im Schloss war Hochzeit, und da ist Kasperle mit dem Grafen angekommen. Jemine, was hat er da für Dummheiten gemacht! In die Schlagsahne ist er gefallen, in unseres Herzogs Bett hat er sich gelegt, bestraft sollte er werden, aber die Gräfin Rosemarie hat ihn gerettet und in ihr größtes Puppenbett gelegt. Dann ist Kasperle ausgerissen, ist nach einem Dorf, Waldrast heißt es, zum Schulmeister gekommen, hat dort den Kindern das Kaspern beigebracht. Aber des Schulmeisters Base Mummeline hat Kasperle verraten. Da sind Landjäger gekommen und haben Kasperle fangen wollen, denn der Herzog August Erasmus hat eine hohe Belohnung dem versprochen, der ihm Kasperle bringt. Doch Kasperle ist noch glücklich entwischt, ist weit, weit in den Wald hineingelaufen und hat schließlich nach etlichen Tagen das Michele, einen Geißbuben, getroffen. Der ist nun dem Kasperle ein treuer Freund gewesen und ist es noch, und Kasperle hat ihm auch ein sehr großes Opfer gebracht. Doch das kommt erst später.

Nahe bei Micheles Hüteplatz hat ein Jagdschloss des Herzogs August Erasmus gestanden. In dem hat Kasperle gewohnt, bis auf einmal der Herzog gekommen ist. Kasperle hat sich in einer geheimen Kammer versteckt, und alle haben gedacht, es sei ein Gespenst im Schloss, bis sie gemerkt haben, dass Kasperle die halbe Räucherkammer leer gefressen hatte. Ei du lieber Himmel, war das eine Aufregung im Schloss! Schließlich ist Kasperle doch entwischt, ist nach Torburg geflohen, hat dort bei Meister Helmer, der den allerschönsten Garten weit und breit besitzt, gewohnt, bis er auch da entdeckt worden ist. Meister Severin, ein Geiger, der es versteht, allen Instrumenten eine Seele zu geben, hat gewusst, wo das Waldhaus ist, und der hat das Kasperle endlich heimgebracht.«

»Uff!« Schlaupeterle seufzte tief. »Wohnt er nun wieder da?«, fragte er.

»Jetzt, ja. Aber eine Zeitlang ist er beim Herzog August Erasmus auf Burg Himmelhoch gewesen. Inzwischen ist nämlich Michele, den Meister Severin zu sich genommen hatte, ein berühmter Geiger geworden; der hat die schöne Gräfin Rosemarie geliebt.«

»Die spielt doch noch mit Puppen!«, schrie Schlaupeterle.

Doch sein Großvater sagte: »Dummpeterle, sie ist halt gewachsen, nur Kasperle nicht. Der ist klein geblieben und ein Schelm dazu. Aber ein gutes Herz hat er, und im Waldhaus haben ihn alle lieb. Herr Severin hat nämlich Meister Friedolins Pflegetochter, die schöne Liebetraut, geheiratet. Und als einmal der berühmte Geiger Michael zu Besuch gekommen ist, hat das Kasperle gehört, dass dessen Geige geweint hat. Und Michele hat ihm von der Gräfin Rosemarie erzählt. Kasperle aber, der gute kleine Schelm, hat einen Brief an den Herzog August Erasmus, der ihn noch immer gern hat haben wollen, geschrieben. Der Brief lautet so:

Hähr Härzog iich Kasperle wil bai diech gomen und fiel Schbaasen magen wen Krefin Rohsemarie heurathen dut main Freund Michele. Un ich reisse niemalen auhs, nuhr wen du sackst: gäh sum Teifele Kasperle. Dan gäht Kasperle – ahber for immer. Schmaise auch ainen Briff übber die Gränze miht dain Wort. Dann gomd bästimt

Kasperle

Und danach ist das Kasperle wirklich zum Herzog gegangen, und unsere schöne Gräfin Rosemarie hat den Geiger Michael geheiratet. Hier im Schloss war die Hochzeit, und Kasperle ist –«

»Herzog geworden«, schrie Schlaupeterle.

»Gott bewahre! Unser Herzog August Erasmus lebt doch noch. Der ist noch gar nicht so alt, ja, man sagt, er werde bald heiraten, was recht gut wäre. Er ist schon etwas wunderlich, und Kasperle, das arme Kasperle, hat es arg schwer bei ihm gehabt. Die Prinzessin Gundolfine, des Herzogs Base, hat Kasperle nicht leiden können, weil der ihr hier die falschen Haare mit einem Zweig vom Kopf gezogen hat und dann in ihre Haubenschachtel gefallen ist. Auf Burg Himmelhoch haben sie Kasperle in einen Turm, auch mal in ein Kellerloch gesperrt, und der kleine Schelm hat viel ausstehen müssen.«

»Pfui!«, rief Schlaupeterle ganz entrüstet, »ich wär' davongelaufen!«

»Ja, schlimm war es schon, aber davonlaufen konnte das brave Kasperle nicht; er hatte doch sein Wort gegeben zu bleiben, bis der Herzog ihn selbst zum Teufel schicken würde. Na, und so etwas hat unser Herzog eben nicht gleich gesagt, und es war auch gut; Kasperle hat so das traurige Marlenchen kennengelernt und hat den Ring gefunden, den der Vater des traurigen Marlenchens, der Herr von Lindeneck, gestohlen haben sollte. Da ist aus dem traurigen Marlenchen ein lustiges Marlenchen geworden, und schließlich ist Kasperle auch frei gekommen. Er hat nämlich den Herzog an der Zehe gefasst in der Nacht, und da hat der wütend gerufen: ‚Geh zum Teufel!‘ und wutsch! ist mein Kasperle ausgerissen. Nicht zum Teufel, bewahre, sondern zu dem guten Grafen von Singerlingen ist er gelaufen, und der Graf hat ihn ins Waldhaus zurückgebracht. Das war dann eine große, große Freude, als Kasperle ins Waldhaus heimkehrte. So, nun ist's aus.«

»Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie heute noch«, sagte Schlaupeterle zufrieden.

»Dummer Bub!«, rief sein Großvater. »Die Geschichte ist doch erst vorigen Sommer passiert, und natürlich leben alle noch purzelvergnügt im stillen Waldhaus zusammen. Nur unsere schöne Rosemarie und ihr lieber Mann sind just auf der Reise in fremden Ländern.«

»Ich will auch hin«, schrie Schlaupeterle.

»Na, da musst du noch viel lernen, ehe du in die weite Welt reisen kannst«, brummte der Schlossverwalter.

»Nä, nicht dahin, in das Waldhaus will ich«, rief Schlaupeterle.

»Ach so! Na ja, zum Kasperle würdest du ganz gut passen. Aber damit ist es jetzt nichts; jetzt gieße erst mal die Blumen.«

»Ja«, rief Schlaupeterle, »und dann gehe ich ins Waldhaus.« Er nahm die Gießkanne und goß alles Wasser, das noch darinnen war, einer Tulpe über den Kopf. Die ertrank beinahe, und der Großvater brummte: »Dummpeterle könntest du eher heißen als Schlaupeterle. Lass lieber das Gießen sein! Geh in das Schloss und iss dein Abendbrot!«

Dies ließ sich Schlaupeterle nur einmal sagen. Er ließ die Gießkanne stehen, wo sie stand, lief hinein, aß drinnen einen ganzen Berg Wurstbrote auf, legte sich dann in sein Bett, schlief wie ein Rätzlein und träumte die ganze Nacht von Kasperle, Marlenchen, dem Herzog und der bitterbösen Prinzessin Gundolfine. Es war ein wunderschöner Traum, und als Schlaupeterle aufwachte, wäre er am liebsten eins, zwei, drei in das Waldhaus gelaufen. Doch wo das lag, sagte ihm niemand, sein Großvater hatte es allen verboten.

Abschied von der Heimat

Das Kasperle, von dem der Schlossverwalter seinem Enkel, dem Schlaupeterle, erzählt hatte, lag an einem Frühlingstag vor dem Waldhaus und ließ sich seine große Nase von der Sonne bescheinen.

Neben Kasperle saß die schöne Frau Liebetraut. Sie war so wunderschön, als hätte sie der Frühling selbst hingesetzt. Eine Laute hatte sie im Arm, und sie sang:

»O Heimat, am Walde du Haus,Bald ziehn wir fort von dir,Ziehn in die fremde Welt hinaus.Doch meine Sehnsucht bleibet hier,Bleibt immer hier – bei dir!«

Die Stimme klang so traurig, dass Kasperle plötzlich die Nase hob und ängstlich fragte: »Ist doch nicht wahr?« Aber Frau Liebetraut sang weiter:

»Ich werde dich nie vergessen,Klein Haus am Waldesrand,Und sollt' ich die Welt durchmessen,Weil hier mein Glück ich fand . . .«

»Ist doch nicht wahr?« Kasperle sprang nun hoch und trat zu der schönen Frau hin.

Die summte leise weiter:

»Und meines Liebsten treue Hand!«

Da trat dieser, von dem sie sang, der Meister Severin, aus dem Waldhaus. Der war ein feiner, kluger Mann; er konnte noch immer allen Instrumenten eine Seele geben.

»Ist nicht wahr?« Kasperle sah bittend zu dem treuen Freund auf. Der aber strich ihm leise mit der Hand über den Strubbelkopf und sagte: »Ist schon wahr, kleines Kasperle. Wir ziehen fort aus dem Waldhaus.«

»Nä!« Kasperle fing ein jämmerliches Geheule an. An Frau Liebetraut, Meister Severin und ihren zwei kleinen Kindern hing sein Herzelein, wie an seinem Freund Michele und der lieblichen Rosemarie. Nun waren die beiden vor etlichen Wochen schon auf eine weite, weite Reise gegangen, die ganze Welt wollten sie umsegeln und – nein, was zuviel war, war zuviel. Kasperle brüllte in seinem Kummer so sehr, dass Meister Friedolin und Mutter Annettchen aus dem Hause gerannt kamen.

»Was ist geschehen, was ist geschehen? Will wieder jemand das Kasperle rauben?« fragten sie beide.

Nein, das wollte niemand. Kein Mensch war zu sehen, der böse Absichten hatte, und die schöne Liebetraut nahm Kasperle auf ihren Schoß, als wäre der ihr eigenes Herzbubele, und streichelte ihn lind. Meister Severin aber erzählte, er habe so viel dem Rauschen des Waldes gelauscht und wolle nun einmal niederschreiben, was er vernommen habe, damit auch andere Menschen es hören könnten. Ein großes, feierliches Werk, dem lieben Gott zu Ehren, wollte er schreiben. Dazu müsste er aber eine Orgel haben, und weil man ihn in einer Stadt, die eine wunderherrliche Orgel hatte, gern als Musikmeister haben wollte, darum wollte er mit seiner Familie hinziehen. »Wenn wir dort sind, besuchst du uns«, sagte Meister Severin zu dem weinenden Kasperle.

Kasperle wischte sich die Tränen aus den Augen, und Meister Severin erzählte, sie würden in Torburg in einem alten Hause neben der hohen, schönen Kirche wohnen.

»Ist Wald da?«, fragte Kasperle.

»Nein! Doch nicht in der Stadt, du Dummerle! Aber jemand wohnt da, den du kennst.«

»Die Prinzessin Gundolfine«, schrie Kasperle gleich. Vor dieser Prinzessin hatte er nämlich eine heillose Angst.

»I wo! Der Gärtner Helmer wohnt dort, der den schönen, bunten Garten hat. In Torburg bist du ja schon einmal gewesen, kleines Kasperle.«

Jemine, da sperrte Kasperle aber seinen Mund auf! Doch gleich fing er wieder zu jammern an. In Torburg war der Kasperlemann gewesen, und man hatte ihn, das Kasperle, dort fangen wollen.

Doch Herr Severin beruhigte ihn; er solle nur keine Angst haben. Der Fürst von Wolkenstein, dem Torburg gehöre, habe sich mit dem Herzog August Erasmus gezankt um ein Dorf an der Grenze, und nun seien sie bitterböse miteinander. Am liebsten hätten sie Krieg angefangen, aber der Kaiser habe gesagt, sie sollten froh sein, dass Friede im Lande sei.

Weil aber Kasperle noch immer sehr traurig dreinsah, sagte Mutter Annettchen: »Kasperle, denke doch, wenn du nicht bei uns bleibst, dann sind wir alten Leute ganz allein!«

Das war ein schwerer Fall! Kasperle wollte sich ebenso ungern von Meister Friedolin und Mutter Annettchen trennen wie von Meister Severin und der schönen Frau Liebetraut.

Und wie er noch stand und überlegte, kam eilig ein Mann dahergerannt. Er kam von der Straße her, die nach Protzendorf führte.

»Da kommt jemand«, schrie Kasperle.

Der Mann, der daherkam, rannte sehr schnell; er hatte aber auch sehr lange Beine, und Kasperle atmete auf. »'s ist Damian ohne Maul«, sagte er vergnügt.

Das war der Schäfer aus Protzendorf. Erst war zwischen ihm und Kasperle bittere Feindschaft gewesen, der Damian hatte ihn sogar rauben wollen; nun bestand die allerbeste Freundschaft, darum schauten auch alle dem Damian ohne Maul freundlich entgegen.

Als der am Waldhaus angelangt war, schnappte er erst einmal wie ein Walfisch nach Luft, dann schrie er, erst links, dann rechts mit dem Zeigefinger weisend: »Der da will die da heiraten, und dann will der da den da.« Bei dem letzten Wort tippte er Kasperle so auf sein Bäuchlein, dass der sich gleich ins Gras setzte.

Es ging um Kasperle, das war schon zu merken. Aber wer der da und die da waren, das wußte selbst der kluge Herr Severin nicht. Er fragte freundlich: »Aber Damian, was soll denn das heißen?«

Damian starrte ihn verdutzt an. Viel zu reden liebte er nicht, und auf dem Weg hatte er es sich immer überlegt, wie er die Geschichte am kürzesten sagen konnte. Er war höchst erstaunt, dass man ihn nicht verstanden hatte, und dachte: Musst lauter reden. Also schrie er: »Der da will die da heiraten, und dann will der –«

Wutsch! verkroch sich Kasperle, er hatte keine Lust, noch einmal ans Bäuchlein getippt zu werden, denn Damian hatte eine harte Hand.

»Wer ist der da?«, fragte Herr Severin.

»Na, unser Herzog August Erasmus!«, brummelte Damian.

»Und wer ist die da?«

»Na, die Prinzessin Maria von Burgau!«

»Was, die schöne, junge Prinzessin will den alten Herzog heiraten?«

»Ob se will, das weiß ich nicht«, brummte Damian; »aber heiraten tut se ihn, und übermorgen ist Verlobung, und dann soll Kasperle gleich gefangen werden.«

»Aber«, rief Kasperle, »er ist doch mein Freund! Ich hab' doch ein Brieflein von ihm«, und er wuschelte in seinem Wämslein herum und brachte einen verschmierten, zerknitterten Brief heraus. Ganz stolz las er vor:

»Mein liebes Kasperle!

Ich bin Dir gar nicht mehr böse und lade dich ein, mich recht, recht bald zu besuchen –«

»Haste ihn denn besucht?«, fragte Damian.

»Nä!« Kasperle sah den langen Schäfer höchst verdutzt an. »Ich mochte doch nicht, weil – weil ich Angst vor der Prinzessin Gundolfine hab'.«

»Na, siehste, und das hat der Herzog übel genommen!«, rief Damian.

»Wie kann er denn? Er hat ja nie wieder geschrieben, Kasperle möge kommen«, redete Herr Severin etwas ärgerlich dazwischen.

»Doch, er hat geschrieben. Aber sein Kammerdiener hat von der Prinzessin viel Geld bekommen und hat die Briefe nicht abgegeben. Der Diener Veit hat's mir selbst erzählt.« Damian sah sich stolz um, und Kasperle schlug sich auf seine Beine vor Wut. »Wenn ich den Brief nicht gekriegt habe, dann –«

»Dann ist der Herzog doch böse«, sagte Meister Severin. »Ich kann mir das schon denken. Aber dass er darum gleich heiraten will!«

»Nä, nicht darum!« Damian schüttelte den Kopf. »Er hat doch keine Frau, und 'n Herzog muss doch eine haben. Und die Prinzessin Gundolfine möcht' ihn gerne. Vor der hat er aber 'ne höllische Angst, und darum heiratet er die Prinzessin Maria. Aber das Kasperle will er auch.«

»Ich geh' nicht zu ihm, ich hab's nicht versprochen.«

»Aber schlimm ist's doch, dass dich der Herzog will. Du wirst ihn schon besuchen müssen«, sagte Meister Severin.

»Mit Besuch ist's nicht abgetan, der Herzog will ihn nun ganz und gar. Er meint, das Lachen würde ihm gut tun, also soll Kasperle wieder sein Spaßmacher werden.« Damian stöhnte ordentlich; so viel hatte er seit Langem nicht zusammen geredet.

»Hach, hach!«, kreischte Kasperle. »Ich will nicht, nein, nein, ich will nicht zum Herzog!« Dem Kasperle schien der Herzog August Erasmus wirklich sein allergrimmigster Feind zu sein, und wenn er an Burg Himmelhoch dachte, wurde es ihm wind und weh.

Herr Severin schüttelte den Kopf. Seit vielen Jahren bestand Feindschaft zwischen dem Herzog und dem Fürsten Johann Jakob Joseph Jeremias von Burgau, und nun auf einmal sollten sich die Feinde ausgesöhnt haben. Und die Prinzessin Maria, die doch den Fürsten von Wolkenstein, in dessen Lande Torburg lag, liebte, würde den alten, grilligen Herzog heiraten. Meister Severin sah den langen Damian an und sagte: »Ich glaub's nicht!«

»Es ist schon so«, ertönte auf einmal ein liebes, feines Stimmchen, und aus dem Walde trat das Marlenchen, Kasperles gute Freundin. Sie trug ein schneeweißes Kleid und weiße Schuhe und kam daher wie ein Waldelflein. »Mein Vater holt mich dann ab«, sagte sie; »er hat mir aufgetragen, ich solle heute zu Kasperle gehen und dem Meister Severin diesen Brief bringen.«

Als Kasperle die kleine Freundin erblickte, vergaß er alle Angst; er überschlug sich gleich vor Freude, und dann fasste er Marlenchens Hände und die beiden tanzten rund herum. Vor einem Jahr noch hatte man das liebliche Kind das traurige Marlenchen genannt, jetzt aber war es immer von einer stillen, sanften Heiterkeit, und das hatte Kasperle zuwege gebracht.

Meister Severin las unterdessen den Brief, den ihm der Herr von Lindeneck, Marlenchens Vater, geschrieben hatte. Darin stand nun auch, der Herzog August Erasmus wolle die Prinzessin Maria heiraten, nur um das Waldhaus mit dem Kasperle zu bekommen. Die Prinzessin Maria sei zwar sehr traurig, weil sie viel lieber den Fürsten von Wolkenstein heiraten möchte, aber da der Herzog August Erasmus so viel, viel reicher sei, müsse sie ihn nehmen.

Armes Kasperle, dachte Herr Severin, als er den Brief gelesen hatte, was fangen wir nun an? Wenn einer vom Waldhaus über die Grenze läuft oder fährt, muss er an den Wächtern vorbei, und um nach Torburg zu reisen, muss man durch das ganze Herzogtum hindurch. Wie soll da das Kasperle entwischen?

»Da kommt er«, schrie der lange Damian, und alle, die vor dem Waldhaus saßen und standen, dachten einen Augenblick, der Herzog August Erasmus käme selbst anspaziert.

Es war aber der Kasperlemann, der daherkam, der, der einst Kasperle arg verfolgt und ihm dann später versprochen hatte, ihm immer zu helfen. Der hatte die Geschichte von der Heirat und dass es Kasperle an den Kragen gehen sollte, wohl vernommen. Der Kasperlemann hatte seinen kleinen grünen Wagen mit. Schon von Weitem rief er: »Schnell, schnell, Frau Liebetraut! Gebt dem Kasperle etwas zu essen, er muss ausreißen.«

Ausreißen! Wieder einmal das Waldhaus verlassen! Kasperle tat einen schweren Seufzer, er fiel platt auf die Erde nieder, verdrehte die kleinen schwarzen Glitzeraugen und sagte: »Ich sterbe.«

»Na, so flink wird das noch nicht gehen!« Meister Friedolin lachte ein wenig, hob das Kasperle auf und sagte: »Ich verstecke dich wieder im Schrank.«

Aber Damian und der Kasperlemann riefen beide: »Das hilft nichts. Der Herzog will durchaus Kasperle. Er hat gesagt, er lasse das Waldhaus ausbrennen, wenn er Kasperle nicht finde. So sehr hat er sich geärgert, dass Kasperle ihn nie besucht hat.«

Das war doch eine schlimme Sache! Herr Severin sah sehr ernst drein, und Mutter Annettchen und die schöne Frau Liebetraut weinten etwas.

Da sagte Marlenchen: »Komm, geh mit mir! Bei uns sucht dich niemand.«

Das mochte schon stimmen. Der Kasperlemann hob seinen Finger, legte ihn an seine Nase und sagte: »Ich weiß was! Marlenchen nimmt Kasperle mit, und wenn der Herr Severin und die schöne Frau Liebetraut in Torburg wohnen, dann bringe ich Kasperle hin.«

»Und wir?«, fragten Meister Friedolin und Mutter Annettchen.

»Ihr kommt mit nach Torburg. Dann sind wir wieder alle beisammen«, rief Frau Liebetraut. »Und unser Kasperle kommt auch zu uns.« Sie sah mit ihren schönen Augen den Kasperlemann an, als wäre der ein Glasschrank. Aber sie sah wohl, er meinte es ehrlich.

»Und ich komme auch nach Torburg. Dort wohnt meine Tante; die besuche ich dann manchmal«, zwitscherte Marlenchen. »Aber nun komm, Kasperle, sonst –« Marlenchen sah sich ängstlich um, und alle taten es ihr nach. Etwas gefährlich war es schon. Sie wussten nun, wenn der Herzog einmal Kasperle hatte, entkam der nicht mehr so leicht.

»Zieh aber lieber deinen grasgrünen Kittel an! Dein flitzebuntes Wämslein verrät dich zu leicht«, riet der Kasperlemann.

Der Rat war verständig. Frau Liebetraut holte das Kittelchen, Kasperle zog den grasgrünen Rock an, der Kasperlemann aber nahm den flitzebunten und sagte: »Den hänge ich irgendwo am Wege auf, da denken sie, Kasperle sei ausgerissen.«

»Flink, flink«, mahnte Marlenchen ängstlich, »sonst wird es zu spät!« – »Flink, flink!« mahnte auch Meister Severin.

Da gab es einen kurzen Abschied. Das Heulen unterließ Kasperle, aber sein kleines Herz wurde ihm auf einmal so schwer, dass er meinte, es müsste mitten entzweibrechen. Er sollte das Waldhaus verlassen, und alle, die darin wohnten, wollten auch die geliebte Heimat verlassen. O, das Waldhaus! Das kleine, trauliche Haus, von Tannen umrauscht, das sollte er nun nie mehr sehen. Er sah sich im Kreise um, sah in lauter traurige Gesichter, und er atmete schwer. »Es geht nicht«, rief er kläglich.

»Es geht schon«, sagte Meister Friedolin. »Tapfer! Wenn man nur zusammen ist, dann hat man überall eine Heimat.«

Marlenchen ergriff Kasperles Hand und bat: »Komm, sonst – fangen sie dich, und der Herzog sperrt dich ein.«