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"Akzeptiere es und schalte deine Moralvorstellungen ab. Nur so kannst du überleben."Kaum hat Kat einen Auftrag für Dämon Alistair abgeschlossen, steht der nächste bevor:Sie soll ihm Hunter Davenport bringen. Als Kat den jungen Mann trotz seines starken Widerstandes in der Hölle abliefert, ist sie erleichtert, ihn nie wiedersehen zu müssen.Hunter hat geglaubt, mit Kat ein leichtes Spiel zu haben. Doch sie ist stärker, als sie aussieht, und nun sitzt er in der Hölle fest.Alistair hingegen überrascht sie beide, indem er sie zwingt, zusammenzuarbeiten. Während Kat es hinter sich bringen will, verfolgt Hunter ein anderes Ziel: Er will so schnell wie möglich Kontakt zu den Engeln, seinen Auftraggebern, aufnehmen, auch wenn das bedeutet, seine neu ernannte Komplizin umbringen zu müssen.Eines haben Kat und Hunter gemeinsam: Den Wunsch nach der unerreichbaren Freiheit.
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Seitenzahl: 404
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Copyright © 2019 by
Lektorat: Stephan R. Bellem
Korrektorat: Michaela Retetzki
Layout: Michelle N. Weber
Umschlagdesign: Marie Graßhoff
Bildmaterial: Shutterstock
ISBN 978-3-95991-260-0
Alle Rechte vorbehalten
Für alle, die niemals aufgeben
1. Kat
2. Kat
3. Hunter
4. Kat
5. Hunter
6. Kat
7. Hunter
8. Kat
9. Hunter
10. Kat
11. Kat
12. Hunter
13. Kat
14. Hunter
15. Kat
16. Hunter
17. Kat
18. Kat
19. Kat
20. Kat
21. Kat
22. Hunter
23. Kat
24. Kat
25. Hunter
26. Kat
27. Kat
28. Hunter
29. Kat
30. Kat
31. Kat
32. Hunter
33. Kat
34. Kat
35. Hunter
36. Kat
37. Kat
38. Hunter
39. Kat
40. Hunter
Epilog
Danksagung
Blut ist schon eine merkwürdige Sache. Es ist unser Lebenselixier, nur ein paar Liter warme, klebrige Flüssigkeit, die uns zu dem macht, was wir sind. Es fließt, es pulsiert, es brodelt. Und doch ist es solch eine Sauerei, wenn es die sterbenden Körper verlässt.
Ich blicke blinzelnd an mir herab, spüre, wie das warme Blut mein Shirt durchtränkt und an meiner Haut klebt. Das ist alles so surreal. Bin das wirklich ich, die das Messer geführt hat? Ja, definitiv. Ich habe ihn getötet, ihm die Kehle durchgeschnitten, seinem Betteln und Röcheln gelauscht und ihm beim Sterben zugesehen.
Dabei kenne ich noch nicht einmal seinen Namen. Ist das überhaupt wichtig? Nun ist er tot und die weit aufgerissenen, leblosen Augen starren mich anklagend an.
Etwas in mir sackt zusammen, wie ein Stuhl, dem man plötzlich ein Bein wegtritt. Das Messer rutscht mir aus den glitschigen Fingern, ich greife eilig danach, aber es ist zu spät. Mit einem Plopp landet es in der Blutlache.
Na toll. Noch mehr Sauerei.
Ich bücke mich danach und fische es heraus, ohne den Toten aus den Augen zu lassen. Als könnte er aufspringen und mich angreifen.
Der springt nie wieder. Du hast ihn umgebracht, Kat.
Sein Anblick beunruhigt mich trotzdem. Ich wirble auf dem Absatz herum und schaue zum Himmel. »Okay!«, rufe ich. »Ich wäre dann so weit. Beam mich rauf, Scotty!« Diesen Witz findet er garantiert nicht lustig.
Abwartend neige ich den Kopf. Aber nichts rührt sich. »Ich meine es ernst!«, rufe ich in die Stille hinein und lecke mir nervös über die Lippen. Wir befinden uns in einer schäbigen Gasse, aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis ihn jemand findet. Am besten sollte ich dann nicht mehr hier stehen.
»Ach, komm schon! Du willst doch nicht …« Der Rest des Satzes wird vom reißenden Wind verschluckt, der mir wild einige Strähnen ins Gesicht wirbelt. Zeitgleich protestiert mein Magen, denn an diese Reise durch Wind und Nebel werde ich mich niemals gewöhnen.
In exakt drei Sekunden werde ich mich übergeben.
3
2 …
Ein tiefer Atemzug, frische Luft in meiner Lunge. Ich keuche laut auf, erleichtert darüber, dass das flaue Gefühl langsam abebbt. Lauwarmes Wasser prasselt auf meinen Kopf.
Ich stehe in meiner eigenen Dusche, nackt. Rote Flüssigkeit fließt den Abfluss hinunter und verschwindet für immer. Nicht mein Blut. Das des Toten, dessen Namen ich nicht kenne.
Mein Auftraggeber hat mich nicht nur vom Mordschauplatz gebeamt, er hat mich nackt unter die Dusche gestellt. »Verdammter Stalker!«, rufe ich in die Stille meiner Wohnung. Ich weiß noch nicht einmal, ob er mir zuhört. Doch, sicher tut er das. Sonst führe ich andauernd Selbstgespräche und das wäre wirklich verrückt. Aber was ist schon verrückt?
Die Tatsache, dass ich mir – schon wieder – fremdes Blut von der Haut schrubbe oder aber, dass es Routine für mich geworden ist? In meinem Leben ist nichts mehr merkwürdig.
Nachdem ich mich einigermaßen sauber fühle, schaffe ich es, die Dusche wieder zu verlassen. Mit frischen Klamotten am Leib tapse ich in die Küche/Wohnzimmer/Esszimmer. Mein Apartment ist winzig.
Kraftlos lasse ich mich auf mein Sofa fallen und schließe die brennenden Lider. Manchmal vergesse ich, dass ich trotz allem noch ein Mensch bin.
Das Community College ist ein Sammelsurium merkwürdiger Leute. Wenn ausgerechnet ich das sage, heißt das schon was. Aber es ist auch meine einzige Chance, etwas aus meinem Leben zu machen. Zumindest so zu tun, als wäre ich halbwegs normal.
Denn zwischen all den Menschen wirke ich wie ein gewöhnliches Mädchen, das es nie weiter als bis hierher gebracht hat. Vielleicht, weil es nie für Tests gebüffelt und lieber Party gemacht hat, anstatt zur Schule zu gehen. Ironischerweise habe ich auch für meine nächste anstehende Klausur nicht gelernt.
Kurz blicke ich auf mein Handy und erstarre, als ich mehrere verpasste Anrufe von meinem Dad entdecke. Mein Vater ruft mich sonst nie an, außer zu Weihnachten, damit Mom mir ein Lied vorträllern kann. Kurz schwebt mein Daumen über dem Rückruf-Button, aber dann entdecke ich Alex, der um die Ecke biegt.
»Hey, Alex!« Ich lege einen Sprint hin, um meinen Mitstudenten auf dem Gang abzupassen. Er fährt herum und zieht missmutig die Brauen zusammen.
»Kat«, stellt er fest. Alex hat seinen Rucksack bis hoch zu den Schultern gezogen, wie immer sind seine Haare akkurat frisiert, sein Hemd frisch gebügelt. Er nimmt das Community College wirklich ernst.
»Hey.« Ich lächle breit zu ihm hoch. Er ist wahrlich ein Riese, aber ansonsten wirkt er eher schlaksig und unbeholfen. »Wollen wir uns gleich in Psychologie zusammensetzen?«
»Damit du von mir abschreiben kannst?«, fragt er schnaubend. Ich streiche mir die Haare zurück, um mit den Fingern die krausen Strähnen zu bändigen. Blut lässt sich wirklich schwer aus meiner Mähne herauswaschen.
»Nur ein bisschen«, versuche ich es. »Ich bin nicht zum Lernen gekommen, ich war beschäftigt.«
Alex weicht zurück. »Beschäftigt, das ganze Wochenende lang? Was verdammt tust du andauernd, bist du heimlich ein Callgirl?«
Gespielt anzüglich lecke ich mir über die Lippen und trete so dicht an ihn heran, dass meine Brüste fast seinen Bauch berühren. »Vielleicht könnte ich dir meine Dienste anbieten.«
Mein Witz geht ins Leere, Alex verzieht lediglich angewidert das Gesicht. Hallo? Angewidert? Nun gut, ungeschminkt und mit dicken Augenringen bin ich nicht direkt die Frau, für die man zweihundert Dollar pro Nacht ausgibt, aber kein Grund, so eine Grimasse zu ziehen. Ob er vielleicht auf der anderen Seite fischt?
Alex legt mir beide Hände auf die Schultern und drückt mich zurück. Überraschend kräftig, dafür, dass er so dürr ist. »Ich habe eine Freundin, also hör auf, mich anzumachen.«
Ich verdrehe die Augen. »Oh mein Gott, das war doch nur ein Witz, ich …«
Alex rückt in den Hintergrund, als eine dunkle Stimme meinen Namen flüstert. Lauter, immer lauter, bis sie alles andere verschluckt.
Kat. Kat! Kat.
Mal bestimmend, mal verführerisch wie eine Katze. Nein, nein, nein! Nicht jetzt, nicht schon wieder. Mit aller Macht kämpfe ich gegen das Gefühl und klammere mich an das Hier und Jetzt.
»Hey, was ist mit dir?«, dringt Alex’ misstrauische Stimme zu mir durch.
Panisch schnappe ich nach Luft, aber sie füllt meine Lunge nicht. Warm blickende braune Augen schieben sich in mein Blickfeld, die von Alex, die mich jetzt besorgt mustern, aber sie wandeln sich in ein glühendes Rot, sein Gesicht verschwimmt.
Es ist zu spät, ich kann es nicht mehr aufhalten. Mit aller Kraft reiße ich mich von Alex los und hechte wie blind durch die Gänge. Dass mein Handy zu Boden fällt, bemerke ich zwar noch, aber es kümmert mich nicht. Meine Glieder zittern unkontrolliert, ich stoße gegen einen Spind, ignoriere den Schmerz und renne weiter.
Schwer atmend stolpere ich in die Toilette und schließe mich in eine Kabine ein. Gerade noch rechtzeitig, bevor der tosende Wind mich umfängt und ich nach unten gebeamt werde.
Es dauert einige Herzschläge lang, bis ich wieder zu mir finde. Und einige mehr, bis mein Magen aufhört, sich zu drehen. Schade, ich hätte ihm nur zu gerne vor die Füße gekotzt.
Alistair steht einige Meter vor mir, die Arme lässig vor der Brust verschränkt. Seine rot leuchtenden Augen blicken auf mich herab.
Keuchend streiche ich meine Haare zurück. »Ich war mitten im College!«, rufe ich vorwurfsvoll aus. Mein Gegenüber zuckt ungerührt mit den Schultern. »Ist das mein Problem?«
Verärgert balle ich die Hände links und rechts neben meinem Körper, sage aber nichts mehr dazu. Er ist immer noch gefährlich, er kann mit einer Handbewegung mein Genick brechen, wenn er will. Auch wenn er nicht so aussieht.
Ehrlich, einen Dämon würde ich mir anders vorstellen. Groß, böse, vielleicht sogar ein bisschen heiß. Aber nicht wie einen versoffenen Highschool-Lehrer, der seinen Schülerinnen nachstellt. Aber Alistair kann auch anders. Wenn er wütend wird, ziehen sich die Schatten um ihn herum zusammen und das Rot verdüstert sich. Gerade ist nichts davon zu sehen, er wirkt fast schon unbekümmert.
»Was willst du?«, frage ich dann direkt und schabe mit den Füßen auf dem dreckigen Linoleum. Die Hölle ist ein ätzender Ort, aber vielleicht zeigt Alistair mir nur jedes Mal die schlimmsten Ecken.
Heute stehen wir in einem alten Café. Die quietschgelben Stühle sind kaputt, das Leder zerfetzt. An der Theke prangen vertrocknete Blutflecken, durch die zerbrochenen Fenster pfeift der Wind. Draußen herrscht stockfinstere Nacht, hier drin flackern die Lampen immer wieder. Der Geruch von Tod und Verwesung brennt in meiner Nase.
»Du musst etwas für mich erledigen«, antwortet der Dämon endlich. Schon wieder? Der letzte Auftrag war erst gestern. Aber ich spreche die Worte nicht aus, denn ich habe ohnehin keine andere Wahl. Wenn Alistair ruft, habe ich zu folgen.
»Wer ist es diesmal?«, will ich lediglich wissen und setze wieder meine unbewegliche Maske auf. Die Maske, die ich in den letzten Jahren perfektioniert habe. Taff, unverwundbar, steif. Bloß nichts anmerken lassen, bloß keine Schwäche zeigen.
»Ein junger Mann aus Arizona.« Ein Bild schießt durch mein Hirn. Stechend blaue Augen, harte Gesichtszüge, eine etwas krumme Nase, die wohl schon einmal gebrochen war. Braune, verwuschelte Haare, die ihm halb in die Augen hängen. Wahrscheinlich ist er um die zwanzig Jahre, in meinem Alter. Ich musste schon deutlich Jüngere killen.
Denk an deine Maske, Kat.
Ich nicke und verziehe schmerzhaft das Gesicht, als das Bild des Mannes verschwindet, das Alistair mir geschickt hat.
»Irgendwelche bestimmten Vorgaben?«, hake ich professionell nach.
»Ich brauche ihn nicht tot, du sollst ihn lediglich zu mir bringen.«
Das ist neu. Überraschung huscht über meine Züge. »Warum?«, rutscht es mir heraus, doch ich korrigiere mich sofort. »Wie soll ich das anstellen?«
»Du musst ihn zuerst finden, seit Arizona habe ich seine Spur verloren. Er trägt ein Tattoo auf der linken Brust, das zur Abwehr dient. Durchbrich dessen Zauber, indem du ein X mithilfe eines Silberdolches durch die Tinte ritzt. Halte ihn dann gut fest. Die Wirkung seines Bannes lässt nur kurzzeitig nach, aber es sollte reichen, damit ich euch gemeinsam herunterholen kann. Das war’s.«
Unbewegt starre ich ihn an und spiele die Szene vor meinem inneren Auge ab. Das dürfte machbar sein. »Na schön«, sage ich schließlich und mache einen Schritt auf ihn zu. Er schnippt mit den Fingern und hält als Nächstes eine Halbliterflasche in der Hand. Sie ist randvoll gefüllt mit einer dunkelroten Flüssigkeit.
Ich hebe eine Braue. »Das ist mehr als üblich.«
Alistair wirft sie mir zu, ich fange. »Dein Gegner ist stark und clever. Du wirst es brauchen.«
Das Blut schwappt hin und her, als ich die Flasche etwas anhebe. Der erste Schluck ist immer der schlimmste, danach geht es runter wie Wasser. Aber es kostet mich jedes Mal Überwindung, den Deckel aufzuschrauben und die Flasche an die Lippen zu setzen. Dämonenblut riecht anders als menschliches. Metallisch, aber auch leicht süßlich.
Ich kneife die Augen fest zusammen und kippe es hinunter. Zweimal muss ich unterbrechen und Luft schnappen, aber dann ist es vorbei. Keuchend werfe ich die leere Flasche beiseite und spüre, wie das Dämonenblut meinen Organismus erobert. Stärke und Macht durchströmt mich, beflügelt mich. Es fühlt sich gut an und gleichzeitig unglaublich falsch.
»Die Ration reicht für zwei Tage. Bis dahin muss der Auftrag abgeschlossen sein.«
Nickend wische ich mir mit dem Handrücken über den Mund. Es ist so einfach, wenn man sein Schicksal einmal akzeptiert hat und sich nicht mehr wehrt. Wenn nicht jede Faser meines Körpers rebelliert, sondern es hinnimmt.
»Also direkt nach Arizona?« Ein seltenes Lächeln huscht über Alistairs Lippen, aber selbst das erreicht seine Augen nicht. Erneut schnippt er mit den Fingern und hüllt mich in ein neues Outfit. Statt der Jeans und dem Band-Shirt stecke ich nun in einem luftigen Sommerkleid. Weiß wie die Unschuld mit einem dünnen Gürtel um die Taille. Um meinen rechten Oberschenkel liegt ein Lederband, an dem der Silberdolch befestigt ist.
»Dein Modegeschmack ist furchtbar«, kommentiere ich trocken, aber wie üblich geht Alistair nicht darauf ein.
»Sein Name ist Hunter Davenport. Versaue es nicht, Kat.«
Wind umtost mich, schäumt auf wie Wellen gegen ein Riff. Als Nächstes finde mich auf einer öffentlichen Toilette in Arizona wieder.
Zuerst verschaffe ich mir einen Überblick über die Stadt, in der ich mich befinde. Eine Kleinstadt, in der man mir als Fremde misstrauische Blicke zuwirft. Die Sonne knallt auf meinen Kopf und treibt mir den Schweiß auf den Rücken. Kein Luftzug erleichtert die Hitze, überall, wo man hingeht, wird man vom Rauschen des Meeres begleitet.
Viel lieber würde ich jetzt daheim sein und den Psychologie-Test verhauen.
Ich reibe mir den Schweiß von der Stirn und betrete den ersten Laden, über den ich stolpere. Die klimatisierte Luft umfängt mich und weckt den Wunsch, nie wieder nach draußen zu gehen. Ich lasse meine Haare über die Schultern fallen und streife suchend durch die Gänge des kleinen Supermarktes.
Der Blick der Kassiererin liegt lauernd auf mir, als hätte sie Angst, ich würde etwas klauen. Ich laufe direkt auf sie zu und lächle verhalten. »Hey. Ich bin auf der Suche nach einem alten Freund, der hier wohnen soll.«
»Wir sind hier keine Auskunft, Schätzchen«, erwidert sie grob, ohne den unnachgiebigen Blick von mir zu lassen.
»Sein Name ist Hunter Davenport«, rede ich eilig weiter.
»Nie gehört«, sagt die Kassiererin, ohne auch nur darüber nachzudenken. Für einen Moment länger sehe ich sie an, wäge ab. Ein Teil von mir möchte sie packen und ihren Schädel gegen die Theke hämmern, bis sie nicht mehr so vorlaut ist. Solche Fantasien habe ich nur, wenn ich mit Dämonenblut vollgepumpt bin und glücklicherweise sind sie nicht mehr als das: ferne Gedanken im hintersten Eck meines Kopfes.
»Danke«, schnaube ich lediglich und wende mich ab, um zurück in die brühende Hitze zu treten.
Den ganzen Tag suche ich den Ort ab. Ich bin gefühlt in jedem Laden und frage mich durch, aber niemand hier scheint Hunter Davenport zu kennen. Auch wenn einige von ihnen sogar freundlich sind und den Anschein geben, als wollten sie mir wirklich helfen. Die Suche ist frustrierend und vor allem läuft mir so langsam die Zeit weg.
Zwei Tage. Ich weiß, dass ich danach von Alistair keine neue Portion Dämonenblut bekomme. Ich schlucke bei dem Gedanken, was er mit mir anstellen wird, wenn ich diesen Auftrag unerledigt lasse. In meiner Laufbahn ist mir das bisher nur ein einziges Mal passiert und das war die schlimmste Erfahrung in meinem ganzen Leben.
Und als die Sonne sich dem Horizont neigt, bin ich immer mehr am Verzweifeln. Ich suche einen gut besuchten Pub und lasse mich dort an der Bar nieder. Mein Herz fühlt sich schwer an und mein Magen zieht sich schmerzhaft zusammen. Ich habe den ganzen Tag nichts gegessen, aber das wird auch noch eine Weile so bleiben müssen. Durch Nahrung lässt die Wirkung des Dämonenblutes nur schneller nach.
»Harter Tag?«, fragt der Barkeeper mit unverkennbarem Südstaatenakzent und lächelt mich charmant an. Einen freundlichen Gesichtsausdruck bringe ich ebenso wenig zustande wie eine Antwort darauf. Neben der Verzweiflung ist gerade Wut ein sehr starkes Gefühl in meinem Inneren, das ich nur allzu gerne an irgendjemanden auslassen will.
Der Typ lacht nur über meine missmutige Miene. Es klingt seidig und melodisch und passt hervorragend zu seinen grünen Augen und dem schelmischen Glitzern darin. Die Frauen fliegen sicher auf ihn, aber mein Interesse ist momentan ganz auf meinen Auftrag gerichtet.
Er gießt einen Kurzen ein und schiebt mir das Glas herüber. »Geht aufs Haus«, zwinkert er. Nun zupft doch ein kleines Lächeln an meinem Mundwinkel, als ich die bittere Flüssigkeit herunterkippe.
»Danke«, sage ich, als ich mich an meine Erziehung erinnere. Der Barkeeper lehnt sich zu mir herüber.
»Welcher Kerl hat dir den Tag vermiest?«
»Hunter Davenport«, erwidere ich aus einem Impuls heraus und in gewisser Weise stimmt es ja auch. Dieser Mistkerl ist unauffindbar und meine Zeit rennt davon.
Etwas in der Mimik meines Gegenübers verändert sich. Es ist nur eine Winzigkeit, sein Lächeln versteift sich ein klein wenig und die Muskeln an seinem Hals spannen sich an. Ich merke es sofort, denn meine geschärften Sinne schlagen Alarm.
»Klingt schon wie ein Arschloch«, lacht er und will sich bereits abwenden, aber nun hat er mein Interesse geweckt.
»Du kennst ihn nicht zufällig? Er soll hier sein. Ich bin schon wie verrückt auf der Suche nach ihm.«
»Warum das?«, will er wissen, ohne auf meine Frage einzugehen.
»Er hat mir das Herz gebrochen«, schnaube ich und stütze die Ellenbogen auf der Theke ab, um mich zu ihm zu beugen. Die Lüge ist mir spontan eingefallen, aber sie gefällt mir auf Anhieb. Die verrückte Ex kann ich jedenfalls überzeugend rüberbringen. »Erst schöne Augen machen und dann abhauen. Ich will ihm mal ordentlich die Meinung geigen.«
Die Züge des Barkeepers entspannen sich etwas. »Das sieht Hunter ähnlich. Ja, ich kenne ihn. Er wohnt hier ganz in der Nähe. Ich gebe dir seine Adresse, aber nur wenn du versprichst, ordentlich zuzuschlagen.«
Schlagartig erhellt sich mein Gesicht. Es hat geklappt! Euphorie schießt durch meinen Körper, als der Barkeeper mir eine Adresse notiert. »Ich schulde dir was«, verspreche ich ihm.
»Verrate mir nur deinen Namen, schöne Fremde«, witzelt er, aber der Ausdruck in seinen Augen ist ehrlich. Ich zögere kurz, erwäge, einen falschen Namen zu verwenden, verwerfe den Gedanken aber wieder. Er war mir sehr hilfreich und warum auch nicht? »Kat, mein Name ist Kat.«
»Luke. Freut mich, dich kennengelernt zu haben.«
Mit einem letzten Lächeln verabschiede ich mich von ihm und verlasse den Pub. Schnellen Schrittes suche ich nach der Straße, in der Hunter wohnt. Hoffentlich ist er daheim, dann können wir es schnell und schmerzlos erledigen. Ansonsten werde ich in seiner Wohnung auf ihn warten. So oder so – er kann mir nicht mehr entkommen.
Ich komme vor einem Mehrfamilienhaus zum Stehen. Auf den Klingelschildern finde ich seinen Namen nicht, aber ich klingle bei der erstbesten Wohnung und warte, bis ich hineingelassen werde. Eine ältere Frau steht ihm Türrahmen und mustert mich fragend.
»Guten Abend. Entschuldigen Sie bitte die Störung, ich bin auf der Suche nach einem Freund, der hier wohnen soll.« Ich rufe das Bild aus meinen Erinnerungen hoch und beschreibe Hunter Davenport kurz.
Das Gesicht der Dame erhellt sich. »Aber natürlich. Der junge Mann ist erst vor Kurzem oben einzogen. Dritter Stock, linke Tür.«
Ein Siegesgefühl durchflutet mich. Überschwänglich bedanke ich mich bei ihr und mache mich auf den Weg nach oben. Es ist wie ein Rausch, und die Aussicht, diesen Typ nicht sofort töten zu müssen, versetzt mir tatsächlich ein Hoch. Wobei es für ihn der leichtere Tod wäre. Ich weiß zwar nicht, was Alistair mit ihm vorhat, aber ich bin mir sicher, dass es nichts Schönes ist.
Oben angekommen, lege ich das Ohr ans Holz, lausche, höre aber nichts. Mit aller Kraft stemme ich mich gegen die Tür, bis sie nachgibt und ich sie aufdrücken kann. Erneut wallt Adrenalin durch meinen Blutkreislauf. Es ist alles so einfach, wenn man stark und unbesiegbar ist.
Vorsichtig spähe ich in die Wohnung. Ein langer Flur erstreckt sich vor mir, von dem mehrere Türen abführen. Leise wie ein Raubtier auf der Jagd husche ich hinein und schleiche durch den Flur. Ich spähe in alle Räume, aber sie sind leer und unauffällig eingerichtet. Ein Wohnzimmer, eine Abstellkammer, ein Badezimmer, eine Küche. Schließlich schiebe ich die Tür zum letzten Zimmer auf und erstarre. Es ist komplett fensterlos und eigentlich stockfinster, aber durch das hereinfallende Licht vom Flur und mein verbessertes Sehvermögen kann ich trotzdem alles erkennen. Symbole und Zeichen prangen in schwarzer Farbe an den Wänden und sogar auf dem Parkettboden. Mit keinem kann ich etwas anfangen.
Ich trete in den Raum hinein, sehe mich skeptisch um. Was ist das Ganze hier? Ein lautes Poltern reißt mich aus meinen Gedanken. Blitzschnell fahre ich herum und erkenne Hunter Davenport im Türrahmen stehen. Mist, wo hat er sich denn versteckt?
In seinen Händen liegt eine Schrotflinte, auf seinem Gesicht ein triumphierendes Lächeln. »Irgendwelche letzten Worte, Dämon?«, fragt er hämisch, doch noch bevor ich den Mund öffnen kann, hat er eine Kugel auf mich abgefeuert.
Sie reißt ein schmerzhaftes Loch in meinen Bauch und ich verziehe das Gesicht. Autsch, das war nicht sehr nett. Aber dank des Dämonenblutes keine tödliche Verletzung.
Hunters Grinsen verblasst, als ich von der blutenden Wunde zu ihm aufblicke. Er feuert noch einen Schuss ab, der mich an der Schulter trifft. Das wird mir langsam zu bunt. Ich mache einen Schritt auf ihn zu, woraufhin er aus dem Raum weicht und im Flur stehen bleibt. Als würde er erwarten, ich wäre in dem Zimmer gefangen. Sind diese mysteriösen Symbole vielleicht eine Art Dämonenfalle?
Aber ich bin kein Dämon, ich bin ein Mensch. Vor der Türschwelle bleibe ich stehen und starre ihn an. Ein gehetzter Ausdruck liegt auf seinem Gesicht, der sich nur verstärkt, als ich ungerührt den Raum verlasse.
»Was zur Hölle bist du?«, fragt er zwischen zusammengebissenen Zähnen, macht im selben Moment auf dem Absatz kehrt und rennt. Aber ich bin schneller.
Noch bevor er die Eingangstür erreicht, packe ich ihn und schleudere ihn gegen die Wand. Er taumelt, fängt sich aber erstaunlich schnell wieder und huscht in das angrenzende Wohnzimmer. Ich folge ihm flink, weiche dem nächsten Schuss gerade noch rechtzeitig aus und stürze mich auf ihn. Gemeinsam landen wir auf dem Couchtisch aus Glas, der unter dem Gewicht nachgibt. Glasscherben bohren sich in meine Wange, aber ich bin zu sehr darauf konzentriert, Hunter unter mir festzuhalten. Ruckartig ziehe ich meinen Dolch heraus und ritze ihm einen ersten Strich in die Haut, über das Tattoo, das wie vorhergesagt auf der linken Brust prangt.
Er tritt mir in den Bauch und stößt mich dann mit Schwung von sich herunter, wobei der Dolch meinem Griff entgleitet. Der Aufprall ist so hart, dass mir kurzzeitig die Luft wegbleibt. Langsam weiß ich, was Alistair gemeint hat. Er ist stark! Stärker als ein normaler Mensch.
Innerhalb eines Bruchteils einer Sekunde bin ich wieder auf den Beinen und greife sofort nach meiner Waffe. Hunter hat sich währenddessen eine Glasvase gekrallt und schlägt sie mir mit voller Wucht entgegen. Ich hebe schützend den Arm und erneut rieselt Glas auf mich herab.
Wütend blecke ich die Zähne und bin versucht, ihm meinen Dolch direkt ins Herz zu schleudern. Aber das ist nicht mein Auftrag hier.
Ich ducke mich, mache einen Satz und ramme ihm meine Schulter in den Magen. Aber er stemmt sich mit voller Wucht gegen meinen Griff und für einen schrecklichen Moment lang scheint er dieses Kräftemessen zu gewinnen. Meine Füße rutschen auf dem Parkett immer weiter nach hinten, sein Körper ist wie eine stahlharte, undurchdringbare Mauer.
Aber dann erfasst mich ein Schub und ich schaffe es, ihn zu Fall zu bringen. Ohne Rücksicht umfasse ich sein Handgelenk, breche es ruckartig und setze dann meinen Dolch erneut an seiner Brust an. Obwohl er unfassbare Schmerzen haben muss, lässt er sich das nicht anmerken.
»Nein!«, presst er hervor, als ich dabei bin, das X zu vervollständigen. Kurz halte ich inne und sehe in seine Augen, in denen ein gehetzter Ausdruck liegt. »Bitte«, keucht er. »Tu das nicht.«
Ich ziehe das X bis zum Ende durch, werfe den Dolch beiseite und kralle beide Hände in seinen Klamotten fest. Nur einen Herzschlag später taucht der Wind auf und umfängt uns. Ich schließe die Augen, lasse zu, dass dieses Nichts mich verschlingt und mit sich in den Abgrund zieht. Hunters wütendes Knurren klingelt mir in den Ohren und die Reise kommt mir viel zu lange vor. Aber letztendlich landen wir zurück in der Hölle. Ich auf den Knien, Hunter direkt neben mir auf dem Rücken. Wir sind wieder in dem Café, wo Alistair schon auf uns wartet.
Hunter zieht sich mit aller Kraft ein Stück beiseite und kotzt sich die Seele aus dem Leib, während ich mich wortlos erhebe und in Hunters Richtung nicke. »Da ist er.«
»Ausgesprochen gute Arbeit«, lobt Alistair. »Aber du hast mein Spielzeug verletzt.«
»Das Handgelenk wächst wieder zusammen«, erwidere ich und schiele kurz zu dem Mann hinüber, der sich ebenfalls langsam aufrichtet. In seinen Augen liegt ein tiefer Groll, aber auch Verzweiflung. Weiß er, wo wir uns befinden und dass ein Dämon vor ihm steht? Es scheint fast so, denn er ist nicht verwirrt.
»Was soll das? Warum bin ich hier, du Arschloch?«, donnert er sofort los, aber Alistair hebt nur lästig eine Hand und wendet sich wieder mir zu.
»Du kannst gehen, Kat.«
»Was hast du mit ihm vor?«, hake ich nach, woraufhin Alistair das Gesicht verzieht. Sofort schüttle ich den Kopf. »Geht mich nichts an, schon klar. Ich wäre dann so weit, um zu gehen.«
Augenblicklich kommt der Wind auf und beamt mich zurück in meine Welt, in meine Wohnung. Durch das viele Hin- und Herteleportieren protestiert mein Magen und ich renne zur Toilette, um zu kotzen. Mann, ist das ätzend. Warum muss Alistair mich in letzter Zeit auch so oft holen? Vor einem Vierteljahr noch beschränkten sich die Aufträge auf ein bis zwei Mal im Monat, diesen waren es schon ganze sechs.
Ich spüle mir den Mund aus und schleppe mich dann zu meinem Kühlschrank. Jetzt brauche ich dringend eine ordentliche Mahlzeit, damit das Dämonenblut so schnell wie möglich aus meinem Organismus verschwindet.
Schmerz peitscht durch meinen Körper und ich beiße mir auf die Lippe, um einen Schrei zu unterdrücken. Das gönne ich dem Dämon nicht.
Nachdem die Tussi verschwunden ist, hat dieser Alistair mich in seine Folterhöhle gebracht. Es sieht aus wie eine alte Fleischerei, aber ich bin mir sicher, dass die Blutflecke nicht nur von toten Tieren kommen. Ich liege auf einem Tisch festgeschnallt und der Dämon steht neben mir. Er ist seit geraumer Zeit damit beschäftigt, all seine schönen Messer und Klingen an mir auszuprobieren. Erstaunlich, wie der Schmerz jedes Mal schlimmer zu werden scheint.
Angriffslustig funkle ich zu dem Dämon hoch. Das ist mein erstes Mal in der Hölle und auf diese Tour hätte ich gerne verzichtet, aber Alistair ist bei Gott nicht mein erster Folterer. Irgendwann wird er das Interesse an mir verlieren und bis dahin werde ich meinen Willen nicht brechen lassen.
»Du bist tough«, stellt er trocken fest und fährt mit der Spitze des Messers federleicht über meine Haut. Ich verfluche die Gänsehaut, die sich daraufhin ausbreitet.
»Wer ist die Schlampe?«, frage ich im Gegenzug, um überhaupt etwas zu tun. Wenn ich ihn einfach nur gewähren lasse, werde ich verrückt.
Das Messer drückt sich fester in meine Haut. »Nenn sie nicht so. Ihr Name ist Kat und was sie ist, geht dich überhaupt nichts an.«
Sie ist zumindest kein Dämon, sonst wäre sie in meinem speziellen Zimmer gefangen worden. Luke hat mich vorgewarnt, aber ich war zu unvorsichtig und selbstsicher gewesen. Diese Kat ist aber kein normaler Mensch, denn sie ist stärker, als ich angenommen habe.
»Reden wir doch lieber über dich.« Alistair lächelt kühl. »Endlich habe ich dich hier, bei mir. Du bist ein verflucht kluger Mistkerl, ständig unter meinem Radar.« Er tippt mit dem Messer gegen die Haut an meinem Bauch und meine Muskeln ziehen sich unwillkürlich zusammen. »Aber selbst du konntest mir nicht entkommen, Hunter.«
»Was willst du von mir, Dämon?«, frage ich unhöflich. »Wenn du mich töten wolltest, hättest du es schon längst getan, also rück raus mit der Sprache.«
Er lacht humorlos auf. »Oh, vielleicht genieße ich einfach nur die Show. Nach so einem wie dir habe ich schon lange gesucht, Hunter. Ich mag es, zuzusehen, wie du langsam brichst.«
»Darauf kannst du lange warten!«, rufe ich ihm entgegen und stemme mich einmal kräftig gegen die Fesseln. Ich kann sie nicht loswerden, aber das soll nur meinen Willen demonstrieren. Er wird mich sicher nicht brechen. Eher sterbe ich.
Meine Sorge gilt allerdings nicht der Folter an sich, sondern der Tatsache, dass Alistair mein Blut sammelt. Ich höre es von dem Tisch in ein blechernes Gefäß tropfen. Was hat er nur damit vor?
Alistair legt das Messer weg und wendet sich ab, um sich ein neues Folterinstrument auszusuchen. Der Moment für mich, um die Zähne fest zusammenzubeißen und meine undurchdringliche Maske kurz abzulegen. Fühlen sich die Schmerzen in der Hölle noch intensiver an oder bilde ich mir das bloß ein? Ich hoffe, Luke schwingt schon seinen Hintern hier runter, um mich zu holen.
Ein bitteres Lächeln schleicht sich auf meine Züge, als ich daran denke. Auf Lukes Hilfe zu setzen, ist wie darauf zu hoffen, dass zwei Dämonen hier hereinstürmen und mich netterweise befreien. Er ist mein bester Freund, aber bis Luke merkt, dass ich verschwunden bin, dauert es noch eine Weile. Und meine Auftraggeber erwarten demnächst keinen Statusbericht von mir, was bedeutet, dass sie wohl noch später als Luke merken, dass etwas nicht stimmt.
»Also, Hunter«, beginnt Alistair. »Erzähl mir doch mal etwas von deinen Engelfreunden.«
»Ach, die«, spotte ich. »Die sind super. Wir schmeißen jede Woche eine fette Teeparty. Zur nächsten bist du eingeladen. Ich werde dir das Blut deiner Schlampe aus ihrem ausgehöhlten Schädel servieren, wie findest du das?«
Abrupt fährt Alistair herum und jagt mir ein Messer in die Haut. Vor Überraschung stöhne ich schmerzerfüllt auf, damit habe ich nicht gerechnet. »Ich habe dir gesagt: Nenn sie nicht so.«
Warmes Blut sickert aus der tiefen Wunde, als er sein Messer zurückzieht. Ich kann mir gerade noch so ein Wimmern verkneifen. Das wäre ja so was von ein Abtörner.
Alistair legt die Waffe beiseite und stützt sich mit beiden Händen auf dem Foltertisch ab, auf dem ich liege. »So, mein Hübscher. Ich denke, du bist nun genug geschwächt. Kommen wir zum lustigen Teil des Abends.«
Mein Mund öffnet sich, ohne dass ein Laut herauskommt. Verdammt, was hat er vor? »Also, ich fand es bisher schon ziemlich lustig«, ringe ich mir dann ironisch ab. »Für meinen Geschmack können wir jetzt gerne aufhören.«
»Ach, dieser Humor«, lächelt Alistair. »Deswegen habe ich dich ausgewählt. Ihr werdet ein gutes Team abgeben.«
Nun kann ich die Verwirrung nicht verbergen. »Was hast du vor?«, frage ich und spüre, wie Kälte durch meine Glieder schießt. Alistair antwortet nicht darauf, aber er beugt sich herunter, greift nach etwas und trinkt es. O mein Gott. Ist das etwa mein Blut?!
Der Dämon verzieht das Gesicht, als er fertig ist, sagt aber nichts, sondern packt nur meinen Unterarm und beginnt, etwas darauf zu ritzen. Ich kann das Symbol nicht erahnen, weiß aber, dass es nichts Gutes zu bedeuten hat.
»Nova avakuum de vinios vulca«, murmelt er, sobald er fertig ist, und mein Blut beginnt zu pulsieren. Das Zeichen brennt immer stärker, je öfter Alistair die Worte ausspricht.
»Oh fuck!«, rufe ich aus und kneife fest die Augen zusammen, winde mich unter den Fesseln vor Schmerzen. Fuck, fuck, fuck!
Hitze wallt durch meinen Körper, gefolgt von einer weiteren Schmerzwelle. Mein Kopf macht nicht mehr mit. Er erlöst mich und schickt mich in eine willkommene Ohnmacht, die mich in völlige Schwärze hüllt.
Blinzelnd werde ich wach und merke, dass ich nicht mehr gefesselt bin. Ich richte mich auf und hieve mich von dem Foltertisch. In meinem Schädel wummert es so heftig, dass ich taumle. Einige Sekunden lang dreht sich alles, dann wird es besser und ich kann mich aufrichten.
Einige Meter entfernt von mir erkenne ich Alistair, der mich unbeeindruckt mustert. Neben ihm lehnt sein kleines Flittchen gelangweilt gegen die dreckige Wand, die Hände in den Taschen ihres Hoodies vergraben. Ehrlich, ich habe Alistair einen besseren Geschmack zugetraut. Ihre rötlichen Haare fallen ihr lieblos bis auf die Schultern, ihr Gesicht wirkt blass und die Augen stumpf. Sicherlich könnte sie hübsch aussehen, wenn man sie in ein ordentliches Outfit steckt und mit Rouge oder sonst was nachhilft, aber gerade wirkt sie wie ein Junkie, dessen Schuss fällig ist.
»Ich bin enttäuscht. Erst machst du große Versprechungen und dann kippst du mir einfach weg. Dabei hatten wir doch so einen Spaß«, höhnt Alistair. Ich beiße die Zähne zusammen, schiele zu dem Tisch, der neben mir steht, auf dem immer noch die ganzen Messer liegen. Etwas stimmt nicht. Warum lässt er mich einfach gehen und bietet mir Waffen an, nach denen ich greifen kann?
»Du wirst mich nicht angreifen«, meint der Dämon gelassen und er hat recht. Ich kann nicht. Etwas hindert mich daran, etwas, das ich nicht greifen und gegen das ich mich nicht wehren kann. Es ist einfach eine Regel, die Alistair aufgestellt hat, und ich halte mich daran.
Die Erkenntnis trifft mich wie ein Schlag. Oh nein, hat er mich etwa …
»Ich habe dich an mich gebunden«, spricht Alistair meine Gedanken aus. »Toll, nicht? Es funktioniert sogar bei solchen wie dir. Ein bisschen Blut, und schon bist du an mich gekettet wie ein Hund.«
Wütend balle ich die Hände zu Fäusten. Davon habe ich schon gehört, aber es noch nie selbst erlebt. Mit einem Zauberspruch gelingt es einem Dämon, einen Menschen an sich zu binden, sodass dieser alles tun muss, was er vorschreibt. Dafür benötigt es aber einen sehr, sehr starken Höllenfresser.
Oh verdammt. Das ist mein Untergang. Die Engel werden mich töten, sobald sie merken, dass ich an Alistair gebunden bin. Sie werden niemals zulassen, dass ich für einen Dämon arbeite.
Der Gedanke ängstigt mich ein klein wenig, aber gleichzeitig fühle ich mich überlegen. Das war zwar ein netter Trick von Alistair, damit wird er aber nicht durchkommen. Sobald wir zurück auf der Erde sind, werde ich die Engel anfunken.
»Wie schön für dich«, sage ich deshalb nur und verschränke die Arme vor der Brust.
»Und was tue ich hier?«, fragt Kat und stößt sich von der Wand ab, um einige Schritte auf Alistair zuzugehen. »Soll ich seinen Babysitter spielen?«
Empört sehe ich sie an, werde aber von ihr ignoriert.
»So was in der Art«, erwidert Alistair. »Ihr werdet zusammen einen Auftrag abschließen. Es gibt da drei Menschen, die dringend von der Bildfläche verschwinden müssen.«
Durch meinen Kopf schießen drei Bilder. Ein Mädchen, sechzehn vielleicht, mit feuerroten Haaren, ein etwas älterer Junge mit Nerdbrille und braunem Schopf, zuletzt dann ein weiterer Kerl mit Militärhaarschnitt und starrer Miene.
Mein Schädel dröhnt, als die Bilder wieder verschwinden. »Diese Leute sind sehr gefährlich. Ihr müsst sie zuerst ausspionieren und ihre Schwächen herausfinden.«
»Ich kann das allein erledigen«, meint Kat trocken. »Wie immer.«
»Nein, du wirst sie nicht umbringen, das wird Hunter erledigen. Du wirst meinen neuen Freund begleiten und nicht von seiner Seite weichen. Und Hunter? Natürlich gebe ich dir den Befehl, die drei auszukundschaften und zu töten, sobald sich die Gelegenheit ergibt.«
Ich knirsche mit den Zähnen bei diesen Worten. Auch Kat scheint das ganz und gar nicht zu gefallen, aber sie erhebt keine Einwände, verzieht nur unzufrieden das Gesicht. Ich habe nichts dagegen. Sie wird für die Engel kein Hindernis darstellen, wenn sie kommen und uns beide vernichten.
»Ach, und Hunter«, wendet Alistair noch ein. »Kat ist dein Schutzschild vor deinen Engelsfreunden. Ihr seid aneinandergekettet. Dadurch verhindern wir, dass sie uns in die Quere kommen. Sie können dich nicht orten, nicht sehen, nicht retten.«
Meine Gesichtszüge entgleisen mir augenblicklich, während Alistair selbstzufrieden in die Hände klatscht. Verdammter Bastard! »Wenn dann alles geklärt ist, wünsche ich euch eine gute Reise. Enttäuscht mich nicht.«
Kats Blick brennt sich in meinen. Ihre Augen haben die Farbe von gut gereiftem Cognac, aber der Ausdruck darin ist stechend. Staub wirbelt auf, Wind umfängt mich. Oh nein, es geht wieder los. Hoffentlich muss ich nicht wieder kotzen.
Dieser Kerl geht mir jetzt schon auf die Nerven und ich bin mir ziemlich sicher, ihm geht es genauso. Hunter zieht ein missmutiges Gesicht, aber vielleicht liegt es auch daran, dass er gerade gekotzt hat.
Ich habe gerade mal wenige Stunden geschlafen, bis Alistair mich wieder zu sich geholt und mir einen längeren Auftrag angekündigt hat. Meine Erschöpfung ist nicht nur körperlicher Natur, vor allem geistig fühle ich mich müde und ausgelaugt.
Wartend lehne ich gegen die Mauer in meinem Rücken. Wir befinden uns in einer schäbigen Gasse, aber die Stadt ist mir unbekannt. Wenigstens ist es hier nicht so heiß wie in Arizona. Die Sonne knallt nicht so, stattdessen haben sich dicke Wolken davorgeschoben.
Hunter wischt sich den Mund ab und stützt sich an der Wand neben mir ab. »Was genau bist du, Jessica Jones?«
»Mein Name ist Kat«, stelle ich klar, ohne ihn anzusehen.
»Kat«, wiederholt er, aber aus seinem Mund klingt es wie eine Krankheit. »Du bist also Alistairs kleine Schlampe.«
Ich stoße mich ab und verlasse die Gasse, ohne darauf einzugehen. Er ist gezwungen, mir zu folgen aufgrund des imaginären Gummibandes in meinem Inneren, durch das Alistair uns aneinandergekettet hat.
»Wir sollten zumindest reden, wenn wir schon zusammenarbeiten müssen!«, ruft Hunter mir hinterher und holt auf.
Wir stehen vor dem Ortsschild von Harvey, North Dakota. Das war eine ganz schöne Reise.
»Hey, Püppchen.« Hunter besitzt tatsächlich die Dreistigkeit, mich anzustupsen. Am liebsten würde ich ihm eine runterhauen, aber Alistair hat mir kein Dämonenblut gegeben und damit habe ich keine Chance gegen ihn.
»Wen knöpfen wir uns zuerst vor? Das Mädchen oder einen der Typen?«, frage ich und Hunter mustert mich von der Seite, aber ich halte meinen Blick weiterhin auf die Stadt vor uns gerichtet.
»Fangen wir bei dem Mädchen an«, bestimmt er. »Wir gehen zur Highschool, da finden wir sie bestimmt.«
Er setzt sich in Bewegung und ich folge ihm. Jetzt, wo er mich nicht mehr ansieht, habe ich Gelegenheit, ihn zu mustern. Seine Gesichtszüge sind ernst und konzentriert. Ich zweifle daran, dass er das Ganze einfach so akzeptiert und für Alistair arbeitet, aber das ist nicht mein Problem. Darum soll der Dämon sich kümmern.
»Gefällt dir, was du siehst?«, fragt der Mistkerl unverschämt. Ich kneife die Augen zusammen, erkenne, was er macht. Sarkasmus, Zynismus und dieses Arschloch-Verhalten sind ein Schutzmechanismus, den ich nur allzu gut kenne.
»Ich sehe einen Jungen, der gerade von einem Dämon versklavt worden ist. Das scheint dich nicht zu überraschen.«
Schon als ich seine Wohnung gesehen habe, war mir klar, dass Hunter über all diese Dinge Bescheid weiß. Ich habe nur keinen blassen Schimmer, was er ist. Ein Mensch? Dafür ist er zu stark. Aber ein Dämon ist er sicher nicht.
Kurz wendet er mir den Kopf zu und funkelt mich an, bevor seine Züge sich wieder verhärten. »Ach Kat, mich überrascht gar nichts mehr.«
Es dauert nicht lange, die Highschool zu finden. »Und nun?«, hake ich nach, als wir vor dem Gebäude stehen. Die Straßen vor uns sind fast menschenleer, die Schüler sitzen wahrscheinlich alle im Unterricht. Diese Stadt wirkt wie ausgestorben.
»Wir warten, bis Mittagspause ist«, schlägt Hunter vor. »Dann mischen wir uns unter die Schüler und suchen nach dem Rotschopf.«
Demonstrativ ziehe ich eine Augenbraue hoch. »Ich bin einundzwanzig, ich gehe bestimmt nicht mehr als Schülerin durch.«
Er grinst mich unverschämt an. »Du sieht höchstens aus wie achtzehn, also nicht so übermütig. Komm mit.« Er geht vorneweg und schlendert auf das Gebäude zu. Ich aber bleibe an Ort und Stelle stehen und kämpfe gegen das Band an, das uns zusammenzieht. Kurz bevor Hunter das Schultor erreicht, ist er gezwungen, innezuhalten. Seine Muskeln versteifen sich und er wirft mir einen Blick über die Schulter zu. Ich könnte schwören, er beißt die Zähne zusammen.
Ein zufriedenes Lächeln schleicht sich auf meine Züge. Ich habe also ihn im Griff, ich gebe an, wohin wir gehen. Innerlich gebe ich Alistair dafür ein High Five.
Schließlich laufe ich langsam auf ihn zu, wobei Hunter trotzdem vor mir bleibt. Als ich das Gebäude betrete, werde ich sofort an meine Highschool-Zeit erinnert. Die gleichen tristen Gänge, die auch durch die Bilder und Ausstellungsstücke nicht verschönert werden können. Dieselben Spinde, manche verziert und manche einfach leer und lieblos. Die Highschool ist ein ätzender Ort, zumindest für Leute wie mich. Für Freaks, die nicht der Norm entsprechen.
Auch Hunter, der sich inzwischen wieder neben mich gesellt hat, ist ganz ruhig und ernst geworden, als hätte auch er hierfür keine positiven Gefühle.
Die Schulklingel ertönt und fast augenblicklich werden die Gänge mit Schülern gefüllt. Wir gehen unter in der Menge, werden aber gleichzeitig von neugierigen Blicken belagert. Hoffentlich treffen wir auf keinen misstrauischen Lehrer. Ein eisiger Klumpen setzt sich in meinem Magen fest, ich drohe in der Menschenmenge zu ersticken. Jemand greift nach meinem Handgelenk und zieht mich mit sich. Hunter.
Ich will mich ihm entreißen, aber dadurch wird sein Griff nur fester. Er zerrt mich in die Kantine, bevor er mich endlich loslässt, und ignoriert meinen bösen Blick. Stattdessen läuft er weiter nach hinten zu den Mülltonnen, wo wir einen guten Überblick haben. Ich schaue mich im Raum nach der Rothaarigen um, entdecke sie aber nicht.
Schüler lachen und unterhalten sich, einige Vollpfosten werfen Mädchen anzügliche Bemerkungen zu und grölen dann wie Tiere. Solche Orte waren mir schon damals zuwider.
»Lass uns nach draußen gehen«, schlage ich vor, als mir ein Gedanke kommt. Ich selbst habe früher lieber an der frischen Luft gegessen, anstatt in der Kantine.
Hunter nickt mir zu und ich laufe vorneweg durch die Tür, die uns zum Hinterhof bringt. Dort fällt sie mir sofort auf. Sie sitzt auf einer der Bänke, vertieft in ein Buch und mit Kopfhörern auf den Ohren. Die roten Haare fallen ihr über die Schultern, aber das ist das einzig Auffällige an ihr. Ansonsten wirkt sie wie ein Mauerblümchen.
Wir setzen uns etwas abseits hin, von wo aus wir sie trotzdem beobachten können. Hunter neben mir lehnt sich entspannt zurück. Er sagt kein Wort und auch ich habe nicht das Bedürfnis, mit ihm zu reden.
Die ganze Pause lang wende ich meinen Blick nicht von ihr ab, aber es passiert nichts. Sie sitzt einfach nur da und liest. Nachdem es geklingelt hat, packt sie ihre Sachen zusammen und verschwindet im Inneren, ohne Notiz von uns zu nehmen.
»Das war ja mal die langweiligste Observation aller Zeiten«, seufzt Hunter und erhebt sich. Ich kann ihm nur zustimmen.
Wie Stalker warten wir auf sie und nehmen den gleichen Bus, der sie bis zur Haustür bringt. Hunter wendet sich ab und tippt betont geschäftsmäßig etwas in sein Handy, während ich unser Opfer beobachte. Sie verschwindet in einem unauffälligen Einfamilienhaus, sieht nicht zurück oder bemerkt, dass ich sie anstarre. Ein normales, unbekümmertes Mädchen. Und das soll gefährlich sein? Sonst habe ich alles von mir ausgeschlossen und meine Arbeit erledigt, ohne lange darüber nachzudenken, wen ich umbringen musste. Aber das ist kein normaler Auftrag, das ist mehr.
»Setzen wir uns in das Café da hinten, da haben wir einen guten Blick auf das Haus«, sagt Hunter, ohne von seinem Handy aufzusehen.
Ich erhebe keine Einwände.
Wir sitzen den ganzen Nachmittag in dem Café. Ich trinke einen Kaffee nach dem anderen, während Kat stundenlang ein Wasser vor sich stehen hat und es nicht anrührt. Schließlich lasse ich es richtig krachen und bestelle mir Pancakes mit extra viel Sahne.
Kat blickt mit hochgezogener Augenbraue auf meinen Nachtisch und zurück in mein Gesicht. »Was?«, frage ich nach. »Wenn man tagelang von einem Dämon gefoltert wird, darf man sich auch mal was gönnen!«
Die Leute am Nebentisch werfen uns einen verwirrten Blick zu, aber ich ignoriere sie. Schon früh habe ich gemerkt, dass Menschen solche Aussagen in der Öffentlichkeit nicht so ernst nehmen. Sie halten einen höchstens für verrückt.
Kat verengt die Augen. Das ist wohl eine Angewohnheit von ihr, denn es ist mir schon öfter aufgefallen.
»Alistair hat dich gefoltert?«, hakt sie mit gesenkter Stimme nach. Ich zucke mit den Schultern und wende mich dann meinen Pancakes zu. Dann schiele ich doch zu ihr hoch. In ihren Worten lag weder Überraschung noch Tadel und auch in ihrem Blick kann ich nicht ablesen, ob diese Tatsache sie schockiert oder nicht. Sie sieht einfach gleichgültig aus. Als würde es sie nicht kümmern, als hätte sie nur gefragt, um ein Gespräch anzukurbeln. Was stimmt bloß nicht mir ihr?
Ich schiebe mir eine Gabel von den Pancakes in den Mund, ohne sie aus den Augen zu lassen. Ihr Blick schweift aus dem großen Fenster, an dem wir sitzen, zu dem Haus des rothaarigen Mädchens, während sie eine Strähne ihres rötlichen Haares um den Finger wickelt. Es ist nicht so feuerrot wie das unseres Opfers, weniger auffällig.
»Wurdest du auch an Alistair gebunden, so wie ich?«, hake ich nach. Kat zuckt nur mit den Schultern.
»Ist doch eine einfache Frage. Ja oder nein?«, bohre ich weiter.
»Hier passiert nichts mehr«, wechselt sie unvermittelt das Thema. »Und es wird dunkel. Wir sollten uns einen Schlafplatz suchen.«
Murrend stimme ich ihr zu. Noch während ich esse, suche ich mit dem Handy nach einem freien Zimmer in der näheren Umgebung. »Anderthalb Kilometer von hier gibt es ein Motel«, informiere ich sie knapp.
Sie nickt und trinkt einen Schluck von ihrem Wasser. »Dann sollten wir gehen.«
Ich begleiche die Rechnung und erhebe mich. Meine Glieder fühlen sich von dem vielen Herumgehocke taub an, weshalb ich die Arme über den Kopf strecke und sie dann gähnend ausschüttele. Das Nichtstun macht einen echt müde. Vielleicht sind es aber auch die vielen Stunden auf der Folterbank.
Wir treten schweigend an die frische Abendluft und ich blicke zum Horizont, an dem die Sonne schon verschwunden ist. Kat hat recht, bald wird die Dunkelheit hereinbrechen.
Über den Navigator in meinem Handy suche ich nach dem Motel und lasse mich von ihm führen. Kat folgt mir mit schnellen, strammen Schritten. Die Entfernung scheint ihr nichts auszumachen, sie ist fit. Und stark. Stärker als ich, wie ich schmerzhaft feststellen musste. Es ist mir schleierhaft, warum sie sich heute in der Schule nicht gegen meinen Griff gewehrt hat, auch wenn sie es kurz versucht hat. Die Frau ist mir ein einziges großes Rätsel.
Innerhalb einer Viertelstunde haben wir die Distanz hinter uns gebracht und stehen vor einem schäbigen Motel. Die Schrift ist abgeblättert, der Vorgarten hat seine besten Zeiten längst hinter sich gelassen.
»Na, das sieht ja einladend aus«, merke ich ironisch an, als ich die Tür aufschiebe und Kat den Vortritt lasse. Sie rümpft die Nase, erwidert aber nichts und geht ins Innere. Dort sieht es nicht viel besser aus. Alte Möbel stehen im Empfangsbereich herum. Nicht alt im Sinne von charmant alt, sondern sperrmüllreif.
Ein älterer Herr sitzt hinter dem Tresen und starrt uns entgegen, ohne uns zu begrüßen.
»Guten Abend«, sage ich und hole mein Portemonnaie hervor. »Wir brauchen zwei nebeneinanderliegende Einzelzimmer bitte.«
»Haben wir nicht mehr«, erwidert er schroff. »Nur eins im vierten und eins im zweiten.«
Ich knirsche mit den Zähnen. Solange ich nicht weiß, wie weit die Zimmer voneinander entfernt sind, kann ich sie nicht nehmen. Immerhin sind wir dank dieses dämlichen Dämons aneinandergekettet wie zwei Hunde. Ich sehe hinab zu Kat, die mir einen tödlichen Blick zuwirft. Mir bleibt leider keine andere Wahl.
»Dann ein Doppelzimmer, für eine Woche erst mal. Nehmen Sie MasterCard?«
Kat tritt mir auf den Fuß und ich beiße mir auf die Zunge, eher vor Überraschung als vor Schmerz. Hey! Was soll das denn?
»Ja. Ich gebe Ihnen Zimmer Nr. 323. Frühstück ist um acht.«
Ich zahle mit Kreditkarte und nehme den Schlüssel entgegen. Gemeinsam mit Kat steige ich in den Aufzug. »Sieh mich nicht so an!«, verteidige ich mich, sobald die Türen sich geschlossen haben. »Wenn die Zimmer zu weit auseinandergelegen wären, dann müssten wir ohnehin in einem Zimmer schlafen.«
»Du hättest ja fragen können«, faucht sie und dreht sich weg von mir. Auch wenn sie wütend ist, kann ich ein Grinsen nicht unterdrücken. Zumindest zeigt sie irgendeine Gefühlsregung.
»Grins nicht so bescheuert«, schiebt sie hinterher.
»Woher weißt du, dass ich grinse, wenn du mich nicht ansiehst?«, hake ich nach und versuche mit aller Kraft, das Lächeln aus meiner Stimme zu verbannen.
»Ich weiß, dass du es tust«, beharrt Kat, aber ich erwische sie dabei, wie sie kurz zu mir schielt, um sich zu vergewissern.
Die Türen öffnen sich, ehe ich etwas dazu sagen kann, und meine Mitstreiterin stapft aus dem Aufzug den Flur entlang. Da ich den Schlüssel habe, muss sie auf mich warten, bis auch ich Zimmer 323 erreicht habe und ihr aufschließe. Wie erwartet, steht ein Doppelbett im Raum. Kat geht zielsicher darauf zu und setzt sich.