Katharina, Marie und ihre vier Männer - Tine Ratig - E-Book

Katharina, Marie und ihre vier Männer E-Book

Tine Ratig

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Beschreibung

Katharina und Marie, beide Anfang 30, sind seit Ewigkeiten beste Freudinnen, wenn sie auch mittlerweile in entgegengesetzten Ecken des Landes wohnen. Also schreiben sie sich. Briefe, SMS und vor allem Mails, und zwar zu jeder Tages- und Nachtzeit. Denn obwohl sie eigentlich glücklich verheiratet sind, bleibt der große Zweifel: War’s das jetzt schon? Ist das wirklich der Mann für den Rest des Lebens? Dann passiert allen beiden der Beziehungs-GAU: Sie verlieben sich fremd, Katharina in Karsten und Marie in Tom. Und in ihrem Leben bricht das Chaos aus: bleiben oder gehen? Die kleine, wohlvertraute Alltagsödnis – oder der große Sprung in einen ungewissenen Traum?

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Seitenzahl: 280

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Buch

Katharina und Marie sind beste Freundinnen, seit einer gefühlten Ewigkeit. Nur lebt die eine mittlerweile im Norden Deutschlands, die andere im Westen. Also schreiben sie sich, und zwar so oft wie möglich – und meistens über Männer und Beziehungen. Beide sind verheiratet, und beide glauben an die Theorie vom 15-Prozent-Mann. Sie besagt, dass wir einen Mann finden können, der ziemlich gut zu uns und unseren wirren Bedürfnissen passt. Der deckt dann 85 Prozent dessen ab, was uns wichtig ist. Was aber ist mit den restlichen 15 Prozent?

Und dann kommt es, wie es kommen muss: Mitten hinein in ihre 15-prozentige Beziehungsunsicherheit verlieben sich beide fremd: Katharina in Karsten, Marie in Tom. Der Weg ins hundertprozentige Glück? Ist es Zeit zu gehen und etwas Neues zu wagen – und wann ist man im sicheren Hafen angekommen? Katharina und Marie jedenfalls erleben erst einmal eine ungemein stürmische Reise …

Unterhaltsam und intelligent erzählt »Katharina, Marie und ihre vier Männer« von zwei Frauen und den wackeligen Beinen, auf denen wir uns alle durch unser Beziehungsleben tasten – unterhaltsam, intelligent, und unglaublich echt.

Autorinnen

TINE RATIG, 34, war auf der Deutschen Journalistenschule in München und hat an der LMU Diplom-Journalistik und Biologie studiert. Sie arbeitet als Journalistin und lebt mit ihrem Mann und ihren beiden kleinen Töchtern in München.

HANNAH WILHELM, 38, arbeitet als Redakteurin bei der Süddeutschen Zeitung in München und lebt mit zwei eigenen und zwei geliehenen Söhnen im Voralpenland. Sie hat die Deutsche Journalistenschule in München besucht, an der LMU Diplom-Journalistik studiert und in Kommunikationswissenschaften promoviert.

TINE RATIGHANNAH WILHELM

Katharina, Marie und ihre vier Männer

Roman

Der Goldmann Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

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Originalausgabe September 2016

Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Copyright © 2016 by Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München

Umschlagmotiv: FinePic®, München

Th · Herstellung: Str.

ISBN: 978-3-641-17723-2

www.goldmann-verlag.de

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April

Am 21. April 8:12 schrieb Marie Arend

Liebe Katharina.

Was, wenn das alles ein Fehler war? Wenn ich Michael nie hätte heiraten dürfen? Wenn ich mich einfach geirrt habe? Marie

Am 21. April 8:22 schrieb Katharina Marten

Gerade wollte ich dir schreiben: Liebe Marie,das war ein schönes Wochenende mit euch, so zu viert. Immer ein bisschen schade, dass wir nicht in Ruhe reden können, wenn die Männer dabei sind, aber es war trotzdem toll. Und dann das von dir. Ein Fehler? Wieso denn ein Fehler?

Katharina

Am 21. April 18:47 schrieb Marie Arend

Weil ich ihn nicht mehr ertrage. Körperlich nicht und sowieso. Alles in mir wehrt sich gegen ihn. Ich möchte nur noch weg, weg von ihm. Hat man das nicht gemerkt? Ich habe das Gefühl, man sieht es mir an. Dass jeder in meinem Gesicht lesen kann, wie sehr ich nur noch wegmöchte.

Ich weiß gar nicht, was ich tun soll, liebe Katharina. Ansprechen kann ich es nicht. Michael und ich hatten nie Probleme. Er hasst Probleme. Also hatten wir keine. Wie soll ich da sagen: Wir müssen reden, ich ertrage dich nicht mehr? Wie sagt man sowas überhaupt? Und dann noch jemandem wie Michael?

Ach Katharina. Ich weiß ja auch nicht. Warum fühlt sich das alles nur wie ein riesiger Fehler an? Wir waren doch mal glücklich. Ihr wart doch auf unserer Hochzeit. Kam dir da irgendwann der Gedanke, ich könnte nicht glücklich sein? Mir nicht. Mir nie. 

Umarmung aus Berlin. Dienstreise. Immerhin: zwei Tage weg aus meinem Leben.

Am 22. April 8:20 schrieb Katharina Marten

Liebe Marie.

Ja, glücklich. Tolle Hochzeit war das. Tolles Paar. Ich weiß noch, wie Susanne sagte: das perfekte Paar.

Auch wenn ihr das perfekte Paar wart und nie Probleme hattet. Dann ist es halt nicht mehr perfekt. Dann habt ihr halt zum ersten Mal Probleme. Ja und? Probleme gehören dazu. 

Rede mit ihm. Sag aber auf keinen Fall: Ich ertrage dich nicht mehr. Das ist zu hart. Destruktiv. Daraufhin könnt ihr euch nur noch trennen. Und du willst doch dran arbeiten. Oder?

Katharina

PS: Nein, ich habe nichts gemerkt. Überhaupt nicht. Du hast seine Hand genommen beim Wandern. Nicht umgekehrt. Und am See, als dir kalt wurde, hat er dir seinen Pullover um die Schultern gelegt. Sehr liebevoll sah das aus. Fürsorglich.

Am 22. April 14:04 schrieb Marie Arend

Ach je, Katharina.

Ich glaube, ich liebe einen anderen.Und so hingeschrieben sieht das ganz schlimm aus.Bestimmt bin ich schuld. Naiv, gefallsüchtig, unstet. Dir würde sowas nicht passieren.

Am 22. April 14:06 schrieb Katharina Marten

Doch.

Am 22. April 14:07 schrieb Marie Arend

Bitte?

Am 23. April 19:30 schrieb Katharina Marten

Liebe Marie.

Doch, würde es. Ist es.

Ich habe vorhin versucht, dich zu erreichen. Ich wollte das lieber am Telefon mit dir besprechen.

Kennst du die Theorie vom 15-Prozent-Mann?

Sie besagt, dass wir einen Mann finden können, der ziemlich gut zu uns und unseren wirren Bedürfnissen passt. Wenn wir Glück haben, deckt er 85 Prozent dessen ab, was uns wichtig ist.

Ich hätte gern:

– einen erfolgreichen Mann (bingo),

– der mir morgens meinen Kaffee ans Bett bringt (bingo),

– der mich oft zum Lachen bringt (semi-bingo) und

– mich ungeschminkt am schönsten findet (bingo). Der aber bitte auch

– spontane Wochenendtrips plant (Fehlanzeige),

– mich hin und wieder mit einem Geschenk oder Blumen überrascht (Fehlanzeige),

– mit dem ich hervorragenden Sex habe (bingo),

– und zwar oft und spontan (Fehlanzeige),

– der mich fragt, wie mein Tag war und wie es mir geht (bingo),

– um anschließend unaufgefordert das Bad zu putzen (Fehlanzeige).

Ich finde, ich habe einen sehr guten Mann. Aber so toll er ist, er kann nicht alle meine Bedürfnisse erfüllen. Ich bin nämlich nicht ich. Ich bin viele. Das ist total unpraktisch! Die meisten von uns lieben die emotionale Sicherheit, die Simon uns gibt. Aber ein paar von uns fehlt die Leidenschaft. Der Mut, auch mal was außerhalb des Wellnessbereichs des Lebens zu unternehmen (das beschränkt sich bei Simon aufs Berufliche). Und einer ganz kleinen Minderheit von uns – ich schäme mich, das zu schreiben –, wirklich nur einer ganz ganz kleinen Minderheit fehlt … Machotum. Ein klein wenig.

Hier kommt also der 15-Prozent-Mann ins Spiel. Ich lernte ihn bei der Arbeit kennen. Ich betreue eine Studie zu einem neuen Medikament. Der 15-Prozent-Mann ist in Freiburg mein Ansprechpartner. Er ist Hand­chirurg. Riesen-Ego. Dafür wenig reflektiert. Generell sehr zupackend. Er hat ein Kinn wie Viggo Mortensen. Und blaugrüne Augen.

Und bei dir?

Deine Katherina

Am 24. April 7:57 schrieb Marie Arend

Nein, ich kannte die Theorie nicht. Ich finde sie aber sehr schlüssig. Nur dass Michael bei mir auch die 85 Prozent nicht erreicht. Wie gesagt: Ich bin schuld. Ich hätte diese Rechnung vor unserer Hochzeit aufmachen sollen. Er stillt etwa 33 Prozent meiner Bedürfnisse. Alle die, die in Richtung Sicherheit, Geborgenheit, Berechenbarkeit und Treue gehen. Aber 66 Prozent stillt er nicht. Das Drittel in mir, das Abenteuer braucht und Spontanität und Herausforderungen und Humor. Und das Drittel, das emotional verstanden werden will. Michael ist da. Und das war mir wahrscheinlich so wichtig, dass ich den Rest weggedrückt habe. Aber 66 Prozent kann man nicht auf Dauer wegdrücken. Katharina. Ich hab‘s verbockt.

Tom. Unternehmensberater, gerade bei uns in der Bank, um den Mist abzuräumen, den die Chefs in den letzten drei Jahren gebaut haben. Tom. Tom. Tom. Sehr groß, sehr blaue Augen. Er ist eine Erscheinung. Wenn er in den Raum kommt, sehen ihn alle Menschen an. Auch die Männer.

Am 25. April 8:17 schrieb Katharina Marten

Liebe Marie.

Wenig Spontanität und kein Abenteuer, na gut, das dachte ich schon. Entspricht nicht Michaels Charakter. Aber kein Humor? Keine emotionalen Gespräche? Über wen schreibst du denn da? Doch nicht wirklich über euch. Ihr seid Marie und Michael. Ihr seid das Paar des Jahrzehnts. Ihr seht aus, als wäret ihr einer Werbung für Zahnpasta entstiegen.

Ich hatte eine schlaflose Nacht. Ich habe über euch nachgedacht, aber auch über mich und meine Beziehung. Bislang war das gar nicht wirklich wahr, was ich da mache. Täglich mailen und simsen mit einem Mann, der nicht meiner ist. Bislang blendete ich das aus. Ich nehme Simon ja nichts. Die Gedanken sind frei. Ist doch so. Oder? Aber vorgestern habe ich es aufgeschrieben. Nun habe ich mit dir eine Mitwisserin. Plötzlich ist es real.

Wo beginnt Betrug? Bei einem Kuss? Bei Sex? In beiden Fällen bin ich unschuldig (noch). Aber ich verstecke mein Handy vor Simon. Ich achte darauf, dass er das Display nicht sehen kann, wenn ich tippe. Ich verberge etwas. Er darf auf keinen Fall lesen, was für Nachrichten ich schreibe. Und welche ich bekomme. Die Antwort auf meine Nacht-Frage ist ganz einfach. Wo beginnt Betrug? Da, wo ich mich im umgekehrten Fall betrogen fühlen würde. Entdeckte ich solche Botschaften auf Simons Telefon, ich würde nicht darüber hinwegkommen.

Wenn ich Simon behalten will, muss ich dieses Geschreibe und Gesimse mit Carsten beenden. Richtig?

Ach verdammt –

deine Katharina

Am 28. April 08:19 schrieb Marie Arend

Liebste Freundin.

Auch bei mir: viele schlaflose Nächte. Pausenlos über Dinge nachdenken, über die man ganz sicher nicht nachdenken möchte. Unter anderem: Wie erginge es mir, wenn ich in Michaels Situation wäre? Wenn der Mensch, mit dem ich mein Leben plane, meine Anwesenheit nicht mehr ertragen könnte? Wenn er mich betrügen würde? Pausenlos. In Gedanken, in Nachrichten, Mails, am Telefon und dann auch tatsächlich. Ich will es mir nicht vorstellen, was ich da bei Michael anrichte.

Ich muss mich gar nicht fragen. Mein Betrug hat längst begonnen, Katharina.

Ja, wenn du weiter mit Simon sein willst, musst du das lassen. Ich sag es dir nur so klar, weil du es ja selbst längst weißt.

Marie

Mai

Am 5. Mai 8:29 schrieb Katharina Marten

Liebe Marie.

Ich habe so lange mit der Antwort gewartet, weil ich nicht sicher war, ob ich dir dies hier erzählen möchte. Niemand weiß es. Solange nur ich es weiß, könnte es genauso gut einfach nicht wahr sein. Aber vielleicht verstehst du mich.

Ich mache nicht zum ersten Mal einen Mann in mich verliebt. Es ist ein kleines Hobby von mir. Gut für mein Ego und so einfach. Immer schön bewundern und nett lächeln. Zack, erklärt er dir, dass du die tollste Frau des Universums bist. Wie schriebst du über dich? Gefallsüchtig, unstet? Ja. Das bin ich.

Ich bin ein Kind der Aufklärung. Ich kann meine Bedürfnisse erklären, wenn es sein muss auch wissenschaftlich. Ich erkenne, dass diese Bedürfnisse so widersprüchlich sind, dass ein Mensch allein sie unmöglich erfüllen kann. Sei er noch so toll. Aber ich bin auch ein Kind der Romantik. Ich träume von der einen, großen Liebe, die keinen Raum für andere lässt. (Wie du es offensichtlich gerade von Tom denkst, richtig?) Davon, dass es den 100%-Mann doch gibt. Wir Gegenwartsmenschen binden uns zumeist in Zweiergespannen zusammen, obwohl diese erkennbar oft knirschen. Was Besseres fällt mir auch nicht ein, also habe ich Simon geheiratet. Und den Rest, das kleine bisschen Abenteuer, die Aufmerksamkeit, Aufregung, Bewunderung, Komplimente, habe ich outgesourct. Wurde ein Flirt zu heiß, habe ich den Mann brav verabschiedet: »Du bist der beste aller Männer. Leider haben wir uns zu spät kennengelernt, ich bin schon verheiratet. Meine Ehe ist mir zu wichtig. Du kennst mich so gut, ich weiß, dass du das verstehst.« Nach dieser Ansage kam meist eine für mich herrliche Phase mit täglichen Liebeserklärungen. Ja, gefallsüchtig. Mein Charakter ist schlechter als du dachtest, richtig?

Dann kam Carsten. Er ist so schön. Ich wollte, dass er mich toll findet. Auch ihm habe ich Komödie vorgespielt, viel gelächelt, ihn wortreich bewundert. Hat funktioniert. Der Haken ist dieses Mal, dass ich ihn wirklich toll finde. Deshalb war es nicht so leicht, mein Standard-Verabschiedungssprüchlein aufzusagen. Nach deiner letzten Mail war mir klar: Ich muss es dennoch tun. Das habe ich dann auch. Letzte Woche war ich in Freiburg. Carsten hat mich wie immer zum Essen eingeladen. Wie immer hielten wir Händchen, sahen uns lange in die Augen. Nur habe ich diesmal nicht so viel gelächelt.

Seitdem, Marie, schreibt er mir täglich fünf Mal. Er ist in der Phase der hollywoodriesigen Gefühle. Und jetzt kommt‘s. Ich falle darauf rein. Ich falle auf die Komödie herein, die ICH inszeniert habe. Mein Verstand durchschaut den Mechanismus. Meine Gefühle interessiert das nicht.

Erzähl mir von dir. Wie ist der Stand? Mit Michael, mit Tom, mit dir?

Es drückt dich fest –

deine Katharina

Am 5. Mai 21:16 schrieb Marie Arend

Liebste Katharina.

Nein, ich halte dich überhaupt gar nicht für mies. Nicht mal im Ansatz. Du warst offensichtlich nur schon immer realistischer als ich. Du wusstest, dass ein Mensch alleine dich nicht glücklich machen kann. Wie klug von dir. Und wie dumm von mir zu denken, dass Michael genau das tun könnte. Ich habe alles andere ausgeblendet. Acht Jahre gab es nur ihn, uns, nichts sonst. Ich habe seine, meine Fehler verdrängt und uns und allen anderen eine goldene Beziehung vorgegaukelt. Wie tief man da fallen kann!  Das sehe ich jetzt. Das Lügengebäude bricht auseinander, und alles ist nur noch hässlich. Nicht weil es das per se ist. Sondern weil ich einfach jahrelang alles verdrängt und zugekleistert habe. Und dabei hat sich so viel aufgestaut an Wut, Unverständnis, Bedürftigkeit. Ich brauche. ICHBRAUCHE. Und zurzeit brauche ich Tom. Ich habe das Gefühl, dass Michael nichts richtig machen kann. Ich bin so ungerecht zu ihm. 

Ich habe einfach mich vernachlässigt. Ich war nur noch Beziehung. Mein Gott, wie bin ich naiv gewesen.  

Ein Gedanke, ich hoffe, du hältst mich nicht für unmoralisch: Ist das, was du bisher getan hast, nicht vielleicht sogar ein Weg. Ein realistischer? Tun Flirts dem Partner weh? Oder stabilisieren sie nicht sogar zeitweise eine Beziehung und helfen ihr über Phasen hinweg, in denen die 15 Prozent, die einem beim Partner fehlen, besonders ins Gewicht fallen? Oder ist das ein wackliges Modell, weil irgendwann ein Carsten kommt, bei dem man dann auf seine eigene Inszenierung hereinfällt?

Am 7. Mai 8:22 schrieb Katharina Marten

Liebste Marie.

Pf. Ich glaube, dass ich sehr sehr dumm bin. Ich hielt mich für besonders clever, weil ich ach so realistisch war. Ich beurteilte meine Flirts genauso, wie du es schreibst: als Stabilisator. Sie nahmen Simon nichts, er ahnte nichts, sie wurden ihm nie gefährlich. Denn ich war nie ernsthaft an einem anderen Mann interessiert. Nur eben gefall- und aufmerksamkeitssüchtig. Das konnte ich mir verzeihen und mir mein Handeln sogar schönreden. Ich entlaste Simon. Klar.

Das ist nicht clever, das ist bodenlos naiv.

Ich muss aufhören. Ich schreibe Carsten nicht mehr, seit zwei Tagen. Das ist wahnsinnig schwierig. Ich vermisse seine Worte. Bei jeder eingehenden SMS greife ich sofort zum Handy. Ich hoffe, dass er mir schreibt, obwohl ich mich nicht melde. Heute habe ich sieben Mal angefangen, eine Nachricht an ihn zu tippen. Ein Gedanke hat mich jeweils am Absenden gehindert: Simon und ich haben übermorgen Hochzeitstag. Wir wollen schick essen gehen. Ich möchte mir an diesem Abend selbst glauben, dass ich es schaffe, Carsten aus meinem Leben rauszuhalten. Simon ist mein Mann. Er ist meine Zukunft.

Ich bin völlig verwundert. Ich kenne euch nur als Paar. Ihr passt so gut zueinander. Nach unserem gemeinsamen Schweden-Urlaub hatte ich ansatzweise Komplexe. Ich habe Simon gefragt: Ist es eigentlich normal, dass wir so viel weniger miteinander reden als Marie und Michael? Und ist es ein Zeichen von Lieblosigkeit, dass wir viel weniger Körperkontakt haben? (Er fand übrigens nein. Wir reden gern miteinander und können alle wichtigen Dinge ansprechen, argumentierte er. Und seit diesem Gespräch nimmt er mich öfter in den Arm, auch wenn andere dabei sind.) 

Du musst, fürchte ich, für mich etwas mehr ins Detail gehen. Warum bist du wütend, unverstanden, bedürftig? Inwiefern hast du dich verleugnet?

Katharina

Am 10. Mai 22:53 schrieb Marie Arend

Ach du hast ja recht. Ich wusste es ja auch schon in dem Moment, als ich dich gefragt habe. Dass das eine Blödsinns­idee ist. Aber es klang nach einer Lösung. Und eine Lösung brauche ich.

Als ich Michael kennenlernte, war ich gerade verlassen worden. Du und ich kannten uns damals noch nicht. (Jetzt ist das undenkbar. Ein Leben ohne Katharina, ha!). Schade, sonst hätte ich mit dir reden können. Das hätte es besser gemacht, dann hätte ich mehr verstanden. So aber war ich das erste Mal in meinem Leben verlassen worden. Und zwar so richtig fies. Wir waren zwei Jahre zusammen gewesen und hatten nach ewigen Rangeleien endlich einen gemeinsamen Mietvertrag unterschrieben. Er war so ein typischer Flucht-Mann. Jörg. Selbstsicher, schön, durchsetzungsfähig. Und bloß keine Nähe zulassen. Frauen lieben sowas ja, weil sie dann beweisen können, dass sie diesen Flucht-Mann zähmen können. Dass sie die Auserwählte sind. Klar. Kurz und gut: War ich nicht, die Auserwählte. Sobald ich meine Wohnung in Frankfurt gekündigt hatte und auf dem Weg nach Köln war, betrog er mich mit einer anderen. Ich war so gekränkt. Nicht wegen des Typs. Ich hatte schon lange nicht mehr um ihn gekämpft, sondern nur noch um das Gefühl, die Auserwählte zu sein. Und dass ich es dann nicht war – was für eine Blamage.

Und dann kam Michael. Michael war genau das Gegenteil von diesem Idioten. Er wollte mich, sofort und mit allem. Ohne Zweifel. Wir lernten uns auf einer Party in Frankfurt kennen, auf der ich ihm mein Leid klagte, und er sagte: »Mein Mitbewohner ist gerade ausgezogen, zieh doch bei mir ein. Wir werden sowieso irgendwann heiraten.« Also zog ich bei ihm ein. Es tat so gut. Und einen Monat später fragte er mich eines Morgens: »Und wo fahren wir dieses Jahr in Urlaub hin?« So, als ob klar war, dass noch tausend weitere Jahre und Urlaube folgen werden. Keine Kämpfe. Stattdessen nur Gewissheit und Sicherheit. Ich bin versunken in diesem weichen Gefühl, es hat mich eingelullt, alles heil gemacht. Und dabei habe ich nicht gemerkt, dass diese Sicherheit einen Preis hat. Ich habe unterbewusst alle meine anderen Bedürfnisse, die dem entgegenstanden und die Michael nicht verstanden hätte, verdrängt. Die Abenteuerlust. Die Lust am wilden Sex. Die Lust auf Neues. Und das Bedürfnis, über meine traurigen Gedanken reden zu können. All das hätte Michael nicht verstanden. Seine Welt ist einfach. Man liebt sich. Man hat dieselben Bedürfnisse. Man ist glücklich und hat keine traurigen Gedanken. Punkt. Also habe ich das alles verdrängt und weggepackt. Aber es war da. Unbefriedigt und unverstanden. Und jetzt bricht es raus. Acht Jahre brechen raus und sind stinkwütend auf den armen Michael, der ja nichts gemerkt hat von alldem. 

Ob Tom die Lösung ist? Es fühlt sich so an. Ich bin süchtig nach ihm. Die Vorstellung, ihm gerade zwei Tage keine SMS zu schreiben, wie du es tust, ist unvorstellbar. Aber, liebe Katharina, ich trau mir nicht mehr. Wie kann ich auch. Nach all dem, was ich verbockt habe.

Wie war euer Hochzeitstag?

Deine Marie

Am 13. Mai 8:40 schrieb Katharina Marten

O, du arme Marie. So ein Trottel, der Flucht-Mann. Mit so einem war ich nie zusammen. Dafür mit einem, der echt kaputt war. Ich glaubte, ihn heilen zu können. Er behandelte mich nicht gut. Aber ich dachte immer: Erst kriegen wir seine Probleme in den Griff, dann arbeiten wir an diesen Kleinigkeiten. Himmel. Ich bin echt klüger geworden. Wenigstens einmal. Ich habe mir danach nie wieder jemanden gesucht, von dem ich den Eindruck hatte, ich müsste ihn retten.

Ansonsten bin ich dümmer denn je, aber dazu später mehr.

Es leuchtet ein, was du schreibst: Dein Bedürfnis nach emotionaler Sicherheit war nach diesem Jörg-Erlebnis so übergroß, dass dir Abenteuer weniger wichtig erschienen. Da war Michael genau der Richtige. Herausragend mutig ist er tatsächlich nicht. Aber, Marie. Michael ist einer der klügsten Männer, die ich kenne. Könnte er nicht lernen, mit dir über Trauriges zu sprechen? Und das Sexproblem nehme ich dir nicht ab. Du willst mir doch nicht erzählen, dass ihr all die Jahre lahmen Sex hattet. Im Ernst. Männer wollen doch gefallen. Gerade im Bett. Das ist doch das Einfachste der Welt. Du fragst, weißt du, was ich schon immer mal ausprobieren wollte, und trara, machen sie sich mit Feuereifer deine Idee zu eigen. Nein? Marie. Das ist doch deine Ehe. Besteht für sie gar keine Hoffnung mehr? Und wenn nicht: was dann? Ziehst du aus eurer Wohnung aus und bei Tom ein? Und er liefert dann Abenteuer, rohen Sex, innige Gespräche und emotionale Sicherheit?

Nun zu meiner Dummheit und unserem Hochzeitstag.

Er war eine Katastrophe.Ich war nach der Arbeit extra noch beim Waxing. Am Tag zuvor schon bei der Pediküre. Simon hatte einen langen Arbeitstag, deshalb haben wir schick essen gehen verschoben und uns in unserer Lieblingsbar getroffen. Wir waren vergnügt. Wir tranken nur ein bisschen, denn wir hatten ja noch Pläne. Dachte ich.

Auf dem Nachhauseweg alberten wir, Carsten war in weiter weiter Ferne. Alles war gut. Bis ich zu Simon sagte, er hätte einen Wunsch frei. Ich dachte an so was wie: einen Blowjob, auf der Stelle. Ein Rollenspiel. Irgend so was. Er antwortete: Ich habe tatsächlich einen Wunsch. Aber ich traue mich nicht, ihn auszusprechen.Doch, ich bitte darum. Ich wünsche mir, dass ich heute keinen Sex mehr haben muss.

Ich biss mir in die Hand, was anderes fiel mir nicht ein. Er setzte sofort zu Erklärungen an, harte Woche, langer Tag, lieber morgen nach dem Aufwachen in Ruhe. Aber es war zu spät. Ich fühle mich gedemütigt. Verstehst du das? Simon hat alles versucht, mir dieses Gefühl zu nehmen. Er nahm mich in den Arm, nannte sich einen Vollidioten und meiner unwürdig, zählte spontan mindestens fünfzehn Gründe auf, warum er mich jeden Tag aufs Neue heiraten würde. Es half nicht. Ich habe mich zuhause ins Bad eingesperrt. Nicht um ihn zu strafen, sondern um irgendwie mein Gleichgewicht wiederzufinden. Das ging nicht, solange er direkt neben mir war. Denn er muss das ja sagen dürfen. Dass er gerade keine Lust hat. Aber es hat mich ausgehebelt, Marie. Ich will häufiger Sex als er. Das ist eine Tatsache und uns beiden klar. Aber es ist nicht so gravierend, dass ein Leidensdruck einen von uns dazu gezwungen hätte, den Sachverhalt jemals zu thematisieren. Und plötzlich war das so manifest. Ich wünsche mir, dass ich heute keinen Sex mehr haben muss. Muss. Ich fühle mich schrecklich, schrecklich, schrecklich. Immer noch. Waxing, Pediküre. Schmales schwarzes Kleid. Sorgfältiges Make-up. Neun Zentimeter Absatz. Vorfreude. Und dann dieser Satz.

Kurzzeitig fand ich Linderung. Hinter der geschlossenen Badtüre, mit einem geknickten Simon im Wohnzimmer (war ich jetzt eigentlich noch dafür zuständig, Heiterkeit zu mimen, damit er sich nicht schlecht fühlt?), tippte ich an Carsten: »Jetzt.«

Carsten antwortete binnen Sekunden: »Was, jetzt?«

»Jetzt, in diesem Moment, würde ich gern mit dir schlafen.«

»Katharina, welch hervorragende Idee! Wo du mir seit Tagen nicht schreibst und mich bislang nicht mal zu küssen wagtest.«

»Jetzt würde ich.«

Und so weiter und so fort.

Noch dümmer hätte ich nicht handeln können, oder?

Als ich aus dem Bad kam, Augen verquollen und Gesicht gewaschen, Zähne geputzt, in Schlaf-T-Shirt und unsexy Unterhose, war da Simon. Nahm mich in den Arm, streichelte meinen Rücken, wiederholte tausend Mal, wie toll ich sei. Er wollte mit mir schlafen. Ich wollte nicht, jetzt, wo ihm nichts übrigblieb, als doch Lust zu haben. Aber er ließ nicht locker. Wenn wir es jetzt nicht tun, dann bauen wir eine Mauer zwischen uns, argumentierte er. Ich fand, er hätte recht. Und ließ mich umstimmen. Es war freundlich, behutsam, zärtlich. Und ich stellte mir vor, es sei mein erstes Mal mit Carsten.

Am 17. Mai 21:03 schrieb Marie Arend

Liebste Katharina.

Was für ein furchtbarer Hochzeitstag. Da könnte ich gleich weiterweinen, wenn ich das lese. Und weinen tu ich gerade schon genug. Meine Ehe ist aus, ja. Und ich stehe davor und kann nur den Kopf schütteln. Das wirklich Allerschlimmste ist die Enge, Katharina. Genau das, was so toll war. Das »Und wo fahren wir dieses Jahr in Urlaub hin?«. Unerträglich. Ich wollte letztes Jahr doch ein paar Tage mit meiner Schwester wegfahren. Es ging ihr nicht gut, sie war frisch getrennt, wie auch immer. Und was sagte Michael? »Wir arbeiten so viel, Urlaubstage sind da heilig, die sind für den Partner da.« Genauso kompromisslos wie seine Liebe zu mir. Damals habe ich mir auf die Lippen gebissen und meiner Schwester ein Märchen erzählt. Dass ich keinen Urlaub bewilligt bekommen hätte, sowas. Aber seitdem ist mir immer häufiger aufgefallen, wie eng diese Liebe ist. Und dann kam dieser furchtbare Streit: Ich wollte mich mit einer alten Freundin alleine treffen. Und er wurde total sauer. Ich hatte das schon geahnt. Auch du und ich haben uns ja meistens nur noch mit Michael und Simon zusammen gesehen. Weil ich schon gemerkt hatte, dass Michael das lieber ist. Also habe ich wie immer meine Bedürfnisse einkassiert. War ja auch okay, ich mag Simon ja. Nun ja. Das Treffen mit der Freundin war gar nicht so wichtig, aber irgendwie kam in mir zum ersten Mal Trotz auf, und ich blieb stur. Ich sagte dann: »Dann müssen wir eben einen Kompromiss finden.« Und er antwortete mit eiskalter Stimme: »In einer echten Liebe braucht es keine Kompromisse. Da wollen beide immer das Gleiche.« WUMM. Verstehst du mich? Dass ich mich fühle wie in einem Käfig und alles in mir nur wegwill?

ENDE DER LESEPROBE