"Kein Engländer soll das Boot betreten!" - Florian Huber - E-Book

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Florian Huber

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Beschreibung

Ein spannender Einblick in den Alltag an Bord eines U-Boots während des Ersten Weltkriegs – und ein archäologisches Abenteuer. Februar 1919: Es ist kalt, vor Helgoland kämpft sich ein U-Boot der kaiserlichen Marine voran – und sinkt plötzlich. Rund 100 Jahre lang ist der Untergang von UC 71 ein Mysterium, bis Unterwasserarchäologe Florian Huber zum Wrack taucht. Sein Verdacht: Die Besatzung hat das Boot selbst versenkt. Beweisen kann Huber das nicht, doch das Schicksal von UC 71 lässt ihn nicht los. Da kommt ihm ein Zufall zu Hilfe. Es meldet sich ein Mann, dessen Großonkel Georg Trinks auf diesem Schiff als Maschinist diente – und Tagebuch führte, über jedes Gefecht, über seine Ängste. Und die letzten Worte in diesem Tagebuch lösen das Rätsel.

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Seitenzahl: 312

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Florian Huber

«Kein Engländer soll das Boot betreten!»

Die letzte Fahrt von UC71

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

Ein spannender Einblick in den Alltag an Bord eines U-Boots während des Ersten Weltkriegs – und ein archäologisches Abenteuer.

 

Februar 1919: Es ist kalt, vor Helgoland kämpft sich ein U-Boot der kaiserlichen Marine voran – und sinkt plötzlich. Rund 100 Jahre lang ist der Untergang von UC 71 ein Mysterium, bis Unterwasserarchäologe Florian Huber zum Wrack taucht. Sein Verdacht: Die Besatzung hat das Boot selbst versenkt. Beweisen kann Huber das nicht, doch das Schicksal von UC 71 lässt ihn nicht los. Da kommt ihm ein Zufall zu Hilfe. Es meldet sich ein Mann, dessen Großonkel Georg Trinks auf diesem Schiff als Maschinist diente – und Tagebuch führte, über jedes Gefecht, über seine Ängste. Und die letzten Worte in diesem Tagebuch lösen das Rätsel.

Über Florian Huber

Dr. Florian Huber, 1975 in München geboren, taucht seit mehr als 25 Jahren und studierte Archäologie, Anthropologie und Skandinavistik in München und Umeå (Schweden) sowie in Kiel. Bevor er sich als Unterwasserarchäologe und Forschungstaucher selbständig machte, war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Kiel und leitete dort die Arbeitsgruppe für maritime und limnische Archäologie. Ausgrabungen und Forschungsreisen führten ihn in über 100 Länder. Huber ist Autor zahlreicher Fachpublikationen, Zeitschriftenartikel sowie Bücher und steht regelmäßig für TV-Dokumentationen wie Terra X vor der Kamera. Sein Buch «Tauchgang ins Totenreich» erschien 2016 bei Rowohlt.

«1916»

I heard my friend cry and he sank to his knees

Coughing blood as he screamed for his mother

And I fell by his side and that’s how we died

Clinging like kids to each other

And I lay in the mud and the guts and the blood

And I wept as his body grew colder

And I called for my mother and she never came

Though it wasn’t my fault and I wasn’t to blame

The day not half over and ten thousand slain

And now there’s nobody remembers our names

And that’s how it is for a soldier

Ian Fraser «Lemmy» Kilmister (1945–2015)

Vorwort

Die Menschheitsgeschichte ohne Schiffe und Seefahrer zu erzählen, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Denn egal ob steinzeitlicher Einbaum oder Fellboot, ob Ruderkriegsschiff der Phönizier und Griechen, wikingerzeitliches Langschiff, chinesische Dschunke, Karavelle der Entdecker, Galeone der spanischen Armada oder U-Boot des Ersten und Zweiten Weltkriegs: all diese Schiffe haben die Weltgeschichte auf die eine oder andere Art nachhaltig geprägt. Pioniere ihrer Zeit entdeckten ganze Kontinente, machten sich Inseln zu eigen und besiedelten sie; Kriege wurden durch Seeschlachten entschieden, und noch heute werden Waren über den gesamten Globus mit Schiffen transportiert.

Rund drei Millionen Schiffswracks liegen laut UNESCO auf dem Grund von Seen, Flüssen und Ozeanen. Das sind drei Millionen einzigartige, spannende, lehrreiche, aber auch ergreifende Geschichten des Menschen und seiner Reisen in ferne und unbekannte Länder. Drei Millionen Geschichten über Aufbruch, Glaube, Hoffnung und tragisches Scheitern. Geschichten von beherzten Kapitänen, furchtlosen Entdeckern, cleveren Handelsleuten, einfachen Fischern und tapferen Soldaten.

Und genau davon handelt auch dieses Buch. Es erzählt eine wahre Begebenheit, die mich als Wissenschaftler und Taucher, aber auch schlichtweg als Mensch sofort in ihren Bann gezogen hat. Seien Sie gespannt auf die Geschichte des deutschen U-Boots UC71, auf seine Besatzung und auf seinen mysteriösen Untergang vor der Insel Helgoland kurz nach Ende des Ersten Weltkriegs. Und natürlich auf Georg Trinks, der 4. Maschinist an Bord war und dem ich es zu verdanken habe, dass ich dieses Buch überhaupt schreiben konnte. Dabei wusste ich von ihm noch gar nichts, als ich das Wrack von UC71 zum ersten Mal am Grund der Nordsee untersuchte, um mehr über seinen Untergang herauszufinden. Dass ich nun nach mehr als zwölf Jahren des Recherchierens und Forschens die ganze Geschichte und sogar des Rätsels Lösung erzählen darf, hätte ich nicht für möglich gehalten – bis zu jenem Zeitpunkt, als mir 2017 die beiden Tagebücher Trinks’ in die Hände fielen, deren Inhalt die Geschichtsschreibung zu UC71 verändern wird.

Ich wünsche Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, vergnügliche Stunden über wie unter Wasser. Lassen Sie uns die Zeit um etwa 100 Jahre zurückdrehen und gemeinsam abtauchen – hinunter auf den Grund der dunklen Nordsee, hinunter zu UC71 …

 

Kiel, im August 2018

Florian Huber

Prolog

20. Februar 1919. Es ist bitterkalt. Die dunkle See vor Helgoland ist aufgewühlt. Die Gischt peitscht und der eisige Wind bläst mit bis zu sieben Windstärken aus Südwest. Mächtige Wellen umtosen die Lange Anna, das Wahrzeichen der deutschen Nordseeinsel. Mittendrin der Schlepper Terschelling, der sich durch die schäumenden Wogen kämpft. Im Schlepptau hat er UC71, ein U-Boot der Kaiserlichen Marine. Der Krieg ist verloren, und zusammen mit weiteren U-Booten soll das Schiff nun an England übergeben werden.

Die Überführungsfahrt findet einen Tag später statt als zunächst geplant. Jetzt, am späten Vormittag, soll es losgehen. Alle Schiffe stellen sich am Sammelplatz Hogstean auf, etwa 900 Meter südlich vor Helgoland inmitten der tosenden See. Bereits kurz darauf schlagen große Brecher über den Turm von UC71 hinweg. Dann beginnt das 50 Meter lange U-Boot urplötzlich zu sinken und verschwindet für immer im Meer.

Was war geschehen? Und warum so schnell?

Es gibt nur dürftiges Aktenmaterial, mit dessen Hilfe sich die Ereignisse halbwegs rekonstruieren lassen. Ein Telegramm des aufgelösten Kommandos der III. Unterseebootsflottille mit dem Bericht des Kommandanten an die Deutsche Waffenstillstandskommission[*] gibt einige Hinweise zum Untergang:

«UC71 wurde am 11. Februar unter Führung von Oberleutnant zur See Köhler von Wilhelmshaven nach Helgoland geschleppt. Boot machte auf dieser Fahrt, soweit festzustellen, kein Wasser. Blieb auch in Helgoland trocken. Am 20. wurde UC71 durch Schlepper Terschelling aus dem Hafen geschleppt. Es stand starke See aus SW 6–7. Boot ruckte mehrfach heftig ein und schlug quer. Auf der Hogstean-Barre gingen die Brecher schon über den Turm. Ich schloss alle Luken und ließ die Leute auf den Schlepper übersteigen. Boot fing plötzlich aus nicht erkennbarer Ursache an zu sinken, sodass ich genötigt war, Boot zu verlassen. Innerhalb einer Stunde sank Boot ganz weg. Bericht folgt.»

Bis heute ist der angekündigte Bericht mit der genauen Untergangsursache verschollen. Oder wurde er vielleicht niemals geschrieben? Absichtlich vernichtet? Lediglich eine Zusammenfassung an das Reichsmarineamt, in der es um die Überführung der deutschen Schiffe nach England geht, enthält einige Angaben dazu. Demnach ist UC71 gegen 11 Uhr 15 ungefähr 300 Meter westlich von Hogstean gesunken. Laut Aussage von Verbandsführer Kapitänleutnant Maas begann das U-Boot, nachdem es vom Schlepper Terschelling aus dem Hafen gebracht worden war, direkt hinter der Mole unterzugehen und «konnte nur noch aus dem Fahrwasser geschleppt werden, bevor es sank».

Obwohl UC71 auf ungeklärte Weise von jetzt auf gleich in den Fluten verloren ging, setzten die Männer des U-Boot-Verbandes ihre letzte Fahrt mit neun U-Booten und Schleppern nach Harwich unbeeindruckt fort. Der Ort im Südosten Englands galt aufgrund seiner geschützten Lage als einziger sicherer Ankerplatz zwischen Themse und Humber. Mysteriöserweise sollten zwei weitere U-Boote niemals dort ankommen: Am folgenden Tag sank auch UC 40. Und als ob das nicht schon genug wäre, ging kurz darauf auch U 21 im kalten Nordseewasser verloren. Somit erreichten von den zehn bei Helgoland in See gestochenen U-Booten der Kaiserlichen Marine nur sieben ihren letzten Bestimmungsort. Übergabe war am 23. Februar 1919.

Brieftelegramm mit der Meldung an das U-Boot-Amt Berlin über den Untergang von UC71.

Bereits im Vorfeld der Überführungsfahrt forderte England die Deutschen dazu auf, für alle U-Boote, die dabei verloren gehen sollten, gleichwertigen Ersatz in Form von Diesel- oder E-Motoren bereitzustellen. Im Fall von UC71 übergab das Reichsmarineamt die Öl- und Elektromaschinen aus den U-Booten UC 111, UC 112 und UC 115, die im März 1919 mit dem Dampfer Anni Hugo Stinnes nach England gebracht wurden. Darüber hinaus wollte die Inspektionskommission der Alliierten wissen, welche Maßnahmen Deutschland treffen würde, um das Wrack der UC71 zu zerstören. Die Deutschen sagten zu, das Boot entweder zu sprengen oder es zu heben und dann abzuwracken. Warum sie diese Zusage letzten Endes nicht einhielten, ist bislang rätselhaft.

Und so gerieten UC71 und die zwei anderen U-Boote für viele Jahrzehnte in Vergessenheit. Aber während UC 40 und U 21 weiterhin verschollen bleiben, wurde UC71 mittlerweile gefunden.

November 2011

Draußen ist es grau. Regen schlägt gegen die Fenster, und die letzten Blätter wehen von den Bäumen. Ich sitze in meinem kleinen Büro im Institut für Ur- und Frühgeschichte der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und bereite mich auf das Wintersemester vor. Seit ein paar Jahren schon arbeite ich hier als wissenschaftlicher Mitarbeiter mit den Schwerpunkten Unterwasserarchäologie sowie historische Archäologie und leite eine kleine Arbeitsgruppe. Vor elf Jahren kam ich von meiner Geburtsstadt München in den hohen Norden Deutschlands, um mich hier auf die Archäologie unter Wasser zu spezialisieren. In München hatte ich bereits mein Grundstudium absolviert, und Tauchen ist schon lange meine große Leidenschaft. Nachdem ich als 13-Jähriger bei einem Kurs zum ersten Mal ins Tauchen hineingeschnuppert hatte, war es um mich geschehen. Als ich endlich durfte, nämlich mit 15 Jahren, machte ich schließlich meinen Grundtauchschein auf den Seychellen, und seither hat mich die Unterwasserwelt nicht mehr losgelassen.

Archäologie und Geschichte interessierten mich damals aber wenig. Eigentlich gar nicht, denn meine Lehrer taten wirklich alles dafür, den Geschichtsunterricht so öde und einfältig wie nur möglich zu gestalten. Gefühlt behandelten wir sowieso nur den Zweiten Weltkrieg und mussten stupide Jahreszahlen auswendig lernen. Die Steinzeit hingegen, die nach heutigem Kenntnisstand vor etwa 3,4 Millionen Jahren in Afrika begann, hakten wir mal eben in zwei Wochen in der siebten Klasse ab. Erst später in der Oberstufe entdeckte ich dann die alten Kulturen wie Kelten, Germanen, Wikinger, Römer, Etrusker, Skythen sowie die Maya, Inka und Azteken für mich und erkannte, wie unglaublich faszinierend deren Geschichte ist – Büchern wie «Der Herr der Ringe» und Metalbands wie «Running Wild», «Iron Maiden» und «Amorphis» sei Dank. Ich begann, ein Buch nach dem anderen über diese Völker zu verschlingen. Und so kam es, dass ich meine bereits sichere Lehrstelle zum Hotelfachmann im Münchner Hotel «Hilton» sausen ließ und mich stattdessen an der Ludwig-Maximilians-Universität für Ur- und Frühgeschichte, Ethnologie und Skandinavistik einschrieb. Diese Entscheidung habe ich bis heute kein einziges Mal bereut, denn sehr schnell merkte ich, dass das genau mein Ding war.

In einem achtwöchigen Kurs ließ ich mich dann in Kiel zum geprüften Forschungstaucher ausbilden. Diese Ausbildung ist Voraussetzung dafür, in Deutschland wissenschaftlich unter Wasser arbeiten zu dürfen. Mittlerweile bin ich selbst beim Kieler Forschungstauchzentrum als Ausbilder im Einsatz. Und wie so viele junge Wissenschaftler in Deutschland habe ich nur eine halbe Stelle an der Uni, arbeite aber logischerweise trotzdem Vollzeit und das bei lausiger Bezahlung. Das macht mir aber nichts aus, denn mein Job bereitet mir sehr viel Spaß und mein Chef lässt mir die nötige Freiheit, mich an unterschiedlichen Projekten zu beteiligen.

In meinem nun bevorstehenden Seminar «Unterwasserarchäologie I: Maritime Archäologie in Deutschland» möchte ich mit meinen Studenten neben bedeutenden Fundstellen in der Ostsee auch das Potenzial von Fundstellen in der Nordsee und rund um die Insel Helgoland behandeln. Bislang hat dort nämlich niemand allzu viel geforscht. In Referaten sollen die Studenten unter Wasser gelegene archäologische Fundorte vorstellen und einordnen. Die etwa 30 Themen gebe ich vor, und während ich gerade gedankenversunken durch das regennasse Fenster schaue, kommt mir ein U-Boot in den Sinn, von dem ich hörte, als ich 2006 auf der Insel war, um dort einen Kurs in «Schlauchversorgtem Tauchen» an der Biologischen Anstalt Helgoland zu absolvieren.

In dem Kurs habe ich als Forschungstaucher gelernt, wie ich über einen langen Schlauch von Bord eines Schiffes mit Atemgas versorgt werden kann, anstatt den ganzen Gasvorrat auf dem Rücken mitzuführen. Der Kurs war wichtig für mich, weil ich an einem biologischen Projekt eines Windparkbetreibers in der Deutschen Bucht mitarbeiten sollte. Der Betreiber gab damals diese Art des Tauchens vor; also lernte ich sie. Während des einwöchigen Kurses tauchten wir ganz in der Nähe des besagten U-Boots. Leider gab es keine Gelegenheit, das Wrack aus dem Ersten Weltkrieg zu erkunden, weshalb ich es bisher auch nicht als mögliches Referatsthema auf dem Zettel hatte. Im Moment weiß ich nicht einmal mehr, wie das Boot heißt, aber ein schneller Blick ins Internet verrät mir, dass es sich dabei um UC71 handelt.

U-Boote im Hafen von Kiel, 1914.

Ich gehe den langen Gang hinüber in unsere große Bibliothek und suche nach einem Buch von zwei Historikern, die die Geschichte des U-Boots, soweit es ihnen möglich war, aufgearbeitet haben. Leider kann ich es nicht finden, aber Literatur über U-Boote des Ersten Weltkriegs gehört auch nicht unbedingt zum Bestand eines archäologischen Instituts, das sich überwiegend mit der Ur- und Frühgeschichte des Menschen befasst. Ich überlege nicht lange und bestelle es mir im Internet.

Einige Tage später sitze ich wieder in meinem Büro. Das Buch ist angekommen, und voller Vorfreude beginne ich, darin zu lesen. Sofort bin ich von dem U-Boot begeistert. Sein mysteriöser und ungeklärter Untergang fasziniert mich. Bislang wurde das Wrack nur ein-, zweimal betaucht und noch nie wissenschaftlich oder unterwasserarchäologisch betrachtet. Spontan beschließe ich, das zu ändern. Mein Ziel ist es ab jetzt, UC71 in seinem heutigen Zustand vollständig zu dokumentieren und dabei das Rätsel des Untergangs ein für alle Mal zu lösen. Das kann ja nicht so schwer sein, denke ich – nicht ahnend, dass es noch eine ganze Weile dauern würde, bis ich überhaupt die Möglichkeit bekommen würde, das Wrack mit eigenen Augen zu sehen …

Georg Trinks, Maschinenmaat

Meine Erlebnisse auf UC71 in der Zeit vom 9. November 1916 bis 24. Mai 1918[*]

1. Einsatzfahrt vom 28. Februar 1917 bis 4. März 1917 Überführungsfahrt zur U-Flottille Flandern[*]

Befehl für Ausreise UC71:

Auslaufen zur U-Flottille Flandern über Helgoland. Boot gehört mit Ankunft in Zeebrügge zur U-Flottille Flandern.

Weitere Zwischenhäfen nur im Bedarfsfall anlaufen. Bei dem Flaggschiff des II. Geschwaders die etwaigen letzten Funksprüche über Minen und Sachlage erfragen.

In der inneren Bucht der Nordsee sind wegen U-Bootsgefahr Zickzack-Kurse zu fahren.

Das Boot wird in der Nordsee von einem Vorpostenboot begleitet.

Am 9. November 1916 wurde ich von Flandern aus nach Hamburg zur Bauinformation auf S.M.[*]UC71 bei «Blohm & Voss»[*] kommandiert. Am 10. November abends kam ich mit Maschinenmaat Stahlecker an. Das Boot lag noch im Dock und wurde am 11. November mittags zu Wasser gelassen. In der Zeit bis zum 28. November haben wir uns informiert – allerdings mehr in Hamburg als an Bord. Am 28. November, mittags 12 Uhr, stellten wir unter Oberleutnant zur See Hans Valentiner das Boot mit drei «Hurras» für Kaiser und Reich in den Dienst. Die schöne Hamburger Bummelei hatte mit dieser Stunde ein Ende, denn von jetzt an hatten wir das Boot, mit allem, was drin war, zu verwalten.

 

In der darauffolgenden Woche machten wir jeden Tag unsere Schulfahrt auf der Elbe. Am Sonnabend, den 2. Dezember 1916 hieß es dann Abschied nehmen, denn mittags gegen 12 Uhr ging es die Elbe aufwärts nach Kiel zu. Am Abend gegen 17 Uhr legten wir in Brunsbüttel an. Hier aßen und tranken wir nochmals auf Kosten von «Blohm & Voss» und es war schon ziemlich spät, als wir an Bord zurückkamen.

 

Am 3. Dezember in aller Frühe ging es dann weiter. Wir wurden in den Kaiser-Wilhelm-Kanal eingeschleust und mittags gegen 14 Uhr legten wir in Kiel am Anschar an. Die ganze Zeit in Kiel, die wir zur Schule fuhren, war reichlich mit Arbeit ausgefüllt. Meistens fuhren wir tagsüber hinaus in die Kieler oder Eckernförder Bucht, kamen abends um 17 Uhr wieder herein und pumpten dann bis 19 Uhr unsere Batterie auf, um den anderen Tag wieder klar zu sein. Wir waren darum auch alle recht froh, als uns unser Kommandant verkündete, dass wir am 28. Februar 1917 nach Flandern sollten.

 

Am 28. Februar 1917 morgens ging es dann auch mit geschmiertem Boot und drei «Hurras» aus der Ostsee heraus durch den Kaiser-Wilhelm-Kanal[*] der Nordsee zu. Da im Kanal sehr viel Treibeis war, wurden wir von SMS Preußen[*] geschleppt. Das Wetter war rau und zeitweise regnete es ganz jämmerlich. Abends um 17.20 Uhr legten wir endlich in Brunsbüttel an, wo wir auch die Nacht über liegenblieben.

29. Februar 1917

Wegen zu dichtem Nebel mussten wir heute noch in der Schleuse liegenbleiben. Nachdem wir mittags noch unseren Trimmversuch gemacht hatten, war allgemeines Ausscheiden.

1. März 1917

Morgens um 7.37 Uhr legten wir ab und liefen aus der Schleuse aus. Hier nahm uns wieder ein Schlepper in Empfang. Um uns einigermaßen Bahn zu machen, fuhr SMS Schleswig-Holstein voraus. Unser Schlepper hatte alle Mühe, uns durch die dicken Eisschollen hindurchzubringen. Von Cuxhaven ging es dann mit eigener Kraft nach Helgoland, wo wir mittags um 14 Uhr im U-Boot-Hafen festmachten. Nun sollte mein Wunsch endlich erfüllt werden und ich sollte das viel genannte und berühmte Helgoland sehen. Sobald ich fertig war, ging ich auch los.

Zunächst ging meine Wanderung nach dem Unterland. Hier sah es aber nicht mehr aus, als wäre hier ein Badestrand gewesen. Es war alles umgewälzt und verbaut. Wo im Frieden die schöne Sandenge und Spielplätze gewesen wären, waren nun überall Schutthaufen zu sehen. Obgleich die Insel dadurch nicht gerade verschönert wirkte, so war es doch notwendig, um dieses Fleckchen deutscher Erde zu einer Schutz- und Trutzwehr gegen England zu machen.

 

Wollte man nach dem Oberland, so musste man entweder eine Treppe hochsteigen oder einen steil ansteigenden Tunnel hinauf. In diesem Tunnel befanden sich zur Beförderung von Lasten Schienen, auf denen Hunte[*] mittels Seilen hochgezogen oder hinabgelassen wurden. Stand man oben, so sah man soweit das Auge reichte weiter nichts als das tiefblaue Meer, das fortwährend an dem felsigen Gestein der kleinen Insel spielte und dadurch auch schon durch die Länge der Zeit einige Felsblöcke von der Insel getrennt hat. Sie ragen nun als Kegel von ungefähr 35 bis 40 Metern allein aus dem Meere empor. An der Südspitze gegen England zu hat eine mutige Seele einen dieser Kegel erklommen und das Zeichen des Eisernen Kreuzes darauf errichtet.

Oberflächlich war von dem großen Festungswall nicht viel zu sehen. Nur auf der Südseite standen einige Türme mit 30,5-Zentimeter-Geschützen und sonst sah man nur die großen Trichter, die die großen Mörser bargen. Alle 30 bis 40 Meter kam man an Toren vorbei, die in den unterirdischen Festungsbereich führten. Betrat man eines dieser Tore, die streng bewacht wurden, so hatte man vor sich einen langen Gang, der spärlich durch elektrisches Licht erhellt wurde. An beiden Seiten der Wände zogen sich dicke Kabel, Rohrleitungen für die Dampfheizung und Telefon- und Telegrafendrähte entlang.

Kaum waren wir ein Stück in das Labyrinth eingedrungen, machte sich ein Rollen und Poltern bemerkbar und aus der Ferne kam auf Schienen eine Karre auf uns zu, die bis obenhin mit 30,5-Zentimeter-Granaten vollgeladen war. Überall zweigten Quergänge ab und von diesen wieder die einzelnen Türen, die zu den Munitionskammern, zu den Provianträumen und zu all den verschiedenen Räumlichkeiten führten, die für so ein großes Werk erforderlich sind. Wollte man alles genau besichtigen, so bräuchte man Tage dazu.

Ansonsten sind die Wohnhäuser auf dem Oberland alle von der Zivilbevölkerung geräumt. Dafür haben es sich die Besatzungstruppen darin gemütlich gemacht.

2. März 1917

Morgens um 8.25 Uhr klar zum Manöver. Noch einen letzten Gruß winkten wir diesem Eiland zu und dem Feind ging es mit frohem Mut entgegen. Ohne besondere Zwischenfälle sind wir den ganzen Tag der Küste längs gefahren, um so bald wie möglich unser Ziel zu erreichen. Nachts um 23.50 Uhr kam plötzlich Alarm. Doch dieser war nur zur Übung.

3. März 1917

Den letzten Rest der Fahrt ohne Störung durchgefahren und um 9.30 Uhr machten wir endlich an der Mole in Zeebrügge fest. Nachdem wir noch eine halbe Stunde in der Schleuse zugebracht hatten, ging es mit voller Fahrt durch den Kanal nach Brügge und mittags um halb zwölf lagen wir dort fest. In der Zeit bis zum 9. März machten wir alles für eine fünftägige Fahrt klar.

2. Einsatzfahrt vom 9. März 1917 bis 14. März 1917

Befehl für UC71:

Aufgabe: Besetzen einer U-Linie zum Handelskrieg gegen die Konvois Holland-England.

Durchführung: Auslaufen am 6. März 1917, 117 Alpha. Die Quadrate[*] sind bis zum 11. März, 5 Uhr vormittags, besetzt zu halten, dann einlaufen.

Allgemeines: Mit eigenen Torpedo- und U-Booten ist zu rechnen.

10. März 1917

Nachts um null Uhr legten wir ab und im Stockdunkeln ging es durch den Kanal nach Zeebrügge. Nach dem Durchschleusen ging es dann ohne Aufenthalt bis morgens 7 Uhr weiter, dann weckte mich die Alarmglocke aus meinem schönen Schlaf. Es war aber nur ein Trimmversuch und anschließend hatten wir eine Unterwasserfahrt bis mittags 13 Uhr. Nachmittags luden wir bis 17 Uhr unsere Batterie. Um 17.17 Uhr krachten zwei Schüsse. Sie galten einem Segler, der harmlos beim Fischfang war. Ob er getroffen wurde, wusste niemand. Wir haben ihn in Ruhe gelassen und sind dann über Wasser weitergefahren, ohne auch nur eine Rauchwolke zu sehen.

11. März 1917

Die ganze Nacht haben wir meistens still gelegen. Morgens um 8 Uhr ging es mit beiden Maschinen langsam über Wasser weiter – immer auf unserem Quadrat hin und her. Abends um 20 Uhr lagen wir auf Grund, 45 Meter tief, und um null Uhr ging es wieder hoch.

12. März 1917

Das Tempo von gestern wurde fortgesetzt. Morgens um 9.45 Uhr ertönte Alarm, ein Dampfer kam uns in die Quere. Er bekam zur Begrüßung einen Schuss und Seppl hatte Glück und traf gleich mittschiffs in der Wasserlinie. Da es jedoch üblich ist und der Alte[*] befürchtete, der Dampfer könnte bewaffnet sein, wurde getaucht. Durch allgemeine Verwirrung konnte das Boot nicht gehalten werden und so ging es mit Affenfahrt auf 26 Meter Tiefe und dann ebenso schnell wieder auf acht Meter. Das Resultat war, dass der Dampfer das Weite gesucht hatte. Wir suchten dann noch eine Stunde nach ihm, doch er blieb für uns verschwunden.

Um 14.10 Uhr gab es wieder Alarm. Diesmal war es einer unserer größten Freunde, nämlich ein englischer Zerstörer, der sich unter dem Schutze eines kleinen Fischdampfers an uns heranzuschleichen versuchte. Doch rechtzeitig hatten ihn unsere Seeleute auf dem Turm entdeckt und mit knapper Not kamen wir gerade noch von der Oberfläche weg. Kaum waren wir auf 25 Metern, da fauchte er über uns hinweg. Wir legten uns auf Grund, 26 Meter, und harrten gespannt, was jetzt kommen würde; denn dass er schon wieder am Draht ziehen würde, daran glaubte keiner, dafür hat er uns ja viel zu lieb. Wir sollten auch gar nicht lange im Zweifel sein. Unser Funk-Telegraf-Gast meldete bereits, dass er durch den Unterwasserschall-Signal-Apparat das Schraubengeräusch näherkommen höre und gar bald konnten wir das schnurrende Geräusch mit bloßem Ohr hören. Doch was war das? Das waren nicht nur die Schrauben, sondern er schleppte ein Fanggerät hinter sich her, das sich am U-Boot verfangen sollte. Jetzt hieß es, nur ganz ruhig im Boot sein. Wir stellten noch den Kreiselkompass ab und es herrschte Stille – gleich wie im Totenreich. Wie ein Habicht zog er in unserer nächsten Nähe seine Kreise. Dreimal hintereinander ließ er seine Wasserbomben zu uns in die Tiefe sausen. Sie explodierten beim Aufschlag auf dem Meeresgrund. Es krachte wohl und unser Boot kam ins Schwanken, doch Schaden hatte er keinen angerichtet. Dann endlich um 18.30 Uhr abends entfernte sich das Schraubengeräusch immer mehr und mehr.

Jetzt kam wieder Leben in uns. Der Kreisel wurde wieder angestellt und wir tauchten auf. Der Zerstörer war weg. Jetzt wurde uns auch klar, warum er gar nicht weichen wollte: Rund um uns war ein großer Ölfleck und wir sahen, dass unsere Treibölbehälter undicht waren und ein Tropfen nach dem anderen stieg an die Oberfläche. Der Engländer muss sich aber seines Erfolges sicher gewesen sein, da er schon wieder ein Submarine als vernichtet meldete.

Abends um 23 Uhr bekamen wir noch einen Funktelegramm-Spruch: Wir sollten unseren Standort angeben, um zu zeigen, dass wir wieder hochgekommen sind. Als wir dann zwei Tage später zusammen mit UC 69 einliefen, hörten wir, dass die Kameraden auf dem Nachbarquadrat am 12. März, abends um 19 Uhr, einen Zerstörer abgeschossen hatten, der ganz wahrscheinlich derselbe war, der uns das Licht ausblasen wollte. Zwei Stunden später musste er selbst dran glauben.

13. März 1917

Um sich die Zeit zu vertreiben, ging es mit langsamer Fahrt den ganzen Tag über Wasser und wir waren froh, als wir abends 23 Uhr Richtung Heimatkurs steuerten.

14. März 1917

Von nachts null bis 3 Uhr haben wir noch vor der Ausfahrt von Rotterdam gelegen, da in dieser Zeit laut Funkspruch drei holländische Dampfer auslaufen sollten, die wir gerne mitgenommen hätten. Doch auch damit war es nichts und mit aller Kraft ging es Richtung Zeebrügge, das wir morgens um 10 Uhr erreichten. Unsere erste Fahrt ohne Erfolg. Hoffentlich gibt’s das nächste Mal mehr.

3. Einsatzfahrt vom 28. März 1917 bis 13. April 1917

Befehl für UC71:

Aufgabe: Minenlegen nach eigenem Ermessen vor Tréport, Dieppe und Valery. Dann Handelskrieg in der südlichen Biskaya[*].

Durchführung: Auslaufen am 24. März 1917. Minenlegen möglichst bei Stillwasser. Abstände und Tiefeneinstellung nach eigenem Ermessen. Dann Handelskrieg nach den besonderen Anordnungen. Rückkehr nach Maßgabe der Leistungsfähigkeit und des Munitionsverbrauchs, spätestens nach 14 Tagen.

Allgemeines: Mit eigenen Torpedo- und U-Booten ist zu rechnen.

In der Zeit, in der wir im Hafen lagen, machten wir wieder alles seeklar, denn unsere nächste Reise soll durch den Englischen Kanal gehen. Mit Munition sind wir sehr gut versehen: Wir haben vier Torpedos, 18 Minen, 73 Sprenggranaten und 300 8,8-Zentimeter-Granaten übernommen.

Am 28. März 1917 ging die Reise los, nachdem wir drei Tage hintereinander seeklar hatten, aber wegen Sturm und Nebel immer am Auslaufen gehindert wurden. Nachmittags um 17.30 Uhr fuhren wir durch die Schleuse in Zeebrügge. Um 8.45 Uhr kam «Klar zum Auslaufen!». Sechs Fahrzeuge, anscheinend Zerstörer und Monitore[*], die wohl auf der Fahrt nach Zeebrügge waren, kamen uns in den Weg. Wir ließen sie ziehen und gaben nur einen Funkspruch an unsere Küstenbatterie ab, damit die Gäste gleich gut empfangen werden konnten.

Mit voller Fahrt ging es an der Küste weiter dem Kanal zu, denn nach dieser Nacht mussten wir die Minennetze und Dampfersperre passieren. Dies sind jedes Mal aufregende Minuten für die Seeleute. Für uns ja weniger, da wir unten sind und von allem nichts sehen und hören. Und doch müssen wir jeden Augenblick gewärtig sein, die Alarmglocke zu hören. Und wenn die hier erst einmal in Bewegung gesetzt wird, dann ist die Luft schon ziemlich dick.

Wir fuhren nur zwei Seemeilen unter der französischen Küste längs und hatten Untiefen bis sieben Meter. Aber wir hatten auch diesmal Glück.

29. März 1917

Nachts um 2 Uhr hatten wir es geschafft und die dicke Luft lag hinter uns. Wir fuhren noch bis morgens um 6 Uhr und gingen dann auf Grund, um den Tag hier unten zu verbringen, damit wir bis abends unentdeckt bleiben würden. Solange wir noch unsere Minen haben, sind wir für niemanden zu sprechen – auch für den dicksten Handelskasten nicht.

Gegen Abend tauchten wir auf und fuhren unserem ersten Bestimmungsort zu – es war der Hafen von Dieppe, wo wir die Hafeneinfahrt mit sechs Minen beglücken sollten. Wir mussten deshalb im Schutze der Nacht ganz dicht unter Land fahren. Es ging alles ganz gut und 22.10 Uhr fiel die erste Mine und innerhalb von fünf Minuten folgten die anderen fünf Stück. Tief fielen sie hier nicht, denn wir hatten nur acht Meter Tiefe unter uns. Eine Stunde später fielen die nächsten sechs in der Hafeneinfahrt von Sankt Valery. Auch hier ging es glatt.

30. März 1917

Kaum war ich abgelöst und wollte ein Auge voll nehmen, da hieß es schon wieder «Auf Tauchstation!». Wir waren am dritten Ort angelangt, der unsere letzten sechs Eier haben sollte. Es war die Hafeneinfahrt von Fécamp. Um 1.15 Uhr fiel endlich die letzte Mine und wir konnten mit dem Kreuzerkrieg beginnen. Bis morgens 6 Uhr ging es noch über Wasser, dann verschwanden wir wegen zu schlechtem Wetter in den Fluten und gingen auf Grund. Den ganzen Tag haben wir auf 35 Metern zugebracht, bis wir endlich abends 19 Uhr auftauchten. Das Wetter war bedeutend besser geworden und mit großer Fahrt ging es in den Abend hinein dem Atlantik zu.

Um 22 Uhr kam uns ein Dampfer in Begleitung eines Zerstörers in den Weg. Etwa eine Dreiviertelstunde machten wir Jagd auf ihn, doch er war vorsichtig, fuhr immer im Zickzack und so mussten wir ihn schweren Herzens laufenlassen. Kaum war dieser Anlauf vorüber, kam Nummer zwei. Wieder ein großer Dampfer und wieder wurde das erste Torpedorohr fertig zum Schuss gemacht. Aber auch diesmal wieder Essig. Einen Schuss gaben wir noch auf ihn ab und dann ließen wir ihn laufen.

31. März 1917

Morgens um 4.15 Uhr kam auf einmal Alarm und wir verschwanden vor vier Zerstörern in den Fluten auf 35 Meter Tiefe und es ging mit langsamer Fahrt weiter. Es war furchtbar kalt und alle mussten auf Station bleiben. Bücher hatten wir auch keine zum Lesen und so wurde es mit der Zeit ungemütlich und bitterkalt. Endlich, nachmittags 16.35 Uhr, kam die Erlösung, indem wir auftauchten. Bis abends ging alles klar, dann um 23.30 Uhr kam der Befehl «Auf Tauchstation, Geschütz besetzen!». Der erste Schuss für heute fiel, ihm folgten mehrere weitere. Es war ein Segler, ein Zweimastschoner, 600 Tonnen groß. Untersuchen konnten wir ihn nicht, da es stockfinster war. Es wurde aber reingeschossen in die gute Stube. Die Leute retteten sich so schnell wie möglich in ihr Boot und ruderten davon. Nach dem elften Schuss hatte er genug. Er legte sich langsam auf die Seite, um dann mit einem Male Schnelltauchen zu markieren.

1. April 1917

Der April fing gleich wunderbar an. Den Vormittag ging es ja noch, aber um 14 Uhr mittags mussten wir doch verschwinden, um wenigstens in Ruhe und mit Appetit essen zu können. Obgleich es unser Koch heute sehr gut meinte und Eisbein mit Sauerkraut gekocht hatte, so sah man doch recht verdrießliche Gesichter, die ihr Essen nur ansahen und dann mit bitterer Miene wieder wegstellten. Ja, Neptun forderte heute seinen Tribut von den neuen Seefahrern, denn wir hatten eine Windstärke von sechs bis sieben und da gab es Seetolle genug.

Um 16.50 Uhr tauchten wir wieder auf. Abends um 22.30 Uhr sichteten wir einen kleinen Dampfer, mussten ihn aber laufenlassen, da die Geschützmannschaft nicht an Deck kam und ein Torpedo zu wertvoll für diesen Pott gewesen wäre. Die See ging immer höher und wir bogen jetzt nach der spanischen See zu. Gegen 23 Uhr hatten wir ungefähr Brest, die Südspitze von Frankreich, quer ab.

2. April 1917

Die ganze Nacht und den Vormittag mit einer Maschine über Wasser in südlicher Richtung weitergefahren. Da der Seegang immer noch zunahm, gingen wir gegen 14.15 Uhr wieder auf 30 Meter und tauchten um 19 Uhr auf, um unsere Batterie aufzuladen.

3. April 1917

Um 1 Uhr morgens ging es wieder auf 30 Meter. In dieser Gegend konnten wir den beliebten Meeresgrund nicht aufsuchen, um uns ruhig hinzulegen, denn wir hatten noch 1000 Meter Wassersäule unter uns. Da unser Boot jedoch höchstens den Druck von 100 Metern, das ist gleich zehn Kilogramm auf einen Quadratzentimeter, aushält, wären wir wohl platt wie eine Briefmarke, wenn wir runter wollten. Darum mussten wir auch ganz vorsichtig tauchen, damit wir nicht etwa abrutschten.

Morgens 8 Uhr tauchten wir wieder auf, luden die Batterie und gondelten über Wasser längs. Um 11 Uhr vormittags donnerte unsere Kanone. Es war ein Segler, diesmal schon etwas größer, 800 Tonnen, aber dennoch eine spärliche Beute für acht Tage. Die Besatzung des Seglers stieg in ihr Rettungsboot, doch kam sie nicht weit, denn bei solchem Seegang wurden sie herumgeschleudert wie eine Nussschale. Eine halbe Stunde später war vom Boot und den Leuten nichts mehr zu sehen. Sie starben den Seemannstod.

Da wir nichts bei dem Wetter anfangen konnten, wollten wir warten, bis sich Wind und Seegang einigermaßen gelegt haben, und dann dem Kahn den Garaus machen. Wir blieben deshalb immer in der Nähe. Doch abends 23 Uhr mussten wir weiter, denn es kam wieder Beute in Sicht und zwar ziemlich fett. Die Jagd ging auch sofort los und mit äußerster Kraft den fliehenden Halunken hinterdrein.

4. April 1917

Um 1.16 Uhr morgens krachte endlich der erste Schuss. Der Kapitän, obwohl er eine 5,2-Zentimeter-Kanone an Bord hatte, sah wohl die nutzlose Flucht ein, stoppte und kam mit den Schiffspapieren zu uns an Bord. Der Steuermann und die Nummer Eins fuhren mit den vier Sprengpatronen zum Dampfer, legten sie und kamen mit der ganzen Besatzung des Dampfers zurück. Sie waren noch nicht wieder bei uns an Bord, als die Zündschnüre der Patronen ihr Ziel erreichten. Mit einem mächtigen Knall und einer hoch aufsteigenden Rauch- und Feuergarbe brachten sie dem Dampfer zwei große Lecks bei. Er legte sich auf Steuerbordseite und sank ganz langsam tiefer. Jetzt hieß es für uns wieder einsteigen, denn wir waren mit Erlaubnis des Kommandanten fast alle an Deck, um uns das Schauspiel anzusehen. Nach 25 Minuten durften wir wieder hochkommen, um uns das Ende dieser Tragödie anzusehen: Mit dem Vorschiff lag er schon ganz im Wasser und die Masten, die noch vor kurzer Zeit gen Himmel gerichtet waren, senkten ihre Häupter immer mehr dem Wasser zu. Der Schornstein rauchte noch, bis endlich das Wasser hineinlief und das Feuer ausmachte. Eine hohe Wassersäule ging hoch. Sie zeigte uns an, dass die Kessel explodiert waren. Noch einige Todeszuckungen, Aufsteigen großer Luftblasen, und unter kolossalem Getöse war auch der letzte Rest verschwunden.

Es war ein italienischer Dampfer, 3000 Tonnen groß. Die Besatzung war die reine Völkermischung und hätte wohl recht gut zu Hagenbeck[*] gepasst. Als das Werk beendet war, ging es zu unserem verlassenen Segler zurück.

Um 7 Uhr morgens ging die Jagd wieder los. Wieder ein Dampfer, aber obgleich wir alles daran setzten und ihm auch 14 Granaten hinterherschickten, erreichte er doch das Weite und wir mussten wieder umkehren. Nachmittags schickten wir noch einen Segler zu Neptun und fuhren dann weiter auf der Suche nach Beute. Dabei trafen wir UC 69, das auch seinen Wirkungskreis hier unten aufgeschlagen hat. Am Abend erfuhren wir per Funkspruch von der Kriegserklärung Amerikas an Deutschland[*].

5. April 1917

Um 1.15 Uhr waren wir in der Hafeneinfahrt von Brest und der Rummel ging auch gleich los. Das Torpedorohr wurde wieder klar zum Schuss gemacht, aber nach kurzer Zeit kam der Befehl «Das Ganze zurück!» und wir tauchten und fuhren auf 40 Meter Tiefe langsam weiter. Der Grund zum Angriff waren mehrere Dampfer, die aber ganz wahrscheinlich durch Flieger gewarnt worden waren, denn als wir nahe genug heran waren, stieben sie auseinander wie eine Herde wild gewordener Gänse und mit aller Kraft und im Zickzack-Kurs suchten sie das Heil in der Flucht. Wir hatten, wie schon so oft, das Nachsehen.

Um 5 Uhr tauchten wir wieder auf. Das Wetter war geradezu herrlich und wir von der Freiwache durften mittags eineinhalb Stunden an Deck sein, und außer der Wache sind auch alle anderen hochgestiegen. Man fühlte sich wie neu geboren, als einem die liebe Sonne ins Gesicht lachte. Die See, die sich noch vor zwei Tagen in haushohen Wellen einher wälzte, hatte sich wieder beruhigt und war spiegelglatt. Um 14 Uhr hieß es jedoch, wieder von der zu Bildfläche verschwinden, denn am Horizont zeigte sich eine Rauchwolke, obgleich dieselbe noch 20 bis 25 Kilometer entfernt war. Dennoch war Vorsicht geboten, und gern und erfrischt durch die würzige Seeluft stiegen wir wieder ein. Wir änderten unseren Kurs und fuhren mit aller Kraft auf das rätselhafte Fahrzeug zu. Aus der kleinen Rauchwolke entpuppte sich allmählich ein schöner Dampfer, der, als er uns sah, nichts Eiligeres zu tun hatte als auszupicken. Doch er rechnete wohl nicht damit, dass wir auch zwei Maschinen haben und zwölf Seemeilen in der Stunde herausschlugen. Nach zirka drei Stunden waren wir in der Wettfahrt Sieger, und als die ersten Begrüßungsschüsse von unserer Seite fielen, sah der Kapitän ein, dass wir keinen Spaß machten, und die Besatzung ging in die Boote. Der Kapitän brachte wieder die Schiffspapiere zu uns an Bord und der Steuermann, Obermaat Deppmeier und ein Matrose fuhren hinüber, um das Zerstörungswerk zu verrichten. Es klappte auch alles wieder ganz gut. Die Sprengpatronen knallten, der Dampfer legte sich langsam auf Backbordseite, bis allmählich der Schornstein und die Masten platt auf dem Wasser lagen. Jetzt drehte er sich noch ganz herum, sodass er kieloben schwamm. Die letzten Seufzer in Gestalt von großen Luftblasen stiegen noch hoch und weg ging er, um das Los der anderen auf 3500 Meter Tiefe zu teilen.

Die Beute fiel diesmal ziemlich reich aus. Alles, was uns noch auf dem Tisch zum Osterfest fehlte, war da: drei fette Kaninchen, zwei Tauben, Eier, Apfelsinen, Backwerk und noch allerlei so schöne Sachen. Wem diese Sachen gehört hatten, war der spanische Dampfer Sankt Fugencia, 2000 Tonnen, auf dem Wege von England Richtung Heimat. Er hatte Kohlen geladen. Zum Zeichen seiner Neutralität hatte er ja groß und breit seine Landesfarben an die Schiffswände gemalt, aber das half nichts. Er war im Sperrgebiet und da gehörte er nicht hin[*].

Als das Werk vollbracht war, ging es mit großer Fahrt nach Süden.

6. April 1917

Den ganzen Tag über Wasser gefahren, ohne auch nur das Geringste anzutreffen. So richtige Karfreitagsstimmung.

7. April 1917

Ostersonnabend. Bei immer weiter zunehmendem Seegang ging es träge über Wasser dahin. 7 Uhr morgens kam dann «Alle Fahrt und Heimatskurs!». Alle waren erstaunt, denn unsere Zeit war ja noch gar nicht abgelaufen. Aber obgleich man fragte, keiner wusste, was eigentlich anlag, und der Stab hüllte sich wie immer in tiefstes Schweigen. Um 10.10 Uhr jedoch wurde der Kurs wieder geändert. Ein Dampfer war die Ursache der Störung. Unsere Kanone gab der Besatzung recht deutlich zu verstehen, dass sie auf dem Kasten nichts mehr zu suchen haben. Doch der Kapitän dachte anders und suchte sein Heil in der Flucht. Damit war aber nichts zu machen, denn schon nach den nächsten Schüssen musste er stoppen, da ihm unser Seppl eine Granate in die Dampfleitungen gesetzt hatte und dadurch der ganze Dampf abblies. Wegen zu hoher See konnte keiner von uns an Bord des Dampfers und er wurde mit der Kanone kaputtgemacht. Nach dem 50. Schuss hatte er endlich genug und sank in das Reich der Tiefe. An Deck durften wir diesmal nicht, da zu viel Wasser rüberkam. Der Dampfer war ein Portugiese und 3500 Tonnen groß.

8. April 1917