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Poppy Wyatt schwebt im siebten Himmel, schließlich steht sie kurz vor der Hochzeit mit ihrem Traummann. Dummerweise verliert sie ihren äußerst wertvollen Verlobungsring, dann wird ihr auch noch das Handy gestohlen. Als Poppy ein weggeworfenes Smartphone findet, behält sie es kurzerhand. Schließlich muss sie die Suchaktion für ihren Ring organisieren. Dummerweise gehört das Handy dem Geschäftsmann Sam Roxton, dessen Leben bald kopfsteht. Denn Poppy kann dem Impuls nicht widerstehen, in Sams Nachrichten zu stöbern und kurzerhand ein paar Kleinigkeiten für ihn zu regeln – mit den besten Absichten, aber chaotischen Folgen. Gleichzeitig laufen Poppys Hochzeitsvorbereitungen aus dem Ruder und ihr Privatleben gerät in die Krise. Bald ist klar: Sam und Poppy sind aufeinander angewiesen, wenn sie ihr Leben wieder in den Griff bekommen wollen ...
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Seitenzahl: 622
Sophie Kinsella
Kein Kuss unter dieser Nummer
Roman
Aus dem Englischen vonJörn Ingwersen
Buch
Poppy Wyatt schwebt im siebten Himmel, schließlich steht sie kurz vor der Hochzeit mit ihrem Traummann. Unglücklicherweise verliert sie ihren äußerst wertvollen Verlobungsring, dann wird ihr auch noch das Handy gestohlen. Als Poppy ein weggeworfenes Smartphone findet, behält sie es kurzerhand, um die Suchaktion für ihren Ring organisieren zu können. Dummerweise gehört das Handy dem Geschäftsmann Sam Roxton, dessen Leben bald kopfsteht. Denn Poppy kann dem Impuls nicht widerstehen, in Sams Nachrichten zu stöbern und dabei auch gleich ein paar Kleinigkeiten für ihn zu regeln – mit den besten Absichten, aber chaotischen Folgen. Gleichzeitig laufen Poppys Hochzeitsvorbereitungen aus dem Ruder, und ihr Privatleben gerät in die Krise. Bald ist klar: Sam und Poppy sind aufeinander angewiesen, wenn sie ihr Leben wieder in den Griff bekommen wollen …
Autorin
Sophie Kinsella ist Schriftstellerin und ehemalige Wirtschaftsjournalistin. Ihre Schnäppchenjägerin-Romane um die liebenswerte Chaotin Rebecca Bloomwood werden von einem Millionenpublikum verschlungen. Die Verfilmung ihres Bestsellers »Shopaholic – Die Schnäppchenjägerin« wurde zum internationalen Kinohit. Sophie Kinsella eroberte die Bestsellerlisten aber auch mit Romanen wie »Göttin in Gummistiefeln«, »Kennen wir uns nicht?«, »Frag nicht nach Sonnenschein« oder mit ihren unter dem Namen Madeleine Wickham verfassten Romanen. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in London.
Die Romane mit Schnäppchenjägerin Rebecca Bloomwood in chronologischer Reihenfolge:
Die Schnäppchenjägerin · Fast geschenkt · Hochzeit zu verschenken · Vom Umtausch ausgeschlossen · Prada, Pumps und Babypuder · Mini Shopaholic · Shopaholic in Hollywood · Shopaholic und Family
Außerdem lieferbar:
Sag’s nicht weiter, Liebling · Göttin in Gummistiefeln · Kennen wir uns nicht? · Charleston Girl · Frag nicht nach Sonnenschein · Das Hochzeitsversprechen · Schau mir in die Augen, Audrey
Sophie Kinsella schreibt als Madeleine Wickham:
Die Heiratsschwindlerin · Reizende Gäste · Cocktail für drei
Für Rex
Anmerkung
Hallo!
Danke, dass Sie meinen Roman heruntergeladen haben. Ich hoffe, Sie lesen ihn auf einem wunderschönen, glänzenden Gerät. Bevor Sie anfangen, wollte ich Sie darauf hinweisen, dass »Kein Kuss unter dieser Nummer« Fußnoten enthält. Aber keine Angst, ich habe keine wissenschaftliche Abhandlung verfasst!
Die Fußnoten sind in diese E-Book-Ausgabe clever integriert:
Wenn Sie über eine kleine Ziffer stolpern, bitte darauf tippen oder sie anklicken und Sie kommen direkt zum Text der Fußnote.
Wenn Sie die Fußnote gelesen haben, einfach noch einmal auf die Ziffer tippen oder sie anklicken, und Sie sind wieder zurück im Roman.
Ich hoffe, das Buch gefällt Ihnen!
Love,
Sophie x
EINS
Es ist alles eine Frage der Perspektive. Ich muss es nur aus der richtigen Perspektive betrachten. Es ist kein Erdbeben, kein Amokläufer und auch kein Atomunglück. Auf der Katastrophenskala steht es nicht sehr weit oben. Nicht sehr weit jedenfalls. Eines Tages werde ich mich bestimmt an diesen Augenblick erinnern und lachen und denken: »Wie dumm ich war, mich deswegen so verrückt zu machen …«
Vergiss es, Poppy. Netter Versuch. Ich lache nicht … mir ist speiübel. Blindlings laufe ich durch den Ballsaal des Hotels, mit hämmerndem Herzen, und suche erfolglos das blaue Teppichmuster ab. Ich schaue hinter vergoldeten Stühlen nach, unter weggeworfenen Servietten, an Stellen, wo er unmöglich sein kann.
Ich habe ihn verloren. Das Einzige auf der ganzen Welt, das ich nicht verlieren durfte: meinen Verlobungsring.
Dieser Ring ist gelinde gesagt etwas ganz Besonderes. Seit drei Generationen befindet er sich im Besitz von Magnus’ Familie. Es ist ein atemberaubender Smaragd mit zwei Diamanten, und Magnus musste ihn aus einem speziellen Banktresor holen, bevor er mir seinen Heiratsantrag machte. Drei ganze Monate habe ich ihn problemlos getragen. Nachts habe ich ihn abgelegt und auf einen speziell dafür vorgesehenen Porzellanteller gelegt, und wenn ich ihn tagsüber trug, habe ich alle dreißig Sekunden nach ihm getastet. Aber heute, an dem Tag, an dem seine Eltern aus den Staaten wiederkommen, habe ich den Ring verloren. Ausgerechnet.
Die Professoren Antony Tavish und Wanda Brook-Tavish sitzen in diesem Moment im Flugzeug, auf dem Rückweg von einem Forschungssemester in Chicago. Ich sehe sie direkt vor mir, wie sie gesalzene Erdnüsse knabbern und wissenschaftliche Zeitschriften auf ihren Kindles lesen. Ich weiß ehrlich nicht, wer von beiden mir mehr Angst macht.
Er. Er ist so sarkastisch.
Nein, sie. Mit ihren krausen Haaren. Und dauernd fragt sie einen, wie man über den Feminismus denkt.
Okay, sie sind beide ziemlich furchteinflößend. Und sie landen in etwa einer Stunde, und natürlich werden sie den Ring sehen wollen.
Nicht hyperventilieren, Poppy! Bleib positiv! Ich muss das Ganze nur aus einer anderen Perspektive betrachten. Zum Beispiel … was würde Poirot tun? Poirot würde nicht panisch mit den Armen rudern. Er würde die Ruhe bewahren und seine kleinen grauen Zellen benutzen, um sich an ein winziges Detail zu erinnern, das dann den entscheidenden Hinweis gibt.
Ich kneife die Augen zu. Kommt schon, kleine graue Zellen! Strengt euch mal ein bisschen an!
Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob Poirot drei Gläser rosa Champagner und einen Mojito intus hatte, als er den Mord im Orient-Express löste.
»Miss?« Eine grauhaarige Putzfrau versucht, mich mit einem Staubsauger zu umschiffen. Erschrocken stöhne ich auf. Sie saugen schon den Ballsaal? Was ist, wenn sie den Ring mit aufsaugen?
»Entschuldigen Sie …« Ich tippe an ihre blaue Kittelschulter. »Könnten Sie mir nicht noch fünf Minuten Zeit geben, bevor Sie den Staubsauger anwerfen?«
»Suchen Sie immer noch Ihren Ring?« Skeptisch schüttelt sie den Kopf, dann lächelt sie. »Bestimmt finden Sie ihn zu Hause wieder. Wahrscheinlich liegt er schon die ganze Zeit da.«
»Vielleicht.« Ich zwinge mich, höflich zu nicken, obwohl ich viel lieber schreien würde: »So blöd bin ich nicht!«
Auf der anderen Seite des Ballsaals sehe ich eine weitere Putzfrau, die Krümel und zerknüllte Servietten in einen schwarzen Müllbeutel schüttelt. Sie passt überhaupt nicht auf. Hat sie mir denn nicht zugehört?
»Verzeihung!«, kreischt meine Stimme, als ich zu ihr hinübersprinte. »Sie suchen doch hoffentlich immer noch nach meinem Ring, oder?«
»Bis jetzt ist er nicht aufgetaucht.« Ohne die Reste eines Blickes zu würdigen, wischt die Frau sie vom Tisch, direkt in den Müllbeutel.
»Moment!« Ich greife nach den Servietten und hole sie wieder heraus, taste jede einzelne nach einem harten Klumpen ab, auch wenn ich mir dabei die Hände mit Buttercreme vollschmiere.
»Junge Frau, ich versuche hier aufzuräumen.« Sie reißt mir die Servietten aus der Hand. »Sehen Sie mal, was Sie hier für eine Sauerei veranstalten!«
»Ich weiß, ich weiß. Tut mir leid.« Ich sammle die Cupcake-Papierförmchen auf, die mir heruntergefallen sind. »Aber Sie verstehen nicht. Wenn ich diesen Ring nicht wiederfinde, kann ich mir gleich die Kugel geben.«
Am liebsten würde ich mir die Mülltüte schnappen und den Inhalt per Pinzette einer forensischen Prüfung unterziehen. Am liebsten würde ich den ganzen Raum mit einem Plastikband einzäunen und zum Tatort erklären. Er muss hier sein, er muss es einfach!
Es sei denn, jemand hätte ihn an sich genommen. Das ist die einzige Möglichkeit, an die ich mich noch klammern kann. Eine meiner Freundinnen trägt ihn, ohne es zu merken. Vielleicht ist er in eine Handtasche gerutscht … vielleicht ist er in eine Jackentasche gefallen … er hängt an einem Pulloverfaden fest … Die diversen Möglichkeiten, die mir einfallen, werden immer unwahrscheinlicher, aber ich darf die Hoffnung nicht aufgeben.
»Haben Sie es schon in der Damentoilette probiert?« Die Frau schwenkt aus, um an mir vorbeizukommen.
Selbstverständlich habe ich es in der Toilette probiert. Auf allen vieren habe ich jede einzelne Kabine abgesucht. Und dann sämtliche Waschbecken. Zweimal. Danach habe ich versucht, den Mann am Empfang zu überreden, dass er die Toiletten verriegelt und die Abflussrohre untersuchen lässt, aber er hat sich geweigert. Er meinte, es wäre etwas anderes, wenn ich genau wüsste, dass ich ihn dort verloren habe, und war überzeugt davon, dass sicher auch die Polizei seiner Meinung wäre, und ob ich wohl so nett sein könnte beiseitezutreten, weil hinter mir noch andere Leute warteten.
Polizei. Pah. Ich hatte gedacht, sobald ich anrief, kämen die mit ihren Streifenwagen angeheult, aber die haben mir am Telefon nur mitgeteilt, dass ich aufs Revier kommen und Anzeige erstatten soll. Ich habe keine Zeit für den ganzen Papierkram! Ich muss meinen Ring finden!
Eilig gehe ich noch einmal zu dem runden Tisch, an dem wir heute Nachmittag gesessen haben, und krieche darunter, taste zum wiederholten Mal den Teppich ab. Wie konnte ich das geschehen lassen? Wie konnte ich so dumm sein?
Meine alte Schulfreundin Natasha hatte die Idee, Karten für den »Marie Curie Champagne Tea« zu besorgen. Sie konnte nicht an dem Wellness-Wochenende zu meinem offiziellen Junggesellinnenabschied teilnehmen, also war das eine Art Ersatz. Insgesamt saßen wir zu acht am Tisch, kippten fröhlich Schampus und stopften Cupcakes in uns hinein, und kurz bevor die Tombola begann, sagte jemand: »Komm schon, Poppy, lass mich mal deinen Ring probieren!«
Ich kann mich nicht mal mehr erinnern, wer es war. Annalise vielleicht? Annalise war mit mir auf der Fachhochschule, und jetzt arbeiten wir beide bei First Fit Physio, gemeinsam mit Ruby, die auch zu unserem Jahrgang gehörte. Ruby war heute ebenfalls da, aber ich bin mir nicht sicher, ob sie den Ring anprobiert hat. Oder doch?
Ich kann gar nicht fassen, wie unfähig ich bin. Wie kann ich hier den Poirot mimen, wenn ich mich nicht mal an die grundlegendsten Dinge erinnere? Tatsächlich scheint es mir, als hätten alle den Ring anprobiert: Natasha und Clare und Emily (alte Schulfreundinnen aus Taunton) und Lucinda (meine Hochzeitsplanerin, mit der ich mich ein bisschen angefreundet habe) und ihre Assistentin Clemency und Ruby und Annalise (nicht nur Kommilitoninnen und Kolleginnen, sondern meine beiden besten Freundinnen. Sie werden auch meine Brautjungfern sein).
Ich gebe es zu. Ich habe mich in der allgemeinen Bewunderung gesonnt. Ich kann auch jetzt noch nicht fassen, dass etwas derart Erhabenes und Schönes mir gehören soll. Ehrlich gesagt kann ich das Ganze sowieso nicht glauben. Ich bin verlobt! Ich, Poppy Wyatt. Mit einem großen, gutaussehenden Universitätsdozenten, der ein Buch geschrieben hat und sogar schon mal im Fernsehen war. Noch vor einem halben Jahr glich mein Liebesleben einer Trümmerlandschaft. Ein Jahr lang war nichts Entscheidendes passiert, und widerstrebend kam ich zu dem Entschluss, diesem match.com-Typen mit dem Mundgeruch noch eine zweite Chance zu geben … und jetzt sind es nur noch zehn Tage bis zu meiner Hochzeit! Jeden Morgen wache ich auf und sehe Magnus’ weichen, von Sommersprossen übersäten Rücken und denke: »Mein Verlobter, Dr. Magnus Tavish, Dozent am Londoner King’s College1« – und kann es kaum glauben. Doch dann drehe ich mich um und sehe mir den Ring an, der dort teuer glitzernd auf meinem Nachtisch liegt – und kann es schon wieder nicht glauben.
Was wird Magnus wohl dazu sagen?
Mein Magen krampft sich zusammen, und ich muss schlucken. Nein, denk nicht dran! Kommt schon, kleine graue Zellen! Gebt alles!
Ich erinnere mich, dass Clare den Ring lange trug. Sie wollte ihn gar nicht wieder abnehmen. Dann fing Natasha an, daran herumzuzerren, und sagte: »Ich bin dran, ich bin dran!« Und ich weiß noch, dass ich sie gewarnt habe: »Vorsichtig!«
Ich meine, es ist ja nicht so, als hätte ich verantwortungslos gehandelt. Ich hatte den Ring die ganze Zeit im Blick, als er am Tisch herumgereicht wurde.
Aber danach war ich abgelenkt, denn die Tombola fing an, und die Preise waren einfach fantastisch. Eine Woche in einer italienischen Villa, ein Haarschnitt in einem Top-Salon, ein Gutschein für Harvey Nichols … Überall im Ballsaal zückten die Leute ihre Eintrittskarten, von der Bühne her wurden Zahlen gerufen, und Frauen sprangen auf und riefen: »Ich!«
Und genau das war der Moment, in dem mir ein Fehler unterlief. Das war der Moment, den ich so schmerzlich gern rückgängig machen möchte. Könnte ich durch die Zeit reisen, wäre das der Moment, in dem ich auf mich selbst zugehen und feierlich sagen würde: »Poppy, du musst Prioritäten setzen!«
Aber man kriegt davon gar nichts mit, oder? Der Moment ist da, einem unterläuft dieser entscheidende Fehler, und schon ist der Moment vorbei. Man hat gar keine Chance mehr, etwas zu unternehmen.
Es lag daran, dass Clare bei der Tombola Tickets für Wimbledon gewann. Ich habe Clare von Herzen lieb, aber sie war schon immer etwas zaghaft. Sie stand nicht auf und rief laut: »Ich! Hier drüben!« Sie hob ihre Hand nur ein klitzekleines Stückchen. Nicht mal wir an ihrem Tisch merkten, dass sie gewonnen hatte.
Dass Clare ihr Los hochhielt, sah ich erst, als der Moderator auf der Bühne schon sagte: »Wenn es keine Gewinnerin gibt, ziehen wir ein neues Los …«
»Melde dich!« Ich pikste Clare und winkte wie wild. »Hier! Die Gewinnerin ist hier drüben!«
»Und die neue Nummer lautet … 4-4-0-3.«
Ungläubig musste ich mit ansehen, wie drüben auf der anderen Seite des Raumes ein dunkelhaariges Mädchen jubelte und sein Los schwenkte.
»Die hat nicht gewonnen!«, rief ich entrüstet. »Du hast gewonnen.«
»Ist doch egal.« Clare lehnte sich zurück.
»Das ist überhaupt nicht egal!«, rief ich, bevor ich mich bremsen konnte, und alle am Tisch fingen an zu lachen.
»Gib’s ihnen, Poppy!«, rief Natasha. »Gib’s ihnen, Weiße Ritterin! Sag es, wie es ist!«
»Hau rein, Ritterlein!«
Das ist ein sehr alter Scherz. Nur weil ich einmal an der Schule eine Petition zur Rettung der Hamster eingereicht hatte, fingen damals alle an, mich »Weiße Ritterin« zu rufen. Oder kurz Ritterlein. Mein Wahlspruch ist angeblich: »Selbstverständlich ist es wichtig!«2
Egal. Jedenfalls stand ich innerhalb von zwei Minuten oben auf der Bühne, neben dem dunkelhaarigen Mädchen, und stritt mit dem Moderator darum, ob das Los meiner Freundin mehr zählte als ihres.
Inzwischen weiß ich, dass ich den Tisch nie hätte verlassen sollen. Ich hätte den Ring nicht aus den Augen lassen dürfen, nicht mal eine Sekunde. Ich sehe ein, wie dumm es war. Allerdings wusste ich ja auch nicht, dass es einen Feueralarm geben würde, oder?
Ich dachte, ich träume. Eben sitzen noch alle nett beim Champagner. Dann plötzlich heult eine Sirene, und es herrscht allgemeines Chaos, weil alle aufspringen und zu den Ausgängen rennen. Ich konnte sehen, wie Annalise, Ruby und alle anderen ihre Taschen nahmen und sich auf den Weg machten. Ein Mann im Anzug kam auf die Bühne, fing an, mich, das dunkelhaarige Mädchen und den Moderator zu einer Seitentür zu manövrieren, und wollte uns nicht in die andere Richtung von der Bühne lassen. »Ihre Sicherheit ist uns das Wichtigste«, sagte er immer wieder.3
Selbst da war es nicht so, als hätte ich mir Sorgen gemacht. Ich dachte ja nicht, dass der Ring weg wäre. Ich nahm an, eine meiner Freundinnen hätte ihn an sich genommen, und ich würde die anderen draußen treffen und ihn dort zurückbekommen.
Draußen jedoch herrschte absolutes Chaos. Neben unserer Veranstaltung fand im Hotel eine große Konferenz von Geschäftsleuten statt, und die zahllosen Teilnehmer strömten aus allen Türen auf die Straße. Das Hotelpersonal versuchte, mit Flüstertüten Anweisungen zu geben, und Autos hupten, und ich brauchte eine Ewigkeit, um Natasha und Clare in dem Tohuwabohu ausfindig zu machen.
»Habt ihr meinen Ring?«, wollte ich sofort wissen und gab mir alle Mühe, nicht vorwurfsvoll zu klingen. »Wer hat ihn?«
Beide sahen mich mit leerer Miene an.
»Keine Ahnung.« Natasha zuckte mit den Achseln. »Hatte Annalise ihn nicht?«
Also stürzte ich mich wieder in die Menge, um Annalise zu suchen, aber die hatte ihn auch nicht. Sie meinte, Clare hätte ihn. Aber Clare meinte, Clemency hätte ihn. Aber Clemency sagte, vielleicht hätte Ruby ihn, aber war die nicht schon gegangen?
Das Problem mit der Panik ist, dass sie sich anschleicht. Im einen Moment ist man noch ganz ruhig, sagt sich: »Mach dich nicht lächerlich. Der Ring kann doch nicht weg sein.« Im nächsten sagen die Leute von Marie Curie, die Veranstaltung werde aufgrund unvorhergesehener Umstände abgebrochen, und verteilen Präsenttütchen. Und alle deine Freundinnen sind verschwunden, um noch ihre U-Bahn zu kriegen. Und dein Finger ist immer noch nackt. Und eine Stimme in deinem Kopf kreischt: »O mein Gott! Ich wusste, dass es passieren würde! Man hätte mir einfach kein wertvolles Erbstück anvertrauen dürfen! Das war ein Fehler! Ein Riesenfehler!«
Und so findet man sich eine Stunde später unter einem Tisch wieder, tastet einen versifften Hotelteppich ab und betet verzweifelt um ein Wunder. (Selbst wenn der Vater deines Verlobten einen ganzen Bestseller darüber geschrieben hat, dass es keine Wunder gibt und schon der Ausspruch »O mein Gott« als Anzeichen für Geistesschwäche gelten kann.)4
Plötzlich merke ich, dass mein Handy blinkt, und ich nehme es mit zitternden Fingern. Drei Nachrichten sind gekommen, und voller Hoffnung sehe ich sie mir an.
Schon gefunden? Annalise xx
Tut mir leid, Süße, hab ihn nicht gesehen. Keine Sorge, von mir erfährt Magnus nichts. N xxx
Hi, Pops, wie schrecklich, so einen Ring zu verlieren! Eigentlich dachte ich, ich hätte ihn gesehen … (Eingehende Nachricht)
Erschüttert starre ich mein Handy an. Clare hat ihn gesehen? Wo?
Ich krieche unter dem Tisch hervor und wedele mit meinem Handy herum, doch der Rest der SMS weigert sich standhaft durchzukommen. Der Empfang hier drinnen ist das Letzte. Wie können die sich hier als Fünfsternehotel bezeichnen? Ich muss extra vor die Tür gehen.
»Hi!« Ich trete an die grauhaarige Putzfrau heran und schreie gegen den Lärm des Staubsaugers an: »Ich gehe mal eben raus, um eine SMS zu lesen. Aber falls Sie den Ring finden, rufen Sie mich an! Ich habe Ihnen meine Handynummer ja gegeben, ich geh nur kurz mal eben vor die Tür …«
»Das ist bestimmt eine gute Idee«, sagt die Putzfrau geduldig.
Ich haste durch die Lobby, umrunde Pulks von Konferenzteilnehmern und bremse etwas ab, als ich am Empfang vorbeikomme.
»Irgendeine Spur von …?«
»Hier ist noch nichts abgegeben worden, Madam.«
Die Luft draußen ist mild mit einem Hauch von Sommer, obwohl wir erst Mitte April haben. Ich hoffe, dass das Wetter in zehn Tagen auch noch so gut ist, denn ich werde ein rückenfreies Hochzeitskleid tragen und baue darauf, dass die Sonne scheint.
Die Stufen draußen vor dem Hotel sind breit und flach, und ich laufe auf und ab, schwenke mein Handy hin und her, versuche erfolglos, ein Netz zu finden. Schließlich gehe ich hinunter bis auf den Bürgersteig, wedele noch wilder mit meinem Handy herum, halte es über meinen Kopf, dann beuge ich mich auf die Straße hinaus, halte mein Telefon mit den Fingerspitzen.
Komm schon, Handy, sage ich im Stillen. Du schaffst das! Tu es für Poppy! Such die Nachricht! Irgendwo muss hier ein Netz sein … du schaffst das …
»Aaaaah!« Ich höre meinen eigenen Schreckensschrei, bevor ich überhaupt merke, was passiert ist. Ich spüre einen stechenden Schmerz in meiner Schulter. Meine Finger tun weh. Eine Gestalt auf einem Fahrrad hält eilig auf das Ende der Straße zu. Ich sehe nur noch einen alten grauen Kapuzenpulli und enge schwarze Jeans, als das Rad um die Ecke biegt.
Meine Hand ist leer.
»Was zum Teufel …?«
Ungläubig starre ich meine Handfläche an. Der Typ hat mir mein Handy weggenommen.
Mein Handy ist mein Leben. Ohne komme ich nicht zurecht. Es ist ein lebenswichtiges Organ.
»Madam, ist alles in Ordnung?« Eilig kommt der Portier die Treppe heruntergelaufen. »Ist was passiert? Hat er Sie verletzt?«
»Ich … ich bin überfallen worden«, bringe ich stotternd hervor. »Man hat mir mein Handy gestohlen.«
Der Portier schnalzt mitfühlend mit der Zunge. »Windhunde sind das. In dieser Gegend muss man unheimlich aufpassen …«
Ich höre nicht zu. Ich zittere am ganzen Leib. Noch nie habe ich mich so verloren gefühlt. Was mache ich ohne mein Handy? Wie soll ich funktionieren? Unwillkürlich greift meine Hand in die Tasche, in der ich es normalerweise aufbewahre. Instinktiv möchte ich jemandem simsen: »O mein Gott, ich habe mein Handy verloren!«, aber wie kann ich das ohne ein gottverfluchtes Telefon?
Mein Handy ist mein Zuhause. Mein Freundeskreis. Meine Familie. Meine Arbeit. Meine Welt. Es ist einfach alles. Ich fühle mich, als hätte man meine Herz-Lungen-Maschine abgeschaltet.
»Soll ich die Polizei rufen, Madam?« Besorgt sieht mich der Portier an.
Ich bin zu abgelenkt, um antworten zu können. Plötzlich kommt mir eine schreckliche Erkenntnis. Der Ring. Ich habe allen meine Handynummer gegeben: den Putzfrauen, den Toilettenfrauen, den Leuten von Marie Curie, allen. Was ist, wenn jemand den Ring findet? Was ist, wenn jemand ihn hat und genau in diesem Moment versucht, mich anzurufen, aber keiner rangeht, weil der Kapuzenmann längst meine SIM-Karte rausgenommen und in den Fluss geworfen hat?
O Gott.5 Ich muss mit dem Concierge sprechen. Ich muss ihm meine Festnetznummer geben.
Nein. Keine gute Idee. Wenn sie eine Nachricht hinterlassen, könnte Magnus davon erfahren.6
Okay, also … also … gebe ich meine Nummer bei der Arbeit raus. Ja.
Nur dass heute Abend niemand in der Praxis ist. Und ich kann da nicht stundenlang rumsitzen, für alle Fälle.
Langsam gerate ich ernstlich in Panik. Langsam wird mir das ganze Ausmaß der Katastrophe bewusst.
Zu meinem weiteren Unglück ist der Concierge beschäftigt, als ich in die Lobby renne. Sein Tresen ist von Konferenzteilnehmern umringt, es geht offensichtlich um Tischreservierungen. Ich versuche, seinen Blick aufzufangen, hoffe, er winkt mich vor, weil mein Fall Priorität genießt, doch er gibt sich alle Mühe, mich zu ignorieren, was mich doch leicht verletzt. Ich weiß, ich habe ihn heute Nachmittag lange mit Beschlag belegt – aber merkt er denn nicht, in welch himmelschreiender Not ich mich befinde?
»Madam.« Der Portier ist mir in die Lobby gefolgt und runzelt vor Sorge die Stirn. »Können wir Ihnen etwas gegen den Schock geben? Arnold!« Barsch ruft er einen Kellner herüber. »Einen Brandy für die Dame, bitte, aufs Haus. Und wenn Sie mit unserem Concierge sprechen, wird er Ihnen gleich helfen, was die Polizei angeht. Möchten Sie sich vielleicht setzen?«
»Nein, danke.« Plötzlich kommt mir ein Gedanke. »Vielleicht sollte ich mein Handy anrufen! Den Dieb anrufen! Ich könnte ihn bitten zurückzukommen, ihm eine Belohnung anbieten … Was meinen Sie? Dürfte ich Ihr Telefon benutzen?«
Der Portier schreckt ein wenig zurück, als ich meine Hand ausstrecke.
»Madam, ich glaube, das wäre doch ausgesprochen unklug«, sagt er ernst. »Sicher würde mir die Polizei zustimmen, dass Sie dergleichen keineswegs tun sollten. Vermutlich stehen Sie unter Schock. Nehmen Sie doch bitte Platz und versuchen Sie, sich zu entspannen.«
Hm. Vielleicht hat er recht. Ich bin nicht scharf auf ein Stelldichein mit einem kriminellen Kapuzenträger. Aber ich kann mich auch nicht hinsetzen und entspannen. Dafür bin ich viel zu überdreht. Um meine Nerven zu beruhigen, fange ich an herumzulaufen, lasse meine Absätze auf dem Marmorboden knallen. Vorbei an einem mächtigen Gummibaum … vorbei am Tisch mit den Zeitungen … vorbei an einem großen glänzenden Abfalleimer … zurück zum Gummibaum. Es ist ein tröstlicher kleiner Rundkurs, und die ganze Zeit über behalte ich den Concierge im Auge und warte darauf, dass er frei wird.
In der Lobby drängen sich nach wie vor die Konferenzteilnehmer. Durch die Glastüren kann ich den Portier draußen auf der Treppe stehen sehen, wo er Taxis heranwinkt und Trinkgeld einsteckt. Ein untersetzter Japaner im blauen Anzug steht in meiner Nähe, zusammen mit einigen europäisch wirkenden Geschäftsleuten, und schimpft lauthals etwas, das wie wütendes Japanisch klingt. Dabei gestikuliert er wild mit seinem Konferenzausweis herum, den er an einem roten Band um den Hals trägt. Er ist so klein, und die anderen Männer wirken dermaßen nervös, dass ich fast lächeln möchte.
Der Brandy kommt auf einem Tablett, und ich bleibe kurz stehen, um ihn in einem Zug auszutrinken, dann laufe ich weiter, folge meinem eintönigen Parcours.
Gummibaum … Zeitungstisch … Abfalleimer … Gummibaum … Zeitungstisch … Abfalleimer …
Nachdem ich mich nun etwas beruhigt habe, brodeln in mir Mordgelüste. Ist sich dieser Kapuzentyp darüber im Klaren, dass er mein Leben zerstört hat? Ist er sich darüber im Klaren, wie wichtig ein Handy ist? Es ist das Schlimmste, was man einem Menschen klauen kann. Das Allerschlimmste.
Und dabei war es nicht mal ein so tolles Handy. Es war ziemlich altmodisch. Da wünsche ich dem Kapuzenmann viel Glück, wenn er beim Simsen das »B« braucht oder ins Internet will. Ich hoffe, er scheitert kläglich. Dann wird ihm die ganze Sache noch leidtun.
Baum … Zeitungen … Eimer … Baum … Zeitungen … Eimer …
Und außerdem hat er meiner Schulter wehgetan. Scheißkerl. Vielleicht könnte ich ihn auf ein paar Millionen Schmerzensgeld verklagen. Falls sie ihn jemals schnappen, was nicht der Fall sein wird.
Baum … Zeitungen … Eimer …
Eimer.
Moment.
Was ist das?
Abrupt bleibe ich stehen und starre in den Abfall, frage mich, ob mir hier jemand einen Streich spielt oder ob ich Halluzinationen habe.
Da liegt ein Telefon.
Da unten im Eimer. Ein Handy.
1 Sein Spezialgebiet ist Kultureller Symbolismus. Ich habe sein Buch Die Philosophie des Symbolismus überflogen, gleich nach unserem zweiten Date, und dann habe ich so getan, als hätte ich es schon vor Urzeiten gelesen, rein zufällig, aus Vergnügen. (Was er mir, ehrlich gesagt, keinen Augenblick geglaubt hat.) Entscheidend ist aber, dass ich es gelesen habe. Und was mich am meisten dabei beeindruckt hat: Es gab so viele Fußnoten! Darauf fahr ich voll ab. Sind die nicht praktisch? Man klemmt sie einfach irgendwo dazwischen und sieht sofort schlau aus.
Magnus sagt, Fußnoten sind für Dinge, um die es einem eigentlich nicht geht, die aber trotzdem von Interesse sind. Okay. Das hier ist meine Fußnote zum Thema »Fußnoten«.
2 Was ich eigentlich nie sage. Genau wie Humphrey Bogart nie gesagt hat: »Spiel’s noch einmal, Sam.« Das ist ein moderner Mythos.
3 Natürlich stand das Hotel nicht in Flammen. Ein Kurzschluss hatte den Alarm ausgelöst. Das habe ich erst später herausgefunden. Nicht dass es mir ein Trost gewesen wäre.
4 Hat Poirot jemals »O mein Gott« gesagt? Bestimmt. Oder »Sacre bleu!«, was auf dasselbe hinausläuft. Und widerlegt das nicht Antonys Theorie? Schließlich funktionieren Poirots graue Zellen deutlich besser als die aller anderen. Darauf sollte ich Antony eines Tages mal hinweisen. Wenn ich den Mut finde. (Was, wenn ich den Ring wirklich verloren habe, vermutlich nie der Fall sein wird.)
5 Ein Zeichen von Geistesschwäche.
6 Es ist doch trotz allem immer noch im Bereich des Möglichen, dass ich den Ring wiederbekomme und er nie etwas davon erfährt, oder?
ZWEI
Ich blinzle und gucke noch mal hin – aber es ist immer noch da, halb versteckt unter weggeworfenen Konferenzprogrammen und einem Starbucks-Becher. Wie kommt ein Handy in den Müll?
Ich sehe nach, ob mich jemand beobachtet – dann greife ich vorsichtig hinein und hole es heraus. Es hat etwas Kaffee abbekommen, scheint ansonsten aber in Ordnung zu sein. Und es ist ein gutes Handy. Ein Nokia. Neu.
Vorsichtig drehe ich mich um und sehe mir die überfüllte Lobby an. Niemand schenkt mir auch nur die leiseste Beachtung. Niemand kommt mir entgegen und ruft: »Da ist mein Handy!« Und ich treibe mich hier immerhin seit zehn Minuten herum. Das Handy muss schon länger da gelegen haben.
Auf der Rückseite klebt ein Sticker mit der winzigen Aufschrift White Globe Consulting Group und einer Nummer. Hat irgendwer es einfach weggeworfen? Ist es kaputt? Ich stelle es an. Das Display leuchtet. Es scheint mir völlig in Ordnung zu sein.
Eine leise Stimme in meinem Kopf sagt mir, ich sollte es abgeben. Es zum Empfangstresen bringen und sagen: »Entschuldigen Sie, ich glaube, jemand hat sein Telefon verloren.« Das sollte ich tun. Auf direktem Weg zum Empfang gehen, auf der Stelle, wie jedes verantwortungsvolle, zivilisierte Mitglied der Gesellschaft …
Meine Füße bewegen sich keinen Zentimeter. Meine Hand schließt sich schützend um das Handy. Schließlich brauche ich ein Handy. Ich wette, die White Globe Consulting Group – wer das auch sein mag – hat massenhaft Telefone. Und es ist ja nicht gerade so, als hätte ich es auf dem Boden oder auf der Toilette gefunden, oder? Es lag in einem Abfalleimer. Sachen, die im Abfall liegen, sind Müll. Sie sind Allgemeingut. Man stellt sie der Welt zur Verfügung. So ist das normalerweise.
Ich werfe noch einen Blick in den Eimer und sehe eine rote Kordel, wie alle Tagungsteilnehmer sie um den Hals tragen. Ich vergewissere mich, dass der Concierge nicht herübersieht, dann greife ich wieder hinein und hole einen Konferenzausweis hervor. Das Foto einer umwerfend schönen Frau starrt mich an, und darunter steht: Violet Russell, White Globe Consulting Group.
Langsam kristallisiert sich eine ziemlich gute Theorie heraus. Ich könnte glatt Poirot sein. Das Telefon gehört Violet Russell, und sie hat es weggeworfen, weil … sie ihre Gründe dafür hatte.
Es war ihr Wunsch und Wille. Ich kann nichts dafür.
Plötzlich summt das Handy, und ich zucke zusammen. Scheiße! Das Ding lebt. Der Klingelton beginnt auf höchster Lautstärke – es ist »Single Ladies« von Beyoncé. Eilig drücke ich den Anruf weg, aber im nächsten Moment fängt es wieder an, laut und fordernd.
Kann man an diesem Scheißding die Lautstärke etwa nicht regulieren? Zwei Geschäftsfrauen in der Nähe drehen sich zu mir um, was mich dermaßen aus der Fassung bringt, dass ich den Anruf aus Versehen annehme. Die beiden Frauen beobachten mich immer noch, also halte ich mir das Telefon ans Ohr und wende mich ab.
»Der Teilnehmer ist nicht erreichbar«, sage ich und versuche, wie eine Maschine zu klingen. »Sie können eine Nachricht hinterlassen.« Damit bin ich den Anrufer sicher los.
»Wo zum Teufel bist du?« Eine sanfte, gebildete, männliche Stimme fängt an zu sprechen, und fast quieke ich vor Schreck. Es hat geklappt! Er hält mich für die Mailbox! »Ich habe eben mit Scottie gesprochen. Er weiß jemanden, der es hinkriegen könnte. Die reine Schlüssellochchirurgie. Er ist gut. Hinterlässt keine Spuren.«
Ich wage nicht zu atmen. Oder mich an der Nase zu kratzen, obwohl sie auf einmal schrecklich juckt.
»Okay«, sagt der Mann. »Also, was du auch tust, sei verdammt vorsichtig.« Er legt auf. Staunend starre ich das Handy an. Ich hatte nicht gedacht, dass tatsächlich jemand eine Nachricht hinterlassen würde.
Jetzt habe ich ein richtig schlechtes Gewissen. Das war eine Nachricht für die Mailbox, und Violet hat sie verpasst. Ich meine, es ist nicht meine Schuld, dass sie ihr Handy weggeworfen hat, aber trotzdem … Instinktiv wühle ich in meiner Tasche nach einem Stift, aber das Einzige, worauf ich schreiben kann, ist ein altes Theaterprogramm.7 »Scottie hat jemanden, Schlüssellochchirurgie, hinterlässt keine Spuren, sei verdammt vorsichtig.«
Gott weiß, worum es dabei gehen mag. Fettabsaugung vielleicht? Egal, wie dem auch sei. Entscheidend ist, dass ich dieser Violet die Nachricht weitergeben kann, falls ich sie jemals treffen sollte.
Bevor das Handy wieder klingeln kann, laufe ich eilig zum Empfang, der mittlerweile wundersamerweise nicht mehr umlagert ist.
»Hi«, sage ich atemlos. »Ich schon wieder. Hat jemand meinen Ring gefunden?«
»Ich kann Ihnen versichern, Madam«, sagt er mit frostigem Lächeln, »dass wir es Ihnen mitgeteilt hätten, wenn er gefunden worden wäre. Wir haben Ihre Handynummer …«
»Nein, haben Sie nicht!«, falle ich ihm ins Wort, fast triumphierend. »Das ist es ja gerade! Die Nummer, die ich Ihnen gegeben habe, ist inzwischen … äh … veraltet. Stillgelegt. Mehr oder weniger.« Auf keinen Fall möchte ich, dass er den Kapuzenmann anruft und ihm was von einem unbezahlbaren Smaragdring erzählt. »Bitte rufen Sie die Nummer nicht an. Könnten Sie stattdessen diese hier wählen?« Sorgsam schreibe ich die Nummer von der Rückseite des White-Globe-Consulting-Handys ab. »Offen gesagt, nur um sicherzugehen … darf ich es testen?« Ich greife nach dem Hoteltelefon und wähle die eben abgeschriebene Nummer. Einen Moment später schmettert Beyoncé los. Okay. Endlich kann ich mich etwas entspannen. Ich habe ein Telefon.
»Madam, haben Sie noch etwas auf dem Herzen?«
Der Concierge sieht einigermaßen genervt aus, und hinter mir bildet sich schon wieder eine Schlange. Also bedanke ich mich artig und steuere ein Sofa in der Nähe an, vollgepumpt mit Adrenalin. Ich habe ein Handy, und ich habe einen Plan.
Ich brauche nur fünf Minuten, um meine neue Handynummer auf zwanzig Bogen Hotelbriefpapier zu schreiben: »POPPY WYATT – SMARAGDRING, BITTE ANRUFEN!!!!« in Blockbuchstaben. Zu meinem Ärger sind die Türen zum Ballsaal inzwischen abgeschlossen (obwohl ich mir sicher bin, dass ich die Putzfrauen drinnen noch hören kann). Also bin ich gezwungen, durch die Korridore des Hotels, durch den Teeraum, die Damentoilette und sogar den Wellness-Bereich zu streifen und meine Nummer jedem Hotelangestellten in die Hand zu drücken, der mir über den Weg läuft.
Ich rufe die Polizei an und diktiere denen meine neue Nummer. Ich simse an Ruby, deren Nummer ich auswendig weiß:
Hi. Handy geklaut. Das ist meine neue Nummer. Kannst du sie weitergeben? Irgendeine Spur vom Ring???
Dann falle ich erschöpft wieder auf das Sofa. Es kommt mir vor, als wäre ich schon den ganzen Tag in diesem verdammten Hotel. Ich sollte Magnus anrufen und ihm die neue Nummer geben … aber dem bin ich noch nicht gewachsen. Bestimmt hört er am Ton meiner Stimme, dass der Ring weg ist. Er wird meinen nackten Finger spüren, sobald ich »Hi!« sage.
Bitte, komm zurück, Ring. Bitte, BITTE, komm zurück …
Ich lehne mich an, schließe die Augen und versuche, eine telepathische Nachricht durch den Äther zu senden. Als dann Beyoncé loslegt, schrecke ich auf. Mein Ring! Jemand hat ihn gefunden! Ich sehe nicht mal auf das Display, bevor ich rangehe, und sage erwartungsvoll: »Hallo?«
»Violet?« Die Stimme eines Mannes dringt an mein Ohr. Es ist nicht der Mann, der vorhin angerufen hat. Dieser hat eine tiefere Stimme. Er klingt, als hätte er schlechte Laune, sofern man das nach drei Silben schon sagen kann.8 Außerdem atmet er ziemlich schwer, was bedeutet, dass er entweder pervers ist oder Sport treibt. »Bist du noch in der Lobby? Ist die japanische Delegation noch da?«
Unwillkürlich sehe ich mich um. Drüben bei den Türen steht ein ganzer Pulk von Japanern.
»Ja, ist sie«, sage ich. »Aber ich bin nicht Violet. Das ist nicht mehr Violets Handy. Könnten Sie vielleicht weitersagen, dass sie eine neue Nummer hat?«
Ich muss dafür sorgen, dass Violets Freunde mich in Ruhe lassen. Die können mich nicht alle fünf Sekunden anrufen.
»Entschuldigen Sie, wer ist da?«, will der Mann wissen. »Wieso gehen Sie an dieses Handy? Wo ist Violet?«
»Ich habe dieses Handy in Besitz genommen«, sage ich zuversichtlicher, als mir zumute ist. Was stimmt. Das Recht steht immer auf der Seite der Besitzenden.9
»Sie haben es ›in Besitz genommen‹? Was zum Teufel …?« Er flucht noch ein bisschen, und ich höre Schritte in der Ferne. Er hört sich an, als würde er eine Treppe hinunterlaufen.10 »Sagen Sie mir einfach: Wollen die gehen?«
»Die Japaner?« Ich blinzle zu dem Pulk hinüber. »Vielleicht. Schwer zu sagen.«
»Ist bei denen ein kleiner Mann? Übergewichtig? Dichtes Haar?«
»Sie meinen den Mann im blauen Anzug? Ja, der steht direkt vor mir. Sieht genervt aus. Jetzt zieht er seinen Mantel an.«
Der untersetzte Japaner hat gerade von einem Kollegen einen Burberry gereicht bekommen. Er macht ein finsteres Gesicht, als er ihn anzieht, und seinem Mund entströmt ein steter Fluss von wütendem Japanisch, während seine Freunde allesamt nicken.
»Nein!« Die Stimme des Mannes im Telefon überrascht mich. »Er darf nicht gehen.«
»Na ja, macht er aber. So leid es mir tut.«
»Sie müssen ihn aufhalten! Gehen Sie zu ihm und hindern Sie ihn daran, das Hotel zu verlassen. Jetzt gleich. Um jeden Preis!«
»Bitte?« Ich starre das Handy an. »Hören Sie. Tut mir leid, aber ich kenne Sie gar nicht …«
»Ich Sie auch nicht«, erwidert er. »Wer sind Sie eigentlich? Sind Sie eine Freundin von Violet? Können Sie mir erklären, wie sie darauf kommt, ihren Job mitten in der wichtigsten Konferenz des Jahres zu kündigen? Meint sie, ich bräuchte plötzlich keine persönliche Assistentin mehr?«
Aha! Violet ist also seine persönliche Assistentin. Das erklärt manches. Und sie hat ihn sitzen lassen! Nun, das überrascht mich überhaupt nicht, wenn er einen so herumkommandiert.
»Egal.« Er unterbricht sich. »Das Problem ist: Ich bin auf der Treppe, neunter Stock. Der Fahrstuhl steckt fest. Ich brauche keine drei Minuten. Sie müssen Yuichi Yamasaki festhalten, bis ich da bin. Wer Sie auch sein mögen.«
Der hat ja Nerven.
»Sonst … was?«, entgegne ich.
»Sonst geht ein Jahr eingehender Verhandlungen den Bach runter, wegen eines einzigen kleinen Missverständnisses. Der größte Deal des Jahres geht den Bach runter. Zwanzig Leute werden ihre Jobs verlieren.« Seine Stimme klingt gnadenlos. »Leitende Angestellte, Sekretärinnen, die ganze Chose. Nur weil ich nicht schnell genug unten bin und der einzige Mensch, der helfen könnte, nicht helfen will.«
Wieso immer ich?
»Schon gut!«, sage ich wütend. »Ich geh ja schon! Wie heißt er noch gleich?«
»Yamasaki.«
»Moment!«, rufe ich, als ich durch die Lobby renne. »Bitte! Mr. Yamasaki? Könnten Sie kurz warten?«
Mr. Yamasaki dreht sich um, fragend, und ein paar Lakaien treten vor, flankieren ihn beschützend. Er hat ein breites Gesicht, ganz zerknautscht vor Ärger, und einen breiten, bulligen Nacken, um den er sich gerade einen Seidenschal wirft. Ich habe so das Gefühl, als sei ihm nicht nach plaudern zumute.
Ich habe keine Ahnung, was ich als Nächstes sagen soll. Ich spreche kein Japanisch, ich verstehe weder was von japanischen Geschäften noch von japanischer Kultur. Abgesehen von Sushi. Aber ich kann ja schlecht auf ihn zugehen und aus heiterem Himmel »Sushi!« sagen. Das wäre so, als würde ich auf einen amerikanischen Geschäftsmann zugehen und »T-Bone-Steak!« sagen.
»Ich bin ein Riesenfan …«, improvisiere ich, »… Ihrer Arbeit. Würden Sie mir vielleicht ein Autogramm geben?«
Er wirkt verdutzt, und einer seiner Kollegen flüstert ihm die Übersetzung ins Ohr. Augenblicklich glättet sich seine Stirn, und er verneigt sich vor mir.
Vorsichtig erwidere ich die Verneigung, und er schnippt mit dem Finger, bellt eine Anweisung. Im nächsten Moment hat man vor ihm einen kostbaren Lederordner aufgeschlagen, und er schreibt etwas verschnörkeltes Japanisches.
»Ist er noch da?« Plötzlich dringt die Stimme des Fremden aus dem Handy.
»Ja«, raune ich hinein. »Mehr oder weniger. Wo sind Sie?« Ich schenke Mr. Yamasaki mein strahlendstes Lächeln.
»Fünfter Stock. Halten Sie ihn fest. Um jeden Preis!«
Mr. Yamasaki reicht mir sein Blatt, schraubt die Kappe auf seinen Füller, verneigt sich noch einmal und will gehen.
»Augenblick!«, rufe ich verzweifelt. »Dürfte ich … Ihnen etwas zeigen?«
»Mr. Yamasaki ist sehr beschäftigt.« Einer seiner Kollegen – mit Stahlbrille und dem weißesten Hemd, das ich je gesehen habe – dreht sich zu mir um. »Seien Sie so freundlich und wenden sich an unser Büro.«
Sie machen sich wieder auf den Weg. Was soll ich tun? Ich kann ihn ja schlecht um noch ein Autogramm bitten. Aber ich kann mich auch nicht auf ihn stürzen wie beim Rugby. Irgendwie muss ich seine Aufmerksamkeit erregen …
»Ich habe etwas zu verkünden!«, rufe ich laut und laufe ihnen hinterher. »Ich bin ein singendes Telegramm! Ich überbringe eine Botschaft der zahllosen Fans von Mr. Yamasaki. Es wäre ihnen gegenüber wirklich sehr unhöflich, mich zurückzuweisen.«
Das Wort »unhöflich« scheint seine Wirkung zu tun. Stirnrunzelnd bleiben sie stehen und tauschen ratlose Blicke.
»Ein singendes Telegramm?«, fragt der Mann mit der Stahlbrille argwöhnisch.
»So was wie ein Gorillagramm«, meine ich. »Nur gesungen.«
Ich bin mir nicht sicher, ob das irgendwas erklärt.
Der Dolmetscher murmelt aufgeregt in Mr. Yamasakis Ohr und erklärt mir kurz darauf: »Singen Sie.«
Mr. Yamasaki dreht sich zu mir um, und alle seine Kollegen tun es ihm nach, verschränken erwartungsvoll die Arme und bauen sich nebeneinander auf. Überall in der Lobby sehe ich die interessierten Blicke anderer Geschäftsleute.
»Wo sind Sie?«, fauche ich verzweifelt ins Handy.
»Dritter Stock«, höre ich die Stimme des Mannes einen Moment später. »Halbe Minute noch. Lassen Sie ihn nicht gehen!«
»Los, fangen Sie an!«, zischt mich der Mann mit der Stahlbrille an.
Einige andere Hotelgäste in der Lobby sind stehen geblieben, um zuzusehen. O Gott. Wie bin ich nur in diese Situation geraten? Erstens kann ich nicht singen. Zweitens: Was singe ich einem japanischen Geschäftsmann vor, dem ich noch nie begegnet bin? Drittens: Warum habe ich singendes Telegramm gesagt?
Aber wenn ich nicht bald was tue, könnten zwanzig Leute ihren Job verlieren.
Ich verneige mich tief, nur um noch mehr Zeit zu schinden, und alle Japaner verneigen sich vor mir.
»Fangen Sie an«, wiederholt der Typ mit der Stahlbrille, und seine Augen blitzen beunruhigend.
Ich hole tief Luft. Komm schon. Ist doch egal, was ich mache. Ich muss nur eine halbe Minute durchhalten. Dann kann ich weglaufen, und sie sehen mich nie wieder.
»Mister Yamasaki …«, beginne ich vorsichtig zu der Melodie von »Single Ladies«. »Mister Yamasaki. Mister Yamasaki, Mister Yamasaki.« Ich wiege meine Hüften und Schultern, genau wie Beyoncé.11 »Mister Yamasaki, Mister Yamasaki.«
Eigentlich ist es ganz einfach. Ich brauche keinen Text, ich kann einfach immer weiter »Mister Yamasaki« singen. Bald darauf fangen einige der Japaner sogar an mitzusingen und klopfen Mister Yamasaki auf die Schulter.
»Mister Yamasaki, Mister Yamasaki. Mister Yamasaki, Mister Yamasaki.« Ich erhebe meinen Zeigefinger und wackle damit augenzwinkernd in seine Richtung. »Oooh-ooh-ooh … ooh-ooh-ooh …«
Dieser Song ist unglaublich eingängig. Inzwischen singen alle Japaner mit, abgesehen von Mister Yamasaki, der nur dasteht und sich freut. Einige der umstehenden Konferenzteilnehmer haben mit eingestimmt, und ich höre einen von ihnen sagen: »Ist das hier ein Flashmob oder so was?«
»Mister Yamasaki, Mister Yamasaki, Mister Yamasaki … Wo sind Sie?«, knurre ich lächelnd ins Telefon.
»Ich sehe Ihnen zu.«
»Was?« Ich reiße den Kopf hoch und suche die Lobby ab.
Plötzlich bleibt mein Blick an einem Mann hängen, der etwa dreißig Meter entfernt steht. Er trägt einen schwarzen Anzug, hat dichtes, schwarzes, zerzaustes Haar und hält ein Handy an sein Ohr. Selbst auf die Entfernung kann ich sehen, dass er lacht.
»Wie lange stehen Sie schon da?«, fahre ich ihn wütend an.
»Bin gerade gekommen. Wollte Sie nicht unterbrechen. Gut gemacht, übrigens«, fügt er hinzu. »Ich glaube, damit haben Sie Yamasaki für uns gewonnen.«
»Keine Ursache«, sage ich sarkastisch. »Ich freue mich immer, wenn ich helfen kann. Er gehört ganz Ihnen.« Mit ausschweifender Geste verneige ich mich vor Mr. Yamasaki, dann mache ich auf dem Absatz kehrt und steuere zielstrebig den Ausgang an, ignoriere die enttäuschten Rufe der Japaner. Ich habe Wichtigeres zu tun, als mich um arrogante Fremde und ihre blöden Deals zu kümmern.
»Moment!« Die Stimme des Mannes folgt mir durch den Hörer. »Das Handy! Es gehört meiner Assistentin!«
»Na, dann hätte sie es eben nicht wegwerfen dürfen«, antworte ich, als ich durch die Glastür trete. »Wer’s findet, dem gehört’s.«
Es sind zwölf Stationen mit der U-Bahn von Knightsbridge bis zu Magnus’ Elternhaus im Norden von London, und sobald ich aus der Unterwelt wieder an die Luft komme, checke ich mein Handy. Es blinkt mit neuen Nachrichten – ungefähr zehn SMS und zwanzig E-Mails –, aber nur fünf der SMS sind für mich, und keine hat etwas mit meinem Ring zu tun. Eine ist von der Polizei, und mein Herz tut einen kleinen hoffnungsvollen Hüpfer, doch man bestätigt mir nur, dass der Verlust des Rings vom Hotel gemeldet worden sei, und fragt, ob ich Besuch von einem Beamten der Opferbetreuung haben möchte.
Alles andere sind SMS und E-Mails für Violet. Mir fällt auf, dass in ziemlich vielen Betreffzeilen »Sam« steht. Augenblicklich fühle ich mich wieder wie Monsieur Poirot, sehe mir die Funktion »Abgehende Anrufe« an, und tatsächlich war die letzte Nummer, die sie angerufen hat, »Sam Mobil«. Das ist er also. Violets Chef. Der Typ mit den zerzausten schwarzen Haaren. Und wie zum Beweis lautet ihre E-Mail-Adresse: [email protected].
In einem Anflug von Neugier klicke ich eine der E-Mails an. Sie ist von [email protected], und in der Betreffzeile steht: »Re: Abendessen?«
Danke, Violet. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie Sam gegenüber nichts davon erwähnen würden. Es ist mir etwas peinlich!
Ooh. Was ist ihr denn peinlich? Bevor ich mich bremsen kann, habe ich bereits weitergescrollt, um die vorherige Mail von gestern zu lesen.
Sie sollten etwas wissen, Jenna: Sam ist verlobt. Liebe Grüße, Violet.
Er ist verlobt. Interessant. Als ich die Worte noch mal lese, spüre ich eine leise Reaktion in mir, die ich nicht recht einschätzen kann – Überraschung?
Aber warum sollte es mich überraschen? Ich kenne den Mann ja gar nicht.
Okay, jetzt muss ich die ganze Geschichte in Erfahrung bringen. Was ist Jenna peinlich? Was ist passiert? Ich scrolle weiter und finde eine lange Mail von Jenna, die diesen Sam Roxton offenbar bei einem Geschäftsessen kennengelernt und sich in ihn verguckt hat. Vor zwei Wochen wollte sie ihn dann zum Abendessen einladen, konnte ihn aber nie erreichen.
… habe es gestern noch mal versucht … vielleicht hatte ich die falsche Nummer … man hat mir gesagt, er sei schwer zu erreichen, und am besten sucht man den Kontakt über seine Assistentin … tut mir sehr leid, Sie zu belästigen … wenn Sie mir vielleicht Bescheid geben könnten, so oder so …
Arme Frau. Ich bin direkt entrüstet. Wieso hat er nicht geantwortet? Wie schwer kann es sein, ein kurzes »Nein, danke« zu mailen? Und dann stellt sich heraus, dass er verlobt ist!
Egal. Wie dem auch sei. Plötzlich wird mir klar, dass ich in der Eingangsbox von jemand anderem herumschnüffle, während ich viele andere, wichtigere Dinge zu bedenken habe. Prioritäten, Poppy. Ich muss irgendwo Wein für Magnus’ Eltern kaufen. Und eine »Herzlich Willkommen«-Karte. Und falls ich den Ring nicht innerhalb der nächsten zwanzig Minuten auftreibe – Handschuhe.
Katastrophe. Katastrophe. Wie sich herausstellt, gibt es im April nirgends Handschuhe zu kaufen. Die einzigen, die ich finden konnte, stammten aus einer Grabbelkiste von Accessorize. Alte Weihnachtsware, nur in kleiner Größe erhältlich.
Ich kann es nicht fassen, dass ich ernstlich in Erwägung ziehe, meine potentiellen Schwiegereltern mit viel zu engen, roten Rentier-Wollhandschuhen zu begrüßen. Mit Troddeln.
Aber ich habe keine Wahl. Entweder das oder ihnen nackthändig entgegentreten.
Als ich den langen Anstieg den Hügel hinauf zu ihrem Haus beginne, wird mir ernstlich übel. Es liegt nicht nur am Ring. Mir macht die ganze Geschichte mit meinen Schwiegereltern Angst. Ich komme um die Kurve – und alle Fenster des Hauses sind hell erleuchtet. Sie sind da.
Ich habe noch nie ein Haus gesehen, das besser zu seinen Bewohnern passt als das der Tavishes. Es ist älter und hochherrschaftlicher als alle anderen in der Straße, und es blickt von seiner erhabenen Position auf seine Nachbarn herab. Im Garten gibt es Eiben und eine Chilefichte. Die Mauersteine sind von Efeu überwuchert, und die Fenster haben noch ihre originalen Holzrahmen von 1835. Die Tapeten stammen aus den 1960er Jahren, und auf den Dielen liegen türkische Teppiche.
Nur kann man die Teppiche gar nicht sehen, weil sie größtenteils von alten Dokumenten und Manuskripten übersät sind, die anscheinend niemand wegräumen möchte. In der Familie Tavish ist niemand scharf aufs Putzen. Einmal habe ich in einem Gästezimmer ein versteinertes, hart gekochtes Ei gefunden mit einem vertrockneten Toast. Es muss etwa ein Jahr alt gewesen sein.
Und überall, im ganzen Haus, sind Bücher. In Dreierreihen hintereinander in Regalen, in Stapeln auf dem Boden und in den Ecken der verkalkten Badezimmer. Antony schreibt Bücher, Wanda schreibt Bücher, Magnus schreibt Bücher, und sein älterer Bruder Conrad schreibt Bücher. Sogar Conrads Frau Margot schreibt Bücher. 12
Was toll ist. Ich meine, es ist wunderbar, so viele geniale Intellektuelle in der Familie zu haben. Aber man fühlt sich dabei doch ein klitzekleines bisschen unzulänglich.
Nicht dass einer mich hier falsch versteht. Ich halte mich für einigermaßen intelligent. Sie wissen schon, für einen normalen Menschen, der zur Schule gegangen ist und auf dem College war und einen Job hat und so. Aber das hier sind keine normalen Leute. Die spielen in einer anderen Liga. Die haben Superhirne. Sie sind die intellektuelle Ausgabe der Unglaublichen.13 Ich habe seine Eltern erst ein paarmal getroffen, als sie für eine Woche nach London kamen, weil Antony irgendeinen wichtigen Vortrag halten sollte, doch das reichte mir schon. Während Antony über Politische Theorie sprach, stellte Wanda einem Think-Tank ihre Arbeitsergebnisse zum Thema »Feministischer Judaismus« vor, und dann traten beide in The Culture Show auf und nahmen gegensätzliche Positionen zu einer Doku ein, die den Einfluss der Renaissance auf die Moderne beleuchtete.14 Vor diesem Hintergrund fand also unsere erste Begegnung statt. Kein Druck oder irgendwas.
Im Laufe der Jahre bin ich den Eltern so mancher Freun-de vorgestellt worden, aber – ganz ehrlich – das war die schlimmste Erfahrung von allen. Wir hatten uns gerade die Hand gegeben und plauderten, und ich erzählte Wanda ganz stolz, welches College ich besucht hatte, als Antony mit diesen hellen, kalten Augen über seine Lesebrille hinwegsah und sagte: »Ein Abschluss in Physiotherapie. Wie amüsant.« Ich war am Boden zerstört. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Tatsächlich war ich dermaßen perplex, dass ich aufs Klo ging.15
Danach war ich natürlich wie erstarrt. Diese drei Tage waren das reine Elend. Je intellektueller das Gespräch wurde, desto gehemmter und unbeholfener benahm ich mich. Mein zweitschlimmster Moment: »Proust« falsch auszusprechen, woraufhin sich alle Blicke zuwarfen.16 Mein allerschlimmster Moment: Als wir uns alle gemeinsam University Challenge im Salon angesehen haben und der Teil mit den Knochen kam. Mein Thema! Das habe ich studiert! Ich kenne die lateinischen Namen und alles! Doch als ich gerade Luft holte, um die erste Frage zu beantworten, hatte Antony die korrekte Antwort bereits gegeben. Beim nächsten Mal war ich schneller – aber er kam mir trotzdem zuvor. Das Ganze war wie ein Wettrennen, und er gewann. Dann, am Ende, sah er zu mir herüber und fragte: »Lernt man denn in der Physiotherapeutenschule gar nichts über Anatomie, Poppy?«, und mir fehlten einfach die Worte.
Magnus sagt, er liebt mich, nicht mein Gehirn, und ich soll seine Eltern einfach ignorieren. Und Natasha meinte, ich soll einfach an den Klunker und das Haus in Hampstead und die Villa in der Toskana denken. Was typisch Natasha ist. Wohingegen mein eigener Ansatz folgender war: Denk einfach nicht an sie. Das ging gut. Schließlich waren sie in Chicago, Tausende von Meilen weit weg.
Aber jetzt sind sie wieder da.
O Gott. Und ich bin immer noch etwas wacklig, was »Proust« angeht. (Prust? Prost?) Und ich habe die lateinischen Namen für die Knochen nicht wiederholt. Und ich trage warme rote Rentierhandschuhe im April. Mit Troddeln.
Meine Knie zittern, als ich auf die Klingel drücke. Im wahrsten Sinne des Wortes. Ich komme mir vor wie die Vogelscheuche im Zauberer von Oz. Jeden Augenblick werde ich mitten auf dem Weg zusammenbrechen, und Wanda wird mich steinigen, weil ich den Ring verloren habe.
Hör auf, Poppy. Alles wird gut. Niemand hegt einen Verdacht. Ich sage einfach, ich hätte mir die Hand verbrannt.
»Hi, Poppy!«
»Felix! Hi!«
Ich bin so erleichtert, als Felix mir die Tür aufmacht, dass meine Begrüßung als bebendes Japsen herauskommt.
Felix ist das Baby der Familie, erst siebzehn und noch auf der Schule. Magnus hat mit ihm im Haus gewohnt, solange die Eltern weg waren, als Babysitter, und ich bin mit eingezogen, nachdem wir verlobt waren. Nicht dass Felix einen Babysitter bräuchte. Er ist sehr verschlossen, liest die ganze Zeit, und man merkt gar nicht, dass er zu Hause ist. Einmal habe ich versucht, mit ihm ein kleines »Drogengespräch« zu führen. In jedem einzelnen Punkt hat er mich höflich korrigiert, meinte dann, ihm sei aufgefallen, dass ich oberhalb der empfohlenen Menge von Red Bull läge und ob ich vielleicht eine gewisse Abhängigkeit entwickelt hätte? Das war das letzte Mal, dass ich versucht habe, die große Schwester zu mimen.
Wie dem auch sei. Das ist jetzt alles zu Ende, da Antony und Wanda wieder aus den Staaten zurück sind. Ich bin wieder in meine Wohnung gezogen, und wir haben angefangen, uns umzusehen, wo man sich einmieten könnte. Magnus war dafür dortzubleiben. Er meinte, wir könnten doch weiter das Gästezimmer und das Bad im oberen Stock benutzen, und wäre das nicht praktisch, denn so könnte er weiter die Bibliothek seines Vaters benutzen?
Hat er sie nicht mehr alle? Nie im Leben wohne ich mit seinen Eltern unter einem Dach.
Ich folge Felix in die Küche, wo Magnus auf einem Stuhl lümmelt, auf ein Blatt Papier deutet und sagt: »Ich glaube, hier funktioniert dein Argument nicht. Zweiter Absatz.«
Wie Magnus auch sitzt, was er auch tut, irgendwie schafft er es immer, elegant auszusehen. Seine Füße in den wildledernen Budapestern hat er auf dem anderen Stuhl, er hält eine halb gerauchte Zigarette in der Hand17, und er hat seine rotblonden Haare wie einen Wasserfall aus seiner Stirn gestrichen.
Die Tavishes haben alle mehr oder minder die gleiche Haarfarbe. Sie sehen aus wie eine Fuchsfamilie. Selbst Wanda färbt ihre Haare mit Henna. Doch Magnus sieht von allen am besten aus, und das sage ich nicht nur, weil ich ihn heiraten werde. Er hat Sommersprossen, wird aber auch schnell braun, und seine fast braunroten Haare sind wie aus einer Shampoowerbung. Deshalb lässt er sie lang.18 Er ist richtig eitel, was das angeht.
Und obwohl er Wissenschaftler ist, sitzt er doch nicht den ganzen Tag drinnen und liest Bücher wie ein verstaubter Professor. Er fährt wirklich gut Ski und will es mir auch beibringen. So haben wir uns überhaupt kennengelernt. Er hatte sich beim Skilaufen das Handgelenk verstaucht und kam deshalb zur Physio, nachdem sein Arzt uns empfohlen hatte. Eigentlich sollte er zu Annalise, aber sie hat ihn gegen einen ihrer Stammpatienten getauscht, und so kam er stattdessen zu mir. In der nächsten Woche hat er gefragt, ob ich mal mit ihm ausgehen würde, und nach einem Monat hat er um meine Hand angehalten. Nach einem Monat!19
Jetzt blickt Magnus auf und strahlt mich an. »Liebste! Wie geht es meiner Hübschen? Komm her.« Er winkt mich heran, um mir einen Kuss zu geben, dann nimmt er mein Gesicht in beide Hände, wie er es immer tut.
»Hi!« Ich zwinge mich zu einem Lächeln. »Und sind deine Eltern schon hier? Wie war ihr Flug? Ich kann es kaum erwarten, sie zu sehen.«
Ich gebe mir Mühe, so eifrig wie möglich zu klingen, auch wenn meine Beine es kaum erwarten können wegzulaufen, zur Haustür hinaus, den Hügel hinunter.
»Hast du meine Nachricht nicht bekommen?« Magnus wirkt verdutzt.
»Welche Nachricht? Oh.« Plötzlich begreife ich. »Natürlich. Ich habe mein Handy verloren. Ich hab eine neue Nummer. Ich geb sie dir gleich.«
»Du hast dein Handy verloren?« Magnus starrt mich an. »Was ist passiert?«
»Nichts!«, sage ich fröhlich. »Hab’s einfach … verloren und musste mir ein neues besorgen. Keine große Sache. Kein Problem.«
Ich bin mit mir übereingekommen, dass es besser ist, so wenig wie möglich zu Magnus zu sagen. Ich werde mich auf keinerlei Diskussionen einlassen, wieso ich verzweifelt an irgendeinem Handy festhalte, das ich im Müll gefunden habe.
»Was stand denn in deiner Nachricht?«, füge ich eilig hinzu, um das Gespräch voranzubringen.
»Die Maschine meiner Eltern wurde umgeleitet. Sie mussten nach Manchester fliegen. Vor morgen kommen sie nicht nach London.«
Umgeleitet?
Manchester?
O mein Gott. Ich bin in Sicherheit! Ich habe eine Gnadenfrist bekommen! Meine Knie können aufhören zu zittern! Am liebsten würde ich Halleluja singen. Ma-an-chester! Ma-an-chester!
»Mein Gott, wie schrecklich!« Ich gebe mir Mühe, mein Gesicht zu einer enttäuschten Miene zu verziehen. »Die Ärmsten. Manchester. Das ist ja meilenweit weg! Und dabei habe ich mich doch so gefreut, sie wiederzusehen. Wie schade!«
Ich glaube, ich klinge ganz überzeugend. Felix wirft mir einen seltsamen Blick zu, aber Magnus hat das Blatt Papier schon wieder in die Hand genommen. Über meine Handschuhe hat er kein Wort verloren. Felix auch nicht.
Vielleicht kann ich mich etwas entspannen.
»Also … äh … Jungs.« Ich sehe mich um. »Was ist denn jetzt mit der Küche?«
Magnus und Felix haben gesagt, sie wollten heute Nachmittag klar Schiff machen, aber hier sieht es aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Auf dem Tisch stehen Fast-Food-Kartons, und auf der Kochplatte stapeln sich Bücher, sogar in einem Kochtopf. »Morgen kommen eure Eltern wieder. Sollten wir nicht was unternehmen?«
Magnus scheint unbeeindruckt. »Das ist denen egal.«
Er hat leicht reden. Aber ich bin die Schwiegertochter (fast), die hier vorübergehend eingezogen ist und der die Schuld in die Schuhe geschoben wird.
Magnus und Felix diskutieren eine Fußnote20, also gehe ich rüber zum Herd und räume kurz auf. Ich wage nicht, meine Handschuhe auszuziehen, doch zum Glück würdigen mich die Jungs keines Blickes. Wenigstens weiß ich, dass der Rest des Hauses in Ordnung ist. Ich habe mich gestern um alles gekümmert, hab die schmuddeligen, alten Schaumbadflaschen weggeworfen und eine neue Jalousie fürs Badezimmer besorgt. Vor allem aber habe ich ein paar Buschwindröschen für Wandas Arbeitszimmer beschafft. Alle Welt weiß, dass sie Buschwindröschen liebt. Sie hat einen Artikel über »Buschwindröschen in der Literatur« geschrieben. (Was typisch für die Familie ist – man kann sich nicht einfach über irgendwas freuen, man muss gleich ein akademischer Topexperte zu dem Thema werden.)
Als ich fertig bin, sind Magnus und Felix noch voll beschäftigt. Das Haus ist gut in Schuss. Keiner hat mich nach dem Ring gefragt. Ich verkrümle mich, solange es gut läuft.
»Okay, ich mach mich auf den Weg«, sage ich und gebe Magnus einen Kuss. »Bleib du hier und leiste Felix Gesellschaft. Sag deinen Eltern, ich freue mich, dass sie wieder da sind.«
»Bleib doch über Nacht!« Magnus schlingt seinen Arm um meine Taille und hält mich zurück. »Sie werden dich sehen wollen!«
»Nein, nimm du sie in Empfang. Ich komme morgen dazu.« Ich lächle ihn an, um von dem Umstand abzulenken, dass ich rückwärts die Tür ansteuere, mit den Händen hinterm Rücken. »Dann ist noch Zeit genug.«
»Ich kann es dir nicht verübeln«, sagt Felix und blickt zum ersten Mal auf, seit er mich hereingelassen hat.
»Bitte?«, sage ich leicht verdutzt. »Mir was verübeln?«
»Dass du nicht bleibst.« Er zuckt mit den Schultern. »Ich finde, du bleibst bemerkenswert charmant angesichts ihrer Reaktion. Das wollte ich die ganzen Wochen schon mal sagen. Du musst ein wirklich guter Mensch sein, Poppy.«
Wovon redet er?
»Ich weiß nicht … was meinst du?« Hilfesuchend wende ich mich Magnus zu.
»Ach, nichts weiter«, sagt er etwas zu schnell. Felix starrt seinen großen Bruder an, und ihm scheint ein Licht aufzugehen.
»O Gott! Hast du es ihr gar nicht erzählt?«
»Halt die Klappe, Felix.«
»Hast du nicht, oder? Das ist nicht gerade fair, Mag.«
»Was erzählt?« Ich blicke von einem zum anderen. »Was denn?«
»Nichts weiter.« Magnus wirkt konfus. »Nur …« Endlich sieht er mir in die Augen. »Okay. Meine Eltern waren nicht gerade begeistert, als sie gehört haben, dass wir verlobt sind. Das ist alles.«
Einen Moment lang weiß ich nicht, wie ich reagieren soll. Sprachlos starre ich ihn an, versuche zu verarbeiten, was ich da eben gehört habe.
»Aber du hast doch gesagt …« Ich traue meiner Stimme nicht so ganz. »Du hast doch gesagt, sie wären begeistert. Du hast gesagt, sie wären ganz aufgeregt!«
»Sie werden schon noch begeistert sein«, sagt er barsch. »Wenn sie zur Vernunft kommen.«
Sie werden es sein?
Meine ganze Welt gerät ins Wanken. Es war schon schlimm genug, als ich Magnus’ Eltern nur für furchterregende Genies gehalten habe. Aber die ganze Zeit über waren sie dagegen, dass wir heiraten?
»Du hast mir erzählt, sie hätten gesagt, sie könnten sich keine liebenswertere, nettere Schwiegertochter vorstellen.« Inzwischen zittere ich am ganzen Leib. »Du hast gesagt, sie hätten mir extraliebe Grüße aus Chicago bestellen lassen! War das alles gelogen?«
»Ich wollte nicht, dass du dich aufregst!« Magnus wirft Felix einen finsteren Blick zu. »Das Ganze ist keine große Sache. Die werden sich schon beruhigen. Sie finden nur, dass alles etwas zu schnell geht … Sie kennen dich noch nicht richtig … Sie sind Dummköpfe«, endet er mürrisch. »Das habe ich ihnen auch gesagt.«
»Du hast dich mit deinen Eltern gestritten?« Bestürzt starre ich ihn an. »Wieso hast du mir nichts davon erzählt?«
»Wir haben uns nicht gestritten«, sagt er defensiv. »Wir haben uns eher … zerstritten.«
Zerstritten? Zerstritten?
»Zerstreiten ist schlimmer als streiten!«, heule ich entsetzt. »Es ist hunderttausend Mal schlimmer! O Gott, ich wünschte, du hättest es mir erzählt … Was soll ich jetzt tun? Wie kann ich ihnen ins Gesicht sehen?«