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Was bedeutet Ehre im Islam? Um wessen Ehre geht es? Arzu Toker setzt sich literarisch mit dem Verständnis von Ehre auseinander. Das ursprünglich für den Hörfunk verfasste Feature Die Balkonmädchen beschreibt den Konflikt zwischen dem Drängen junger Migrantinnen in Deutschland, frei zu leben, und den traditionellen Anforderungen ihrer Herkunftsfamilien. In dem Prosatext Verschenkte Freiheit klagt eine Mutter voller Wut und Schmerz über den Verlust ihrer Tochter an eine islamische Sekte. Das Nachwort ist ein leidenschaftliches Plädoyer für die Freiheit. Die Freiheit von religiösen Zumutungen. Die Freiheit von nationalen Fesseln. Ein Plädoyer für eine Utopie der Entwicklung gemeinsamer grenzüberschreitender Werte.
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Die im Titelbild dargestellte Figur wird Schahmaran genannt und symbolisiert Fruchtbarkeit und Weisheit. Schahmaran wird mal als furchterregend, dann als weise, hilfsbereit und bescheiden charakterisiert. Wenn Schahmaran stirbt, geht ihr Geist auf ihre Tochter über. Die Geschichte wird von einigen Nationen des Nahen Ostens für sich beanprucht. Aber die Botschaft bleibt dieselbe: Der Verrat der männlichen Menschen an der Frau. Frauen gebären sie, ziehen sie groß und werden durch sie verraten. Dennoch bereiten Frauen ihre eigenen Töchter auf dasselbe Leben vor.
Arzu Toker
Kein Schritt zurück
Alibri
2015
Arzu Toker lebt seit 1974 in Deutschland. Sie arbeitet als Journalistin, Schriftstellerin und Übersetzerin und hat zahlreiche Frauen- und Bildungsprojekte initiiert. 1985 bis 1997 saß sie als „Ausländervertreterin“ im Rundfunkrat des WDR. 1996 bekam sie den Abdi Ipekçi-Preis für Frieden und Freundschaft für das gemeinsam mit Niki Eideneier herausgegebene Buch Kalimerhaba (Romiosini Verlag). Im Alibri Verlag hat sie İlhan Arsels Buch zur Lage der Frau im islamischen Recht „Frauen sind eure Äcker“ übersetzt und herausgegeben.
Mein Dank gilt Gisela Corves (WDR) für die Chance und ihre unendliche Geduld bei der Entstehung des Features Balkonmädchen sowie meinen Freundinnen Ulrike Ries für ihre kritische Durchsicht und Astrid Raimann, weil sie immer da ist.
Alibri Verlag
www.alibri.de
Aschaffenburg
Mitglied in der Assoziation Linker Verlage (aLiVe)
eBook-Ausgabe auf Grundlage der ersten Auflage 2014
Copyright 2014 by Alibri Verlag, Postfach 100 361, 63703 Aschaffenburg
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdruckes, der photomechanischen Wiedergabe, der Herstellung von Mikrofilmen, der Einspeicherung in elektronische Systeme sowie der Übersetzung vorbehalten.
Umschlaggestaltung: Claus Sterneck
ISBN 978-3-86569-719-6
Inhaltsverzeichnis
Die Balkonmädchen oder Habe die Ehre, Madame!
Verschenkte Freiheit
Nachwort
Die türkische Volksliteratur kennt die Tradition der Klagelieder. Auch in der vorislamischen arabischen Zeit gab es die Kultur der Klagefrauen, die insbesondere bei schmerzvollen Ereignissen wie Tod, Krieg oder gesellschaftlichen Umwälzungen das Geschehene besangen.
Ich habe Balkonmädchen im Stil an diese Tradition angelehnt, jedoch nicht als Klage, sondern als Anklage.
Ich klage an.
Ich klage an eine männliche primitive Kultur, die glaubt, durch Frauenmorde ein System aufrecht zu erhalten, aber nicht bemerkt, dass sich der Mann zugleich selbst und die Menschlichkeit hinrichtet.
Persisch: Nomus
Türkisch: Namus
Kurdisch: Namus
Der Text Die Balkonmädchen ist eine überarbeitete und erweiterte Fassung des gleichnamigen Radiofeatures.
Die Balkonmädchen oder Habe die Ehre, Madame!
Meine Kindheit verbrachte ich im Osten der Türkei.
Die Ehre konnte dort das Leben kosten.
Meine Jugend lebte ich in Istanbul,
die Ehre war kein Thema.
Seit 1974 lebe ich mitten in Europa,
klammheimlich kam die Ehre nach.
Sen benim namusumsun
Du bist meine Ehre.
Nun kostet sie wieder das Leben
mitten in der Zivilisation,
mitten in Europa.
Sen benim namusumsun
Du bist meine Ehre.
Unsere Familie,
unsere Männer beschließen unseren Tod.
Unsere Mütter drehten den Strick,
langlebig, strapazierfähig.
Die Ehre macht den Knoten
geschmeidig.
Wir glauben daran.
Wir, die Mädchen, die Frauen.
Wir, die Ehre.
Der Schuss eindeutig, unverkennbar.
Nicht eindeutig der Sturz vom Balkon.
Wo kein Zeuge zugegen, gibt es keine Tat.
Hinuntergesprungen? Hinuntergestoßen?
Verhindert
die letzte Umklammerung
an das Geländer.
Abgewiesen
die letzte Umklammerung
an den Vater,
an den Bruder.
Niemand hörte
den letzten Schrei.
Wir, die Balkonmädchen,
wir, ihre Ehre,
wir glauben daran.
Der Onkel das Mädchen vergewaltigt?
Sie hat ihn gelockt.
Ihr Bauch wölbt sich?
Sie hat ihn verführt.
Die Leute, sie könnten schlecht über uns reden.
Kein Sack ihr Mund,
nicht möglich, zuzuschnüren.
Heute weiß sie es,
Morgen hört es ihre Freundin,
Übermorgen schon erfahren es alle:
unsere Familie, unser Ansehen –
hin die Ehre.
Was tun mit dem Mädchen?
Das Lösen der Finger vom Geländer,
leise, unblutig.
Der Balkon spricht nicht.
Unsere Mütter, sie drehten uns den Strick,
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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