Killing Game - Charlie Huston - E-Book
SONDERANGEBOT

Killing Game E-Book

Charlie Huston

0,0
5,99 €
3,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 2,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Diesen Sommer werden sie nie vergessen: Der abgründige Thriller »Killing Game« von Charlie Huston jetzt als eBook bei dotbooks. Vier Freunde – vier verlorene Seelen in einem Strudel aus Gewalt … Im Sommer ’83 ändert sich das Leben der vier Jugendfreunde Paul, Hector, Andy und George in ihrer öden kalifornischen Heimat schlagartig: Als sie in das verrammelte Haus einer berüchtigten mexikanischen Gang einsteigen, um sich ein gestohlenes Rad zurückzuholen, machen sie zwischen Müllsäcken und rostigem Altmetall eine folgenschwere Entdeckung – ein voll ausgestattetes Meth-Labor! Anstatt abzuhauen, schnappt sich die Clique kurzentschlossen die Drogen – und setzt damit eine Spirale der Gewalt in Gang, aus der es kein Entkommen gibt. Plötzlich wird aus der gewagten Mutprobe ein Kampf auf Leben und Tod … Bestsellerautor Stephen King sagt: »Huston ist einer der brillantesten Stilisten dieses Jahrhunderts.« Der Stern urteilt: »Cool, blutig, hart muss ein Krimi sein, nicht wahr? Wenn Sie das auch so sehen, ist der Amerikaner Charlie Huston definitiv der richtige Autor für Sie.« Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der nervenaufreibende Thriller »Killing Game « von Charlie Huston wird alle Fans von »Breaking Bad« begeistern! Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 368

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über dieses Buch:

Vier Freunde – vier verlorene Seelen in einem Strudel aus Gewalt … Im Sommer ’83 ändert sich das Leben der vier Jugendfreunde Paul, Hector, Andy und George in ihrer öden kalifornischen Heimat schlagartig: Als sie in das verrammelte Haus einer berüchtigten mexikanischen Gang einsteigen, um sich ein gestohlenes Rad zurückzuholen, machen sie zwischen Müllsäcken und rostigem Altmetall eine folgenschwere Entdeckung – ein  voll ausgestattetes Meth-Labor! Anstatt abzuhauen, schnappt sich die Clique kurzentschlossen die Drogen – und setzt damit eine Spirale der Gewalt in Gang, aus der es kein Entkommen gibt. Plötzlich wird aus der gewagten Mutprobe ein Kampf auf Leben und Tod …

Bestsellerautor Stephen King sagt: »Huston ist einer der brillantesten Stilisten dieses Jahrhunderts.« Der Stern urteilt: »Cool, blutig, hart muss ein Krimi sein, nicht wahr? Wenn Sie das auch so sehen, ist der Amerikaner Charlie Huston definitiv der richtige Autor für Sie.«

Über den Autor:

Charlie Huston wurde 1968 in Oakland, Kalifornien geboren. Nach einem Theaterstudium zog er nach New York, wo er als Schauspieler und Barkeeper arbeitete, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. Seine »Vyrus«-Reihe, für die er unter anderem mit dem wichtigsten amerikanischem Krimipreis, dem Edgar-Award, nominiert wurde, erzählt den Überlebenskampf von Privatermittler Joe Pitt in der New Yorker Unterwelt. Charlie Huston lebt mit seiner Frau, einer bekannten Schauspielerin, in Los Angeles.

Bei dotbooks veröffentlichte der Autor seine packende Serie um den New Yorker Privatermittler Joe Pitt:

»The Vyrus: Stadt aus Blut«

»The Vyrus: Blutrausch«

»The Vyrus: Das Blut von Brooklyn«

»The Vyrus: Bis zum letzten Tropfen«

»The Vyrus: Ausgesaugt«

***

eBook-Neuausgabe Februar 2022

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 2007 unter dem Originaltitel »The Shotgun Rule« bei Ballantine Books, New York.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 2007 by Charlie Huston

This edition published by arrangement with Ballantine Books, an imprint of Random House, a division of Penguin Random House LLC

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2008 by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House

Copyright © der Neuausgabe 2022 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von Shutterstock/Schnicar, Foto Duets

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (fb)

ISBN 978-3-98690-473-9

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

***

Sind Sie auf der Suche nach attraktiven Preisschnäppchen, spannenden Neuerscheinungen und Gewinnspielen, bei denen Sie sich auf kostenlose eBooks freuen können? Dann melden Sie sich jetzt für unseren Newsletter an: www.dotbooks.de/newsletter (Unkomplizierte Kündigung-per-Klick jederzeit möglich.)

***

Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Killing Game« an: [email protected] (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)

***

Besuchen Sie uns im Internet:

www.dotbooks.de

www.facebook.com/dotbooks

www.instagram.com/dotbooks

blog.dotbooks.de/

Charlie Huston

Killing Game

Thriller

Aus dem Amerikanischen von Alexander Wagner

dotbooks.

Für Jeff Kaskey.

Vorbild.

Auch wenn er das nicht gerne hören wird.

und

Für die Kids, die es nicht besser wissen.

Die ein Problem mit ihrer Einstellung haben.

Was denken die sich eigentlich?

Glaubt mir, die denken gar nicht.

Das ist das Problem.

Wir tun es nie.

PROLOG

KAPITEL 1DAS UNHEIMLICHE HAUS

Das Haus wirkt düster. Unheimlich. Es wäre besser, sie gingen da nicht rein. Aber sie gehören nicht zu den Jungs, die gleich den Schwanz einziehen, sonst wären sie gar nicht erst hier aufgetaucht.

George kommt die Straße runtergejagt, haut die Vorderbremse rein, lehnt sich über den Lenker, wuchtet das Hinterrad hoch und balanciert im Einradstand, bevor er zurück auf den Asphalt kracht. Dann dreht er ein paar Runden vor dem Haus und nimmt es genauer unter die Lupe.

Es ist dunkel. Unter dem rostigen Dodge Dart in der Auffahrt haben sich alte, vertrocknete Ölflecken gebildet, und die wild wuchernden Wacholderbüsche im Vorgarten verdecken die unteren Fenster. Das Tor zum Hinterhof hängt schief in den Angeln, bloß noch gehalten von einem Stück gelber Nylonschnur. Die Straßenlaterne auf dem Gehsteig ist kaputt. Niemand hat sie repariert, seit er sie gestern Nacht mit dem Luftgewehr ausgeschossen hat.

Ja, verdammt, das Haus ist unheimlich. Aber das ändert nichts an der Lage. Sie steigen da rein. Mit einem eleganten Schlenker reißt er sein Bike aus der Kreisbahn, die fetten Reifen surren über den Asphalt.

Die anderen warten schon. Hector kniet neben seinem Bike und fummelt an der Kette rum, als wäre sie ihm rausgesprungen. Paul hockt breitbeinig auf dem Sattel. Er streckt ein Bein und beugt sich weit über die Mittelstange, um eine halbgerauchte Marlboro aus dem Rinnstein zu fischen. Im Aufrichten schnippt er eine Schmutzflocke vom Filter, dann steckt er sich die Kippe in den Mund, während er die Taschen nach Feuer abklopft.

Andy, der die Geste bemerkt hat, greift mit der Hand in die eigene Tasche, zerrt hektisch ein Streichholzbriefchen heraus und mit ihm den gesamten Tascheninhalt. Lose Streichhölzer, Münzen und ein kleines Plastikteil klappern auf den Boden.

Paul schüttelt den Kopf.

‒ Gut gemacht, Andrew.

Hector grinst, sagt aber nichts.

Andy klappt den Ständer runter, schwingt sich vom Rad, bleibt mit dem Hosenaufschlag hängen und reißt es krachend um.

Paul lässt den Kopf sinken.

‒ Kein Wunder, dass dein Rad so ’n Schrotthaufen ist.

Andy hievt das Rad hoch, um es auf dem wackligen Ständer auszubalancieren.

‒ Ja, ist ziemlich im Arsch.

Paul lehnt sich vor und schnappt sich die Streichhölzer vom Boden. Eine Hand in der Gesäßtasche seiner abgewetzten Jeans, faltet er ein Streichholz über das Briefchen nach hinten, reißt es mit dem Daumennagel an und hält es an die Kippe.

‒ Achtung!

Immer noch mit dem Auflesen seines Krams beschäftigt, hebt Andy den Kopf und sieht das Streichholzbriefchen auf sich zusegeln. Sofort gerät er in Panik, da ihn grundsätzlich alles, was in seine Richtung geworfen wird, komplett aus der Fassung bringt. Statt es zu fangen, wedelt er es mit den Handflächen mehrmals in die Höhe und schlägt es dann in den Rinnstein, wo es auf Nimmerwiedersehen zwischen den Gitterstäben des Kanaldeckels verschwindet.

Mitten im Zug muss Paul dermaßen lachen, dass ihm die Kippe aus dem Mund fliegt und an Hectors Hinterkopf landet. Jetzt prustet auch Hector los, während er die wasserstoffgebleichten Zacken seines Irokesen auf mögliche Schäden hin betastet.

Andy lacht mit. Es gibt Schlimmeres, als sich bescheuert anzustellen. Wenigstens haben sie nicht mitgekriegt, wie er den kleinen zwanzigflächigen Plastikwürfel aufgehoben hat, der ihm mit den anderen Sachen aus der Tasche gefallen ist. Er umklammert ihn und lässt den Daumen über die winzigen dreieckigen Flächen gleiten, während er überlegt, mit welcher Gleichung man ein zwanzigflächiges Objekt beschreiben könnte.

Paul steigt vom Rad und ahmt Andys hektisches Gefuchtel nach. Er jongliert wild mit den Händen, hüpft dabei auf der Stelle und bleibt plötzlich wie angewurzelt stehen, um den Zeitlupenflug eines imaginären Streichholzbriefchens in den Gully zu verfolgen.

Hector hebt die Hand, und Paul klatscht ihn ab, während sie sich kaputtlachen.

Andy lässt den Würfel los. Er versucht, mit dem Kichern aufzuhören, und als ihm das misslingt, schnaubt und prustet er durch die Nase.

Paul liest den glimmenden Stummel vom Boden auf, zieht daran und streckt ihn Andy hin.

‒ Hier, Spinner. Und hör auf, so schwachsinnige Geräusche von dir zu geben.

Andy legt den Finger auf einen kleinen Riss im Zigarettenpapier und nimmt den letzten Zug. Saugt den Rauch tief in die Lungen, spürt ihn brennen, muss aber immerhin nicht husten.

Paul packt ein Büschel von Andys Haar, zerrt seinen Kopf vor und zurück, bevor er ihn mit einem Schlag gegen die Schulter wegschubst.

Im gleichen Moment kommt George angerast, stellt in voller Fahrt sein Rad quer und kommt schliddernd zum Stehen.

‒Na, ihr Schwuchteln, habt ihr’s von hinten getrieben?

Paul steigt wieder auf sein Rad.

‒ Fick dich, du alte Tunte.

Hector hört auf, an seiner Kette rumzufummeln.

‒ Wir haben nur drüber nachgedacht, wann wir wieder mal deine Mutter flachlegen.

Andy betastet seine Tasche, dann klappt er den Fahrradständer hoch.

‒ Ist es unheimlich da drin?

Auf beiden Pedalen balancierend, die Finger locker um die Gummigriffe geschlossen, hält George sein glänzendes, schwarzes Mongoose-Bike perfekt im Gleichgewicht.

‒ Ja, verflucht unheimlich. Los, räumen wir’s aus.

TEIL 1

KAPITEL 2DAS SCHROTTRAD

Alles begann mit Andys Schrottrad.

‒ Warum verdammt hast du’s nicht abgeschlossen?

‒ Ich wollte nur mal kurz rein.

‒ Ich wollte nur mal kurz rein. Wie lange braucht man, um ein Rad zu klauen, Pissnelke?

‒ Es stand aber direkt vorm Fenster.

‒ Klar doch, logisch. Weil kein Mensch je was klaut, das vorm Fenster steht. Schwachkopf.

George kniet vor einem Eimer und drückt den halb aufgepumpten Schlauch seines Vorderrads unter Wasser. Er blickt kurz zu Paul auf, dann wieder in den Eimer.

‒ Sei nicht so ’n Idiot. Er hat sein Rad verloren.

Paul schnappt sich einen Kieselstein von dem Haufen, der fast die ganze Auffahrt blockiert. Er wiegt ihn in der Hand.

‒ Er hat sein Rad nicht verloren.

Der Stein prallt an Andys Rücken ab.

‒ Er hat sich’s klauen lassen.

Andy spürt den wachsenden Druck hinter den Augen und kämpft dagegen an. Er hat heute schon mal geheult, als er aus dem Laden kam und sein Rad weg war. Ein zweites Mal kann er das einfach nicht bringen.

Auch er hebt einen Stein auf.

‒ Ich hab’s mir nicht klauen lassen.

Er schmeißt den Stein in Pauls Richtung.

‒ Es wurde gestohlen.

Paul bleibt ungerührt sitzen, während der Kiesel über den Gehweg auf die Straße hüpft, ohne auch nur in seine Nähe zu kommen.

‒ Riesenunterschied, echt.

George dreht weiter den Schlauch und sucht nach einer Kette feiner Bläschen aus dem winzigen Loch, das ihn seit Tagen nervt.

‒ Schmeiß nicht mit den verfluchten Steinen, sonst kriegt Dad wieder ’nen Tobsuchtsanfall.

Andy tritt gegen ein paar Kiesel und kickt sie zurück auf den Haufen. Vor zwei Wochen hat sie ihr Vater das Zeug von der Ladefläche seines Pick-ups schaufeln lassen. Nächstes Wochenende will er einen Motorpflug ausleihen, um den hinteren Garten umzugraben, und danach sollen sie die ganzen dämlichen Steine mit dem Schubkarren nach hinten schaffen und verteilen. Eine Scheißarbeit, und das auch noch für lau. Dad meint, eigentlich müssten sie noch dankbar sein, dass er den Garten durchpflügt und ihnen so das Rasenmähen und Unkrautjäten erspart.

Ein Faden Luftbläschen perlt an die Oberfläche. Sofort bedeckt George das Loch mit der Fingerspitze und hebt den Schlauch aus dem Wasser.

‒ Gib mir den Lappen.

Andy bückt sich, um den Fetzen Kunstleder neben dem Werkzeugkasten aufzuheben. Paul macht einen raschen Schritt und setzt den Fuß darauf.

‒ George, lass dir nicht von dem Typen helfen. Bringt nur Unglück. Fasst einmal dein Rad an, und Peng ist es verschwunden.

Andy zieht am Lappen.

‒ Runter da, du Dödel.

‒ Werf mich doch runter.

‒ Run-ter-da.

Andy zerrt fester, Paul hebt den Fuß und Andy landet auf dem Hintern.

‒ Du bist so eine Vollspacke.

‒ Blödmann.

George streckt die Hand aus.

‒ Gib mir den Lappen.

Andy wirft den Lederfetzen nach ihm.

Toller großer Bruder. Könnte ihn wenigstens einmal gegen Paul in Schutz nehmen. Zumindest heute. Verfluchtes Rad. Wie konnte er nur so bescheuert sein, es nicht abzuschließen?

George hebt den Finger von dem winzigen Loch und beginnt, den Gummi rundherum trockenzureiben.

‒ Hast du gesehen, wer’s genommen hat?

Andy rappelt sich auf, kramt das Döschen mit Flickzeug aus dem Werkzeugkasten und schnippt den kleinen Blechdeckel von dem zylinderförmigen Pappbehälter.

‒ Nein. Aber wenn ich sie gesehen hätte, hätte ich ihnen einen Tritt in den Arsch verpasst.

Paul langt nach oben, greift sich den herabhängenden Ast des Ahornbaums neben der Einfahrt und stützt sein Kinn darauf.

‒ Klar doch. George, was meinst du? Wenn er die Typen gesehen hätte, hätte er ihnen sicher brutal in den Arsch getreten, oder? Dein Bruder hier ist nämlich ein ganz übler Arschtreter. Ärsche in der ganzen Stadt zittern vor ihm.

Andy zeigt ihm den Mittelfinger und reicht George den Deckel des Flickzeugs.

Mit der geriffelten Oberseite des Deckels raut George den Gummi rund um das Loch auf.

Paul schwingt sich auf den Ast, hakt die Knie ein und lässt sich kopfüber herunterbaumeln. Seine langen Locken fallen ihm übers Gesicht.

‒ Komm schon, verpass mir ’nen Arschtritt, Andy. Ich häng hier, und du versuchst, mich zu treten.

Andy rührt sich nicht von der Stelle und beobachtet, wie George das Loch flickt. Schließlich nimmt er den Deckel wieder entgegen und reicht ihm dafür die kleine Metalltube mit Klebstoff.

Er stellt sich vor, wie er sich den Hammer aus dem Werkzeugkasten schnappt und ihn in Pauls Richtung schleudert. Malt sich aus, wie er den Typen aufspürt, der sein Rad geklaut hat, und ihm den Schraubenzieher in die Kehle rammt.

Paul legt einen Arm auf den Rücken.

‒ Komm schon, einhändig und kopfüber am Ast! Kannst meinen Arsch echt nicht verfehlen.

George verreibt den Klebstoff auf dem Loch.

Paul verschränkt beide Arme hinter dem Rücken.

‒ Ohne Hände, Mann. Ganz ohne Hände. So leicht wird’s nie wieder. Komm schon, versuch dein Glück. Du bist doch ganz scharf drauf. Erinnerst du dich an deinen Striptease auf dem Schulhof? Hier ist die perfekte Gelegenheit, Rache zu nehmen.

Und ob Andy sich erinnert. Sein erster Tag an der Highschool. Schon schlimm genug, dass er ein Jahr überspringen und vorzeitig dort antreten musste, aber dann war da auch noch Paul. Gleich zur Begrüßung stürmte er auf ihn zu und riss ihm Hose und Unterhose runter. Mitten auf dem vollen Schulhof, wo alle zu ihren neuen Klassen unterwegs waren.

In seiner Vorstellung steht er auf dem Schulhof, ein Maschinengewehr in der Hand, drückt den Abzug und dreht sich einmal langsam im Kreis, bis er allein und alles um ihn herum still ist.

Er ruckt ein paarmal scharf mit dem Kopf, um die Bilder abzuschütteln. Vergeblich.

Er nimmt George den Klebstoff ab, dreht die Tube zu und verstaut sie beim übrigen Flickzeug. Seine Zähne graben sich tief in die Innenseiten seiner Wangen.

Paul schwingt ein paarmal hin und her.

‒ Was ist los, Spinner? Tickst du schon langsam aus da drüben? Rastest du gleich aus und schmeißt Zeug durch die Gegend?

George hebt einen Kiesel auf, platziert ihn auf der Handfläche wie eine Murmel und schnippt ihn in Pauls Richtung. Der Stein prallt an Pauls Stirn ab.

Paul lacht.

‒ Ey, du bist aus’m Schneider, Andy, dein Bruder trägt’s mal wieder für dich aus.

Vorsichtig hängt George den Schlauch über den Rahmen seines auf Sattel und Lenker aufgebockten Rads. Andy reicht ihm einen großen Gummiflicken und eine Schere.

George schneidet ein kleines Quadrat zurecht.

‒ Ich trag überhaupt nichts für ihn aus, Sackgesicht. Mich nervt nur dein blödes Gequatsche. Unser Alter wird ihn heute Abend schon genug zusammenscheißen, und ich werd dabei sein und mir das anhören müssen.

George strafft die Schultern und senkt die Stimme.

‒ Gelegenheit, Jungs, das ist es, wonach jeder Dieb Ausschau hält. Kehrst du deinem Eigentum auch nur einenMoment den Rücken zu, ist es verschwunden. Also, schließ dein Rad immer ab. Es ist nicht irgendein Spielzeug, es ist ein Stück Verantwortung.

Paul reibt sich über die Stelle, wo ihn der Stein erwischt hat.

‒ Na, egal.

George zupft die leuchtend blaue Rückseite des Flickens ab, ganz vorsichtig, um die klebrige Unterseite nicht zu berühren, und greift sich den Schlauch. Er presst das kleine Gummiquadrat auf das Loch, streicht mit dem Daumen die Luftbläschen darunter aus und mustert Andy.

‒ Was wirst du ihm erzählen?

Andy starrt auf den Flicken. Während er das Blut aus seiner Wange saugt, verziehen sich langsam die Bilder aus seinem Kopf. Warum hat er immer so grausige Visionen? Er ist doch gar nicht so ein Typ wie Paul. Paul steht aufs Kämpfen. Aber Kämpfen ist für’n Arsch. Und Verprügeltwerden ist auch für’n Arsch. Aber am meisten für’n Arsch ist, selbst jemandem wehzutun.

George tritt ihm vors Schienbein.

‒ Hey, was wirst du Dad erzählen?

Andy zuckt mit den Achseln.

‒ Keinen Schimmer.

Pauls Beine lösen sich plötzlich vom Ast, er stürzt zu Boden und muss sich mit den Armen abfangen.

Andy reckt den Mittelfinger.

‒ Echt gekonnt, ey.

Paul bleibt mit geschlossenen Augen liegen, das Gesicht bleich und verschwitzt, die Haut straff über der Stirn gespannt.

Über seinen Schlauch gebeugt, kriegt George nichts davon mit.

Andy schon.

‒ Alles in Ordnung?

Paul rührt sich nicht, keucht nur.

Andy tritt einen Schritt näher.

‒ Migräne?

Paul öffnet die Augen, wischt sich den Schweiß von der Stirn, setzt sich langsam auf.

‒ Mir geht’s bestens. Wenn hier jemand ein Problem hat, dann du. Sag deinem Dad lieber, du hast es an irgendwas drangeschlossen.

Andy bückt sich, um die Abziehfolie des Gummiflickens aufzulesen, die George weggeschmissen hat.

‒ Wird er mir nicht glauben, dass jemand direkt vorm Laden ein angeschlossenes Rad klaut.

George nickt.

‒ Dann sag ihm einfach, du hast das Vorderrad an den Rahmen gekettet, aber nirgendwo angesperrt. Der Dieb hätte es auf die Pritsche von ’nem Pick-up werfen können. Das wird er dir abkaufen.

‒ Vielleicht. Trotzdem muss ich jetzt überall zu Fuß hinlatschen.

Ein Wagen biegt um die Kurve, ein 78er Firebird T-Top. Aus den Lautsprechern dröhnt »Another Brick in the Wall Part II«. Fachmännisch begutachten sie den Wagen.

‒ Wenn wir ein verfluchtes Auto hätten, müsstest du nirgendwo mehr hinlatschen.

Andy nickt.

‒ Ja, das wär echt schön.

Paul holt aus und schlägt ihm mit der flachen Hand gegen den Hinterkopf.

Andy verzieht keine Miene, sondern beschränkt sich darauf, den imaginären Hammer in Pauls Gesicht zu dreschen.

Hector kommt in die Auffahrt geschossen.

‒ Hey!

Schliddernd bremst er ab, hinterlässt eine lange schwarze Gummispur auf dem Gehweg, und das Vorderrad gräbt sich knirschend in den Kieshaufen.

‒ Hey, Andy, was ist mit deinem Rad? Hab eben einen von den Arroyos damit rumfahren sehen.

Alle starren ihn an.

Paul räuspert sich und spuckt aus.

‒ Welcher Arroyo?

‒ Timo.

Paul streckt Hector einen Finger ins Gesicht.

‒ Bist du dir da ganz sicher?

Hector schlägt seine Hand weg.

‒ Ja, Arschloch, hundert Pro. Für dich sehen Mexikaner vielleicht alle gleich aus, aber ich kann meine Leute auseinanderhalten.

Paul schnappt sich einen Stein.

‒ Scheiß-Timo.

Er wiegt den Kiesel kurz in der Hand und schleudert ihn dann in die Richtung, in die der Firebird verschwunden ist.

‒ Echt scharf.

Besser hätte es nicht kommen können. Was für ein Zufall, dass ausgerechnet die Arroyos Andys Rad geklaut haben, aber das Schärfste daran ist, dass es auch noch Timo war.

Die Riesensauerei von damals, als sie noch keine zwölf waren und Fußball in der Schulmannschaft spielten, die hat Paul nie vergessen. Kaum ein Tag vergeht, an dem er nicht daran denkt.

Es ist das Endspiel um die Stadtmeisterschaft. Paul tritt als Verteidiger an und Timo als Stürmer der gegnerischen Mannschaft. Bei einem Gedränge in Pauls Strafraum springen alle hoch, um einen Kopfball zu ergattern, und dabei rammt Timo Paul den Ellbogen mitten ins Gesicht, schickt ihn mit blutiger Nase und geplatzter Lippe an die Seitenauslinie. In der zweiten Halbzeit, die Nasenlöcher voll mit Verbandsmull, bringt Paul einen Fehlpass der Angreifer unter Kontrolle, wartet, bis Timo auf ihn zustürmt, zieht voll durch und drischt ihm den Ball in den Bauch. Timo klappt über dem Ball zusammen, und bevor der Schiedsrichter abpfeifen kann, verpasst Paul ihm einen ordentlichen Tritt zwischen die Beine, ohne auch nur so zu tun, als wollte er den Ball treffen. Als er gleich darauf die rote Karte kriegt, erklärt er lapidar, Timo trage schließlich einen Hodenschutz, also kein Grund, hier den Aufstand zu proben, dann spaziert er vom Platz, den Schiedsrichter lautstark als Pfeife und Arschloch beschimpfend.

Auf dem Heimweg stoppt ein goldmetallicfarbener, tiefergelegter Impala neben ihm, Timo und seine beiden großen Brüder Fernando und Ramon steigen aus. Ramon spielt mit einem Schnappmesser. Scheiße, alle drei haben Schnappmesser, aber Ramon ist derjenige, der ihm die Messerspitze an die Kehle drückt und befiehlt, den Hodenschutz auszuziehen. Obwohl Paul nicht glaubt, dass sie ihn gleich abstechen werden, hat er eine Scheißangst. Sein Gesicht verfärbt sich krebsrot, Tränen laufen ihm über die Wangen. Die Arroyo-Jungs zischen irgendwas in der Art, dass er eine verfluchte puta ist, das einzige spanische Wort, das Paul kennt. Und sobald sein Hodenschutz unten ist und die beiden anderen ihn rechts und links gepackt haben, setzt Timo aus zwei Metern Entfernung zum Strafstoß an und donnert ihm den original Primera-League-Lederfußball in die Eier. Paul klappt zusammen und kotzt die Orangenspalten aus, die er in der Halbzeitpause gegessen hat.

Erst spät am Abend entdecken ihn George und Hector auf dem Gelände der Brandschneise hinter ihrem Wohnkomplex. Besoffen von drei Bieren, die er zu Hause aus dem Kühlschrank hat mitgehen lassen, und schwindelig von den Kippen, die er bei einem Highschool-Kid geschnorrt hat, versichert er George und Hector, Timo sei so gut wie tot. Er wird die verfluchte Schwuchtel kaltmachen. Den ganzen Heimweg über schwört er ihnen das immer wieder.

Davon, dass er geheult hat, erzählt er ihnen nichts. Und auch nicht, warum.

Kein Wort darüber, dass er an seinen Vater denken musste, als sie ihn zwangen, den Hodenschutz abzustreifen und sich dabei die Hand vorne in die Hose zu stecken.

***

‒ Ich mach die verfluchte Schwuchtel kalt.

George sitzt auf dem Boden, dreht das Vorderrad im Schoß und stopft den Schlauch zurück in den Mantel.

‒ Wo hast du ihn gesehen?

Hector rafft die verstreuten Werkzeuge zusammen.

‒ Drüben vorm Haus seiner Eltern.

‒ Fuhr er weg oder kam er?

‒ Er war unterwegs zu Fernando.

Mit einem Schraubenzieher hebelt George den Mantel zurück in die Felge. Er hält inne.

‒ Zu Fernando?

‒ Korrekt.

George fährt mit der Arbeit fort.

‒ Scheiße.

Paul hockt auf seinem Rad. Zweimal ist er schon vor zur Straßenecke und wieder zurück, beide Male ist ihm Andy schweigend hinterhergetrottet.

‒ Scheiß drauf, dann ist er eben bei seinem Bruder. Ich mach ihn trotzdem kalt.

Hector schüttelt den Kopf.

‒ Klar doch, fahr rüber, mach ihn kalt. Was kümmert’s dich, wenn Fernando zu Hause ist. Ist doch schnurz, dass Ramon letzten Monat aus Santa Rita entlassen wurde. Hast du ihn mal getroffen, seit er draußen ist?

‒ Scheiß auf ihn.

‒ Der Typ schaut aus, als hätte er im Knast ausschließlich gefressen und Gewichte gestemmt.

Paul schlenkert bedeutungsvoll mit dem Handgelenk.

‒ Und sich in den Arsch ficken lassen.

Hector wendet sich ab.

‒ Ich will damit nur sagen, ich hab nicht vor, mich mit Fernando und Ramon anzulegen.

George hat das Vorderrad wieder in die Gabel gehängt.

Mit einem Schlüssel zieht er auf beiden Seiten die Muttern an und versetzt dabei das Rad immer wieder in Schwung, um den gleichmäßigen Lauf zu überprüfen.

‒ Wann ist Timo zu Hause ausgezogen?

Hector zieht ein fast volles Päckchen Marlboros aus der Tasche. Nachdem er sich selbst eine herausgezupft hat, lässt er es kreisen.

‒ Keine Ahnung. Meine Schwester meint, er hat Streit mit seiner Mom gehabt und ihr in den Bauch geboxt. Daraufhin hat ihn sein Alter rausgeschmissen. Angeblich hat er ihn zur Eingangstür geschleift und ihn dann samt seinem Zeug auf den Rasen verfrachtet. Seitdem wohnt er bei Fernando.

Schweigend bedienen sich die anderen aus dem Päckchen.

George holt ein Bic-Feuerzeug in einer mit Türkisen besetzten Stahlhülle heraus, die er letzten Sommer im Devil’s Workshop gekauft hat. Reihum schnorren alle Feuer von ihm.

Nachdem Hector sein Päckchen wieder an sich genommen hat, mustert er Paul.

‒ So sieht’s aus. Der Typ hockt bei seinen Brüdern, und wenn du jetzt rüberfährst und ihn aufmischst, nieten die beiden dich um.

Paul beißt auf den Filter seiner Zigarette und steigt wieder auf sein Rad.

Die Schwanzlutscher können mich mal. Ich mach sie alle drei kalt, wenn ich sie einzeln erwische. Die packen mich nur, wenn sie gemeinsam über mich herfallen.

‒ Scheiße, Mann, genau das werden sie tun.

Ein letztes Mal stößt George das Vorderrad an, dann verstaut er die restlichen Werkzeuge.

‒ Geht mir am Arsch vorbei. Wir fahren da jetzt rüber. Die Typen haben Andys Rad.

In dem Moment blicken sich alle um und bemerken, dass Andy verschwunden ist.

KAPITEL 3SO EINE NIETE

Mit Andy war alles in Ordnung, bis Hector Alexandra erwähnte und alle anderen plötzlich schwiegen.

Andy verstummte, weil ihn der Gedanke an Alexandra immer schweigsam werden lässt. Sein Gesicht wird dann ganz heiß, und er muss sich wegdrehen. Aber es war echt zum Kotzen, dass auch George und Paul nichts mehr sagten. Als wollten sie in Hectors Beisein nicht mit einer Bemerkung über die neuerdings reifenden Kurven Alexandras rausplatzen. Schon schlimm genug, wenn Hector wüsste, wie Andy über seine Schwester denkt. Aber wenn er mitbekäme, dass auch George und Paul ihr seit neuestem nachgaffen, würde er komplett ausrasten. Sich das Stück Fahrradkette, das er in der Hosentasche mit sich rumschleppt, um die Faust wickeln und damit auf seine besten Kumpels eindreschen.

Nicht, dass sie sich echte Sorgen machen müssten. Noch hat Hector die Blicke nicht bemerkt, die Alexandra auf der Straße folgen. Für ihn ist sie nach wie vor die kleine, unschuldige Schwester. Aber Andy hat in ihr immer schon mehr gesehen, ihre verborgene Schönheit längst bemerkt. Nicht, dass Alexandra etwas davon ahnt. Oder gar von Andy weiß.

Dafür scheint sie umso mehr über Timo zu wissen.

Die Vorstellung, dass ausgerechnet Timo auf seinem Rad hockt, macht ihn ganz krank. Weckt in ihm den Drang, Timo wehzutun. Versetzt sein Gehirn in Aufruhr.

Er träumt davon, Timo aufzuspüren, ihn von dem geklauten Rad zu stoßen, direkt vor einen herandonnernden Zwanzigtonner.

Schon wieder fabriziert sein Kopf einen Mord. Langsam fragt er sich, ob er noch ganz richtig tickt. Warum denkt er dauernd so krankes Zeug?

Denn, mal ehrlich, hat er es sich nicht selbst zuzuschreiben, dass sein Rad geklaut wurde? Wenn er nicht so blöd gewesen wäre, sondern sein Rad abgesperrt hätte, könnte Timo jetzt nicht darauf durch die Gegend gondeln. Ist schließlich nicht Timos Problem, wenn da irgendwo ein unabgeschlossenes Rad rumsteht. Man macht ja auch niemandem einen Vorwurf, der einen Fünf-Dollar-Schein von der Straße aufliest, der einem anderen aus der Tasche gefallen ist. Und es wird schon seinen Grund haben, wenn Timo keine Gelegenheit auslässt, ihn in der Schule anzurempeln. Oder dass Timo jedes Mal du Krücke brüllt, wenn Andy beim Softball mit dem Schläger ausholt. Hey, seit dem Kindergarten muss er sich so was von anderen Kids gefallen lassen. Seit den Leuten zum ersten Mal auffiel, wie clever er ist, und sie angefangen haben, darüber zu reden. Und wenn er das immer noch nicht wegstecken kann, tja, mein Lieber, selber schuld. In seiner Vorstellung packt er einen der verkratzten und verbeulten Softballschläger, um damit auf Timos Schädel einzuschlagen.

Rasch betet er sein Mantra herunter: IchbinsoeineNieteichbinsoeineNieteichbinsoeineNiete.

Die Geheimformel, die den Gewaltfantasien in seinem Hirn Einhalt gebietet. Meistens zumindest.

Außer es geht um Alexandra.

Andy dämmert plötzlich, warum sie so genau über Timos Rausschmiss Bescheid weiß. Aus demselben Grund, aus dem Andy jede Menge über ihr Leben weiß: Sie mag Timo. Großer Gott! Schlimm genug, dass Paul und George ihr jetzt auf einmal nachglotzen, wo Andy sie doch schon seit Jahren verehrt. Das ist ja schon schlimm. Richtig übel. Und es wäre auch ziemlich übel, wenn Timo sie mag. Aber was, wenn Alexandra seine Gefühle erwidert?

Gehört ihm denn gar nichts? Gibt es nirgendwo etwas, das wertlos genug ist, dass er es für sich allein haben kann? Ein Paar eigene Jeans, die er nicht von George geerbt hat? Eigene Zigaretten, die nicht geschnorrt sind? Lausige Cheetah-Sneaker, weil seinen Eltern die Pumas zu teuer sind, aus denen er ohnehin schnell wieder rauswächst? Seine fleckigen, zerfledderten Bücher aus dem Ramschverkauf der örtlichen Bücherei? Das Mädchen, das keinem auffällt, weil sie so mager und schüchtern ist, und deren Schönheit er als Einziger erkennt? Sein Rad, das Dad aus alten Teilen vom Flohmarkt zusammengeflickt hat? Können sie ihm nicht wenigstens das lassen? Ein jämmerliches Schrottrad, über das sich jeder schlapp lacht? Warum kann er nicht wenigstens das behalten, ohne befürchten zu müssen, dass es ihm geklaut und erst dann zurückgegeben wird, wenn es vollends ruiniert ist? Dann, wenn er endgültig keinen Spaß mehr damit hat, weil ihn alles daran erinnert, was für eine Niete er ist, sein Rad nicht abzuschließen?

Dieser bescheuerte Timo!

Wieder überfluten die Bilder sein Hirn, aber diesmal unternimmt er nichts, um sie zu stoppen.

Dieser bescheuerte Andy!

Auf der Suche nach seinem Bruder strampelt sich George den Arsch ab.

Ehrlich, manchmal wünscht er sich, er hätte keinen Bruder. Sein Leben wäre um einiges leichter.

Seit der kleine Scheißer vor fünfzehn Jahren geboren wurde, macht er nichts als Stress. Führt sich auf wie ein Baby, diese verfluchte Heulsuse. Ab dem Moment, wo Mom ihn aus dem Krankenhaus mitbrachte, hat er in einem fort nur geplärrt. Heilige Scheiße! Die Jahre, in denen sie sich ein Zimmer teilen mussten, nachdem Andy zu alt fürs Elternschlafzimmer geworden war und bevor Dad das Dachbodenzimmer ausbaute, waren die absolute Hölle. Mit sechs Jahren wachte der Kerl immer noch jede Nacht heulend und mit Albträumen auf.

Damals arbeitete Dad nachts im Steinbruch, und Mom war abends so geschafft, dass man einen Felsbrocken neben ihr an die Wand hätte donnern können, ohne sie aufzuwecken. Also musste er jedes Mal oben aus dem Stockbett klettern ‒ Andy hatte natürlich Schiss rauszufallen, wenn er im oberen Bett lag ‒, musste sich neben ihn setzen und ihm den Rücken reiben, bis er nicht mehr zitterte und einschlafen konnte. Danach lag er selbst lange wach, bevor er wieder eindöste, und am nächsten Morgen gab’s dann Ärger, weil er nicht gleich aus dem Bett sprang, wenn Mom sie weckte. Jahrelang jede Nacht der gleiche Mist. Und wenn sie im Sommer zu Fuß zu einer Kinomatinee in die Stadt wollten, kroch Andy dahin wie eine Schnecke, und er musste ständig auf ihn warten. Andy, das kleine Superhirn, die Ausnahmeerscheinung. Wie er das hasste. Lehrer und Bekannte betrachteten George immer mit so einem fragenden Ausdruck, als wäre was nicht in Ordnung mit ihm, bloß weil er nicht auch diese ganzen Hochbegabtenkurse besuchte. Endlich kam er dann in die Highschool, was zwei Jahre ohne Andy bedeutete. Ganze zwei Jahre, in denen er ihm nicht die Nase putzen oder dafür sorgen musste, dass seine Mitschüler ihn nicht zu sehr schikanierten. Und dann übersprang doch der kleine Quälgeist eine Klasse und verkürzte auf ein Jahr. Immerhin waren sie in verschiedenen Gebäuden untergebracht. Aber dann übersprang er erneut eine Klasse. Und das ganze letzte Schuljahr hat sein kleiner Bruder den gleichen Stundenplan gehabt wie er, war zur gleichen Zeit in der Pause, nahm an der Hochbegabtenversion der gleichen Kurse teil. Und mit Beginn des nächsten Schuljahrs würde es noch schlimmer werden. Abschlussklasse von 83. Hätte eigentlich eine lockere Zeit werden sollen. Viel Schwänzen, lange Lunchpausen, Praktika, dann die Klassenfahrt, kaum noch Zeit in der Schulhölle, weil der Unterricht in der Senior-Klasse ein Witz war. Es sollte das beste Jahr seines Lebens werden, und jetzt würde Andy an ihm kleben wie eine Klette. Jeden einzelnen verdammten Tag. Warum konnte der kleine Klugscheißer nicht einfach noch eine Klasse überspringen? Warum ging er nicht gleich auf’s College, was ohnehin sein Ziel war, wie jeder wusste? Der Bursche hätte es vermutlich mit links geschafft, wenn er nur gewollt hätte. Stattdessen arbeitete er gerade nur so viel, dass er George einholen und sich dann von ihm wie ein Treibanker mitschleppen lassen konnte.

George prescht die Straße runter, schießt durch den Verkehrsstrom auf der Murrieta. Der Stiel des Kugelkopfhammers in seiner Gesäßtasche klopft ihm gegen die unteren Rippen. Kurz lässt er das Rad im Freilauf rollen, um den Hammer tiefer in die Tasche zu stopfen. Er darf ihn auf keinen Fall verlieren. Falls die Arroyos seinem kleinen Bruder was antun, wird er ihnen damit die Zähne einschlagen.

Andy beobachtet vom Little-League-Baseballplatz hinter der Grundschule, wie George die Straße runterjagt. Paul ist schon vorbei, er hat die Abkürzung über den asphaltierten Spielplatz genommen. Hector fährt den größten Umweg, die ganze Murrieta runter bis zur Olivina, wo er dann ins Viertel der Arroyos einbiegt. Sie haben sich aufgeteilt, um ihn einzufangen, bevor er sich in Schwierigkeiten bringt. Und bei einem Wettrennen würden sie ihn schnappen. Jeder der drei könnte ihn lässig einholen. Aber es ist kein Rennen, denn er hat sich versteckt, und wenn sich Andy irgendwo versteckt, findet ihn niemand.

Manchmal, wenn sie nach der Ausgangssperre für Minderjährige noch draußen sind, ein Streifenwagen auftaucht und sie in alle Richtungen davonflitzen, ist Andy immer der, den sie garantiert nicht erwischen. Er weiß selbst nicht so genau, wie er das anstellt. Die Verstecke sind oft gar nicht mal so toll, aber er spürt instinktiv, welcher Platz der richtige ist.

Wenn George zu Hause Amok läuft, weil Andy wieder mal eine seiner Lieblingsplatten ungefragt ausgeliehen und in die falsche Hülle geschoben hat, dann klappert er immer eine Liste aller potenziellen Verstecke ab. Schränke, den Winkel unter der Treppe, Lücken hinter großen Möbelstücken, dichte Gebüsche und Äste in Bäumen, obwohl er weiß, dass sein kleiner Bruder Höhenangst hat, den Kofferraum des gelben Fiestas ihrer Mom. Einmal hat er sogar das Sofabett überprüft, weil er offenbar glaubte, Andy hätte sich auf geheimnisvolle Art darin zusammengefaltet und die Polster obendrauf wieder in Ordnung gebracht. Doch am Ende muss George immer zu der altbewährten Lösung greifen. Er stellt sich mitten im Haus auf und brüllt: Wenn du gleich rauskommst, schlag ich dich nur einmal, aber wenn du mich warten lässt, mach ich dich kalt. Und wenn Andy dann rauskommt, schlägt er ihn zweimal. Immer genau zweimal.

Jetzt rast George vorbei, und Andy erhebt sich aus dem Schatten der Tribüne, unter die er sich verkrochen hat. Er trottet über den Asphalt zu den weiß umrandeten Basketballfeldern, die Taschen voller Steine, die er in seinem Versteck aufgelesen hat. Den neuen zwanzigflächigen Würfel, den er heute gekauft hat und wegen dem er sein Fahrrad unabgesperrt vor dem Spielwarenladen hat stehen lassen, hält er fest umklammert.

Hector fährt einen Riesenumweg. Die gesamte Murrieta runter, über die Olivina und dann hoch Richtung Norden. Als ob Andy so eine Strecke jemals zu Fuß zurücklegen würde.

Aber George hat recht, sie müssen alles abdecken. Wär echt typisch für Andy, ausgerechnet den längsten Weg zu wählen, weil es keiner vermutet. Andererseits ist das ein ziemlich durchschaubarer Trick, also wird er es nicht tun. Oder aber der Trick ist derart durchschaubar, dass er es gerade deshalb versucht. Verquerer kleiner Spinner. In jedem Fall müssen sie alle Möglichkeiten bedenken. Und Hector muss die meiste Strampelei auf sich nehmen.

Zum einen, weil er die beste Kondition hat. George hängt ihn zwar im Sprint ab und stellt sie alle mit seinen coolen Stunts in den Schatten; mit seinem Redline-Bike springt er über jede Rampe, jagt bei Vollgas jeden noch so steilen Schotterhang runter und schlägt auf dem selbstgebauten Parcours in den Feldern hinter dem Wohnkomplex sämtliche anderen BMX-Fahrer. Aber wenn es um Langstrecken geht, hat Hector die Nase vorn. Er kann einen ganzen Tag und die Nacht durch strampeln, er kann eine Meile volles Rohr heizen, vom Rad springen und immer noch harte Schläge austeilen.

Zum Zweiten bilden sich George und Paul ein, sie wären die besseren Kämpfer. Behaupten sie jedenfalls dauernd, und Paul gibt damit an, in die meisten Schlägereien verwickelt zu sein. Was aber vor allem an seiner großen Klappe liegt, die ihm ständig Ärger einbringt. Er kann einfach das Maul nicht halten. Macht den Fehler, immer erst groß rumzulabern, bevor er jemandem in den Arsch tritt. Hector weiß, wie man so was anpackt. Nehmen wir mal an, so ein hirnamputierter Rassistenarsch nennt dich Kanake oder Tacofresser, dann stehst du erst mal locker da und starrst schweigend auf den Gehweg, aber sobald er sich zu seinen Freunden umdreht und über dich ablachen will, ziehst du plötzlich deine Faust raus, umwickelt mit einem halben Meter Fahrradkette, und bearbeitest damit seinen fetten Schädel.

Paul und George meinen, sie müssten unbedingt als Erste bei den Arroyos eintreffen, wenn dort die Kacke am Dampfen ist. Die beiden glauben ernsthaft, gegen die Typen was ausrichten zu können. Riesenirrtum. Sie könnten sogar alle drei gleichzeitig dort auftauchen, von ihren Rädern springen und losstürmen ‒ und hätten doch gegen Fernando und Ramon nicht den Hauch einer Chance.

KAPITEL 4DIE MÖSE DEINER MUTTER BETREFFEND

Die Arroyos waren schon eine Legende, lange bevor George, Paul und Hector an die Highschool kamen.

Als Leichtgewichtler traten sie an, sich durchs Schulsystem zu boxen, um am Ende einige Gewichtsklassen schwerer die Highschool wieder zu verlassen.

Fernando war der Erste. Er blieb fünf Jahre und hinterließ eine nervlich zerrüttete Schulverwaltung und ein Lehrerkollegium, das sich bis auf den letzten Mann glücklich schätzte, überlebt zu haben. Er strapazierte die Grenzen tolerierbaren Verhaltens bis zum Äußersten, bog sie zu seinen Gunsten zurecht und spürte so obskure Schlupflöcher auf, dass nach seinem Abgang das gesamte schulische Regelwerk reformiert werden musste. Doch trotz des beträchtlichen physischen Schadens, den er Schulgebäuden und ausgewählten Klassenkameraden zufügte, setzten sich der Footballtrainer und eine Hand voll Sportmäzene unermüdlich dafür ein, seinen erbärmlichen Notenschnitt durch Mauscheleien so weit anzuheben, dass er der Footballmannschaft auch auf dem College noch zur Verfügung stehen konnte. Hintergrund war die Spur triumphaler Verwüstung, die er als Offensive Lineman oder Linebacker der Highschool-Mannschaft in den Reihen der Gegner hinterließ.

Jeder seiner Gegenüber auf dem Spielfeld, ob stiernackiger Quarterback, Running Back oder Wide Receiver, der die leidige Aufgabe hatte, Fernandos Teil des Spielfelds durchqueren zu müssen, stolperte lieber und ließ sich fallen, solange er noch außer Reichweite war. Das war allemal den rippenzermalmenden und nasenzertrümmernden Kollisionen vorzuziehen, auf die er es üblicherweise anlegte. Kam es zu einem Fumble, stoben sämtliche Spieler, inklusive die seiner eigenen Mannschaft, panisch davon, um nicht unter einem Menschenhaufen begraben in seinen Fängen zu landen, wo seine hart bandagierten Hände Mägen traktierten, seine Finger sich in Augen bohrten und er dir eine Flut spanischer Flüche ins Ohr brüllte, die Möse deiner Mutter betreffend. Doch trotz dieser sportlichen Glanztaten verhinderte seine nur sehr sporadische Teilnahme am Unterricht eine Karriere in der College-Mannschaft.

Ganz oben, murmelte der betrunkene Coach manchmal im Rodeo Club vor sich hin. Wenn wir diesen Arroyo-Jungen gekriegt hätten, hätten wir ganz oben mitgemischt.

Im dritten Highschooljahr wurde er achtzehn, und als Volljähriger geriet er in die Fänge des Justizsystems. Sein Jugendvorstrafenregister war so beachtlich, dass er für seine erste Verhaftung als Erwachsener prompt eine Gefängnisstrafe zur Bewährung kassierte, die seinen Rauswurf aus der Schule endgültig besiegelte.

Nach Fernandos Abgang atmete das gesamte Lehrerkollegium kurz erleichtert durch, bevor man sich auf Ramons Eintreffen vorzubereiten begann.

Diese Vorbereitungen erwiesen sich als ungenügend. Gleich am ersten Schultag startete Ramon seinen persönlichen Vernichtungsfeldzug. Um sich angemessen einzuführen, zerkratzte und verbeulte er sämtliche Autos auf dem Lehrerparkplatz, und das unter den Augen des achtundsechzigjährigen Wachmanns. Der hatte am Abend zuvor einen Anruf erhalten, man werde ihm, falls er den Arroyos jemals die Polizei auf den Hals hetzen sollte, eine kolumbianische Krawatte verpassen. Obwohl er keinen Schimmer hatte, was eine kolumbianische Krawatte war, sagte ihm der Klang von Fernandos Stimme, dass er besser darauf verzichtete.

Ramon blieb knapp ein Jahr, richtete aber in der Zeit so viel Schaden an wie Fernando in fünf. Kurz nach den Sommerferien wurde er dann wegen bewaffneten Raubüberfalls und Bedrohung mit einer tödlichen Waffe eingebuchtet. Bei der tödlichen Waffe handelte es sich um eine Säge, die er wie eine Machete über dem Kopf schwang, als der Angestellte des 7-Eleven ihm nicht die Kasse öffnen wollte. Er wurde verurteilt, landete im Jugendknast und kreuzte nie wieder in der Schule auf. Zumindest nicht als Schüler. Als Ex-Schüler sah man ihn gelegentlich in Fernandos Impala hässliche kreisrunde Reifenspuren in den Schulrasen pflügen. Die Schulverwaltung beließ den Rasen in dem verwüsteten Zustand, bis Ramon seine erste Strafe als Erwachsener kassierte und für drei bis fünf Jahre im Bezirksgefängnis verschwand.

Beide waren längst weg, als George, Paul und Hector ihr erstes Highschooljahr antraten. Allerdings war Timo in ihrer Klasse, und der tat sein Bestes, die Abwesenheit seiner Brüder wettzumachen.

Offensichtlich hatte Timo den Werdegang Fernandos und Ramons verfolgt und daraufhin beschlossen, es anders aufzuziehen. Er spielte Junior-Football, war in der Fußballmannschaft der Schule und brillierte in beiden Sportarten. Er sorgte dafür, dass er trotz miserabler Noten nie versetzungs- oder rausschmissgefährdet war, indem er eine Reihe von »Tutoren« bezahlte, die ihm Hausarbeiten und Spickzettel für die Tests schrieben.

Im Gegensatz zu seinen beiden Brüdern absolvierte Timo die Highschoolzeit reibungslos, wurde sogar als einer von fünf mexikanischen Mitschülern mit Urkunden für besondere sportliche Leistungen geehrt und war unter seinen Landsleuten mit Abstand die Nummer eins. Und er war mit Abstand die Nummer eins unter den Drogendealern an der Schule. Alle Kiffer sahen sich gezwungen, ihm sein vertrocknetes, selbst angebautes Gras abzukaufen, auch wenn es frische grüne Ware im Überfluss gab. Denn bei Umgehung seiner Produkte drohte als Strafe ein Besuch seiner großen Brüder.

Er kopierte den Lowrider-Stil der beiden: khakifarbene Chinos, schwarze Lederschuhe mit weißen Socken, langes kariertes Hemd, bis oben hin zugeknöpft, aber die Ärmel hochgerollt, sodass man das lange weiße Unterhemd sah, ein Netz über den schwarzen zurückgekämmten Haaren und ein dünner Schnurrbart, den er seit der sechsten Klasse kultivierte. Der gleiche Look, allerdings ohne das Klappmesser in der Gesäßtasche, das Tütchen Stoff in den Socken oder die Newports in der Brusttasche. Die durften seine Lakaien für ihn tragen. Er war immer clean, jederzeit bereit für eine Leibesvisitation. Als guter Sportler war er am Tisch der Topathleten der Schule gern gesehen. Mit seinem Schlafzimmerblick und dem hübschen Gesicht gafften ihm nicht nur mexikanische Mädchen, sondern auch weiße Teenager nach. Cowgirls, Cheerleader, Sportlerinnen und Intellektuelle hatten ein Auge auf ihn geworfen.

Und das alles zusammengenommen ließ die Schulleitung ignorieren, was für ein unfassbares Arschloch er war.

KAPITEL 5DIE LEGENDÄRE SÄGE

Als er in Fernandos Straße einbiegt, malt sich Andy aus, wie er Steine und Glasscherben in Timos Gesicht schleudert. Mit Zeug zu werfen ist seine Standarderöffnung.

Jedes Mal wenn sich die anderen mit irgendwelchen Cowboys oder Sportcracks anlegen, weil die zu laut über ihre zerrissenen Jeans oder die alten Zeppelin-T-Shirts abgelästert haben, ist er schlagartig bis unter die Haarwurzeln vollgepumpt mit Adrenalin. Er rastet komplett aus, stürmt vorneweg, schmeißt mit allem, was ihm in die Finger gerät und stürzt sich mit gesenktem Kopf auf jeden, der ihm in die Quere kommt. Und wenn dann seine Faust irgendwo landet oder ein Stein den Schädel von so einem Arschloch trifft, dann ist das für eine Sekunde das schärfste Gefühl der Welt. Aber ab da läuft plötzlich alles schief. Die ganze Mordlust, das wütende Verlangen, wahllos Haarbüschel und Fetzen blutiger Kopfhaut auszureißen, jemanden in die Wange zu beißen, der zweimal so groß ist wie er, verkehrt sich ins Gegenteil, weil seine Fantasie das Ruder übernimmt. Was, wenn ein Stein jemanden ins Auge trifft? Wenn er tatsächlich ein Stück aus einem Gesicht beißt und es damit für immer verunstaltet? Wenn ein Schlag oder ein Tritt einen Knochen zerschmettert und die Splitter die Haut durchbohren?

Was, wenn er wirklich jemanden verletzt?

Er braucht nur daran zu denken, und schon ist er außer Gefecht gesetzt.

Und das eigentlich Traurige daran ist, dass er niemals einen anständigen Schlag landen wird. Er prügelt sich wie ein Mädchen.

Er ist so eine Niete.

Und dann kassiert er Schläge, wird zu Boden gestoßen, und die Jungs müssen ran. Ihnen ist es scheißegal, ob sie die Schwachköpfe verletzen, mit denen sie sich prügeln. Hey, es ist ein Kampf, also was soll der Scheiß.

Die Jungs nehmen ihm das nicht weiter krumm. Immerhin zeigt er Kampfbereitschaft. Und irgendwie ist es auch cool, wenn er wie ein Berserker voranstürmt und dabei unverständliches Zeug brüllt. ScheißArschlöcherichmacheuchkaltihrSchwanzlutscherscheißNieteScheiße!

In ihren Augen kackt er einfach nur deshalb ab, weil er so ein miserabler Kämpfer ist. Was soll man auch groß von ihm erwarten? Ist ja noch ein halbes Kind.