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Zwischen mörderischen Schatten: Der nervenaufreibende Thriller »The Vyrus: Das Blut von Brooklyn« von Charlie Huston jetzt als eBook bei dotbooks. Ein Virus hat das Herz von Manhattan vergiftet … Privatdetektiv Joe Pitt hat viel geopfert, um sich als Einzelgänger vor den mächtigen Klans von Amerikas einstmals stolzester Stadt zu behaupten. Doch um sich und seine schwerkranke Freundin Evie über die Runden zu bringen, muss er sich dem unerbittlichen Machtkampf in New Yorks Unterwelt stellen: Ein brisanter Auftrag führt ihn in jene Gegend von Brookyln, in die sich kaum noch jemand hineinwagt, seit ein neuer, unbekannter Feind selbst die mächtige »Koalition« in Aufruhr versetzt hat. Viel zu spät wird Joe klar, welchen Fehler er begangen hat, als er zwischen die Fronten einer Fehde zweier gefährlicher und brutaler Sekten gerät … Rasant, dreckig und so unfassbar spannend, dass man nicht aufhören kann zu lesen: »Huston ist einer der brillantesten Stilisten dieses Jahrhunderts.« Stephen King Jetzt als eBook kaufen und genießen: »True Detective« meets »The Walking Dead« – der abgründige Thriller »The Vyrus: Das Blut von Brooklyn« von Charlie Huston, der spektakuläre dritte Band in seiner Reihe um den Privatermittler Joe Pitt, in der alle Bände unabhängig voneinander gelesen werden können. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
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Über dieses Buch:
Ein Virus hat das Herz von Manhattan vergiftet … Privatdetektiv Joe Pitt hat viel geopfert, um sich als Einzelgänger vor den mächtigen Klans von Amerikas einstmals stolzester Stadt zu behaupten. Doch um sich und seine schwerkranke Freundin Evie über die Runden zu bringen, muss er sich dem unerbittlichen Machtkampf in New Yorks Unterwelt stellen: Ein brisanter Auftrag führt ihn in jene Gegend von Brookyln, in die sich kaum noch jemand hineinwagt, seit ein neuer, unbekannter Feind selbst die mächtige »Koalition« in Aufruhr versetzt hat. Viel zu spät wird Joe klar, welchen Fehler er begangen hat, als er zwischen die Fronten einer Fehde zweier gefährlicher und brutaler Sekten gerät …
Rasant, dreckig und so unfassbar spannend, dass man nicht aufhören kann zu lesen: »Huston ist einer der brillantesten Stilisten dieses Jahrhunderts.« Stephen King
Über den Autor:
Charlie Huston wurde 1968 in Oakland, Kalifornien geboren. Nach einem Theaterstudium zog er nach New York, wo er als Schauspieler und Barkeeper arbeitete, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. Seine »Vyrus«-Reihe, für die er unter anderem mit dem wichtigsten amerikanischem Krimipreis, dem Edgar-Award, nominiert wurde, erzählt den Überlebenskampf von Privatermittler Joe Pitt in der New Yorker Unterwelt. Charlie Huston lebt mit seiner Frau, einer bekannten Schauspielerin, in Los Angeles.
Bei dotbooks veröffentlichte der Autor seine packende Serie um den New Yorker Privatermittler Joe Pitt:
»The Vyrus: Stadt aus Blut«
»The Vyrus: Blutrausch«
»The Vyrus: Das Blut von Brooklyn«
»The Vyrus: Bis zum letzten Tropfen«
»The Vyrus: Ausgesaugt«
Außerdem bei dotbooks erschienen ist sein Thriller »Killing Game«.
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eBook-Neuausgabe Dezember 2022
Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 2007 unter dem Originaltitel »Half the Blood of Brooklyn« bei Ballantine Books, New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 2009 unter dem Titel »Das Blut von Brooklyn« bei Heyne
Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 2007 by Charlie Huston
This edition published by arrangement with Ballantine Books, an imprint of Random House, a division of Penguin Random House LLC
Copyright © der deutschen Erstausgabe 2009 by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Copyright © der Neuausgabe 2022 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von Shutterstock/Geobor, mervas
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (fb)
ISBN 978-3-98690-534-7
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Charlie Huston
The Vyrus:Das Blut von Brooklyn
Ein Joe-Pitt-Thriller
Aus dem Amerikanischen von Kristof Kurz
dotbooks.
Für Mr. Stoker und Mr. Chandler.
Tausend Dank.
Und entschuldigen Sie die Freiheiten,
die ich mir genommen habe.
Ich kann den Typen nicht ausstehen.
Ich mag nicht, wie er riecht. Mir gefällt nicht, wie er aussieht. Seine Schuhe mag ich auch nicht. Ich könnte ihn mit einem Messer aufschlitzen, das Blut trinken, das aus der Wunde spritzt, und es würde mir nicht schmecken.
Aber Terry hat gesagt, ich soll cool bleiben.
Also lasse ich den Kerl am Leben.
‒ Von nichts kommt nichts, sag ich immer.
Terry nickt und wedelt die dicken Zigarrenrauchschwaden weg, die vor seinem Gesicht hängen.
‒ Ganz klar, ganz klar.
Der Kerl, den ich nicht leiden kann, zieht kräftig an seinem Stumpen.
‒ Wenn die Docks bei euch mitmachen sollen, muss ich schon wissen, was für meine Leute drin ist. Hier geht’s ja nicht nur um mich. Meine Leute haben mich zwar als Unterhändler gewählt, aber bei so wichtigen Sachen treffen sie die Entscheidung selbst. Und solang sie nicht wissen, was dabei rausspringt, entscheiden sie gar nichts.
Terry hustet hinter vorgehaltener Hand.
‒ Nun, wie gesagt, unsere Art, solche Sachen zu regeln, ist, immer das große Ganze im Blick zu haben. Die Society ist kein, nun ja, Clan im traditionellen Sinn. Wir versuchen nicht einfach nur, uns irgendwie durchzuwursteln und nett zu allen zu sein. Wir wollen eine bessere Welt. Wir haben Ziele. Uns geht’s darum, und da erzähle ich dir wohl nichts Neues, dass jeder, der mit dem Vyrus infiziert ist, bestimmte Rechte hat. Betrifft das auch die Leute, die gar nicht in der Society sind? Aber sicher. Bedeutet es, dass wir unser Ziel leichter erreichen, wenn wir solidarisch Hand in Hand kämpfen? Absolut. Worauf ich hinaus will ist, dass ihr, ob die Docks sich der Society nun anschließen oder nicht, auf jeden Fall davon profitiert, wenn wir eines Tages unsere Ketten abwerfen. Im Moment können wir dabei jede nur erdenkliche Unterstützung brauchen.
Der Boss der Docks nickt, überlegt und kaut dabei auf dem ausgefransten Ende seiner handgerollten dominikanischen Zigarre. Dann sieht er zu dem Schläger, den er als Leibwache mitgebracht hat.
‒ Ich glaube, er will sagen, dass hier für uns nichts zu holen ist.
Der Gorilla umklammert den Baseballschläger, der auf seiner Schulter liegt, etwas fester.
‒ Hört sich ganz so an.
‒ Klingt, als hätte er nichts anzubieten.
Der Gorilla nickt.
‒ Hört sich verdammt so an.
Der Boss der Docks nimmt die Zigarre aus dem Mund und deutet damit auf Terry.
‒ Ist das so, Bird?
Terry legt die Handflächen wie zum Gebet aneinander und führt die Fingerspitzen zum Kinn.
‒ Was ich euch vermitteln will, ist, dass alle hiervon profitieren können. Ich, du, dein Mann hier, Joe, eure Mitglieder, die Society, die anderen Clans, die Unabhängigen und sogar die ganz normalen Leute da draußen, die noch nie vom Vyrus gehört haben. Eines Tages werden wir an die Öffentlichkeit treten und alle wissen lassen, dass es uns gibt. Wir werden die Welt dadurch bereichern, zu einem bunteren und überraschenderen Ort machen. Da hat jeder was davon, Mann. Wir alle, die wir Kinder von Mutter Erde sind.
Der Gorilla hebt einen Finger, als hätte ihm Terry gerade eine wichtige Einsicht vermittelt.
‒ Ja, verstehe. Der hat uns wirklich nichts anzubieten.
Der Boss der Docks schiebt seinen Stuhl zurück, steht auf, wirft den glimmenden Stumpen auf den Boden und tritt ihn aus.
‒ Auf geht’s, Gooch. Holen wir die Jungs und machen verdammt noch mal die Fliege.
Terry zuckt mit den Schultern und steht auf.
‒ Ich muss ehrlich zugeben, dass ich etwas enttäuscht bin. Obwohl es nicht das erste Mal ist, dass man uns zurückweist.
Er streckt die Hand aus.
‒ Aber vergesst nicht, dass wir trotzdem für euch kämpfen. Und wenn ihr es euch anders überlegt, heißen wir euch jederzeit mit offenen Armen willkommen.
Der Boss der Docks mustert Terry von unten bis oben, von den Birkenstocksandalen über die Hanfjeans und das PELZ IST MORD-T-Shirt bis zum ergrauten Pferdeschwanz.
‒ Bird, du bist ein armer Irrer. Wir wollen mit dir und deinen Hippies und College-Kids und Schwuchteln nichts zu tun haben.
Er nimmt eine der Zigarren in die Hand, die aus der Brusttasche seines billigen Anzugs ragen, beißt das Ende ab und spuckt es Terry vor die Füße.
‒ Und das werd ich auch Predo sagen, wenn ich ihn das nächste Mal sehe.
Er reißt ein Streichholz auf der Oberfläche des Küchentischs an und hält es gegen die Zigarrenspitze.
‒ Die Docks sind ein ernsthafter Clan. Wenn wir uns entschließen, die Brücke zu überqueren, um jemandem den Rücken freizuhalten, dann kann man sich hundertprozentig auf uns verlassen. Wenn du für diese Sicherheit nichts anbieten kannst, dann zum Teufel mit dir. Predo weiß, was wir wert sind. Und er wird dementsprechend zahlen.
Er lässt das Streichholz fallen.
‒ Scheiße, ich wollte euch eigentlich nur mal aus der Nähe betrachten. Aus Neugier. Wollte mich davon überzeugen, dass einer der Top-Clans jenseits des Flusses wirklich von einer Schwuchtel angeführt wird.
Terry zupft an dem Bärtchen unter seiner Unterlippe.
‒ Nun, wenn du das so siehst, kann ich das leider nicht ändern. Dann ist es wahrscheinlich tatsächlich das Beste, wenn du mit der Koalition ins Bett steigst. Trotzdem, Mann, trotzdem wünsche ich dir Gesundheit und ein glückliches Leben.
Der Boss der Docks rollt mit den Augen und geht auf die Tür zu.
‒ Leck mich, Bird.
Terry blickt zu mir.
‒ Joe, begleitest du die Herren bitte nach draußen?
Ich halte ihnen die Tür auf.
‒ Klar. Kein Problem.
Ich schließe die Tür hinter uns und führe den Boss und Gooch durch den Korridor zum Vorzimmer, wo er seine beiden anderen Jungs abgestellt hat.
Der Boss holt auf und läuft neben mir her.
‒ Du siehst mir ganz normal aus. Wieso zum Henker hängst du mit diesem Clown da drin ab?
Ich lasse einen Fingerknöchel knacken.
‒ Ist mein Job.
Gooch lacht.
‒ Dein Job? Die müssen dir das Geld ja nur so in den Arsch stopfen, damit du’s bei dieser Freakshow aushältst.
Ich bleibe vor der Tür zum Vorzimmer stehen und lege die Hand auf die Klinke.
‒ Bin ganz zufrieden.
‒ Pech für dich.
‒ Wenn Sie meinen.
Ich öffne die Tür und trete einen Schritt zur Seite, um dem Boss der Docks Platz zu machen.
Bescheuert wie er ist, geht er natürlich durch die Tür. Dann bleibt er wie angewurzelt stehen, weil er vor sich die kopflosen Leichen seiner Männer liegen sieht und Hurley, der mit der Feueraxt ausholt. So viel muss man dem Boss lassen ‒ er schafft es noch, den Arm vors Gesicht zu reißen, bevor ihn die Klinge erwischt.
Während sein Arm zu Boden fällt, holt Hurley erneut aus. Der Boss hat seine verbliebene Hand im Jackett und tastet nach dem Ding, das seine Seitentasche so auffällig ausbeult. Hurley schwingt die Axt wie weiland Lou Gehrig von den Yankees den Baseballschläger und hackt ihm den anderen Arm ab. Er klatscht gegen die Wand, und der Revolver fällt auf den Boden.
Der Boss stampft so heftig auf, dass die Dielen unter der Plastikfolie splittern, die Hurley vorsichtshalber ausgelegt hat. Er tritt einen seiner beiden kopflosen Leibwächter.
‒ Scheißkerl! Nichtsnutzige Schwuchtel!
Er steht in der Mitte des Raumes. Das Blut, das aus seinen Stümpfen spritzt, versiegt bis auf ein dünnes Rinnsal, als das Vyrus das Blut gerinnen lässt und in Windeseile Schorf über den Wunden bildet.
Er sieht Hurley an und spuckt Blut nach ihm.
‒ Mehr hast du nicht drauf, du Schlappschwanz? Ein Scheißhinterhalt? Komm her! Ich zeig’s dir.
Er stellt sich breitbeinig hin, hebt den Kopf und reißt die Augen weit auf.
‒ Na los, du Memme!
Hurley hebt die Axt über den Kopf.
‒ Wie du meinst, Kumpel.
Der Boss fängt an zu brüllen, als die Klinge auf ihn zuschießt, und verstummt schlagartig, als sie seinen Kopf genau in der Mitte spaltet.
Ignorantes Arschloch.
Wegen der vielen Zigarren konnte er einfach nichts mehr riechen. Sonst hätte er sofort den Blutgestank gewittert, als ich die Küchentür öffnete, und gepeilt, dass was faul war. Er hätte mich in dem engen Korridor mit Leichtigkeit auseinandergenommen. Ein weiteres schlagendes Argument für den Tabakkonsum.
Gooch späht in den Raum und sieht, dass sein Boss auf dem Boden herumzappelt. Er weicht einer letzten Blutfontäne aus, die aus der Hauptschlagader spritzt. Dann liegt nur noch ein toter Fleischberg auf dem Boden.
‒ Himmel, wer soll denn den Scheiß wegmachen?
Hurley zieht die Axt mit einem Ruck aus dem Gesicht des Bosses.
‒ Uff.
Gooch deutet auf die Sauerei.
‒ Ich jedenfalls nicht. Das war nicht abgemacht.
Hurley wischt die Klinge am Hemd des Bosses ab, bemerkt die Zigarren in der Brusttasche des toten Mannes und bedient sich.
‒ Niemand hat gesagt, dass du hier was saubermachen sollst.
‒ Wollte ich nur mal klargestellt haben.
Hurley reißt ein Streichholz mit dem Daumennagel an und hält die Flamme gegen die Zigarrenspitze.
‒ Schon klar, Jungchen.
Gooch deutet mit seinem Baseballschläger auf die Leichen.
‒ Also ihr räumt hier auf, und ich trommle den Rest der Docks zusammen. Jeder soll wissen, dass wir uns euch anschließen.
Hurley sieht sich die Zigarre an, rümpft die Nase und wirft sie zischend in das Blut des Bosses.
‒ Hör mal, Jungchen. So wie ihr euch hier gegenseitig ans Messer liefert, vertrauen wir euch nich’ mal den Kloputzdienst an.
Gooch ist fast so schnell wie sein Boss. Er hebt den Schläger, um Hurleys Axt abzuwehren. Nur, dass Hurley die Axt keinen Millimeter bewegt hat.
Stattdessen kitzle ich Gooch mit dem Lauf des Revolvers seines toten Bosses am Ohrläppchen.
‒ Hey, Gooch.
Er bewegt sich nicht.
‒ Ja?
‒ Ich mag diese Freakshow.
Ich jage ihm eine Kugel durchs Ohr. Und noch ein paar weitere zur Sicherheit, sobald er erst mal am Boden liegt.
Hurley schüttelt den Kopf.
‒ Was soll das, Joe?
‒ Gar nichts. Er ging mir einfach auf den Sack.
Terry kommt den Korridor herunter und betrachtet das Blutbad.
Er nimmt die Brille ab und senkt den Kopf.
‒ Was für eine Verschwendung.
Ich stecke mir eine Lucky in den Mund.
‒ Wenn du meinst.
‒ Die Arbeiterklasse sollte unser natürlicher Verbündeter sein. Die hier wären eine große Hilfe gewesen.
‒ Ja, nämlich dabei, alles den Bach runtergehen zu lassen. Wenn die das Beste sind, was Brooklyn zu bieten hat, müssen wir uns keine großen Sorgen machen.
Terry setzt die Brille wieder auf und sieht mich prüfend an.
‒ Unser Problem ist nicht das Beste, was Brooklyn zu bieten hat.
Er geht wieder den Korridor hinunter und auf die Küche zu.
‒ Sondern das Schlimmste. Und das wartet vorerst noch jenseits der Brücke.
Er dreht sich um.
‒ Aber nicht mehr lange.
Als hätte ich nicht schon genug Probleme.
Es reicht offensichtlich nicht, dass es in Manhattan jeden Tag routinemäßig Scheiße auf mich herabregnet, nein, jetzt wird sie auch noch eigens von Brooklyn rübergekarrt. So ist das eben, wenn man fest angestellt ist ‒ die Scheißprobleme anderer werden zu deinen eigenen. Aber noch bevor du das richtig überreißt, steckst du schon bis über beide Ohren mitten in dem Schlamassel und musst dann höllisch aufpassen, die Klappe nicht zu weit aufzureißen.
‒ Bist nicht besonders gesprächig heute, oder?
Ich sehe von dem Linoleumboden zwischen meinen Füßen auf und versuche zu lächeln, was aber nicht so recht klappen will.
‒ Nein, Baby. Nur müde.
‒ Du hättest nicht vorbeikommen müssen.
‒ Kein Problem. Ich hab ja sonst nichts vor.
‒ Sehr charmant, Joe.
‒ So war das nicht gemeint.
‒ Ich weiß. Ich mach nur Spaß.
Evie streckt den Arm aus und nimmt meine Hand. Der Infusionsschlauch wickelt sich um ihren kleinen Finger, und ich löse ihn vorsichtig.
‒ Das auf deiner Wange ist kleiner geworden.
Sie drückt mit der Zungenspitze von innen gegen die Stelle, an der sich ihr erstes Kaposi-Sarkom gebildet hat.
‒ Ja. Cool, oder? Jetzt muss ich nur noch die anderen sechsunddreißig loswerden, und ich bin so gut wie neu.
Eine Schwester kommt rein und überprüft die Infusion und die Nadel in Evies Arm. Dabei verzieht sie ihr Gesicht zu einer Grimasse, die in ihrem ersten Arbeitsjahr vielleicht noch als Lächeln durchgegangen ist. Dann verschwindet sie wieder.
Evie fletscht die Zähne.
‒ Die mag ich, sie ist ganz nett. Nicht so ein Miststück wie die anderen.
‒ Eine echte Mutter Teresa.
‒ Sie hat mir gezeigt, wie man die harntreibenden Zäpfchen einführt. Hat mir alles sehr anschaulich erklärt.
Sie ballt eine Hand zur Faust und bohrt den Zeigefinger der anderen hinein.
‒ Sehr hilfreich.
Sie fährt mit der Hand durch die Überreste ihrer üppigen roten Haare. Ein paar Strähnen lösen sich und bleiben zwischen ihren Fingern hängen.
‒ Scheiße. Verdammte Scheiße.
Ich werfe einen Blick auf die alte Dame, mit der sich Evie das Zimmer teilt. Sie liest in einer Frauenzeitschrift und lässt sich dabei ihre Chemo in den Körper pumpen. Sie hat sich ein Handtuch wie einen Turban um den Kopf gewickelt, versucht, Evies Gefluche zu ignorieren und wartet auf den Tag, an dem sie endlich in ein anderes Zimmer verlegt wird. Wie die zwei Patientinnen vor ihr.
‒ Scheiße, scheiße, scheiße. Meine Scheißhaare.
‒ Baby.
‒ Meine Haare, Joe.
‒ Ich weiß.
‒ Muss ich denn auch noch mein Haar verlieren?
‒ Das wächst wieder nach, haben sie gesagt.
Sie schüttelt ihren Kopf über der Bettkante aus. Die hellroten Strähnen fallen zu Boden.
‒ Scheiß drauf. Sie haben auch gesagt, dass das Vinblastin hilft. Und dass die Geschwüre in meinem Mund bald abheilen. Verstopfung kommt nur in einem von zehn Fällen vor, haben sie gesagt. Und dass ich genug Leukozyten für die Chemo habe und keine Angst vor Blutarmut haben muss. Ich bin gesund, haben sie gesagt. Richtig behandeltes HIV muss nicht zwangsläufig zu AIDS führen. Haben sie gesagt. Ich scheiß auf sie. Sie wissen gar nichts.
Sie winkt der alten Frau zu.
‒ Hey, sehe ich etwa aus, als hätte ich kein AIDS? Was meinen Sie, hä? Was für einen Scheiß haben sie Ihnen denn erzählt, bevor Sie hierher gekarrt wurden?
Die alte Frau hat die Zeitschrift von ihrem Schoß genommen und hält sie vors Gesicht, verdeckt damit Evie und ihre hellvioletten Tumore, das schüttere Haar und die grauen Zähne.
‒ Baby.
‒ Was? Mach ich eine Szene? Bin ich dir peinlich, Joe? Willst du nicht mit mir gesehen werden? Dann musst du einfach nur abhauen.
Ich richte mich auf, beuge mich vor und lege meinen Mund auf ihren.
Sie küsst für einen Augenblick zurück, dann löst sie sich von mir.
‒ Nicht.
Ich lege die Fingerspitze auf eine der Entzündungen, die sich um ihren Mund herum gebildet haben.
‒ Hast du Schmerzen?
‒ Nein. Es ist nur so … eklig. Ich bin so eklig. Ich bin ein Scheißmonster.
‒ Nicht mal annähernd, Baby.
Ich küsse sie noch mal.
Sie hustet, und ich schmecke Galle aus ihrem leeren Magen und Blut aus den Geschwüren in ihrer Lunge.
Sie zieht sich wieder zurück.
‒ Schale. Schale.
Ich hole die Nierenschale aus Plastik hervor und halte sie ihr vor den Mund. Sie würgt ein paar Mal, aber nichts kommt.
‒ Scheiße. Gottverdammte Scheiße.
Ich stelle die Schale zur Seite.
‒ Alles cool, Baby.
Sie wendet sich ab.
‒ Blödsinn. Nichts ist cool. Ich hab’s satt. Ich hab die ganze Scheiße hier so satt.
‒ Das wird schon, Baby.
‒ Ach ja? Das wird schon? Scheiße, du hast doch keine Ahnung.
Sie rollt sich auf den Rücken und redet mit der Decke.
‒ Hau ab, Joe.
Ich haue nicht ab.
Sie sieht mich an.
‒ Scheiße, Joe. Wenn du nichts tun kannst, um mir zu helfen, dann verschwinde! Aber steh hier nicht rum und guck mich blöd an. Glaubst du, ich fühle mich besser, wenn ich deine traurige Fresse vor mir sehe? Mach was! Scheiße, Joe, tu irgendwas!
Ich strecke den Arm aus.
Sie schlägt mir auf die Hand.
‒ Fass mich nicht an. Du hast versprochen, dass du auf mich aufpasst. Dann mach das auch! Scheißkerl.
Arschloch! Du bist zu nichts gut! Ich bin krank. Ich sterbe, verdammte Scheiße, und du stehst hier nur rum. Du. Du. Bist dauernd auf Achse. Dein verdammter Job. Keine Zeit, um mir zu helfen. Alles, was du tust, ist, noch mehr Blut in mich reinzupumpen, damit es sich die Scheißkrankheit in mir so richtig gemütlich machen kann. Du bist keine Hilfe.
Sie setzt sich auf. Das Pyjamaoberteil rutscht von einer ihrer knochigen Schultern und entblößt die blasse, mit Sommersprossen bedeckte Haut.
Ich stehe mit hängenden Armen vor ihr.
Sie zerrt an dem Schlauch in ihrer Armbeuge.
‒ Scheiß drauf. Das hilft ja auch nichts. Nichts hilft mehr. Du auch nicht!
Sie wirft mit der tropfenden Nadel nach mir.
‒ Tu irgendwas! Rette mich, gottverdammt! Scheiße! Hilf mir.
Die Schwester kommt rein, sieht sich die Bescherung an, schüttelt den Kopf und macht sich an die Arbeit.
Evie fällt auf das Kissen zurück.
‒ Siehst du, sogar diese Schlampe hier tut was. Räumt hinter mir her. Bringt mir diesen Drecksfraß, den ich sowieso nicht runterkriege. Wenn ich scheißen könnte, würde sie mir wahrscheinlich sogar den Arsch wischen.
Die Schwester blickt erst mich an und dann zur Tür.
Ich betrachte Evies Füße, die unter der Decke hervorlugen.
‒ Ich komme morgen wieder.
Sie legt die Hände aufs Gesicht.
‒ Gott. Ich will allein sein. Bitte, lass mich. Lass mich in Ruhe. Ich will nicht mehr. Ich will über niemanden mehr nachdenken müssen. Lass mich in Ruhe, Joe. Lass mich in Ruhe sterben. Hau ab. Hau einfach ab.
Die Schwester dreht sich zu mir um, legt eine Hand auf meinen Arm und deutet auf die Tür.
Ich stelle mir vor, wie ich meine Hände um ihren Kopf lege, ihr mit einem Ruck das Genick breche und dabei ins Gesicht spucke.
Als ich gehe, späht die alte Frau hinter ihrer Zeitschrift hervor und schüttelt den Kopf.
Draußen zünde ich mir eine Lucky an und beobachte die Leute, die von einem langen Arbeitstag zurückkehren oder unterwegs sind, um sich ins Nachtleben zu stürzen. Schließlich ist es Freitagabend, da ist das eine ganz normale Sache. Nur leider nicht für Evie.
Ich könnte sie alle umbringen.
Sicher, das würde nichts ändern. Zumindest nicht für mein Mädchen, das dort oben auf der AIDS-Station des Beth-Israel-Krankenhauses liegt. Aber ich würde mich besser fühlen. Eine Leiche für jede virusverseuchte Zelle in ihrem Körper, und ich wäre mit der Welt wieder quitt.
Eine Harley kommt grollend neben mir zum Stehen. Der Fahrer in Ledermontur tippt gegen die Krempe seines Zylinders.
‒ Joe.
Ich blicke noch kurz einem Typen nach, der mit seiner Freundin im Arm an mir vorbeigeht. Sie kichern über irgendeinen Scheiß, den sie wohl für witzig halten. Ich verkneife mir, sie zu fragen, was denn wohl so gottverdammt lustig ist, dann schlendere ich rüber zu Christian.
‒ Wie geht’s?
Er nimmt die Fliegerbrille ab.
‒ Da gibt’s eine Sache, um die du dich kümmern solltest. Unterhalb der Houston.
‒ Nicht mein Zuständigkeitsbereich.
Christian nimmt die Zigarette, die ich ihm anbiete. Ich öffne mein Zippo und gebe ihm Feuer.
‒ Nicht mehr lange, wie man hört.
‒ Was soll das heißen?
‒ Soll heißen, dass jeder weiß, dass Terry mit den Gestalten von der anderen Seite der Brücke was am Laufen hat. Diese Hinterwäldler drängen auf das Territorium der Society. Und Terry muss ihnen irgendwo ein Plätzchen verschaffen.
‒ Wer hat dir denn das gesteckt?
Er grinst.
‒ Mann, glaubst du im Ernst, Bird kann so nahe an der Pike Street operieren, ohne dass ich oder die Jungs Wind davon kriegen?
‒ Und selbst wenn, ich kümmere mich nur um Society-Angelegenheiten.
Er nimmt einen tiefen Zug.
‒ Hast du die alten Zeiten ganz vergessen, Joe?
Blöde Frage.
Wie könnte ich die Nacht vergessen, in der ich ihn von der Straße aufgekratzt habe. Die Chinatown Wall hatte ihn und seine Gang durch den Fleischwolf gedreht. Irgendein Arschloch hatte ihm die Venen geöffnet, sein Blut abgezapft und dann infiziert. Dachte wohl, es wäre lustig, mal zu sehen, ob das Vyrus anschlägt und ihn am Leben erhält ‒ oder zumindest in einer Art lebensähnlichem Zustand. Der Idiot dachte wohl, es wäre egal, ob Christian draufgeht oder nicht, denn sollte er überleben, würde er spätestens wegen dem, was sie mit seinen Jungs angestellt hatten, durchdrehen und sich aus Verzweiflung selbst das Licht ausblasen. Doch der Vollidiot hatte nicht damit gerechnet, dass ich daherkomme, die richtige Entscheidung treffe und die ganze Schweinerei beseitige, bevor sich die Cops oder irgendwelche Zivilisten wundern konnten, warum Christian noch am Leben war.
Ich hätte ihn ausbluten lassen und in den East River schmeißen können ‒ eine weitere Wasserleiche für die Patrouillenboote der Wasserschutzpolizei. Doch mir hat auch mal jemand einen Gefallen getan, und ich dachte einfach, ich wäre der Welt was schuldig. Also hab ich ihn aufgepäppelt, ihm das Wichtigste über das Vyrus beigebracht und ihn dann ziehen lassen.
Und das Wichtigste hat er schnell kapiert ‒ dass das Vyrus seinen Körper übernommen hat, ihn wachsam, unglaublich kräftig, schnell und jung macht. Vorausgesetzt, er füttert es ordentlich.
Er stellte die naheliegende Frage.
Ich gab ihm die einzige Antwort darauf.
Blut. Menschenblut. So viel wie möglich.
Ich gab ihm etwas davon. Es schmeckte ihm. Scheiße, es schmeckt uns allen. Nur, dass manche mit der Tatsache nicht klarkommen, dass es ihnen schmeckt. Oder mit dem, was wir tun müssen, um es uns zu verschaffen.
Du kannst so viele Adern anzapfen, wie du willst. Nimm dir, was du brauchst, und lass es wie einen Raubüberfall aussehen. Oder such dir einen belämmerten Junkie. Versuch’s in einer Blutbank, oder zieh dir einen Arztkittel über und probier’s in einem Krankenhaus. Such dir eine nette Lucy, die so oft wie möglich die Adern für dich öffnet, weil sie dich liebt und weil es ihr gefällt, auf diese Art ausgenutzt zu werden. Leck an deinen eigenen aufgeschlitzten Handgelenken oder saug eine Ratte aus ‒ dann geht’s dir so dreckig wie einem Schiffbrüchigen, der nur Salzwasser säuft. Du kannst alles versuchen, um die eine Sache zu vermeiden, die du unter gar keinen Umständen tun willst. Und am Ende tust du’s doch.
Sobald du erst mal ein Messer in warme, gesunde Haut gerammt und den heißen Strom lebendigen Bluts auf der Zunge gespürt hast, wirst du dich fragen, warum zum Teufel du so lange gewartet hast.
Und dann verfluchst du die lange Wartezeit bis zum nächsten Mal. So wenige es von uns auch gibt, es sind immer noch zu viele. Wenn jeder bei einer Heißhungerattacke gleich einen Passanten anfiele, würde sich diese Insel früher oder später in ein Schlachthaus verwandeln. Und die Bombe ginge hoch.
Denn wenn die normalen Menschen erst mal wissen, was ganz in der Nähe ihres gewöhnlichen Lebens lauert, überleben wir keine weitere Nacht.
Wir würden alle in der Sonne brennen.
Und im Vergleich zu dem, was das Vyrus mit seinem Wirt anstellt, wenn er der Sonne ausgesetzt wird, ist das, was Evie gerade durchmacht, ein Spaziergang.
Wobei ihre Krankheit für sie natürlich alles andere als ein verdammter Spaziergang ist.
Ich rauche, starre Christian an und erinnere mich, wie er mir geholfen hat, sobald er wieder auf dem Damm war. Er suchte die überlebenden Mitglieder seiner Gang, den Dusters, zusammen und infizierte sie. Einen nach dem anderen. Nach ein paar Monaten waren sie soweit, stiegen auf ihre Öfen und machten der Wall die Hölle heiß. Das Wort Massaker beschreibt es nicht mal annäherungsweise. Für das, was sie in Chinatown anstellten, kenne ich keine treffende Bezeichnung. Das Ende vom Lied war, dass die Pike Street den Dusters gehörte.
Offiziell sind sie zwar nicht als eigenständiger Clan anerkannt, aber das kann ihnen scheißegal sein, solange sich niemand in ihre Angelegenheiten mischt. Und das tut niemand.
Ich schnippe meine Kippe in den Verkehr.
‒ Nein, ich hab die alten Zeiten nicht vergessen.
Er setzt die Fliegerbrille wieder auf.
‒ Glaub mir. Das, was ich dir zeigen will, geht uns alle an.
Ich steige hinten auf seine Harley.
‒ Wohin fahren wir?
‒ Rivington Ecke Essex.
Ich stelle meine Stiefel auf die Fußrasten.
‒ Doch nicht der Candyman?
Er tippt mit dem großen Zeh auf die Gangschaltung.
‒ Genau. Der beschissene Candyman.
Und gemeinsam überqueren wir die Houston.
Der Keller riecht nach Blut, Ammoniak und Süßigkeiten.
‒ Was hältst du davon, Joe?
‒ Tja.
Erneut betrachte ich mir die auf dem Fußboden verteilten Überreste des armen Teufels. Seine Arme, Beine, Hände und Füße, der Kopf, der in der Mitte durchtrennte Torso und das herausgerissene Herz liegen alle genau da, wo sie hingehören. Nur dass die ursprünglich zusammenhängenden Teile jeweils dreißig Zentimeter voneinander entfernt angeordnet sind.
‒ Ich glaube, wir haben einen verfluchten Van Helsing am Arsch.
Christian klatscht die Hände auf die Wangen und rollt mit den Augen.
‒ Ein Van Helsing? Nein ehrlich?
Ich werfe einen Blick auf den großen weißen Kühlschrank der Marke Maytag in der Ecke. Blut klebt am Griff, sickert aus der geschlossenen Tür und bildet eine kleine Pfütze auf dem Boden.
‒ Spiel hier nicht den Klugscheißer, Christian. Klugscheißer kann niemand leiden.
‒ Das sagt der Richtige.
Ich gehe zum Kühlschrank und ziehe am Griff. Das Blut um die Tür herum macht ein Geräusch, als ob man zwei aneinandergeklebte Fliegenfänger auseinanderzieht.
Der Inhalt von zwei Dutzend aufgeschlitzten Blutbeuteln ist über die Einlegeböden aus rostfreiem Stahl verteilt. Etwas davon schwappt auf den Boden.
Christan kommt zu mir rüber.
‒ Taugt es noch was?
Ich reiche ihm einen der Beutel.
Er riecht das Ammoniak, das darübergeschüttet wurde. Dasselbe Zeug, das auch im restlichen Keller verteilt ist.
Er lässt den Beutel fallen.
‒ Scheiße. Glaubt er etwa, dass uns Ammoniak was anhaben kann?
Ich stecke meinen Zeigefinger in das Blut.
‒ Auf jeden Fall wird’s dir höllisch schlecht von dem Zeug. Sonst hätte ich schon längst den Kühlschrank sauber geleckt.
Er schiebt sich den Zylinder aus dem Gesicht.
‒ Ich auch, Mann, ich auch.
Er überlegt.
‒ Trotzdem. Das bisschen Magenweh könnte es eigentlich wert sein.
Ich rieche an dem Blut auf meiner Fingerspitze.
‒ Vergiss es. Das Ammoniak hat ihm den Rest gegeben. Damit kann das Vyrus nichts anfangen.
Er tritt die Kühlschranktür zu.
‒ Scheiße.
Ich wische meinen Finger an einer alten Zeitung ab, die ich von einem Stapel unter der Treppe nehme.
‒ Riechst du was?
Er bläht die Nasenlöcher auf, saugt die Luft ein und verzieht das Gesicht.
‒ Das Ammoniak überdeckt alles. Du?
Ich schüttle den Kopf. Auch ich habe schon herumgeschnüffelt wie ein verdammter Köter, ohne das Geringste zu wittern. Der Inhalt von Solomons Eingeweiden, das Ammoniak und die im Keller gelagerten Süßigkeiten überlagern die subtileren Nuancen von menschlicher Haut und Schweiß. Hätte ich heute etwas Blut getrunken, wäre das Vyrus womöglich stark genug, um meine Sinnesorgane ausreichend zu schärfen. Aber ich hatte heute noch keins. Und Sols Blut macht mich verdammt hungrig.
Ich stupse mit dem Zeh gegen seinen Kopf und lasse ihn hin und her rollen.
‒ Wann hast du ihn gefunden?
Christian umrundet vorsichtig einen Eingeweidestrang.
‒ Swineheart und Tenderhooks sind gestern hier vorbeigekommen, um sich was zu besorgen. Sie hatten den Sabbat ganz vergessen und haben wie die Irren am Gitter vor der Tür gerüttelt. Dann sind sie um die Ecke zum Kellereingang und haben das Blut gerochen. Sie haben das Schloss abgerissen, sind runter und haben die Scheiße hier entdeckt. Dann haben sie die Panik gekriegt und mich geholt.
Ohne genau zu wissen, wonach ich suche, gucke ich in ein paar Kartons und schiebe ein paar andere durch die Gegend. Sie riechen nach rosa Süßkram.
‒ Swineheart und Tenderhooks haben’s mit der Angst bekommen?
Christian deutet auf die Leiche.
‒ Na ja, guck dir das doch mal an. Wer will sich schon mit einem Van Helsing anlegen?
Die Antwort: Niemand.
Manchmal ist es einfach nur irgendein Jüngelchen, das zur falschen Zeit am falschen Ort war. Irgendwie überlebt er und erklärt danach den Untoten den Krieg. Wenn der Bursche dann mit Weihwasser, Knoblauch und Kruzifix ankommt, kein Problem. Weihwasser macht uns nass, Knoblauch gibt Mundgeruch und ein Kruzifix sind zwei Stecken, an die ein Typ genagelt ist. Nichts Besonderes. So einen Van Helsing lockt man am besten in eine dunkle Ecke und bricht ihm das Genick. Danach muss man sich nur noch entscheiden, wie viel Blut man sofort trinkt und wie viel man mit Gerinnungshemmern mischt und für später aufhebt.
Ein echter Van Helsing ist da schon eine ganz andere Sache. Ein echter Van Helsing weiß, wie man einen Vampyr zur Strecke bringt. Nämlich wie jeden anderen auch, nur mit etwas mehr Schmackes. Einem gut genährten Vampyr ist eine Kugel im Bein zwar unangenehm, sie wird ihn aber nicht aufhalten, solange sie nicht die Beinschlagader verletzt, so dass er verblutet, bevor er sich einen Finger in das Einschussloch stecken und darauf warten kann, dass es sich schließt. Und schließen wird sich die Wunde verdammt schnell, keine Frage. Aber das weiß auch ein echter Van Helsing, deswegen wird er so schnell wie möglich ein paar großkalibrige Kugeln in Gesicht, Genick oder Brust des Vampyrs jagen. Oder ihm den Kopf abhacken. Oder ihn so lange strangulieren, bis das Gehirn keinen Sauerstoff mehr bekommt. Oder ihm Zementschuhe verpassen und ihn von einer Brücke werfen. Oder ihn mit einem Lastwagen rammen und so schnell immer wieder drüberfahren, dass sich die Wunden nicht schließen und die Knochen nicht wieder zusammenfügen können. Ein echter Van Helsing weiß genau, wie schwach wir werden, wenn wir ausgehungert sind. Und wie gefährlich die Sonne für uns ist. Er kennt die Zeichen, die auf unsere Anwesenheit hindeuten: ein Anstieg der Raubüberfälle, Leute, die plötzlich verschwinden, Gerüchte, die unter Pennern und Säufern die Runde machen. Mit einem Van Helsing, der seinem Namen alle Ehre macht, will sich keiner anlegen.
Ich stelle eine Kiste mit Karamelllutschern an ihren Platz zurück.
‒ Hast recht. Das will niemand. Trotzdem seltsam.
Christian betrachtet das Loch in der Brust des Toten.
‒ Was?
Ich nehme die Treppe in Angriff, die zum Laden hinaufführt.
‒ Seltsam, dass ihn ein Van Helsing nach allen Regeln der Kunst ausweidet und ihm den Kopf abschneidet, obwohl der Kerl überhaupt nicht infiziert war.
Christian folgt mir die Treppe hinauf.
‒ Ja. Hab ich auch schon drüber nachgedacht.
Er deutet mit dem Daumen auf die Leiche hinter sich.
‒ Der alte Solomon war ein echter Pechvogel.
Ich stoße die Tür zum Laden auf, und der Geruch von gerösteten Nüssen, Trockenobst, Karamell, Schokolade, Maissirup, künstlichem Farbstoff, reinem Kakao, raffiniertem Zucker, Gelatine und dem ganzen anderen Zeug, das man so in einem durchschnittlichen Süßwarenladen findet, steigt mir in die Nase.
‒ Ja, aber sein Laden war echt Spitze.
Christian geht am Tresen vorbei, greift in ein Glas und stopft sich einen superharten Jawbreaker in den Mund.
‒ Tatsache.
Hier gibt es Brause, Big League Chew-Kaugummi, Pop Rocks, Almond Joy, Schokoladenzigaretten, Pixy Stix, Chunkys und Hunderte weiterer abgepackter Süßigkeiten. Dazu geröstete und rohe Cashewkerne, Erdnüsse, Mandeln, Paranüsse, Haselnüsse, Pistazien in Fässern, getrocknete Kirschen, Aprikosen, Apfelringe, Pfirsiche und Ananas in Plastikeimern, Blöcke aus dunkler belgischer Schokolade, weiße Trüffel, mit Schokolade überzogene Brezeln, Erdbeeren und Orangenscheiben in der Glasvitrine neben dem Eingang.
Christian zerbeißt den Jawbreaker. Seine perfekten, vom Vyrus gehärteten und auf Hochglanz polierten Zähne zerkrümeln ihn wie eine Eierschale.
‒ Wegen diesem Laden hier sind mir die Hälfte meiner Zähne ausgefallen. Bevor ich infiziert wurde, natürlich. Ich bin in der Water Street aufgewachsen, und meine Mutter hat mich und meine Schwester sonntags nach der Kirche immer mit hierher genommen. Hat uns einen Dollar gegeben, den haben wir uns geteilt.
Er reißt eine Packung Fun Dips auf, steckt die weiße Zuckerstange erst in den Mund und dann in das Zuckerpulver in der Tüte, bevor er wieder daran lutscht.
‒ Ich bin immer noch eine Naschkatze, Mann. Als ich rausgefunden hab, was der alte Solomon da im Keller so treibt, mit welchen Geschäften er richtig Kohle einschiebt, war ich echt enttäuscht. Oben holen sich die Kids einen Zuckerschock, und unten vertickt er Blut an die Vampyre. Das ist echt krank, Mann, selbst nach meinen Maßstäben.
Ich angle mir ein Armband aus Brausebonbons, die an einer weißen Gummischnur aufgereiht sind.
‒ Du bist drüber weggekommen, oder?
Er nimmt die Zuckerstange aus dem Mund.
‒ Mann, wer war die letzte Rettung, wenn’s dir mal beschissen ging? Der Candyman. Sag nicht, dass du nicht auch ab und zu hier vorbeigeschaut hast.
Ich lasse das Armband in die Seitentasche meiner Lederjacke gleiten.
‒ Ich war unabhängig. Ohne Clan, der mir den Rücken freihält, wenn ich mein Territorium verlasse. Als ich noch nicht für Terry gearbeitet hab, konnte ich nicht mal dran denken, hier runterzukommen.
Er wedelt mit der Zuckerstange.
‒ Scheiße, Joe. Wir hätten schon auf dich aufgepasst.
Ich gehe hinter den Tresen und durchsuche die Schubladen und die Registrierkasse.
‒ Ja. Aber nicht ohne Gegenleistung.
Er taucht die Stange wieder in das lila Pulver.
‒ Tja, man bekommt eben nichts geschenkt.
Ich entdecke eine abgesägte Schrotflinte hinter dem Tresen und lege sie neben die Registrierkasse.
‒ Da hast du wohl recht.
Er deutet auf die Waffe.
‒ Geladen?
Ich öffne die Flinte und zeige ihm die beiden Schrotpatronen Kaliber 12.
Er schüttelt den Kopf.
‒ Unglaublich. So ein Ding in einem Laden voller Kinder.
Ich lasse die Waffe zuschnappen und stecke sie hinten in den Hosenbund, so dass man sie unter der Lederjacke nicht sehen kann.
Er sieht mich prüfend an.
‒ Gutes Versteck. Solange du keinen Kopfstand machst, wird es niemandem auffallen.
Ich finde eine fast volle Schachtel Patronen und stecke sie in die Tasche zu dem Bonbonarmband.
Christian wirft die Zuckerstange in einen Mülleimer und wischt sich mit dem Handrücken über die violetten Lippen.
‒ Trotzdem komisch.
‒ Was?
‒ Dass er die Flinte hier oben bei den Kindern hatte, obwohl die wirklich gefährlichen Gestalten doch eigentlich im Keller waren.
Ich gehe wieder auf die Treppe zu.
‒ Solomon war ja nicht blöd. Für den Fall, dass ein Junkie reinspazierte, um ihn auszurauben, konnte er ihn damit verscheuchen. Aber da unten? Jeder Infizierte, der dumm genug ist, den einzigen verlässlichen Dealer südlich der Houston auszurauben, muss so lange auf dem Trockenen gesessen haben, dass er völlig verzweifelt ist. Eine Schrotflinte hilf da einen Scheißdreck. Wenn du so einem Freak den Kopf wegschießt, stürzt sich einfach der Rest seines gottverdammten Körpers auf dich und reißt dich in Stücke.
‒ Woher willst du das wissen, Joe?
Ich bin schon etwa die Hälfte der Stufen runter, als ich stehen bleibe und mich nach seiner Silhouette umdrehe.
‒ Glaub mir, ich weiß es.
Er folgt mir.
‒ Trotzdem.
‒ Was?
‒ Ist ’ne verdammte Schande, dass er die Knarre nicht hier unten hatte.
Wir stehen wieder vor der Leiche des Candyman.
‒ Scheiße, Christian, er war keiner von uns. Woher hätte er ahnen sollen, dass ihm die echten Menschen Ärger machen?
‒ Da hast du Recht.
In einer Ecke liegen eine Rolle Müllsäcke und Putzutensilien.
Ich nehme den Mopp in die Hand.
‒ Können wir anfangen?
‒ Klar.
Er reißt einen Müllsack von der Rolle.
‒ Was glaubst du, wieso haben die das getan?
Ich halte einen Putzeimer unter den Wasserhahn eines großen Spülbeckens.
‒ Vielleicht ist der Van Helsing ja nicht gerade der Hellste und hat ihm das Licht ausgeblasen, bevor er mitgekriegt hat, dass er gar nicht infiziert war. Oder er wusste, dass Solomon der Candyman ist. Wusste, dass er uns echte Schwierigkeiten bereitet, wenn er den Bluthahn hier unten zudreht. Dann ist dieser Bram-Stoker-Scheiß nur Show, mit der er Eindruck machen will. Das würde auch das vergiftete Blut im Kühlschrank erklären.
Christian geht in die Hocke und sucht die kleineren Teile zusammen.
‒ Schon möglich.
Er lässt eine Hand in einen Müllbeutel fallen.
‒ Tut mir echt leid für dich, Sol. Warst ein prima Kerl.