Kindness Economy - Oona Horx Strathern - E-Book

Kindness Economy E-Book

Oona Horx-Strathern

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Beschreibung

People, planet, profit Oona Horx Strathern, Co-Founder Zukunftsinstitut Horx, betreibt eine kluge und erhellende Gegenwartsanalyse mit hohem Unterhaltungswert. Mit viel Einfallsreichtum und Scharfsinn beschreibt die Zukunftsforscherin die aktuelle Umwälzung in Wirtschaft und auf dem Arbeitsmarkt. Die Kindness-Revolution wird Einfluss haben auf all unsere Lebensbereiche: Wie wir wohnen, wie wir unseren Alltag leben, was wir kaufen und wie und vor allem wo wir arbeiten.  Kindness – neu verstanden und authentisch gelebt – ist ein Prinzip, das sich strategisch einsetzen lässt, um den Erfolg eines Unternehmens zu steigern. Freundlichkeit, die aus dem inneren Sinn eines Unternehmens kommt, kann DER entscheidende Wettbewerbsvorteil der Zukunft werden.  Unternehmen, die immer noch Profit priorisieren, erweisen sich im Hinblick auf Kindness als unfähig, die richtige Balance zwischen Markt, Kundenwünschen und der menschlichen Motivation zu finden. Denn sie vernachlässigen genau die Aspekte, die uns als Gesellschaft immer wichtiger werden: Nachhaltigkeit, Purpose und Verantwortung.  People, planet, profit in dieser Reihenfolge, statt immer nur linear auf Gewinnmaximierung zu schauen, ist mehr als nur ein moralischer Appell. Wir können und wollen immer noch konsumieren und dabei Gewinn machen. Aber Konsum wird zunehmend anders interpretiert und wahrgenommen: als Lösung gesellschaftlicher Probleme, als Stärkung von lebenswichtigen Trends, als Verwirklichung von zukunftsweisenden Problemlösungen. "Kindness Economy" beantwortet die Frage, wie wir unsere Gesellschaft damit stärken können, jedem Mitarbeiter und Kunden den gebührenden Respekt entgegenbringen und unsere Umwelt dabei gleichzeitig schonen und verbessern.  Horx Strathern erläutert, was die entscheidenden Faktoren einer Kindness-Strategie sind und wie die Mechanismen zum Erfolg lauten. Zudem stellt sie uns internationale und aktuelle Praxisbeispiele vor, auch aktuelle Überlegungen zur einer kind city, die beweisen, dass es sich um keine Randerscheinung handelt, sondern um einen wichtigen countertrend.

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Für meine wunderbaren »beings«,Tristan und Julian

Externe Links wurden bis zum Zeitpunkt der Drucklegung des Buches geprüft. Auf etwaige Änderungen zu einem späteren Zeitpunkt hat der Verlag keinen Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Ein Hinweis zu gendergerechter Sprache: Die Entscheidung, in welcher Form alle Geschlechter angesprochen werden, obliegt den jeweiligen Verfassenden.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN: 978-3-96739-150-3

ISBN epub: 978-3-96740-298-8

Übersetzung: Axel Walter, Jena

Lektorat: Anja Hilgarth, Herzogenaurach

Umschlaggestaltung: Tina Mayer-Lockhoff, Berlin

Illustrationen: Julian Horx

Autorenfoto: Aria Sadr-Salek

Layout: Maureen Forys, Happenstance Type-O-Rama

Satz: Lohse Design, Heppenheim | www.lohse-design.de

© 2023 GABAL Verlag GmbH, Offenbach

Das E-Book basiert auf dem 2023 erschienenen Buchtitel "Kindness Economy. Das neue Wirtschaftswunder." von Oona Horx-Strathern © 2023 GABAL Verlag GmbH, Offenbach.

Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags.

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INHALT

VORWORT VON MATTHIAS HORX

Gibt es eine andere Ökonomie? oder: Aufbruch ins Symbiozän

WARUM EINE »KINDNESS ECONOMY«?

Zeit für ein neues Wirtschaftswunder

Von den Surfern lernen

Die unkind Economy

Die Trend-Gegentrend-Dynamik

»Kindwashing«

Entscheidende Momente

Ja zur Zukunft

1 KINDS OF KINDNESS

Kindness – nicht nur zuckersüß

Die irgendwie nette Kindness

Die nicht wirklich nette Kindness

Die grausame Kindness

Die natürliche Kindness

Die reifende Kindness

Kindness als Empathie

Die selbstlose Kindness

Kindness als Währung

2 DER HINTERN DES AFFEN

War früher alles besser?

Die Affenleiter

Die Mär vom freien Markt

Der Affe auf dem Krypto-Baum

Fragwürdiger Altruismus

Unkind Companies

Der Tiger im Baum

Schlechte Chefs

BIP vs. Lebensqualität

Eine Welt voller Bedürfnisse

3 DIE PRINZIPIEN DER KINDNESS ECONOMY

Der Weckruf des Possibilismus

Die Bausteine der Kindness Economy

Impulse für das wahre Leben

No Regrets

Kindness als Geschenk

Misfits welcome

4 AUF DER KINDNESS-WELLE

Vorreiter auf dem Weg

Patagonia – das Geschenk an die Welt

Neue Narrative

MUD – Jeans to lease

Tony’s Chocolonely – ausgezeichnete Schokolade

Eine Zwischenbilanz

BrewDog – Sturm im Bierglas

Anya Hindmarch und die Ökotaschen

Sheep Inc. – wo ist mein Schaf geblieben?

Wohin die Reise geht

5 WOMIT WIR VORANKOMMEN

Umdenken und neues Denken

Mit Transparenz

Mit Rebellion

Mit neuen Perspektiven

Mit Vorausschau

Mit verrückten Ideen

Mit Bedürfnis-Erfüllung

Mit Gender Shift

Mit allen Generationen

Mit Work-Life-Blending

Mit Hilfen für die Millennials

Mit der Viertagewoche

Mit einem Systemwechsel

Mit Fokus auf ESG

Mit einer neuen Zukunftsvision

6 DIE KIND CITY DER ZUKUNFT

Neue Liebe für urbanes Leben

Learning by Krisen

Die 15-Minuten-Stadt

Gemeinsam statt einsam

Parklets & Co.

Urbane Akupunktur

CO2-Neutralität

Die Messung der Kindness-Kriterien

Kümmerer

Das Kind City Council

7 DIE KINDNESS COMMUNITY

Was eine Gemeinschaft ist

Worauf sich Gemeinschaften gründen

Kalorien für unser Sozialbiom

Liebe dein Quartier

8 NICHT ALLE UNTER EINEM HUT

Nobody is perfect

Das Zeitalter der Verantwortung

Kindness-Zertifizierungen

DIE ZUKUNFT DER KINDNESS

Vom Anthropozän zum Symbiozän

DANKE

Kindnesses – große, kleine und unvergessliche

ÜBER DIE AUTORIN

QUELLENVERZEICHNIS

VORWORTVON MATTHIAS HORX

Gibt es eine andere Ökonomie? oder: Aufbruch ins Symbiozän

Existiert eine Alternative zum »Kapitalismus«? Diese Frage spielte in meiner Jugend eine wichtige, geradezu existenzielle Rolle. In meiner Universität tummelten sich ungefähr 20 marxistische Gruppen: Marxisten, Leninisten, Trotzkisten und alle ihre bizarren Abspaltungen, die sich auf irgendeinen ganz besonderen oberschlauen Theoretiker bezogen. Sie bekämpften sich wütend gegenseitig, bezichtigten sich unentwegt als Verräter, marschierten aber stets gemeinsam gegen den Kapitalismus.

Gott sei Dank hat es damals mit der Abschaffung des Kapitalismus nicht so ganz geklappt. Denn immer dann, wenn man den Kapitalismus abschaffte, kam sofort die nächste Diktatur, das nächste brutale Regime zum Vorschein. Bis heute ist das so, und es scheint nicht aufzuhören.

Irgendwann haben wir verstanden: Abschaffen alleine bringt nichts. Es ist sogar ziemlich dumm. Aber irgendwie ist die Sache mit dem »Kapitalismus« nie so ganz geklärt worden. Und heute wird sie wieder heiß diskutiert.

Ich setze »Kapitalismus« immer in Anführungsstriche, weil es sich um eine Worthülse handelt, mit der man Unheil anrichten kann. Was ist das eigentlich? Die »Herrschaft der Wallstreet«, wie es jetzt die ganz Linken und ganz Rechten im gleichen Tonfall herbeten? Die Börsenspekulation, die 2009 zur größten möglichen Bankenkrise führte? Die Tatsache, dass Mieten (auch mal) steigen? Der Eigentumsbegriff? Man kann sich fürchterlich in solche Reizworte hineinsteigern und dadurch die Sicht auf die Welt verengen. Sind die eher sanften Sozialstaaten des Europäischen Nordens »kapitalistisch«? Gibt es nicht auch so etwas wie eine ausgleichende, kreative Marktwirtschaft? Oder regiert überall nur der finstere »Neoliberalismus«, der sein blutiges Haupt immer wieder aufs Neue erhebt?

Ist Kapitalismus die Herrschaft der »bösen Ökonomie«? Und wie verhält sich beides in Richtung Zukunft?

Dieses Buch von Oona, meiner klugen und zukunftsgewandten Frau, stellt eine interessante These in den Raum der Möglichkeiten: Könnte, so fragt dieses Buch, eine Ökonomie auch freundlich sein? Auf menschlichen Begegnungen und Verbindungen basieren? Könnte Ökonomie eine Art Evolution durchlaufen, in der sie ihre innere Logik verändert?

Unmöglich, sagt die Phalanx derjenigen, die die Welt in ordentliche Kästen und Ideologien eingeteilt haben. Ökonomie muss immer kalt, starr, funktional, ausbeuterisch sein. Das ist ihr Wesen. Sie muss unterdrücken und ausbeuten und »ungerecht« sein, sonst gäbe es ja kein Wachstum und keinen Wohlstand …

Wie sagte der unlängst verstorbene weise Intellektuelle Hans-Magnus Enzensberger so schön?

»Geld allein macht nicht unglücklich.«

Wenn man mich fragen würde, was am meisten zu einer besseren Zukunft beitragen könnte, dann würde ich zwei Wörter wählen. Oder besser drei: Freundlichkeit, Zugeneigtheit, Respekt.

Alle drei Begriffe sind im englischen Begriff »Kindness« vereint; ich beneide meine Frau immer um ihre englische Muttersprache, wo Komplexes und Emotionales ungleich eleganter ausgedrückt werden kann.

Ist es nicht das, was uns in der überheizten, überreizten, digital-beschleunigten, zur Atomisierung neigenden Erregungs-Gesellschaft unserer Tage am meisten fehlt? Was, wenn man so will, einer riesige Marktlücke, die auch eine Gesellschafts-Lücke ist? Zu-Neigung. Das Interesse am anderen. Die Kraft, und Kompetenz, sich miteinander zu beschäftigen, aufeinander zuzugehen, konstruktiv zu kooperieren, statt sich ständig anzuschreien …

»Märkte sind Konversationen«, lautete vor nahezu 20 Jahren, am Beginn der digitalen Umformung, der Titel des »Cluetrain«-Manifestes, ein von Digital-Idealisten veröffentlichter Zukunfts-Aufruf. Man sah damals im Potenzial des Digitalen eine neue humane Marktwirtschaft aufdämmern, in der Menschen, Kunden, Mitarbeiter neue emanzipative Rollen einnehmen würden. Seitdem hat es viele Desillusionen gegeben. Das Digitale hat Menschen weniger zusammengeführt als getrennt, es hat dem Turbo-Kapitalismus (lassen wir hier mal die Anführungsstriche weg) eher noch einen Turbo draufgesetzt.

Aber gleichzeitig ist in den letzten Jahren etwas geschehen, was wir weitgehend ignorieren. Oder erst in der Corona-Zeit langsam erahnt haben: Es verändert sich etwas Substanzielles in der Arbeitswelt, von innen heraus, in den Firmenkulturen. In den neuen, jüngeren und weniger männlichweißen Führungsetagen. Neue Generationen stellen den »Old Deal« infrage, und zwar von unten und von oben. Die alten Arbeitsformen des Industrialismus, die geschlechtergetrennte Nine-to-five-Logik, bricht auf. In gewisser Weise vertauschen sich sogar die Machtpositionen im Herzen der Ökonomie: von Kapital zu Arbeit. Die wahre knappe Ressource der Zukunft ist die menschliche Arbeitskraft. Aber nicht mehr im Sinn funktionaler Einpassung in funktionsteilige Maschinen. Sondern als Können und Wollen.

Das, was man »Arbeitsethos« nennt, verändert sich von der reinen Leistungsbereitschaft zur Sinnforderung. »Was hat dieses Unternehmen mir zu bieten?«, heißt es heute. Statt »Wo bekomme ich noch einen Arbeitsplatz?«.

Im Zentrum dieser beginnenden Transformation steht die größte ökonomische, technologische, politische Herausforderung unserer Epoche: die »Blaue Revolution« – der Übergang von einer auf fossilen Rohstoffen und Ausbeutung der Ressourcen (auch der Humanressourcen) basierenden Wirtschaft zu einem Zivilisationsmodell des Ausgleichs.

Die Kindness-Ökonomie ist eine Wirtschaftsweise, in der das Verhältnis eines »Unternehmens« (ob klein, groß, Mittelständler oder Einzelunternehmer) zur Natur, zur Gesellschaft und zur Zukunft eine viel größere Rolle spielt als im alten industriell-fossilen Modell. Früher wurden gesellschaftliche Themen in den Hinterzimmern der Chefetagen besprochen. Heute gibt es keinen CEO mehr, der sich nicht zu den Ver-Antwortungen seines Unternehmens öffentlich verhalten muss. Wofür steht das Unternehmen? Was sind seine Werte? Was hat es vor, um Antworten auf die Gegenwartskrisen zu finden? Was sind seine Lösungsangebote?

Kindness-Ökonomie benennt eine Wirtschaftsweise, in der man den Kunden, oder Konsumenten, nicht nur als »Verbraucher« wahrnimmt. Sondern auch als Freund. Den man womöglich sogar kritisieren darf, ja muss. Indem man ihm zum Beispiel ein Produkt anbietet, das sinnvoller ist als das, was er gewohnt war. Nachhaltiger. Schöner nicht nur im Sinne der Verpackung. Intelligenter im Zukunfts-Kontext.

Man spürt genau, ob ein Unternehmen im Sinne dieser neuen Verantwortung tickt. Oder ob es nur trickst. Nebelkerzen verschießt. Aber dabei auf dem alten Prinzip des »Mehr um jeden billigeren Preis« (statt besser) beharrt. Mit anderen Worten: sich der Transformation, die längst begonnen hat, verweigert.

Unsere Aufgabe als Zukunftsforscher-Paar und Zukunfts-Familie sehen wir darin, Möglichkeitsräume zu eröffnen und zugänglich zu machen. Dabei geht es auch um Begriffe, die uns die Zukunft entschlüsseln können. Wir leben im Anthropozän. In der »Herrschaft des Menschen« über den Planeten. Oona hat für das Zeitalter, das dahinter auf uns wartet, den Begriff »Symbiozän« gefunden. Das Wort handelt von einem anderen Denken, Fühlen und Handeln. In Zusammenhängen statt Spaltungen. In Möglichkeiten statt »Problemen«. In Verbindungen und konstruktiver Zuversicht. Ein bisschen (irischer) Humor ist unerlässlich. Und eine ordentliche Portion Gelassenheit. Versuchen Sie es einmal. Es wirkt. Es geht ganz leicht. Man muss nur einfach damit anfangen.

WARUM EINE»KINDNESS ECONOMY«?

Zeit für ein neues Wirtschaftswunder

Die Zukunft ist kein Ort, zu dem wir gehen, sondern eine IDEE in unserem heutigen Bewusstsein. Etwas, das wir erschaffen und das uns dabei verwandelt.

STEPHEN GROSZ, The Examined Life1

Beginnen möchte ich mit einem Geständnis: Dieses Buch ist kein Buch über die Ökonomie, über die Wirtschaft im klassischen Sinne. Es geht auch nicht wirklich um Kindness, also um Freundlichkeit, Nettigkeit oder Ähnliches. Die Kindness Economy ist etwas ganz anderes. Hier gilt eine neue Währung, die sich auf das Wirtschaftsleben und unser Konsumverhalten, aber auch darauf auswirken wird, wie wir in unseren Häusern, unseren Gemeinschaften und unseren Städten leben und arbeiten werden. Die Idee zu diesem Buch entstand aus drei Gründen: Erstens, weil in Gesprächen über Ökonomie bislang kaum jemals von Kindness die Rede ist, und zweitens ist in Büchern über Kindness selten von der Ökonomie die Rede. Und drittens, und das ist mir der wichtigste Punkt, ist Kindness ein Begriff, eine Strategie, eine Bewegung, wovon wir in Zukunft mehr hören werden. Und weil Kindness auch im Deutschen schon ein Begriff ist, haben wir uns dazu entschieden, die zugehörigen Adjektive wie kind, kinder oder unkind (im weiteren Sinne von »freundlich« bzw. »freundlicher« oder »unfreundlich«) ebenfalls beizubehalten. Sie stehen hier im Buch immer kursiv und sind definitiv nicht mit dem deutschen »Kind« oder den »Kindern« zu verwechseln.

Was hat »Kindness« – Freundlichkeit in dem erwähnten erweiterten, vertieften Sinn – mit Wirtschaft zu tun? Kindness als Triebfeder einer neuen Ökonomie? Auf den ersten Blick scheinen das eher zwei Begriffe zu sein, die sich nur schwer vereinbaren lassen, ja sich fast schon ausschließen. Warum glaube ich daran, dass sich die Kindness Economy rasant verbreiten wird, und warum gerade jetzt? Ich bin keine Ökonomin (aber bitte: Hören Sie jetzt nicht auf zu lesen), und ich bin auch nicht kinder als die meisten Menschen, die ich kenne. Doch aus meiner dreißigjährigen Erfahrung als Trendanalystin und Zukunftsforscherin heraus sehe ich einen zunehmenden Trend hin zu einem neuen, umfassenden Konzept für die Wirtschaft, in dem Kindness – eine aufrechte Art der Zugewandtheit, des gegenseitigen Respekts – eine Basis darstellt, mit der wir auch weiterhin konsumieren und unserem Profitdenken frönen können, dabei aber mehr auf die Menschen und den Planeten achten. Das Ganze ist Teil unserer wirtschaftlichen Entwicklung von der reinen Industriegesellschaft hin zur postindustriellen, zur Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft. Dabei geht es um den Übergang von einer rein profitorientierten zu einer wertebasierten Wirtschaft. Vom Wirtschaftswunder zum Wertschöpfungswunder.

Von den Surfern lernen

Wenn das alles ein wenig zu abstrakt, idealistisch oder sentimental klingt und Sie bereits leichte Skepsis überkommt, haben Sie bitte noch einen Moment Geduld. Und vertrauen Sie mir – aufgrund meiner Berufserfahrung und deshalb, weil ich eine Surferin bin. (Nun, ich gebe zu, dass ich erst spät zum Surfen kam, erst mit 55, und ich habe noch viel zu lernen.) Surfer und Trendanalysten haben viel gemeinsam: Wir greifen gern auf bestimmte Bilder und Analogien zurück: auf die Form, die eine Welle annimmt, auf den Rhythmus, in dem Wellen sich aufbauen, und auf den Wandel der Gezeiten. Auch die Art und Weise, wie Surfer eine Welle reiten, ist eine leicht nachvollziehbare Metapher für ein Nachdenken über die Zukunft. Folgende Zeilen stammen von Wolfram Eilenberger:

Auf ihren scharf geschnittenen Brettern tauchen sie unter den kommenden Herausforderungen so lange geschmeidig hindurch, bis sie den idealen, nie exakt zu vermessenden Ort erreicht haben, um den höchsten und gewaltigsten Wellen ihrerseits den Rücken zuzuwenden – und diese in einer Kaskade wendiger Manöver technisch versiert auszutanzen. Wahrlich: Von den Surfern lernen hieße, selbst unsere Zukunft lieben lernen!2

Leicht ist Surfen also wahrhaftig nicht. Aber es ist auch kein Zufall, dass einer der besten, inspirierendsten und erfolgreichsten Unternehmensführer in der Kindness-Ökonomie, wie Sie feststellen werden, ein versierter Surfer ist!

DieunkindEconomy

Wenn Sie einen einfachen Grund dafür suchen, warum wir eine Kindness-Ökonomie brauchen, dann denken Sie nur an die vielen Beispiele für eine »unfreundliche« Economy, von denen wir täglich hören und lesen. Hören Sie Freunden und Verwandten zu, die in ihrem Job unglücklich sind oder deren Talent verschwendet wird. Lesen Sie Elon Musks Schreiben aus den Tagen seiner Twitter-Übernahme, in dem er vorschlug, all jene »gehen zu lassen« (d. h. zu feuern), die nicht bereit seien, lange und hart zu arbeiten. Natürlich könnte man (und würden Sie vielleicht auch) argumentieren, dass die Wirtschaft schon immer auf die eine oder andere Weise unkind war, wie die zahlreichen Wirtschaftstheorien, die sich mit den ökonomischen Vorgängen auf der Weltbühne befassen, das zur Genüge zeigen. Kindness, wie auch immer verpackt, ist kein Wort, das man im Zusammenhang mit dem klassischen Wertschöpfungsgeschäft je zu hören bekommt oder auch nur erwartet. Unternehmen wie Uber und Amazon sind in den letzten Jahren aus den falschen Gründen in die Schlagzeilen geraten – die Geschichten von ausgebeuteten, gestressten Arbeitern sprechen für sich (und ganz zufällig auch für einen ausgebeuteten, gestressten Planeten). Ist es wirklich so verwunderlich, dass diese Unternehmen nun darum kämpfen, ihre Mitarbeiter zu halten, neue Talente anzuwerben, und es in einigen Fällen nicht schaffen, ihre Gewinne zu steigern oder auch nur zu behaupten? Kindness ist schlichtweg nicht Teil der DNA dieser Unternehmen, noch spielt sie im Denken ihrer Direktoren und Eigentümer irgendeine größere Rolle. Und auch wenn sie viel vom »Wert« ihrer Unternehmen sprechen, wird es im Geschäftsleben – wie wir sehen werden – künftig nicht einfach nur um Wert, also Gewinne gehen, sondern um Wert und Werte. Wir werden vom traditionellen Denken in Wertschöpfungsketten zu einer Logik des Wertschätzungskreislaufs und von der Effizienz zur Effektivität übergehen.

Die Trend-Gegentrend-Dynamik

Warum also jetzt? Aus meiner Sicht als Trend- und Zukunftsexpertin handelt es sich dabei um eine logische Entwicklung in der sogenannten Trend-Gegentrend-Dynamik. Das hört sich komplizierter an, als es ist. Einfach ausgedrückt rufen viele (wenn nicht sogar die meisten) Trends eine Art Gegentrend hervor. Ein Trend mag groß sein oder auch klein, doch weil jeder Trend faktisch eine Veränderung oder einen Umbruch (positiv oder negativ) in der Wirtschaft oder in der Gesellschaft darstellt, wird er einen gegenläufigen Trend oder eine neue Gegenbewegung auslösen. Es ist eine echogleiche Kraft, die groß und mächtig sein kann. Denken Sie etwa an das aktuelle Festhalten an allen möglichen analogen Dingen als Gegentrend zum großen Trend zur Digitalisierung. Oder an die Regionalisierung bzw. Lokalisierung als Gegentrend zur Globalisierung. Sie wissen, worauf ich hinauswill, oder? Mein Mann, Matthias Horx, sagt in dem Zusammenhang: »Megatrends machen nur Sinn, wenn wir sie als komplexe evolutionäre Prozesse verstehen, die sich laufend verändern, so wie sich große Flüsse den Landschaften und Klimaveränderungen anpassen.«

Im nächsten Stadium des eigentümlichen Entwicklungsprozesses zur Trendanpassung passiert dann das Magische: Die Dynamik von Trend und Gegentrend bringt ihrerseits wiederum neuartige Verschmelzungen oder Kombinationen von Trends hervor, die wir, wer hätte das gedacht, als »Synthesen« bezeichnen (siehe Abbildung unten).

An dieser Stelle nun können wir beginnen, die scheinbar paradoxe Idee der Kindness Economy nachzuvollziehen. In dem zuvor angeführten Beispiel des Trends zur Globalisierung und des Gegentrends zur Lokalisierung erleben wir also jetzt einen Trend zur »Glokalisierung« (der gleichzeitigen Befriedigung lokaler wie globaler Bedürfnisse). Und da ein neuer Trend immer auch einen Vorwand liefert, um ein neues Modewort zu erfinden, bezeichnen wir die Synthese aus Digitalisierungs- und Analogtrend als »omline« (wo es darum geht, ein meditativ »om«-artiges Gleichgewicht zwischen unserem Online- und Offline-Leben zu finden). An dieser Stelle gebe ich offen zu, dass ich Verfechterin des »Flexitarismus«-Trends bin – die meisten Tage der Woche bin ich ohne Zweifel und entschieden Vegetarierin, an ein oder zwei Tagen aber kann ich auch »flexibel« sein und Fleisch essen (nur das Fleisch von den glücklichen Kühen eines befreundeten Bauern, der noch dazu Neurologe ist). Man könnte argumentieren, dass man damit die Behauptung, Vegetarier zu sein, ins Lächerliche zieht, doch wie bei vielen Resultaten der Trend-Gegentrend-Dynamik handelt es sich auch hier um eine Optimierungsstrategie.

Diese seltsame neue Landschaft (einschließlich des Vokabulars, das auf ihrer Grundlage entsteht) bildet im Wesentlichen eine neue Rahmenstruktur für die Wirtschaft. Und das bringt uns zurück zur Entstehung der Kindness-Ökonomie. Über Jahre hinweg hat uns in erster Linie eine äußerst erfolgreiche, auf Wertschöpfungsketten basierende Wirtschaft vorangebracht. In dieser linearen Logik gilt: Mehr ist besser, größer ist besser, und der Gewinn kommt immer zuerst und hoffentlich schnell. Dieser Trend ist nicht erfolglos geblieben, und wir alle haben in vielerlei Hinsicht (buchstäblich) davon profitiert. Offensichtlich nicht immer davon profitiert haben dagegen Natur und Umwelt.

Der Grundlogik von Trend und Gegentrend folgend, hat der durch die Wertschöpfungsökonomie und ihren Siegeszug befeuerte Trend zum Konsum viele unterschiedlich geartete Gegentrends angestoßen, von der großen ökologischen Bewegung, die in den 1960er-Jahren ihren Anfang nahm, über Fridays for Future in jüngerer Zeit bis hin zu solchen Dingen wie dem Minimalismus und dem »ZeroWaste«-Trend. Der Gegentrend zum hemmungslosen Konsum besteht im Weniger-Konsumieren und Weniger-Produzieren. Doch auch wenn es Menschen gibt, die froh, ja glücklich sind, wenn sie ihren ökologischen und ökonomischen Fußabdruck durch ihren Lebensstil verringern können, hat sich dieser Trend nicht durchgesetzt, schon gar nicht außerhalb der Industrieländer.

Man könnte denken, die Lage sei ziemlich hoffnungslos. Die Lösung aber liegt auch hier wieder in einer Synthese oder Verschmelzung der beiden Trends – in der Kindness-Ökonomie –, die sagt, dass wir die Kehrtwende schaffen können. Statt zuerst an den Profit zu denken, dann an die Menschen und irgendwann vielleicht auch an den Planeten, sollten wir umdenken. Halten wir uns an den Rat von Mary Portas, einer britischen Kommunikationsberaterin, die den Begriff kindness economy zuerst aufgebracht hat: Denken wir an die Menschen, denken wir an den Planeten und denken wir auch an den Profit. Und zwar in dieser Reihenfolge.3

»Kindwashing«

Unternehmen, die sich kind verhalten, belassen es nicht bei den üblichen arbeitnehmerfreundlichen Angeboten wie hier und da einem freien Tag, einem niedlichen Therapiehund, der im Büro seine Runden dreht, oder einer vernünftigen Espressomaschine und dazu einem kostenlosen Barista-Lehrgang. Genauso, wie wir gelernt haben, Unternehmen, die Greenwashing betreiben, auf die Spur zu kommen (das sind Unternehmen, die zwar Nachhaltigkeit versprechen, diese aber nie umsetzen), genau so müssen wir auch lernen, die Entsprechung dazu innerhalb der Kindness-Ökonomie zu erkennen – das, was ich als Kindwashing bezeichne.

Bei dieser Verschiebung von der Wertkette zur Wertekette geht es nicht darum, allem nachzujagen, was Geld wert ist, sondern darum, neue Werte hinzuzufügen. Die Frage ist: Welche, und wie weit gehen diese Werte? Sind sie echt und nachhaltig (ökonomisch und ökologisch) oder nur ein bisschen symbolisches Kindwashing, um von weniger freundlichen Praktiken abzulenken? Wird zum Beispiel Metas Threads wirklich auf Kindness basieren, wie Mark Zuckerberg behauptete, als er die Markteinführung seines Kurznachrichtendienstes als Konkurrenz zu Twitter im Juli 2023 ankündigte? Bei der Kindness Economy geht es in Wirklichkeit um eine ganze Kindness-Kultur, und mein Ziel ist es, anhand von Beispielen aufzuzeigen, wie sie verstanden, gepflegt und vor allem auch so gefördert werden kann, dass sie profitabel und erstrebenswert ist – das heißt, wie die Kindness Economy neue Talente und Investitionen anziehen kann. Wenn Unternehmen neben wirtschaftlichem Erfolg auch soziale und ökologische Wirkung erzielen wollen, kann daraus etwas noch viel Größeres erwachsen. Die Kindness-Ökonomie hat das Potenzial, unser Leben in allen seinen Aspekten zu umfassen und zu bereichern. Dabei sollte es nicht nur darum gehen, was wir kaufen oder in was wir investieren, sondern auch darum, wo wir leben und wie wir leben. Es geht um unsere Häuser, um unsere Gemeinden und unsere Städte. Es geht darum, wie wir arbeiten, für wen wir arbeiten und sogar, warum wir arbeiten.

Entscheidende Momente

»Aber«, so werden Sie vielleicht fragen, »warum jetzt?« Wir befinden uns in einer Situation, die Adam Tooze, ein Historiker, der sich mit Wirtschaftskatastrophen befasst, als »Polykrise« bezeichnet. Die Rede ist dabei von einem großen Durcheinander zusammenhängender Probleme, das sich größer (und gefährlicher) anfühlt als die Summe seiner Teile.4 Als wären Krieg, steigende CO2-Werte und die Angst vor einem nuklearen Winter nicht schon genug, hat sich auch noch eine neue Verdrossenheit über den klassischen Kapitalismus breitgemacht, von der mittlerweile sogar die konservativsten Medien und Unternehmen befallen wurden. Selbst der gute alte Marxismus erlebt gerade ein Comeback. Karl Marx’ Ecosocialism von Kohei Saito, einem (zumindest im Westen) bisher relativ unbekannten japanischen Professor, hat sich überraschend zu einem weltweiten Bestseller entwickelt. Könnte das auch damit zu tun haben, dass wir uns gern der Vorstellung hingeben, die Technologie sei imstande, alle unsere Probleme zu lösen? Dass es einfacher ist, die Technologie zu ändern als unser Verhalten? Wie David Sax schrieb, »verliert das Versprechen, das sich mit einer digitalen Zukunft verbindet, für uns nichts von seiner berauschenden Wirkung. Denn anstatt sich mit der Komplexität der menschlichen Realität und den Lektionen der Geschichte herumzuschlagen, lenkt es die Erwartung auf einen Neuanfang, genau wie irgend so eine Kolonie auf dem Mars, von der Elon Musk nach einem harten Tag in den Twitter-Minen fantasiert.«5 Oder ist es die Erkenntnis, dass wir uns dank solcher Bewegungen wie Fridays for Future der ökologischen Herausforderungen, vor denen unsere Kinder und Enkel stehen, stärker bewusst sind? Oder vielleicht dank des Aufstiegs von Frauen in der Arbeits- und Geschäftswelt?

»Es gibt etwas in der Geschichte«, so sagte einmal der Philosoph Gershom Scholem, »das man plastic hours nennen könnte.« Darunter verstand er die entscheidenden Momente, in denen sich wirklich etwas ändern lässt. Bewegt man sich in solchen Momenten, so geschieht etwas. Aber, und darauf kommt es an, es geschieht nichts, wenn man sich nicht in seinem Denken bewegt. In diesen besonderen Momenten werden das kollektive Empfinden und die soziale Ordnung von einer plötzlichen Bewegung erfasst, Stillstand weicht der Veränderung und die Menschen können Hoffnung fassen. »Plastic hours« sind selten und werden meist durch eine Krise ausgelöst. Neben den gut belegten und wechselnden ökologischen und wirtschaftlichen Herausforderungen sehen wir uns auch mit einem enormen, bisher nie dagewesenen Ausmaß an Ernüchterung unter den Arbeitskräften, an gesellschaftlicher Unzufriedenheit und an Einsamkeit konfrontiert. In dieser Situation ist die in der Wirtschaft jahrzehntelang betriebene Strategie, alles dem Profit unterzuordnen und sich um die Menschen oder den Planeten »einen Dreck zu scheren«, nicht mehr länger tragbar. Es ist an der Zeit, endlich Verantwortung zu übernehmen und, wie Mary Portas sagt, »to give a fuck about the future«.

Ein Ja zur Zukunft

Ich möchte mit diesem Buch erreichen, dass wir uns für die Zukunft engagieren. Uns Gedanken machen, uns hinterfragen. Sollte Ihnen die Idee einer Kindness Economy etwas weichgespült oder langweilig, harmlos oder auch unmöglich vorkommen, so überlegen Sie noch mal. Kindness hat viele Seiten und birgt viel Potenzial. Sie kann durchaus grausam sein, sie kann ein Ärgernis darstellen, sie kann seltsam sein, sie kann sogar überraschend sein (das zeige ich Ihnen im nächsten Kapitel). Vor allem aber sollte man sie nicht unterschätzen. In diesem Buch stelle ich Ihnen symbolträchtige und bewegende Beispiele von Unternehmen und Menschen vor, die den Weg vorgeben, den es zu beschreiten gilt. Ein Anspruch auf Vollständigkeit oder gar Endgültigkeit verbindet sich damit nicht. Diese Menschen und Unternehmen sind nicht das Nonplusultra. Es sind auch nicht alles Heilige oder Heilsbringer, die von jedem Makel frei wären. Zudem bilden sie (noch) nicht die Mehrheit, doch sie alle gehen mit gutem Beispiel voran und weisen den Weg zu einer anderen Art des Wirtschaftens.

Sie lernen auch die Menschen hinter den Unternehmen kennen. Denn sie sind es, die die nächste Generation von Unternehmern, Entwicklern und Stadtplanern inspirieren werden, die ihrerseits wiederum aus den Fehlern ihrer Vorgänger lernen, sich von ihrem Vermächtnis leiten lassen und hoffentlich in ihre Fußstapfen treten werden (oder auf ihren Wellen reiten, falls sie Surfer sind!). Ich für meinen Teil möchte Sie – sei es als Verbraucher, als Arbeitnehmer oder Arbeitgeber oder als Führungskraft – dazu anregen, anders zu denken und anders zu handeln. Außerdem hoffe ich, dass das Buch seinen Teil dazu beiträgt, in einer von Zynismus und Pessimismus geprägten Zeit Zuversicht zu verbreiten. Es handelt von Strategien für eine bessere Gesellschaft, für erfüllende Arbeitsplätze, freundlichere Städte und eine bessere Lebensqualität für uns alle. Kindness wird eine starke Kraft zur Veränderung sein, während wir uns gleichzeitig auf die Suche machen, um in unserer Arbeit, in unserem Leben sowie für unsere Zukunft Sinn zu finden.

Gina Miller, Geschäftsfrau und politische Aktivistin, ist überzeugt, wie sie Mary Portas gegenüber sagte, »dass wir an einem Punkt angelangt sind, wo wir uns entscheiden müssen, welchen Weg wir gehen wollen. Den, auf dem wir aufgeben und die Menschen glauben, dass es keine Hoffnung gibt, dass das System versagt, dass wir in kaputten Ländern und kaputten Gesellschaften leben. Oder den, der besagt, dass wir den Samen für eine andere Zukunft legen können, wenn wir uns verbinden und als ein Bewusstseinsstrom zusammenfinden. Wir können der Hoffnung wirklich Nahrung geben und die Zukunft mit neuem Leben erfüllen.«6

Nicht zuletzt ist mein Ziel dabei das gleiche, das auch der österreichisch-amerikanische Psychologe und Philosoph Paul Watzlawick verfolgte. In der Einleitung zu seinem Buch Wie wirklich ist die Wirklichkeit heißt es:

Es ist die unverblümte Absicht dieses Buches, unterhaltend zu sein und dem Leser in anekdotischer Form gewisse willkürlich ausgewählte Gebiete […] vorzulegen, die ungewöhnlich, merkwürdig und vielleicht sogar unglaublich sind […] Dem Pedanten mag diese Form der Darstellung oberflächlich und unwissenschaftlich erscheinen, doch sollte er sich vor Augen halten, dass es zwei Formen wissenschaftlicher Erklärung gibt. Die eine beginnt mit der Formulierung einer These und führt dann den Nachweis ihrer Gültigkeit für das Verständnis von Erfahrungstatsachen. Die andere besteht im Vorlegen einer großen Zahl von Beispielen aus verschiedensten Gebieten und versucht, auf diese praktische Weise aufzuzeigen, welche Struktur diesen scheinbar ganz verschiedenen Beispielen gemeinsam ist und welche Schlussfolgerungen sich daraus ziehen lassen. Bei den beiden Methoden fällt dem Gebrauch von Beispielen also sehr verschiedene Bedeutung zu. In der ersten müssen die Beispiele Beweiskraft haben. In der zweiten ist ihre Rolle die von Analogien, Metaphern und Veranschaulichungen – sie sollen beschreiben, in leichter verständlicher Sprache übersetzen, doch nicht notwendigerweise auch beweisen.

Ich werde in diesem Buch beiden Methoden folgen. Und halte es mit Watzlawick, der sagte: »Ich hoffe, es dem Leser dadurch zu ermöglichen, an die komplexen Probleme der Wirklichkeitsauffassung sozusagen durch die Hintertür heranzukommen. Die hier folgenden Ausführungen setzen weder ein Verständnis von Formeln noch von abstrakter Theorie voraus.«7

1

KINDS OF KINDNESS

Kindness – nicht nur zuckersüß

Wenn der Leser – wie ich – eine Gesellschaft aufbauen möchte, in der die Einzelnen großzügig und selbstlos zugunsten eines gemeinsamen Wohlergehens zusammenarbeiten, kann er wenig Hilfe von der biologischen Natur erwarten. Lasst uns versuchen, Großzügigkeit und Selbstlosigkeit zu lehren, denn wir sind egoistisch geboren.

RICHARD DAWKINS8

Kindness ist eine viel komplexere und auch verzwicktere Sache, als man meinen könnte. Denn kind muss nicht immer rein positiv sein. Es ist eine jener tückischen Eigenschaften oder Handlungen, die zunächst völlig harmlos wirken, bei näherer Betrachtung aber nicht nur durchaus strittig, sondern auch komplex und überraschend sein können. Zwar sollten wir uns alle um eine freundlichere Gesellschaft und Wirtschaft bemühen, gleichzeitig aber gilt es sich auch vor den daraus resultierenden Fallstricken und Problemen in Acht zu nehmen. In der Definition von kindness zeigt jedoch selbst das Wörterbuch Schwächen, da es eine ganze Reihe von Bedeutungen ausblendet. Offiziell definiert das Cambridge Dictionary kindness als »die Eigenschaft, großzügig, hilfsbereit und liebevoll gegenüber anderen Menschen zu sein, oder eine Handlung, die diese Eigenschaft aufweist«9. Interessanterweise nennt so gut wie keine Definition kindness im Zusammenhang mit einer profitorientierten Tätigkeit, und so entstand die Idee für dieses Buch.

Aber lassen Sie uns zunächst über die ursprüngliche Bedeutung von Kindness nachdenken. Wenn wir uns ihren evolutionären Zweck genauer ansehen und in dem Zusammenhang auch unsere eigenen Vorurteile und Motivationen überprüfen, dann treten andere Facetten zutage und tauchen andere Fragen auf. Instinktiv verbinden wir Kindness mit Attributen wie »großzügig«, »freundlich«, »nett«, »unschuldig« und »einfühlsam«. Auf der anderen Seite verbinden wir Kindness nicht selten mit einem Hauch von Pathos, ordnen sie als kitschig und etwas langweilig ein oder halten sie – noch schlimmer – für etwas, das leicht dementen alten Menschen oder Frauen zugeschrieben wird. Das mag jetzt etwas hart klingen, aber es soll verdeutlichen, dass Kindness nicht nur die eine zuckersüße Bedeutung hat: Bei näherer Betrachtung finden wir nicht nur ihre gute, sondern auch ihre schlechte und sogar hässliche Seite. Sie kann, wie wir noch sehen werden, langweilig, grausam, lächerlich und sogar egoistisch sein. Als ich über die Bedeutung der Worte kind und kindness nachzudenken begann, bemerkte ich nicht nur, dass das wirtschaftliche Element dabei fehlte, sondern ich stellte auch fest, dass es viele verschiedene widersprüchliche Interpretationen und Verwendungen gibt, die vielleicht mit dem Alter, der Persönlichkeit, der Erziehung oder (wie wir sehen werden) mit den Hormonen zu tun haben!

Die irgendwie nette Kindness

Es gibt ein Wort, das häufig verwendet wird, wenn Menschen etwas nicht mögen (meist, wenn ein neues Rezept ausprobiert wurde), aber niemanden verletzen wollen. Sie sagen, etwas sei »interessant«, in der Hoffnung, mit einer Notlüge davonzukommen. In ähnlicher Weise, erinnere ich mich, wurde in meiner Jugendzeit das Wort nett [kind] in anderer als der ursprünglichen Bedeutung verwendet. Das war in der schrecklichen hormonellen Phase, als ich anfing, Jungs zu mögen, und alles ein bisschen verwirrend und widersprüchlich fand, wenn es darum ging, welche Merkmale als attraktiv galten. Auf dem Schulhof standen wir Mädchen oft kichernd zusammen und nahmen potenzielle Verehrer und ihre Eigenschaften nach Strich und Faden auseinander. »Er scheint wirklich ganz nett zu sein« wurde nie als großartiges Kompliment angesehen, oder wenn man es doch so empfand, dann behielt man es für sich. Stattdessen fühlten wir uns einvernehmlich und schlimmerweise eher zu den bösen Jungs hingezogen, die uns einfach aufregender und verlockender erschienen. Ich führte das auf die Hormone zurück. Bei den Jungs war es das Gleiche. Auch sie waren eindeutig nicht an netten, ruhigen Mädchen wie mir interessiert. Sie waren auf jemanden und etwas aus, das mehr Spaß versprach. Auch das schob ich auf die lästigen Teenagerhormone. Wie eine zugegebenermaßen nicht wissenschaftliche Umfrage unter meinen inzwischen erwachsenen Freunden (männlichen wie weiblichen) ergab, handelte es sich dabei um eine zum Glück kurze, eher hässliche Phase in der Entwicklung all unserer Wünsche und Beziehungen, und viele, wenn nicht alle, haben später wunderbar nette und liebevolle Partner gefunden. Auch ich habe in der Zwischenzeit einen wunderbaren netten Mann geheiratet. Und ziehe heute jedes Mal die Augenbrauen hoch, wenn jemand das Wort nett in leicht ironischer, schräger oder zynischer Weise verwendet.

Die nicht wirklich nette Kindness

Im Grunde unseres Herzens würden wir gerne glauben, dass alles, was man aus Kindness tut, auch immer gut gemeint ist. Interessanterweise ist das aber nicht immer der Fall. Kindness kann Ausdruck von Egoismus oder einer nicht altruistischen Haltung sein, und zwar selbst dann, wenn wir versuchen, unseren Freunden, Kunden, Mitarbeitern oder dem Gesprächspartner zu vermitteln, dass unsere Absichten rein und gut sind. Nehmen wir etwa folgendes, auf den ersten Blick ganz unschuldig wirkendes Szenario: Eine ältere weißhaarige Dame sitzt in einem Einkaufszentrum an einem Tisch. Sichtlich müde vom Einkaufen, ruht sie sich bei einer Tasse Kaffee aus, als sie von einem jungen Mann angesprochen wird, der unbeholfen einen kleinen Blumenstrauß umklammert. Er beugt sich zu ihr hinunter und fragt, ob sie die Blumen einen Moment halten könne, er wolle nur eben seine Jacke aus seinem Rucksack holen. Nachdem er sich demonstrativ die Jacke angezogen hat, dreht er sich zu der Frau um, wünscht ihr noch einen schönen Tag und geht davon. Während sie perplex mit dem Strauß in der Hand zurückbleibt, zeichnet sich auf dem Gesicht des jungen Mannes beim Weggehen ein schmales selbstzufriedenes Lächeln ab. Diese Szene wurde von dem jungen Mann selbst, Harrison Pawluk, auf TikTok gepostet und mit der Bildunterschrift versehen: »Ich hoffe, das hat ihr den Tag versüßt.«

Wie nett, denkt man zunächst. Dann aber schaut man sich das Gesicht der Dame genauer an. Sie sieht nicht nur ratlos aus (was verständlich ist), sondern sie scheint zu seufzen, wirkt irritiert, vor allem aber erkennt man auf ihrem Gesicht weder einen Ausdruck der Dankbarkeit noch der Freude. Sie versuchte sogar, Pawluks Team die Blumen zu geben, als sie bemerkte, dass sie die Szene filmten. Manche würden darin vielleicht eine unfreundliche, undankbare Reaktion sehen, wie sie für eine mürrische alte Frau typisch ist. Es bestätigte sich, dass Maree, so wird die Dame genannt, alles andere als glücklich über die Aktion war. Und das aus gutem Grund. Gegenüber australischen Fernsehreportern, die sie aufgespürt hatten, machte sie keinen Hehl daraus, dass sie sich vorgeführt vorkomme, nur damit Pawluk Klicks auf sein Video im Internet erhalte: »Er hat mich bei meiner Pause gestört. Er hat ohne meine Zustimmung ein Video aufgenommen, es hochgeladen und etwas daraus gemacht, was es nicht war. […] Ich glaube, dass er ziemlich viel Geld damit verdient.«10 Sie wollte nicht bemitleidet werden, sie wollte die Blumen nicht, und sie schien es auch nicht nötig zu haben, dass man ihr den Tag »versüßte«, wie Pawluk glaubte annehmen zu dürfen. Wäre sie ein gelangweilt aussehender Mann mittleren Alters gewesen, hätte er sich nicht zu dieser Annahme verstiegen und ihn angesprochen. Aber dann wäre sein Video vielleicht auch nicht 50 Millionen Mal aufgerufen worden.

Solche Videos sind Teil des Trends zu sogenannten random acts of kindness, frei übersetzt »spontanen Nettigkeiten«, die in den sozialen Medien zu Tausenden gepostet und repostet werden und sich rasend schnell verbreiten. Es gibt sogar eine Stiftung und eine Webseite, die sich ausschließlich mit solchen dem Zufall entsprungenen Handlungen aus Kindness befassen (randomactsofkindness.org/). Die aufgelisteten »Taten«, wie etwa, in einem überfüllten Bus jemandem einen Sitzplatz anzubieten, würde ich dabei schlicht als gute Manieren bezeichnen. In einer idealen Welt würde man sie als normales Verhalten betrachten und sonst nichts. Eine der oft zitierten und gut gemeinten Ideen hinter den »guten Taten« ist dabei diese: Wenn einem Freundlichkeit widerfährt, dann sollte man im Gegenzug selbst wiederum etwas Freundliches für jemand anderen tun. Und so weiter. Würde das wirklich funktionieren, würde ich nach den Gesetzen der Mathematik erwarten, dass in der nächsten Generation jeder jeden Tag von Hunderten random acts of kindness überschwemmt wird.

Viele dieser Handlungen reduzieren Kindness dabei einfach auf ein Meme, das nur dann wirklich etwas wert ist, wenn es gefilmt und veröffentlicht wird. Stille Akte der Freundlichkeit bekommen eine schlechte Presse – oder, besser gesagt, gar keine. Sieht man einmal von einigen besonders peinlichen, egoistischen TikTok-Stars ab, die das Prinzip Kindness in Verruf bringen, sind die Absichten der meisten random acts of kindness-Aktivisten – oder RAKtivisten, wie sie sich selbst nennen – zwar wohl größtenteils positiv und durch die Bank absolut gut gemeint. Dennoch habe ich viele dieser »acts« im Verdacht, dass sie der Arbeit an einer echten, effektiven Kindness-Ökonomie für alle eher im Weg stehen oder von ihr ablenken.

Die grausame Kindness

Die Wendung cruel to be kind