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American Summer Love: ein Roadtrip ins Ungewisse - fantastisch, gefühlvoll und bezaubernd! Elsie Bairns liebt Katzen, Kirschen und den Sommer - und sie liebt heimlich Cody Fletcher, den mutigen blonden Nachbarsjungen mit dem unglaublichen Lächeln. Als Cody mitten in der Nacht in ihr Haus schleicht und sie zu einer fünftägigen Fahrt quer durch Amerika einlädt, glaubt sie an die Erfüllung ihrer Träume. Der Roadtrip ihres Lebens beginnt, doch bald steht für Elsie fest: Das alles scheint zu verrückt und schön, um wahr zu sein. Und vielleicht ist es das. Denn je mehr Elsie den Mut aufbringt, Fragen zu stellen, desto klarer wird, dass ihr Cody etwas Entscheidendes verschweigt... Alle Bände der romantischen Reihe "Kiss of your Dreams": -- Kirschkernküsse -- Kolibriküsse -- Cowboyküsse Alle Bände können unabhängig voneinander gelesen werden und haben ein abgeschlossenes Ende.
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Inhaltsverzeichnis
Prolog
Tag 0
Tag 1
Tag 2
Tag 3
Tag 4
Tag 5
Epilog
Weitere Bücher von Barbara Schinko
Impressum
Blacktail Ridge, Oregon
Das Ende kommt unerwartet.
Ich halte die Augen geschlossen, auch als ich deine Stimme höre. Zwar erkenne ich dich sofort, doch ein Teil von mir hat selbst jetzt noch Angst, dass du verschwinden wirst, wenn ich die Augen öffne.
»Ich wollte die Wahrheit herausfinden«, versuche ich zu flüstern.
Ein trauriges Lächeln in deiner Stimme: »Ich weiß.«
Was ist mein letzter Wunsch vor dem Tod?
Ich denke an Kirschohrringe. Ich sehe sie vor mir, wie sie sich mit einer Hand und beiden nackten Knien um die Äste des Kirschbaums klammert und mit der anderen Hand ein wimmerndes, graublaues Fellbündel an ihre Brust drückt. Einer ihrer Kirschohrringe ist zu Boden gefallen, der zweite hängt schief an ihrem Ohr. Sie hat auf jeder Wange einen blutenden Kratzer oder vielleicht ist es Kirschsaft.
Ich stehe auf der Wiese und flüstere ihr zu, dass ich mich in jenem Augenblick in sie verliebt habe. Sie hört mich nicht. Sie ist zu hoch oben im Baum und ihre ganze Aufmerksamkeit gilt dem verängstigten Kätzchen. Der fürsorgliche Blick, mit dem sie es mustert, lässt mich wünschen, ich wäre die Katze.
Ich sage nie wieder zu ihr: »Ich liebe dich.«
Ich denke es bloß jeden Tag.
»Texas Good Ole Boys« Jagd- und Fischereiforum
Adam_Junkman: Also noch mal wegen des Trips. Wer hat ein Zelt?
JasonFromTopeka: Ich. Für zwei bis drei Personen.
Adam_Junkman: Wer schläft bei dir?
JasonFromTopeka: Westman, Tex und ich.
TexasBadass17: Wird sicher kuschelig.
WildWestman: Notfalls schmeißen wir den Klugscheißer einfach raus.
TexasBadass17: Meinst du mich?
WildWestman: Wen sonst?
TexasBadass17: Gegenvorschlag: Ich nehme das Zelt, du und Jason haltet euch anders warm. Ich bin mir sicher, JUNKman gibt euch gerne Tipps …
Custer_Mod: Ich habe ein Zelt für drei Personen. Damit sind wir erst mal versorgt. Wenn es mir jemand zurück nach Charleston bringt, leihe ich es euch gern für die zweite Woche des Trips.
TexasBadass17: Kommt Bullet_Made_in_USA auch mit?
WildWestman: Ich dachte, der Trip ist nur für Forumsmitglieder?
TexasBadass17: @ Custer_Mod: Kommt Bullet auch mit? Sag ihm, wir beide könnten die schwulen […]
Der Rest dieses Beitrags wurde von einem Moderator gelöscht.
Moxie_Mod: @ Tex: Das ist die letzte Warnung. Noch so ein blöder Spruch und du fliegst aus dem Forum wie Bullet.
TexasBadass17: Sorry! War nur Spaß. War nicht böse gemeint. Außerdem ist hier keiner schwul oder doch?
Moxie_Mod: Darum geht’s wirklich nicht.
TexasBadass17: Sorry. Tut mir echt Leid.
JasonFromTopeka: @ Tex: Ich hole dich gegen zwei ab – passt das? Wissen deine Leute schon, dass du …?
TexasBadass17: [private Nachricht @ JasonFromTopeka] Die Spießer sind ab Montag auf ihrem Rundtrip. Habe also sturmfrei. Die werden nie checken, dass ich weg war.
TexasBadass17: [private Nachricht @ Adam_Junkman] Was ist jetzt mit dem Gewehr?
Adam_Junkman: [private Nachricht @ TexasBadass17] Ich habe gestern den Schlüssel zu ihrem Waffenschrank geklaut. Sollte also klappen.
TexasBadass17: [private Nachricht @ Adam_Junkman] Dann müssen wir nur noch hoffen, dass uns was Passendes vor die Flinte läuft.
Maple Falls, Nebraska
Bis zu jenem dreizehnten Juni war mein Leben vergleichbar mit einer Autofahrt auf einem endlosen, schnurgeraden Highway – so wie der Interstate 80 auf der Strecke zwischen Grand Island und Lincoln, Nebraska. Mein Dad nahm mich manchmal in seinem Truck mit und jede Ausfahrt, jeder Steppenläufer, den der Wind über den Asphalt trieb, jede Reklametafel für Casinos oder Motels und jede Tankstelle war mir vertraut. Links und rechts der I-80 gab es nicht viel zu sehen, aber das machte nichts; Routine war gut.
Bis zum dreizehnten Juni. Dann riss Cody Fletcher das Steuer meines Lebens um neunzig Grad herum. Mein Leben kam von der Straße ab und krachte ins Unterholz und keine Karte, kein Navi, kein Kompass würden mir helfen, je wieder auf den schnurgeraden Highway zurückzufinden.
Nur die Katzen waren kurz vor Mitternacht wach.
Und ich.
Wir hatten alle zu tun: Princeton, Vassar und Yale terrorisierten die Mäuse in den umliegenden Gärten und ich war dabei, für Englisch einen Essay zu schreiben, weil Elsie Bairns zu den Streberinnen gehörte, die ihre Hausaufgaben für den Sommer schon Mitte Juni erledigten und nicht erst am Labor Day wie sorglosere Kids.
Der Essay war zumindest mein Plan. Tatsächlich hockte ich im Pyjama an meinem Schreibtisch, hatte die Lampe gedimmt und beobachtete, wie Vassar, meine graue Perserprinzessin, die Birke im Garten der Fletchers erklomm.
Vassars Pelz schimmerte silbergrau, fast bläulich – die exakte Farbe von Dads Volvo, auf dessen Kühlerhaube sich Ihre Hoheit so gerne räkelte. Auch die Birkenrinde war silbern und der Vollmond verlieh der ganzen Szene einen geisterhaften Anstrich von Unwirklichkeit und Magie.
Ich nippte an meinem Glas Soda. Als ich wieder hinsah, kauerte Vassar mit gespitzten Ohren reglos auf einem Ast. Müßig fragte ich mich, was sie beobachtete, was sie hörte und wünschte mir ihre Konzentrationsfähigkeit. Vassar war vermutlich klüger als ich – immerhin trug sie den Namen eines prestigeträchtigen Colleges – und verstünde sie unsere Sprache, hätte sie mir den doofen Essay längst diktiert.
Vielleicht sollte ich die Katzen nächstes Jahr meine Bewerbungen fürs College schreiben lassen: »Elsie Bairns' beste Eigenschaft ist, dass sie den Dosenöffner bedienen kann.« Oder mich als Fangirl outen: »Bitte nehmt mich! Ich habe sogar meine Katze nach euch benannt!« Die College-Namen waren zwar Mums Idee gewesen – ein nicht allzu subtiler Hinweis für mich und meine Zukunftsplanung –, aber das musste ja keiner erfahren.
Mit einem Satz, der die Birke rascheln und schwanken ließ, sprang Vassar auf einen niedrigeren Zweig. Fast alle Nachbarn hatten statt der Birken Ahornbäume in ihren Gärten, wie es in Maple Falls eben erwartet wurde, aber die Fletchers taten nie, was alle taten. Mr Fletcher hatte als Erster in der Straße ein iPhone gehabt und war vom alten Fitnessstudio ins neue gewechselt, obwohl es dort – großer Skandal! – eine Sauna ohne Geschlechtertrennung gab. Mrs Fletcher buk für den jährlichen Kirchenbasar grasgrüne und himmelblaue Cupcakes und hatte die Lokalzeitschrift, das Leaf, mit der unverblümten Begründung abbestellt, sie sei besser informiert als deren Reporter und könne außerdem fehlerfrei tippen.
Und dann gab es Cody. Er war siebzehn wie ich, so aschblond wie sein Vater, so dünn wie seine Mutter und genauso mutig und unbekümmert wie die beiden. Im letzten Schuljahr hatte er sich fürs Footballteam und für den Cheerleading-Squad unserer High School beworben, nur um zu sehen, ob ihn beide nehmen würden. (Hatten sie.) Als Monty Rogers, der schwulenhassende Quarterback, für das gesamte Footballteam eine Kostümparty gegeben hatte, war Cody im Negligé seiner Mutter aufgekreuzt und hatte Monty zu einem Tequila-Wettsaufen herausgefordert. Aktionen wie diese brachten ihm in gewissen Kreisen den Ruf einer Tunte ein, aber Cody ignorierte die Beleidigungen oder lachte darüber. Die Mädchen unserer High School wussten es ohnehin besser; Cody kam selten ohne vollbusiges Date zu einer Party und seine Freundinnen blieben über Nacht. Das konnte ich bezeugen, weil mein Zimmer seinem genau gegenüber lag und – okay, weil es kein Zufall war, dass ich so oft im Dunkeln an meinem Schreibtisch saß.
Aber heute gab es drüben nur Vassar zu sehen. Cody war mit Freunden auf irgendeinem total männlichen Jagd- und Fischereitrip. Ich hatte den rostigen, schlammbespritzten Jeep Wrangler voller Armeesticker gesehen, der ihn abgeholt hatte und mich gefragt, ob wohl ganz unten in seiner Sporttasche Mrs Fletchers Negligé lag – nur für den Fall der Fälle. Der Gedanke hatte mich so lange zum Lächeln gebracht, bis der Jeep unter lautem Heavy-Metal-Gedröhne davongebraust war und mich für zwei endlos lange Wochen allein in der plötzlich viel zu stillen Siedlung zurückgelassen hatte.
Ich sah auf die Uhr – Mitternacht – und seufzte. Der Essay musste warten; Mum und Dad würden zwar erst am nächsten Samstag wiederkommen und theoretisch konnte ich morgen schlafen, so lange ich wollte, nur leider hatte ich mich von Kimmi breitschlagen lassen mit ihr shoppen zu gehen. Was ich bereute, weil endlose Diskussionen über die perfekte Rocklänge wirklich nicht mein Ding waren und Kimmi noch dazu gedroht hatte mir einen neuen Stil zu verpassen. Scheinbar schrie mein derzeitiger »Kleinstadttussi!« oder »Landei!«. Ich war eine Kleinstadttussi und ich mochte meine flatternden Blümchenkleider mit den kurzen Röcken, auch meine Jeansjacke und meine verspielten, halb durchsichtigen Spitzentops. Aber bei Kimmi nützten Argumente wie dieses rein gar nichts.
Um den Shoppingtrip durchzustehen, bräuchte ich erst mal meinen Schönheitsschlaf und dann zum Frühstück einen großen ›Carloshake‹, wie bei uns die Coffeeshakes hießen, weil Carlo in der Main Street die am besten machte. Hoffentlich hatte er Kirscheis …
»Elsie!«, hörte ich jemanden halblaut rufen und erstarrte.
Ich gebe dir fünf Tage. Einen für jedes Jahr. Zeit genug?
Das Haus war leer – leer, bis auf mich und die Katzen, aber auch wenn Princeton und Yale schon durch ihre Klappe zurück in die Küche geschlüpft wären, klänge mein Name aus ihrem Mund doch eher wie »Miau«.
Ein jähes, panisches Gefühl der Übelkeit stieg in mir hoch. Für einen Moment wusste ich nicht, was mir lieber wäre – dass ich Stimmen hörte und den Verstand verlor oder dass ein Einbrecher unten lauerte.
Dann überschlugen sich meine Gedanken: Wo lag Dads Pistole? Wie lautete die Safekombination für die Patronen – war es mein Geburtstag oder Mums? O Gott, warum hatte ich mich bloß schon so lange vor dem Schießstand gedrückt?
»Elsie!« Diesmal klang der Ruf eher wie ein Raunen und kein Zweifel, er kam von der Treppe, die hoch zu unseren Schlafzimmern führte.
Für ein paar Herzschläge saß ich wie angewurzelt.
Dann, weil meine Gedanken noch immer um die unerreichbare Pistole in Dads Büro kreisten, ergriff mein Körper die Initiative. Meine Beine trugen mich zum Schrank. Mum pflegte über die Unordnung zu schimpfen, selbst wenn nur in einer Zimmerecke etwas herumstand oder lehnte. Geblümte Sommerkleider brauchten auch nicht viel Platz: Ein Baseballschläger passte gut dazwischen. Ich bewaffnete mich, schloss die Schranktür und spähte nach einem Versteck aus, aber die einzigen Möbel, die mich verbergen könnten, waren der Schrank und das Bett.
Ich kniete vor dem Bett und überlegte darunterzukriechen, als mich ein Klicken warnte.
Die Tür! Langsam senkte sich die Klinke.
Ein Keuchen entfuhr mir. Ich schob meine Faust in den Mund und biss zu, wollte nicht schreien. Verzweifelt sah ich mich nach einem Ausweg um. Das Bett war zu niedrig, das Fenster zu klein, mein Zimmer im ersten Stock zu hoch gelegen …
Ich nahm einen tiefen Atemzug, umklammerte den Baseballschläger mit beiden Händen und stand auf. Das Aluminium unter meinen Fingern fühlte sich eisig an. Der Großteil meiner Aufmerksamkeit galt der Tür, doch mit einem halben Auge spähte ich an mir herunter. Mein bisschen Selbstbewusstsein verflog: Ich war barfuß und trug einen verwaschenen Flanellpyjama mit spielenden Kätzchen darauf, für den ich um mindestens fünf Jahre zu alt war.
Die Tür schwang auf. Ich erahnte im Flur eine Gestalt und hob probeweise den Baseballschläger. »H-halt! Keinen Schritt weiter!«, krächzte ich, während das Mondlicht durch die Gardinen auf aschblondes Haar fiel.
Cody Fletcher trat ins Zimmer. Er lächelte, als er mich sah.
»Cody?« Adrenalin und Erleichterung machten mich schwindelig und sorgten dafür, dass mir der Schläger entglitt. Er klapperte über die Dielen und kam auf dem Bettvorleger mit seinem Mohnblumen-Muster zu liegen. Von dem Lärm war Cody merklich zusammengezuckt. Sein besorgter Blick huschte von mir zur Tür, in den Flur, die Treppe hinab.
Wieder zu mir.
»Elsie«, raunte er, »bist du allein?«
Er trug Jeans und ein dunkles T-Shirt, darüber ein offenes helles Hemd wie so oft, wenn ich ihn durchs Fenster seine Dates nach Hause bringen sah. Die Klamotten standen ihm gut und der Anblick war so vertraut, dass ich nickte, noch ehe ich über den Zweck der Frage nachdenken konnte.
Jede Anspannung schwand aus Codys Haltung. Er lehnte sich lässig an den Türrahmen und schenkte mir das Grinsen, das die Freshmen-Mädchen in der High School »süß« und jene aus den höheren Klassen »total sexy« fanden.
»Wie bist du reingekommen?«
»Wer, glaubst du, hat eure Katzen gefüttert, während ihr auf Hawaii wart?«
Mrs Riley von nebenan, wollte ich automatisch erwidern – doch nein, sie hatte im letzten Sommer mit ihrer Hüfte zu tun gehabt. Dad hatte das Futter rüber zu den Fletchers gebracht. Und wie ich ihn kannte, hatte er den Reserveschlüssel nie von Mr Fletcher zurückgefordert.
»Seit wann bist du wieder hier? Ich dachte, du wärst …«
Cody zuckte die Schultern. Er sah nicht aus wie einer, der mit Freunden eine großartige Zeit verbracht hatte und nun darüber reden wollte.
»Es war nicht so toll?«
Ein Lächeln huschte über seine Lippen. »War nicht so toll«, bestätigte er.
»Und deine Eltern?«
»Sind weg.« Der erstaunte Blick half meinem Gedächtnis auf die Sprünge: Mr und Mrs Fletcher waren mit Mum und Dad und der restlichen Pfarrgemeinde auf Rundreise. Ich hätte mitkommen können, aber die Aussicht auf zwei Wochen Busfahrt mit tonnenweise Kirchen- und Museumsführungen zwischen all den Pinkelpausen für blasenschwache Senioren verursachte mir Krämpfe.
Ich räusperte mich. »Okay. Aber falls sie nicht dein Bett mitgenommen haben, erklärt das noch immer nicht, was du in meinem Haus tust!«
Kaum waren die Worte aus meinem Mund, spürte ich, wie eine heiße Röte meinen Hals hinauf, in meine Wangen und bis zu meinen Ohren stieg. Hastig wandte ich mich ab – erspähte das Glas Soda auf dem Schreibtisch und griff danach, hoffte, als ich mich wieder Cody zuwandte, dass die Röte ein wenig verblasst oder dass es wenigstens zu dunkel für ihn war, um sie zu sehen. Warum galt mein erster Gedanke, der ihn betraf, ausgerechnet dem Bett?
»Ich muss dir was zeigen.«
Mein Gehirn verknüpfte Codys Antwort mit den eigenen Gedanken und ich verschluckte mich am Soda, röchelte und spürte, wie mir die Kohlensäure in die Nase stieg.
»Elsie!« Cody war im Nu an meiner Seite und klopfte mir auf den Rücken. Sein Aftershave roch frisch und moosig und für einen Augenblick hatte ich das Bedürfnis, mich an ihn zu lehnen und ihn einfach nur einzuatmen, aber zum Glück war ich mit Husten so beschäftigt, dass ich mich nicht noch mehr zum Affen machen konnte.
»Alles in Ordnung? Bist du auf irgendwas allergisch?«
Ich versuchte gleichzeitig zu husten, den Kopf zu schütteln und mir die tränenden Augen zu reiben. Keine Allergien, nur schmutzige Gedanken. Der Hustenanfall verebbte. Beschämt wischte ich mir mit dem Ärmel Rotz und Tränen vom Gesicht und schämte mich umso mehr, als ich es bemerkte.
»Äh … darf ich mich vorher umziehen?« Ich starrte auf meine nackten Füße und die Kätzchen am Saum der Pyjamahose, dann auf Codys Jeans und dunkle Socken. »Ich meine – vor dem, was du mir zeigen willst.«
O Gott, womöglich glaubte er, ich wollte die Reizwäsche aus der Kommode holen! Mein Gesicht lief erneut knallrot an und ich duckte den Kopf noch tiefer, damit mir die Haare in die Stirn fallen würden.
»Klar, kein Problem. Ich schätze, du solltest überhaupt ein paar Klamotten und so packen. Ist eine längere Fahrt bis zu dem, was ich dir zeigen will.«
Verblüfft sah ich auf. »Wie lange?«
»Hast du für die nächsten Tage Pläne?« Er grinste. Ich hätte angenommen, die Frage sei ein Witz auf meine Kosten, doch als ich nicht antwortete, schien Cody plötzlich besorgt, als könnte ich ihm tatsächlich absagen.
Kimmi fiel mir spontan ein. »Nein!«, platzte ich heraus. »Keine Pläne!«
Denn eins wusste ich – ich wäre bescheuert, wenn ich Codys Einladung zugunsten meiner Shopping-Verabredung mit Kimmi ausschlagen würde. Es war vermutlich die einzige Chance auf ein Date mit ihm in meinem ganzen Leben.
»Ich warte unten. Lass dir nicht zu lange Zeit.«
Ich nickte stumm, sah zu, wie er die Tür schloss, und kaum verklangen seine Schritte, hatte ich das Bedürfnis die Tür aufzureißen und die Treppe hinabzustürmen – mich zu versichern, ob er da war. Ob ich nicht bloß halluzinierte.
Der Baseballschläger fühlte sich real an, als ich ihn aufhob und zurück in den Schrank stellte. Ich nahm meine Sporttasche heraus und warf sie aufs Bett, knipste das Licht an und blinzelte in die jähe Helligkeit. Während ich Kleider, Blusen und T-Shirts in die Tasche stopfte, dazu Unterwäsche und Strümpfe, dachte ich schuldbewusst daran, was Mum und Dad sagen würden. »Zum Glück bist du vernünftig«, pflegte mich Mum zu loben, wann immer sie in der Zeitung von Teenie-Schwangerschaften las oder von Mädchen, die nach Hollywood abhauten und bei einem Zuhälter landeten.
Ich hielt inne, ein langärmeliges Spitzen-Top in den Händen. Vernünftig – das war Elsie Bairns, die Routinen liebte und zwei Wochen allein zu Hause bleiben konnte, ohne Drogen zu nehmen oder wilde Partys zu schmeißen; die nicht mal wusste, wo man Drogen kaufte oder Freunde hatte, die zu ihren Partys gekommen wären. Elsie Bairns, deren einzige Ambition darin bestand für immer eine Kleinstadttussi zu bleiben, folgte nicht um Mitternacht völlig überstürzt einem Jungen aus dem Haus. Mit einem Seufzer legte ich das Spitzen-Top zurück in den Schrank.
Wenig später klopfte Cody an die Tür und steckte, als ich nicht antwortete, den Kopf durch den Türspalt. Er zog die Augenbrauen hoch, weil ich noch immer meinen Kätzchenpyjama trug.
Ich rang mit mir selbst. »Fünf Minuten«, beschwor ich ihn. »Gib mir fünf Minuten und keine Sekunde mehr!«
Cody nickte und verschwand.
Ich beäugte schuldbewusst meine Tasche, deren Reißverschluss so bedrohlich aufklaffte wie der Schlund des Grand Canyon, aber viereinhalb Minuten später war ich unten – in Jeans und rosa Ballerinas, einer Blümchenbluse mit Puffärmeln und einem um die Hüften gebundenen Cardigan. Kimmi hätte über das Outfit jede Menge zu sagen gewusst, doch das zu hören, blieb mir nun zum Glück erspart. Da die fünf Minuten für mein Haar nicht gereicht hatten, war die kastanienbraune Mähne notdürftig mit Haarclips gebändigt; das musste genügen.
Cody schien halb belustigt, halb verwundert. »Wenn ein Mädchen ›nur fünf Minuten‹ sagt, habe ich noch nie erlebt, dass sie wirklich fünf Minuten …«
»Tja, ich bin zwar langweilig, aber wenigstens pünktlich.«
Er sah noch verwunderter drein. »Du bist doch nicht langwei …«
Hastig wandte ich mich ab, teils weil ich schon wieder rot zu werden drohte, teils weil ich selbst wusste, dass ich langweilig war und Cody nicht lügen hören wollte. Ich schnappte mir meine Jeansjacke vom Haken, riss den Garderobenschrank auf und kramte zwischen Mums Seidenschals nach einem von meinen. Da – Mohnblumen. Der Schal kam in die Tasche und ich drehte mich nach Cody um, der nicht mehr da war.
Bei der hinteren Küchentür, die zur Garage führte, fand ich ihn. Er zog dort seine Sneakers an und …
»Warte!«, entfuhr mir. »Die Katzen!«
Cody begriff sofort. »Kennst du jemanden, der sich um sie kümmern würde?«
Mrs Riley. Aber die Vorstellung, wie ich meine ehemalige Grundschuldirektorin aus dem Bett klingelte, ließ mich erschaudern. Schon als Kind hatte ich eine Heidenangst vor ihr gehabt. Das Alter machte sie noch dazu reichlich wirr, so dass sie Gespräche neuerdings oft mit dem Vorwurf begann, ich würde die Kirschen von ihren Bäumen stehlen oder wäre an dem Hundedreck in ihrem Garten Schuld – dabei hatten wir nicht mal Hunde.
Ich riss einen Zettel von Mums Einkaufsblock und kritzelte hastig:
„Liebe Mrs Riley, ich muss für ein paar Tage weg. Sie haben den Schlüssel und wissen, wo das Futter ist. Würden Sie bitte so nett sein und unsere Katzen füttern?“
Abrupt hielt ich inne, den Stift in der Hand. Wenn ich schrieb, dass sie nicht Dad anrufen sollte, würde sie es dann erst recht tun?
***
Codys uralter, rostroter Ford parkte ein Stück entfernt am Bürgersteig. Ich warf den Zettel in Mrs Rileys Briefkasten und tänzelte davon – kam mir leichtfüßig wie Vassar vor. Cody hatte schon meine Tasche im Kofferraum verstaut und hielt mir, ganz der Gentleman, die Beifahrertür auf.
»Also, wohin fahren wir?« Vergeblich sah ich mich nach einer Karte oder einem Straßenatlas um, während Cody den Zündschlüssel im Schloss drehte. Dad hatte in seinem Truck und auch im Volvo ein Navi, aber Mum war nach wie vor Kartenleserin und Codys Auto schien älter als jeder von uns, so dass ich keine großartigen technologischen Errungenschaften erwartete. Wie um es zu beweisen, stotterte der Motor und starb ab. Cody verzog das Gesicht, wirkte jedoch nicht überrascht.
»Wohin?«, wiederholte ich.
Der Motor sprang beim zweiten Versuch an und Cody erwiderte: »Westen« – sonst nichts weiter.
»Westen. Und wenn wir in Kalifornien ankommen, was dann?«
Er lächelte, als hätte ich einen Witz gemacht und lenkte den Ford aus der Parklücke. Sein Blick war konzentriert auf die Straße gerichtet, als er hinzufügte: »Schlaf, wenn du müde bist. Ich verspreche dir, es gibt in den nächsten Stunden nichts Aufregendes zu sehen.«
Außer dir, meinst du. Ich biss mir auf die Lippe, ehe mir die verräterischen Worte entkommen konnten. Ich war müde, aber andererseits stellte das hier mein vermutlich einziges Date mit Cody Fletcher dar und ich hatte nicht vor, es zu verschlafen.
Ein Kompromiss also: Ich lehnte mich zurück, schloss halb die Augen und blinzelte unter den Lidern hindurch, während der Wagen ans Ende unserer Siedlung rollte, vor dem Kreisverkehr zum Stillstand kam und dann in Richtung der Auffahrt zur I-80 abbog. Meine Kopfstütze roch nach muffigem altem Stoff und schwach nach Zigaretten. Geisterhaft bleiche Bretterzäune, Ahornbäume und Straßenlaternen zogen vorbei. Kaum spähte ich hinüber zu Cody, zuckte sein Kopf, so als hätte ich ihn mit meinem Blick bei etwas ertappt.
Eine letzte Ampel. Die All-Night-Tankstelle, wo Dad immer Treuepunkte bekam und schon erahnte ich vor uns die mehrspurige I-80. Kurz nach der Auffahrt schaltete Cody das Radio ein. Aggressiv-fröhliche Partymusik plärrte daraus hervor und er zog den Finger zurück, als hätte er ihn sich verbrannt.
Mein Blick folgte seiner Hand, während sie die Auswurftaste des CD-Players suchte und dann in der Mittelkonsole zwischen unseren Sitzen wühlte. Die CD, die Cody einlegte, hatte kein Label, doch es war eine angenehm unaufdringliche Hintergrundmusik ohne Gesang, nur Keyboards, ein dezentes Schlagzeug und ein paar elektrische Gitarren.
Das verschwommene Schild ›Leaving Maple Falls‹ zog an mir vorbei. Cody wechselte die Spur und mein Blick huschte zurück ins Innere des Wagens, auf die Uhr mit ihrer leuchtend roten Datumsanzeige (›June 13‹) und zu Codys Fingern, die nun im Takt der Musik aufs Lenkrad trommelten. Seine Fingernägel waren kurz und gepflegt, nur unter dem Daumennagel klebte ein wenig Erde, als hätte Cody wie in vergangenen Sommern für Mrs Riley den Rasen gemäht. Während ich mich an diese Szenen erinnerte – an den Gestank von Diesel und den Duft frisch geschnittenen Grases unter meinem Fenster, an Cody in Khakishorts und einem verschwitzten T-Shirt, an Mrs Riley, die mit Argusaugen und einem Glas Eistee auf ihrer Veranda wachte – sank mein Kopf auf die Brust.
Ich riss ihn hoch, als etwas dicht an mir vorbeidonnerte.
»Truck«, warf Cody beiläufig ein. Er schenkte mir ein entschuldigendes Lächeln. »Fährst du nicht oft nachts?«
»Nur in Dads Truck.« Ich schämte mich meiner Schreckhaftigkeit. »Man sitzt dort viel höher.«
»Von oben ist die Aussicht besser«, stimmte mir Cody zu, doch er klang, als fände er das irgendwie traurig. Er wechselte das Thema: »Arbeitet dein Dad noch immer für Esh … Trucking?«
»Eshton«, verbesserte ich ihn schläfrig. Wir würden das Firmengelände bald sehen, wenn wir den Highway nicht vor Kearney verließen. Der Gedanke an Dad verursachte mir Schuldgefühle und ich rettete mich in ein gezwungen fröhliches: »Willst du einen Witz hören?«
Der Einzige, der mir einfiel, war wahnsinnig schlecht, aber ich plapperte trotzdem weiter: »Abe Lincoln hat angerufen: Er will seine Kutsche zurück.«
Cody schnaubte. »Das ist kein Witz. Die Karre ist wirklich so alt.« Er nahm die Hand vom Lenkrad und tätschelte das Armaturenbrett, als wäre es ein Pferd.
»Von deinem Rasenmäh-Geld gekauft?«, neckte ich ihn.
Er zögerte. »Geerbt«, antwortete er dann und als ich verstohlen zu ihm spähte, war seine Miene seltsam still. Ich wusste, dass ich etwas Falsches gesagt hatte, aber wusste nicht was, auch nicht wie ich es wiedergutmachen konnte.
Danke, dass du in mein Haus eingebrochen bist, wollte ich sagen. Aber vermutlich würde er das falsch verstehen.
»Cody? Ich …«, der Rest des Satzes wandelte sich in ein ausgiebiges Gähnen und ich war nur froh, dass Cody nicht hersah. »Danke«, stieß ich schließlich hervor.
Er schwieg, den Blick auf die Straße gerichtet. Nach einer Weile glaubte ich zu hören, wie er doch etwas sagte. Seine Worte gingen im Donnern der Trucks rings um uns unter. Als ich den Kopf wieder der Frontscheibe zuwandte, waren die Trucks bloß verschwommene Schemen, kaum mehr als Steppenläufer, die der Wind über den Asphalt trieb. Vor uns erstreckte sich die I-80 bis in die Unendlichkeit.
»Sie schläft«, sagte ein fremder Junge zu Cody. Er saß zwischen uns auf der Rückbank und beugte sich so weit vor, dass er unmöglich angeschnallt sein konnte. Selbst im Schlaf begriff ich, dass ihn Cody nicht hörte. Der Junge schien es auch zu begreifen, denn er wandte sich von Cody ab und musterte mich mit einem leisen Lächeln, das mir bekannt vorkam. »Das ist sie also. Eine interessante Wahl. Wie heißt sie?«
»Sie heißt Elsie«, schnappte ich, weil er so tat, als wäre ich nicht da. Aber meine Stimme verlor sich im Lärm der I-80, obwohl ich die des Jungen mühelos hörte.
Er ignorierte mich. Für einen kurzen Moment legte er die Hand auf Codys Schulter. »Wir sehen uns«, sagte er zu ihm und es klang bedauernd.
Der Junge verschwand.
***
Die Sonne stach durch meine Gardinen, als ich erwachte. Mein Nacken war steif. Schläfrig rieb ich meine Wange am kratzigen, muffigen Stoff des Kissens und schwor mir, Kimmi nie wieder bei mir rauchen zu lassen – von wegen »Mach einfach das Fenster auf«! Der Zigarettengestank haftete an allem.
Ich blinzelte. Erstarrte. Ein Schwall Wasser schoss auf mich zu und ich kniff die Augen zusammen, aber die Nässe auf meinem Haar und Gesicht blieb aus, als hätte sich ein unsichtbarer Schild zwischen mich und das Wasser geschoben. Verdutzt öffnete ich die Augen und erkannte im strahlend blauen Himmel über mir einen Schwamm, dann Codys Gesicht hinter dem sauberen Stück Windschutzscheibe.
Plötzlich ergab alles einen Sinn: die kratzige Kopfstütze, das Sonnenlicht durch staubverklebte Scheiben und Cody. Mit einem Ruck richtete ich mich auf – erahnte die Bewegung im Spiegel und schloss prompt die Augen, öffnete sie erneut in der vagen Hoffnung, das Bild hätte sich verbessert. Leider nein: Mein Haar ähnelte nach wie vor einem kastanienbraunen Wischmop und das bisschen Kajal und Lipgloss, das ich daheim aufgetragen hatte, war völlig verschmiert.
Geistesgegenwärtig duckte ich mich, als Cody über mir auftauchte. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie er sich abwandte und zur Seite trat. Ich riss die Beifahrertür auf, stolperte an ihm vorbei zwischen die Zapfsäulen und ins erlösende klimatisierte Halbdunkel des Tankstellen-Shops. Regalreihen voll Magazinen, Motoröl, Chipstüten und Energydrinks verbargen mich vor der feindlichen Welt draußen.
»Toilette?«, murmelte ich. Der Mann an der Kasse wedelte mit dem Schlüssel, als sei er daran gewöhnt, dass seine Kunden wie Statisten aus einem Zombiefilm hereinwankten. Ich fand den Waschraum, sperrte ab und riss, während ich mit dem kalkig schmeckenden Wasser gurgelte, gleich eine Hand voll Papierhandtücher aus dem Spender.
Als ich den Schlüssel zurückgab, stieg mir aus dem winzigen Café im Eck des Shops der Duft gemahlener Kaffeebohnen in die Nase. Das Mädchen hinter der Bar kannte keine Carloshakes, Coffeeshakes aber schon. Ob Cody wohl Erdbeer lieber mochte als Vanille? Plötzlich besorgt, er könnte weggefahren sein und mich hier zurückgelassen haben, sah ich zur Tür. Ich erspähte ein Stück der rostroten Motorhaube und atmete auf.
Cody hob erfreut den Daumen, als ich mit den beiden Pappbechern nach draußen trat. Er öffnete den Mund, doch in diesem Moment kam ein Minivan, aus dessen Fenstern Achtziger-Jahre-Pop dröhnte, mit quietschenden Reifen hinter der Zapfsäule zum Stehen. Cody sah mich an, wies mit dem Kopf in Richtung des Minivans und dann des Fords und deutete auf den Parkplatz neben der Tankstelle.
Ich nickte. Vorsichtig balancierte ich mein Kartontablett zwischen den Zapfsäulen hindurch und über einen Grünstreifen, an dessen struppigem Präriegras zerfetzte Chipstüten hingen – wählte schließlich meinen Weg zwischen Glasscherben und flachgedrückten Dosen über den Parkplatz. Nur ein Wohnmobil mit abgedunkelten Fenstern stand dort. Der Wind wirbelte Staub über den Asphalt und pfiff durchs hohe Gras jenseits des Parkplatzes. Fröstelnd presste ich meine Arme enger an den Körper, weil jedes Härchen zu Berge stand. Immerhin wärmte mir das Tablett die Hände.
Wohin ich auch sah, erstreckten sich blauer Himmel und sattes grünes Gras bis zum Horizont; dazwischen ferne Häuser, ein mehrspuriger Highway – die I-80? – und Präriehunde-Baue. Drüben wechselte die Musik von Kim Wildes ›Kids in America‹ zu ›Moonlight Shadow‹. Wenig später kam Codys Ford vor mir zum Stillstand. Cody stieg aus und nahm mir das Tablett ab. Dankbar nutzte ich die Gelegenheit, um in meinen Cardigan zu schlüpfen.
»Wo sind wir?« Bei Tageslicht erwies sich Codys Hemd als hellblau, sein T-Shirt als khakifarben. Das Hemd war am Rücken zerknittert und Codys aschblondes Haar fiel ihm wirr ins Gesicht, doch er sah trotzdem so gut aus, dass mein Herz einen kleinen Satz tat.
Argwöhnisch schnüffelte er an einem der Becher und hob den Deckel, um das halb geschmolzene Erdbeereis zu beäugen.
»Carloshakes«, erklärte ich auf seinen fragenden Blick hin und fügte hinzu, weil ich das Gefühl hatte, mich rechtfertigen zu müssen: »Sie hatten leider nur Vanille und Erdbeer.«
Cody nahm einen Schluck und gab sich offenbar Mühe, keine Miene zu verziehen. »Ist Erdbeer deine Lieblingssorte?«, fragte er vorsichtig.
»Nein …« Hätte ich nur Vanille gewählt!
»Lass mich raten: Kirsche?«
»Woher weißt du das?«
Er behauptete: »Nur so eine Ahnung«, während ich mir vergeblich den Kopf zerbrach, wo er mich schon einmal Kirschen essen gesehen hatte.
»Du wolltest wissen, wo wir sind«, wechselte er dann das Thema und nannte einen Namen, der mir absolut nichts sagte.
»Wie weit ist das von Maple Falls entfernt?«
»Dreihundert Meilen, dreihundertzwanzig vielleicht.«
»Wir sind über die Staatsgrenze?«
Cody nickte. »Wyoming.« Als er mein Erstaunen sah, entschlüpfte ihm: »Warst du etwa noch nie aus Nebraska …?«
Betreten schüttelte ich den Kopf, ehe mir Hawaii letztes Jahr einfiel. Aber selbst dahin waren wir vom nahen Kearney Airport aus geflogen, über Denver – waren dort abends in ein Flugzeug gestiegen und am nächsten Morgen über den Inseln erwacht. Hätte ich es nicht besser gewusst, hätte ich glauben können, die schneeweißen Sandstrände und das türkisblaue Meer lägen gleich nebenan.
»Du etwa?« Zu spät erkannte ich, wie absurd die Frage klang. Codys Familie hatte das Haus gegenüber unserem bezogen, als ich dreizehn war. Sie kamen wohl ursprünglich aus Kalifornien oder Texas.
Ich senkte den Kopf und löffelte Erdbeereis aus dem Becher. Dummerweise zog ich den Löffel so schwungvoll heraus, dass mir ein Klecks aufs Handgelenk fiel. Ich hatte schon die Hand gehoben, um ihn abzulecken, als mir gerade noch rechtzeitig klar wurde, wie kindisch das aussehen würde.
»Lass mich.« Cody griff nach meiner Hand und ich erstarrte. Er wischte sanft mit dem Daumen den Klecks vom Handgelenk und hielt ihn mir wie zum Beweis entgegen. Seine Augen funkelten so blau wie der Himmel, seine Finger rochen nach Scheibenwischmittel und für einen Herzschlag wollte ich nichts mehr, als das Erdbeereis von seinem Daumen zu lecken, aber ich beherrschte mich.
»Cody?« Meine Kehle war trocken; ich räusperte mich. »Was willst du mir zeigen?«
Er antwortete nicht sofort. »Fünf Tage«, sagte er schließlich. »Glaubst du, du hältst es so lange mit mir aus?«
Im Stillen jubilierte ich. Fünf Tage! Das war viel mehr Zeit, als ich mir je allein mit Cody erhofft hatte. Zugleich aber stieg so etwas wie Enttäuschung in mir hoch, weil ich den unausgesprochenen Nachsatz zu hören glaubte: Fünf Tage und keine Sekunde länger.
Wenigstens wäre ich wieder daheim, bevor Mum und Dad von ihrer Rundreise zurückkämen. Sie müssten nie von dem Trip erfahren und dieses Wissen nahm eine schwere Last von mir.
Ich nickte und hoffte, dass mir Cody nicht all meine Gedanken vom Gesicht ablesen konnte. »Fünf Tage«, wiederholte ich feierlich.
***
Nachher verschwand Cody im Waschraum. Ich stöberte in meiner Sporttasche und überlegte, ob ich wagen sollte eine frische Bluse anzuziehen. Was, wenn mich jemand beobachtete? Wenn mich Cody halb nackt überraschte? Schließlich kehrte ich nur mit Lipgloss, Kajal und einem Kaugummi bewaffnet auf den Beifahrersitz zurück und nutzte den Spiegel, um mein Make-up zu erneuern. Als unvermutet mein Smartphone piepste, schmierte ich mir in meiner Panik das Lipgloss quer übers Kinn.
Mit klopfendem Herzen zog ich das Smartphone aus den Jeans. Hatte Dad …?
Nein. Kimmi. ›Where r u grl? W8ing 4evah!‹
Höchst schuldbewusst spähte ich auf Codys Uhr mit der Datumsanzeige. June 13, 8:20. Ich sollte Kimmi erst in zehn Minuten abholen, aber trotzdem hatte Miss Drama Queen Recht damit, dass ich sie sitzen ließ.
›Sorry, ich schaff's nicht‹, tippte ich hastig. Kaum hob ich den Kopf, fiel mein Blick auf Cody, der mit einem Satz über den Grünstreifen bei der Tankstelle sprang. Er sah her, als wüsste er, dass ich ihn beobachtete und mein Herz schlug ein wenig schneller.
›Mir ist was dazwischengekommen.‹ Ich fügte ein Küsschen hinzu und drückte auf ›Senden‹.
Cody öffnete die Tür, ließ sich auf den Fahrersitz fallen und reichte mir wortlos eine Straßenkarte. Sein Gesicht war feucht und seine Haare wirkten, als hätte er sie mit den Fingern notdürftig gekämmt.
Geschäftig entfaltete ich die Karte. »Also. Wohin geht es?«
»Westen.« Cody schenkte mir ein unwiderstehliches Grinsen und ich gab den Versuch, die Tankstelle im Nirgendwo auf der Karte zu finden, rasch wieder auf.
Kimmis Antwort-SMS kam fünf Minuten später, als wir auf der Auffahrt zur I-80 waren. Ein Wort nur: ›BITCH!‹
Andere Freundinnen hätten so was nicht ernst gemeint, aber ich konnte mir gut ihre verkniffenen Lippen vorstellen, während sie mit den helleren Spitzen ihrer französisch manikürten Nägel auf die Tasten einhackte. Jede Wette, das war für den Sommer die letzte Shopping-Einladung gewesen.
Ich schaltete das Smartphone aus und tat mein Bestes, um die Gedanken an Kimmi aus meinem Kopf zu verbannen.
Kaum waren wir zurück auf der I-80, drehte Cody die Musik auf. Es war dieselbe CD wie bei unserer Abfahrt in Maple Falls und ich fragte mich, ob er sie die ganze Nacht hindurch laufen hatte lassen. Vermutlich nicht.
»Was ist das? Ich meine, welche Band?«
»Die Bad Asses«, erwiderte Cody mit einem halben, entschuldigenden Lächeln. »Der Song ist ›Save Me in Dreams‹.« Er runzelte die Stirn. »Glaube ich.«
Kurz begegnete ich seinem erwartungsvollen Blick. Vermutlich waren die Bad Asses die heißeste Newcomerband des Jahres und nur ich Kleinstadttussi hatte nie von ihnen gehört, aber trotzdem wollte ich Cody nicht anlügen. »Kenne ich leider nicht.«
»Hätte mich auch gewundert.« Er sah nicht mehr her. »Die Band hat sich schon vor einer Ewigkeit aufgelöst. Das war damals in … Sie haben in Dads Garage geprobt, als wir noch in Texas lebten.«
Ich war froh, nicht gelogen zu haben. Cody nickte mir zu und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Straße.