Kiss of Pain - Im Sog der Leidenschaft - Yona Carlsson - E-Book

Kiss of Pain - Im Sog der Leidenschaft E-Book

Yona Carlsson

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Beschreibung

Lydias Leben könnte perfekt sein, ihr Mann ist ein erfolgreicher Anwalt und als Model ist sie gefragt. Doch sie ist gelangweilt und sucht in Erotikforen nach Ablenkung. Dort lernt sie den geheimnisvollen Ben kennen, der sie sofort in seinen Bann zieht. Der einfühlsame, zugleich aber auch dominante Ben weckt Lydias devote Seite, die sie schon immer ausleben wollte. In ihren Chats verstricken sie sich zunehmend in extreme und zügellose Fantasien. Schon beim ersten heißen Date geben sie ihrem glühenden Verlangen nach. Schnell geraten sie in den Sog der Leidenschaft. Doch was Lydia als Affäre geplant hatte, wird erst zu Verliebtheit und dann zu psychischer Abhängigkeit. Sie verfällt Ben immer mehr und wird zum Spielball seiner sadistischen Psyche. Hat ihre Liebe trotzdem eine Zukunft?

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Seitenzahl: 375

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Über die Autorin
Impressum

Yona Carlsson

Kiss of Pain

Im Sog der Leidenschaft

ISBN 978-3-96615-008-8

(c) 2022 Schwarze-Zeilen Verlag

1. Auflage 2022

www.schwarze-zeilen.de

Alle Rechte vorbehalten.

7. Juni

Lydia kam von der Arbeit nach Hause, setzte sich mit einer Tasse Kaffee an den Küchentisch und schaltete ihren Laptop ein. Mit einem lauten Signalton öffnete sich ein kleines Fenster auf dem Bildschirm.

longing4intimacy – 6 neue Anfragen

Von: Loverboy

Datum: 7. Juni, 16:15 Uhr

Hey sexy Unbekannte! Würde dich gerne vernaschen und wenn du in deinen Mund mal etwas richtig Großes stecken willst, hab ich da natürlich auch etwas für dich. Lust?

Im Anhang befand sich ein Bild. Eines von zahllosen unerotischen Fotos männlicher Genitalien, Hintern und halbnackter Körper in Boxershorts, die Lydias Account täglich füllten. Sie starrte entsetzt auf die Nachricht, atmete tief ein und strich durch ihre langen, dunkelblonden Locken. Lydia war frustriert. Enttäuscht schaute sie sich kurz die Absender an, las nicht eine einzige weitere Anfrage und löschte sofort alles.

Ständig tummelte sich eine Ansammlung unattraktiver, stilloser Verehrer mit ungepflegtem Haar, Bauchansatz und extrem behaarten Körpern auf ihrem Profil – ein grauenerregender Anblick. Ihre geschmacklosen Profiltexte. Wie auf einem Viehmarkt, dachte sie immer.

Es war das zweite Mal in ihrem Leben, dass sie sich der Erotik-Community longing4intimacy zuwandte. Sie hatte sich bereits vor einigen Jahren dort aufgehalten, nachdem ihre Ehe gescheitert war. Jetzt war sie offiziell in einer festen Beziehung, mit Florian. Florian war als Anwalt beruflich erfolgreich, privat jedoch unsensibel, egoistisch und Lydia gegenüber achtlos, sowohl sexuell als auch im täglichen Zusammenleben – eine Situation, unter der sie litt. Sie war unglücklich, physisch und psychisch. Lydia wurde getrieben von der Suche nach erfüllender Sexualität, von der Sehnsucht nach Aufmerksamkeit und Liebe. Das Leben musste doch mehr zu bieten haben als nur tristen Alltag und Einsamkeit im Bett! Trotz ihrer Situation fühlte Lydia sich noch nicht bereit, die Beziehung zu Florian beenden. Und sie wusste nur zu gut, dass er sich sofort von ihr trennen würde, wenn sie sich anderen Männern zuwandte. Um Risiken auszuschließen, war sie gezwungen, die Wochenenden und freien Nächte geschickt zu planen. Daher wollte sie sich nicht damit belasten, eine Affäre mit einem Mann anzufangen, der selbst erst in seinen familiären Terminplaner schauen musste, wann er frei hatte. In ihrer Idealvorstellung sollte er zeitlich flexibel sein, Single und ohne Kinder. Männer, die in ihrem Profil in Beziehung, gebunden oder ich habe Kinder, die nicht bei mir wohnen vermerkt hatten, wurden sofort von ihr gelöscht.

Während sie die Vielzahl der männlichen Mitglieder betrachtete, fiel ihr das Schwarz-Weiß-Foto eines Hamburger Profils auf. Der Kopf eines Mannes bis hinab zu den Schultern: vermutlich eher südländischer Typ mit dunklen, kurzen Haaren. Er trug eine große Sonnenbrille. Ihr gefielen das dezente Lächeln seiner vollen Lippen, die feine gerade Nase und das winzige Grübchen in seinem Kinn. Das Foto schien etwas verschwommen, wirkte geheimnisvoll. Und dann der klangvolle Nickname seines Profils: Vincent la Roche. Nicht zu vergleichen mit den Schöpfungen anderer geistloser Zeitgenossen. Neugierig schaute sie sich den Profiltext des dominanten Single-Mannes ohne Kinder genauer an und stellte fest, dass er ansprechend formuliert war. Fasziniert blieb sie an einer Passage hängen: Ich werde keine Fotos verschicken und verlange im Gegenzug auch keine von dir.

Lydia musste den Satz mehrmals lesen. Ein Mann, augenscheinlich attraktiv, eventuell Südländer, außerdem dominant, eloquent und mit entsprechenden Ansprüchen. Ein solcher Typ will sich mit einer Frau treffen, deren Aussehen er nicht kennt? Was, wenn sie gar nicht seinem Geschmack entspricht? Oder sollte er tatsächlich einer jener seltenen Männer sein, denen es nicht nur um das Aussehen ging?

Lydia war eine Perfektionistin – im Leben und im Beruf. Sie hatte eine genaue Vorstellung von einem Mann, mit dem sie gern ins Bett gehen und kommunizieren würde. Er sollte ein dominanter Mann sein, der sie auf den ersten Blick und durch die ersten geschriebenen Worte beeindruckte, interessierte, herausforderte. Intelligent und kultiviert. Im Bett sollte er ihre devoten Sehnsüchte bedienen. Zwar war sich Lydia ihrer dominanten Seite bewusst, doch diese stand in einem unaufhörlichen Kampf mit ihrem zweiten Ich, einem devoten, hingebungsvollen Wesen.

Sie liebte das verbale Vorspiel. Stil und Niveau, so ihre Überzeugung, konnte man nicht nur sehen, sondern auch fühlen. Der Verehrer sollte sich nicht nur ihre erotischen Fotos anschauen, Lydia wollte auch spüren, dass er sich für ihre Gedanken und Wünsche interessierte. Dass er auf das, was sie geschrieben hatte, einging.

Das Profil hatte Lydias Aufmerksamkeit geweckt. Sie konnte nicht widerstehen, dem geheimnisvollen Unbekannten zu schreiben.

Von: White Rose

Datum: 7. Juni, 17:06 Uhr

Hallo, unbekannter Mann – du hast einen interessanten Profiltext.

Triffst du dich generell mit Frauen, deren Gesicht du vorher noch nie gesehen hast?

Liebe Grüße, Ly

Von: Vincent la Roche

Datum: 7. Juni, 22:45 Uhr

Hallo Ly,

deinen Worten nach hat dir dein Besuch bei mir gefallen. Gern hätte ich dir etwas angeboten. Vielleicht nicht gleich einen Rotwein am Kamin, vielleicht erstmal nur ein stilles Wasser mit frischer Minze, draußen auf dem Steg am See.

Zu deiner Frage: Kein Foto kann das erzählen, wozu ein reales Treffen imstande ist. Ein Foto ist eine Momentaufnahme und sagt nur wenig über einen Menschen aus. Bevor ich mich auf eine Frau einlasse, möchte ich sie kennenlernen. Sie von Angesicht zu Angesicht sehen, sie sprechen hören, sie mit Anstand und Respekt berühren, wissen, wer sie ist und wie sie tickt. Was das Aussehen betrifft, habe ich natürlich bestimmte Vorstellungen. Doch der Wunsch nach einem realen Treffen bleibt davon unberührt. Wie steht es mit dir? Was bedeutet für dich ein Foto?

Einen schönen Abend!

Vincent

Immer wieder las Lydia seine Antwort. Was für ein tiefsinniger, fast schon poetischer Mann!

Sie war fasziniert.

8. Juni

Von: White Rose

Datum: 8. Juni, 10:31 Uhr

Hallo Vincent,

deine Worte hören sich sehr verführerisch und niveauvoll an – du scheinst meinem ersten Eindruck zu entsprechen.

Allerdings habe auch ich meine Vorstellungen davon, wie ein Mann wirken soll. Finde ich ihn äußerlich nicht anziehend, entsteht bei mir kein Kribbeln. Leider sagt dein Profilbild nicht sehr viel aus. Es ist schwarz-weiß und verschwommen. Du zeigst nur ein durch eine große Sonnenbrille verdecktes Gesicht. Warum so wenig? Mein Wunsch nach einem baldigen Treffen wird von optischen Reizen maßgeblich beeinflusst. Reale Treffen haben nur Sinn, wenn mein Interesse auf mehr vorhanden ist. Ob es dann tatsächlich zu mehr kommt, steht natürlich auf einem anderen Blatt.

Ansonsten, lieber Vincent, gehe ich mit jeder deiner Ansichten d’accord.

Einen schönen Tag für dich.

Ly

Von: Vincent la Roche

Datum: 8. Juni, 12:44 Uhr

Liebe Ly,

vielen Dank für dein Kompliment. Die Worte »verführerisch« und »niveauvoll« treffen auch auf dich zu. Sowohl was deinen Profiltext angeht als auch deine Profilbilder. Sinnlich, romantisch, bereit, sich von der Aura von etwas Übermächtigem führen zu lassen.

Bevor du einen Mann triffst, wünschst du dir also ein Bild. Um dann entscheiden zu können, ob er ein Treffen wert ist? Oder um womöglich die Chance zu verpassen, dass er der Mann sein könnte, der dir zur Erfüllung deiner tiefsten Träume verhilft?

Deinen Wunsch, dass ein Treffen nicht mit einer optischen Enttäuschung endet, kann ich verstehen. Geht es dir darum, keine Zeit zu verlieren? Oder um eine bestimmte Attraktivität, die du brauchst, um dich sexuell öffnen zu können? Auf dem Profilbild siehst du mein Gesicht. Jedoch ist es stark verfremdet. Das ist Absicht. Es soll lediglich Interesse wecken, was mir offensichtlich gelungen ist. Meine Anonymität will ich bewahren.

Magst du mir diesen Mann beschreiben? Diesen einen Mann, der dich zu einem Treffen einladen darf? Wie sieht er aus, was hat er an? Ich höre dir zu. Bitte versteh meine Worte nicht als Versuch, dich zu überzeugen, sondern dich zu verstehen.

Ich freue mich auf deine Antwort.

Auch dir einen schönen Tag.

9. Juni

Von: White Rose

Datum: 9. Juni, 11:13 Uhr

Lieber Vincent,

die Art, wie du deine Worte wählst, so sexy und verführerisch – ich liebe es. Doch das hörst du sicher nicht zum ersten Mal von einer Frau.

Wie du richtig erkannt hast: Ich brauche die Attraktivität eines Mannes, um mich sexuell öffnen zu können. Ich kann ihn dir schlecht beschreiben, ich muss ihn sehen. Die Aura ist wichtig. Dunkles, dichtes Haar, eine moderne Frisur (nicht zu lang), grüne oder blaue Augen. Gepflegt und nicht zu schlank, aber etwas sportlich. Weiche Gesichtszüge. Die Kleidung elegant, Hemd und Stoffhose oder Anzug. Aber wie gesagt, das sind nur nüchterne Fakten.

Und im Gegenzug: Wie schaut deine Queen aus?

Liebste Grüße von Lydia

Von: Vincent la Roche

Datum: 9. Juni, 12:57 Uhr

Liebste Lydia,

auch ich brauche die Attraktivität einer Frau, um mich öffnen zu können. Auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole: Ein Bild, eine Momentaufnahme reicht hier nicht. Es geht um die Energie, die eine Frau ausstrahlt, um ihren Blick, ihr Lächeln. Um ihren Duft, ihre Stimme, die Art, wiesie etwas sagt. Um Offenheit sich selbst und mir gegenüber. Welche Haar- oder Augenfarbe sie hat, ist nicht so von Belang. Vielmehr geht es um ihre Figur. Ist sie schlank? Ist ihre Erscheinung gepflegt? Hat sie eine bestimmte Eleganz, gleichgültig, wann und wo man sich trifft? Und jetzt das Wichtigste: Weckt sie in mir das unbändige Gefühl, sie erobern und mit ihr spielen zu wollen?

Bislang habe ich mich mit zwei Frauen getroffen. In beiden Fällen wurde es ein Abenteuer, eine Affäre. Kontakt habe ich zu beiden schon länger nicht mehr. Angemeldet bin ich seit fünf Jahren. Meine Besuche hier halten sich eher in Grenzen. Zu mehr hat mich der Wortwechsel mit der einen oder anderen Dame nicht inspiriert. Daher genieße ich unseren Schriftwechsel sehr!

Nun bin ich gespannt: Wie steht es in dieser Hinsicht mit dir? Was mein Aussehen betrifft, traf dein Pfeil bei mir auf einer Zehner-Ringscheibe mal die Acht, mal die Neun, am häufigsten jedoch die Zehn.

Lieben Gruß

Vincent

Die Zehn, dachte Lydia. Ihr Herz schien ein klein wenig schneller zu schlagen. Sollte das tatsächlich so sein?

Von: White Rose

Datum: 9. Juni, 16:32 Uhr

Lieber Vincent,

Menschen besitzen eine gewisse Ausstrahlung, auch aufFotos. Nicht zu verwechseln mit dem Charisma in der Realität, das sich nicht auf einzelne Elemente reduzieren lässt.

Ich bin schon seit einigen Jahren hier, allerdings mit einer längeren Pause. In der ersten Phase traf ich mich mit zwei Männern. Zu einem davon pflegte ich vor kurzem noch Kontakt, aber nicht erotisch. In meiner zweiten Phase habe ich mich mit dem dritten Mann getroffen, aber das Date war enttäuschend. Es blieb bei einem Essen. Wenn du mich jetzt fragst, woran es lag? An fehlendem Charisma! Sein Foto war eigentlich okay.

Hast du nun ein Foto für mich? Ein echtes Foto, das nicht verfälscht ist und nicht schwarz-weiß? Von deinem ganzen Körper. In deiner Lieblingskleidung. Ohne Sonnenbrille, mit einem Lächeln. Sodass ich ebenfalls deine Figur betrachten kann. Immerhin siehst du auf meinem Profil erheblich mehr von mir. Du siehst meinen Körper. Und – meine Bilder sind echt!

Übrigens, lieber Vincent, was waren die Auslöser, dass ich zwischenzeitlich auch mal die Acht oder die Neun getroffen habe?

Liebste Grüße

Ly

Von: Vincent la Roche

Datum: 9. Juni, 21:37 Uhr

Guten Abend, liebe Ly,

du bringst mich zum Schmunzeln. Das Foto war okay, die Begegnung und das Charisma aber nicht?

Jetzt, liebe Ly, lache ich!

So ist das Gefühl, von seinen eigenen Waffen geschlagen zu werden. Seit Jahren Mitglied und erst drei Männergetroffen? Du favorisierst anscheinend genau wie ich Klasse statt Masse.

Was die Acht bis Zehn betrifft … dunkle Haare: eine Acht. Es sei denn, du zählst dunkelblond zu dunkel. Dann wäre meine Haarfarbe womöglich eine Zehn. Dichtes Haar ist ebenfalls relativ, doch würde ich mein Haar eher als fein beschreiben, also eine Acht. Moderne Frisur: Zehn. Klassisch elegant, meine Frisur passt eher zum Anzug als zum Rockabilly-Style. Grüne oder blaue Augen: Zehn. Meine Augen sind grau-blau bis strahlend blau, je nach Kleidung und Wetterlage. Gepflegt? Das ist für mich eine Frage des Anstands und Respekts, eine Zehn also. Nicht zu schlank – für die eine Frau mag ich eher sehr schlank sein, für die andere genau richtig gebaut, du kannst mir eine Neun geben. Dick bin ich jedenfalls nicht. Etwas sportlich wäre schön: Ich liebe Ausdauersport wie Joggen, Radfahren oder Schwimmen. Für eine Zehn müsste ich morgen wohl mit dem Training für Triathlon anfangen, aber eine Neun ist es allemal. Weiche Gesichtszüge: Zehn. Dadurch schätzt mich meine Umgebung übrigens regelmäßig deutlich jünger als Ende dreißig ein. Elegante Kleidung: von sportlich bis klassisch, eine Zehn.

Liebe Ly, ein reales Foto kann und werde ich dir nicht schicken. Nicht, weil ich unattraktiv bin, sondern weil ich mit meiner Identität vorsichtig umgehen will. Ich bitte vielmals um dein Verständnis. Sollte für dich aus diesem Grund kein Kennenlernen in Frage kommen, habe ich dafür Verständnis.

Der noch immer schmunzelnde Vincent

10. Juni

Von: White Rose

Datum: 10. Juni, 17:31 Uhr

Lieber Vincent,

du musst mit deiner Identität vorsichtig umgehen? Und was passiert, wenn wir uns treffen, ich mit meinem Handy ein Paparazzi-Foto mache und es als Fahndungsfoto missbrauche? Demnach ist Vincent auch nicht dein richtiger Name? Und ich würde mich nicht als »geschlagen mit den eigenen Waffen« betrachten. Ein Bild ist und bleibt eine Basis. Auch Rembrandt nutzte Skizzen für seine Werke. Wenn sie ihm nach anfänglicher Euphorie und intensiver Betrachtung dann doch nicht gefielen, verwarf er sie und begann erneut.

Hast du südländische Wurzeln? Wie stellst du dir eigentlich so ein Blind Date vor?

Liebe Grüße

Lydia

Von: Vincent la Roche

Datum: 10. Juni, 20:41 Uhr

Liebste Lydia,

war mein Lächeln tagsüber versiegt, so glänzt es mit dem Lesen deiner Nachricht wieder wie neu! Wenn du von mir ein Paparazzi-Foto machst, bin ich vermutlich das hochrangige Mitglied eines italienischen Mafiaclans, mit dem nicht zu spaßen ist. Dann aber würde ich es ohnehin mitbekommen und dich danach in eine versteckte Ecke ziehen, um dich einer gründlichen Leibesvisitation zu unterziehen. Je nachdem, wiedu dich dabei verhältst, wäre es schließlich um dich geschehen, so oder so.

Ich muss mit meiner Identität nicht vorsichtig umgehen, ich will. Mir liegt absolut nichts daran, Bilder von mir im Internet zu verteilen. Es mag für den einen oder anderen amüsant oder erregend sein, die Fotos hier zu betrachten, doch ist es das für die Darstellenden auch? Im Internet meine intimsten Vorstellungen schriftlich zu offenbaren, ist das eine. Etwas anderes ist es, wenn ich dazu mein Aussehen präsentiere. Dann fehlen eigentlich nur noch Name und Anschrift. Und so ist mein Name eben nicht Vincent. Aber keine Angst, auch nicht Luigi oder Antonio. Südländischer Abstammung bin ich nicht.

Sicher, deine Strategie erst Foto, dann Treffen, ist eine Basis. Hoffentlich mit dem Gewinn der Erkenntnis, dass man Menschen nie grundlos kennenlernt. Auch wenn es dann bei einem Dinner oder Drink bleibt – irgendetwas hat dieser Mensch schon mit dir zu tun, sonst wärst du ihm nicht begegnet.

Wie ich mir ein Blind Date vorstelle? Erst möchte ich von dir dazu das Ja.

Freue mich auf deine nächsten Worte.

Vincent

Lydia dachte über seine Zeilen nach. Es ärgerte sie, dass er nicht einlenkte. Sie war es gewohnt, dass die Männer irgendwann nachgaben, um sie kennenzulernen. Er lockte Frauen mit einem verfremdeten Foto auf sein Profil und dann schrieb er auch noch unter falschem Namen. Sie hielt ihn langsam aber sicher für einen Spinner. Einen unattraktiven Mann, der sich nur interessant machen wollte. Lydia hieltnichts von Blind Dates und ausgerechnet dieser Typ wollte sie dazu überreden?

Von: White Rose

Datum: 10. Juni, 21:32 Uhr

Lieber Unbekannter,

dieser Vincent, er existiert offensichtlich nicht. Unter diesen Voraussetzungen möchtest du von mir ein Ja für ein Blind Date? Falscher Name, ein verzerrtes Gesicht. Ein verfälschtes Profilfoto, das kaum etwas von dir zeigt und nur als Lockmittel dient? Mein Ja musst du dir verdienen. Du musst mich verführen, mein Interesse wecken, diesen Mann ohne Gesicht und ohne Namen kennenzulernen. Ist dein Profil sonst korrekt? Oder gibt es auch da die eine oder andere Verschleierung?

Also: Wie stellst du dir unser Blind Date vor?

Liebste Grüße

Ly

Von: Vincent la Roche

Datum: 10. Juni, 22:04 Uhr

Liebste Ly,

keine meiner Begegnungen hat sich bisher so vor einem Treffen gescheut wie du. Schließlich geht es um einen Menschen, nicht um einen Bildschirm oder ein Foto. Das ist kein Vorwurf, sondern eine Erfahrung. Dass Vincent ein Pseudonym ist, liegt auf der Hand. Spätestens beim ersten Treffen hätte ich dir meinen richtigen Namen verraten. Übrigens hättest du mich einfach nach ihm fragen können – ich hätte ihn dir gern genannt. Dein Name ist alsotatsächlich Lydia. Der Fairness halber findest du meinen am Ende dieser Nachricht.

Im Moment weißt du genauso wenig über mich wie ich über dich. Mein Profil ist ehrlich. So ehrlich, wie es ein Profil sein kann.

Eine Antwort muss ich mir verdienen? Meinst du das ernst? Nein, liebste Ly. Ich muss mir gar nichts verdienen. Entweder ein Mensch entwickelt die Lust und Neugier, mich kennenzulernen oder nicht. Ich möchte mit dieser Aussage nicht arrogant wirken – ich bin nur genauso offen, direkt und ehrlich wie du.

Es hat mich gefreut, dich kennengelernt zu haben. Schade Ly, ich glaube, wir haben uns beide um eine großartige Begegnung gebracht.

Alles Gute!

Ben

Als sie seine Worte las, war Lydia entsetzt. Was bildete dieser Typ sich eigentlich ein? Statt sich Mühe zu geben und um sie zu werben, trat er ihr so entgegen? Was für ein arroganter … Ihr fehlten die Worte! Und dann erteilte er ihr auch noch eine Abfuhr!

Lydia war hin- und hergerissen. Denn war es andererseits nicht genau das, wovon sie immer geträumt hatte? Ein intelligenter Mann, der genau wusste, was er wollte und sich nichts vorschreiben ließ?

Entweder ein Mensch entwickelt die Lust und Neugier, mich kennenzulernen oder nicht. Beschrieben diese Worte nicht genau das Prinzip, dem sie selbst folgte? Sie, Lydia, stand im Mittelpunkt – souverän allen Menschen und Situationen gegenüber.

Lydia spürte, dass sich etwas entwickelte. Und obwohl sie seine Art aufregte und ärgerte, wollte sie keineswegs, dass es zu Ende war. Hatte sie ihn endlich gefunden, den Mann auf Augenhöhe? Nun, intellektuell auf jeden Fall. Aber was war mit dem Rest? Sie hoffte, es noch herauszufinden.

11. Juni

Von: White Rose

Datum: 11. Juni, 20:42 Uhr

Liebster Ben,

verzeih mir. Ich war so naiv anzunehmen, dass Vincent dein richtiger Name ist. Woher soll ich wissen, dass du zuerst ein Pseudonym nutzt, um mir dann doch deinen richtigen Namen zu nennen? Es mag sein, dass du andere Frauen mit deiner Wortgewalt schnell überzeugen kannst, aber ich bin nicht wie andere. Ich bin speziell. Und ist speziell nicht eine Herausforderung?

Meine Antwort auf deine Frage nach einem Blind Date war kein endgültiges Nein. Ich wollte nur wissen, wie du es dir vorstellst, bevor ich zustimme. Ich selbst hatte einige interessante Fantasien …

Ich danke dir, dass du sagst, wir haben uns beide um eine interessante Begegnung gebracht. Und dass du nicht mich allein für diesen Fehler verantwortlich machst.

Liebste Grüße

Lydia

Nun wartete sie. Doch es kam keine Antwort. Um neun Uhr schaltete sie den Computer aus und versuchte sich abzulenken, doch gegen Mitternacht fuhr sie ihn wieder hoch, schaute noch einmal in ihr Postfach. Viele neue Anfragen, doch keine Nachricht von ihm. Merkwürdig. Normalerweise antwortete er um diese Uhrzeit. Hatte er das Interesse verloren? Mit einer schlechten Vorahnung ging Lydia nervös ins Bett.

12. Juni

Am nächsten Vormittag zwang sie sich zunächst, den Rechner zu ignorieren, doch irgendwann ertrug sie es nicht mehr und sah nach – keine Antwort. Gegen Mittag – keine Antwort. Am frühen Nachmittag – nichts. Hatte sie ihn verschreckt mit ihrer dominanten, fordernden Art? Lydia fühlte sich immer unbehaglicher. Hatte sie die Chance ihres Lebens verpasst? Sie unternahm einen letzten Versuch. Sie wollte nicht einfach aufgeben.

Von: White Rose

Datum: 12. Juni, 14:14 Uhr

Und – war es nun das finale Ende?

Lydia blieb in der Community angemeldet, prüfte jede halbe Stunde ihre Nachrichten – und wurde immer unruhiger. Bens Reaktion blieb aus. Eine eigenartige Mischung aus Bedauern und tiefer Traurigkeit erfasste sie. War es der endgültige Abschied? Fast war es, als hätte sie einen wichtigen Menschen verloren, einen Angehörigen. Doch das war absurd. Sie kannte diesen Mann nicht einmal. Die Zeit schien stillzustehen. Sogar das Ticken der Uhr hatte sich verlangsamt. Lydia saß da wie gelähmt.

Plötzlich, mehr als zwei Stunden waren vergangen, blinkte ein kleines Symbol auf dem Bildschirm. Endlich! Lydia erschauderte vor Glück. Ihr Herz begann zu rasen und sie spürte, wie eine unendliche Erleichterung sie erfasste.

Von: Vincent la Roche

Datum: 12. Juni, 16:22 Uhr

Liebste Ly,

jeder Mensch folgt seiner inneren Uhr. Auch beim Kennenlernen. Und so ist es kein Fehler, sondern nur Ehrlichkeit dir selbst und mir gegenüber. Ich respektiere das. Mehr noch, in meinen Augen macht dich das sympathisch und noch attraktiver. Und was das »beide« angeht: Wenn zwei sich streiten, sind immer auch beide dafür verantwortlich. So viel dazu.

Speziell zu sein, stellt in der Tat eine Herausforderung dar. Es ist interessant und durchaus in meinem Sinn. Doch nicht nur du bist speziell. Ich bin es auch. Speziell zu sein bedeutet, sich der Gefahr bewusst zu werden, dass man sich dadurch schneller missverstehen, bisweilen sogar verletzen kann. Gegenseitiger Respekt, Achtung und Aufmerksamkeit, das ist es, was es braucht, wenn man vorhat, sich auf das Spielfeld zu begeben, das vor uns liegt.

Wie ich mir unser Blind Date vorstelle? Zunächst mit Luft und Abstand zwischen uns. Vielleicht in einem Café oder an einem See. Mit Momenten der Stille, um das, was man gehört hat, nachwirken zu lassen und den anderen anschauen zu können. Mit der Option auf ein weiteres Erlebnis am gleichen Tag, etwa den Besuch einer Galerie, um sich weiter zu hören und detaillierter zu betrachten. Ein Blind Date, bei dem man damit beginnt, den eigenen Fantasien zu folgen. Und wo man aufpassen muss, dass sie einem - man trifft sich ja zum ersten Mal - keinen Streich spielen. Bei dem ich dich ab und an, wie es die Situation zulässt, am Arm, an der Schulter oder an der Taille berühre, wie zufällig. Einfach um herauszufinden, wie es sich anfühlt, dir ganz nah zu sein. Ly, ich will dich sehr gern kennenlernen. Ich will deine Nähe spüren. Die Frage ist jetzt nur noch: Wann?

Ben

Von: White Rose

Datum: 12. Juni, 16:50 Uhr

Verführung ist etwas, was du zumindest verbal gut beherrschst. Und wie du meinem Profil gewiss entnommen hast, triffst du damit eine meiner Vorlieben. Nur eine Bitte, Ben: Lass uns das Spielfeld BDSM behutsam angehen. Ich möchte mich noch nicht unter diesem Aspekt mit dir treffen. Das Thema benötigt viel Vertrauen und Hingabe. Und Zuneigung. Es muss wachsen. Wenn wir uns kennenlernen und tatsächlich mehr daraus entsteht, lass uns Leidenschaft erleben: Küsse, Zärtlichkeit, Gänsehaut. Ich verzehre mich danach. Ich habe gelesen, du magst Cunnilingus. Genieße es wie ein Dessert, das du liebst, langsam und voller Hingabe, nicht schnell und heftig. Es sei denn, du hörst es aus meinem Mund.

Wann wir uns sehen … Vielleicht nächste Woche Samstagabend in deiner Heimatstadt? Ich bin dienstlich dort. Das darauffolgende Wochenende kann ich leider noch nicht planen. Oder am Freitag, den 1. Juli, bei mir in Oldenburg? Ich kenne ein gutes Restaurant. Am Samstag muss ich weiterfahren nach Kiel. Das sind noch fast drei Wochen …

Für mich wird es eine ganz neue Erfahrung, lieber Ben. Ich bin noch immer unsicher. Aber auch fasziniert.

Liebste Grüße

Ly

Von: Vincent la Roche

Datum: 12. Juni, 17:35 Uhr

Liebste Ly,

keine Angst, ich werde behutsam auf dich zugehen. Für das Küssen braucht es ein gewisses Gefühl. Wir beide spüren, wenn es so weit ist. Was Cunnilingus betrifft, mag ich es nicht nur, sondern liebe es geradezu! Sollte mehr zwischen uns entstehen, wird es das ein oder andere Mal vorkommen, dass ich dich darum bitte oder von dir verlange, die Beine zu spreizen, damit ich deine Lust schmecken kann. Das Wort Genuss beschreibt es genau.

Ich favorisiere nächsten Samstagabend. Ich wäre auch gern nach Oldenburg gekommen, doch bin ich am 1. Juli in der Schweiz. Mein Bedürfnis, dich zu erobern, wächst!

Ben

Gänsehaut überzog Lydias Körper.Hoffnungsvoll fieberte sie dem ersten Date entgegen. Das Verlangen ihn zu berühren, wuchs mit jeder Nachricht. Sie hatte das Gefühl, sich Ben hingeben zu können. Obwohl sie noch nicht einmal sein wahres Gesicht kannte. Und auch nicht seine Stimme.

Von: White Rose

Datum: 12. Juni, 17:45 Uhr

Ich liebe den Gedanken, dass du meine Lust schmecken willst, Ben. Schon fast etwas zu sehr im Moment. Sehnsucht …

Von: Vincent la Roche

Datum: 12. Juni, 17:51 Uhr

Sehnsucht … nach einer weichen Zunge, die behutsam, unaufhaltsam immer tiefer und tiefer durch deine Nässe schwimmt.

Von: White Rose

Datum: 12. Juni, 17:55 Uhr

Mmh – ich kann es mir vorstellen. Mehr noch, ich kann es fühlen …

Was führt dich eigentlich in die Schweiz?

Von: Vincent la Roche

Datum: 12. Juni, 18:01 Uhr

Ich besuche dort einen Freund. Er ist vor einigen Jahren in die Schweiz gezogen. Da ich Ende Juni für ein paar Tage in Freiburg im Schwarzwald bin, bietet sich das an.

Bist du feucht?

Von: White Rose

Datum: 12. Juni, 18:13 Uhr

Eine Lady genießt und schweigt.

Von: Vincent la Roche

Datum: 12. Juni, 18:18 Uhr

Genieße es.

Von: White Rose

Datum: 12. Juni, 18:33 Uhr

Es gibt eine Fantasie, die mich beflügelt … Du bestellst mich in ein Hotelzimmer. Ich betrete es und stehe mit dem Rücken zur Tür vor einem Tisch, mit dem Blick aus dem Fenster. Ich warte und irgendwann höre ich Schritte – deine Schritte. Du schließt die Tür hinter uns. Ich höre dich näherkommen. Du verbindest mir die Augen. Ich spüre deinen Atem und deine Zunge auf meinem Hals, meinem Nacken. Du öffnest mein Kleid und jetzt fühle ich dich auch auf meinen Schultern. Du drehst mich um und küsst mich leidenschaftlich. Deine Finger wandern über meinen Körper, zwischen meine Schenkel. Ich setze mich auf den Tisch. Du spreizt meine Beine, weit, ganz weit. Und dann … dann nimmstdu mir die Augenbinde ab und wir küssen uns erneut. Und danach gehen wir essen.

Von: Vincent la Roche

Datum: 12. Juni, 18:55 Uhr

Wie schön du sie beschreibst, diese Vorahnung. Gerade weil du mich noch nicht kennst, übt sie einen großen Reiz auf mich aus. Mir scheint, du würdest bereits jetzt eine Augenbinde tragen. Als hätte ich sie dir bereits angelegt. Schwarz, aus Seide und lang wie ein Schal. Folge deinen Fantasien. Gib ihnen noch mehr Raum. Du wirst sehen, dieses Gefühl wird nie wieder aufhören.

Lydia fühlte sich schon jetzt wie gefangen in einem Sinnesrausch. Jedes seiner Worte brannte sich in ihren Geist, tief und gierig. Ihre Gedanken drehten sich nur noch um einen Menschen: Ben. Ein Mann, von dem sie nicht einmal wusste, ob er ihr überhaupt gefiel. Von dem sie nur eine Vorstellung hatte. Eine verführerische Vorstellung. Aber genügte das?

Von: White Rose

Datum: 12. Juni, 19:47 Uhr

Dass es dich so gar nicht interessiert, wie mein Gesicht aussieht … Was, wenn ich überhaupt nicht dein Typ bin?

Von: Vincent la Roche

Datum: 12. Juni, 20:13 Uhr

Es interessiert mich sehr, wie du aussiehst. Es wäre aber nicht fair, ein Bild von dir zu verlangen, wenn ich michselbst so dagegen wehre, ein reales Foto preiszugeben. Doch durch die beiden Profilbilder deines Körpers habe ich zumindest eine Idee, wohin die Reise geht. Das, was ich bislang von dir erfahren habe, genügt mir, um zu wissen, dass ich dich kennenlernen will. Alles Weitere werden wir sehen.

Seine Stimme, sie wollte seine Stimme hören. Hoffentlich war sie so sinnlich und empathisch wie seine Worte!

Von: White Rose

Datum: 12. Juni, 20:19 Uhr

Gestattest du ein Telefonat vor dem Treffen? Oder ist deine Stimme auch ein Geheimnis?

Von: Vincent la Roche

Datum: 12. Juni, 20:21 Uhr

Wir können vor dem Treffen telefonieren. Der Gedanke kam mir auch schon. Wann würde es dir passen?

Von: White Rose

Datum: 12. Juni, 20:26 Uhr

Vielleicht am Freitag? Ich habe abends eventuell noch einen Termin. Wenn er zu lange dauert, sage ich dir Bescheid. Gibst du mir deine Telefonnummer?

Im nächsten Moment hatte Ben ihr seine Nummer geschickt.

Lydia schloss den Account und wandte sich ihrem Handy zu. Sie atmete auf. Endlich wurde es persönlicher. Über das Smartphone würde alles schneller gehen, in Echtzeit. Geduld war noch nie ihre Stärke gewesen. Schon gar nicht, wenn es um erotische Bekanntschaften und Fantasien ging.

Lydia, 22:48 Uhr

Ich liege hier auf der Couch mit einem Glas Wein in der Hand und muss an dich denken.

Ben, 23:23 Uhr

Welche Gedanken gehen dir durch den Kopf?

Lydia, 23:27 Uhr

Ich bin etwas nervös …

Ben, 23:29 Uhr

… und aufgeregt?

Lydia, 23:30 Uhr

Ja. Du machst es ständig. Für mich ist es neu.

Ben, 23:32 Uhr

Was mache ich ständig und was ist für dich neu? Blind Dates?

Lydia, 23:33 Uhr

Kluges Köpfchen.

Ben, 23:35 Uhr

Angenommen, es geht nur um die Frage, ob wir uns gefallen oder nicht. An sich doch ein schönes Gefühl, dieser Nervenkitzel.

Lydia, 23:38 Uhr

Ich bin ein Mensch, der ungern Risiken eingeht. Und ich hasse Enttäuschungen. Ich gebe zu, ich habe hohe Erwartungen. Es wäre fantastisch, wenn sie erfüllt würden. Wenn nicht, wäre es ein Desaster.

Ben, 23:50 Uhr

Frei von Erwartungen ist niemand – zum Glück. Versuche einfach, darauf zu vertrauen, dass das Leben es gut mit dir meint. Wenn aus uns etwas wird, ist es gut. Wenn nicht, auch. Bislang habe ich jeden Menschen in meinem Leben als eine Bereicherung erlebt.

14. Juni

Es war Dienstag. Lydia stand unter Stress. Seit Sonntagabend hatte sie Ben nicht mehr geschrieben. Ihre Arbeit forderte sie und ihr Nebenjob verlangte ebenfalls ihre ganze Aufmerksamkeit. Aber noch mehr beschäftigte Lydia die Frage, wie lange Ben warten würde, bis er sich wieder bei ihr meldete.

Sie verbrachte den Abend allein auf der Couch und dachte an Florian. An den goldenen Käfig, in dem sie lebte. An seine Kälte. An seiner Seite fühlte sie sich nicht wie eine Frau, sondern wie eine Haushälterin. Es gab keine Gleichberechtigung zwischen ihnen. Er schlief nie mit ihr. Sie fühlte sich nicht geliebt, nicht begehrt. Florian trieb Lydia förmlich in die Arme eines anderen, auch wenn er sich das vermutlich nicht vorstellen konnte. Für ihn war eine Partnerschaft in Ordnung, solange alles so lief, wie er es wollte. Lydias Sehnsüchte und Wünsche waren ihm gleichgültig. War sie wirklich schon so frustriert, dass sie sich freiwillig auf ein Blind Date einließ? Eine Nachricht riss sie aus dem kurzen Augenblick des Zweifels.

Ben, 21:07 Uhr

Liebste Ly, wie ist es dir seit Sonntag ergangen? Stress, Freude, Erregung, irgendetwas davon dabei gewesen?

Sie antwortete ihm nicht gleich. Mittwochvormittag musste genügen. Wenigstens eine Nacht sollte er noch auf sie warten.

15. Juni

Lydia, 07:27 Uhr

Guten Morgen. Ja, sehr viel Stress. Und Freude. Vorfreude auf unser Date. Ich habe viel zu tun, momentan. Und bei dir?

Ben, 08:51 Uhr

Dir auch einen schönen Morgen. Stress habe ich ebenso zur Genüge. Ich wünsche dir heute einen etwas weniger anstrengenden Tag.

Lydia, 10:50 Uhr

Ich danke dir.

Ich habe eine Bitte: Kennst du ein schönes Restaurant und würdest du dich darum kümmern? Ich habe am Wochenende einen straffen Zeitplan. Aber das ist immer so, wenn ich in Hamburg bin. Ich hoffe, du bist nicht enttäuscht, falls ich nicht in erotischer Laune bin.

Ben, 11:46 Uhr

Dann treffen wir uns in einem spanischen Restaurant. Ich teile dir noch die Adresse mit. Keine Sorge, das wird ein entspanntes Date, kein Wettstreit im Apnoe-Tauchen. Und – ich habe keine erotischen Erwartungen.

Ich freue mich schon sehr auf dich.

Lydia, 15:34 Uhr

Danke, dass du dich um einen Tisch bemühst.

Du lernst mich am Samstag ohne glamouröses Make-up kennen. Dann siehst du wenigstens gleich die ungeschminkte Wahrheit.

Ich arbeite in einer Branche, wo ich immer geschminkt sein muss. Das ist anstrengend und deshalb ziehe ich es privat anders vor.

Ben, 16:19 Uhr

Nicht zu viel über dich verraten. Sonst drehen wir Samstagabend nur Däumchen.

Macht Make-up dich denn attraktiver?

Lydia, 16:39 Uhr

Make-up kann jeden Menschen attraktiver machen. Deshalb benutzt man sie ja, die Maske.

Ben, 16:51 Uhr

Das war zwar keine Antwort auf meine Frage – aber gut … wie du meinst.

Lydia war irritiert. In ihren Augen hatte sie seine Frage angemessen beantwortet. Schien er auf die optische Täuschung, namens Make-up Wert zu legen? Darauf, dass sie Makel versteckte und ihre Vorzüge betonte, nur um auf ihn attraktiver zu wirken? Da war es endlich, das von Lydia vermisste Interesse an Oberflächlichkeiten. Es hätte sie auch sehr gewundert, wenn Ben eine Ausnahme gewesen wäre. Irgendwie hatte seine letzte Nachricht den Zauber gestört. Lydia spürte nicht mehr den Drang, ihm noch heute zu antworten.

16. Juni

Die Nacht war kurz. Lydia konnte nicht schlafen. Die Gedanken kreisten in ihrem Kopf. Das düstere Wetter am Vormittag weckte in Lydia Melancholie und Sehnsucht. Heute Abend würde sie mit dem Zug nach Hamburg fahren.

Morgen früh wartete ein wichtiges Casting auf sie und die Planung für den weiteren Tag war noch ungewiss. Sie wollte nicht mehr länger auf das Treffen warten.

Lydia, 10:46 Uhr

Wie schaut es morgen Abend bei dir aus zwecks Date? Einen Tag früher?

Ben, 12:56 Uhr

Wir können uns gern auch schon morgen treffen. Ort bleibt?

Lydia, 14:52 Uhr

Ja. Sehr gut! Um zwanzig Uhr im Restaurant? Falls ich früher kann, melde ich mich. Ich bin so neugierig.

Am Samstag erwartete sie nachmittags ein Fotoshooting und es war fraglich, wann es zu Ende sein würde. Sie wollte ihn unbedingt sehen und sicher sein, dass diesem Date nichts im Wege stand. Und selbstverständlich wollte Lydia mehr von Ben als nur dieses Abendessen. Dass sie sich mit Worten und Gesten plötzlich nicht mehr verstehen würden, wenn sie einander gegenübersäßen, erschien ihr unmöglich.

Ben, 17:39 Uhr

Ich auch. Vielleicht bekommen wir vor Schreck oder vor Freude keinen Bissen runter. Bei deinem engen Zeitplan wird es doch hoffentlich kein Speeddating, oder?

Lydia, 17:46 Uhr

Nein, ich denke nicht.

Wollen wir später noch telefonieren? Ich bin gerade in Hamburg angekommen und fahre jetzt ins Hotel.

Ben, 18:28 Uhr

Gern. Zwanzig Uhr? Ich rufe dich an.

Lydia war nervös. Nicht mehr lange und sie würde zum ersten Mal seine Stimme hören. Ihre Gedanken rasten, ihr Herz klopfte. Würde er sie auch mit seiner Sprache faszinieren? Würde sie weiter diese unglaubliche Spannung spüren, diese Energie?

Bens Name erschien auf dem Display. Lydia holte tief Luft und nahm den Anruf entgegen.

»Hallo Ly. Ich freue mich sehr, dass wir telefonieren.« Ben hauchte diese Worte leise und zärtlich in das Telefon. Sie wirkten wie eine heilsame Medizin. Lydia fühlte sich sofort geborgen. Angekommen. Zweifel und Aufregung verflogen in Sekunden. Seine beruhigende Stimme war nicht zu tief und nicht zu hell, weich und warm. Sie versprach mehr, viel mehr. Sie versprach Genuss und Vertrauen. Attraktivität und Ästhetik. Alles, jeder Satz, war so selbstverständlich, als würde Ben sie schon ewig kennen. Sie erzählte ihm von ihrer Arbeit als Assistentin der Geschäftsführung eines Oldenburger Unternehmens. Und davon, dass sie außerdem modelte und morgen ein Casting geplant war. Die beiden lachten und unterhielten sich ungezwungen und natürlich. Es war wunderbar.

Als Lydia das Gespräch beendet hatte, schlug ihr Herz und sie lächelte. Euphorie durchströmte sie. Bis morgen Abend zu warten, erschien ihr unmöglich.

Ben, 20:54 Uhr

Deine Stimme wirkt frisch und jung. Und auch ein wenig frech.

Lydia, 20:56 Uhr

Danke. Das kann ich nur zurückgeben.

Ben, 20:59 Uhr

Dann sind wir beide also eine Runde weiter.

Lydia, 21:25 Uhr

Schauen wir mal, ob es dich morgen noch zwischen meine Beine zieht …

Lydia konnte nicht widerstehen. Sie suchte ein Foto heraus, dass ihre schlanken, wohlgeformten Beine zeigte und schickte es ihm.

Ben, 21:34 Uhr

Meine Hände beginnen bereits, sie zu berühren.

Lydia, 21:50 Uhr

Wenn ich mir vorstelle, wie du die ganze Zeit nur daran denkst – und nicht darfst.

Aber selbst, wenn du könntest, würde ich es dir vielleicht verbieten. Nur aus Vergnügen daran, wie du dich vor Lust verzehrst … Ich gehe jetzt ins Bad.

Ben, 22:04 Uhr

Bist du sicher, dass du nicht mehr Dominanz in dir trägst, als du mir gegenüber zugeben willst?

Lydia, 22:24 Uhr

Ich bin sicher beides. Es ist der Reiz … aber auch der Mann, der darüber entscheidet, welches meiner zwei Gesichter ich zeige. Ich denke nie darüber nach, einem Menschen gegenüber irgendetwas zugeben zu wollen oder nicht. Ich bin, wie ich bin. Man liebt mich oder man hasst mich.

Lydia kuschelte sich in ihre Decke. Sie streichelte ihre nackte Brust und spürte, wie sich ihre Knospen von den zarten Berührungen aufrichteten. Sie wurde feucht bei dem Gedanken daran, was Ben jetzt mit ihr machen würde. Sie konnte nicht einschlafen.

Lydia, 23:08 Uhr

Willst du nicht zu mir kommen? Es ist halb dunkel in diesem Zimmer. Ich würde dich kaum erkennen.

Ben, 23:19 Uhr

Ein verführerischer Gedanke.

Lydia, 23:25 Uhr

So verführerisch, dass ich meine Beine gespreizt habe …

Ich schnurre gerade wie eine Katze. Ich überlege, dich anzurufen …

Ben, 23:31 Uhr

Ich bin erstaunt. Laut deinem Profil ist doch Telefonsex nicht so dein Ding?

Lydia, 23:35 Uhr

Kommt auf die Stimmung an und den Mann. Und ich mag deine Stimme.

Ben, 23:41 Uhr

Dann besorge ich es dir am Telefon. Ich liebe das. Doch jetzt wird geschlafen.

Das war nicht sein Ernst! Entsetzt darüber, dass er sie erregt und feucht allein zurücklassen wollte, wählte Lydia ohne zu überlegen seine Nummer. Das Telefon klingelte ein paar Mal. Eine unendlich lange Zeit. Dann plötzlich seine Stimme. Warm, weich und doch bestimmt. Ben beherrschte es unfassbar gut, sie mit Worten um den Verstand bringen. Wie würde es erst sein, wenn sie ihm gegenüberstand?

Mit einem Bauchkribbeln schlief Lydia erst am frühen Morgen ein. Gleichzeitig jedoch war auch ihre Angst gewachsen. Was, wenn heute Abend ihr wunderbares Kartenhaus bei seinem Anblick zusammenfiel? Was, wenn sie gar nicht sein Typ war? Eine größere Enttäuschung konnte sie sich nicht vorstellen. Noch nie hatte sie eine so starke Nervosität vor einem Date gespürt.

17. Juni

Ganze drei Stunden Schlaf waren ihr vergönnt, aber durch ein wenig Make-up konnte man ihren desolaten Zustand zum Glück nur ahnen. Das Casting lief gut, ihre Laune war ausgezeichnet und sie konnte sich endlich auf den wichtigsten Teil des Tags konzentrieren – das Date.

Der Nachmittag verging wie im Flug. Sie trat vor den Spiegel. Durch das dezente Tages-Make-up wirkte sie fast unscheinbar. Das Etuikleid, das sie trug, war klassisch grau, bewusst nichts Außergewöhnliches. Alles an ihr war so natürlich gehalten, als wäre sie zu einem weiteren Modelcasting statt zu einem Dinner eingeladen.

Ein Casting – irgendwie hatte dieses Date auch ein wenig davon. Zwei Menschen, die sich nicht kennen, suchen die Topbesetzung für einen wichtigen Teil ihres Lebens. Für so etwas wie eine feste Zusammenarbeit. Lydia musste schmunzeln. Normalerweise würde sie für einen solchen Moment eine Maske auflegen, um sicherzugehen, dass kein Mann ihr widerstand. Doch in diesem Fall war es anders. Der Eignungstest, der diesem Treffen vorangegangen war, war so exzellent verlaufen, dass sie für Ben keine Kunstfigur darstellen wollte. Er sollte die wahre Lydia sehen, von Anfang an. Er sollte sich für die Frau entscheiden, nicht für das Model. Wenn er sie so, ganz ohne Glamour, haben wollte, dann war es echt. Und sie wünschte sich mit aller Macht, dass dieses Treffen echt wurde.

Um acht waren sie verabredet. Eine Dreiviertelstunde vorher sollte das Taxi vor der Tür stehen. Lydia wollte unbedingt vor ihm dort sein, wollte beobachten, wie er sie suchte. Sie wollte sehen, wie er aussah, bevor er sie erblickte. Sie hatte Ben am Telefon über ihren Zeitplan informiert: Sie zuerst und dann er.

Es war erst um sieben, als die Rezeption sie anrief. Das Taxi war zu früh eingetroffen. Natürlich war Lydia bereits fertig und saß schon ungeduldig auf dem Sessel. Sie nahm die Handtasche, schloss die Tür und fuhr mit dem Fahrstuhl hinunter. Unten stieg sie in das Auto, setzte sich auf den Rücksitz und nannte dem Fahrer die Adresse.

Zehn Minuten später betrat Lydia das spanische Restaurant. Es erstreckte sich über zwei Etagen und war edel eingerichtet. Sie wollte gerade die Treppe hinaufgehen, als ihr eine Bedienung entgegentrat.

»Entschuldigung, heute geschlossene Gesellschaft im oberen Bereich. Reservierungen wurden für den heutigen Tag nicht angenommen«, erklärte sie ihr, als Lydia nach der Tischreservierung fragte.

»In Ordnung, dann sehe ich mich unten nach einem Tisch für zwei Personen um«, erwiderte Lydia. Dass nur die unteren Räume geöffnet waren, kam ihr entgegen. So würde sie eine bessere Übersicht haben. Sie suchte einen Tisch abseits, sodass man etwas Privatsphäre genoss. Auf einer Seite standen Stühle und auf der anderen Seite, zur Wand hin, eine lange Bank. Lydia setze sich auf die Bank und lehnte sich zurück. Ja, perfekt. Sie hatte den ganzen Raum im Blick.

Ben, 19:23 Uhr

Bist du schon da? Ich treffe circa 20:15 Uhr ein.

Lydia, 19:25 Uhr

Hmmm – weiß nicht. Vielleicht?

Ben, 19:33 Uhr

Na, warte … wenn ich dich gefunden habe!

Lydia, 19:38 Uhr

Das wird dir leider nicht schwerfallen. Es sind wenige Gäste anwesend.

Lydia konnte sich nicht erinnern, wann sie zum letzten Mal ein solches Gefühlschaos gespürt hatte. Freude, Neugier und fast unerträgliche Erwartung wechselten sich ab mit Unsicherheit und Angst vor einer Ernüchterung.

Um sich etwas zu entspannen, bestellte sie Sekt. Unauffällig versuchte sie, jeden Mann zu begutachten, der das Restaurant betrat und ausnahmslos bei jedem dachte sie: Oh nein, bitte nicht! Ihre Gedanken drehten sich im Kreis. Wie sollte sie nur reagieren, wenn er nicht ihr Typ war? In solchen Situationen waren alle positiven Gefühle und Erwartungen bislang immer innerhalb von Sekunden verschwunden. Der erste Moment, wenn man sich in die Augen schaute und ein kurzer Scan der Erscheinung des Mannes, das genügte. Sich mit einer solchen Bekanntschaft dann noch zähe Minuten oder gar Stunden bei einem Essen zu befassen, erschien ihr wie Zeitverschwendung.

Lydia schaute auf ihre Uhr. Noch zehn Minuten. Zunehmend spürte sie die Sehnsucht, sich zu verstecken, sich in ihr Schneckenhaus zurückzuziehen. Nervös nahm sie ihr Handy in die Hand und versuchte sich abzulenken, indem sie belanglose Themen im Internet recherchierte.

Dann plötzlich eine Stimme, die ihr vertraut vorkam.

»Lydia?«

Ihr Herz stand still. Sie hob den Kopf. Ein Mann von großer Statur stand ein paar Schritte entfernt und schaute sie erwartungsvoll an. Lydia versank förmlich in dem Himmelblau seiner lebendigen Augen. Seine attraktive Ausstrahlung zog Lydia sofort in den Bann. Er wirkte wie einer der perfekt gestylten Männer aus den Hochglanz-Magazinen. Von einem Moment zum anderen herrschte hinter ihrer Stirn vollkommene Leere. Verzweifelt versuchte sie, ihre selbstsichere Fassade aufrechtzuerhalten, sodass sie wenigstens noch ein »Ben?« und »Guten Abend« hervorbringen konnte und strahlend lächelte.

Er kam langsam auf sie zu. Lydia atmete einen Hauch von Sandelholz und Moschus. Sie fühlte sich sofort von dem Duft angezogen. Nachdem er sein Handy und seine Geldbörse auf dem Tisch abgelegt hatte, ging er zur Garderobe. Ben hatte einen sehr eleganten, natürlich fließenden Gang. Er schaute immer leicht nach oben, nie nach unten. Seine Arme schwangen in der Bewegung mit und auch sein Oberkörper passte sich dem sanften Rhythmus an. Das Klackern harter Absätze zog ihren Blick auf seine feinen hellbraunen Lederschuhe, die mit dunkelblauen Schnürsenkeln gebunden waren. Als er sein marinefarbenes Sakko an den Haken hängte, spannte der feine weiße Stoff des Hemds an seinen breiten Schultern und den muskulösen Oberarmen. Die obersten Knöpfe waren offen, sodass sie die glatte Haut auf seiner Brust sah.

Während er sich setzte, glänzte das braune Metall der Gürtelschnalle kurz im Licht der Kerze und lenkte ihren Blick auf seine schmale Taille. Lydia konnte nur noch denken: Oh Gott, er ist tatsächlich mein Typ! Tatsächlich! Oh Gott! Was jetzt?

Sie war überwältigt vor Glück. Aber gleichzeitig war da noch ein anderes Empfinden. Etwas Undefinierbares, Einschüchterndes. Etwas, das ihr Angst machte. Sie konnte dieses Gefühl nicht einordnen. Das verunsicherte sie und gipfelte darin, dass sie es zunächst nicht schaffte, ihm längere Zeit in die Augen zu schauen. Peinlich! Lag es an seiner Ausstrahlung oder an der Art, wie er mit ihr sprach? So, dass sie sich in die Ecke gedrängt fühlte und ihn irgendwann fragte: »Sag mal Ben, bist du Psychiater? Du versuchst die ganze Zeit, mich zu analysieren. Glaube bitte nicht, dass ich das nicht merke!«