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Mit zunehmendem Alter sinkt nicht nur das körperliche Leistungsvermögen, sondern auch die kognitiven Fähigkeiten des Gehirns lassen nach. Viele Menschen sind der Meinung, dass dieses Thema erst die Generation 60+ betrifft und beschäftigen sich erst gar nicht damit. Umso besorgniserregender ist es, wenn bereits in jüngeren Jahren Symptome wie Gedächtnisprobleme, Konzentrationsstörungen, Gereiztheit und Gefühle der Überforderung auftreten, die auf eine Störung der funktionellen Abläufe im zentralen Nervensystem hinweisen. Doch müssen wir uns wirklich mit dem Unvermeidlichen abfinden und tatenlos zusehen, wie unser Gehirn nach und nach immer mehr Schwächen zeigt? Aus der Genforschung wissen wir, dass besonders unsere Gene MAO-A, COMT, MTHFR, BDNF und APOE einen großen Einfluss auf die Funktionsweise des Gehirns haben. Arbeiten sie nicht optimal, zum Beispiel zu langsam oder zu schnell, hat dies spürbare Folgen für unsere geistige und seelische Gesundheit. Die meisten Menschen haben in mindestens einem der genannten Trigger-Gene eine Abweichung von der Norm. Wer diese kennt und seinen Lebensstil danach ausrichtet, hat gute Chancen, bis ins hohe Alter geistig fit und klar im Kopf zu bleiben. Wir haben es also selbst in der Hand! Das gilt auch für das sogenannte "Alzheimer-Gen" APOE4, das viele Menschen in sich tragen. Die Heilpraktiker Kyra und Sascha Kauffmann erläutern die Aufgaben und die Bedeutung der einzelnen Trigger-Gene und geben wissenschaftlich fundierte Empfehlungen, wie wir das eigene Nervensystem genetisch korrekt unterstützen können.
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Seitenzahl: 171
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VAK Verlags GmbH Kirchzarten bei Freiburg
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VAK Verlags GmbH Eschbachstr. 5 79199 Kirchzarten Deutschland www.vakverlag.de
© VAK Verlags GmbH, Kirchzarten bei Freiburg 2022 Lektorat und Korrektorat: Gina Janosch, Freiburg Produktion: Schmieder Media GmbH Umschlagdesign: Kathrin Steigerwald Layout: Richard Kiefer Satz: de·te·pe, AalenDruck: mediaprint solutions GmbH, PaderbornPrinted in GermanyISBN 978-3-86731-248-6 (Paperback)ISBN 978-3-95484-442-5 (ePub)ISBN 978-3-95484-443-2 (PDF)
Warum dieses Buch?
Genetik, Epigenetik und Mutationen – wichtige Grundlagen
Stroh im Kopf und Brain Fog? – Vermutlich sind es Ihre Gene!
Ihr Genom – (k)ein Buch mit sieben Siegeln
Fehler im Bauplan: Mutationen und SNPs
Gene sind kein Schicksal – wie Sie SNPs ein Schnippchen schlagen
Vom Recht (nicht) zu wissen
HUGO kam und revolutionierte die Medizin
Was bringt ein Gen-Test?
23andMe oder: Wie viel Neandertaler steckt in uns?
Die BIG 5-Gene
Das MTHFR-Gen
Der Murks mit der Folsäure
Methylierung – so wichtig wie die Luft zum Atmen
Homocystein gut – alles gut?
Methylgruppen kann man essen: Methylfolat, Vitamin B2, SAMe und Cholin
Das COMT-Gen
Katecholamine: Moleküle der Kreativität und Konzentration
FAST-COMT: Konzentrationsstörungen und Depressionen
FAST-COMT: Hilfreiche Nähr- und Pflanzenstoffe
SLOW-COMT: Burnout und chronische Schmerzen
SLOW-COMT: SAMe und Stressmanagement
SLOW-COMT: Risikofaktor Catecholöstrogene
Das MAO-A-Gen
Serotonin: Viel mehr als nur ein Glückshormon
FAST-MAO-A: Brain Fog und Reizdarm
FAST-MAO-A: Wenn die Gene den Schlaf rauben
FAST-MAO-A: Hilfreiche Nähr- und Pflanzenstoffe
SLOW-MAO-A: Das Brunner-Syndrom und die Maori
Das BDNF-Gen
Stress tötet Hirnzellen
Die Kraft der Myokine – Muskeln heilen Hirnzellen
Die BDNF-Östrogen-Verbindung
Ihre stärksten Verbündeten: Pflanzenstoffe und Butyrate
Das APOE4-Gen
Eine wissenschaftliche Sensation
Das Nigeria-Paradox
Train Your Brain
Ernährungswissenschaftliche Fakten für Ihre Hirngesundheit
Heilsamer Verzicht – wenn Gluten auf die Nerven geht
Denken wie geschmiert – Ölwechsel im Gehirn
Klar im Kopf durch Jod
Eine extra Prise Konzentration – wie Gewürze helfen können
Ausblick: Sind die Gene der Schlüssel zu vollkommener Gesundheit?
Danksagung
Wichtige Laborwerte und Referenzbereiche
Literaturempfehlungen und Quellen
Labore in Deutschland
Bezugsquellen
Liebe Leserin, lieber Leser!
Wir alle wünschen uns einen klaren Kopf, ein ausgeprägtes Gedächtnis, Kreativität, Fokus, Motivation und natürlich auch Nerven wie Drahtseile. Warum scheint es dem einen in die Wiege gelegt worden zu sein, immer entspannt und fokussiert zu bleiben, und der andere gerät bereits bei leichten Alltagsbelastungen aus der geistigen Fassung?
Wenn Sie bislang zu diesen »anderen« gehört haben und bereits so einiges – ohne nachhaltigen Erfolg – unternommen haben, um klarer im Kopf zu sein, dann sollten Sie fünf Ihrer Gene etwas genauer betrachten:
• MTHFR
• COMT
• MAO-A
• BDNF
• APOE
Wir nennen sie auch die »Big 5«, denn sie prägen ganz entscheidend, wie geistig fit und rege Sie – unabhängig vom Alter! – sind. Wir alle besitzen jeweils zwei Exemplare dieser Gene, geerbt vom Vater und von der Mutter. Allerdings kommen gerade bei diesen Erbanlagen besonders häufig Polymorphismen (Normabweichungen) vor, die uns – je nach Ausprägung – den Alltag erschweren können.
Das muss Sie nicht erschrecken – im Gegenteil! Denn: Die Erkenntnisse aus der Gen- und Epigenom-Forschung der letzten Jahre haben ganz klar zeigen können: Wir sind nicht die Opfer unserer Gene, sondern wir können gezielt Einfluss nehmen. Dieses neue Wissen gibt uns allen einen viel größeren Rahmen als jemals zuvor, um für unsere geistige Gesundheit zu sorgen.
Für dieses Buch haben wir intensiv recherchiert, um Ihnen den aktuellen Stand der Wissenschaft nahezubringen. Dazu haben wir uns mit vielen Forschern unterhalten, von denen die meisten hier auch direkt zu Wort kommen.
Nun wünschen wir Ihnen viel Freude beim Lesen, viele neue Erkenntnisse und vor allem Erfolg bei der Umsetzung des neuen Wissens.
Kyra und Sascha Kauffmann
Falls Ihr Biologieunterricht bereits einige Jahre zurückliegt und Begriffe wie Chromosomen, DNA und Genom nicht mehr ganz so präsent in Ihrem Alltag sind wie noch zu Schulzeiten, nutzen Sie hier die Chance, sich auf den nächsten Seiten einen Überblick über die Grundlagen (wirklich nur die Grundlagen!) der Genetik, Epigenetik und den aktuellen Forschungsstand zu verschaffen. Denn diese Informationen benötigen Sie, um Ihre Gene und damit Ihren eigenen Bauplan besser verstehen zu können. Wir versprechen: Es wird sicherlich spannender als in Ihrer Schulzeit.
»Ich kann mir die Namen meiner Stammkunden nicht mehr merken, verlege ständig mein Handy und vergesse wichtige Termine. Am Anfang dachte ich noch, ich sei einfach etwas schusselig geworden, aber mittlerweile belastet es meinen Alltag.«
Elena, 48 Jahre
»Ich habe in letzter Zeit bemerkt, dass ich mich nur noch sehr schwer konzentrieren kann. Ich muss mich im Job sehr zusammennehmen, um keine schwerwiegenden Fehler zu machen.«
Timo, 45 Jahre
»Ich habe das Gefühl, dass ich mich nicht mehr auf meinen Kopf verlassen kann. Ich brauche zunehmend Notizzettel, um Termine und Erledigungen nicht zu vergessen. Das bin ich nicht gewohnt. Es macht mir ehrlich gesagt Angst.«
Andreas, 53 Jahre
Was unsere Patienten hier beschreiben, sind keine Zustände, die einem Neurologen im Allgemeinen Anlass zur Sorge und weiterer Diagnostik bereiten würden. Aber wer plötzlich merkt, dass sein Gedächtnis ihn im Alltag immer häufiger im Stich lässt, macht sich Sorgen. Zu Recht. Würden unsere Beine uns ständig wegbrechen, wären wir ja schließlich auch alarmiert. In einer Zeit, in der in Ausbildung und Beruf ständig geistige Hochleistung und absolute Konzentration gefordert werden, ist das Gefühl, sich auf sein Gehirn nicht mehr verlassen zu können, beängstigend.
Wir wollen nicht nur körperlich fit und leistungsfähig sein (und auch so aussehen), sondern auch geistig mithalten können. Nicht ohne Grund nimmt der Konsum von »Smart Drugs« wie Modafinil, Adrafinil und anderen Psychostimulanzien in den letzten Jahren massiv zu. Auch das ADHS-Medikament Methylphenidat (Ritalin®) wird heute legal und auch illegal (das Darknet macht es möglich!) für bessere Leistung missbraucht. Hirndoping oder in der Fachsprache »Kognitives Enhancement« wird aus Angst um Verlust von Karrierechancen unter Schülern, Studenten und vielen Berufstätigen immer salonfähiger.
Aber wie nennt man diesen Zustand von geistiger Leistungsschwäche? Der Volksmund hat schon längst einen passenden Begriff geprägt: »Hirnnebel« bzw. »Brain Fog«. Seit er es im Zusammenhang mit Long Covid sogar in wissenschaftliche Fachmagazine und die Ärztezeitung geschafft hat, ist er im Mainstream und in den Arztpraxen angekommen. In der wissenschaftlichen Datenbank MEDLINE gibt es dazu inzwischen über 500 Einträge – unabhängig von Long Covid übrigens.
Wer von »Brain Fog« spricht, meint eigentlich:
• die Unfähigkeit, klar zu denken
• Konzentrationsstörungen
• Unfähigkeit, sich zu entscheiden
• wirre Gedanken
• Unfähigkeit, sich zu organisieren
• langsames Denken
• Gedankenkreisen
• Gedächtnisstörungen
• Kopfdruck
Im Laufe dieses Buches werden wir der Einfachheit halber den Begriff »Brain Fog« benutzen, um uns auf diesen Symptomenkomplex zu beziehen.
Menschen, die in unsere Praxis kommen, haben in der Regel schon viel (aus-)probiert:
• diverse Vitamine, Mineralien, Spurenelemente
• Entgiftung
• Entspannung
• Heilkräuter
• Heilpilze
• Akupunktur
• Hormone
• allopathische (schulmedizinische) Medikamente
Oft hat das eine oder andere auch vorübergehend Wirkung gezeigt. Aber eine dauerhafte Besserung konnte oft nur erzielt werden, wenn wir uns bei immer wiederkehrenden Beschwerden wie Konzentrationsstörungen ganz gezielt die dazu passenden Gene angesehen und die Therapie an diesen ausgerichtet haben.
Ein Beispiel: Das MAO-A-Gen enthält den Bauplan für ein Enzym, das unsere wichtigen Neurotransmitter abbaut, die für Konzentration, Gedächtnis und Fokus zuständig sind. Wenn ich ein sehr schnelles MAO-A-Gen habe, das dafür sorgt, dass meine Neurotransmitter immer viermal schneller sinken als bei einem Menschen mit normalem Gen, dann hilft es mir zu verstehen, warum ich typische Mangel-Symptome immer und immer wieder entwickele.
Das Wissen um die eigenen Gene ist oft schon deswegen hilfreich, weil daraus ein Verständnis für sich selbst wachsen kann. Wenn wir jetzt noch die richtigen Werkzeuge haben, um die Auswirkungen eines schnellen MAO-A-Gens zu verringern (die gibt es nämlich!), dann haben wir einen wirklich ursachenbezogenen Ansatz, um wieder zu mehr Gedächtnis- und Konzentrationsleistung zu gelangen.
Die Kenntnis der Ursachen ist letztendlich immer der Schlüssel zur Heilung. Alles andere ist nur die Behandlung von Symptomen.
Fakt ist: Ihre Gene haben einen großen Anteil daran, wie geistig fit und leistungsfähig Sie sind. Daher ist es wichtig, sich mit ihnen zu beschäftigen.
»Gene verschlüsseln keine Geheimnisse, sondern offenbaren sie.«
Hans-Jürgen Quadbeck-Seeger, Deutscher Chemiker
Erinnern Sie sich noch an die Mendel’schen Regeln? Wir alle mussten sie seinerzeit im Biologieunterricht pauken. Es waren die ersten wissenschaftlich-fundierten Gesetze der Genetik, die der Augustinermönch Gregor Mendel im 19. Jahrhundert aufstellte. Er konnte anhand von Kreuzungsversuchen mit verschiedenen Pflanzen – und später auch mit Bienen – belegen, dass bestimmte äußerliche Merkmale vererbt werden. Eine Erkenntnis, die zu seinen Lebzeiten von den Wissenschaftlern allerdings nicht verstanden, sondern sogar verspottet wurde, und erst nach seinem Tod Beachtung fand.
Wir Schüler verstanden die Regeln häufig auch nicht und vor allem, was interessierten uns denn schon die Gene? Sie galten zu der Zeit, als wir in den 1980er-Jahren die Schulbank drückten, als der Ort unserer unveränderlichen Erbanlagen und waren für uns so spannend wie die binomischen Formeln. Dabei war erst 30 Jahre zuvor – im Jahre 1953 – durch die Wissenschaftler James Watson, Francis Crick und – oft vergessen – Rosalind Franklin die Doppelhelix der DNA beschrieben worden. Das erste Gen überhaupt, nämlich des winzigen Darmbakteriums Escherichia coli, wurde im Jahr 1969 isoliert. Viel mehr war zu dieser Zeit noch nicht bekannt bzw. konnte der Biolehrer somit auch nicht vermitteln. Andere Themen im Biounterricht waren da schon viel spannender, vor allem wenn es um das andere Geschlecht ging.
Unsere Gene enthalten den Bauplan für jede einzelne Körperzelle. In ihnen stecken die Informationen über Ihre Augenfarbe, Ihre Hautfarbe, Ihre Körpergröße, Ihre Haardichte. So weit klar. Gene sind mikroskopisch klein. Alle Gene zusammen bilden das Genom. Dieses ist in 23 Chromosomenpaaren und zusätzlich zwei Geschlechtschromosomen (XX oder XY) angeordnet. In ihrer typischen Kreuzform liegen sie nur dann vor, wenn die Zelle in die Zellteilung geht, bei der sich die DNA verdoppelt. Ansonsten liegen Chromosomen in winzigen Chromatin- Fäden frei im Zellkern.
Kennen Sie den Film GATTACA mit Ethan Hawke und Jude Law? Er beschrieb vor 25 Jahren ein düsteres Szenario in einer Zeit, in der die Menschheit in der Lage sein würde, das menschliche Erbgut komplett zu entschlüsseln, und in der dieses Wissen zur Selektion missbraucht würde. Das Akronym GATTACA steht hier für die vier Grundbausteine unserer DNA: die Basen Adenin (A), Cytosin (C), Guanin (G) und Thymin (T).
Diese vier chemischen Substanzen haben unvorstellbare Macht. Sie sind die Basen unseres Lebens. Im berühmten DNA-Modell von Francis Crick und James Watson sind die Basen die Sprossen der Leiter. Die Holme bestehen aus der Abfolge der Desoxyribose und der Phosphatgruppe der einzelnen Nucleotide. Sie bilden zusammen das »Rückgrat« der DNA.
Nach dem »Prinzip der komplementären Basenpaarungen« bestimmt die Reihenfolge der Basen in der einen Kette die Abfolge der Basen der zweiten Kette. Die »DNA-Leiter« windet sich schraubenformig um eine gemeinsame gedachte Achse wie eine Wendeltreppe. So entsteht die bekannte Die Doppelhelix der DNA Doppelhelix-Struktur.
Der Bauplan unserer Zellen liegt gut geschützt im Zellkern. Immer dann, wenn im Körper etwas Neues geschaffen oder auch repariert werden soll, wird der Bauplan im Zellkern abgelesen, wofür eine Kopie in das Zellinnere transportiert wird. Erst im Zellinneren wird der Bauplan in kleinen Eiweißfabriken, den Ribosomen, abgelesen und Aminosäuren zu Eiweißen zusammengesetzt.
Leider können bei diesem Prozess Fehler passieren, die sich dann in einem veränderten Protein niederschlagen. Vergleichen Sie es am besten mit einem Bauplan für einen Schrank: Wenn der Plan einen Fehler enthält, kann es sein, dass dieser kaum einen Einfluss auf die Statik des Schrankes hat. Im schlimmsten Fall kann der Schrank aber gar nicht erst aufgebaut werden.
Auch bei der Zellteilung können Fehler passieren. Bei diesem Prozess wird der Bauplan, die DNA, verdoppelt. Und letztendlich können Schädigungen unserer DNA auch durch äußere Einflüsse, z. B. Strahlenbelastung, auftreten.
Änderungen der DNA werden als Mutationen bezeichnet. Jeder von uns hat Mutationen in seinem Erbgut, aber viele davon sind »still« und haben keine Auswirkungen auf uns oder unsere Gesundheit.
Ob und wie stark sich ein Fehler in der DNA tatsächlich auswirkt, ist davon abhängig, ob ein Gen-Abschnitt mit einem fehlerhaften Bauplan von beiden Eltern (homozygot) oder nur von einem Elternteil (heterozygot) weitervererbt wurde. Eine homozygote Mutation hat häufig gravierendere Auswirkungen, da es keinen Ausgleich durch das gesunde Gen gibt. Im Zusammenhang mit unseren »Big 5« sprechen wir von einem Einzelnukleotid-Polymorphismus bzw. Single Nucleotide Polymorphisms, SNP (ausgesprochen: »Snip«).
Hierbei handelt es um einen Fehler in der DNA, der durch die Variation eine der Basen (Nukleotide) entstanden ist. Beispielsweise wird statt der Base Cytosin die Base Tyramin verwendet. Dies ist dann ein komplett anderer Plan, der zu einer anderen Aminosäure führt und somit die Proteinstruktur verändert. Einige SNPs kommen in bestimmten Bevölkerungsgruppen sehr häufig vor (daher »Polymorphismus«) und können weitervererbt werden.
Das menschliche Genom ist weitestgehend entschlüsselt. Wir wissen nun sehr viel mehr über die einzelnen Gene und können diese ganz bestimmten Krankheiten bzw. Krankheitsdispositionen zuordnen. Aber hatten wir uns nicht eigentlich mehr erhofft? Zumindest eine Lösung für die vielen schweren, bislang unheilbaren Erkrankungen? Diese Hoffnung wurde ein wenig enttäuscht, denn es stellte sich heraus, dass unsere Gene gar nicht alleine »regieren« und über das Wohl und Wehe unserer Gesundheit entscheiden. Es gibt einen mächtigen Mitspieler, der letztendlich über Gesundheit und Krankheit mitbestimmt – das Epigenom.
Wir werden »über unser Genom hinaus« geprägt, darum geht es in der »Epi-genetik«. Unsere Gene sind zwar in einer festen Reihenfolge von Nukleotiden angeordnet, sozusagen wie in Stein gemeißelt, aber nicht jedes Gen ist gleich aktiv. Unsere sogenannte »Gen-Expression« ist variabel. Die Epigenetik versucht wissenschaftlich zu erklären, wie unser Lebensstil, Stress, Traumata, Ernährung, Sport sowie Schadstoffe auf die Gen-Aktivität einwirken. Diese Faktoren können Gene an- und auch ausschalten.
In unserem Freundeskreis gibt es ein eineiiges Zwillingspaar. Auf Kinderbildern waren sie nicht zu unterscheiden. Jeder hat die beiden verwechselt. Die Ähnlichkeit wurde im Laufe der Zeit immer weniger. Jetzt, in ihrem sechsten Lebensjahrzehnt, sehen sie noch nicht einmal mehr wie Geschwister aus, obwohl ihre DNA zu 100 Prozent identisch ist. So zeigt sich die Macht der Epigenetik.
Ein weiteres bekanntes Beispiel aus der Epigenetik-Forschung ist die Rotterdam-Studie. Im Winter des Jahres 1944/45 gab es in den Niederlanden eine große Hungersnot. Viele Frauen brachten untergewichtige Kinder zur Welt. Forscher konnten später an den mittlerweile Erwachsenen Veränderungen im Epigenom finden, die häufiger zu Krankheiten wie Diabetes und Übergewicht führten. Die Wissenschaftler vermuten, dass die epigenetische Prägung während der Schwangerschaft die Gen-Expression bei diesen Kindern entsprechend verändert hatte.
Die Wissenschaft der Epigenetik steckt noch in den Kinderschuhen. Aber die bisherigen Forschungsergebnisse zeigen, dass wir vermeintlich schlechte Gene – unabhängig von den Big 5 – nicht als unser Los hinnehmen müssen, sondern unser Schicksal zu großen Teilen selbst in der Hand haben. Über dieses Thema haben wir uns mit dem Molekularbiologen Dr. Jens Pohl unterhalten.
Sie sind mehr als Ihre Gene!
Dr. Jens Pohl promovierte am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg über den Einfluss von Krebs-Genen auf das Metastasierungsverhalten von Tumorzellen. Danach forschte er mehrere Jahre in den USA. Er hat 20 Jahre als Geschäftsführer verschiedene Biotechnik-Firmen in Heidelberg geleitet und besitzt ein breites Wissen im Bereich der klinischen Forschung. Heute leitet er mit seiner Frau eine Naturheilpraxis in Forst.
Herr Dr. Pohl, was ist eigentlich unser Genom genau?
Dr. Jens Pohl: Unsere Körperzellen werden nach einem Bauplan aufgebaut. Dieser Bauplan befindet sich auf den Chromosomen innerhalb des Zellkerns in unseren Zellen. Ähnlich wie in einem Buch der Text in Buchstaben verfasst wird, ist die Bauanleitung für unsere Eiweiße in einem Molekül-Code geschrieben. Im Gegensatz zu unserem Alphabet mit 26 Buchstaben umfasst dieser Molekül-Code nur vier Buchstaben: A, T, G und C.
Eine bestimmte Abfolge dieser vier Buchstaben ergibt einen Text, der ganz spezifisch die Bauanleitung für ein Eiweiß wiedergibt. Vereinfacht kann man sagen, dass unsere Körperzellen etwa 20.000 verschiedene Gene enthalten, was den Bauplänen für etwa 20.000 Proteinen entspricht. Der »Text« für ein Protein ist im Schnitt wenige Tausend Buchstaben lang.
Diese Gene sind bei uns auf zwei Sätze von je 23 Chromosomen verteilt, wobei ein Satz von der Mutter und einer vom Vater kommt, insgesamt also 46 Chromosomen. Vergleicht man ein Gen mit einer Bauanleitung in einem Buch, kann man sich die Chromosomen als Bücherschrank vorstellen, in dem jeweils etwa 1000 Bücher stehen. Jede Körperzelle hat in ihrem Zellkern nun jeweils die komplette Bibliothek. Wenn sich Zellen teilen, wird die gesamte Bibliothek kopiert. Nach der Teilung hat jede Körperzelle eine komplette Bibliothek mit allen Büchern.
Körperzellen unterscheiden sich jedoch voneinander. Eine Gehirnzelle benötigt für ihren Stoffwechsel andere Eiweiße als eine Herz- oder Leberzelle. Die Individualität einer Zelle wird dadurch bestimmt, welche Baupläne abgelesen werden. In einer Leberzelle werden nur einige Hundert bis wenige Tausend Baupläne für Eiweiße abgelesen. Davon können einige identisch sein mit anderen Zelltypen, aber einige sind auch spezifisch nur für Leberzellen. So ist es mit jedem Gewebe, so dass man anhand des Eiweißmusters genau feststellen kann, was für ein Zelltyp es ist.
Wie entscheidet eine Zelle nun, welche Bücher gelesen werden und welche nicht? Schon sehr früh hat man festgestellt, dass auf unseren Chromosomen nicht nur der Text für Bauanleitungen steht, sondern auch Text, der keine Bauanleitung darstellt. Und nachdem man vor einigen Jahren den kompletten Bauplan des Menschen ermittelt hatte, hat man festgestellt, dass der Anteil des Textes, der keine Baupläne beinhaltet, mehr als 90 Prozent ausmacht. Aus ökonomischer Sicht ist das Unsinn und jahrelang hat man diese Bestandteile des Erbguts als »Müll« (Engl. »Junk-DNA«) bezeichnet. Da die Natur sich aber langfristig nicht den Luxus erlaubt, Müll zu produzieren, müssen diese Sequenzen auf unserem Erbgut doch eine Rolle spielen.
Mittlerweile ist man der Lösung dieses Rätsels nähergekommen. Diese Sequenzen sind dafür da, zu entscheiden, welches »Buch« bzw. Gen in welcher Körperzelle abgelesen wird, um welches Eiweiß zu produzieren. Zellen haben spezifische Eiweiße, die an das Erbgut binden können. Einige dieser Eiweiße erkennen den Anfang eines Bauplans (= Gen), lesen den Plan ab und kopieren die Information.
Damit diese an das Gen bindenden Eiweiße an das Erbgut herankommen können, müssen die Abschnitte gut zugänglich sein. Umgekehrt müssen in einer Zelle die Abschnitte, die nicht abgelesen werden sollen, »versteckt« werden, damit keine Ablese-Proteine herankommen können. Dazu dienen nun die über 90 Prozent des Erbguts, auf denen keine Eiweiß-Information steht. Diese Sequenzen werden auch »nicht-kodierend« genannt. Sie werden um spezielle Proteine gewickelt, die Histone heißen. Wie in einem Wollknäuel können dann bindende Proteine an so geschützte Abschnitte nicht mehr heran. Wenn eine Sequenz abgelesen werden soll, wird sie von den Histonen abgewickelt, bis sie frei zugänglich ist; soll sie nicht abgelesen werden, wird sie um Histone gewickelt und verborgen.
Individuelle Gewebe unterscheiden sich daher nicht durch unterschiedliche Inhalte der Bibliothek, sondern in deren Verfügbarkeit. In Körperzellen werden einige Bücher weggesperrt, andere sind frei zugänglich. Damit unser Erbgut an die Histone binden kann, wird es chemisch verändert. Bereiche, die an Histone binden sollen, werden mit speziellen Anhängen versehen. Sie werden z. B. methyliert, d.h. es werden Methylgruppen daran gehängt. Diese Methylgruppen werden durch spezielle Methyltransferasen (z. B. die MTHFR) gekoppelt. Das verändert das Verhalten gegenüber den Histonen. Daher hat eine Leberzelle ein anderes Methylierungsmuster als eine Gehirnzelle.
Herr Dr. Pohl, jetzt haben wir eine Ahnung von unserem Genom. Aber was genau ist das Epigenom?
Dr. Jens Pohl: Unsere Chromosomen stellen Informationen zur Verfügung. Die Bibliothek selbst wird auch als »Genom« bezeichnet. Welche Gene tatsächlich zugänglich sind, also die dreidimensionale Zugänglichkeit innerhalb der Bibliothek, kann man als »Epigenom« bezeichnen.
Unsere erste Körperzelle entsteht, wenn bei der Befruchtung eine Samenzelle mit einer Eizelle verschmilzt. Sie kann tatsächlich noch alle Bücher lesen. Doch im Laufe der Differenzierung wird der Zugang zu mehr und mehr Büchern unterbunden. Es wird in jedem Zelltyp nur das abgelesen, was diese spezielle Zellart braucht und ausmacht.