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Thomas Mann rezensiert hier zwei Erzählungen Hermann Ungars, die 1920 erschienen waren und zu den ersten größeren Erfolgen des aus Prag stammenden Schriftstellers zählten. Die Eindringlichkeit der beschriebenen, teils bestürzenden Ereignisse spiegelt sich in der Besprechung wider: »Die Szene […] ist etwas künstlerisch außerordentlich Mutiges und Inspiriertes, eine Vision, die mir Eindruck auf immer gemacht hat.« Erstmals abgedruckt wurde die Rezension am 29. Mai 1921 in der Vossischen Zeitung, später erschien sie auch an anderer Stelle. Manns Tagebucheinträgen zufolge hatte Ungar ihn wohl um eine Rezension gebeten und zeigte sich in seinem Dankesbrief ob des Ergebnisses überaus beglückt: »und wenn es nicht so spät im Monat gewesen wäre, hätte ich mir vielleicht abends einen guten Wein geleistet.«
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Seitenzahl: 15
Thomas Mann
»Knaben und Mörder.«
Essay/s
Fischer e-books
In der Textfassung derGroßen kommentierten Frankfurter Ausgabe(GKFA)Mit Daten zu Leben und Werk
Keine Würdigung, keine Anzeige dieses Jünglingswerkes ist mir bisher vor Augen gekommen, und doch sind mir die Zwei Erzählungen von Hermann Ungar (Verlag E. P. Tal u. Co., Leipzig, Wien, Zürich 1920) stark aufgefallen unter vielem, was mir an neuester Prosaistik durch die Hände ging. Bedenkt man, wie schwer das Talent es heute hat – viel schwerer offenbar, als vor zwanzig Jahren –, so fühlt man sich angehalten, zu helfen, wie man kann, wo Entmutigung gute und beste Dinge zu verhindern droht. Und ist nicht das schönste Recht, das wir uns durch eigene Bemühung um das Gute erwerben können, das Recht, zu loben?
Die Erstlinge des jungen Böhmen verleugnen in ihrer Lebensstimmung, ihrer zugleich weichen und grausamen Art, das Menschliche zu sehen und zu geben, russischen Einfluß nicht: Die Herrschaft Dostojewskijs über die europäische Jugend von 1920 bewährt sich auch hier. Daneben ist hochbegabte Abhängigkeit von deutschen Bildungen nicht zu verkennen – freie Schülerschaft voller Eigenleben, die der Referent ohne Nervosität zu Akte gibt. Das Wort von den Früchten, an denen man »erkannt werden soll«, hat viel Beängstigendes. Es waren meistens Früchterln. Hier sind Folgen, die ihre Ursache ehren – soweit sie Folgen sind. Und die, eben soweit sie es sind, die ursprünglich ungeahnte Großartigkeit, Schönheit und Macht schriftstellerischer Wirkung, einer lebenprägenden Wirkung, nicht ohne Erschütterung empfinden lassen.
Die beiden Erzählungen also, »Ein Mann und eine Magd« und »Geschichte eines Mordes«, sind im Ich-Tone vorgetragen – wenn man von Vortrag reden darf dort, wo die Illusion biographischer Wirklichkeit durch ein verworrenes, unliterari{365}