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Kommune, das ist weit mehr als eine Verwaltungseinheit, das sind wir alle. Kommune bedeutet ursprünglich "Gemeinschaft ": die Familie, das Dorf, die Stadt. Das sind die wahren Lernorte, für Kinder wie für Erwachsene. Hier lernt der junge Mensch, worauf es im Leben ankommt, wie man gemeinsam mit anderen sein Leben gestaltet und Verantwortung übernimmt. Gerald Hüther, einer der bekanntesten Hirnforscher Deutschlands, fordert uns auf, diesen entscheidenden Erfahrungsraum wiederzubeleben und radikal umzudenken: "Wir brauchen eine neue Beziehungskultur." Kommunale Intelligenz bedeutet, den wahren Schatz der Kommune zu heben: die in die Gemeinschaft hineinwachsenden Kinder und Jugendlichen, deren Begabungen und Talente es zu entdecken und zu entfalten gilt.
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Seitenzahl: 104
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Gerald Hüther
Kommunale Intelligenz
Potenzialentfaltung in Städten und Gemeinden
Nicht nur die Wirtschaft, auch Städte und Gemeinden erleben gegenwärtig, dass man in einer Welt begrenzter Ressourcen nicht unbegrenzt weiter wachsen kann.
Albert Einstein hatte zwar schon vor längerer Zeit darauf hingewiesen, dass sich die Probleme, die wir mit bestimmten Strategien und Denkmustern erzeugt haben, nicht mit denselben Denk- und Vorgehensweisen beheben lassen.
Dennoch lautet die vorherrschende Devise zur Bekämpfung der inzwischen auf allen Ebenen unserer gesellschaftlichen Entwicklung zutage tretenden Schwierigkeiten: noch mehr vom Alten. Noch mehr Vorschriften, noch mehr Kontrolle, noch mehr Einsparungen bei gleichzeitiger Forderung nach noch mehr Wachstum. So werden sich die Probleme unseres Bildungs- und Gesundheitssystems, unserer sozialen Absicherung, unseres Finanzwesens und Politikbetriebs nicht beheben lassen. In diesem Malstrom ständig wachsender und immer neuer ökonomischer und sozialer Probleme und den daraus resultierenden Einsparungs- und Effizienzverbesserungsentwürfen laufen vor allem unsere Kommunen – unsere Städte, Dörfer und Gemeinden – zunehmend Gefahr, ihre Eigenständigkeit zu verlieren und das, was sie leisten sollten, nicht mehr leisten zu können. Vor allem die kleineren Kommunen außerhalb der industriellen Zentren geraten zwangsläufig unter immer stärkeren finanziellen Druck, und vor allem die jüngeren Bürger wandern ab, um Arbeit und Glück woanders zu finden, während zu Hause Schulen und Kindergärten schließen, Vereine an Nachwuchsmangel zugrunde gehen und die medizinische Versorgung immer weiter ausgedünnt wird. Es bleiben die Älteren, für die sich das Leben immer schwieriger gestaltet. Eine Lösung für all diese Probleme ist nicht in Sicht. Das Umdenken fällt uns offenbar schwerer, als Albert Einstein das gehofft hat.
Dieses Umdenken aber beginnt im Kopf. Und in der Tat hat unser Gehirn längst eine Lösung gefunden, um trotz des durch die Schädeldecke begrenzten Wachstums dennoch weiter wachsen und sich zeitlebens weiterentwickeln zu können: nicht durch Vermehrung der Anzahl an Nervenzellen, sondern durch Intensivierung, Ausweitung und Verbesserung ihrer Verknüpfungen, also durch fortwährende Optimierung der Beziehungen zwischen den Nervenzellen.
Auf Kommunen übertragen heißt das: Weiterentwicklung und damit auch echtes Wachstum sind zu jedem Zeitpunkt kommunaler Entwicklung möglich. Aber nicht durch mehr Einwohner, mehr Gewerbetreibende, mehr Kinder oder gar mehr Geld, sondern durch eine günstigere Art des Umgangs miteinander: durch intensivere, einander unterstützende, einander einladende, ermutigende und inspirierende Beziehungen aller in einer Gemeinde oder einer Stadt lebenden Bürger.
Was Kommunen also brauchen, um zukunftsfähig zu sein, wäre eine andere, eine für die Entfaltung der in ihren Bürgern angelegten Potenziale und der in der Kommune vorhandenen Möglichkeiten günstigere Beziehungskultur. Eine Kultur, in der jeder Einzelne spürt, dass er gebraucht wird, dass alle miteinander verbunden sind, voneinander lernen und miteinander wachsen können.
Eine solche Beziehungskultur ist die Grundlage für die Herausbildung individualisierter Gemeinschaften. Über Jahrhunderte hinweg bildete die Familie die Keimzelle solcher Gemeinschaften. Mit dem Zerfall der traditionellen Familienstrukturen, insbesondere der dafür typischen Großfamilien, sind auch die bisher dort herrschenden sozialen Erfahrungsräume verloren gegangen.
Vor allem für Heranwachsende wird es deshalb gegenwärtig immer schwerer, die wichtige Erfahrung zu machen, dass sie mit ihren besonderen Begabungen, mit ihrem jeweiligen Wissen und ihren individuell erworbenen Fähigkeiten für die Sicherung des Fortbestandes und die Weiterentwicklung der gesamten Gemeinschaft gebraucht werden. Wenn Familien solche Erfahrungsräume nicht mehr bieten können, müssten sie von jenen Gemeinschaften übernommen werden, in die die Familien eingebettet sind, also von den jeweiligen Kommunen, in die die Kinder und Jugendlichen hineinwachsen.
Damit wächst unseren Kommunen eine Aufgabe zu, für die sie sich bisher bestenfalls am Rande zuständig fühlten.
Dieses Buch erklärt, weshalb Menschen die in ihnen angelegten Potenziale nur innerhalb einer Gemeinschaft entfalten können, der sie sich zugehörig, in der sie sich geborgen und sicher fühlen. Es ergründet dabei, welche bisher brachliegenden Potenziale eine Gemeinschaft zur Entfaltung bringen kann, wenn es ihren Mitgliedern gelingt, eine derartige Beziehungskultur aufzubauen.
Ein Blick auf die kommunale Praxis zeigt, was die Herausbildung solcher »Potenzialentfaltungsgemeinschaften« bisher verhindert hat und wie diese Begrenzungen überwunden werden können.
Dieses Buch versteht sich auch als Ermutigung, denn einige der bereits in verschiedenen Kommunen verfolgten Ansätze machen deutlich, wie ein solcher Kulturwandel gelingen kann.
Kommunale Intelligenz zu entfalten heißt nichts weniger, als gemeinsam über sich hinauszuwachsen.
Man muss nicht Hirnforscher sein, um zu begreifen, dass der Mensch als Einzelwesen gar nicht existiert. Wir sind alle erst zu dem geworden, was wir heute sind, weil es andere Menschen gab, die uns dabei geholfen haben, die uns gezeigt haben, worauf es im Leben ankommt. Ohne diese Anderen könnten wir nichts von all dem, was wir heute wie selbstverständlich tun. Sprechen, zum Beispiel, Schreiben und Lesen. Noch nicht einmal auf zwei Beinen zu gehen hätten wir allein, ohne das Vorbild, die Hilfe und Unterstützung anderer Menschen, gelernt. Und wir wüssten auch nichts von all dem, was jeder von uns heute weiß, wenn uns dieses Wissen nicht von anderen zur Verfügung gestellt worden wäre. Wir sind in viel stärkerem Maße, als wir das vor uns selbst zuzugeben bereit sind, soziale Wesen– angewiesen auf andere und geformt durch andere. Vielleicht weniger spürbar auf der Ebene unserer individuellen körperlichen Merkmale, aber unübersehbar und nicht zu verleugnen auf der Ebene der inneren Struktur und Organisation des Organs, das uns am stärksten von den Tieren, auch von unseren nächsten Verwandten, unterscheidet: unserem zeitlebens lernfähigen Gehirn. Und was man eben auf den ersten Blick nicht so ohne Weiteres sehen kann, was aber die Hirnforscher in den letzten Jahren als wichtigste Erkenntnis in all ihren Untersuchungen immer wieder zutage gefördert haben: Unser Gehirn ist ein sozial geformtes Konstrukt. Die dort entwickelten neuronalen Netzwerke und synaptischen Verschaltungsmuster sind in dieser jeweils individuell besonderen Weise nur deshalb entstanden, weil es andere Menschen gab, mit denen wir in Beziehung getreten sind, und weil die dabei gemachten Beziehungserfahrungen in Form bestimmter neuronaler und synaptischer Beziehungsmuster in unserem Gehirn verankert worden sind. Besonders prägend waren dabei all jene sozialen Erfahrungen, die wir in einer engen emotionalen Beziehung zu anderen Menschen gemacht haben.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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