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Kinder brauchen uns, nicht unsere Geschenke
Leuchtende Kinderaugen, tiefes Glück und Verbundenheit – ist es das, was uns beim Schenken so gut gefällt? Woher wissen wir, was unsere Kinder wirklich brauchen und welches Geschenk sie sogar ein Leben lang begleiten kann? Als führende Entwicklungsforscher und Bildungsexperten laden Gerald Hüther und André Stern zum Umdenken ein: Die meisten Geschenke sind nichts anderes als fragwürdige Verführungen. Sie rauben Kindern die Kraft, die in ihnen angelegten Talente und Begabungen zu entfalten und ihr Leben selbständig und eigenverantwortlich zu gestalten. Um zu lernen, wie das Leben geht, brauchen Kinder uns, nicht unsere Geschenke.
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Seitenzahl: 84
Über das Buch
Leuchtende Kinderaugen, tiefes Glück und Verbundenheit – ist es das, was uns beim Schenken so gut gefällt? Woher wissen wir, was unsere Kinder wirklich brauchen und welches Geschenk sie sogar ein Leben lang begleiten kann? Als führende Entwicklungsforscher und Bildungsexperten laden Gerald Hüther und André Stern zum Umdenken ein: Die meisten Geschenke sind nichts anderes als fragwürdige Verführungen. Sie rauben Kindern die Kraft, die in ihnen angelegten Talente und Begabungen zu entfalten und ihr Leben selbständig und eigenverantwortlich zu gestalten. Um zu lernen, wie das Leben geht, brauchen Kinder vor allem uns, nicht unsere Geschenke.
Über die Autoren
Gerald Hüther ist einer der bekanntesten Hirnforscher Deutschlands. Er hat zahlreiche Bestseller über Entwicklung und Potentialentfaltung geschrieben, hält Vorträge, berät Politiker und Unternehmen und ist häufiger Gesprächsgast in Rundfunk und Fernsehen. 2016 gründete er die Akademie für Potentialentfaltung. Er versteht sich als Brückenbauer zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen und gesellschaftlicher bzw. individueller Lebenspraxis. Mehr über Gerald Hüther erfahren Sie unter www.gerald-huether.de.
André Stern, Sohn des Forschers und Pädagogen Arno Stern, in Paris geboren und aufgewachsen, Musiker und Bestsellerautor, ist ein international gefragter Referent. Er leitet das Institut Arno Stern und ist einer der Protagonisten in Erwin Wagenhofers Film »Alphabet«. Mehr über André Stern erfahren Sie unter www.andrestern.com.
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Gerald Hüther und André Stern
Was schenken wir unseren Kindern?
Eine Entscheidungshilfe
Einleitung
Kinderaugen sagen mehr als tausend Worte
Wer das nicht hat, was Kinder brauchen, kann es ihnen auch nicht schenken
Warum wir Kindern Geschenke machen
Weshalb Kinder durch Geschenke verführbar sind
Es gibt auch Kinder, die durch Geschenke nicht verführbar sind
Und es gibt Geschenke, die Kinder davor bewahren, sich verführen zu lassen
Es ist leicht herauszufinden, welche Geschenke Kinder glücklich und damit unverführbar machen
Was es für ein Kind bedeutet, bedingungslos geliebt zu werden
Über die Autoren
Dieses Buch haben wir geschrieben, weil uns die in unsere Welt hineinwachsenden Kinder am Herzen liegen. Bald schon werden sie erwachsen sein und das Erbe übernehmen müssen, das wir ihnen dann überlassen. Ein Geschenk ist das für sie wahrlich nicht. Denn unsere Generation wird es nicht mehr schaffen, ihnen diese Welt samt ihrer Vielfalt von Lebensformen zumindest so zu übergeben, wie wir sie einst von unseren Eltern übernommen haben.
Es reicht nicht, unseren Kindern zu wünschen, dass es ihnen gelingen möge, den von uns erzeugten Müll beiseitezuräumen, die durchwühlten und zubetonierten Landschaften wiederzubeleben, die vielen weltweiten Konflikte zu lösen und allen Menschen ein friedliches Zusammenleben ohne Krieg, Not und Elend zu ermöglichen. Wir müssten ihnen dabei helfen und ihnen so viel Kraft und Zuversicht mit auf den Weg geben, damit es ihnen dann auch wirklich gelingt.
Was aber brauchen Kinder, um zu lebensfrohen, selbstbewussten und verantwortungsvollen Entdeckern und Gestaltern ihrer Lebenswelt heranzureifen, um die in ihnen angelegten Potentiale so gut wie möglich entfalten zu können?
Offenbar etwas anderes, als das, was wir ihnen gegenwärtig bieten. Das jedenfalls legen statistische Erhebungen nahe, die gelegentlich in den Medien verbreitet werden: Jeder zehnte Schüler ist demnach gegenwärtig in psychotherapeutischer beziehungsweise psychiatrischer Behandlung. Ein Viertel aller Grundschüler leidet an Bluthochdruck, extremem Übergewicht, an Diabetes und anderen körperlichen Erkrankungen und/oder psychischen Problemen wie Angststörungen, gestörtem Sozialverhalten und mangelnder Konzentrationsfähigkeit. Über die Hälfte aller Kinder und Jugendlichen verbringt inzwischen mehr Zeit vor den Flachbildschirmen ihrer digitalen Geräte als draußen an der frischen Luft. Die Bedingungen, unter denen unsere Kinder heute aufwachsen, sind offenbar nicht geeignet, sie zu stärken. Im Gegenteil. Sie machen viel zu viele sogar krank.
Deshalb sollte dieses Buch eigentlich ein Aufruf, zumindest ein Weckruf für all jene werden, die Kinder auf ihrem Weg ins Leben begleiten. Aber wir sind beide keine Aufrufer, auch keine Aufwecker. Und es gibt ja inzwischen längst genügend Auf- und Weckrufe, die meist ebenso ungehört verhallt sind wie die der Kassandra in Troja. Sie hatte vorhergesehen, was in dem Riesenholzpferd verborgen war, das die Trojaner als Geschenk der Griechen vor ihrem Stadttor gefunden hatten. Aber sie schleppten dieses Geschenk trotzdem in ihre Stadt, und das war der Anfang von ihrem Ende. Auch wenn sie sich noch eine Zeitlang tapfer wehrten, wurden sie schließlich besiegt, unterworfen und unterdrückt.
Freilich hat sich unsere Lebenswelt inzwischen grundlegend verändert. Doch noch immer gibt es Mächtige, Stärkere und Überlegene, die ihre Herrschaft durch Unterwerfung und Unterdrückung sichern. Allerdings scheint die Strategie des offensichtlichen Zwangs in vielen Regionen unserer globalisierten und digitalisierten Welt allmählich zu einem Auslaufmodell zu werden. Wer heute Macht über andere gewinnen und sichern will, braucht die altbewährten Unterdrückungsinstrumente nicht mehr. Der macht die anderen einfach von dem abhängig, was er ihnen anbietet. Am besten geht das durch verführerische Geschenke. Und am zuverlässigsten funktioniert es, indem man sie denjenigen anbietet, die am leichtesten darauf hereinfallen – Kindern. Die Mächtigen dieser Welt, und damit meinen wir nicht nur die politisch Mächtigen, sichern ihre Herrschaft längst nicht mehr nur durch Gewalt und Unterdrückung, sondern durch Verführung. Doch Verführung ist nur eine besonders perfide Art von Unterdrückung. Durch physische Gewalt Unterdrückte können sich gegen ihre Unterdrücker wehren, können versuchen, Widerstand zu leisten. Verführte werden womöglich bis zum letzten Atemzug behaupten, eigenständig entscheidende, freie Menschen zu sein.
Das ist es, was uns Sorgen macht, nicht nur, weil es unsere Kinder gefährdet, sondern weil es unser Leben auf diesem Planeten bedroht. Deshalb haben wir dieses Buch geschrieben – nicht als Aufruf, sich allen Verführungsstrategien zu widersetzen, sondern als Einladung, darüber nachzudenken, was wir unseren Kindern schenken.
Wie viele Worte brauchen wir, um einander zu sagen, was wir uns wünschen? Und wie machen das unsere Kinder? Wie gut müssen sie ihre Muttersprache beherrschen, um zum Ausdruck zu bringen, was ihnen fehlt, um glücklich zu sein? Und ist das, was sie uns dann zu sagen imstande sind, auch das, was ihnen wirklich am Herzen liegt? Und wie können wir sicher sein, das von ihnen Gesagte auch so verstanden zu haben, wie sie es gemeint hatten? Reden nicht auch viele Erwachsene mit dem, was sie einander sagen, in Wirklichkeit aneinander vorbei? Zum Glück gibt es eine Sprache, die überhaupt keine Worte braucht und die wir dennoch alle verstehen. Diese Sprache muss von den Kindern auch nicht erst erlernt werden. Alle Kinder bringen sie mit ihrer Geburt mit auf die Welt: die Sprache der Augen. Deshalb beherrschen sie diese Sprache auch von Anfang an perfekt: Jedes Kind kann mit seinen Augen zum Ausdruck bringen, wie es ihm geht, ob es glücklich ist oder ob ihm etwas fehlt, ob es sich freut oder ob es traurig ist, ob es Vertrauen hat oder Angst.
Was unsere Kinder durch die Art und Weise zum Ausdruck bringen, wie sie uns anblicken, ist das wahrhaftigste und ehrlichste Zeugnis ihrer inneren Befindlichkeit. Wir brauchen sie nur anzuschauen. Der Blick in ihre Augen verrät uns, was sie sich wünschen.
Noch als Erwachsene können wir das, was wir denken oder fühlen, niemals so perfekt verbergen, dass jemand, den wir anschauen, unsere enttäuschten Erwartungen beispielsweise nicht bemerkt. Deshalb wagen wir es ja auch nur so selten, einem anderen Menschen wirklich offen in die Augen zu blicken. In manchen menschlichen Kulturen ist das sogar ein Tabu, also strengstens verboten.
Wie fundamental wichtig genau das ist, was seine Augen über die innere Befindlichkeit eines Menschen verraten, haben die Werbestrategen schon sehr lange erkannt und besonders gut auszunutzen gelernt. Nichts überzeugt eine ahnungslose, als möglicher Kunde für ein bestimmtes Produkt auserkorene Person stärker und nachhaltiger als die Darstellung des Augenausdrucks eines Menschen, der dieses Produkt soeben gekauft oder geschenkt bekommen hat. Und weil dieses Strahlen am klarsten und am eindringlichsten in den Augen von Kindern zu beobachten ist, werden Kinder besonders gern zur Bewerbung bestimmter Produkte benutzt. Die meisten Erwachsenen fallen darauf herein. Am anfälligsten dafür sind all jene, die dieses Strahlen in den Kinderaugen selbst so gern hervorzaubern, indem sie einem Kind etwas schenken.
Und auf den ersten Blick stimmt es ja auch: Alle Kinder freuen sich über Geschenke. Allerdings nur über solche, die ihnen hinreichend attraktiv erscheinen. Die sie sich insgeheim gewünscht oder vielleicht für Eltern, Freunde und Verwandte sichtbar auf ihren Wunschzettel geschrieben, gekritzelt oder gemalt haben. Der Blick eines Kindes, dem jemand das »falsche« Geschenk mitgebracht hat – eine Armbanduhr statt der erhofften Playstation, ein Buch statt der gewünschten Puppe –, sagt dann ebenfalls mehr als tausend Worte.
Aber ist ein Geschenk »falsch«, wenn es nicht das ist, was das beschenkte Kind haben wollte? Wer hat es eigentlich dazu gebracht, sich genau das und nichts anderes zu wünschen? Mit einer solchen Vorstellung und einem solchen Wunsch ist ja kein Kind schon auf die Welt gekommen. Irgendwann und irgendwo muss es davon erfahren haben. Durch Freunde, Geschwister oder aber durch schon auf die Kleinen gemünzte Werbung.
Was jedes Kind aber bereits bei seiner Geburt fest in seinem Gehirn verankert hat, sind keine Wünsche, sondern zwei Grunderfahrungen. Einerseits die engste Verbundenheit mit seiner Mutter und andererseits die Erfahrung, immer weitergewachsen, über sich hinausgewachsen zu sein. Solange es sich sicher verbunden fühlt, wird jedes Kind spielerisch erproben, was alles geht und wie etwas gehen könnte. Dabei erwirbt es immer mehr Wissen und Können und erlebt sich als autonomer Gestalter all dessen, was es macht. Diese beiden miteinander verkoppelten Grunderfahrungen von Verbundenheit einerseits und Autonomie andererseits werden fest im Hirn verankert und bestimmen daher die Erwartungen aller Kinder, überall auf der Welt. Deshalb versuchen sie, so gut sie es vermögen, ihre jeweilige Lebenswelt und ihre Beziehungen zu den Personen, die sich um sie kümmern, so zu gestalten, dass diese beiden Grundbedürfnisse gestillt werden können. Das ist es, was alle Kinder wollen und was sie sich wünschen, was sie anfangs zwar noch nicht mit Worten, dafür aber mit ihren Augen zum Ausdruck bringen. Ein Blick in ihre Augen sagt sehr deutlich, was sie empfinden, wenn sie alleingelassen werden. Wie sehr sie erwarten, dass sich jemand ihnen zuwendet. Und ihre Augen strahlen, wenn ihre Entdeckerfreude erwacht und sie auszuprobieren beginnen, wie etwas funktioniert. Wenn sie versuchen, etwas zu bauen, es auseinanderzunehmen und zusammenzufügen, immer wieder, bis es ihnen endlich gelingt.