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Nur wir Menschen sind in der Lage, unsere Lebenswelt immer besser nach unseren eigenen Vorstellungen zu gestalten. Indem wir uns aber immer perfekter an die so gestaltete Lebenswelt anpassen, verlieren wir allzu leicht auch unsere Fähigkeit, immer wieder nach neuen Wegen zu suchen und dabei aus den eigenen Fehlern zu lernen. Doch wir sind frei, wir haben die Wahl. Wir können diese selbstverständlich gewordenen Vorstellungen hinterfragen, wir können sie loslassen und uns entscheiden, unser Leben und unser Zusammenleben anders zu gestalten. Denn der Mensch ist ein soziales Wesen. Und für die Entfaltung der in uns angelegten Potentiale brauchen wir die Begegnung und den Austausch mit anderen. Die Freude am eigenen Denken und die Lust am gemeinsamen Gestalten sind die großen Themen dieses Buches. Der Biologe Hüther macht deutlich: Jedes lebende System kann das in ihm angelegte Potential am besten in einem koevolutiven Prozess mit anderen Lebensformen zur Entfaltung bringen. Oder einfacher: Gemeinsam kommen wir weiter als allein. Und finden zurück zu dem Lebendigen, das uns ausmacht: zu neuer Kreativität, zum Mut zu sich selbst und zu persönlichen Antworten auf die Frage nach dem Sinn des Lebens. Wir verfügen über Talente und Begabungen und ein zeitlebens lernfähiges Gehirn, das für die Lösung von Problemen optimiert ist. Wir können Erfahrungen anderer übernehmen und über Generationen weitergeben. Doch alte, gebahnte Denkmuster verhindern, was für das Entstehen von Potentialentfaltungsgemeinschaften erforderlich ist: Vertrauen, Austausch, Begegnung. Wenn wir erkennen, dass unser Gehirn sein Potential in Netzwerken mit anderen entfalten kann, dass wir in all unserer Verschiedenheit zusammengehören, voneinander abhängig und miteinander verbunden sind, dann öffnet sich auch der Weg in eine hoffnungsvolle Zukunft, denn: Gemeinsam verfügen wir über deutlich mehr Hirn als allein!
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Seitenzahl: 244
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Gerald Hüther
Etwas mehr Hirn, bitte
Eine Einladung zur Wiederentdeckung der Freude am eigenen Denken und der Lust am gemeinsamen Gestalten
Vandenhoeck & Ruprecht
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
eISBN 978-3-647-99660-8 ISBN 978-3-647-40464-6
Umschlagabbildung: dan jazzia / shutterstock.com
© 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen / Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A.
www.v-r.de
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.
Satz: SchwabScantechnik, Göttingen Umschlag: SchwabScantechnik, Göttingen
Inhalt
Bevor es losgeht …
Teil 1: Das Leben als erkenntnisgewinnender Prozess
Weshalb haben wir so viele Probleme? · Woran orientiert sich unser Denken? · Was treibt unsere Suche nach Erkenntnis? · Wohin hat uns unsere Erkenntnissuche geführt? · Können wir uns selbst erkennen? · Wie gelangen wir zu einer eigenen Erkenntnis? · Wie bewerten wir unsere Erkenntnisse? · Welche Erkenntnisse breiten sich aus? · An welchen Erkenntnissen können wir uns orientieren?
1.1 Lebewesen funktionieren nicht wie unsere Maschinen. Sie wollen leben und verfolgen eigene Absichten, sind also intentionale Subjekte
1.2 Programme und Baupläne sind nützlich für die Realisierung unserer Vorhaben, aber alles, was lebendig ist, erfindet sich selbst erst im Prozess des eigenen Werdens
1.3 Wettbewerb ist nicht die Triebfeder von Weiter-entwicklung, sondern zwingt lebende Systeme lediglich zu fortschreitender Spezialisierung
1.4 Kein lebendes System existiert für sich allein. Es ist immer mit anderen Lebensformen verbunden und kann nur leben und sich weiterentwickeln inmitten von anderen, die auch am Leben bleiben, wachsen und sich fortpflanzen wollen
Teil 2: Die Strukturierung des menschlichen Gehirns durch soziale Erfahrungen
Was ist Kohärenz? · Wie funktioniert Selbstorganisation im Gehirn · Wie werden wir so, wie wir sind?
2.1 Die vorgeburtliche Strukturierung neuronaler Netzwerke im sich entwickelnden Gehirn
2.2 Die Strukturierung des kindlichen Gehirns durch eigene Erfahrungen
2.3 Die Strukturierung des menschlichen Gehirns durch die transgenerationale Weitergabe von Erfahrungen
2.4 Die zeitlebens bestehende Umbaufähigkeit einmal entstandener neuronaler Verschaltungsmuster durch neue Erfahrungen
Teil 3: Potentialentfaltung in menschlichen Gemeinschaften
3.1 Was kennzeichnet unser gegenwärtiges Zusammenleben?
3.2 Könnten wir auch anders zusammen leben?
3.3 Wovon wollen wir dann leben?
3.4. Wofür wollen wir zusammen leben?
3.5 Wann fangen wir an, uns gemeinsam auf den Weg zu machen?
Wie es weitergeht …
Bevor es losgeht …
Es hat lange gedauert, bis mir allmählich klar geworden ist, dass ich ein Leben lang nach etwas gesucht habe, wonach auch alle anderen Menschen, überall auf der Welt schon immer auf der Suche sind.
Wie alle kleinen Kinder muss auch ich schon als Baby bemerkt haben, dass ein kleines Lächeln von mir ausreichte, um die Augen meiner Mutter leuchten zu lassen. Und wenn ich dieses Leuchten hervorzaubern konnte, war alles gut. Dann war auch ich glücklich. Anstrengen musste ich mich dafür nicht. Das ging ganz von selbst, nicht nur mit ihr, auch mit meinem Vater, meinen Großeltern und allen anderen Personen, die sich vorsichtig und liebevoll über meinen Kinderwagen beugten. Es lässt sich nur erahnen, mit welcher Lust ich damals ausprobiert habe, was ich als Kind noch so alles machen konnte. Und so ziemlich alles, was ich damals Schritt für Schritt zustande brachte, machte meine Eltern glücklich. Und auch alle anderen, die mich damals begleitet haben. Ihre Freude über mich beflügelte meine eigene Lust am Entdecken und Gestalten.
Doch irgendwann kam es dann, wie es kommen musste: Nicht mehr alles, was ich nun machte und von mir gab, löste dieses wunderbare Glücksgefühl bei meinen Nächsten aus. Manches war ihnen zu viel, manches passte jetzt gerade nicht, manches ging Mama oder Papa nun sogar auf die Nerven. Immer mehr war dann wohl offenbar nicht mehr das, was sie sich gewünscht, was sie von mir erhofft und erwartet hatten.
So ging auch für mich das Glück der unbeschwerten Kindheit allmählich zu Ende. Meine Eltern fingen an, mich zu erziehen. Wie alle Kinder habe auch ich mich bemüht, sie glücklich zu machen, habe versucht »schön brav« zu sein und ihre Erwartungen zu erfüllen. Nicht weil ich das musste. Es war mir ja selbst wichtig und ich habe mich auch sehr gefreut, wenn es mir gelang. Aber dieses den ganzen Körper durchströmende uneingeschränkte Glücksgefühl, das ich vorher empfunden hatte, bekam nun so etwas wie einen bitteren Beigeschmack. Die Unbefangenheit und deshalb auch die unbändige Lust, mit der ich ursprünglich als kleiner Entdecker und Gestalter unterwegs war, hatte ihre Absichtslosigkeit verloren. Ich verfolgte ein Ziel und meine Bemühungen waren auf ein Ergebnis ausgerichtet, das es zu erreichen galt: Ich wollte, dass meine Eltern mit mir zufrieden waren. In die Freude darüber, dass mir das gelegentlich gelang, mischte sich nun aber die Angst, ihre Zuneigung und damit die Geborgenheit und Sicherheit, die Verbundenheit mit ihnen zu verlieren, wenn das, was ich entdeckt oder zustande gebracht hatte, nicht ihren Erwartungen entsprach.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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