Kontrovers diskutiert. Samuel Huntingtons "Kampf der Kulturen". Entschlüsselung eines unhistorischen Weltbilds - Francis Müller - E-Book

Kontrovers diskutiert. Samuel Huntingtons "Kampf der Kulturen". Entschlüsselung eines unhistorischen Weltbilds E-Book

Francis Müller

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  • Herausgeber: GRIN Verlag
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2006
Beschreibung

Studienarbeit aus dem Jahr 2006 im Fachbereich Soziologie - Religion, Note: gut, Universität Luzern (Religionswissenschaftliches Seminar), Veranstaltung: Religion und Politik im 20. Jh., Sprache: Deutsch, Abstract: Kaum ein Werk wird seit dem 11. September 2001 so kontrovers diskutiert wie Samuel Huntingtons 'Kampf der Kulturen'. Für die einen ist Samuel Huntington ein wertkonservativer Kriegstrommler, andere haben ihn in die Nähe eines Propheten gerückt, dessen Szenario weltpolitische Wirklichkeit geworden ist. Auf die Frage, ob es einen Konflikt gibt oder nicht, soll in dieser Arbeit nicht weiter eingegangen werden. Denn: Die zivilen Opfer von Terrorattentaten in New York, Madrid, Indien und Ägypten zeigen sehr wohl, dass es ihn gibt. Ihn aus politischer Korrektheit zu leugnen, kann nicht das Ziel wissenschaftlicher Arbeit sein. Und ich gehe aus Gründen, die in der Arbeit erwähnt werden, davon aus, dass dieser Konflikt kulturelle Ursachen hat – und dass ihm nicht ökonomischen Disparitäten zugrunde liegen, wie dies die neomarxistische Theorie vertritt. Man kann Huntingtons Szenario des Kulturkampfes als Kritik an einem linearen Geschichtsverständnis verstehen, wie es Francis Fukuyama mit dem 'Ende der Geschichte' beschrieben hat. Samuel Huntington vertritt ein zyklisches Geschichtsbild, das auf Oswald Spengler und dessen 'Der Untergang des Abendlandes' zurückgeht. So schreibt Huntington Kulturen ein unabänderliches Wesen zu. Er differenziert nicht zwischen Islam und Islamismus, was gesellschaftspolitisch höchst problematisch ist. Ebenso wenig behandelt er Fundamentalismus als Sonderphänomen. Er behandelt Fundamentalismus als ein Naturprinzip, das allen Kulturen – ausser der westlichen! – innewohnt. Dieses unhistorische Weltbild soll in der Arbeit denkhistorisch entschlüsselt werden.

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Inhaltsverzeichnis

 

1  Einleitung

2  Samuel Huntington: Kampf der Kulturen

2.1  Welt aus Kulturen

2.2  Das veränderte Gleichgewicht der Kulturen

2.3  Die kommende Ordnung der Zivilisationen

2.4  Konflikte zwischen Kulturkreisen

2.5  Die Zukunft der Kulturen

3 Kritische Auseinandersetzung

3.1  Der ideengeschichtliche Hintergrund

3.2  Das Religionsverständnis

3.3  Der Islam

3.4  Der Fundamentalismus

3.5  Die Menschenrechtsfrage

4 Zusammenfassung

5  Schlusswort

6  Literaturverzeichnis

 

1  Einleitung

Kaum ein Werk wird seit dem 11. September 2001 so kontrovers diskutiert wie Samuel Huntingtons 'Kampf der Kulturen'. Für die einen ist Samuel Huntington ein wertkonservativer Kriegstrommler, andere haben ihn in die Nähe eines neuen Nostradamus gerückt, dessen 'Kampf der Kulturen' weltpolitische Wirklichkeit geworden ist. Die Wahrheit, wenn es sie gibt, muss wohl irgendwo zwischen diesen beiden Polen liegen. Es macht genauso wenig Sinn, dieses Werk aus Gründen der politischen Korrektheit per se abzulehnen (möglicherweise sogar, ohne es überhaupt gelesen zu haben), wie es in die Nähe der Prophetie zu rücken.

Auf die Frage, ob es einen Kampf der Kulturen gibt oder nicht, möchte ich in dieser Arbeit allerdings nur bedingt eingehen. Denn: Ich gehe davon aus, dass es diesen Kampf gibt. Ich gehe davon aus, dass er kultureller Natur ist – und nicht etwa ökonomischen Disparitäten zugrunde liegt, wie dies Marxisten behaupten.

Die wirklich relevanten Fragen sind für mich, mit welchen Begriffen Huntington operiert und welches Geschichts- und Religionsverständnis er vertritt. Gemäss Gazi Caglar vertritt Huntingtons ein zyklisches Geschichtsbild, das auf Oswald Spengler und sein Werk 'Der Untergang des Abendlandes' zurückgeht. Man kann Huntingtons Szenario des Kulturkampfes weiter als Kritik an einer westlich-zentrischen Weltsicht und einer linearen Geschichtstheorie verstehen, wie sie Francis Fukuyama mit dem 'Ende der Geschichte' anfangs der Neunzigerjahre beschrieben hat.

Zum Aufbau dieser Arbeit: Ich werde im ersten Kapitel das Buch 'Der Kampf der Kulturen' zusammenfassen und dabei Schwerpunkte auf den Islam setzen.Huntington berichtet nicht nur über einen Konflikt zwischen der westlich okzidentalen und der islamischen Kultur, wie dies oftmals interpretiert wird, sondern auch von anderen Kulturen. Da zur Zeit, und vermutlich auch auf weiteres, der Konflikt zwischen der westlich okzidentalen und der islamischen Welt präsenter – oder präziser: medienpräsenter – ist als alle anderen, werde ich in erster Linie darauf eingehen.Der Islamismus ist zur Zeit und wohl auch in mittelfristiger Zukunft radikaler, angriffslustiger und militanter als andere Fundamentalismen. Die Ursache für die Popularität des Diskurses um den Islamismus sind unter anderem die gewaltigen und gewaltig medienwirksamen Attentate vom 11. September 2001.

Einzelne Aussagen von Huntington werde ich in der Zusammenfassung gleich kommentieren. In der kritischen Auseinandersetzung werde ich den ideengeschichtlichen Hintergrund, das holzschnittartige Religionsverständnis von Samuel Huntington und die Islam-Frage beleuchten.

Soviel vorweg: Es ist auffällig, dass Samuel Huntington nicht zwischen Islam und Islamismus differenziert. Ebenso wenig behandelt Huntington Fundamentalismus als Sonderphänomen. Er geht überhaupt nicht auf den Fundamentalismus ein und demnach davon aus, dass der Fundamentalismus ein Naturprinzip ist, das allen Kulturen – ausser der westlichen! – innewohnt, und das sich – ganz nach der Distinktionstheorie,  die er vertritt – durch einen äusseren Gegner verstärkt.

2  Samuel Huntington: Kampf der Kulturen

 

In diesem Kapitel wird 'Der Kampf der Kulturen' von Samuel Huntington zusammengefasst. Dabei werden in erster Linie die Konflikte zwischen der islamischen und der westlichen Welt hervorgehoben. An einzelnen Stellen sind gleich Anmerkungen und Kritiken angebracht. Um die Essenz seiner Theorie gleich verkürzt vorwegzunehmen: Huntington relativiert die Universalität der westlichen Werte, zugleich – oder vielleicht gerade deshalb – plädiert er dafür, dass der Westen seine Vormachtsstellung militärisch behaupten soll.

 

2.1  Welt aus Kulturen

 

Das Theoriefundament besteht in der Annahme, dass Identität sich über Differenz konstituiert. "Wir wissen, wer wir sind, wenn wir wissen, wer wir nicht sind und gegen wer wir sind" (1996: 21). Samuel Huntington wendet diese aus der Sozialphilosophie stammende Distinktionstheorie auf Nationalstaaten an, denn "Nationalstaaten bleiben die Hauptakteure des Weltgeschehens" (1996: 21). Selbstverständlich ist der Nationalstaat nur eines von mehreren Konzepten, die Identitäten erzeugen: Ein Andalusier ist in Andalusien Granader oder Sevillaner, in Madrid Andalusier, in England ist er Spanier, in Südamerika Europäer. Identität ist nicht etwas per se Gegebenes, sondern sie entsteht kontextabhängig. Huntington behauptet, dass der zunehmende Druck der Globalisierung zu Rückbesinnungen auf eigene Kulturen führt. Da nun der Westen, also die USA und Westeuropa, eine globale Vormachtstellung haben, entwickeln andere Kulturen ein umso stärkeres Identitätsbewusstsein. "Der Druck in Richtung Integration in der Welt ist real. Genau dieser Druck ist es, welcher den Gegendruck der kulturellen Selbstbehauptung und des kulturellen Bewusstseins weckt" (1996: 43). Huntington hält das Konzept der kulturellen Zweiteilung der Welt für unbrauchbar. "Der Westen ist auf einer bestimmten Ebene in der Tat eine Einheit. Aber was haben nichtwestliche Gesellschaften andere gemeinsam als die Tatsache, dass sie nichtwestlich sind?" (1996: 37). Huntington weiter: "Die Welt zerfällt mit einem Wort in eine westliche und viele nichtwestliche" (1996: 43). Neben dem westlichen Kulturkreis anerkennt Samuel Huntington den chinesischen, den japanischen, den hinduistischen, den islamischen und den lateinamerikanischen. Beim afrikanischen Kulturkreis fügt er ein "vielleicht" an.

 

Von diesen Kulturkreisen hat der Westen heute die globale Dominanz, was ein neueres Phänomen ist. "Sie [die Christenheit] hinkte jedoch, was ihren Zivilisationsgrad betraf, jahrhundertelang hinter vielen anderen Kulturkreisen her" (1996: 65). Den Höhepunkt der globalen Macht hat der Westen gemäss Samuel Huntington 1914 erreicht, als europäische und ehemals europäische Kolonien 84 Prozent der Landoberfläche der Erde kontrollierten (1996: 66). Huntington denkt in militärischen Kategorien: "Der Westen eroberte die Welt nicht durch die Überlegenheit seiner Ideen oder Werte oder seiner Religion (…), sondern vielmehr durch seine Überlegenheit bei der Anwendung von organisierter Gewalt. Oftmals vergessen Westler diese Tastsache; Nichtwestler vergessen sie niemals" (1996: 68). Diese Aussage relativiert die Protestantismustheorie von Max Weber, die besagt, dass die westliche Weltbeherrschung auf die okzidentale Rationalität zurückzuführen ist (Weber 1988: 17-206). Aber beide operieren beide mit simplifizierten Modellen: Weber mit seiner idealtypischen Methode, Huntington mit seiner Makrotheorie, die Kulturen als in sich homogene Blöcke behandelt.

 

Im 20. Jahrhundert haben nichtwestliche Länder westliche politische Ideologien wie den Marxismus, Liberalismus, Nationalismus und Faschismus übernommen. Nun aber, ahnt Samuel Huntington, werden diese Länder zurück zu eigenen kulturellen Wurzeln finden – durch ihre Religion. Die westlich-universale Kultur, die er "Davos-Kultur" (1996: 78) nennt, sei nur einem kleinen Teil der Weltbevölkerung bekannt und zugänglich. Er bezweifelt, dass die Verbreitung des westlichen Konsums zur Übernahme westlicher Werte führe. "Die Quintessenz der westlichen Zivilisation ist die Magna Charta, nicht der Big Mac. Die Tatsache, dass Nichtwestler in diesen beissen, sagt nichts darüber aus, dass sie jene akzeptieren" (1996: 79).

 

2.2  Das veränderte Gleichgewicht der Kulturen

 

Samuel Huntington zeichnet ein aus westlicher Sicht pessimistisches Zukunftsbild. "Die wirtschaftliche Macht verlagert sich zusehends nach Ostasien, und die militärische Macht und der politische Einfluss werden ihr folgen. Die indische Wirtschaft sitzt in den Startlöchern, und die islamische Welt steht dem Westen zunehmend feindselig gegenüber" (1996: 118). Im weiteren erwähnt er soziodemografische Statistiken, die besagen, dass die westliche Bevölkerung im prozentualen Anteil zur Weltbevölkerung schrumpft. Zugleich nimmt die ökonomische und militärische Vormachtstellung des Westens ab. Folglich nimmt das Selbstbewusstsein nichtwestlicher Kulturen zu. "Die Menschen Ostasiens schreiben ihre dramatische Entwicklung nicht ihrem Import der westlichen Kultur zu, sondern vielmehr ihrem Festhalten an der eigenen" (1996: 139).

 

Samuel Huntington schreibt über die Rückkehr der Religion. "Der naheliegenste, entscheidendste und stärkste Grund für den weltweiten Aufschwung der Religion ist genau derjenige, der eigentlich den Tod der Religion bewirken sollte: es ist die soziale, wirtschaftliche und kulturelle Modernisierung, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die ganze Welt erfasst hat" (1996: 146). Die Religion stiftet in Zeiten des Wandels kulturelle und individuelle Identität. Sie erfüllt eine stabilisierende Funktion.

 

2.3  Die kommende Ordnung der Zivilisationen

 

Samuel Huntington zeichnet Szenarios von einer kommenden Weltordnung, in denen die Grenzen nicht mehr  national, sondern kulturell bedingt sind. Er geht davon aus, dass sich Nationen im Konfliktfall mit jene Nationen solidarisieren, die ähnliche Kulturen haben. "An die Stelle von Blöcken wie in der Zeit des kalten Krieges treten kulturelle Gemeinschaften, und die Bruchlinien zwischen Zivilisationen sind heute die zentralen Konfliktlinien globaler Politik geworden" (1996: 193). Europa, behauptet Huntington, sei nicht eine politische, sondern eine kulturelle Identität. "Es [Europa] hört dort auf, wo das westliche Christentum aufhört und Orthodoxie und Islam beginnen" (1996: 252).