0,99 €
»Was verdanken Sie dem deutschen Geist? der kosmopolitischen Idee?« Nachdem Thomas Mann zur Beantwortung dieser Rundfrage wohl zunächst ›Abgerissene Gedanken zum Problem des Kosmopolitismus‹ aus früheren Texten zusammengestellt hatte, scheint ihn das Ergebnis nicht recht zufriedengestellt zu haben, so dass er in einem nächsten Schritt diesen ganz neuen Text verfasste. Gefragt hatte die Redaktion von Die Literarische Welt, wo der Text dann auch, in zwei Teilen, am 16. und 23. Oktober 1925 erschien. Die zunehmend internationale Ausrichtung Manns wird auch in dieser Arbeit offenbar, auch wenn er – wie so oft – mit dem Mittel ironischer Übertreibung tiefstapelt: »und wenn ich höre, daß André Gide Englisch gelernt hat, nur um Joseph Conrad im Original zu lesen, so kennt meine Bewunderung und Beschämung keine Grenzen.«
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 16
Thomas Mann
Kosmopolitismus
Essay/s
Fischer e-books
In der Textfassung derGroßen kommentierten Frankfurter Ausgabe(GKFA)Mit Daten zu Leben und Werk
Die Frage, wie ich es mit dem Kosmopolitismus halte, ist mir schon manchmal gestellt worden, und immer hat das Examen mich in eine gewisse persönliche Verlegenheit gesetzt. Ich bin nämlich, für meine Person, gar kein Kosmopolit, durchaus kein Weltmann, nichts weniger als polyglott. Man tut nicht wohl daran, mich zu repräsentativem Zweck ins Ausland zu schicken: sobald es nicht deutsch hergeht, wie in Ungarn, Holland und Skandinavien, beginnt meine Mißlage. Mein Englisch, Französisch und Italienisch ist schlechthin kümmerlich; ich spreche das alles nicht nur wie ein Schuljunge, ich lese es auch ohne Bequemlichkeit. Meine Trägheit in Hinsicht auf fremde Sprachen war immer unüberwindlich, und wenn ich höre, daß André Gide Englisch gelernt hat, nur um Joseph Conrad im Original zu lesen, so kennt meine Bewunderung und Beschämung keine Grenzen. Was mich betrifft, so warte ich noch heute schlaff auf die deutsche Übersetzung der Werke des polnischen Seglers (schändlicher Augenblick, wo ich Galsworthy, auch einem großen Verehrer Conrads, das eingestehen mußte), wie ich auf die von Proust warte (beeilt euch, kosmopolitisch gesinnte deutsche Verleger!), und all meiner Lebtage bin ich ein rechter und schlechter Nutznießer des deutschen Übersetzungsfleißes gewesen. Ich erzähle gern, wie in meinen jungen Jahren ein französischer Roman, die »Renée Mauperin« der Goncourts, es war, dessen immer wiederholte Lektüre mich ermutigte, nach novellistischen Versuchen es mit einer Romankomposition, den »Buddenbrooks«, zu wagen. Die Reclam-Übersetzung jenes Werkes begann mit dem Dialog: »Sie lieben nicht die Gesellschaft, mein Fräulein?« – »Nein, mein Herr, was wollen Sie, ich langweile mich in ihr!« – Ich werde nie {1017}verstehen, wie das viele Lesen von Übersetzungen in meiner Jugend mir den Stil nicht vollständig verdorben hat.