Krabbenkuss mit Schuss - Christiane Franke - E-Book
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Krabbenkuss mit Schuss E-Book

Christiane Franke

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Beschreibung

Das ist mal wieder typisch für Lehrerin Rosa. Da möchte sie für ihre Klasse einen Termin auf einer ostfriesischen Alpakafarm machen und stolpert dabei beinahe über einen Toten. Für die Kripo in Wittmund ist schnell klar: Die Ehefrau war's. Spürnase Rosa kommen allerdings Zweifel. Denn da gibt es auch noch den ominösen Klau der goldenen Teekanne einer alteingesessenen Teefirma, für die der Tote als Teetester gearbeitet hat. Hängt beides zusammen? Als ein weiterer Mord geschieht, spannt Rosa ihre Freunde Dorfpolizist Rudi und Postbote Henner ein. Gemeinsam begeben sie sich auf die Pirsch und kommen der Lösung gefährlich nahe. «Diejenigen, die Ostfriesland lieben, werden von diesem Trio so begeistert sein wie ich!» Gisa Pauly

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Christiane Franke • Cornelia Kuhnert

Krabbenkuss mit Schuss

Ein Ostfriesen-Krimi

 

 

 

Über dieses Buch

Eine Leiche zum Tee

 

Das ist mal wieder typisch für Lehrerin Rosa. Da möchte sie für ihre Klasse einen Termin auf einer ostfriesischen Alpakafarm machen und stolpert dabei beinahe über einen Toten. Für die Kripo in Wittmund ist schnell klar: Die Ehefrau war‘s. Spürnase Rosa kommen allerdings Zweifel. Denn da gibt es auch noch den ominösen Klau der goldenen Teekanne einer alteingesessenen Teefirma, für die der Tote als Teetester gearbeitet hat. Hängt beides zusammen? Als ein weiterer Mord geschieht, spannt Rosa ihre Freunde Dorfpolizist Rudi und Postbote Henner ein. Gemeinsam begeben sie sich auf die Pirsch und kommen der Lösung gefährlich nahe.

 

«Diejenigen, die Ostfriesland lieben, werden von diesem Trio so begeistert sein wie ich!» Gisa Pauly

 

«Wer geglaubt hat, dass er Ostfriesland kennt, der wird hier eines Besseren belehrt – und das mit einer saftigen Portion Spannung und vor allem Humor, dem manch einer den knorrigen Charakteren am Nordseestrand nicht zutraut, was aber einmal mehr beweist: Friesland singt nicht nur, es lacht auch!» Margarete von Schwarzkopf

 

«Küste ist Kult. Wie so oft macht es die richtige Mischung – und die gelingt Christiane Franke und Cornelia Kuhnert besonders gut.» Krimi Magazin

Vita

Christiane Franke wurde an der Nordseeküste geboren und lebt immer noch gerne dort. Neben ihren gemeinsamen Projekten mit Cornelia Kuhnert schreibt sie eine weitere Krimiserie um die Wilhelmshavener Kommissarinnen Oda Wagner und Christine Cordes, die im Emons Verlag erscheint.

 

Cornelia Kuhnert lebt in Hannover und hat dort als Lehrerin gearbeitet. Sie hat bereits zahlreiche Kriminalromane veröffentlicht und Anthologien herausgegeben.

Impressum

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, März 2020

Copyright © 2020 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg

Krabbenvignette HN Works/Shutterstock

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.

Covergestaltung yellowfarm gmbh, Stefanie Freischem

Coverabbildung Shutterstock: Mauritius Images

Krabbenvignette HN Works/Shutterstock

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

ISBN 978-3-644-00556-3

www.rowohlt.de

 

Alle angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Printausgabe.

 

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

 

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Die Nutzung unserer Werke für Text- und Data-Mining im Sinne von § 44b UrhG behalten wir uns explizit vor.

Hinweise des Verlags

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Dieses E-Book ist nicht vollständig barrierefrei

 

 

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Prolog

Huu-hu-huhuhuuuuu. Unheimlich hallt der Ruf des Waldkauzes über den Friedhof. Die Glocke der Deichkirche in Carolinensiel schlägt einmal. Das Ende der Geisterstunde. Leise rollt ein Auto heran, gleitet am Friedhof vorbei. Parkt. Vier dunkle Gestalten steigen aus. Außer ihnen ist niemand mehr unterwegs. Die Fenster der Häuser sind dunkel. Nirgends brennt noch Licht. Alles ist still. Es ist so weit. Jetzt muss jeder Handgriff sitzen.

Einer öffnet die Heckklappe des Kofferraums. Schweigend stellt sich ein anderer neben ihn. Geräuschlos ziehen sie eine Klappleiter heraus und steuern damit ein weiß gestrichenes Haus an. Eine dritte Gestalt postiert sich ein paar Meter neben der Eingangstür. Das Ende der Straße im Blick. Der Vierte im Bunde geht ein paar Schritte weiter auf Beobachtungsposten. Sie nicken sich zu. Die Luft ist rein.

Schnell klappt der Größte der Gruppe die Leiter auf, klettert flink drei Stufen zum goldverzierten Nasenschild hoch. Oben angekommen, greift er zur Zange. Will eine der Metallösen aufbiegen. Verflucht! Sie ist fester zusammengedrückt als gedacht. Bald stehen ihm Schweißperlen auf der Stirn. Die anderen drei werden nervös. «Wie lange dauert es denn noch?», flüstert der, der die Leiter festhält.

«Ich beeil mich ja», raunt der von oben zurück. «Aber das ist nicht so leicht. Vielleicht geht es mit der Feile besser.» Er greift in die Jackentasche. Vorsichtig schiebt er die Feile in die Öffnung. Drückt. Aua! Er hat sich an den spitzen Verzierungen gepikst. Zum Glück trägt er Handschuhe. Nicht dass da noch ein Blutstropfen hängen bleibt. Noch einmal. Endlich! Das Metall gibt nach. Die Öse öffnet sich. Jetzt ist der Schlitz groß genug, um die Kette herauszufädeln. Doch erst muss er noch die zweite Öse aufbiegen.

In der Ferne bellt ein Hund. Die beiden Posten werden unruhig im Schatten der Häuser. Doch Hektik nützt ihnen jetzt nichts. Konzentriert arbeitet er weiter, hängt die Ketten aus der Verankerung der Ösen und entfernt die goldene Teekanne aus dem grünen Rund der Blätterspitzen. Geschafft! Zügig steigt er die Leiter hinab, klappt sie beinahe lautlos zusammen. Die Wachen verlassen ihre Posten. Schnellen Schrittes eilen alle zum Auto. Verstauen die Leiter, steigen ein. Als sie ein paar Minuten gefahren sind, dröhnt erleichtertes Lachen durchs Auto.

«Wie geil ist das denn, das hat ja wie am Schnürchen geklappt.»

«Als ob wir nie was anderes gemacht hätten!»

«Na, die werden morgen früh aber Augen machen!»

«Vor allem, wenn sie den Brief kriegen. Dann geht es erst richtig los.»

Samstag

Fröhlich pfeifend sitzt Rosa in ihrem kleinen Fiat und steuert den Hof der Ewenbergs an. Vor ein paar Tagen war sie mit den Mädels vom Häkelbüdel-Club im Teemuseum in Carolinensiel und ist dort auf einen Flyer des Alpaka-Gestüts gestoßen. Interessiert hat sie ihn durchgelesen und gleich die Möglichkeit gewittert, den Sachunterricht für einen Tag hierher zu verlegen. Das sind die Sternstunden ihres Berufes: mit den Schülern Ausflüge zu machen und ihnen dabei Lehrinhalte zu vermitteln. Da Rosa gern schnell zur Tat schreitet, hat sie beschlossen, heute herzufahren und Nägel mit Köpfen zu machen. Vor allem, weil herrlichstes Frühsommerwetter ist.

Als sie auf den Hof einbiegt, kommt ihr ein schwarzes Auto entgegen. Sie folgt dem Hinweisschild zum Hofladen. Nach hundert Metern parkt sie und steigt aus. Sie lacht fröhlich auf, als sie die Alpakas sieht. Die Köpfe der Tiere ragen eine Handbreit über den Zaun aus breiten Holzschwarten. Was die für wuselige Haare auf dem Kopf haben. Eine Eins-a-Punkerfrisur mit Tendenz zu Rastalocken. Dazu diese Hammerschneidezähne im Unterkiefer.

Eine Frau steht auf dem Sandplatz vor der Weide und füllt den Wassertank auf. Sie trägt Jeans und ein kariertes Hemd.

«Moin. Frau Ewenberg?», ruft Rosa.

«Jo.» Die Frau richtet sich auf. «Was kann ich für Sie tun?»

«Mein Name ist Rosa Moll. Im Teemuseum habe ich Ihren Flyer gesehen. Ich bin Lehrerin und dachte, ich könnte mit meiner Klasse mal zu Ihnen zu Besuch kommen. Das würde ich gerne mit Ihnen besprechen, wenn es Ihnen passt.»

«Natürlich. Gehen Sie doch schon mal vor in den Hofladen. Ich komme gleich. Muss nur noch Heu nachfüllen.»

Doch Rosa kann sich gar nicht sattsehen an den Alpakas. Manche sind dunkelbraun, andere schwarz-weiß gesprenkelt. Alle haben diesen Wuschelkopf. Ein Tier sogar einen rötlichen. «Mein Gott, ist der süß.»

«Das ist unser kleiner Star. Liza von Hartward. Eigene Zucht. Ihre Eltern stehen dahinten.»

Während die Frau mit den mittellangen rotblonden Haaren weiter an der Futterkrippe hantiert, schaut sich Rosa um. Hinter dem Tiergehege steht ein kleines Fachwerkhaus. Davor stapeln sich Säcke. Das scheint der Hofladen zu sein. Weiter rechts sind Ställe, vor einem gackert eine Hühnerschar. Dahinter erstrecken sich sattgrüne Wiesen bis zur nächsten Warft, alle leuchtend gelb gesprenkelt von Löwenzahnblüten. Hier müsste man Kuh sein, denkt Rosa unwillkürlich.

Ein gepflasterter Weg führt zu einem größeren Haus im Fachwerkstil neueren Baujahrs. Das nächste Gebäude liegt weit entfernt und kaum erkennbar hinter einem Erlenbruch. Ziemlich einsame Ecke hier. Dafür mit viel Platz.

Frau Ewenberg ist nach ein paar Minuten fertig und schlüpft durch eine Pforte. «Mit wie vielen Kindern wollen Sie denn kommen?»

«In meiner vierten Klasse sind 13 Jungen und 15 Mädchen.»

«Schön! Ich freue mich immer, wenn Kinder Interesse an der Natur und meinen Tieren haben. Wissen Sie, Alpakas gehören zu den ältesten Haustieren der Welt. Sie werden schon seit über 7000 Jahren gezüchtet.» Frau Ewenberg wischt sich die Hände an ihrer Jeans ab, bevor sie Rosa die Hand reicht.

«Moin erst mal.»

«Moin.» Die Frau ist Rosa auf Anhieb sympathisch.

«Wir bieten verschiedene Möglichkeiten an, was die Kinder bei uns machen können. Am Zaun stehen ist natürlich kostenlos. Aber auch langweilig. Viel spaßiger ist es, wenn Sie einen Spaziergang mit den Alpakas buchen. Die Tiere tragen dabei ein Halfter, die Kinder führen sie an Zügeln. Kommen Sie.» Frau Ewenberg bleibt vor dem zweiten Gehege stehen. «Wir haben 15 Tiere, die wir für solche Spaziergänge einsetzen können. Die anderen sind noch nicht ans Halfter gewöhnt.» Sie zeigt auf ein Stallgebäude. «Vorher können Ihre Schüler dort noch die Prüfung für den Alpaka-Führerschein ablegen. Erst erfahren sie viel Wissenswertes rund ums Tier, zum Beispiel, dass es Paarhufer sind oder dass sie nur spucken, wenn es Probleme mit der Rangordnung gibt. Anschließend gibt es schriftliche Fragen. Ein lüttes Quiz. Das bereitet unseren kleinen Besuchern immer sehr viel Freude.»

«Was für eine tolle Idee.» Rosa ist begeistert.

«Wann wollen Sie denn kommen?»

«Gern nächsten Monat.»

«Das ist gut. Im Moment ist hier alles ein bisschen durcheinander. Ein paar der Stuten sind hoch trächtig, in den nächsten Tagen erwarten wir fünf Jungtiere. Das geht für mich erst einmal vor. Warten Sie, ich hole Ihnen aus dem Haus die Liste mit den detaillierten Angeboten und Preisen. Dann können Sie sich alles in Ruhe ansehen und sich entscheiden.»

«Prima!»

Frau Ewenberg marschiert auf das Wohnhaus zu. Rosa sieht ihr nach und geht zu dem Alpaka mit dem rötlichen Fell. «Na, Liza.» Sie streckt die Hand aus, um das Tier zu streicheln, als ein Schrei die friedliche Stille der Weidelandschaft durchbricht. Rosa zuckt zusammen.

Draußen krähen sich die beiden Hähne die Lungen aus den Hälsen, drinnen singt lauthals ein Shanty-Chor «Junge, komm bald wieder». Rudis Vater Hoyko liebt diese Schlager. Aber deshalb muss er die nicht den ganzen Tag und schon gar nicht in dieser Lautstärke hören, findet Rudi. Selbst sein Sohn Sven trägt meistens Kopfhörer, wenn er die Musikanlage aufdreht. Ein bisschen Rücksicht muss sein, wenn man zusammenwohnt. Das ist doch eigentlich eine klare Sache. Nur scheint Rudis Vater gar nicht zu merken, dass seine Musik ihn und Sven nervt. Natürlich, Hoyko Manninga hatte in Kanada eine eigene Wohnung auf seiner Hotelanlage und konnte dort machen, was er wollte. Hier aber hat er sich bei ihm und Sven einquartiert. Übergangsweise, bis er eine eigene Wohnung in Neuharlingersiel gefunden hat, damit die drei sich besser kennenlernen. Hoyko weiß immerhin erst seit kurzem, dass er einen Sohn und einen Enkel hat.

Dafür hatte Rudi zunächst ja auch Verständnis. Aber nach vier Wochen schwindet das. Zugegeben, sein Vater bemüht sich eifrig um ein eigenes Domizil im Ort, aber er ist verdammt wählerisch. Bislang hatte er an allen Wohnungen etwas auszusetzen. Dabei waren da mindestens drei richtig schöne Seniorenwohnungen dabei. Insgeheim fragt sich Rudi schon, ob er seinen Vater wirklich so lange bei sich wohnen lassen will, bis der eine Bleibe gefunden hat. Das kann ja Monate dauern!

«Auf Matrosen, ohe, einmal muss es vorbei sein …» Damit hat der legendäre Hans Albers ja nun wirklich recht. Einmal muss das Shanty-Gesinge vorbei sein. Und das Wohnen zu dritt. Die Klappcouch in der kleinen Kammer, auf der Rudi seit Wochen schläft, um seinem alten Vater den Komfort des Schlafzimmers zu überlassen, ist nicht unbedingt bequem. Und es gibt ja nur ein Bad.

Außerdem hat Rudi im Moment jede Menge zu tun auf der Dienststelle. Da wurde doch Montagnacht die goldene Teekanne von Olsens Teemuseum in Carolinensiel geklaut. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion. Und am nächsten Tag hat Olsen einen Erpresserbrief erhalten! Unterschrieben war der Brief von den «Omas für Gerechtigkeit». Sachen gibt’s. Rudi war jedenfalls ganz baff, als Olsen bei ihm auf der Wache in Esens anrief und davon berichtete.

Er und Bernie sind sofort hingefahren, haben den Brief sichergestellt und nach Wittmund gebracht. Diese ominösen Omas müssen ja gelenkig sein, die goldene Teekanne hing gut dreieinhalb Meter hoch neben dem Museumseingang. Und schwer ist das Ding bestimmt auch. Garantiert zehn Kilo. Ist immerhin vergoldetes Messing. Fingerabdrücke hat die Kriminaltechnik allerdings nicht auf dem Brief gefunden, und weitergekommen sind sie auch noch nicht.

Aber das ist ja auch nicht Rudis Bier. Das ist Sache der Kollegen in Wittmund. Die werden eh besser bezahlt als er und Bernie Bütefisch und haben viel mehr Personal. Außerdem hat Rudi jetzt in der beginnenden Touristensaison ohnehin viel zu tun und in den letzten Wochen jede Menge Überstunden gemacht. Da bleibt ihm kaum noch Zeit fürs Privatleben. Also nicht, dass er außer den Tatortabenden mit seinem besten Kumpel Henner überhaupt eins hätte. Das würde er gern ändern. Er fasst sich in seine Haare. Die müssten dringend mal geschnitten werden.

Am besten, er ruft gleich jetzt im Salon Anita an und vereinbart einen Termin bei Susanne Schnepel, bevor er es sich wieder anders überlegt. Sie hat den Stinkstiefel Helmut, seinen Kollegen, vor Wochen verlassen und ist in eine Ferienwohnung hier im Ort gezogen. Ein paarmal ist er ihr über den Weg gelaufen, und beim letzten Mal haben sie länger miteinander geredet. Da begannen direkt ein paar Schmetterlinge in seinem Bauch zu flattern. Vielleicht hat sie ja heute noch Zeit. Dann könnte er sie für morgen zu einem Spaziergang einladen. Oder zu Kaffee und Kuchen ins Störmhuus. Bevor er die Nummer eingetippt hat, ertönt die Fanfare seines Handys.

«Ja, Bernie?», fragt er ungnädig, als er das Gespräch annimmt. «Was gibt’s denn? Ich hab Wochenende.»

«Is mir schon klar. Aber gerade hat der Olsen angerufen. Bei ihm ist ein zweiter Erpresserbrief angekommen. Diesmal nicht von diesen komischen Omas. Jetzt behauptet einer, der Tee von Olsen würde nicht mehr schmecken, deshalb hätte man die Kanne geklaut. Und würde sie so lange behalten, bis es wieder vernünftigen Tee gibt. Kannst du dir das erklären?»

«Nö», gibt Rudi zu. «Is aber eigenartig.»

«Siehste. Dachte ich mir doch, dass dich das interessiert. Willste mitkommen, den Brief abholen? Würd mich wohler fühlen, wenn du dabei bist.»

«Na gut.»

Ergeben steckt Rudi das Handy zurück in die Hosentasche. Vielleicht war Bernies Anruf auch ein Wink des Schicksals. Vielleicht sollte er von sich aus gar nicht den Kontakt zu Susanne Schnepel suchen. Vielleicht sollte er warten, bis sie auf ihn zukommt. Er seufzt. Ach, das Leben ist manchmal ganz schön kompliziert.

Dem ersten Schrei folgt kein zweiter. Aber Rosa hat ein ganz ungutes Gefühl. Sie sollte nachschauen, ob was passiert ist. Besser, sie beeilt sich. Also rast sie wie ein geölter Blitz rüber zum Haus. Die Eingangstür steht weit offen. Außer Atem bleibt Rosa stehen. Und erstarrt.

Frau Ewenberg kniet vor der Treppe. Direkt neben einer Gestalt mit seltsam verrenkten Armen und Beinen. «Fritjoff», stammelt sie, «so sag doch was.»

Der Mann rührt sich nicht. Rosa tritt näher. Unter seinem Kopf hat sich eine große Blutlache gebildet, wie sie erst jetzt bemerkt.

«Wir müssen ihn auf die Seite drehen. Stabile Seitenlage», ordnet Rosa an.

«Aber er rührt sich gar nicht.»

«Eben.»

Beide Frauen packen Fritjoff Ewenberg fest an. Ziehen ihn vorsichtig auf die linke Seite. Arm und Bein legen sie so hin, dass er nicht wieder umkippen kann, dann überstrecken sie den Kopf. Er bewegt sich immer noch nicht. Rosa wählt den Notruf. Gibt alle wichtigen Informationen weiter. Jetzt heißt es warten. Und beten. Sie beugt sich zu dem Mann hinunter, ihr Ohr dicht über seinem Mund. Er atmet nicht mehr! Jemand müsste eine Herzmassage machen. Jemand? Rosa zögert.

«Er braucht eine Herzmassage», murmelt sie.

Frau Ewenberg sieht sie mit leerem Blick an. Die kann man vergessen. Wie war das noch mal mit «Staying alive»? Rosa dreht den Mann wieder auf den Rücken. Versucht, in den Takt vom Lied zu kommen, und legt beide Hände auf seinen Brustkorb. Jetzt. Sie beginnt im Rhythmus des Liedes auf die Rippen zu drücken. Immer wieder. Bis sie die Sirene des Krankenwagens hört. Erschöpft hört sie auf, als Notarzt und Rettungssanitäter endlich neben ihr stehen.

Gut gelaunt tritt Henner Steffens in die Pedale. Er liebt Samstage. Da isst er mittags meist bei seinen Eltern auf dem Hof. Muddern kocht aber auch zu gut! Das wissen auch seine acht Schwestern, und einige von denen laden sich ebenfalls gerne selbst zum Essen ein. Manchmal mehr als Henner recht ist. Wenn zu viele kommen, fallen die Portionen ein bisschen knapp aus, obwohl Muddern immer reichlich kocht. Aber jetzt ist früher Vormittag, und seine Postsäcke sind voll. Ist also noch ein bisschen hin bis zum Essen.

Am Sieltor bremst er ab und steigt vom Rad. Die letzten Meter schiebt er Berta, wie er sein gelbes Postrad liebevoll nennt. Drei Briefe reicht er bei Bäcker Hinrichs rein, huscht dann schnell wieder aus dem Laden, weil sein Magen beim Anblick des frischen Erdbeerkuchens zu knurren beginnt. Ein paar Meter weiter stellt er Berta an der Hauswand ab und fischt einen Stapel Briefe für Ludwig Twenge heraus. Seit Ludwig Frührentner ist, setzt er sich mit voller Kraft für die Internet-Mitmach-Zeitung von Neuharlingersiel ein. Spielt sich als investigativer Journalist auf und nervt manches Mal mit seinen waghalsigen Behauptungen und Aktionen.

Henner klingelt.

«Ist offen», schallt es von oben aus dem Fenster.

Henner ist es gewohnt, Ludwig die Post persönlich hochzubringen. Ludwig ist nicht gut auf den Beinen unterwegs und vermeidet unnötige Bewegungen. Also steigt er die Treppe hoch.

«Moin Henner, magst ’nen Tee?»

«Nee, danke. Hatte ich schon bei Tante Hildegard.» Er reicht Ludwig die Briefe.

«Ist mir ganz recht. Bin sowieso im Stress.»

«Du bist im Stress? Weswegen das denn?»

«Na, wegen des Erpressers.»

«Ach, Ludwig. Das musst du ja nun nicht so ernst nehmen. Die Polizei kümmert sich schon darum.»

«Sagst du. Aber sieh dir den Brief von diesen Omas mal genauer an. Da steckt Zündstoff drin. Dynamit. Mindestens.» Ludwig hält ihm ein Blatt Papier hin. «Hier, guck.»

Henner wirft einen kurzen Blick auf das fotokopierte Blatt mit den ausgeschnittenen Zeitungsbuchstaben. Über dem Text prangt die Schwarzweißfotografie von einer grimmig dreinblickenden Miss Marple.

Herr Olsen!

Auch Sie sind kein junger Hüpfer mehr.

Auch Sie müssen in nicht allzu ferner Zeit damit rechnen, Ihr Dasein in einem der vielen Seniorenheime der Gegend zu fristen.

Machen Sie sich dort auf das Schlimmste gefasst!

Auf Billigtee in Billigteebeuteln!

Da Ihr Unternehmen auf viele Appelle an Ihre soziale Verantwortung – gerade den Alten unserer Gesellschaft gegenüber – nicht reagiert hat, sehen wir uns gezwungen, andere Maßnahmen zu ergreifen.

Wenn Sie die goldene Teekanne zurückhaben wollen, müssen Sie an sämtliche staatlichen Seniorenheime im Umkreis von Wittmund kostenlos einen Jahresvorrat Ihrer goldenen Ostfriesenteemischung liefern.

 

Lassen Sie die Alten nicht im Stich!

 

Die Omas für Gerechtigkeit

«Kenn ich. Hat mir Rudi schon gezeigt. Wir haben uns prächtig darüber amüsiert. Tee für Senioren in allen Heimen. Die Teekannendiebe haben echt Sinn für Humor. Trotzdem: Diebstahl bleibt Diebstahl.»

«Na ja, aber was man zum Teil so hört von den Seniorenheimen … die kosten ’ne Menge Geld. Und oft sparen die wohl am Personal und der Qualität der Lebensmittel. Wie gesagt, was man so hört. Also ich hoffe, dass ich da nicht reinmuss. Und außerdem ist so eine Aktion doch eine gute Sache, um auf ein paar Missstände hinzuweisen.»

«Ich weiß nicht», widerspricht Henner. «Kann doch nicht jeder einfach was von Häusern abmontieren. Und schon gar nicht die goldene Teekanne. Die ist ostfriesisches Kulturgut.»

«Stimmt auch wieder.» Ludwig deutet auf seinen Computer. «Ich hab meine User schon dazu aufgerufen, Augen und Ohren offen zu halten. Gemeinsam finden wir heraus, wer diese ‹Omas› sind.»

«Und? Hat sich schon wer gemeldet?»

«Gut Ding braucht Weile. Aber wir sind am Ball. Einen ganz heißen Tipp habe ich schon.»

«Und zwar?»

«Sag ich nicht. Informantenschutz.»

Der Notarzt nickt Rosa und Frau Ewenberg zu, die augenblicklich aufstehen und einen Schritt zur Seite gehen.

«Was ist passiert?»

«Ich glaube, mein Mann ist die Treppe heruntergefallen.»

Der Arzt kniet sich hin und fühlt den Puls. «Harry, gib mir den Defi», ruft er dem Rettungssanitäter zu. Routiniert macht er den Oberkörper des Mannes frei, damit sie die Elektroden setzen können. Schon Augenblicke später jagt er den ersten Elektroschock durch Ewenbergs Körper. Der bäumt sich auf. Zuckt. Fällt wieder zusammen. Der nächste Schock. Nichts. Noch einer. Schließlich legt der Arzt das Gerät zur Seite. Schüttelt den Kopf. «Tut mir leid. Wir können Ihren Mann nicht zurückholen.»

Frau Ewenberg starrt ihn ungläubig an. Tränen rinnen ihre Wangen hinunter. Rosa legt ihr den Arm um die Schulter. Sie kennt die Frau zwar noch keine Stunde, aber sie hat das Gefühl, dass sie jetzt Halt braucht.

«Wie heißen Sie?», fragt der Notarzt.

«Edda Ewenberg.»

«Und Ihr Mann?»

«Fritjoff Ewenberg.»

«Geburtsdatum?»

«22. April 1974.»

«Harry, schreib mal auf.» Der Assistent notiert die Angaben auf seinem Klemmbrett.

Nachdenklich betrachtet der Arzt den Kopf des Toten. Hebt ihn an. Untersucht den Hinterkopf. «Vermutlich hat Ihr Mann bei dem Treppensturz neben den Kopfverletzungen einen Genickbruch erlitten. Sie haben ihn in dieser Position gefunden?»

Edda Ewenberg schüttelt schweigend den Kopf. Die arme Frau steht ja total unter Schock. Da muss Rosa jetzt ran und den Sachverhalt erklären. «Er lag direkt unten am Treppenabsatz. Erst haben wir ihn in die stabile Seitenlage gebracht, dann aber festgestellt, dass er nicht mehr atmet. Also habe ich ihn auf den Rücken gedreht und die Herzmassage verabreicht, bis Sie und Ihre Kollegen eintrafen.»

Prüfend blickt der Arzt auf die Treppenstufen. An der Stufenkante ist Blut. «Seltsam. Irgendwie passt das nicht zusammen.»

«Was meinen Sie damit?» Rosa stutzt.

«Nichts meine ich. Die genaue Todesursache wird bei der Obduktion ermittelt.»

«War es denn kein Unfall?» Rosas Puls steigt in schwindelnde Höhen.

«Als Arzt stelle ich Diagnosen und äußere keine Vermutungen. Auf jeden Fall kann ich auf dem Totenschein nicht ‹natürliche Todesursache› ankreuzen.» Ächzend erhebt sich der Mediziner und wendet sich an seinen Assistenten. «Harry, benachrichtige die Polizei. Die sollen sich das hier ansehen und dann entscheiden, wie es weitergeht.»

Rosa betrachtet noch einmal das Gesicht des Toten. Irgendwie kommt es ihr bekannt vor. Aber sie hat keine Ahnung, wo sie den Mann schon einmal gesehen haben könnte.

Aufgeschoben ist nicht aufgehoben, hat Gerda Steffens den Kindern schon von klein auf gepredigt, wenn sie wieder einmal etwas vertagen wollten. Während Rudi noch auf Bernie wartet, fasst er einen Entschluss. Seine Haare kriegen keinen vernünftigen Schnitt, wenn er nicht zum Frisör geht. Und Susanne Schnepel wird er garantiert auch nicht so schnell wieder auf der Straße treffen, um mit ihr ins Klönen zu kommen. Da muss er schon ein wenig nachhelfen.

Also greift er zum Telefon und läuft damit in Richtung Hühnerstall, geht aber gleich wieder ein paar Schritte zurück, als seine Hähne erneut wetteifernd gegeneinander ankrähen. Die Nummer des Frisiersalons hat er eingespeichert. Schon ertönt das Freizeichen. Sein Herz bummert wie wild, als er plötzlich ihre Stimme hört.

«Anitas Frisiersalon, Susanne am Apparat, was kann ich für Sie tun?»

Mit mir Kaffeetrinken gehen, denkt er und räuspert sich. Soll er nun Susanne und Sie sagen oder bei Frau Schnepel bleiben? Ach was, wenn sie sich schon mit Susanne meldet …

«Rudi Bakker hier, hallo Susanne», traut er sich. «Wie lange ist der Salon denn heute auf? Ich bräuchte dringend einen vernünftigen Haarschnitt.»

«Moin Herr Bakker. Heute bis dreizehn Uhr. Ab Dienstag wieder bis achtzehn Uhr. Zu wem möchten Sie denn? Dann schaue ich gerne nach, wann was frei ist.»

«Och, ich dachte, ein wenig frischer Wind tut meiner Frisur bestimmt gut und … wenn Sie vielleicht Zeit hätten?» Mit dem rechten Fuß malt er Kreise auf den Rasen. Wie sie jetzt wohl reagiert?

«Klar. Kein Problem. Um welche Uhrzeit passt es Ihnen denn am besten?»

«Also nach Feierabend, ich meine, Dienstag müsste ich das um siebzehn Uhr hinkriegen. Wenn nicht noch was dazwischenkommt, wie jetzt. Ich muss gleich einen zweiten Erpresserbrief abholen. Sie wissen schon, wegen der geklauten Teekanne vom Olsen-Museum.»

«Oh, wie spannend», sagt Susanne. «Sie müssen den abholen? Haben Sie gar kein Wochenende?»

«An sich schon, aber man zählt in Wittmund darauf, dass ich beim Abholen keine Fehler mache. Manche Kollegen gehen ja etwas schlampig mit Beweismaterial um.»

Er hört Susanne Schnepel kichern. «Ich glaub, ich kenne da einen. Den meinen Sie doch, oder?»

«Ich habe keine Namen genannt», gibt er schelmisch zurück.

«Ist schon in Ordnung. Ich verpetz Sie auch nicht», sagt Susanne gut gelaunt. «Dann sehen wir uns am Dienstag um siebzehn Uhr. Ich hab’s notiert. Wenn was dazwischenkommt, rufen Sie einfach an. Schönes Wochenende!»

«Ihnen auch!» Mit einem zufriedenen Seufzer beendet er das Gespräch, rennt ins Haus und springt in seine Uniform. Der Shanty-Chor singt «An der Nordseeküste», und Sven hat seine Kopfhörer auf. Er bewegt den Kopf und hört eindeutig Musik mit härterem Takt. Ohne sich von seinem Vater oder seinem Sohn zu verabschieden, eilt Rudi hinaus.

Hoyko Manninga sieht Rudi beim Weggehen hinterher. Er hätte sich wenigstens verabschieden können. Und sich entschuldigen, dass er nun doch nicht mit zur Wohnungsbesichtigung kommt. Manchmal ist sein Sohn ganz schön maulfaul. Und stieselig. Aber Hoyko darf nicht meckern. Schließlich hat er sich nicht um eine ordentliche Erziehung gekümmert. Die Gene alleine machen es eben auch nicht.

«Sven, kommst du mal her, bitte.» Was er bei Rudi verpasst hat, kann er bei Sven hoffentlich noch nachholen.

«Was ist denn, Opa?»

«Ich bin gleich zur Wohnungsbesichtigung verabredet. Kannst du mich begleiten? Vier Augen sehen mehr als zwei.»

«Klar.»

 

Wenig später schlendern Opa und Enkel durch den Sielhofpark.

«Weißt du denn schon, was du später mal werden willst?», fragt Hoyko.

«Keine Ahnung. Erst mal Abi. Und dann vielleicht ein Jahr Work and Travel. Vielleicht in Kanada. Dann kann ich Ava und Livia besuchen. Das sind ja immerhin meine Tanten. Vielleicht kann ich auch bei euch im Hotel jobben.»

«Aber du musst doch einen Gesamtplan haben.» Hoyko sieht Sven missbilligend an. «Ein Jahr Work and Travel ist keine Sache, die dich einem ordentlichen Beruf näherbringt.»

«Opa. Das machen viele heutzutage. Erst so ein Auslandsjahr. Ich könnte auch nach Griechenland und da Plastikmüll aus dem Meer fischen. Oder auf einem Biohof arbeiten. Jedenfalls irgendwas Nachhaltiges. Ja, ich glaub, ich möchte einen nachhaltigen Beruf haben.»

«Nachhaltig. Das ist doch keine Entscheidung für einen Beruf.» Hoyko versteht Svens Gedankengänge nicht. Da stehen dem Jungen alle Wege offen, und dann kommt er mit so was.

«Natürlich. Wenn meine Generation sich nicht um unseren Planeten und das Klima kümmert, haben wir und künftige Generationen bald überhaupt keine Perspektive für das Leben auf der Erde mehr.» Sven zeigt auf das Straßenschild. «Wir sind da. Welche Hausnummer?»

Zehn Meter weiter stehen sie vor dem Fünfparteienhaus. Der Makler wartet bereits.

«Herr Manninga, wie schön, dass Sie da sind.»

Hoyko nickt und stellt seinen Enkel vor. Alle drei schütteln sich die Hände.

«Das ist ein Superschnäppchen», sagt der Makler. «Wir haben in Neuharlingersiel ja kaum Wohnungen zum Verkauf, geschweige denn zur Vermietung. Und diese Lage! Top! Erst recht der Preis!» Er schließt die Zweizimmerwohnung im Parterre auf. Großgemusterte Tapeten springen Hoyko und Sven ins Auge. Als der Makler bemerkt, dass Manninga und sein Enkel zurückzucken, sagt er lapidar: «Geschmäcker sind eben verschieden. Auf die Bausubstanz kommt es an.»

Hoyko sieht sich in den Räumen um, schaut aus dem Fenster. «Da ist ja überhaupt keine Aussicht. Dass es hier kaum Häuser mit Meerblick gibt, habe ich ja begriffen. Aber wenigstens auf was Grünes möchte ich schauen und nicht auf den nächsten Carport.»

«Ausblick wird doch völlig überwertet», entgegnet der Makler. «Sehen Sie sich die Küche an. Einbauküche vom Allerfeinsten.»

Hoyko zieht die Schubladen auf und sieht dann Sven mit verdrehten Augen an. «Aber mindestens fünfzehn Jahre alt.» Er guckt ins Bad und rümpft die Nase. «Was sind das denn für Fliesen?»

Der Makler spitzt den Mund. «Wie gesagt, über Geschmack kann man streiten.»

Jetzt wird auch Sven wach. «Welche Stufe hat der Energiepass, wie ist die Effizienz?»

«Stufe F.»

«Das ist ganz schlecht, Opa. Das Beste wäre Klasse A.» Erneut wendet Sven sich an den Makler: «Gibt es schnelles Internet im Haus?»

Ratlosigkeit im Blick des Maklers. «Da hat noch niemand nach gefragt. Wozu auch. Wer hier wohnt, sucht doch vor allem Ruhe.»

Sven verdreht die Augen. «Komm, Opa, das ist nichts für dich. Wie willst du denn mit Ava und Livia in Kanada skypen, wenn es hier nicht mal ordentliches Internet gibt. Vergiss es.»

Pfiffiges Kerlchen, sein Enkel. Hoyko klopft ihm auf die Schulter. Auch wenn seine Töchter genug Erfahrung mit der Leitung ihres Hotels in Little Lake haben, möchte er doch Zugriff auf die Geschäftspost behalten. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.

«Komm, Sven. Das hat sich hier erledigt. Müsst ihr mich doch noch ein bisschen länger ertragen. Lass uns jetzt lieber zur Deichkombüse gehen und ein Fischbrötchen essen. Wohnungsbesichtigungen machen hungrig.»

Keinen Augenblick zu früh ist Rudi aus dem Haus, denn gerade kommt Bernie mit der Polizei-Ape angetuckert. Ach Mann. Hat er keinen anderen Wagen nehmen können? Auch wenn Rudi dieses knuffige Dreiradauto eigentlich gerne mag, stören ihn die vielen Witze von seinem Kollegen Helmut Schnepel und – ja, leider auch von Henner. Das hat ihm ein wenig den Spaß an dem Gefährt verdorben. Bernie drückt auf die dröhnende Tute. Schnell steigt Rudi ein.

Eine Viertelstunde später stehen sie in Olsens Büro, das im ersten Stock des Teemuseums liegt. Von vorne sieht das weiße Gebäude gemütlich aus, nach hinten hinaus liegt der Anbau mit Test- und Laborflächen. Produziert und abgepackt werden die Teemischungen am Rande von Carolinensiel in einer großen Halle, in der auch die Teelieferungen aus Übersee lagern.

Der Firmenchef zeigt auf das weiße Blatt Papier auf seinem Schreibtisch. «Diesmal keine Tee-Forderung für Altenheime. Jetzt wird die Qualität unseres Tees angeprangert. Sie hätte sich verschlechtert. Die Kunden seien gewohnt, immer das gleiche Geschmackserlebnis auf der Zunge zu haben, und das sei im letzten Jahr nicht mehr der Fall gewesen. Zwar wäre der Geschmack im Groben gleich geblieben, aber beim genauen Schmecken wären Veränderungen festzustellen. Im Brief wird gefordert, eine lückenlose Überprüfung der Tees durchzuführen, die Herstellung öffentlich zu dokumentieren und notfalls Konsequenzen zu ziehen. Erst dann würde die Teekanne zurückgegeben.»

Rudi runzelt die Stirn, tritt an den Schreibtisch und schaut auf das Blatt hinab. Auf den ersten Blick wirkt es wie ein ganz normaler Computerausdruck. Natürlich ohne Absender. Klar. Statt einer Unterschrift liest er: «Jemand, der es gut mit Ihnen und Ihrem Unternehmen meint».

Rudi guckt Johann Olsen an. «Klingt das in Ihren Ohren an den Haaren herbeigezogen, oder hat das jemand geschrieben, der Ahnung von Tee hat?»

Olsen beißt sich auf die Unterlippe. «Wissen Sie, um den Unterschied herausschmecken zu können, bedarf es eines sehr feinen und geschulten Gaumens. Um Teetester zu werden, braucht man eine Art Lehrzeit, die sich über mindestens sieben Jahre hinzieht. Teetester müssen auf ihre Gaumen achtgeben wie Balletttänzer und Fußballspieler auf ihre Beine. Teetester rauchen nicht. Sie essen kaum scharfe Speisen. All das würde die Sensibilität ihres Gaumens beeinträchtigen. Teetester haben sich im Laufe ihrer Ausbildungsjahre eine Art Gaumenkarteikarte für jede Sorte Tee erstellt, die sie kreieren. Sie erkennen sogar, wenn eine Mischung um Nuancen von dieser Gaumenkarteikarte abweicht. Vor diesem Hintergrund kann ich Ihre Frage nur mit Ja beantworten. Es deutet darauf hin, dass jemand Ahnung von Tee hat.»

Rudi setzt zur nächsten Frage an, doch Olsen hebt den Zeigefinger.

«Das kann jedoch auch täuschen», fährt er fort. «Es könnte auch von jemandem stammen, der kaum Ahnung von Tee hat, aber irgendwann mal eine Packung gekauft und die über Jahre im Schrank vergessen hat, sich jetzt einen Tee kochen wollte und dabei einen muffigen Geschmack feststellte. Meckerer gibt’s leider überall. Das stellen wir tagtäglich fest. Aber diese Meckerer schreiben normalerweise keine Erpresserbriefe, sondern fordern nur ein paar kostenlose Proben. Allerdings ist die Behauptung an den Haaren herbeigezogen. Unser Tee hat eine gleichbleibend außergewöhnliche Qualität. Unser Cheftester arbeitet seit zweiundzwanzig Jahren für uns, und wenn einer weiß, wie Olsen-Tee zu schmecken hat, dann er.»

«Haben Sie mit ihm über den Brief gesprochen?»

«Natürlich nicht. Ich habe als Erstes bei Ihnen angerufen.»

«Nun denn.» Rudi macht zwei Fotos vom Brief und streckt, ohne hinzusehen, die Hand zu Bernie aus. Der versteht und reicht ihm einen Zipbeutel nebst Pinzette. Vorsichtig hebt Rudi das Papier an und befördert es in den Beutel. «Außer Ihnen und Ihrer Sekretärin hat niemand das Papier angefasst?», fragt er sicherheitshalber.

«Nein. Diesmal nur ich. Meine Sekretärin hat am Wochenende frei.»

«Gut. Ihre Fingerabdrücke haben wir ja bereits. Danke, dass Sie uns umgehend informiert haben. Wir geben den Brief in die kriminaltechnische Abteilung und melden uns, sobald wir etwas Neues wissen. Und Sie …»

«Ja, ja, ich weiß. Ich melde mich auch, sobald sich hier etwas tut.»

Rudi tippt sich an die Mütze. «Schönes Wochenende. Trotz allem», wünscht er und verlässt mit Bernie das Gebäude.

Nachdem sie in die Ape eingestiegen sind, sagt er: «Kannste mich wieder zu Hause absetzen und dann den Brief nach Wittmund bringen? Ich hab ja Wochenende.»

«Klar. Aber danke, dass du dabei warst. Hast das wieder echt gut gemacht. Allein was du für Fragen stellst. Da wäre ich nie drauf gekommen.»

Das Kompliment schmeckt Rudi. Er sollte öfter mal mit Bernie zu kleineren Einsätzen fahren. Bevor er sich jedoch weiter im Lob sonnen kann, klingelt sein Telefon. Der Chef. Was ist nun schon wieder los?

Rosa wartet vor dem Haus, als sie die Ape mit Rudi und Bernie vorfahren sieht. Rudi steigt aus und guckt sie mit zusammengekniffenen Augen an.

«Moin Rudi», begrüßt sie ihn.

«Was machst du denn hier?», fragt er argwöhnisch.

«Ich wollte mit Frau Ewenberg einen Klassenausflug zum Alpaka-Gestüt besprechen, und als sie die Info-Materialien holen wollte, hat sie ihren Mann am Fuß der Treppe liegen sehen. Sie hat laut geschrien, da bin ich natürlich hinterher. Ich hab dann eine Herzmassage gemacht, weil …»

«Schon gut», fällt Rudi ihr ins Wort und geht ins Haus. Schnaubend läuft Rosa hinterher. Lässt der sie einfach so stehen!

Der Tote liegt immer noch im Flur, die Sanitäter packen gerade ihre Ausrüstung zusammen. «Wo ist der Arzt?», fragt Rudi.

«In der Küche, mit Frau Ewenberg», antwortet Rosa schnell, bevor einer der Rettungskräfte etwas sagen kann. «Er muss ja noch den ganzen Papierkram erledigen.»

«Gut.» Rudi betrachtet den Toten. Bernie hat hinter ihm Stellung bezogen, als wolle er gar nicht genau hingucken.

«Der Arzt meint, die Sache ist irgendwie seltsam», sagt Rosa.

«Inwiefern?»

«Das musst du ihn schon selbst fragen, mir wollte er nicht antworten.»

«Aha.» Ohne ein weiteres Wort geht Rudi an ihr vorbei in die Küche. «Moin», hört sie ihn sagen und folgt ihm über den Flur. «Mein Beileid, Frau Ewenberg.»

Die schluchzt einen Dank.

«Ein Treppensturz?», fragt Rudi.

«Scheint so», antwortet der Arzt. Rosa kann ihn nur hören, nicht sehen, denn Rudi versperrt ihr die Sicht. «Aber», der Mediziner zögert, «dann auch wieder nicht. Der Kopf weist Verletzungen auf, die ich nicht einwandfrei dem Sturz zuordnen kann. Vielleicht war es auch kein normaler Treppensturz. Das sollte genauer untersucht werden.»

In diesem Moment hört Rosa hinter sich eine empörte Stimme. «Das darf doch wohl nicht wahr sein! Frau Moll! Was machen Sie denn hier?» Langsam dreht sie sich um. «Ihnen auch einen guten Tag, Herr Hauptkommissar Haueisen.» Sie lächelt Rudis Chef freundlich an.

Oh Mann. Als ob der Teekannenklau Rudi nicht genug auf Trab hält, jetzt scheinen sie es hier auch noch mit einem ungeklärten Todesfall zu tun zu haben. Und Rosa wieder mal mittenmang. Dabei kann sie ja nun wirklich nichts dafür, dass sie des Öfteren über eine Leiche stolpert. Und eines muss man ihr zugutehalten: Schon mehr als einmal hat sie die Ermittlungen durch ihre Neugier und Kombinationsgabe ordentlich vorangebracht.

Gemeinsam mit dem Chef und seinem Kollegen Oberkommissar Schnepel stehen sie nun im Flur vor der Leiche. Haueisen zieht sich Einmalhandschuhe über, hockt sich hin und begutachtet den Toten. Währenddessen berichtet ihm Rudi, was er vom Arzt erfahren hat. Haueisen hebt den Kopf des Mannes an. Betrachtet die Verletzungen. «Haben Sie den Bestatter bereits informiert?», fragt er.

Rudi schüttelt den Kopf. «Nö. Ich wollte auf Sie warten.»

«Na, dann machen Sie das jetzt.» Haueisen lässt den Kopf des Toten sinken, zieht die Einmalhandschuhe aus und erhebt sich. «Dann woll’n wir mal.» Er drückt die Handschuhe dem verdatterten Schnepel in die Hand und läuft auf die Küchentür zu, in der Rosa etwas unschlüssig steht. «Frau Moll, Sie gehen jetzt. Ich weiß ja, wo ich Sie finden kann.» Ein Hauch von Schicksalsergebenheit liegt in seiner Stimme.

«Aber, soll ich Ihnen denn nicht …»

«Nein», bügelt Haueisen Rosa barsch ab. «Sie sollen nur eins: verschwinden.» Entschlossen tritt er in die Küche und wendet sich an die Witwe, die unbeweglich dasitzt und ihn gar nicht beachtet.

Rosa sieht Rudi hilfesuchend an. Er kann aber nichts für sie tun, nur mit den Schultern zucken. «Is besser, wenn du jetzt gehst», flüstert er ihr zu.

Schnepel dagegen tönt laut: «Halten Sie sich zu unserer Verfügung, Frau Moll. Wir werden garantiert noch mit Ihnen sprechen müssen. Es sieht ja doch alles etwas dubios aus.» Mit einer Kopfbewegung, als wolle er seine nicht vorhandene Lockenpracht in den Nacken werfen, betritt er die Küche. Edda Ewenberg scheint aus ihrer Erstarrung zu erwachen und fragt entsetzt: «Wieso sieht das dubios aus? Ich wollte für Frau Moll Info-Material zum Besuch des Gestüts holen, da lag er dort auf dem Boden. Vor Schreck hab ich geschrien, und Frau Moll kam sofort angelaufen. Wir haben versucht, meinen Mann wiederzubeleben, aber wir konnten nichts mehr für ihn tun. Fragen Sie den Notarzt.»

«Genau.» Auch Rosa steht jetzt in der Küche. «Was ist daran dubios?»

«Raus!», brüllt Haueisen, und nun scheint auch Rosa einzusehen, dass es besser ist zu verschwinden.

«Ich melde mich in den nächsten Tagen wegen des Besuchs mit meiner Klasse, Frau Ewenberg», sagt sie und bietet im gleichen Atemzug an: «Und wenn Sie was brauchen … rufen Sie mich einfach an. Hier ist meine Visitenkarte.»

Henner schiebt sein Postfahrrad über die Straße und stellt es vor dem Frisiersalon Anita ab. Die Glöckchen an der Eingangstür bimmeln, als er eintritt. Sofort rast der Mischlingshund seiner Schwester Gudrun laut kläffend auf ihn zu.

«Schecki, aus», ruft sie und schaltet die Trockenhaube über Sigrid Twenges Kopf an.

«Moin allerseits», grüßt Henner in das geschäftige Treiben hinein und wedelt mit einem Brief herum. «Post vom Finanzamt.»

«Och nö, nicht schon wieder», stöhnt Gudrun. «Immer am Samstag.»

«Das machen die garantiert extra», lästert Gisela Frerichs, die auf dem Stuhl daneben sitzt. «In den Ämtern räumen die ja gerne den Schreibtisch zum Wochenende leer und schicken ihre Bescheide so los, dass niemand sie telefonisch erreichen kann.»

Stimmt. Heute hat Henner mindestens fünfzig Briefe vom Finanzamt zum Verteilen dabei. Unentschlossen hält er den für Anita, die Besitzerin des Ladens, in der Hand.

«Denen sollten die ‹Omas für Gerechtigkeit› auch mal auf die Füße treten», sagt Susanne Schnepel und dreht Gisela den nächsten Lockenwickler in die Haare.

«Die können ja nun nicht die ganze Welt retten», meint Dörte, ohne aufzusehen und blättert die Seite der Frauenzeitschrift um. «Ist ja eh schon eine dolle Sache, dass die einfach so die goldene Olsen-Teekanne geklaut haben. Da kann ich nur sagen: Respekt.»

«In der Tat», nimmt Susanne Schnepel den Ball auf. «Und die Forderung nach ordentlichem Tee für Altenheime ist ja auch noch richtig witzig.»

Henner legt den Brief vom Finanzamt auf den Tresen neben dem Eingang. «Es ist und bleibt Erpressung. Ich muss mich schon wundern, wie schnell sich die Begriffe von Recht und Ordnung hier in Neuharlingersiel verschieben, bloß weil sich die Erpresser ‹Omas für Gerechtigkeit› nennen.» Er guckt missbilligend in die Spiegelgesichter der Frauen. «Und nur weil die ein Foto von Miss Marple danebengeklebt haben, macht das die Sache auch nicht besser.»

«Aber witziger.» Susanne Schnepel greift zum nächsten Lockenwickler.

Henner kann sich nur wundern, solche Feststellungen aus dem Mund der Noch-Frau von Rudis Kollegen zu hören. «Das ist und bleibt Diebstahl und Erpressung. Egal ob witzig oder nicht.»

Sigrid Twenge beugt sich zu Henner vor. «Nun sei mal nicht so spießig, Henner. Sogar Ludwig gefällt die Aktion. Und der ist sonst nicht so leicht zu begeistern.»

Den Vorwurf will Henner nicht auf sich sitzenlassen. «Vielleicht fordern die ja als Nächstes kostenlose Dauerwellen für die Altenheime», sagt er provozierend. «Ludwig weiß ja angeblich schon, wer wirklich hinter dem Teekannenklau steckt. Und das scheinen keine Omas zu sein.»

«Ach ja?», sagt Sigrid gedehnt. «Behauptet er das?»

«Jo.»

«Und wer soll das sein?» Dörte legt die Zeitschrift zur Seite.

«Keine Ahnung. Ludwig ist nicht mit dem Namen rausgerückt. Fällt unter Informantenschutz, sagt er.»

«Na, dem fühle ich heute Abend mal auf den Zahn», sagt Sigrid, und die anderen Frauen nicken ihr zu.

«Tja, Frau Ewenberg.» Haueisen setzt sich der Frau des Toten gegenüber. «Sie behaupten also, Ihren Mann am Fuß der Treppe liegend vorgefunden zu haben.»

Die Witwe nickt.

«Stand die Haustür offen, oder war sie geschlossen?»

«Sie war angelehnt. Aber die steht eigentlich immer offen. Ich meine, die ist nie abgeschlossen, wenn ich draußen bei den Tieren oder im Laden bin. Hier auf dem Land ist ja nichts los. Ab und zu hält mal jemand, um im Hofladen einzukaufen.»

«Haben Sie den Eindruck, als hätte Ihr Mann einen Einbrecher erwischt?» Schnepel steht breitbeinig hinter Haueisen und betrachtet die Witwe mit seinem Sheriff-Blick.

«Nee, wieso das denn? Einbrecher? Dann hätte ich ja einen weglaufen sehen müssen. Aber da war niemand. Nur Frau Moll. Und vorher ein anderer Kunde. Aber der war nur bei mir im Laden und ist dann gefahren. Da bin ich eben zu den Tieren und habe gerade Futter nachgelegt, als Frau Moll kam.»

«Da war wirklich nichts Auffälliges?», bohrt Schnepel weiter.

Edda Ewenberg schüttelt den Kopf.

«Hatte Ihr Mann Schwierigkeiten mit dem Gleichgewicht? Kann er deswegen die Treppe hinuntergefallen sein?», fragt Haueisen voller Mitgefühl. «Litt er vielleicht häufiger an Schwindelanfällen?»

Frau Ewenberg schüttelt erneut den Kopf. «Nein. Zumindest nicht dass ich wüsste.»

Nun mischt sich Schnepel wieder ein. «Sie halten sich wohl für ganz schlau», sagt er süffisant. Jedes Wort klingt wie ein Peitschenschlag, als er loslegt. «Aber wir sind schlauer. Ich sag Ihnen, wie es gelaufen ist: Sie haben sich mit Ihrem Mann gestritten. Dabei haben Sie ihn geschubst. Er ist die Treppe hinabgestürzt. Sie haben seinen Kopf auf die Treppenstufen knallen hören. Mehrfach. Und Sie haben das Blut gesehen. Dann haben Sie ihn einfach liegen gelassen. Um ihn schließlich im Beisein von Zeugen ‹zu finden›. Sie glauben, Sie haben das raffiniert eingefädelt. Aber Sie sind nicht raffiniert genug für uns.» Dabei hebt Schnepel die Augenbrauen, und Rudi merkt, dass Schnepel statt «uns» eher sich selbst meint.

«Das stimmt nicht», begehrt Edda Ewenberg auf. «Es war genau, wie ich gesagt habe. Mein Mann und ich haben uns nicht gestritten. Worüber auch? Wir führen eine glückliche Ehe!»

«In Ordnung. Wir nehmen das jetzt mal so hin.» Haueisen übernimmt wieder die Gesprächsführung. «Wir haben den Bestatter benachrichtigt, der kommt gleich und holt Ihren Mann ab. Bis dahin bleiben die Kollegen Bakker und Bütefisch bei Ihnen. Ihr Mann wird zur Obduktion ins Rechtsmedizinische Institut nach Oldenburg gebracht. Das ist in einem solchen Fall Routine. Aber lassen Sie bitte alles so, wie es jetzt ist. Es kann sein, dass wir die Spurensicherung noch einmal herschicken müssen.»

«Die Spurensicherung?», fragt sie ungläubig.