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Mehr Lebendigkeit – dazu möchte Pierre Stutz seine Leserinnen und Leser ermutigen. Dieses Buch enthält eine Auswahl seiner beliebtesten Texte, ergänzt um neue Meditationen. Sie inspirieren dazu, sich Zeit für Stille und Besinnung zu nehmen und motivieren zu einem engagierten Eintreten für die Schöpfung und den Frieden. Ein Lesebuch, das zu den zentralen Texten und Themen von Pierre Stutz führt. "Wir können und müssen nicht aus uns selber leben, sondern dürfen Tag für Tag aus der unerschöpflichen, göttlichen Quelle schöpfen." (Pierre Stutz)
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Seitenzahl: 159
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Pierre Stutz
Kraftquellen für jeden Tag
Ein Lesebuch
Herausgegeben von Gabriele Hartlieb
Völlig überarbeitete und erweiterte Neuausgabe 2019
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2013
Alle Rechte vorbehalten
www.herder.de
Bisheriger Titel: Das Pierre-Stutz-Lesebuch
Umschlaggestaltung: Designbüro Gestaltungssaal
Umschlagmotiv: © venimo / iStock / GettyImages
Wo nicht anders angegeben,
ist als deutsche Bibelübersetzung zugrunde gelegt:
Die Bibel. Die Heilige Schrift
Des Alten und Neuen Bundes.
Vollständige deutschsprachige Ausgabe
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2005
E-Book-Konvertierung: Daniel Förster, Belgern
ISBN E-Book 978-3-451-81572-0
ISBN Print 978-3-451-03123-6
Vorwort
I. Der Sehnsucht Raum schenkenDie Kraft des Augenblicks
Der Segen des Innehaltens
Vertrauen wagen
Unerwartet beschenkt
Der Weg der Verwandlung
Mutig und entschlossen
Das Leben tanzen
Das Glück der Unvollkommenheit
Unterwegs zu Hause
Empörung zulassen
Zärtlichkeit und Zorn
Im Rhythmus der Schöpfung
Dankbar leben
Endlich sein dürfen
Schritte der Hoffnung
II. Der Verwandlung trauen –Segen des Aufbruchs
Gesegnet sei dein Dasein
Die Zeit der Verwandlung
Verwandlung
Verwandlung durch Leidensdruck
Vertrauen in die Verwandlungskraft
Aufbruch aus der Krise
Durchbruch und Krise
Meine Wachstumschance sehen
Vertrauensworte
Auf Gottes Nähe vertrauen
Gesegnet sei dein Aufbruch
Loslassen und Verwandlung erleben
Hingabe an das Leben – die Zeit des Säens
Mitten im Entscheidungsprozess
Mein Coming-out – ein Brief
In Zeiten des Neuanfangs der Verwandlung trauen
III. Leib und Seele stärkenSpiritualität des Alltags
Die Kraft der Rituale
Raum für meine Seele
Eine Stunde sitzen
Segen für heute
Stehen
Dastehen
Morgens
Mittags
Abends
Abendstern
Im Rhythmus des Jahres
Den Frühling begrüßen I
Der Frühling in mir
Den Frühling begrüßen II
Den Sommer begrüßen
Zeit am Wasser
Den Herbst begrüßen
Die Zeit der Bäume
Den Winter begrüßen I
Die Zeit der Dunkelheit
Die Zeit des Wartens
Den Winter begrüßen II
Essen: voll Dankbarkeit genießen
Einander segnen
Bewusst in der Natur verweilen
Wenn Menschen mich verletzt haben: segnen
Abschiedsfeste feiern
Gesammelt sein
IV. Verletzlich bleibenSehnsucht nach Heil
Mein Credo
In der Lebensschule des Mannes aus Nazaret
Dem Lebensfluss trauen
Wege
Momente, in denen nichts gut ist
Trauer und Heilung – ein Brief
Alltäglich sterben einüben
Echte Selbstliebe
Zu-Grunde-Gehen
Geschehen lassen
Zum Vertrauen bewegt
Hoffnung?
In Zeiten der Leere sich neu füllen lassen
Kraft des Lebens
Vertrauen, wenn es auch Nacht ist
Sei gesegnet
Mein Umgang mit Schuld
Die Sehnsucht entfalten
V. Das Leben feiernGlück der Unvollkommenheit
Zeit zum Feiern
Genießen
Vollkommen unvollkommen
Geschenkcharakter des Lebens
Inneres Auferstehen
Einzigartig
Sich mit der eigenen Geschichte versöhnen
Das innere Kind umarmen
Tanz des Lebens
Alles bereit
Die Schöpfung segnen
Was jetzt guttut
Einfach
Heute …
Die Sorgen gehen lassen
Freude zieht Kreise
Gegenwart feiern
Weinen und feiern
Bewegt zur Liebe
Leben aus Gottes Kraft
VI. Loslassen und sich einlassen auf die WeltEngagement und Vertrauen
Lächle deinem Tag zu
Über sich hinauswachsen
Sich finden lassen
Vision und Engagement
Denk mal
Haben oder Sein
Sein dürfen und werden
Meine Unruhe gehen lassen
Stärke unsere Fantasie
Menschenfreundlichkeit wagen
Com-passion: mitfühlend sein
Erwecke uns
Geld gut ausgeben
Kraftvoll mitten im Leben
Meine schöpferische Lebenskraft
VII. Kraft schöpfen aus der VerbundenheitDie Liebe leben
Zwischen Erde und Himmel
Liebend unterwegs
Liebe als Kraft der Verwandlung
Ein Mensch blüht auf
Miteinander wohnen
Verzaubert
Herzwärts
Die Sterne mein Gebet
Berührt werden
Unsere Augen aufleuchten lassen
Die Kraft des Augenblicks
Schön bist du …
Du atmest in allem, was lebt
Quellenverzeichnis
Seitenverweise
Der Autor
Die Herausgeberin
Was für ein Glück, dass Pierre Stutz es sich nicht leicht gemacht hat damit, das Leben richtig zu leben und davon zu schreiben! Was für ein Glück für seine Leserinnen und Leser, dass dieses »richtige« Leben für ihn Intensität und Wahrhaftigkeit umfasst und dass er deshalb auch dem Schmerz und den Fragen auf den Grund gegangen ist; was für ein Geschenk, dass er immer Augen für das Schöne, Staunenswerte und Beglückende hat; wie gut, dass er auf die großen Herausforderungen und abgründigen Zweifel gelassen und beharrlich konkrete Alltagsantworten findet!
Das Schreiben war schon früh sein Traum; und wie so oft, wenn Träume wahr werden, fiel die Erfüllung ihm nicht in den Schoß. An dem Traum zu schreiben und mit dem Schreiben andere zu erreichen, hat Pierre Stutz viel gearbeitet. Zum Beruf wählte er zunächst etwas anderes, eine Berufung, die aufs Ganze geht: als Priester war er angekommen bei dem, was man sich unter dem »richtigen Leben« vorstellt und mit dem man doch nie ans Ende kommt. Weiter unterwegs also, hat er auf seinem Weg aufgeschrieben, was ihm wichtig war; er hat sich auch mit seinen Worten immer wieder aufgemacht, um zum Ausdruck zu bringen, was ihn unmittelbar angeht, was sein größtes Anliegen ist: wie Gott in dieser Welt wirklich wird und wie das Leben gelingt für uns Menschen, Gottes geliebte Geschöpfe – und zwar für alle miteinander. Zu dieser Wirklichkeit Gottes für den Menschen gehört, dass als Geschenk da ist, worauf es wesentlich ankommt, und dass der Wert jedes Menschen darum ganz aus seinem Sein entspringt und nicht daran hängt, was einer hat, wie erfolgreich eine ist, wie viel jemand leistet. Die Erkenntnis, erst einmal sein zu dürfen, bevor irgendetwas erwartet wird, ist eine, zu der Pierre Stutz selbst auf dem Weg der Erfahrung gelangt ist, die er mit dem eigenen Leben durchbuchstabiert hat. Zum Glück – für seine Leserinnen und Leser – hat er in Worte gefasst, wie diese Erfahrung sich anfühlen und was sie auslösen kann.
Pierre Stutz schreibt auf, was ihm wichtig ist – und nie schreibt er etwas, was er nicht selbst erfahren hat. Dabei war es für ihn selbst gar nicht einfach, diese Erkenntnis zu erlangen: sein zu dürfen und auf die eigene Stimme des Herzens zu hören; er spürte auf der Suche nach dem, was wichtig ist, und mit dem Wunsch, das Richtige und Gute zu tun, die Bedürfnisse der anderen oft deutlicher als die eigene Not; und es brauchte schließlich eine Krise, die ihm zeigte, dass das äußerlich so richtige und gute Leben noch nicht stimmt, wenn es nicht im Einklang mit sich selbst ist. Das hat ihn sehr aufmerksam gemacht für die Verletzlichkeit des Lebens und für alle lebensförderlichen Kräfte. Er hat erfahren, wie viel Zärtlichkeit und Lebenskraft, wie viel Annehmen und Hingeben, wie viel Mut und Vertrauen nötig sind, um zu diesem Einvernehmen mit sich selbst zu gelangen. Und er hat sich deshalb auch in seiner christlichen Tradition aufgemacht und nach den Quellen gesucht, die von solchen guten Kräften erzählen. Gefunden hat er sie in den Klagen und dem Dank der Psalmen aus dem Ersten Testament; in den Berichten vom Liebhaber des Lebens aus Nazaret, Jesus, der heilte, diskutierte und viel feierte; in den innigen Texten der mittelalterlichen Mystikerinnen und Mystiker. In seinen Büchern hat er ihren Gedanken und Worten ins 20. und 21. Jahrhundert hinein geholfen. Er hat ihre manchmal sehr fremde und schwer verständliche Sprache übersetzt in den Alltag von jetzt. Auch ihnen allen geht es um das richtige Leben, in dem das Schöne viel Platz hat, jede kleine Freude Anlass zum Danken ist, das Unheil nicht verschwiegen wird, die Sehnsucht nach Gerechtigkeit und Heil immer neu gesagt wird und die Gewissheit auf ein gutes Ende die Wirklichkeit verändert. Was Pierre Stutz im aufmerksamen Hören auf die lebendigen alten Texte und im inneren Gespräch mit ihnen erfahren und aufgeschrieben hat, macht sie neu zugänglich auch für alle, die seine Bücher lesen.
Zärtlichkeit und Lebenskraft, beides gehört für ihn zum Wahrnehmen der Herzensstimme, zum Hüten des inneren Feuers, zum Geradestehen für den eigenen Weg. Zärtlichkeit und Lebenskraft helfen, sich aufzumachen auf diesen Weg, über Umwege das Eigene zu finden, vielleicht im Scheitern zu erkennen, wo es weitergehen kann, Abschied zu nehmen von dem, was nicht stimmt, Träume ernst zu nehmen und zu leben. Was sich einfach sagen lässt, ist nicht immer leicht zu tun. Viel Mut gehört dazu und viel Vertrauen – Pierre Stutz, der Mensch, hat es auf seinem persönlichen Weg erfahren, und der spirituelle Begleiter und Autor Pierre Stutz konnte viele ermutigen, der Verwandlung zu trauen und selbst den Segen des Aufbruchs zu erfahren.
Leben und Schreiben sind kaum zu trennen bei ihm: Das macht seine Bücher ganz echt und unmittelbar. Leichter fällt das Schreiben im Modus der Erfahrung sicher eher nicht: Auch wenn Erfahrungen uns reicher machen, besteht dieser Reichtum eben nicht nur in Glück, Freude und Helligkeit, sondern auch in Enttäuschung, Schmerz, Dunkelheit oder Unheil. Die beglückenden wie die abgründigen Erfahrungen in Worten so zum Ausdruck bringen und verwandeln zu können, dass sie auch für andere wahr werden, ist eine der ganz großen Gaben von Pierre Stutz. Vielen Leserinnen und Lesern geht es so, dass sie einstimmen können in das, was da steht, dass sie in seinen Büchern plötzlich Worte finden für die unbestimmte Ahnung, die sie hatten, für die Unruhe, die sie spürten, für das Naheliegende, das zu tun ist und das sie doch nicht vorher gesehen hatten. Wer seine Bücher liest, lernt sich selbst besser kennen und beginnt, die Stimme des Herzens besser wahrzunehmen. Der wird ermutigt, für sich selbst einzustehen und die eigene Lebensaufgabe anzugehen. Der sieht sich und alle und alles um ihn herum klarer.
Diese Ermutigung hängt auch damit zusammen, dass man sich in seinen Büchern wie in der persönlichen Begegnung freundlich wahrgenommen fühlt und dass er vor Publikum und auf der Bühne eine Ruhe und Herzlichkeit verströmt, die durchatmen lässt, die gelassen und heiter stimmt. Vor allem aber ermutigt Pierre Stutz mit seinen sehr konkreten Ideen, Übungen und Meditationen. Weil er den Menschen als Einheit von Leib, Seele und Geist in den Blick nimmt, sind Gesten und Zeichen der vertiefende körperliche Ausdruck einer Haltung, eines Gefühls, einer Erfahrung. Solche Rituale geben der Oberfläche des Alltags die Tiefenstruktur, die ihn trägt; sie schaffen eine Verbundenheit – mit anderen Menschen, Zeiten oder Orten –, die Sinn schenkt. Diese Alltagsspiritualität stärkt dem Einzelnen Leib und Seele, und sie stärkt das Miteinander. Es ist gut, in den verschiedenen Zeiten des Tages, des Jahres und des Lebens Worte und Zeichen zu haben, die deutlich machen, dass hier ein Moment wichtig ist, dass dort ein Übergang bewusst gegangen wird, dass ein Innehalten nötig ist, eine Geste der Solidarität oder ein Fest der Dankbarkeit.
Dass aber auch unterwegs im und zum richtigen Leben nicht alles gut ist; dass beim Hören auf die Stimme des Herzens nicht immer nur Angenehmes zutage kommt; dass Schmerz und Unglück an spirituellen Menschen nicht vorübergehen, und dass vielleicht gerade sie sensibel sind für das Schwere und Unheil dieser Welt, das ist ja nicht zu leugnen. Die Erfahrung der Verletzlichkeit hält die Sehnsucht nach Heil wach. Sie erinnert uns auch daran, dass Glück eben noch keine Seligkeit ist. Es ist überhaupt nicht selbstverständlich, doch es lebt in der Unvollkommenheit und ist ganz nah, für alle, die offene Augen und Ohren haben, einen halbwegs klaren Kopf und ein weites Herz. Immer wieder beschreibt Pierre Stutz, wo er es erlebt: Das Glück überwältigt mit der Schönheit der Natur; lässt sich blicken, wenn Menschen beieinander sind, manchmal auch ganz überraschend; ist still dabei, wenn ein beeindruckender Film oder ein gutes Buch berühren; beflügelt, wenn politisches Engagement Erfolg zeigt; tanzt mit, wenn zwei Menschen sich Leib und Seele füreinander öffnen. Das sind die Momente, in denen das Leben gefeiert werden will: Schließlich ist das Leben »keine Turnübung, sondern ein Tanz in Gottes Armen«, wie Pierre Stutz mit Madeleine Delbrêl, der Mystikerin des 20. Jahrhunderts, betont.
Es ist auch das wunderbare unvollkommene Glück dieses Lebens, das dabei hilft, loszulassen, was man nicht festhalten kann – auch wenn das Loslassen schwerfällt. Auf dem Weg zum richtigen Leben muss manches losgelassen werden; dazu gehört vor allem die Illusion, mehr zu haben führe zu einem besseren Sein; es kann das allzu lieb gewonnene Selbstbild dazugehören, Pläne, die so gut ausgesehen hatten, Menschen, die in eine andere Richtung unterwegs sind; auch sich selbst loszulassen gehört dazu, immer wieder. Wer loslassen kann, hat die Hände frei und kann sich einlassen auf das, was nötig ist, auf andere, auf die Welt, die Menschen braucht, die sich nicht vor allem um sich selbst drehen.
Auch wenn es ums Loslassen geht, um dieses Öffnen des Herzens, der Hände und aller Pläne, merkt man, dass da einer schreibt, der weiß, wovon er redet. Pierre Stutz hat es immer wieder getan, er hat Trennungen und Abschiede hinter sich – auch sein Leben als Priester in der katholischen Kirche gehört dazu.
Er weiß also, wovon er redet, wenn er vom Loslassen schreibt; und er erzählt, wie viel dabei zu gewinnen ist. Wer sich dabei die Fähigkeit zum Staunen erhält, wird mehr entdecken. Und wer merkt, wie erstaunlich gut es tut, sich selber loszulassen, hat Lust auf das vielfältige Engagement, das die Welt zu einem schönen Ort macht.
Für solches Engagement braucht es Kraft – wohl dem, der Kraftquellen kennt. Eine, die Pierre Stutz nennt, ist die Verbundenheit. Ein anderer Name dafür ist Liebe, und die ist kein abstraktes Konzept. »Gottes Liebe lässt sich hautnah erleben«, schreibt Pierre Stutz.
Das vorliegende Lesebuch ist ein Querschnitt durch das vielfältige Werk dieses Autors, und die Gattungen, in denen er sich bewegt, sind vertreten: das Gedicht und das Gebet, die Meditation, die Reflexion, der beschreibende Text. Autobiografisches ist dabei und biblische Betrachtungen, kurze Verse, praktische Anregungen. Man lernt den Menschen Pierre Stutz kennen, wenn man diesen Autor kennenlernt, für den Leben und Schreiben kaum zu trennen sind. Wichtiger vielleicht aber noch: Man lernt sich selbst besser kennen und wird angesteckt von der Freude, auf dem eigenen Weg und in Gottes Wirklichkeit unterwegs zu sein, mit offenen Augen und einem weiten Herzen.
Gabriele Hartlieb
Als junger Erwachsener bin ich den Gedichten von Rainer Maria Rilke begegnet. Seine verdichteten Worte berühren mich im Innersten und sie bestärken mich, ein Leben lang Suchender sein zu dürfen. Jedes Jahr fahre ich nach Raron/Wallis zum Grab von diesem inspirierenden Dichter und ich lese mir dort laut einige seiner Verse vor.
»Geh bis an deiner Sehnsucht Rand«, heißen jene wenigen Worte, die Rilke als 24-Jähriger in sein »Stundenbuch« geschrieben hat und die ich gerne mitnehme in meinen Alltag. Schritt für Schritt gehen, achtsam sein und nicht immer schon weiter sein zu müssen, das ist mein alltäglicher Übungsweg. Zugleich erahne ich dank meiner Sehnsucht, dass ich mehr bin als meine Gedanken und meine Gefühle, mein Erfolg und mein Scheitern, weil meine göttliche Quelle über mich hinausweist und mich verbindet mit allem.
»Nur für heute« heißt eine uralte Lebensweisheit, die sich in allen Kulturen findet. Es schreibt sich leicht, obwohl es jeden Tag eine große Herausforderung ist, aus der Kraft der Gegenwart zu leben. Unser Gedankenkarussell und unser Kopfkino versuchen sogar in unserem Urlaub die Regie in unserem Leben zu übernehmen, indem dauernd Sorgen hochgerechnet werden, die oft gar nicht eintreffen.
Wenn uns dieser Mechanismus bewusst wird, dann können wir ihm dank der Achtsamkeit, die Kraft des Innehaltens entgegensetzen: nicht ein für alle Mal, sondern immer wieder neu. Ich wünsche uns jeden Tag neu die Lebenskunst des »ohne Warum«, wie sie Meister Eckhart umschreibt. Der Mystiker aus Erfurt hatte als begabter Philosoph und Theologe viele Warums. Darum findet sich bei ihm als Ergänzung die Einladung, sich nicht von den Warum-Fragen umzingeln zu lassen, sondern ein gutes Gleichgewicht zwischen Auseinandersetzung und Leere einzuüben.
»Nur für heute« kann auch in schweren Zeiten eine Kraft werden. In meinen Begegnungen mit schwer kranken Menschen oder Frauen und Männern in Umbruchsituationen bin ich sehr berührt, wenn ihnen der Impuls, noch mehr im Heute zu leben, eine Lebenshilfe sein kann. Ganz unterschiedliche Menschen erahnen eine verbindende Hoffnungsspur, in der Vertrauen in der Ungewissheit eingeübt wird, Vertrauen auch im Nicht-Vertrauen.
»Nur für heute« bedeutet auf keinen Fall keine Ängste, Zweifel, Panik und Verlorenheit mehr zu spüren, sondern mühsam-befreiend zu lernen, einen angemessenen Umgang mit einer Fülle von Gefühlen zu finden. Sie dürfen sein und sie brauchen Grenzen, weil wir immer mehr sind als Wut und Verletzungen, als Erfolg und Scheitern.
»Nur für heute« möchte uns erinnern an den heiligen Raum in uns, in dem wir einfach sein dürfen mit der leisen Ahnung, von einem großen Segen bewohnt zu sein, der manchmal sogar in dunklen Stunden als Hoffnungsfunke aufscheint.
»Manchmal feiern wir schon am Morgen ein Fest der Auferstehung, Ängste werden aufgeweicht und ein Vertrauen ist da« heißen jene Worte, die ich morgens zur Einstimmung bei Schweigetagen in Oberzell/Würzburg spontan aussprach.
Sie waren inspiriert von einem Gedicht von Marie-Luise Kaschnitz. Am Ende der dreitägigen Schweigezeit haben mir verschiedene Teilnehmende gesagt, wie entscheidend diese Worte für sie waren. Es hätte ihnen gutgetan, dass auch unbegründete Ängste sein dürfen und dass sie aufgeweicht werden können, weil wir immer mehr sind als das Wahrgenommene. Auf dem Weg vom Zimmer zum Frühstücksraum kamen mir spontan diese wenigen Worte in den Sinn. Weil es mir wichtig ist, so oft wie möglich meiner Intuition zu trauen, habe ich den vorbereiteten Text beiseitegelegt, um dem Unerwarteten eine Stimme zu verleihen.
Diese Erfahrung geht mir noch nach und sie erinnert mich an eine wesentliche Lebenseinstellung, die ich nicht vergessen möchte:
Es ist wichtig, sich gut und verantwortungsvoll auf kommende Aufgaben vorzubereiten. Entlastend und befreiend ist jedoch die Lebensweisheit, dass es zum Glück nie in unseren Händen liegt, was und wie Menschen im Innersten berührt werden können.
Es ist heilsam, wenn sich in der Vorbereitungszeit Begeisterung und Zweifel abwechseln und ergänzen können.
Zugleich entzieht es sich unserer Kompetenz, wann und wie Menschen sich so angesprochen fühlen, als ob wenige Worte nur für sie gesagt würden.
So wünsche ich uns jeden Morgen neu die Lebenskunst des Zupackens und des Geschehenlassens.
Morgens ging ich in den Garten,
eine Rose zu pflücken,
heimlich und in Furcht,
der Gärtner könnte mich dabei erblicken,
doch es waren seine Worte köstlich über mein Erwarten:
»Nicht die Rose nur allein,
ich schenke dir den ganzen Garten!«
Dieses wunderschöne Gedicht vom islamischen Mystiker Rumi (1207–1273) habe ich in einem Schweigeseminar in Würzburg vorgelesen. Obwohl ich es schon oft gelesen und vorgelesen habe, war ich beim Aussprechen der Worte »ich schenke dir den ganzen Garten« so bewegt, dass ich kaum mehr sprechen konnte. Eine befreiende Weite und einen tiefen Schmerz spürte ich zugleich. Was für ein Lebensgefühl, wenn ich mich nicht dauernd bemühen muss, sondern mir das Wesentliche geschenkt werden kann. Ich kenne ja zur Genüge, nicht zu genügen! Deshalb bewegt mich diese bedingungslose Zusage »den ganzen Garten«. Diesen Vertrauensworten will ich mehr Raum schenken, indem ich kraftvoll-begrenzt sein darf.
Dieses Gedicht werde ich mir immer wieder laut vorlesen, damit sich meine Angst, nicht zu genügen, von innen her verwandeln kann. In einem Bruchteil von Sekunden hörte ich nach meinem Angerührtsein auch meine inneren Kritiker, die mir zuflüsterten: Knallhart wird es immer wieder am Arbeitsplatz zugehen, hartherzig können sich Menschen im Negativen verlieren, ein andauernder körperlich-seelischer Schmerz wird zur alltäglichen Herausforderung, Kriege werden viele aus ihrer Heimat vertreiben ... ist eine bedingungslose Liebe wirklich möglich? Die Liste der Einwände kann unendlich fortgesetzt werden. Ist es nicht naiv oder sogar zynisch vom unerwarteten Geschenk des Himmels zu schreiben?