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Am Ende des Sommers 1846 macht sich Henry David Thoreau auf in den Norden. Was als Reise beginnt, mit Eisenbahn und Dampfschiff, setzt sich auf Pferd und Wagen, im Kanu und schließlich zu Fuß fort und wird nach und nach zu einer Expedition. Sein Ziel: »Der große Berg«, 1606 Meter hoch, der höchste Punkt von Maine – Ktaadn, wie er in der Sprache der Ureinwohner heißt. Der Weg führt durch unkartiertes Gebiet, durch eine labyrinthische Landschaft von Seen und Flüssen und die ausgedehnten Wälder einer weitgehend unberührten und unwegsamen Natur. Die Grenzen menschlicher Lebensräume sind bald überschritten, es geht tiefer und tiefer in die Wildnis. Die letzten Zeichen der Zivilisation, vom Alkohol zugrunde gerichtete Indianer, die Spuren der Holzfäller und Pelzhändler, zeugen von Gier und Zerstörungswut. Und doch erscheint Thoreau die Natur in ihrer ganzen Vielfalt und Ausdehnung davon unberührt und gleichgültig – gleichgültig auch gegenüber den Fragen, die sich dem stellen, der sich ihr ungeschützt aussetzt: »Wer sind wir? Wo sind wir?«
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Seitenzahl: 186
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Ktaadn
© 2017 Jung und Jung, Salzburg und Wien
Alle Rechte vorbehalten
Umschlagbild: Frederic Edwin Church, Mount Katahdinfrom Lake Millinocket
Umschlaggestaltung: BoutiqueBrutal.com
Druck: Christian Theiss GmbH, St. Stefan im Lavanttal
ISBN 978-3-99027-092-9
Am 31. August 1846 fuhr ich mit Eisenbahn und Dampfboot von Concord, Massachusetts, nach Bangor und ins Hinterland von Maine, um einen im Holzhandel tätigen Verwandten bis zum Damm am westlichen Nebenfluss des Penobscot zu begleiten, wo er Land kaufen wollte.1 Ich schlug vor, von dort aus, ungefähr hundert Meilen von Bangor flussaufwärts, dreißig Meilen von der Houlton Military Road und rund fünf Meilen jenseits der letzten Holzhütte, Abstecher zum Berg Ktaadn, dem zweithöchsten in Neuengland, ungefähr dreißig Meilen entfernt, und zu einigen der umliegenden Seen des Penobscot zu unternehmen, entweder allein oder in Gesellschaft, wenn sich dort welche finden würde. Zu dieser Jahreszeit, wenn die Holzfäller ihre Arbeit getan haben, trifft man so tief in den Wäldern nur selten auf ein Lager, und ich war froh, dennoch einer Gruppe Männer zu begegnen, die Schäden vom großen Hochwasser im Frühjahr reparierten. Man kann den Berg leichter und direkter zu Pferd oder zu Fuß vom Nordosten her über die Aroostook Road und den Wassataquoik River erreichen, doch so sieht man viel weniger von der Wildnis, dem herrlichen Fluss und der Seenlandschaft und erfährt auch nichts über batteaux und das Leben der Bootsführer. Zudem war die Jahreszeit günstig, denn im Sommer machen Myriaden von Gnitzen, Moskitos und Stechmücken oder, wie die Indianer sie nennen, »no-see-ems«2 das Wandern in den Wäldern so gut wie unmöglich; doch nun war ihre Herrschaft schon fast zu Ende.
Ktaadn oder Katahdin, nach einem indianischen Wort, das »höchstes Land« bedeutet, wurde von Weißen erstmals 1804 bestiegen. 1836 wurde er von Professor J. W. Bailey aus West Point erkundet, 1837 vom staatlich beauftragten Geologen Dr. Charles T. Jackson und 1845 von zwei jungen Männern aus Boston.3 Alle haben Berichte über ihre Expeditionen geschrieben. Seit ich dort gewesen bin, haben zwei, drei andere Gruppen die Exkursion unternommen und ihre Geschichten erzählt. Abgesehen davon haben nur sehr wenige, selbst unter Trappern und Jägern, den Aufstieg gewagt, und es wird lange dauern, ehe er bei Sommerfrischlern in Mode kommt. Die bergreiche Region des Staates Maine erstreckt sich von der Umgebung der White Mountains hundertsechzig Meilen nach Nordosten, bis zur Quelle des Aroostook River, und ist ungefähr sechzig Meilen breit. Der weitaus größte Teil davon ist wild oder unbesiedelt. Der Neugierige wird also, nach wenigen Stunden Reise in diese Richtung, an den Rand eines Urwaldes gelangen, und das wäre vielleicht trotzdem interessanter, als wenn er tausend Meilen nach Westen ginge.
Am nächsten Vormittag, Dienstag, 1. September, brach ich mit meinem Begleiter auf und fuhr mit einer Kutsche von Bangor flussaufwärts zum rund sechzig Meilen entfernten Mattawamkeag Point, wo wir am Abend des darauf folgenden Tages zwei Bangorer treffen wollten, die beschlossen hatten, uns auf unserem Ausflug zum Berg zu begleiten. Jeder von uns trug einen Rucksack oder Beutel mit Kleidung und anderen unverzichtbaren Dingen, und mein Kamerad hatte sein Gewehr dabei.
Weniger als ein Dutzend Meilen hinter Bangor stießen wir auf die Dörfer Stillwater und Oldtown an den Wasserfällen des Penobscot, welche die wichtigste Energiequelle sind, um die Wälder von Maine in Bauholz zu verwandeln. Die Sägemühlen stehen direkt auf und über dem Fluss. Hier herrscht zu jeder Jahreszeit Gedränge und Hochbetrieb, und der einstmals grüne, seit langem weiße Stamm – nicht weiß wie Schnee, sondern wie Treibholz – endet als schlichter Bretterstapel. Hier liegt der Ursprung eurer ein, zwei oder drei Zoll dicken Dielen, und Mr. Sawyer führt die Liste, die über das Schicksal all der niedergemähten Wälder entscheidet. Durch dieses mehr oder minder grobe Stahlsieb wird der wipfelige Wald von Maine von Ktaadn und Chesuncook und den Quellwassern des St. John River unbarmherzig getrieben, bis er so viele Bretter, Dauben, Latten und Schindeln ausspuckt, wie die Winde aufnehmen kann, um dann vielleicht immer weiter zersägt zu werden, bis man die benötigte Größe hat. Stellt euch vor, wie die Weißkiefer am Ufer des Chesuncook stand, wie ihre Zweige in den vier Winden rauschten und jede einzelne Nadel in der Sonne zitterte – stellt euch vor, was aus ihr geworden ist, nachdem sie womöglich an eine Streichholzfabrik in Neuengland verkauft wurde! Ich habe gelesen, dass es 1837 zweihundertfünfzig Sägemühlen auf dem Penobscot und seinen Zuflüssen nördlich von Bangor gab, die meisten in dieser Gegend, und sie sägten jährlich zweihundert Millionen Fuß an Brettern. Man rechne das Bauholz vom Kennebec, Androscoggin, Saco, Passamaquoddy und anderen Flüssen hinzu. Wen wundert es, dass wir so oft von Schiffen hören, die vor unserer Küste eine Woche lang inmitten von Treibholz aus den Wäldern von Maine feststecken. Die Männer dort scheinen damit beauftragt, gleich einer Schar geschäftiger Dämonen so schnell wie möglich alle Wälder aus dem Land, aus jedem einsamen Bibersumpf und von jedem Berghang zu vertreiben.
In Oldtown besuchten wir eine Batteau-Werkstatt. Die Herstellung von batteaux ist hier ein gutes Geschäft, das den Bedarf am Penobscot River abdeckt. Wir sahen uns einige der Boote im Lager an. Sie sind leicht und wohlgeformt, gebaut für reißende und felsige Flüsse. Man kann sie über lange Portagen auf den Schultern tragen, sie sind zwanzig bis dreißig Fuß lang und nur vier oder viereinhalb breit, an beiden Enden spitz zulaufend wie ein Kanu, doch ist der Kiel am Bug breiter und ragt sieben bis acht Fuß aus dem Wasser, damit er so sanft wie möglich über Felsen gleitet. Die Wände sind sehr dünn, nur zwei Planken pro Seite, die gemeinhin mit Kniestücken aus leichtem Ahorn oder anderem Hartholz befestigt sind, doch für die Innenwände werden die hellsten und breitesten Weißkieferplanken verwendet, wobei wegen der Form viel Material verschwendet wird, denn der Boden ist vollkommen flach, nicht nur von einer Seite zur anderen, sondern auch von vorne nach hinten. Manchmal, nach langem Gebrauch, werden sie »bauchig«, und die Bootsführer drehen sie um und glätten sie mit Gewichten an beiden Enden. Man erzählte uns, dass die Boote nach zwei Jahren abgenutzt wären, oft aber auch nach einer einzigen Fahrt über die Felsen, und zwischen vierzehn und sechzehn Dollar kosteten. Für meine Ohren klang allein der Name des Kanus der Weißen – batteau – erfrischend und wild melodisch, indem er mich an Charlevoix4 und die kanadischen Voyageurs erinnerte. Das batteau ist eine Art Kreuzung aus Kanu und Boot, ein Boot für Pelzhändler.
Die Fähre brachte uns hier an der Indianerinsel vorbei. Als wir das Ufer verließen, sah ich einen kleinen, zerlumpten Indianer, der einer Wäscherin ähnelte; meist haben sie das kummervolle Aussehen von dem Mädchen, das der verschütteten Milch nachweint. Er kam gerade von flussaufwärts, war vor einem Lebensmittelladen auf der Oldtown-Seite gelandet, zog sein Kanu an Land, nahm ein Bündel Felle in eine Hand und ein leeres Fässchen in die andere und kletterte damit die Böschung hinauf. Dieses Bild reicht aus, um die Geschichte der Indianer zu illustrieren, das heißt, die Geschichte ihrer Auslöschung. 1837 waren von seinem Stamm noch dreihundertzweiundsechzig Seelen übrig. Die Insel schien nunmehr verlassen, doch entdeckte ich einige neue Häuser zwischen den verwitterten alten, als hätte der Stamm noch Aussichten für die Zukunft; doch im Allgemeinen machen sie einen sehr schäbigen, elenden und freudlosen Eindruck, sind ganz kehrseitig und wie Holzschuppen, keine Heimstätten, nicht einmal indianische Heimstätten, sondern nur Ersatz für Heim oder Lager, denn die Männer verbringen ihr Leben domi aut militiae, zu Hause oder im Krieg, oder heute eher venatus, also auf der Jagd, und meistens gilt Letzteres. Die Kirche ist das einzige schmucke Gebäude, doch ist das nicht den Abenaki, sondern Rom zuzuschreiben. Man könnte es gut kanadisch nennen, es ist aber armselig indianisch. Sie waren einst ein mächtiger Stamm. In der Politik sind sie gerade ein heißes Thema. Ich dachte sogar, eine Reihe Wigwams mit Powwow-Tanz und einem Gefangenen, der am Marterpfahl gefoltert wird, wäre achtbarer.
Wir landeten in Milford und fuhren am Ostufer des Penobscot entlang, wobei wir mehr oder weniger ununterbrochen den Fluss und die Indianerinseln im Blick hatten, denn alle Inseln bis weit hinauf nach Nickatow an der Mündung des East Branch haben die Indianer behalten. Sie sind im Allgemeinen dicht bewaldet und haben angeblich besseren Boden als die benachbarten Ufer. Der Fluss wirkte seicht und felsig und war immer wieder von Stromschnellen unterbrochen, die sich kräuselten und in der Sonne glitzerten. Wir hielten einen Augenblick, um einen Fischadler zu beobachten, der aus großer Höhe gerade wie ein Pfeil nach einem Fisch tauchte, aber er verfehlte seine Beute diesmal. Nun fuhren wir auf der Houlton Road, auf der einst einige Truppen Richtung Mars’ Hill marschierten, nicht aber zum Feld des Mars, wie sich zeigte.5 In dieser Gegend ist es die wichtigste, fast die einzige Straße, so gerade und gut angelegt und erhalten wie jede beliebige andernorts. Überall sahen wir Spuren des großen Hochwassers – das eine Haus stand schief und das andere nicht dort, wo man es errichtet, sondern wohl tags darauf wieder gesichtet hatte; und wieder ein anderes sah so vollgesogen aus, als würde es immer noch seinen Keller auslüften und trocknen – und Baumstämme am Straßenrand liegen, in die alle möglichen Zeichen geritzt waren, von denen einige darauf hinwiesen, dass sie als Brücken gedient hatten. Wir überquerten den Sunkhaze, ein sommerlicher indianischer Name, den Olemmon, Passadumkeag und andere Flüsse, die auf der Karte mehr hermachten als auf dem Weg. In Passadumkeag begegnete uns nur das, was der Name verheißt,6 nämlich ernste Politiker, das heißt Weiße, die unbedingt wissen wollten, wie die Wahlen7 ausgehen würden; Männer, die schnell sprachen, mit gedämpfter Stimme und einer Art gekünstelten Ernsthaftigkeit, der man einfach vertrauen musste, die es, an jeder Seite der Kutsche einer, kaum erwarten konnten, sich vorzustellen, mit wenigen Worten möglichst viel zu sagen, da sie einen schon ungeduldig mit der Peitsche wedeln sahen, aber immer mit vielen Worten wenig sagten. Offenbar haben Vorwahlen stattgefunden, und es werden weitere stattfinden – Sieg und Niederlage: Einer wird vielleicht gewählt, ein anderer nicht. Ein Mann, ein Wildfremder, der im Halbdunkel neben unserer Kutsche stand, verschreckte sogar das Pferd mit seinen Beteuerungen und steigerte sich dabei immer mehr in seine feierliche Überzeugung, je weniger Überzeugendes er an sich hatte. Auf der Karte hatte Passadumkeag anders ausgesehen. Bei Sonnenuntergang verließen wir eine Zeitlang die Straße am Fluss, um eine Abkürzung zu nehmen, und fuhren nach Enfield, wo wir über Nacht blieben. Wie bei den meisten Ortschaften an dieser Straße, die einen Namen hatten, schien mir der Name auch hier, inmitten der namenlosen und unerschlossenen Wildnis, etwas hervorzuheben, was gar nicht hervorstach. Ich entdeckte dort hingegen einen ansehnlichen Obstgarten mit gesunden und gutgewachsenen Apfelbäumen und reifen Früchten, die zwar neben der ältesten Ansiedlung in dieser Gegend standen, aber ganz naturbelassen und vergleichsweise wertlos waren, da man sie nicht veredelt hatte. Und nicht anders ist es weiter flussabwärts. Für einen Burschen aus Massachusetts wäre es ein gutes Geschäft, im Frühjahr mit einer Kiste voll erlesener Sprösslinge und seinem Pfropfmesser hier herzukommen, und auch für die Siedler wäre es von Vorteil.
Am nächsten Morgen fuhren wir durch hochgelegenes und hügeliges Land mit Aussicht auf Cold Stream Pond, einen schönen, vier bis fünf Meilen langen See, und kamen erneut auf die Houlton Road, die hier bei Lincoln, fünfundvierzig Meilen von Bangor, Military Road heißt. Lincoln ist für dieses Land ein vergleichsweise großes Dorf, das bedeutendste oberhalb von Oldtown. Als wir erfuhren, dass auf einer der Indianerinseln einige Wigwams stünden, ließen wir Pferd und Wagen zurück und marschierten eine halbe Meile durch den Wald zum Fluss, um einen Führer zum Berg zu finden. Wir entdeckten die Behausungen der Indianer erst nach ziemlich langer Suche: kleine Hütten, an einem abgelegenen Ort, in einer ungewöhnlich sanften und schönen Umgebung, wo das Ufer von schönen Wiesen und anmutigen Ulmen gesäumt wurde. Wir ruderten in einem Kanu, das wir am Ufer gefunden hatten, zur Insel. Nicht weit von wo wir landeten, saß ein Indianermädchen von zehn bis zwölf Jahren auf einem Felsen im Wasser in der Sonne, wusch die Wäsche und summte oder brummte währenddessen ein Lied. Es war ein Lied der Ureinwohner. Am Ufer lag ein Lachsspeer, ganz aus Holz, so wie man ihn wohl benutzte, bevor die Weißen kamen. An einer Seite der Spitze war ein biegsames Holzstückchen befestigt, das über den Fisch gleitet und ihn umschlingt, etwa so wie die Vorrichtung am Ende einer Brunnenstange, die einen Eimer hält. Als wir auf das nächstgelegene Haus zugingen, wurden wir von einer Meute wolfartig aussehender Hunde empfangen, die direkt von den alten Indianerhunden hätten abstammen können, welche die ersten Voyageurs als »deren Wölfe« bezeichneten. Das waren sie wohl. Bald erschien der Hausbewohner mit einer langen Stange in der Hand, mit der er sich die Hunde vom Leib hielt, während er mit uns plauderte. Ein robuster, aber schwerfällig und schmierig aussehender Kerl, der so schleppend auf unsere Fragen antwortete, als wäre es die erste ernste Angelegenheit an dem Tag, dass Indianer – er selbst und ein anderer – noch heute, vor Mittag, flussaufwärts gingen. Und wer war der andere? Louis Neptune, der im Nachbarhaus wohnte. Gut, dann lass uns also hinübergehen und Louis gemeinsam einen Besuch abstatten. Derselbe hündische Empfang, und Louis Neptune tritt hervor – ein kleiner, drahtiger Mann mit einem pockennarbigen und zerfurchten Gesicht, der dennoch dem anderen überlegen zu sein schien; derjenige, ich erinnerte mich, der Jackson ’37 zum Berg begleitet hatte. Dieselben Fragen wurden an Louis gerichtet, der dieselbe Antwort gab, während der andere Indianer daneben stand. Es stellte sich heraus, dass sie zu Mittag in zwei Kanus zum Chesuncook aufbrechen wollten, um Elche zu jagen – sie würden einen Monat fortbleiben. »Also, Louis, wenn du zum Point [zu den Five Islands, gleich unterhalb von Mattawamkeag] kommst, um dort das Lager aufzuschlagen, wandern wir – wir vier – morgen am West Branch flussaufwärts und warten am Damm oder an diesem Ufer auf euch. Ihr holt uns morgen oder am Tag darauf ein und nehmt uns mit in euren Kanus. Wir warten auf euch, ihr wartet auf uns. Wir bezahlen euch für eure Mühe.« »Ye«, erwiderte Louis, »vielleicht ihr bringen Proviant für alle – etwas Schweinefleisch – etwas Brot – und so bezahlen.« Er sagte: »Ich sicher Elch schießen.« Und als ich ihn fragte, ob er glaube, Pomola8 würde uns auf den Berg hinauf lassen, sagte er, wir müssten eine Flasche Rum am Gipfel vergraben; er habe schon jede Menge vergraben; und als er nachgesehen habe, sei der ganze Rum verschwunden gewesen. Er sei zwei, drei Mal oben gewesen: Er habe Briefe vergraben – englisch, deutsch, französisch etc. Die beiden Indianer trugen leichte Kleidung, Hemd und Hosen wie unsere Arbeiter an warmen Tagen. Sie luden uns nicht in ihre Häuser ein, sondern trafen uns vor der Tür. Also verließen wir die Indianer und schätzten uns glücklich, solche Führer und Weggefährten gewonnen zu haben.
An der Straße standen nur sehr wenige Häuser, doch fehlten sie nicht völlig, als wäre die Regel, nach der Menschen über den Erdball verteilt sind, eine sehr strenge, die man nicht ungestraft oder aus nichtigen Gründen außer Kraft setzen darf. Es gab sogar die Keimzellen von ein oder zwei Dörfern, die gerade begannen, sich auszudehnen. Die Straße selbst war bemerkenswert schön. Die verschiedenen immergrünen Pflanzen, von denen viele bei uns selten sind – zarte und schöne Exemplare der Lärche, des Lebensbaums, der Kugelfichte und Balsamtanne, von wenigen Zoll bis zu mehreren Fuß hoch –, säumten ihre Ränder, stellenweise wie ein langer Vorgarten, der aus glatten Rasenflächen, die ihn ununterbrochen begrenzen, hervorsprießt und vom Schwemmland fruchtbar gemacht wird; zugleich war es auf beiden Seiten nur ein Schritt in die grimmige, unerforschte Wildnis, in deren Labyrinth aus stehenden, umgestürzten und verfaulenden Bäumen nur der Hirsch und der Elch, der Bär und der Wolf leicht eindringen können. Mehr makellose Pflanzen, als jeder Vorgarten vorzeigen kann, wuchsen dort, um die Durchfahrt der Houlton-Postkutschen zu schmücken.
Ungefähr zur Mittagsstunde erreichten wir auf dem Weg, auf dem wir gekommen waren, sechsundfünfzig Meilen von Bangor, den Mattawamkeag und kehrten in ein Gasthaus ein, immer noch an der Houlton Road, eine Station der Houlton-Postkutsche. Hier gab es eine weitgehend überdachte Brücke über den Mattawamkeag, die, wenn ich mich richtig erinnere, vor rund siebzehn Jahren gebaut worden war. Wir aßen zu Mittag – wobei übrigens, nicht anders als zum Frühstück und zum Abendessen, in den Gasthäusern an dieser Straße die Vorspeise aus verschiedenen Sorten von »süßen Kuchen« besteht, die in einer Palette vom einen Ende des Tisches zum anderen aufgereiht werden. Ich kann wohl guten Gewissens behaupten, dass dort vor uns beiden eine Palette mit zehn bis zwölf solchen Kuchentellern stand. Zur Erklärung sagte man uns, dass die Holzfäller, wenn sie aus den Wäldern kommen, einen Heißhunger auf Kuchen und Küchlein und derlei süße Sachen haben, die bei ihnen ansonsten so gut wie unbekannt sind, und dies war das Angebot, um ihre Nachfrage zu befriedigen. Das Angebot entspricht immer der Nachfrage, und diese hungrigen Männer legten großen Wert darauf, etwas Ordentliches für ihr Geld zu bekommen. Der Überschuss an Verpflegung wird zweifellos ausgeglichen, bis sie Bangor erreichen: Mattawamkeag schleift einem die Kanten ab. Hat man also diese Vorspeise überwunden und sich durch die Reihe der Kuchen gekämpft, nimmt man den nächsten Gang womöglich mit einer verächtlich gelassenen Gleichgültigkeit in Angriff, obwohl ich dem Hauptgericht keineswegs nachsagen will, dass es ihm an Quantität oder Qualität mangelte, um die andersartige Nachfrage von Menschen zu befriedigen, die nicht aus den Wäldern, sondern aus den Städten kommen und nach Wildbret und kräftiger Hausmannskost verlangen. Nach dem Essen schlenderten wir zum »Point« hinunter, dem Zusammenfluss der beiden Flüsse, wo angeblich einst eine Schlacht zwischen den östlichen Indianerstämmen und den Mohawks stattfand, und suchten sorgfältig nach Artefakten, obwohl die Männer in der Schenke noch nie von derlei gehört hatten; aber wir fanden nur ein paar Splitter vom Pfeilspitzenstein, einige Pfeilspitzen, eine kleine Bleikugel und einige gefärbte Glasperlen, Letztere wohl ein Hinweis auf die frühen Zeiten des Pelzhandels. Der Mattawamkeag war zwar breit, aber dies galt lediglich für sein Flussbett, denn zu dieser Jahreszeit war er voller Felsen und Untiefen, sodass man ihn in Stiefeln fast trockenen Fußes überqueren konnte; und ich konnte es kaum glauben, als mein Kamerad mir erzählte, dass er darin mit einem batteau fünfzig bis sechzig Meilen durch entlegene und noch ungefällte Wälder gefahren sei. Ein batteau konnte nun an seiner Mündung kaum einen Hafen finden. Hirsch und Karibu oder Rentier erlegt man hier im Winter in Sichtweite des Hauses.
Bevor unsere Weggefährten eintrafen, ritten wir sieben Meilen auf der Houlton Road weiter nach Molunkus, wo die Aroostook Road abzweigt und wo ein geräumiges Gasthaus im Wald steht, das »Molunkus House«, das von einem gewissen Libbey geführt wird und aussah, als hätte es einen Saal zum Tanzen oder Exerzieren. Es gab in diesem Teil der Welt keine anderen Zeugnisse der Menschheit als diesen gewaltigen Schindelpalast; doch selbst der füllt sich manchmal mit Reisenden. Ich blickte von der Veranda um die Ecke des Hauses auf die Aroostook Road, auf der man keine Lichtung erkennen konnte. Ein Mann wagte sich am selben Abend in einem groben, urtümlichen Wagen, den man Aroostook-Wagen nennen könnte, auf sie hinaus – ein bloßer Sitz, unter dem ein Wagen schaukelte, darauf ein paar Säcke und ein schlafender Hund, der sie bewachen sollte. Fröhlich bot uns der Mann an, eine Nachricht an irgendjemand in diesem Land mitzunehmen. Vermutlich trifft man selbst am Ende der Welt noch jemanden, der noch weiter reist, als würde er nur bei Sonnenuntergang nach Hause fahren und rasch ein letztes Wort loswerden, bevor er aufbricht. Es gab auch hier einen kleinen Händler, den ich zunächst übersehen hatte, der in einer kleinen Bude auf der anderen Straßenseite hinter dem Pfosten mit dem Molunkus-Schild einen Laden führte – freilich keinen großen. Die Bude sah aus wie die Wiegekiste einer Patentheuwaage. Was sein Haus betraf, konnten wir nur mutmaßen, wo es lag; vielleicht war er Untermieter im Molunkus House. Ich sah ihn in seiner Ladentür stehen – sein Laden war so klein, dass er, sobald ein Reisender Anstalten machte einzutreten, durch die Hintertür hinausgehen und mit dem Kunden durch ein Fenster über die Waren im Keller oder eher jene, die bestellt und noch nicht eingetroffen waren, verhandeln musste. Ich wäre hineingegangen, denn ich fühlte ein echtes Bedürfnis Handel zu treiben, wenn ich nicht innegehalten hätte, um darüber nachzudenken, was dann aus ihm geworden wäre. Tags zuvor waren wir gegenüber einem Gasthaus, bei dem wir Halt gemacht hatten, in einen Laden gegangen, den unscheinbaren Keim eines Handelsunternehmens, das in der zukünftigen Stadt oder Großstadt schließlich zu einer Firma mit Teilhaberschaft heranwachsen würde – tatsächlich hieß es schon »Irgendwer & Co.«; den Namen habe ich vergessen. Die Frau trat aus dem Allerheiligsten des angrenzenden Hauses hervor, denn »Irgendwer & Co.« stand inmitten einer Brandrodung, und verkaufte uns Zündhütchen für gezogene und glatte Gewehrläufe9 und kannte deren Preise und Eigenschaften und wusste, welche die Jäger bevorzugten. Hier gab es in kleinem Umkreis ein bisschen von allem, um die Bedürfnisse und Wünsche der Wälder zu befriedigen, ein mit Mühe und Sorgfalt zusammengestelltes Lager, herbeigeschafft in einer Kiste im Pferdewagen oder einer Ecke der Houlton-Postkutsche. Doch wie üblich schien es mir dort ein Übermaß an Kinderspielzeug zu geben – Hunde, die Wauwau, und Katzen, die Miau, und Trompeten, die Lärm machen, wo es doch kaum Einheimische gibt. Als ob ein Kind, geboren in den Wäldern von Maine, zwischen Kiefernzapfen und Zederbeeren, so wenig wie der junge Rothschild ohne Zuckerpuppe oder Hampelmann auskommen könnte.