Tagebuch V - Henry David Thoreau - E-Book

Tagebuch V E-Book

Henry David Thoreau

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Beschreibung

Henry D. Thoreaus Hauptwerk ist nicht »Walden« oder »Über den zivilen Ungehorsam«, sondern sein Tagebuch, das er als 20-jähriger begann und bis wenige Tage vor seinem Tod 1861 führte. Darin notierte er Beobachtungen, die zu den bedeutendsten Naturschilderungen der Weltliteratur zählen, aber auch Gedanken und Refl exionen, die ihn als ganz eigenständigen philosophischen Kopf erkennen lassen. Durch die Lektüre wird deutlich, dass Natur und Politik wie Zurückgezogenheit und der Wunsch nach gesellschaftlicher Veränderung eine Einheit bilden. Stille, Unabhängigkeit, Antimaterialismus, Armut, Antiprüderie, Askese, Selbstdisziplin und mystische Suche sind neben überwältigend präzisen und gleichzeitig poetischen Beschreibungen des Lebens, der Natur, der großen und kleinen Lebewesen die bestimmenden Themen dieses Werks. Während dieses große Tagebuchwerk in Amerika Generationen von Künstlern und Schriftstellern beeinflusste und heute eine überwältigende Renaissance erlebt, ist es in Deutschland nahezu unbekannt. Unsere Ausgabe lädt ein, dieses Meisterwerk zu entdecken und Thoreau unzensiert zu erleben.

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Henry David Thoreau

Tagebuch V (1852–1853)

(Eis + Staub)

Mit zahlreichen Zeichnungen des Autors

Aus dem amerikanischen Englischübersetzt und mit Anmerkungen versehenvon Rainer G. Schmidt

Matthes & Seitz Berlin

Inhalt

September 1852

Oktober 1852

November 1852

Dezember 1852

Januar 1853

Februar 1853

März 1853

April 1853

Mai 1853

Juni 1853

Juli 1853

August 1853

September

Oktober

Editorische Notiz

Anmerkungen

September

1. September, Mittwoch.

Eine Tragödie, zumindest ein Verweilen bei der tragischen Seite des Lebens – oder ihre Übertreibung gar, ist nötig, um das Bild zu kontrastieren oder hervortreten zu lassen. Der Genius des Schriftstellers kann ein solches wie von Gilpin beschriebenes getöntes Glas sein1, dessen Nutzen darin besteht, »den Schatten eine größere Tiefe zu geben; wodurch die Wirkung kraftvoller gezeigt wird«. Das gesamte Leben wird von manchen durch dieses dunklere Medium gesehen – hat am Tragischen teil –, und sein helles und glänzendes Licht wird auf diese Weise fahl.

4 Uhr nachmittags. – Zum Walden Pond.

Als ich über ihn paddle, sehe ich große Schwärme von Barschen, die nur einen Zoll messen, aber an ihren Querstreifen leicht zu erkennen sind. Groß ist die Schönheit eines bewaldeten Ufers vom Wasser aus gesehen, denn die Bäume haben viel Platz, sich auf dieser Seite auszudehnen, und jeder streckt seinen kräftigsten Ast aus, um den See zu säumen und zu zieren. Selten sieht man einen so natürlichen Waldsaum. Deshalb ist ein See wie dieser, der bis zum Wasserrand von bewaldeten Hügeln umgeben ist, der beste Ort, um die Färbungen des Herbstlaubs zu beobachten. Darüber hinaus verändern sich Bäume, die im Wasser oder in seiner Nähe stehen, früher als anderswo.

Dies ist ein sehr warmer und heiterer Abend, und der Wasserspiegel des Sees ist vollkommen glatt, außer dort, wo Wasserläufer ihn kräuseln; denn sie sind in gleichmäßigen Abständen über die ganze Wasserweite verstreut, und wenn man nach Westen schaut, bewirken sie ein zartes Funkeln in der Sonne. Ab und zu treibt da auch eine Disteldaune, auf die sich die Fische stürzen und so das Wasser kräuseln – ein zarter Hinweis auf den nahenden Herbst, wenn sich im Wald auf eine glatte Seeoberfläche voller Spiegelungen die erste Disteldaune senkt, Zeichen für die Fische, dass das Jahr reift. Diese weißen, feenhaften Luftfahrzeuge werden alljährlich über die Wölbung ihres Himmels geweht. Besinne dich darauf, o Mensch, wenn die erste Disteldaune in der Luft ist. Frei schwebend treibt sie hoch in der Luft über Hügel und Felder den ganzen Tag und jetzt, vielleicht vom Abendtau hinabgedrückt, sinkt sie sacht auf die Seeoberfläche. Nichts kann die Disteldaune zurückhalten, wenn sie mit Septemberwinden unweigerlich Segel setzt. (…) Die Disteldaune ist in der Luft. Sag mir, ist deine Frucht auch dort? Erreichst du Reife? Schüttelt der Wind Fallobst von deinem Baum? Doch sehe ich keinen Staub hier wie auf dem Fluss.

(…)

3. September, 1 Uhr nachts – abnehmender Mond, nach Conantum.

Eine milde Nacht. Ein dünner Überzieher reicht aus. Als ich an der Straße entlanggehe, höre ich einen Apfel fallen. Treffe einen Mann, der so früh zum Markt geht. Keine Nebel lockern die Nacht auf. Ihre Grundzüge sind sehr einfach. Ich höre keinen Ziegenmelker oder anderen Vogel. Sehe keine Glühwürmchen. Sah einen Ziegenmelker (?) über den Weg flattern. Höre das Plumpsgeräusch der Frösche auf der Flussaue und gelegentlich eine Art Krächzen wie von einer Rohrdommel dort. Es ist ganz taufeucht, und ich bringe eine Menge Dreck auf meinen Schuhen nach Hause mit. Dies ist eine Besonderheit der Nacht. Ihr Tau, Wasser nimmt seine Herrschaft wieder auf. Kehre vor Morgengrauen zurück. – Morgen und Abend sind reizvoller als Mitternacht.

Ich will mich bemühen, die Flut in meinen Gedanken oder das, was sich dem Einfluss des Mondes verdankt, von den gängigen Zerstreuungen und Schwankungen abzutrennen. Die von der Sonne erweckten Winde legen sich abends, dann mag der Mondeinfluss entdeckt werden.

Neulich habe ich nicht die Walddrossel gehört.

5. September, nachmittags. – Zu den Klippen.

Die Blütenblätter der purpurnen Gerardia übersäen die Bäche. Die ovalen Ähren von ungefähr birnenförmigen Beeren des Aronstabs sind vielleicht zinnoberrot jetzt – ihre Schäfte biegen sich zu Boden. Durch ihre Farbe haben sie bestimmt die Aufmerksamkeit des Indianers auf sich gezogen. Die Bäche sind voll von roten Würzelchen der Erlen usw. Die Landschaft bekommt allmählich ein trockenes und gelbliches Aussehen – die Maisfelder, die Grasfluren usw. –, und wenn es windet, ist ein leichtes Rascheln zu hören. Ich beobachtete auf dem Ufer nahe dem Wasser winzige rote Ahorne, nur einen Zoll hoch und gänzlich rot. Ich habe bemerkt, dass die Distelwolle schon einige Tage in der Luft ist, die Seidenpflanze aber noch nicht, auch wenn noch einige Distelblüten zu sehen sind. Manche Eichengallen von einem Zoll Durchmesser sehen wie die Kugeln von Olivenölseife aus)2, ganz hübsch. Einige kleiner und roter. Eine interessante Art schmarotzender Früchte, vielleicht nicht so ansehnlich wie die Rosenäpfel des Frühlings. (…)

6. September, Montag. (…) Mädchen ernten Hopfen in Townsend. Manche Felder sind völlig gelb von der Goldrute – eine gelbe Masse. Es ist die vorherrschende Blüte, die der Wanderer antrifft. Ging von Mason Village über die Bergkuppen nach Peterboro. Sah etwa um 10 Uhr vormittags über Mason Village einen Adler schweben, der einen weißen Kopf, einen weißen Schwanz und schwarze Flügel hatte – ein großartiger Anblick. (…) Begegnete einem Verrückten, der wahrscheinlich in ein Krankenhaus gebracht wurde; er musste uns beide bei der Hand nehmen und uns erzählen, der Geist Gottes sei auf ihn herabgekommen und habe ihm die ganze Welt geschenkt, und er würde jetzt jedem eine halbe Million schenken usw. Hohe Brombeeren am Wegesrand, immer noch reichlich Frucht tragend, die langen, süßen, maulbeerförmigen, die hauptsächlich auf die Straße beschränkt und dem Wanderer sehr willkommen sind. Ein Stein am Wegesrand in Temple, weiß getüncht mit einer schwarzen Inschrift, welche die Rüpelhaftigkeit der Yankees bekundet: »Hier wurde Jesse Spofford getötet« usw., ohne dass gesagt wird wie. So berichten wir nur von dem banalen, nicht dem bedeutsamen Ereignis, als dem Gelangen zu einem Gedanken. Wen kümmert es, ob Jesse Spofford getötet wurde oder nicht, wenn er nicht wusste, ob er es überhaupt verdiente, zu leben?

(…)

Ein Mann in Peterboro berichtete mir, sein Vater habe ihm erzählt, dass der Monadnock3 gewöhnlich mit Wald bedeckt sei, dass Feuersbrünste durch ihn fegten und die Grasnarbe vernichteten; dann würden die Bäume umgestürzt und ihre Wurzeln nach oben gekehrt, sodass sie ein dichtes und undurchdringliches Dickicht bildeten, in dem es von Wölfen wimmelte. Sie kamen in der Nacht herab, rissen Schafe usw. und kehrten in ihre Lager zurück, wohin man sie bis zur Früh nicht verfolgen konnte; bis man schließlich dieses Dickicht in Brand setzte und die größte Feuersbrunst entfachte, die das Land je erlebt hatte; und so vertrieben sie alle Wölfe, die sie seitdem nicht mehr behelligt haben. Er selbst hatte als Junge erlebt, dass dort ein Wolf getötet worden war. Jetzt töte man dort Waschbären, Igel und Wildkatzen. (…)

9. September Genügend Leute schmeicheln mir mit süßen Worten, und dann wieder verwenden sie bittere, um jene auszugleichen, doch sie sind nicht meine Freunde. Einfache Aufrichtigkeit und Wahrheit sind in der Tat selten. Ein Bekannter kritisiert mich ins Gesicht hinein und erwartet in jedem Augenblick, dass ich sein Freund werde, um’s zu vergelten. Ich höre meinen Bekannten, wie er seine Kritik laut denkt. Wie reden gern mit solchen, die uns gut einschätzen können, nicht mit denen, die mit uns reden, als seien wir die ganze Zeit jemand anderes. Unsere Nachbarn fordern uns auf, ihren Lastern gegenüber nachsichtig zu sein. Wie einfach ist das Gesetz der Liebe! Einer, der uns liebt, handelt dementsprechend, und sogleich kommen wir zusammen und sind unbehindert erfolgreich.

(…)

11. September Der Genius wird, wie die Alligatorschildkröte4, mit einem zu groß entwickelten Kopf geboren. Unser Gehirn macht bei der Geburt angeblich ein Sechstel des Köpergewichts aus.

(…)

13. September Gestern regnete es den ganzen Tag, im Verein mit beträchtlichem Wind – wodurch der Boden mit Äpfeln und Pfirsichen übersät wurde, und landesweit sammeln die Leute emsig das Fallobst auf. – Auch ist mehr Laub gefallen. Regen hat ebenso dazu beigetragen wie Wind. (…) Der goldene Herbstglanz in geballter Form, goldener als die Sonne. Wie gewiss kommt dieses Gelb längs der Bäche hervor, wenn man es dem chemischen Test der Herbstluft unterzogen hat! Es gelbt längs des Bachs. Die Erde trägt zu verschiedenen Jahreszeiten verschiedene Farben oder Trachten. Wenn ich zu dieser Jahreszeit vorbeikomme, wird mich hier ein goldenes Gleißen von tausend Sonnen begrüßen.

Wie ernsthaft und rasch erfüllt jede Kreatur, jede Blume ihre Rolle, solange ihr Tag währt! Die Natur verlor weder einen Tag noch einen Augenblick. Wie der Planet auf seiner Umlaufbahn und um seine Achse, so kreisen auch die Jahreszeiten, so kreist auch die Zeit mit unvorstellbarer Geschwindigkeit. Im Moment, im Äon, werden sie gut beschäftigt, schreitet die Zeit immer mit dieser Geschwindigkeit voran. Für einen Bummler ist der beschäftigte Mensch rasend schnell. Wer nicht hinter seiner Zeit zurückliegt, ist schnell. Die Unsterblichen sind schnell. Bahn frei! Die Pflanze, die ein ganzes Jahr wartete und dann blühte, als sie bereit war und die Erde bereit war für sie, ohne einen Aufschub im Sinn, war schnell. Für das Bewusstsein des müßigen Menschen klingt die Stille eines friedlichen Septembertages wie das Getöse und das Gewirbel einer Fabrik. Nur Beschäftigung kann dieses Lärmen in der Luft zum Schweigen bringen.

Bei meinem Ritt erfuhr ich das Vergnügen, in eine Landschaft zu gelangen, in der es mehr Entfernung gab und einen bläulichen Ton am Horizont. Ich bin nicht lang mit solchen Tälern zufrieden, in denen einzig Grün herrscht. Ich möchte die Erde verwandelt, übertragen sehen, wobei das Grün in Blau übergeht. Wie dieser Himmel eingreift und unsere fernen Ausblicke tönt! Je ferner der Berg, das Ziel unseres Unternehmens, desto mehr trägt er die Farbe des Himmels. Dies ist der hauptsächliche Wert einer Entfernung in Landschaften.

Ich muss mehr mit freien Sinnen gehen. Es ist ebenso unzureichend, Sterne und Wolken zu untersuchen wie Blumen und Steine. Ich muss meine Sinne schweifen lassen wie meine Gedanken. Carlyle sagte5, dass beobachten schauen sei, ich aber sage, dass es eher sehen ist, und je mehr man schaut, umso weniger wird man beobachten. Ich übe dermaßen große Aufmerksamkeit, dass meine Sinne keine Ruhe bekommen, sondern unter einer ständigen Anspannung leiden. Sei nicht mit Schauen beschäftigt. Gehe nicht zum Gegenstand; lass ihn zu dir kommen. Als ich festgestellt habe, dass ich immerzu hinabschaute und meinen Blick auf die Blumen beschränkte, habe ich gedacht, es könnte als Korrektiv taugen, die Gewohnheit der Wolkenbeobachtung anzunehmen; aber ha!: Dieses Beobachten wäre ebenso unzureichend. Überhaupt hinzusehen brauche ich nicht, sondern ein echtes Bummeln des Auges.

(…)

16. September, Dienstag, 8 Uhr früh. – Nach Walden Pond.

Seit den Regenfällen und dem Sonnenschein stehen große Pilze mit einem Durchmesser von sechs Zoll im Wald, haben ihre Ränder nach oben gekrümmt und zeigen ihre Lamellen, so als wären sie halb voll mit Wasser.

(…)

Von den Klippen aus die gekräuselte blaue Oberfläche von Fair Haven – mit seinem glatten weißen Saum, dessen Glätte Kräuter aufrechterhalten –, ein ruhiger Silbersaum. Der See gleicht dem Himmel mit seinem Rand weißlicher Wolken am Horizont. Gestern regnete es den ganzen Tag.

Was macht solch einen Tag zu einem Tag für Habichte? Von den Klippen aus sind acht oder zehn zu sehen, große und kleine, einer oder mehr mit weißem Rumpf. Ich bemerkte den Vorbeiflug des ersten an seinem Schatten auf dem Felsgestein, und ich suchte nach ihm in Richtung Sonne. Obwohl ihn seine helle Farbe unten verbergen soll, verrät ihn sein Schatten. Ein Habicht muss aus dem Wald heraus, muss über ihn gelangen, zu dem Ort, wo er segeln kann. Im Gebüsch findet er sich nur sehr mühsam hindurch. Dort kann er nicht Habicht sein, sondern muss sich verdrießlich niedersetzen. Jetzt sehe ich unten im Tal einen großen – einen Adler vielleicht, sage ich mir –, wie er kreist und kreist, höher und weiter. Er kommt hierher. Wie schön ruht er auf der Luft, in dem Moment, wenn er direkt über dir ist, und du siehst die Gestalt und Musterung seiner Schwingen! Wie leicht und licht muss er sich machen, wie viel irdische Schwere vertreiben, bevor er sich so aufschwingen und segeln kann! Er schleppt keine unnützen Lasten mit. Habichte fliegen als Familien aus; der eine kreist hierhin, der andere dorthin. Flugdrachen ohne Schnüre. Wo ist der Junge, der sie steigen lässt? Werden nicht die Habichte in dieser Jahreszeit am meisten beobachtet?

(…)

17. September Was bringt diese leuchtende Herbstluft hervor? – ein Glänzen, als gäbe es nicht genügend Grün, um das Licht zu schlucken, jetzt, da die ersten Fröste das Gras welken lassen. Die Maisstängel sind wie Musketen längs der Felder aufgestellt. Die Blätter des Hechtkrauts sind trocken und braun längs des Flusses. Der Herbst ist im Wasser weiter fortgeschritten, wie auch der Frühling dort früher war. Ich sollte sagen, dass die Flussvegetation in ihrem Verfall einen Monat weiter fortgeschritten war als das Land im Allgemeinen. Die Blätter der gelben Teichrosen sind offenbar insgesamt vermodert; beim Durchwaten trete ich nur auf ihre großen Wurzeln; und die Blätter der Seerose sind ausgedünnt. Jetzt, bevor irgendwelche Wirkungen des Frosts auf den Blättern deutlich zu erkennen sind, beobachte ich im Fluss zwei dunkle Reihen aus abgestorbenem Hechtkraut. Ist es die Erlenzikade, die jetzt in den Niederungen so laut erschallt? Die doldenförmigen Beerentrauben der Stechwinde sind jetzt reif. Immer noch blüht der Ampfer, und gelbe Schmetterlinge sind auf den Blüten. Ich höre den Dunenspecht6 pfeifen und sehe ihn sich bei den Apfelbäumen umschauen, als wolle er sich ein Loch bohren. Kehren sie nach Süden zurück? Überfülle wilder Trauben.

(…)

20. September (…)

Auf Heywood’s Peak nahe Walden. – Wegen des Lüftchens ist die Wasseroberfläche nicht vollkommen glatt, und die Spiegelungen des Walds sind ein wenig undeutlich und verschwommen. Wie beruhigend ist es, in dieser Höhe auf einem Baumstumpf zu sitzen, den See zu überblicken und die sich kräuselnden Kreise zu beobachten, die auf der glatten und im Übrigen unsichtbaren Oberfläche, inmitten der gespiegelten Himmel, unaufhörlich eingeschrieben und wieder ausgelöscht werden! Der gespiegelte Himmel hat ein tieferes Blau. Wie schön, dass über dieser ausgedehnten Weite jegliche Störung sofort sanft geglättet und gemildert wird, wie wenn man ein Gefäß mit Wasser schüttelt und die zitternden Kreise zum Ufer streben und alles wieder eben ist! Kein Fisch kann springen oder kein Insekt kann auf diese Fläche fallen, ohne in Linien von Schönheit übertragen zu werden, in kreisende Kräuselungen, als wäre es das andauernde Strudeln seiner Quelle, das sanfte Pulsieren seines Lebens, das seiner Brust, die sich hebt und senkt. Das Beben der Freude und das des Schmerzes sind ununterscheidbar. Wie angenehm die Phänomene des Sees! Alles, was sich auf seiner Oberfläche bewegt, bringt ein Funkeln hervor. Der friedliche Teich! Die Werke des Menschen erglänzen wie in der Quelle. Die Bewegung eines Ruders oder eines Insektes bringt einen Lichtblitz hervor, und wenn ein Ruder sich senkt, wie lieblich ist sein Widerhall!7

Die Wolle von Kreuzkraut und Habichtskraut ist in der Luft. Der Goldregenpfeifer ist in diesem Jahr, heißt es, häufiger als sonst vorgekommen. Viehherden sind zeitweise vom Oberland herabgestiegen.

Wie deutlich jedes Ding in der Natur gekennzeichnet ist! Wie der Tag durch einen kleinen gelben Sonnenschein, sodass ihn der Faulpelz nicht verwechseln kann.

21. September, nachmittags. – Nach Conantum.

Das kleine Helmkraut, die Kresse und die Königskerze blühen noch. Ich sehe jetzt öfter Goldspechte mit ihrer hellen Rückseite. Birken und Ulmen beginnen gelb zu werden, und Farne sind an manchen Stellen schon ganz gelb oder braun. An den Bächen sehe ich viele hohe bläuliche Astern in Haufen, wie A. undulatus. Die blaustämmige Goldrute gibt es in Fülle; glänzend und in voller Blüte stehend. Die Ahorne beginnen zu reifen. Wie schön, wenn ein Ahornbaum am Rand eines Sumpfes einer einzigen großen scharlachroten Frucht voll reifer Säfte gleicht! Ein Zeichen des Reifens. Jedes Blatt, vom untersten Ast bis zum höchsten Wipfel, ist erglüht. Der Wilde Wein ist ebenfalls rot und seine Beeren sind bläulich. Die abgeflachten schwarzen Beeren von Gurkenwurz8, dessen auf der Unterseite rote Blätter mit ihren dreieckigen Grundflächen gleichsam Becher für jene sind. Mein roter Kugelschwamm erblüht mitten auf dem Weg in seiner Gallerte.9

Als ich bei der Corner-Quelle durch den Ahornsumpf ging, war ich überrascht, Äpfel auf dem Boden zu sehen, und nahm zunächst an, dass jemand sie fallen gelassen hatte, doch als ich aufblickte, entdeckte ich einen Wildapfelbaum, so hoch und schlank wie die jungen Ahorne und mit nicht mehr als fünf Zoll Durchmesser am Boden. Er hatte in diesem Jahr geblüht und getragen. Die Äpfel waren ausgereift und hatten einen sehr angenehmen Duft, obwohl sie rostig-schorfig aussahen, und ich füllte meine Taschen mit ihnen. Die Hörnchen hatten sie vor mir entdeckt. Es ist eine angenehme Überraschung, inmitten eines Sumpflands eine so große und genießbare Frucht wie einen Apfel zu finden.

(…)

27. September, Montag. – Nachmittag. – Zu C. Smith’s Hill.

Die blitzende Helligkeit der Atmosphäre. Es scheint mehr Licht von der Atmosphäre reflektiert, weniger geschluckt zu werden. Grüne Läuse sind immer noch auf den Birken.

Am Saw Mill Brook sind viele zart geformte und flache Farnwedel weißlich verblasst und sehr ansehnlich, als wären sie gepresst – ganz zart. Eicheln der Weißeiche sind genießbar. Überall probieren die Hörnchen die Nüsse zur rechten Zeit. Die Samenkapseln des Springkrauts schießen los wie Pistolen – schießen ihre Samenkörner wie Kugeln. Sie explodieren in meinem Hut.

(…)

Es war wohl eine Turteltaube gewesen, die mich aus derartiger Nähe beäugte, ihren Kopf seitwärts mir zuwandte, um einen unbehinderten Blick zu haben, und mich mit einer Veitstanzdrehung10 ihres Halses, als wollte sie auf einem schwankenden Sitz ihr Gleichgewicht bewahren, betrachtete – das ist so ihre Art.

Vom Smith’s Hill schaute ich in Richtung der Berglinie. Wer kann glauben, dass der Gipfel, den der Mensch fünfzig Meilen entfernt am Horizont sieht, wie er sich fern und fahlblau über einen dazwischenliegenden Bergkamm erhebt, während der Beobachter auf seinen gewöhnlichen Heimathügeln steht oder auf der staubigen Landstraße, derselbe sein kann wie der, zu dem er einst aus einer Schlucht inmitten von Urwäldern unmittelbar aufgeblickt hat? Teilweise zwei Tage war ich einst querfeldein gewandert, trödelte auf dem Weg, der durch Urwald und Sümpfe führte, über den höchsten Gipfel der Peterboro Hills zum Monadnock, auf Strecken, von denen mich Grundbesitzer und Kutscher abzubringen versuchen. Das ist noch nicht einen Monat her. Doch jetzt, wenn ich im Nu über den Erdball zum undeutlichen Monadnockgipfel blicke und jene vertrauten Felder und Niederwälder den größeren Teil des Zwischenraums einzunehmen scheinen, kann ich nicht erkennen, dass Joe Eavelys Haus immer noch dort am Sockel des Berges steht, und während dieser ganzen langen Wanderung durch Urwälder mit stärkenden Düften, bis ich dort ankam. Ich kann nicht erkennen, dass es auf den Gipfeln dieser kühlen blauen Bergkämme immer noch reichlich Beeren gibt, blauer als jene, als würden sie sich das Blau von ihrem Standort borgen. Von den Bergen aus erkennen wir nicht unsere Heimathügel, aber von unseren Heimathügeln schauen wir leicht hinaus zu den fernen blauen Bergen, die über jenen zu präsidieren scheinen. Indes ich von einem Maisfeld in Concord nordwestwärts zu jenem Gipfel blicke, wie wenig kann ich das ganze Leben erkennen, das sich zwischen ihm und mir abspielt – die zurückgezogenen Hochlandfarmen, die einsamen Mühlen, bewaldete Täler, wilde felsige Weiden und neue Lichtungen auf rauen Gebirgshängen und Flüsse, die durch Urwälder plätschern! All diese und wie viel mehr überblicke ich. Ich sehe den Gipfel selbst – doch wie viel sehe ich nicht, das zwischen mir und ihm liegt! Wie viel überblicke ich! So sehen wir Sterne. Was ist es anderes als eine schwache blaue Wolke, ein Nebel, der verschwinden kann? Doch was ist es andererseits für denjenigen, der Tag für Tag zu ihm gewandert ist, sich durch den Wald geschlängelt und Hügel erklommen hat, die dazwischenliegen, der von den dort heimischen Himbeeren und Blaubeeren gekostet hat und den dort sprudelnden Quellen, der sich durchs Erklimmen seiner Felshänge hat erschöpfen lassen, der die Kühle seines Gipfels gespürt hat und dort in den Wolken verloren war?

Wenn ich in einem kalten Zimmer sitzen könnte, jeden Abend bis zur Thanksgiving-Zeit in einen Mantel gehüllt, gewärmt von meinen eigenen Gedanken, würde mir die Welt nicht so viel bedeuten.

28. September, Nachmittag. – Zum Feld der Findlinge.

(…)

Kinder sammeln jetzt Berberitzenbeeren, genau zur richtigen Zeit. Von der großen Herbstblume sprechen, die zurzeit die Täler bilden – ihr am meisten leuchtendes Blütenblatt ist immer noch das Scharlachrot des Hartriegels, und an manchen Stellen ist das rotere des roten Ahorns gleichermaßen glanzvoll; und dann ist da das gelbe der Walnuss und das breite mattrote der Blaubeere und die Haselnuss, die Amerikanische Heidelbeere und Viburnum nudum (Schneeball) mit verschiedenen ähnlichen Färbungen.

Um den dünnsten Mantel tragen zu können, ist es seit Mitte September zu kalt gewesen.

Trauben gibt es immer noch zuhauf. Ich brauche nur die Birken zu schütteln11, um einen Schauer von Pflaumen niedergehen zu lassen. Doch keine schmeckt genauso, wie sie duftet. Manche Böden, wie dieser felsige an der alten Straße nach Carlyle, sind derart für den Apfel geeignet, dass die Apfelbäume wild aufschießen und, inmitten von Kiefern, Birken, Ahornbäumen und Eichen, ihr rotes und gelbes Obst tragen, das mit den Herbstfarben des Walds ringsum harmoniert. Ich bin überrascht, in einem Sumpfland, inmitten von Ahornbäumen und Birken, die gerundeten Kronen von Apfelbäumen rosig von schönen Früchten zu sehen.

Ein windiger Tag. Was haben diese starken und tosenden Winde mit dem Herbst zu tun? Zweifelsohne sprechen sie recht deutlich zu dem Saft, der in diesen Bäumen ist, und vielleicht hemmen sie sein Aufwärtsfließen.

Ein sehr stattlicher grau gefleckter Dornbusch von sechs Zoll Durchmesser, mit ausgedehntem Wipfel, so groß wie der eines kleinen Apfelbaums, und Schösslinge um seinen Stamm starren von zahlreichen Dornen. Dies ist eine sehr auffällige Sache und der größte Dornbusch, den ich in Concord gesehen habe, fast ohne Blätter – und eine einzige Masse roter Früchte, fünf Achtelzoll im Durchmesser, die bewirken, dass sich seine schlanken Äste auseinanderbiegen und anmutig herabbeugen. Das lässt mich an ein Strohbündel denken oder an einen Staubwedel, der an seinem Griff nach oben gehalten wird. (…)

Ach, könnte ich diese Musik, die ich höre, in Worte fassen; diese Musik, die Tränen in die Augen von Marmorstatuen treiben kann! – der die Muskeln von Menschen sich fügen.

30. September, Donnerstag, 10 Uhr vormittags. – Nach Fair Haven Pond zur Bienenjagd – Pratt, Rice, Hastings und ich in einem Wagen.12

Ein schöner, klarer Tag, nach der kühlsten Nacht und dem strengsten Frost, den wir hatten. Die Vorrichtung war eine einfache runde Blechdose von etwa viereinhalb Zoll Durchmesser und einem halben Zoll Tiefe, die ein Stück einer leeren Honigwabe von ihrer eigenen Größe und Form enthielt; diese füllte die Dose, wobei ein drittel Zoll nach oben frei blieb. Dann eine weitere, diesmal hölzerne Büchse von etwa zweieinhalb Quadratzoll in jeder Richtung, wobei eine Glasscheibe zwei Drittel der Oberseite unter einem Schieber einnahm; dazu auf jeder Seite des Glases ein Paar schmaler Schlitze im Holz, um Luft hereinzulassen, aber zu schmal, um die Bienen herauszulassen. Das Ganze ruhte auf einem kreisförmigen Boden, der ein wenig größer als der Deckel der Blechdose war und eine Schiebetür hatte. – Wir waren entschlossen, uns in dieser Woche aufzumachen, bevor die Blüten verschwunden waren, und wir fürchteten, dass durch die frostige Nacht die Bienen zu langsam sein könnten, um hervorzukommen.

Nachdem wir zur Baker Farm gelangt waren, zu einem der freien Felder, die dem von mir markierten Baum am nächsten lagen, mussten als Erstes einige Blumen gefunden und einige Bienen gefangen werden. Wir gingen ein Stück am Ufer des Baches hinan, doch waren die Goldruten dort alle verdorrt, und die Astern, die wir zu finden erwarteten, waren sehr dünn gesät. Am Seeufer hatten wir nicht mehr Glück, die Fröste hatten die Blüten dort noch rarer gemacht. Dann schlugen wir den Weg zum Clematis Brook nördlich des Mt. Misery ein, wo wir ein paar Diplopappus linarifolius13 und ein oder zwei weiße (buschige?) Astern fanden, auch seltene A. undulatus und Aolidago nemoralis, auf denen die Bienen an sonnigen Stellen rührig sind; doch gab es nur zwei oder drei Hummeln, Wespen und Schmetterlinge, gelbe und kleine rote. Am Clematis Brook hatten wir nicht mehr Glück. Wir konnten keine Honigbiene finden, und wir entschieden, dass wir zu spät waren – dass es zu kalt war, und folglich begaben wir uns sofort zu dem von mir entdeckten Baum, einer Schierlingstanne von zweieinhalb Fuß Durchmesser auf einem Nebenhügel, der eine Rute vom See entfernt war. Im Winter hatte ich meine Initialen in die Rinde geschnitten, denn der Brauch berechtigt den Entdecker, den Honig zu ernten und zu diesem Zweck den Baum zu fällen, wenn er für den Schaden aufkommt. Und wenn er seine Initialen einschneidet, wird kein anderer Honigjäger dazwischenkommen. Da vom Boden aus keine Anzeichen von Bienen zu sehen waren, erkletterte einer der Gruppe den Baum bis zu der Stelle, wo der Hauptstamm früher abgebrochen war und etwa achtzehn Fuß überm Erdboden eine Gabelung zurückgelassen hatte; und der Kletterer fand dort eine kleine Öffnung, in die er zwei oder drei Fuß tief einen Stock stieß, bis er auf Grund kam; und als er seine Hand hineinschob, zog er eine alte Wabe heraus. Die Bienen waren wahrscheinlich eingegangen.

Nach unserem Mittagsmahl machten wir uns auf den Rückweg. Am Wegrand beim Walden Pond sahen wir auf dem zum See abfallenden sonnigen Hang eine große Menge Goldruten und auf mehreren Quadratruten relativ frische Astern. Als wir aus unserem Wagen stiegen, bemerkten wir, dass die Stelle von Bienengesumm ertönte. (Es war etwa 1 Uhr.) Es gab hier weit mehr Blüten als sonst wo. Bienen waren sehr zahlreich, Hummeln wie Honigbienen, ebenso Schmetterlinge, Wespen und Fliegen. Also gossen wir eine Mischung aus Honig und Wasser in die leere Wabe in der Blechdose und hielten den Deckel der Blechdose in einer Hand und die Holzbüchse mit dem geschlossenen Schieber in der anderen; und schickten uns an, die Honigbienen dadurch zu fangen, dass wir sie jählings zwischen dem Deckel der Blechdose und dem großen kreisrunden Boden der Holzbüchse einschlossen, wobei wir gleichzeitig mit dem Deckelrand den Blütenstängel abschnitten. Dann, indem wir den Deckel immer noch gegen die Holzbüchse hielten, zogen wir den Schieber am Boden und ebenfalls den Schieber, der das Fenster oben bedeckte, sodass das Licht die Bienen verlocken konnte, in die Holzbüchse überzuwechseln. Sobald die Biene dies getan hatte und summend gegen das Glas stieß, wurde der untere Schieber geschlossen und der Deckel mit der Blüte entfernt, und weitere Bienen wurden auf diese Weise gefangen. Dann hielten wir die andere, die Blechbüchse, mit der mit Honigwasser gefüllten Wabe dicht unter die hölzerne Büchse, der Schieber wurde wieder gezogen und der obere Schieber geschlossen, sodass es dunkel wurde; und in etwa einer Minute begannen die Bienen zu fressen, wie durch ein leichtes Anheben der Holzbüchse festgestellt wurde. Dann wurde Letztere gänzlich entfernt, und man ließ die Bienen im hellen Tageslicht Nahrung aufnehmen oder den Honig aufsaugen. Binnen zwei bis drei Minuten hatte die Biene sich ordentlich beladen und begann, die Büchse zu verlassen. Sie flog einen Fuß weit summend hin und her; und dann, wenn sie sich zuweilen überladen fühlte, ließ sie sich nieder, um sich zu entleeren oder um ihre Beine zu putzen. Dann flog sie noch einmal los und begann unregelmäßig zu kreisen, zuerst in einem kleinen Kreis von bloß etwa ein oder zwei Fuß Durchmesser, als prüfe sie das Gelände, auf dass sie es wiedererkennen könne, bis sie schließlich höher und höher stieg und in immer weiteren Kreisen und immer schneller, bis ihre Kreisbahn zehn oder elf Fuß Durchmesser hatte und ebenso weit vom Boden entfernt war – auch wenn deren Mitte zu einer Seite verlagert sein konnte –, sodass es sehr schwierig war, ihr zu folgen, besonders, wenn man gegen einen Wald oder den Hügel schaute und tief liegen musste, um sie vor dem Himmel zu erwischen (man musste im offenen Gelände operieren, nicht im Wald); all dies, als wollte sie den Weg zu ihrem Nest ermitteln; dann sauste sie, eine Minute oder weniger nach ihrem Startbeginn, in gerader Linie los, d. h. so weit ich sie, vielleicht acht oder zehn Ruten entfernt, vor dem Himmel sehen konnte (und man musste ihrer gesamten Bahn in der Tat sehr aufmerksam folgen, um zu erkennen, wann und wo sie unvermittelt abschweifte), und strebte in einer Wellenlinie ihrem Nest zu.

Wir schickten immerhin ein Dutzend Bienen los, die in etwa drei Richtungen flogen, doch alle auf das Dorf zu oder dorthin, wo unseres Wissens Bienenstöcke standen. Ihr Flug war nicht so absolut gerade, wie man mir gesagt hatte, sondern wich auf dem gleichen Weg von einem halben Dutzend Ruten oder so weit unser Blick reichte um drei oder vier Fuß ab. Die Angehörigen eines Stocks mussten alle um einen Apfelbaum herum abschweifen. Da keine in die für uns richtige Richtung flog, versuchten wir nicht, sie zu verfolgen. In weniger als einer halben Stunde kehrte die erste zu der Büchse zurück, die immer noch auf dem Holzstoß lag – denn nicht eine der Bienen auf den Blüten ringsum entdeckte sie –, und so kamen sie nacheinander zurück, beluden sich und flogen weg; doch ging ihrem Abflug diesmal nur sehr geringes Kreisen voraus, als seien sie ihres Wegs sicher. Wir hatten Kästchen mit roter, blauer, grüner, gelber und weißer Farbe in Pulverform dabei, und mit einem Zweig streuten wir ein wenig rotes Pulver auf den Rücken einer Biene, während sie Nahrung aufnahm – versahen sie mit einem kleinen Tupfer, der sich in den Flaum ihres Rückens senkte und ihr eine deutliche rote Jacke verpasste. Sie flog wie die meisten zu einem etwa eine Meile entfernten Stock, und wir überwachten mit der Uhr die Zeit ihres Abflugs. In genau zweiundzwanzig Minuten kam Rotjacke zurück und hatte immer noch genügend Pulver auf dem Rücken, um sie deutlich zu kennzeichnen. Die Biene mochte mehr als eine Dreiviertelmeile zurückgelegt haben. Jedenfalls hatte sie, beladen wie sie war, mit Gegenwind zu kämpfen. Sie flogen rasch und sicher zu ihren Nestern, ohne unterwegs zu ruhen, und ich war über die Entfernung überrascht – auch wenn ich darüber Kenntnis hatte –, die die Dorfbienen zurücklegten, um an Blüten zu kommen.

Der Wanderer in den fernsten Wäldern und Weidegebieten denkt wenig daran, dass die Bienen, die so fleißig auf den seltenen Wildblumen summen, die er in einem entlegenen Winkel für sein Herbarium sammelt, wie er selbst Wanderer sind, die vom Dorf, vielleicht von seinem eigenen Hof, kommen, um ihren Honig für seine Bienenstöcke zu erlangen. Alle Honigbienen, die wir sahen, waren auf der blaustämmigen Goldrute (Solidago cœsio), die spät und lange blühte, die einen süßen, angenehmen Duft versprüht, den die Astern nicht hatten. Umso reicher fühle ich mich durch diese Erfahrung. Sie lehrte mich, dass sogar die Insekten auf meinem Weg keine Bummler sind, sondern ihre besonderen Besorgungen haben. Nicht bloß auf der Welt und vage, sondern zu dieser Stunde geht jedes seiner Arbeit nach. Wenn es dann immer noch süße Blüten auf dem Hügelhang gibt, ist das den Wald- und Dorfbienen bekannt. Der Botaniker sollte mit den Bienen gemeinsame Sache machen, wenn er wissen möchte, wann die Blumen sich öffnen und wann sie sich schließen. Die von mir genannten Blumen waren die einzigen verbreiteten und vorherrschenden, die man zu der Zeit suchen konnte.

Unsere Rotjacke hatte ihre Reise sicher durchgeführt; kein Vogel hatte sie aufgepickt. Sind die Königsvögel fort? Jetzt ist die Zeit, sich auf die Bienenjagd zu verlegen, wenn die Waben voll Honig sind und bevor die Blumen so ausdünnen, dass die Bienen ihren gehorteten Honig zu verzehren beginnen.

Die Wolle der gemeinen Seidenpflanze hat zu fliegen begonnen; Desmodium, der Wandelklee14, hängt jetzt an meiner Kleidung. Sah am Clematis Brook die ausgiebige Wühlarbeit von Maulwürfen.

Vierzig Pfund Honig war das meiste, das unsere Gruppe in dieser Gegend bekommen hat.

Wir fingen auch eine Hummel und schickten sie los; sie manövrierte wie die anderen, obwohl wir dachten, sie würde sich Zeit nehmen, etwas zu essen, bevor sie sich belud, und dann war sie so überladen und beschmiert, dass sie sich hinsetzen musste, nachdem sie losgeflogen war, und sie brauchte mehrere Minuten, um sich zu säubern.

Nicht umsonst blühen die Blumen, und sie blühen auch spät an bevorzugten Stellen. Für uns sind sie Kultur und Luxus, aber für die Bienen Speis und Trank. Die kleine Biene, von der wir dachten, sie lebe in einer Blütenglocke weit weg in jenem abgeschiedenen Tal, sie ist eine große Reisende und erhebt sich bald über die Waldwipfel und segelt mit ihrer süßen Fracht direkt zu ihrem fernen Hafen. Wie gut kennt sie die Wälder und Felder und das Versteck jeder Blume! Die Blüten mögen weit verstreut sein, weil die Süße, die sie aus der Atmosphäre sammeln, selten, aber ebenso weit verstreut ist, und die Bienen können weit reisen, um sie zu finden. Eine kostbare Last, wie ihre Farbe und ihr Duft, eine Ernte, die der Himmel einbringt und auf der Erde lagert.

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Oktober

1. Oktober, Freitag. Landvermessen in Lincoln. Ein strengerer Frost heute Nacht. Die jüngeren und zarteren Bäume nehmen allmählich durchgängig die Herbstfarben an, einfach als Folge der beiden letzten frostigen Frühen. Die Hänge der bebuschten Hügel zeigen eine reiche Farbenvielfalt wie Teppichwirkerei, aber der Wald im Allgemeinen hat sich noch nicht verändert.

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12. Oktober Ich bin beeindruckt vom Überfluss an Licht in der Atmosphäre im Herbst – als hätte die Erde keines geschluckt –, und der Überfülle verwirrenden Lichts entsprangen die Herbstfarben. Kann das darauf beruhen, dass es weniger Dampf gibt?

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Welch großer Anteil von Himmelslicht erfreut auf der Erdoberfläche jeden Teich und See. Kein Wald ist so dunkel und tief, dass nicht Licht über dem See ist. Sein Fenster oder Oberlicht ist so weit wie seine Oberfläche. Er steht dem Himmel offen. Vom Berggipfel hat man vielleicht nicht solchen Ausblick, wegen des Walds, aber auf dem See ist man in Licht gebadet.

Ich kann keine Wasserläufer oder -käfer auf der jetzt gekräuselten Teichoberfläche entdecken. Gleiten sie nur an ruhigen Tagen zur Mitte hin? Durch kurze Impulse, bis sie diese vollständig bedeckt haben.

Ein neuer Teppich von Kiefernnadeln bildet sich im Wald. Der Wald legt seinen Teppich für den Winter nieder. Die Ulmen im Dorf, die ihre Blätter verlieren, geben die Vogelnester zu erkennen. Da die Weinrebe jetzt abgestorben ist, grabe ich heute Nachmittag mit meinen Händen einige Erdbirnen aus. Sie waren beinahe so groß wie Hühnereier – sechs Zoll oder einen Fuß unter der Erdoberfläche, am Ende einer Wurzel oder an ihr aufgereiht. Ich hatte sie zum Abendessen geröstet und gekocht. Die Haut löste sich schnell, wie bei der Kartoffel. Geröstet schmecken sie angenehm, ganz wie eine Kartoffel, obwohl sie etwas faserig sind. Mit geschlossenen Augen würde ich nicht wissen, ob ich eine ziemlich durchweichte Kartoffel aß. Gekocht waren sie unerwartet ganz trocken – und trotz ihrer Strenge hatten sie doch einen nussigeren Geschmack. Mit ein wenig Salz würde ein Hungriger ein sehr schmackhaftes Mahl aus ihnen machen – insbesondere jetzt, da die Weinreben abgestorben sind. Es wäre nicht leicht, sie zu finden, es sei denn, man weiß im Voraus, wo sie wachsen.

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14. Oktober Jüngst, seit einem Monat, ist dieser grobe gelbliche Pilz auf Waldwegen weit verbreitet; er wird oft von Vögeln angepickt, vermodert oft, wird oft vom Fuß zermanscht wie ein Stück Kürbis, beschmutzt dann das Gras, macht es gelb, es wirkt, als sei eine Flüssigkeit (oder Staub) an ihm herabgetröpfelt. Die Kiefern sind jetzt zweifarbig, grün und gelb – Letzteres direkt unter den Enden der Zweige. Da die Wälder so viel Laub verloren haben, sehen sie allmählich kahl aus, Ahornbäume, Pappeln usw., Kastanien. Blumen verschwinden schnell. Der Winter kann vorweggenommen werden. Aber ein paar Grillen sind noch zu hören. Häher und Schwarzmeisen sind im Herbst häufiger zu hören als im Sommer. Offenbar nickt oder schwenkt jetzt Eriophorum vaginatum, Scheiden-Wollgras, seine weißen Wollköpfe über der grünlichen Lavendelheide und inmitten der vereinzelten roten Heidelbeerbüsche in Beck Stowe’s Swamp. Eintausend weiße Wollköpfe lassen an Winter denken. Die unteren oder älteren Blätter der Lavendelheide röten sich allmählich. Diese Pflanze bildet ausgedehnte feste Schichten mit einer deutlichen Oberfläche, eben oder wellig, wie ein Moospolster. Nicht unregelmäßig und unabhängig voneinander, sondern regelmäßig und gesellig, gleichsam unter einem Belag.

15. Oktober, 8 Uhr früh. Der erste Schnee fällt (nach nicht besonders kühler Witterung) in großen Flocken, die die Luft erfüllen und die fernen Wälder und Häuser trüben, als würden die Bewohner oben ihre Kissenbezüge leeren. Wie ein Nebel teilt er in geringer Entfernung die unebene Landschaft in Grate und Täler. Der Boden beginnt, weiß zu werden, und die Gedanken bereiten sich allmählich auf den Winter vor. Margeriten. Das Kanadische Löwenmäulchen ist als eine der letzten Blüten zu bemerken, ein paar Knospen sind noch geblieben, um an der Spitze der Ähre oder des Blütenstands zu erblühen. Der Schneefall dauerte nur eine halbe Stunde. Eis vor einer Woche oder zweien.

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Der Regen der Nacht und der Früh hatte, im Verein mit dem Wind, den Boden mit Kastanien übersät. Die im Allgemeinen leeren Stachelschalen fallen mit lautem Geräusch herab, während ich die Kastanien im Wald auflese. (…)

20. Oktober (…)

Ein ziemlich kalter und windiger, irgendwie wintriger Nachmittag – der Himmel bedeckt. Im Nordwesten haben sich die Wolken gehoben, und ich sehe die Berge im Sonnenschein, umso verlockender durch die Kälte, die ich hier verspüre – mit einem Anflug von Purpur auf ihnen – ein kalter, aber denkwürdiger und herrlicher Umriss. Dies ist der Vorteil von Bergen am Horizont: Sie zeigen einem schönes Wetter inmitten von schlechtem. (…)

Manch einer fragt, wenn ich ihm sage, dass ich auf einem Berg gewesen bin, ob ich ein Fernglas dabeihatte. Gewiss hätte ich mit einem Fernglas weiter und besondere Gegenstände deutlicher gesehen, hätte mehr Andachtshäuser15 zählen können; doch hat dies nichts zu tun mit der besonderen Schönheit und Erhabenheit der Sicht, die eine erhöhte Position bietet. Ich erstieg den Berg nicht, um ein paar besondere Gegenstände zu erblicken, als wären sie in greifbarer Nähe, wie ich sie zu sehen gewohnt war, sondern um eine unendliche Vielfalt fern und nah in ihrer Beziehung zueinander zu erblicken, die auf diese Weise auf ein einziges Bild zurückgeführt ist. Die Tatsachen der Wissenschaft pflegen, im Vergleich mit Dichtung, so gewöhnlich zu sein wie der Blick mit einem Teleskop. Das ist, als zähle man Andachtshäuser. In der Gaststätte Zum Berg kann man ein Fernglas mieten; denn man hält die Wanderung zum Berggipfel für vergeudet und meint, dass man nur die halbe Aussicht hat, wenn man kein Glas mit sich führt.

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21. Oktober, Donnerstag, Nachmittag. (…)

Gliederknöterich (Polygonum articulatum) ist noch da. Silbriges Fingerkraut, Wegrauke und Klee. Ich finde im Second Division Brook Köcher mit den Larven der Köcherfliege. Und was bedeuten diese Häufchen gelben Sandes auf dunklen Steinen am Grund des schnell fließenden Wassers, die durch eine Art Kleber zusammengehalten werden und ortsfest bleiben; und die ein achtzehntel Zoll im Durchmesser haben und wie auf die Steine gestreut wirken? Diese Köcherfliegenlarven bilden eine Art Gehäuse um sich und heften bisweilen ein paar abgestorbene Blätter daran, um es zu verbergen, und dann befestigen sie es (?) leicht an einem schwankenden Grashalm auf dem Grund in schnell fließendem Wasser, und das sind dann ihre Quartiere bis zum nächsten Frühling. Dies lässt mich daran denken, dass der Winter seine groben Finger nicht in den Grund von Bächen legt. Blickt man in die Bäche, sieht man mancherlei totes Laub treiben oder auf dem Grund ruhen, und man vermutet nicht, dass einige Blätter die von Köcherfliegenlarven geliehenen Verkleidungen sind. (…)

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23. Oktober (…)

Mein Freund ist jemand, den ich treffe und der mich als das nimmt, was ich bin. Ein Fremder nimmt mich als etwas anderes, als ich bin. Wir können nicht reden, wir können uns nicht miteinander unterhalten, bis wir feststellen, dass wir erkannt werden. Der Fremde vermutet an unserer statt eine dritte Person, die wir nicht kennen, und wir überlassen es ihm, sich mit dieser einen zu unterhalten. Es ist selbstmörderisch, wenn wir das Missverstehen unserer selbst unterstützen. Vermutung erschafft den Fremden und setzt ihn an die Stelle des Freundes ein. Ich kann niemanden darin unterstützen, mich misszuverstehen.

Was die Menschen soziale Tugenden nennen, gute Kameradschaft, ist gewöhnlich nur die Tugend von Schweinen im Stallmist, die dicht beisammen liegen und einander warm halten. Das bringt die Menschen massenweise in Schankstuben oder sonst wo zusammen, doch es verdient nicht, Tugend genannt zu werden.

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25. Oktober, Montagnachmittag. – Im Boot flussabwärts zu Ball’s Hill.

Ein weiterer vollkommener Indian-Summer-Tag. Eines meiner Ruder macht ein knarrendes Geräusch wie ein Block in einem Hafen, ein Geräusch, das einem alten Seemann Tränen in die Augen triebe. Es lässt mich an Abenteuer denken und Glückssuche. Schildkröten (Emys picta) sieht man immer noch ins Wasser stürzen. Die weißen Ahorne haben zumeist ihre Blätter abgeworfen, doch solche, die unterhalb der Ebene des Ufers stehen und von ihm geschützt werden, halten weiterhin durch. (…)

Die Herbstfarben werden allmählich dunkler und matter, doch für mein Auge nicht minder prächtig. Und jetzt zeigt ein Hügelhang die dunkelsten, muntersten Rot- und Brauntöne in jeder Schattierung, alle angenehm gemischt. Am Fuß des Hügels, nahe der Wiese, steht eine Vorderreihe dunstartiger Ahornbäume ohne Laub, in die sich gelbe Birken mischen. Höher hinan Roteichen mit verschiedenen Abtönungen von Mattrot, mit gelblichen, vielleicht schwarzen Eichen dazwischen und nunmehr braunen Walnüssen, und nahe der Hügelkuppe, oder vielleicht sich über dem Übrigen erhebend, eine immer noch gelbliche Eiche, und hier und dort inmitten der Übrigen oder im Vordergrund auf der Wiese große und kleine Weißeichen von matt-aschiger Lachsfarbe, all dies kontrastierend mit dem klaren, fließenden, immerwährenden Grün von Kiefern.

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Die Geistesverfassung des Indianers scheint genau derjenigen des weißen Mannes entgegengesetzt zu sein. Er ist mit einer anderen Seite der Natur vertraut. Er misst sein Leben nach Wintern, nicht nach Sommern. Sein Jahr wird nicht nach der Sonne gemessen, sondern besteht aus einer gewissen Zahl von Mondumläufen, und seine Mondumläufe werden nicht nach Tagen gemessen, sondern nach Nächten. Er hat sich an die dunkle Seite der Natur gehalten; der weiße Mann an die helle.

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28. Oktober Sonnenuntergang vom Poplar Hill. Ein warmer, feuchter Nachmittag. Die Wolken heben sich im Westen – in der Tat ist der Horizont ringsum ganz klar –, und plötzlich färbt das Sonnenuntergangslicht die ganze Landschaft gelb und erwärmt sie. Die Luft ist erfüllt von einem bemerkenswert dampfigen Nebel. Die Schatten der Bäume auf dem Flusssaum dehnen sich geradewegs eine Viertelmeile in die ebenen rotbraunen Great Meadows. Die Jungen lesen Walnüsse auf. Die Blätter der Walnussbäume sind gelbbraun.

8 Uhr abends. – Zu den Klippen.

Wir haben abnehmenden Mond. Es ist ein ganz warmer, aber feuchter Abend. Beim Überqueren der Gleise höre ich wieder die Telegrafenharfe, das unvergängliche Orakel. Ihre Vibrationen werden in beträchtlichem Abstand durch den hohen Mast zur Erde der Umgebung übermittelt, sodass ich sie spüre, wenn ich in der Nähe stehe. Und wenn ich mein Ohr an das Geländer lege, ist es gänzlich belebt von ihnen, obwohl der Pfosten, mit dem es verbunden ist, drei Fuß vom Telegrafenmast entfernt eingepflanzt ist; doch das Geländer ertönte von der Harfenmusik, sodass ein Tauber es gehört haben könnte. Ich höre keinen Vogellaut, als ich den Seitenweg hinangehe; nur ein paar leise Grillen sind zu hören – auf diese Vögel sind wir beschränkt. Was für ein schwacher Laut dies, der für den großen Erdball zu machen ist!

Nach welchen Umwälzungen in meinen Stimmungen und Erfahrungen sehe ich, wenn ich abends nach draußen gehe, gleichsam nach Jahren der Beschränkung in dem Haus, die paar Sterne, die an etwa gleicher Stelle das Sternbild Kleiner Wagen bilden – die immerwährende Geometrie der Sterne. Wie unbeschreiblich sind diese hellen Punkte, die bei zunehmender Dunkelheit am blauen Himmel erscheinen und andere Welten sein sollen, gleich sommergereiften Beeren auf den Hügeln! Sogar der Ozean von Vögeln, sogar die Ätherregionen sind mit Inseln übersät. Fernab in diesem Äthermeer liegen die Hesperischen Inseln, die bei Tag unsichtbar sind, deren Lichter jedoch bei zunehmender Dunkelheit von diesem Gestade aus zu sehen sind, wie Kolumbus die Lichter von San Salvador (?) erblickte. Der Tau im welken Gras reflektiert den Mondschein wie Glühwürmchen. Dieser Stern, der den Mond begleitet, wird morgen nicht mehr sein Gefährte sein.

Der Wald hat so viel Laub verloren, dass sein Boden und die Wege weitaus mehr von Licht gefleckt sind. Ich höre kein Geräusch, außer dem Rascheln der welken Blätter, die die wenigen und stummen Vögel in den Schlaf wiegen, und dem Brausen des Winds auf den bewaldeten Hügeln. Jeder Baum ist eine Harfe, die die ganze Nacht ertönt, doch sind einigen nur ein paar Blätter zum Flattern und Summen geblieben. Von den Klippen aus haben Fluss und See genau die Farbe des Himmels. Obwohl Letzterer durch einen dünnen Nebel leicht verschleiert ist, zeigt sich der Umriss der Halbinsel darin ganz deutlich. Sogar die fernen Felder jenseits des Flusses scheinen bei Mondschein wie bei Tageslicht rotbraun getönt, und die jungen Kiefern in der Nähe sind grün. Der Boden im Wald ist locker von gefallenem Laub. Der gerundete Lappen des Weißeichenblatts hat etwas Gezähmtes oder Zivilisiertes, ganz anders als die wilden, spitzen Blätter von Schwarz- und Roteichen, und in ihren Verwendungen und Eigenschaften sind Letztere dem Menschen näher. Solche Bäume sind relativ wild, deren Rinde allein vom Menschen ausgiebig genutzt wird. Als ich über Abiel Wheelers Feld auf dem Hügel zum Bahngleis zurückkehre, sehe ich die aufstrebenden Blätter der Königskerzen deutlicher als bei Tag. Ihre Blätter sind bemerkenswert warm in meiner Hand, verglichen mit der Erde oder einem Stein. Es würde mich erfreuen, manchmal mein Bett aus ihnen zu machen.

Vier Monate des grünen Laubs, die Jahreszeit des Wachstums, machen unseren ganzen Sommer aus, wenn ich vom 1. Juni bis zum 1. Oktober rechne, und ich meine, es gibt noch etwa vier Monate, in denen der Boden weiß von Schnee ist. Dann blieben zwei Monate für Frühling und zwei für Herbst. Oktober, der Monat der Reife oder des bunten Laubs; November, der Monat welken Laubs und kahler Zweige und Äste.

Als ich heute bei offenem Fenster meine Reismahlzeit zu mir nahm, kam eine Wildbiene herein, eine kleine Art mit vielen gelben Ringen auf ihrem Hinterleib, und ließ sich auf meinem Sirupkrug nieder. Sie nahm den Sirup sehr schnell zu sich und legte am Ausguss des Krugs, der mit Sirup beschmiert war, bald eine beträchtliche Fläche frei; als sie sich dann eingedeckt hatte, umkreiste sie ein paar Mal den Krug, während ich mir etwas von dem Sirup nahm, und flog gegen ein geschlossenes Fenster, doch schon bald fand sie das offene, durch das sie hereingekommen war, und flog zu ihrem Nest dahin. Wenn ich das Fenster hätte offen lassen wollen und etwas gewartet hätte, wäre sie zurückgekehrt.

Ich hörte heute auf der Straße einen Jungen zu einem anderen sagen: »Du bist so dumm wie Bohnenstroh.«16

November

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1. November (…)

Wenn überhaupt in irgendeinem Monat, dann wird ein Mensch sein Herz im November aufzehren.

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3. November Hirtentäschel immer noch reichlich in Gärten. 3 Uhr nachmittags zu den Klippen und den Andromeda Ponds.

In den Heywood Brooks zahlreiche junge Kaulquappen von zwei Zoll Länge und mehr – ebenso Schnecken auf dem Grund. Ich finde dort große und kleine Wasserkäfer, nicht auf der Oberfläche, sondern offenbar geschützt inmitten der Gräser, die in die Winterquartiere führen. Während ich Köcherfliegenlarven sammelte, von denen viele Behältnisse aus kleinen Krautstücken haben, die wie Brunnensteine über sie gehäuft sind, stieß ich nahe dem Weg auf einen recht stattlichen Fisch, entweder einen Katzenwels oder Döbel – er schwamm rasch den flachen Bach hinab und verursachte eine Welle, die von Ufer zu Ufer reichte und ihn verriet. Ich folgte ihm flussab, bis er sich unter einer Grünalge verbarg, und als ich ihn von dort vertrieben hatte, schwamm er noch weiter flussab, bis er zu der Stelle kam, wo der Wasserlauf gestaut war; und er vergrub sich augenblicks im Schlamm über dem Damm, und ich vermochte ihn nicht auszugraben.

(…)

In den kältesten Nächten wurde ich durch das Krachen des Bodens aufgeschreckt, was klang, als sei es mein Haus, das krachte – und morgens fände ich dann einen Riss in der Erde, einen Viertelzoll breit und eine Meile lang.

Die Sonnenuntergänge werden allmählich auf interessante Weise warm.

4. November. Herbstlöwenzahn und Schafgarbe.

Muss genügend im Freien sein, um die heilsame Wirklichkeit zu erfahren, als ein Gegengewicht zu Denken und Gefühl. Gesundheit verlangt diese Entspannung, dieses ziellose Leben. Dieses Leben in der Gegenwart. Mag ein Mensch im Haus doch von der Natur denken, was er will, sie wird draußen immer neu sein. Ich halte mich draußen vor den Türen, wegen des Mineralischen, Pflanzlichen und Tierischen in mir.

Wie kostbar ein schöner Tag früh im Frühling! – weniger hingegen im Herbst; noch weniger im Sommer und Winter. Chimaphila17 verstreut jetzt ihren Pollen. Sah verblühte Zaubernuss, einige noch frisch.

Die Herbstwinde entlockten schließlich dem Telegrafen ein paar Töne. Bei diesem Mast ist es nur ein melodisches Summen, doch bei dem nächsten erreicht es Klarheit und lässt mich an die Inseln Griechenlands denken. Ich legte mein Ohr an den Mast. Jede Faser ertönte mit der zunehmenden Inspiration, doch wenn sie sich zu einem klangvolleren und dichteren Ton erhob, schien sie sich in das Mark des Holzes zurückzuziehen und dort zu konzentrieren.

Da gab es auch, in der Herrschaft von Magnus Barfuß, Thorer von Steige18, der »alt und schwer« war. Er errang einige Siege, doch als es gegen ihn ging, konnte er nicht rennen. Er sagte seinem Widersacher: »Ich bin gut mit den Händen, aber schlecht auf meinen Füßen.« Er »war ein außerordentlich stämmiger Mann, sowohl hoch von Gestalt als auch dick«. Sodass, als er gehängt wurde, sein Hals nachgab und sein Körper auf den Erdboden stürzte. Der Dichter singt:

»Wie des Königs Knechte Olf Thorer und seine

Mitverräter an den Galgen hängten.«

Mein Denken ist ein Teil der Bedeutung der Welt, und daher verwende ich einen Teil der Welt als ein Symbol, um mein Denken auszudrücken.

(…)

12. November. 4 Uhr nachmittags. – Zu den Klippen.

Es klart auf. Ein ganz strahlender Regenbogen. Drei Rot- und Grüntöne. Ich sehe seinen Fuß nicht weiter als eine halbe Meile im Südosten, wie er das Grün der Kiefern verstärkt. Von Fair Haven Hill sehe ich eine sehr ferne, lange, niedrige dunkelblaue Wolke, die am nordwestlichen Horizont noch jenseits der Berge geblieben ist, und vor dieser sehe ich offenbar eine schmale weiße Wolke, die auf jedem Berg ruht und sich genau dessen Umriss anpasst – als sei der weiße gekräuselte Rand der Hauptwolke über sie umgeklappt. Tatsächlich ließ die massive dunkelblaue Wolke dahinter diese deutlichen weißen Kappen sichtbar werden, die diesseits der Berge zwanzig Meilen entlang des Horizonts auf ihnen ruhten.

Nachdem die Sonne untergegangen ist, hat meine lange dunkle Wolke die Gestalt eines Alligators angenommen, und dort, wo die Sonne gerade verschwunden ist, ist die Wolke in zwei schreckliche Kiefer gespalten, zwischen denen die ewige Stadt erglänzt – seine gekerbten Lippen ganz kupfrig golden, seine gezackten feurigen Zähne. Sein Körper liegt als schlummernde Masse längs des Horizonts.

(…)

23. November Heute Morgen ist der Boden weiß von Schnee, und es schneit immer noch. Zum ersten Mal ist es in dieser Jahreszeit richtig weiß gewesen, auch wenn es früher schon, vor vielen Wochen, zehn oder fünfzehn Minuten lang eine dünne weiße Decke gegeben hat. Gestern Abend bei Sonnenuntergang war es so warm und ruhig, dass ich einem Nachbarn gegenüber bemerkte, die Milderung deute auf Schnee hin. Es ist bis zu einem gewissen Grad auch wärmer, nachdem der erste Schnee gefallen ist und sich auf die Häuser gehäuft und die Spalten im Dach gefüllt hat. Schon durchdringt mich die Landschaft mit einem größeren Gefühl von Fruchtbarkeit. Ich habe noch keine Handschuhe getragen, obwohl die Finger schon kalt wurden. Sogar der erste Schnee hat etwas Belebendes, und die Natur scheint ihre Novemberstrenge ein wenig abzumildern. Auch die Menschen sind geneigt, im ganzen Land Dank abzustatten für die Gaben des Jahres, und das Geräusch des Mörsers ist in allen Häusern zu hören und der Duft der Sommerwürze erreicht sogar die Dachstuben der Dichter.

Dies kann dann für dieses Jahr als das Ende der Blütenzeit betrachtet werden, auch wenn dieser Schnee bald schmelzen wird.

(…)

In einem Traum heute Nacht hatte ich einen Gedanken, der mich durch seine Merkwürdigkeit überraschte, als beruhe er auf einer Erfahrung in einer früheren Existenz und könne von meinem wachen Ich nicht aufrechterhalten werden. Sowohl der Gedanke als auch die Sprache waren gleichermaßen neu für mich, doch sogleich erkannte ich, dass er wahr ist und mit meiner Erfahrung in diesem Zustand übereinstimmt.

3 Uhr nachmittags. – In Richtung Klippen und Walden.

Man muss früh losziehen, um den Schnee auf den Zweigen zu sehen. Jetzt sind die Zweige und Blätter ganz unbedeckt, und der Schnee auf dem Boden ist halb geschmolzen; wo die Bäume dicht stehen, hat er den Boden überhaupt nicht erreicht, außer in Form von Wasser im Laufe des Tags. Doch früh heute Morgen zeigte der Wald ein ganz anderes Schauspiel. Die Schönheit und Reinheit des frischen Schnees, der dort lag, wo er gerade fiel, auf Zweigen und Blättern übers ganze Land, bot dem Wanderer endloses Entzücken. Das war ein zartes und zauberisches Schauspiel. Doch ein paar Stunden später war der Wald vergleichsweise stumpf und schmutzig. So muss man auch sehr früh aufbrechen, um den hierzulande seltenen Raureif zu sehen; diese gekräuselten Locken schmücken nur die Stirn des Tags. Die Luft ist erfüllt von tiefhängendem, schweren Nebel, Regen fast. Die Kiefern, in dieser Atmosphäre und im Gegensatz zum Schnee, sind auf einmal um viele Grade dunkler. Doch die Spitzen des abgestorbenen Grases erheben sich auf den Feldern immer noch über den Schnee und verleihen dem Land ein gelbes oder rötliches Aussehen. Die feuchteren Wiesen sind ganz rotbraun. Ich bin überrascht, Fair Haven gänzlich von einer dünnen Eisschicht überzogen zu sehen.

Nachdem ich die Klippe hinabgestiegen bin, gehe ich zu den Teichen mit der Lavendelheide. Waidmänner sind schon mit ihren Hunden draußen gewesen, wobei sie diesen ersten Schnee benutzten, um die Spur ihres Wilds zu verfolgen. Die Lavendelheide (Andromeda) wirkt etwas roter als früher – ein warmes Rotbraun –, der Sumpf und das Rot gesäumt von gelblicher Segge oder einem rauen Gras, und ringsum erheben sich rote raschelnde Zwergeichenhügel mit einem weißen Boden. Diese Sümpfe, die von der Bisamratte und den Enten aufgesucht werden, lassen mich am meisten an die Indianer denken.

Der Nebel hängt so niedrig, als seien Wolken dicht am Boden, und der Qualm der Lokomotive schmiegt sich im Eisenbahndurchstich ebenfalls an die Erde und verbirgt auf eine große Entfernung alle Gegenstände.

Auch wenn die Eltern nicht bestimmen können, ob das Kind männlich oder weiblich sein wird, hängt es doch, wie mich dünkt, von ihnen ab, ob es eine würdige Vermehrung der menschlichen Familie darstellt.

(…)

27. November