Küss mich jetzt, dann seh'n wir weiter - Clare Dowling - E-Book
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Küss mich jetzt, dann seh'n wir weiter E-Book

Clare Dowling

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Beschreibung

Chaoshochzeit mit Folgen: Der Liebesroman »Küss mich jetzt, dann seh’n wir weiter« der irischen Bestsellerautorin Clare Dowling als eBook bei dotbooks. Eigentlich kann dieser Traumhochzeit nichts im Weg stehen – schließlich hat Judy alles perfekt organisiert: das traumhafte Kleid, die perfekte Feier und Hochzeitstorte. Aber an ihrem großen Tag fehlt dann doch das Entscheidende, nämlich … ihr zukünftiger Mann! Barry hat sich aus dem Staub gemacht. Hat ihn etwa sein Trauzeuge dazu angestiftet, der Judy schon immer ein Dorn im Auge war? Schließlich hält Lenny, der nie einem heißen Flirt abgeneigt ist, die große Liebe für ein Gerücht. Am liebsten würde Judy dem Störenfried den Hals umdrehen – wenn, ja wenn er nicht so höllisch gut aussehen würde. Und möglicherweise ist er sogar netter, als sie bisher für möglich hielt. Und Barry wird doch vermutlich nie wieder zurückkommen … oder? »Ihre herrlich trockene Erzählstimme und die gelungenen Geschichten mit der genau richtigen Mischung aus Ironie und Wärme machen die Bücher von Clare Dowling zu einer sehr befriedigenden Lektüre.« Bestsellerautorin Marian Keyes Jetzt als eBook kaufen und genießen: Die romantische Komödie »Küss mich jetzt, dann seh’n wir weiter« von Clare Dowling stand in Irland auf Platz 3 der Bestsellerliste und wird auch in Deutschland Leserinnenherzen erobern. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 548

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Über dieses Buch:

Eigentlich kann dieser Traumhochzeit nichts im Weg stehen – schließlich hat Judy alles perfekt organisiert: das traumhafte Kleid, die perfekte Feier und Hochzeitstorte. Aber an ihrem großen Tag fehlt dann doch das Entscheidende, nämlich … ihr zukünftiger Mann! Barry hat sich aus dem Staub gemacht. Hat ihn etwa sein Trauzeuge dazu angestiftet, der Judy schon immer ein Dorn im Auge war? Schließlich hält Lenny, der nie einem heißen Flirt abgeneigt ist, die große Liebe für ein Gerücht. Am liebsten würde Judy dem Störenfried den Hals umdrehen – wenn, ja wenn er nicht so höllisch gut aussehen würde. Und möglicherweise ist er sogar netter, als sie bisher für möglich hielt. Und Barry wird doch vermutlich nie wieder zurückkommen … oder?

»Ihre herrlich trockene Erzählstimme und die gelungenen Geschichten mit der genau richtigen Mischung aus Ironie und Wärme machen die Bücher von Clare Dowling zu einer sehr befriedigenden Lektüre.« Bestsellerautorin Marian Keyes

Über die Autorin:

Die irische Bestsellerautorin Clare Dowling wurde 1968 in Kilkenny geboren und lebt heute in Dublin. Sie stand als Schauspielerin auf der Theaterbühne und vor der Filmkamera, bevor sie sich dem Schreiben von Theaterstücken, Fernsehserien und Romanen zuwandte.

Bei dotbooks veröffentlichte Clare Dowling neben »Küss mich jetzt, dann seh’n wir weiter« auch den Liebesroman »Schatz, wann lassen wir uns scheiden?«.

***

eBook-Neuausgabe November 2022

Die englische Originalausgabe erschien 2007 unter dem Titel »No Strings Attached« bei Headline Review, an imprint of Headline Book Publishing, London. Die deutsche Erstausgabe erschien 2009 unter dem Titel »Liebesperlen zum Kaffee« im Knaur Taschenbuch.

Copyright © der Originalausgabe 2007 by Clare Dowling

Published by arrangement with Clare Dowling

Copyright © 2009 für die deutschsprachige Erstausgabe bei Knaur Taschenbuch. Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt

Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München.

Copyright © der Neuausgabe 2022  dotbooks GmbH, München

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Kristin Pang, München, unter Verwendung mehrerer Motive von madiwaso/Adobe Stock, Deliza/shutterstock.com und ana42f/Adobe Stock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)

ISBN 978-3-98690-405-0

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Clare Dowling

Küss mich jetzt, dann seh’n wir weiter

Roman

Aus dem Englischen von Georgia Sommerfeld

dotbooks.

Für Sian

Ihr seid herzlich eingeladen, die Hochzeit von

JUDY BRADY & BARRY FOX

mitzufeiern

am Samstag, den 1. Juli, um fünfzehn Uhr in der Church of the Holy Saints und anschließend bei einem Empfang im Glenmallock House Hotel in Wicklow.

u.A.w.g.

Kapitel 1

Angie tat ihr Bestes, um Judy die Hochzeit auszureden.

»Du willst das doch gar nicht wirklich«, sagte sie beschwörend.

»Doch«, widersprach Judy.

»Wenn du ernsthaft darüber nachdächtest, würdest du es nicht wollen.«

»Ich habe ernsthaft darüber nachgedacht. Wir heiraten am Samstag – da ist es schwierig, über etwas anderes nachzudenken.« In der Tat hatte sie an diesem Vormittag mehrere Stunden über der Tischordnung gebrütet. Es gab einen Onkel, der sich mit allen übrigen Verwandten überworfen hatte, und es würde wohl nichts anderes übrigbleiben, als ihn an einen separaten Tisch zu setzen.

»Das glaube ich dir«, sagte Angie verständnisvoll, »aber du denkst nur an die schönen Momente – wie du den Mittelgang hinaufschreitest, wie Barry dich in der Hochzeitsnacht zentimeterweise aus deinem Kleid schält und wie ihr euch auf Barbados gegenseitig mit Sonnenmilch einreibt.«

Judy machte sich im Geist eine Notiz: Sonnenmilch auf die verdammte Liste setzen. Apropos: Wo war die verdammte Liste?

»Das klingt herrlich«, warf Ber träumerisch ein. »Frühstück im Bett und dann nackt in den Jacuzzi, bevor ihr euch wieder glitschigem, schmatzendem Sex hingebt.« Angie warf ihr einen strengen Blick zu. »Brems dich.«

»’tschuldigung«, sagte Ber zerknirscht. Sie neigte dazu, sich in die Hochzeiten anderer Leute hineinzusteigern. Es wäre, meinte sie, eine gute Übung für ihre eigene. Sie hatte sich bereits ein weißes Kleid ausgesucht, obwohl sie nur standesamtlich heiraten würden, und das Menü zusammengestellt – Krabbencocktail und Ente à l’orange. Das Problem war nur, dass es sich länger hinzog als gedacht und das Kleid inzwischen nicht nur wie aus der letzten Saison aussah, sondern wie aus dem letzten Jahrhundert. Und niemand aß mehr Ente à l’orange. Krabbencocktail war allerdings wieder in Mode. Aber es war ja nicht so, als hätte sie eine Anzahlung auf das Kleid geleistet, sagte sie immer, und sie könnte auch jederzeit das Menü ändern. So gesehen hatte sie Glück.

Angie zündete sich die nächste Zigarette an und schaute Judy durch eine Rauchwolke freundlich an. »Du bist im Moment blind vor Liebe, verstehst du.«

»Bin ich das?« Na toll, dachte Judy – noch etwas, was sie auf ihrem Weg durch den Mittelgang behindern würde. Die Zehn-Zentimeter-Absätze ihrer Satinpumps erwiesen sich bereits als echte Herausforderung. Sie hatte sie gestern zu Hause getragen, um sich daran zu gewöhnen, und war, als sie ins Schwanken geriet, nur ganz knapp am Fernseher vorbeigeschrammt.

Angie nickte. »Natürlich – sieh dich doch an!« Judy tat es vorsichtig, zumindest bis zu den Knien. »Schwindlig vor lauter Hormonen. Vor Leidenschaft und Sehnsucht zu keinem klaren Gedanken fähig. Halb verrückt vor Aufregung über die Aussicht, den Ring an den Finger gesteckt zu kriegen und in den Sonnenuntergang zu galoppieren!« Sie hob mahnend den Zeigefinger. »Du hast noch keinen vernünftigen Satz gesagt, seit du hier am Tisch sitzt.«

Judy spürte wieder diesen Schmerz auf ihrer Stirn. Als sie gestern deshalb in den Spiegel geschaut hatte, weil sie befürchtete, dass sich ein Riesenpickel ankündigte – oh bitte, bitte, lieber Gott, nicht vier Tage vor der Hochzeit! –, entdeckte sie, dass ihre Stirn von tiefen Falten durchzogen war wie die dieser Frau aus Star Trek. Sie hatte ein paar Mal tief durchgeatmet und dabei an dem Teebaumölfläschchen geschnuppert, das ihr eine Freundin gegeben und damit ihre Hochzeit überstanden hatte, und ihre Stirn entspannte und glättete sich.

Alle sagten ihr, das sei völlig normal – Hochzeiten rangierten, was das Gewicht des Ereignisses anging, auf dem gleichen Level wie Geburten und Todesfälle (ein Segen, dass sie das Haus vor fünf Jahren gekauft hatten, sonst müsste sie auch noch umziehen). Aber wie bei einer Geburt erzählte einem niemand, wie schlimm es sein würde, denn es brächte nichts, einen zu Tode zu ängstigen, und außerdem würde man es ohnehin bald selbst herausfinden. Außerdem fiel einem der glücklichste Tag im Leben nicht einfach in den Schoß, hatte man sie gewarnt: Zuvor müssten literweise Schweiß und Tränen fließen. Judy wusste nicht, ob ein direkter Zusammenhang zwischen dem Grad des Stresses in der Vorbereitungszeit und dem Glück am Hochzeitstag bestand, aber wenn es so war, würde ihres überwältigend sein.

»Der Punkt ist, dass du total überfordert bist«, endete Angie sanft. »Unfähig, eine rationale Entscheidung zu treffen.«

Judy fühlte sich tatsächlich schon seit einigen Wochen überfordert. Sie hatte es auf die Erstellung der endlosen To-do-Listen geschoben und die zahllosen Besuche von Verwandten, die sie kaum kannte und die mit Ungetümen aus Waterford-Glas hereinschneiten. Aber wenn Angie recht hatte, dann war es nicht der Hochzeitsstress, was sie in der Nacht aus dem Schlaf hochfahren ließ, sondern pures, ungezügeltes Glück und Verlangen.

»Barry und ich leben schon seit fünf Jahren zusammen. Wir kennen uns seit unserer Kindheit«, wandte sie vorsichtig ein. »Meinst du nicht, wir sind über diese Euphorie hinaus?«

»Absolut nicht«, erklärte Angie. »Eine lange Beziehung steigert die Sehnsucht nacheinander sogar.«

»Das stimmt«, bekräftigte Ber, und sie sollte es wissen. »Sieh der Tatsache ins Auge, Judy – die Liebe hat dir total den Kopf verdreht. Und ich wäre nicht deine Freundin, wenn ich dich nicht animieren würde, über den Glamour der Hochzeit hinaus auf die harte Wirklichkeit zu schauen, die vor euch liegt.« Angies Stimme war zu einem unheilverheißenden Flüstern herabgesunken. »Die erdrückende Hypothek, die grässliche Schwiegermutter, ein Kind nach dem anderen, während du verzweifelt versuchst, dir deine Berufstätigkeit zu erhalten, Gewichtszunahme bei dir und beginnender Haarausfall bei ihm – oder umgekehrt –, und schließlich die Entdeckung, dass man sich nichts mehr zu sagen hat.«

Niedergeschlagenheit senkte sich über den Raum, am Himmel zog sich die Sonne hinter eine schwarze Wolke zurück.

»Verdammt.« Sogar Bers Optimismus war vorübergehend erschüttert.

Es fehlte nicht viel, und sie, Judy, würde es sich wirklich anders überlegen. Sollten sich doch alle zum Teufel scheren! Der ganze Haufen! Einschließlich ihrer Haarstylistin, die ihr letzte Woche bei einem Probedurchlauf mit der Brennschere das Ohr versengt hatte. Und Granny Nolan, deren Luxusrollstuhl zu breit für die Rampe vor der Kirche war und die deshalb, wie Barry meinte, vielleicht mit einem Kran hochgehievt werden müsste.

Im letzten Augenblick begriff sie, dass es in dieser Unterhaltung gar nicht um sie und Barry ging, sondern um den Big Ignorant Fucker From Orlando, kurz: Biffo. Natürlich! Ihr wurde flau vor Erleichterung. Alles war in Ordnung, und am Samstag würde sie heiraten.

Den lieben, lieben Barry. Gestern Abend hatte er eine ganze Stunde damit zugebracht, ihre bis zu den Ohren hochgezogenen Schultern herunterzuholen, indem er sie mit seinen großen, warmen Händen massiert und dazu beruhigende Dinge gemurmelt hatte wie: »Keine Angst, es ist nur ein kleiner Pikser«, und: »Es wird alles wieder gut – Ihr Finger liegt auf Eis.« (Er war gerade von einer Zehnstundenschicht aus der Praxis gekommen, und es dauerte immer einige Zeit, bis er abschaltete.) Aber sie hatte sich danach viel besser gefühlt, sogar ohne Pikser.

Barry hatte diese Wirkung auf Menschen. Er besaß ein angeborenes Geschick für den Umgang mit Kranken, sagte seine Mutter und erzählte mit Begeisterung, wie er als Kind Leute die Treppe hinuntergestoßen hatte und vor Autos, um sich dann die Verletzungen anzusehen. Während andere Kinder einander die Eingeweide aus dem Leib prügelten, verarztete Barry Action Man mit einem Pflaster oder steckte einem Stofftier ein Fieberthermometer in den Po. Eine Zeit lang befürchteten sie, dass er so seltsam werden würde wie diese wortkargen, vollbärtigen Männer, die man in Dokumentationen über die DNS referieren sah, aber Gott sei Dank erwischten sie ihn eines Tages hinter einem Busch mit einem Mädchen, und es waren nicht ihre Mandeln, denen sein Interesse galt.

Er ließ sich auch keinen Bart wachsen, außer einmal für eine Wohltätigkeitsveranstaltung. Tatsächlich hatte er sich zu einem attraktiven Mann entwickelt und war der beliebteste Arzt in der Gemeinschaftspraxis. Allerdings war die Konkurrenz, Dr. »Hairy« Stevens und Dr. Yvonne Jacobs, die selbst ständig krank war, nicht ernst zu nehmen. Vor allem die Älteren mochten ihn – er hatte eine ausgeprägte Vorliebe für die Verdauungsorgane –, und er konnte nicht in den örtlichen Supermarkt gehen, ohne sofort von älteren Patienten belagert zu werden, die sich freuten, ihn zu sehen, und ihn baten, ihnen das Preisetikett auf den abgepackten Feigenbrötchen vorzulesen. Wenn Judy ihn nach einer halben Stunde abholen kam, in der sie den gesamten Wocheneinkauf erledigt hatte, löste er sich mit einem verlegenen Lächeln und tiefroten Wangen aus der Umringung seiner Bewunderer und entschuldigte sich bei Judy. Sie wusste nie, ob seine Wangen vor Freude gerötet waren oder weil die alten Leutchen ihn bedrängt hatten.

Judy wurde im Supermarkt von niemandem angesprochen. Sie hatte sogar die entgegengesetzte Wirkung auf die Menschen. Alle kannten sie aus der Bücherei, und wenn sie sie sahen, erröteten sie schuldbewusst und zogen sich hastig zurück, während sie stotterten, dass die vor langer Zeit entliehenen Bücher Opfer des Hundes oder der Wüstenrennmäuse oder des Staubsaugers geworden waren.

Barry hatte gutmütig gescherzt, dass, wenn sie am Samstag ihren großen Auftritt in der Kirche hätte, die Hälfte der Gäste sich plötzlich an überfällige Leihbücher erinnern würde und fluchtartig hinausstürmen.

»Ich habe gegen eine Wand geredet, stimmt’s?«, sagte Angie traurig nach einem Blick auf Judys entrückten Gesichtsausdruck.

»Ja«, gestand Judy. »Ich finde es lieb, dass du dir Sorgen um mich machst, aber ich liebe Barry, und ich werde ihn am Samstag heiraten!«

Ber klatschte begeistert in die Hände. »Hurra!« Dann gestand sie Judy: »Ich habe es keinen Moment lang wirklich bezweifelt.«

Aber da gab es noch immer das Problem Biffo. Er hatte das Land vor inzwischen einem Jahr verlassen, doch in Angies Badezimmerschränkchen stand noch immer sein Rasierwasser. Ein Versehen, behauptete sie, als Judy sie darauf ansprach, aber Judy glaubte ihr nicht recht. Angie hatte auch eines seiner Liverpool-T-Shirts behalten, angeblich als Staubtuch, doch Ber hatte Judy erzählt, sie habe Angie einmal dabei ertappt, wie sie daran roch.

»Hör zu, Angie«, sagte Judy, »ich bin mir bewusst, dass das für dich am Samstag vielleicht nicht ganz einfach wird.«

»Wie bitte?«, spielte Angie die Verständnislose.

»Du weißt genau, wovon ich spreche. Biffo.« Sein Name fiel auf den Tisch wie eine Stinkbombe. Ber rümpfte die Nase und begann nach einem Taschentuch zu kramen.

Einen Moment lang vermittelte Angie glaubhaft den Eindruck, den Namen nicht unterbringen zu können. »Ah!«, sagte sie dann gedehnt. »Biffo.« Und ihre Unterlippe zitterte ein wenig.

Judy und Ber wechselten einen ängstlichen Blick – sie würde doch jetzt hoffentlich nicht zusammenklappen und auf diese herzzerreißende Weise zu schluchzen anfangen, die so ansteckend war, dass das ganze Café mit ihr weinen würde. Letzten Sommer hatte sie auf die Art Hunderte von Schinkensandwiches durchweicht und einen Computer, der danach nicht mehr zu gebrauchen war. Nicht einmal in Zeit der Zärtlichkeit gab es eine solche Tragik.

Natürlich war es schon seit einiger Zeit nicht so gut gelaufen mit den beiden. Angie hatte düster von düsterer Schweigsamkeit berichtet, von unerklärlich bedrückter Stimmung und ausschweifenden Nächten mit den Jungs. Der Sex hatte nur noch dahingekleckert und war schließlich gänzlich versiegt. Auf die schüchterne Frage, was zum Teufel eigentlich mit ihm los sei, kam nicht mehr als ein Schulterzucken und ein »Nichts«. In einem letzten verzweifelten Versuch, die Beziehung zu retten, buchte sie eine sündteure Reise nach Rom und hoffte, sie könnten dort einen neuen Anfang machen. Als sie ihm die Tickets präsentierte, reagierte er mit einem rätselhaften »Oh, das ist so typisch!«.

An jenem Abend hatte er verkündet, es hätte keinen Sinn mehr mit ihnen und er ginge. Angie dachte, er meinte damit nur, dass er ausziehen würde, aber offenbar hatte sie ihn weiter weg getrieben: bis nach Amerika, um genau zu sein. Am Ende der Woche hatte er gekündigt und den Firmenwagen zurückgegeben und das Land verlassen, ohne sich noch einmal umzudrehen.

Es war bewundernswert, wie Angie es jetzt schaffte, spöttisch zu lächeln und zu sagen: »Ich weiß deine Besorgnis zu schätzen, Judy, aber ich denke, ich komme damit zurecht, meinem Ex auf deiner Hochzeit zu begegnen.«

»Natürlich kommst du damit zurecht«, bekräftigte Ber ermutigend.

»Unser Leben ist weitergegangen«, fuhr Angie scheinbar sachlich fort. »Immerhin bin ich jetzt mit Nick zusammen.«

Ber stieß einen undefinierbaren Laut aus. Nick war Börsenmakler wie Angie, und jedes Mal, wenn sie ihn trafen, versuchte er, sie zu überreden, in Plastik zu investieren – als Altersversorgung. »Schließlich bleibt ihr nicht ewig jung«, gab er anfangs streng zu bedenken, was er neuerdings zu »jugendlich« abgewandelt hatte.

Angie und er trafen sich seit vier Monaten. Sie lachte nicht mit ihm, wie sie es mit Biffo getan hatte, und er hasste Fußball, doch es schien ganz gut zu funktionieren.

Aber Judy hatte noch eine Neuigkeit in petto. »Biffo wird jemanden mitbringen.«

Ein Schatten huschte über Angies Gesicht, doch dann sagte sie gelassen: »Das ist sein gutes Recht. Ich bringe Nick mit. Ich sage nicht, dass es ein entspanntes Wiedersehen wird, aber ich denke, dass wir uns zivilisiert begegnen können.«

»Ich setze euch an die entgegengesetzten Enden des Speisesaals«, versprach Judy. »Mit dem Rücken zueinander.«

Angie machte eine wegwerfende Handbewegung, als sei das gänzlich unnötig. »Wer ist sie denn?«, fragte sie leichthin.

»Sie heißt Cheryl.« Judy sparte es sich, weitere Einzelheiten preiszugeben wie die Tatsache, dass es sich um eine Sechsundzwanzigjährige mit Barbie-Endlosbeinen handelte.

Ber wusste nichts von den Beinen und sagte tröstend zu Angie: »Wahrscheinlich ist sie potthässlich.«

»Oh, ich bin sicher, das ist sie nicht«, widersprach Angie. So war sie nun mal. Trotz allem.

»Na ja, er selbst ist ja auch nicht gerade ein Ölgemälde«, setzte Ber kriegerisch hinzu. »Außer, man hat Augen wie Rubens.«

Judy wollte sich auf keinen Fall zu weit vorwagen, und so sagte sie nur: »Sie ist Amerikanerin.«

»Alles Übrige werde ich ja am Samstag selbst sehen«, meinte Angie und beendete das Thema damit.

»Ich auch«, sagte Ber grimmig. »Und ich werde Vinnie bitten aufzupassen, dass ich nicht zu viel trinke.«

»Du meinst, Vinnie wird es tatsächlich schaffen zu kommen?«, fragte Judy.

Ber seufzte. »Na, ich hoffe doch.«

»Was ist denn jetzt mit dem Unterkiefer von Vinnie junior?« Judy hoffte, besorgt zu klingen. Vinnie junior war Vinnies halbwüchsiger Sohn.

»Sie haben ihn verdrahtet, und er kann nur mit Strohhalm trinken. Und er kann nicht sprechen, aber das fällt kaum auf, weil er seit jeher wenig redet. Aber Vinnie will trotzdem nicht lange von zu Hause wegbleiben.«

»Natürlich«, murmelte Judy im Gedanken an den Magen-Darm-Virus, der Vinnies Familie letzten Monat überfallen und seine Freiheit eingeschränkt hatte, und an die unerwartete Berufung seiner Frau zur Geschworenen im letzten Jahr und an die diversen Rugbyblessuren, die seine beiden Söhne jede Woche heimzubringen schienen.

Aber niemand sprach jemals darüber. Das ging schon Jahre so. Es war eben so, und an dem Zustand würde sich auch in nächster Zeit nichts ändern, ganz egal, wie optimistisch Ber blieb.

Mit einem Anflug von Neid in der Stimme fragte sie: »Wie fühlt es sich denn an, in ein paar Tagen zu heiraten?«

Judy fiel wieder die Liste ein, und ihr Magen zog sich zusammen. Doch am Ende aller Mühsal wartete Barry auf sie, und so antwortete sie strahlend: »Einfach phantastisch.«

Kapitel 2

Judy und Barry kannten einander, seit sie dreieinhalb waren. Sie begegneten sich im örtlichen Supermarkt – beide in ihren Buggys, Judy in einem bis oben hin zugeknöpften roten Mäntelchen und Barry mit schmuddeligem Gesicht und quengelnd, weil er keinen Lolli bekam – und betrachteten sich nicht sonderlich interessiert, während ihre Mütter hoch über ihren Köpfen eine nicht enden wollende Unterhaltung führten. Nach etwa fünf Minuten begann Barry, sich zu winden und zu strampeln, und er kreischte, dass er nach Hause wollte, JETZT, und seine Mutter seufzte und sagte, sie wünschte, sie hätte ein nettes, ruhiges Mädchen wie Judy statt eines Tyrannen wie Barry, der sie jede Nacht dreimal aus dem Schlaf reißen und kein anderes Gemüse als Rüben essen würde, und dass sie sich, wenn sie noch einmal Rüben kochen müsste, übergeben würde (in späteren Jahren wurde sie chronisch krank und war darauf angewiesen, dass Barry sie mit einem Sortiment rosafarbener und roter Tabletten versorgte).

Als sie älter wurden, so neun oder zehn, trafen sie und Ber ihn manchmal unten am Strand, wenn ihre Mütter sie zur Tür hinausgescheucht hatten – »Geht spielen – ihr wohnt am Meer und genießt das gar nicht!« –, obwohl es in Strömen regnete und stürmte, dass nicht einmal die Möwen sich bewegten. »Und kommt nicht vor dem Abendessen heim!«, wurde ihnen eingeschärft. Die Erwachsenen machten sich währenddessen einen gemütlichen Nachmittag mit Kaminfeuer und Fernsehen.

Wenn sie dann schlotternd in den Dünen kauerten, führte Barry imaginäre, dringende Operationen bei Judy durch, und sie, schon damals eine Leseratte, las aus Werken vor, die Titel hatten wie Sie liebte zu sehr oder Der geheime Verführer.

Auf den Deckeln der Bücher waren muskulöse, dunkelhaarige Männer zu sehen, in deren Armen zarte Frauen lagen, von denen viele nur durchsichtige Fähnchen trugen, auch wenn die Landschaft verschneit war. Keiner von beiden machte einen glücklichen Eindruck; der Mann blickte meistens finster drein, und die Frau wirkte, als wären ihr gerade Vater und Mutter gestorben.

»Er sah sie mit seinen dunklen, düsteren Augen an, und ein Schauder durchlief sie«, las sie mit ernster Stimme, gegen den pfeifenden Wind ankämpfend, vor.

Barry lachte unbehaglich und sagte in sanftem Ton: »Ich fürchte, ich werde Ihr Bein amputieren müssen.«

Während er das in die Tat umsetzte, wobei er eine Muschelhälfte als Nierenschale benutzte, las Judy weiter. Die Geschichte war faszinierend: Er gab vor, eine andere zu lieben, und sie tat, als hasse sie ihn wie die Pest. Judy konnte sich nicht vorstellen, wie die einander in Wahrheit glühend Liebenden jemals zusammenkommen sollten. Sie grämte sich bei jeder neuen Wendung, die die beiden noch weiter auseinanderbrachte, bis es so aussah, als würde er mit seinem Motorboot nach Tunesien abzischen, während ihr in diesem Moment zu dämmern begann, dass sie ihn vielleicht doch nicht so verabscheute, wie sie es noch vor zehn Minuten getan hatte. Und dann fügte sich alles auf wunderbare Weise, und die Vereinten versanken in einem leidenschaftlichen Kuss, dem in so gut wie allen Fällen der Heiratsantrag folgte. Am Ende war es all den Kummer und die Mühe wert und Judy erleichtert, dass wieder ein Paar zueinandergefunden hatte.

Als der Sommer begann und die Sonne sich hinter den Wolken hervorwagte, kamen die Schausteller in die Stadt und bauten ihre Fahrgeschäfte am Kai auf. Sie hießen Twister und Wilde Maus und Boogie Blaster. Nachts erhellten blitzende Lichter die Gegend, und dazu donnerte aus Lautsprechern »I’m Too Sexy For My Shirt«. »Die Kinder werden durch diesen Rummel alle verdorben«, warnten die älteren Leute in der Stadt.

Im Alter von siebzehn Jahren waren Judy und Ber natürlich offen dafür, sich verderben zu lassen, oder bemühten sich zumindest darum, diesen Anschein zu erwecken, indem sie Jeans-Miniröcke trugen und haufenweise glitzernden Lidschatten, der ständig in Judys Augen kroch, weshalb sie alles nur verschwommen sah. Sie lungerten bei den Fahrgeschäften mit dem meisten Betrieb herum, obwohl sie kein Geld hatten.

Aber Barry hatte welches. Er war ein Einzelkind, und da sein Vater der örtliche Auktionator war, wussten alle, dass er in Geld schwamm.

An dem bewussten Abend war sein Kinn rot und wund, und er tupfte mit einem zusammengeknüllten Papiertaschentuch immer wieder das Blut ab, das aus einem kleinen, aber tiefen Schnitt quoll. Judy ging das irgendwie ans Herz und stimmte sie plötzlich ganz komisch weich.

»Er mag dich«, sagte Ber, die ein Auge für so was hatte.

»Quatsch.« Judy war gleichzeitig empört und aufgeregt. Obwohl sie sich seit einer Ewigkeit kannten, schaute Barry, wenn sie miteinander redeten, neuerdings verlegen auf seine Schuhe, und sie versuchte, die heiße Röte zu unterdrücken, die ihr ins Gesicht stieg.

Irgendwann ließ Ber Judy auf den Stufen des Fahrgeschäfts allein und ging für sie beide eine Tüte Chips kaufen.

Barry nutzte seine Chance. »Hast du Lust?«, fragte er Judy, und dann wich alle Farbe aus seinem Gesicht. »Ich meinte nicht ... ich meinte, auf eine Karussellfahrt.«

An diesem Abend küssten sie sich zum ersten Mal. Es war schön – bis das Karussell beschleunigte und Judy gegen ihn gepresst wurde, dass sie ihm beinahe die Luft abdrückte.

Eine Woche später ging Barry zum Medizinstudium nach Dublin. Judy ging ebenfalls nach Dublin, doch sie begegnete ihm in all den Jahren dort kein einziges Mal. Jeder von ihnen traf sich mit Kommilitonen, Durchgeknallten, politischen Aktivisten und – in Barrys Fall – einigen Krankenschwestern, und sie liefen sich erst wieder über den Weg, als sie mit Mitte zwanzig beide nach Cove zurückgekehrt waren.

An einem Weihnachtsabend im Pub trank er zu viel und platzte heraus: »Ich denke noch immer an unsere Karussellfahrt.«

Als Judy nicht gleich antwortete, stöhnte er: »Oh mein Gott! Du tust es offensichtlich nicht. Kann mich bitte jemand erschießen?«

»Doch, ich tue es – aber nicht ständig.«

»Meine Güte, ist mir das peinlich«, jammerte er. »Und heute habe ich auch noch bei jemandem einen Herzinfarkt diagnostiziert, was lediglich Blähungen waren! Ich glaube, er wird mich verklagen.«

»Das wird er bestimmt nicht«, hörte sie sich ihn trösten.

»Meinst du?« Er schaute sie mit seinen schönen, freundlichen, braunen Augen hoffnungsvoll an. »Ich vermutete, du gehst mit jemandem.«

»Nicht wirklich«, erwiderte sie.

In der darauffolgenden Woche hatten sie ihr erstes Date. Es war entspannt und nett, ohne das Wir-müssenuns-erst-einmal-kennenlernen-Unbehagen. Schließlich kannten sie einander ihr ganzes Leben lang.

»Kennen wir uns vielleicht zu gut?«, fragte sie vorsichtig, als nach ein paar harmonischen Verabredungen die nächste Stufe anstand. »Vielleicht funkt es nicht.«

»Ich sorge schon dafür, dass es funkt!«, rief Barry entschlossen und trug sie zum Bett.

Sie wurden ein so vertrauter Anblick in der Stadt, dass die Leute sie die »Sandkastenliebe« nannten, worauf Judy jedes Mal darauf hinwies, dass sie sich erst mit Mitte zwanzig nähergekommen waren.

»Das mag ja sein – aber es ist offensichtlich, dass ihr füreinander bestimmt wart«, bekam sie dann zur Antwort, und nach einer Weile gab Judy auf, es richtigzustellen. Sie begann, es einfach selbst zu glauben.

In der Bücherei war über der Tür ein Transparent aufgehängt worden: Viel Glück, Judy!

»Das ist keine klare Aussage – immer wieder fragen Leute, ob du dich operieren lassen musst oder so was«, jammerte Annette, die Leiterin der Bibliothek, die sich verantwortlich fühlte.

»Also, ich freue mich darüber.« Judy war gleichzeitig gerührt und verlegen, dass sie sich so viel Mühe gemacht hatten.

»Wir haben eine kleine Party für die Kaffeepause vorbereitet«, eröffnete Annette ihr. Judy musste hoffnungsvoll dreingeschaut haben, denn es wurde sofort klargestellt: »Es gibt keinen Alkohol – nur ein paar Sandwiches und einen gekauften Teekuchen.«

»Das hättest du nicht tun sollen«, sagte Judy, und sie meinte es ernst – schließlich hatte sie heute Abend ihre letzte Anprobe.

»Du heiratest ja nicht alle Tage«, erwiderte Annette. »Ich habe bei der Belegschaft gesammelt, und jeder hat was gegeben.« Sie reichte Judy einen Umschlag. »Ein bisschen Kleingeld für deine Hochzeitsreise.«

»Tausend Dank, Annette.« Jetzt war Judy wirklich bewegt.

»Wo geht’s denn hin?«, erkundigte sich Marcia, die Volontärin, mit Piepsstimme.

»Nach Barbados.«

»Sie hätten lieber Ibiza buchen sollen«, meinte Marcia ganz ernst. »Die Clubs dort sind spitze.«

Judy hatte Reportagen darüber gesehen und konnte sich nicht vorstellen, dass Barry und sie zu einer Musik, die gar keine war, in einem Club herumhüpften und sich dann zur Krönung des Ganzen auch noch mit Schaum einsprühen ließen. Barry würde wahrscheinlich den Arzt herauskehren und die Leute vor dem Ertrinken retten wollen, während sie blind nach ihrer Handtasche tastete. Aber sie waren ja auch nicht mehr zweiundzwanzig – und, hatte Barry argumentiert, es wäre gar nicht sicher, dass man so alten Leuten wie ihnen überhaupt Einlass gewähren würde.

»Vielleicht machen wir das nächstes Jahr«, murmelte sie, hoffte jedoch im Stillen, dass sie ihren Urlaub im nächsten Jahr in Buntlins verbringen würden oder an einem ähnlich familienfreundlichen Ort. Das war ein wenig voreilig, ja, aber sie hatten schon über Kinder gesprochen – gewöhnlich nach einer Flasche Wein. Judy wünschte sich in ihrem Überschwang gleich vier, während Barry erklärte, er wäre mit zweien zufrieden. An diesem Punkt beendeten sie die Diskussion stets mit einem »Übungsdurchlauf«.

Der Nachmittag in der Bücherei verging wie im Flug. In einer Ecke saßen die Hausaufgaben-Kinder über ihre Hefte gebeugt, aber hin und wieder landete ein nasses Papierkügelchen auf der Ausleihe, und dann ging Judy hinüber, verschränkte streng die Arme und machte den Missetäter mit der Schleuder ausfindig.

Es war Urlaubszeit, und viele holten sich Lektüre für den Strand: hauptsächlich Romane und Liebesgeschichten, doch manche Leute bestanden auch darauf, Folianten über Aufstände und längst verstorbene Weltherrscher mitzuschleppen, als wollten sie sich dafür bestrafen, untätig am Meer herumzuliegen.

»Ist das gut?«, wollte eine Frau wissen und hielt Judy ein Taschenbuch von Barbara Cartland aus dem Jahr 1962 unter die Nase.

Wie jede Woche mehrmals, erklärte Judy auch ihr höflich, dass weder sie noch die anderen Angestellten Zeit hätten, alle Bücher zu lesen.

»Wirklich?« Die Frau bedachte sie, Annette und Marcia mit einem Blick, der besagte, dass sie ihrer Stellenbeschreibung nicht gerecht würden.

Aber die meisten Leute waren nett, und viele der regelmäßigen Besucher kamen zu ihr, um ihr Glück zu wünschen. »Ein großer Tag, der Samstag«, meinten sie launig. Oder: »Es ist noch nicht zu spät für einen Sinneswandel!« Dies kam von Mr. Foley, der Judy immer zublinzelte.

»Das ist richtig, aber ich werde es wahrscheinlich doch durchziehen«, hatte sie zurückgescherzt.

Daraufhin war Mr. Foley ernst geworden. »Sie bekommen einen guten Ehemann, Judy. Den besten. Das ist ein Mann, dem man alles anvertrauen kann und von dem man weiß, dass er es nicht weitererzählt. Er ist absolut verschwiegen.«

Wie es schien, war das das größte Kompliment, das er zu vergeben hatte.

»Da haben Sie recht«, bestätigte Judy. »Ich habe noch nie aus ihm herauskriegen können, was sich in der Praxis tut.«

Mr. Foley nickte beifällig. Andere Bibliotheksbesucher schienen nicht so überzeugt von Barrys Diskretion zu sein, vermuteten offensichtlich, dass er zum Telefon griff, kaum dass sie das Sprechzimmer verlassen hatten, und Judy im Flüsterton über ihre verschiedenen Beschwerden und Funktionsstörungen informierte, denn sie ließen sich lieber von Annette oder Marcia bedienen, nahmen dafür sogar Wartezeiten in Kauf. Wenn sie doch einmal bei Judy landeten, starrten sie verlegen auf einen Punkt über ihrem Kopf und beantworteten ihre harmlosen Fragen, beispielsweise ob sie sich auf die Warteliste für den neuen John Grisham setzen lassen wollten, der gerade hereingekommen war, einsilbig.

»Ich habe gerade den Wetterbericht gehört. Sie werden einen herrlich sonnigen Samstag haben, Judy!«, sagte Bill von der Sicherheit, als er auf seinem Rückweg in die Eingangshalle vorbeikam.

Der Hochzeitsfotograf würde sich freuen. Er hätte es nicht oft mit Fotosessions am Strand zu tun, sagte er. Sie würden nach der Kirche sofort zum Wasser hinuntergehen, nur Barry und sie. Der Fotograf hatte bereits ein kleines Boot organisiert. Es würde sehr romantisch werden. »Drücken Sie bloß die Daumen, dass das Wetter mitspielt«, hatte er ihnen eingeschärft.

Wenn möglich würde sie ihn bitten, Barry und sie auch auf dem Karussell zu fotografieren – um der alten Zeiten willen.

Barry mochte den Sommer am liebsten, wenn es überall vor Trubel summte und die Stadt von Menschen in Shorts beherrscht wurde. Im September wurde er immer ein wenig melancholisch. Nach dem aufregenden Sommer beklagte er sich, dass alles fade sei und es nichts gebe, worauf man sich freuen könne. Doch dann brachen irgendwo die Masern aus oder Ähnliches, und er wurde an allen Ecken und Enden gebraucht, und sofort war er wieder der Alte.

Kapitel 3

Barrys Schulfreund Lenny kam eigens zur Hochzeit aus Australien herüber, hatte allerdings abgelehnt, seine genaue Ankunftszeit zu nennen. Er konnte ebenso über Amsterdam einfliegen wie über Paris.

»Weißt du überhaupt, wie er aussieht?«, fragte Judy mürrisch. Sie hatte ihre gute Laune bei der Hetzerei von der Bücherei zur Schneiderei eingebüßt, wo sie ihr Hochzeitskleid endlich in Besitz nehmen konnte zusammen mit einem Schminktipp zur Betonung ihrer Vorzüge, nämlich dunklen Puder zu verwenden, obwohl sie eigentlich fand, dass die optimale Präsentation ihres Dekolletés Sache des Designers war. Das Kleid war weiß Gott teuer genug gewesen.

»Oh, er sieht absolut phantastisch aus«, antwortete Barry. Es sah ihm gar nicht ähnlich, sich so überschwenglich zu äußern, vor allem nicht, was das Aussehen von Männern anging. »Wenn man den Typ mag«, fügte er leichthin an und dann, beinahe düster: »Ich habe ihn seit fünfzehn Jahren nicht gesehen. Wahrscheinlich hat er zwanzig Kilo zugenommen und kaum noch Haare.« Sie bemerkte, dass er seine Haare sorgfältig quer über den Kopf gekämmt hatte.

»Warum hast du eigentlich deinen Arztkittel noch an, Barry?«, fragte sie.

»Was? Oh, mir war, äh, kalt.«

Normalerweise war er absolut nicht bereit, in dem Mantel auf die Straße zu gehen, denn er fand, dass er damit aussah wie der Auslieferer einer Bäckerei. Um ein solches Missverständnis auszuschließen, trug er heute sein Stethoskop um den Hals und ließ ständig den Blick wandern für den Fall, dass jemand wiederbelebt werden müsste. Judy war die Einzige, deren Lebensgeister einer Auffrischung bedurften.

»Erinnerst du dich denn gar nicht mehr an Lenny?«, fragte er.

Das konnte sie ehrlich verneinen. Aber sie war auch nicht in die gleiche Oberschule gegangen wie die beiden und hatte auch nicht mit ihnen an den üblichen Straßenecken herumgelungert. Sie war immer unterwegs zum Tubaunterricht oder zum Hockeytraining oder zur Chorprobe gewesen. Wenn sie den riesigen Koffer mit der Tuba an der Mädchenclique und den Jungen vor Daly’s Laden vorbeischleppte, schloss sie die Augen vor dem unterdrückten Gekicher. »Darf ich bitte damit aufhören?«, hatte sie ihren Vater angefleht, aber der blieb unerbittlich, denn sie hatte ihm die verdammte Tuba ursprünglich abgebettelt, und er hatte, um sie kaufen zu können, ein Darlehen bei der Credit Union aufnehmen müssen.

Judy kehrte in die Gegenwart zurück. »Ich habe sein Gesicht nicht vor mir«, beantwortete sie Barrys Frage. Lenny hatte keinen Eindruck bei ihr hinterlassen, und inzwischen war er wahrscheinlich zu einem der grauen, nichtssagenden Geschäftsleute geworden, die jetzt in die Ankunftshalle schwappten, eulenhaft blinzelnd, mit Aktentaschen und Blicken, in denen die Hoffnung stand, dass jemand vortreten und sie unter seine Fittiche nehmen würde. Die meisten wurden enttäuscht und machten sich seufzend allein auf den Weg nach draußen.

Verglichen mit ihnen sah Barry in seinem gestärkten weißen Mantel ausgesprochen eindrucksvoll aus (manchmal stellte sie ihn sich in Krankenhausserien wie Casualty oder Holby City vor), und von einem Verliebtheitsanfall getrieben, nahm sie seinen Arm und drückte ihn.

»Was ist?«, fragte er alarmiert.

»Nichts. Nur dass wir am Sonntag wieder hier sein werden.«

Sie in ihrem neuen, roten Reise-Outfit.

»Ja, so wird’s wohl sein«, murmelte er. Wahrscheinlich war wieder Mrs. Mooney mit den eingewachsenen Zehennägeln in der Sprechstunde gewesen.

Judy drückte ihm einen Kuss auf die Wange und setzte hinzu: »Um in die Flitterwochen zu fliegen. Ins Bella Vista Hotel.«

»Wo jedös Zimör voll Liebö iiist«, sagte er mit einem albernen französischen Akzent, obwohl sich das Hotel auf Barbados befand.

Verärgert ließ sie seinen Arm los. »Ich weiß nicht, warum du so bist.«

»Wie?«

»Gefühllos.«

»Sei nicht kindisch. Ich könnte niemals gefühllos sein. Ich bin ein lieber, sensibler Kerl. Alle sagen das. Mrs. MacBride hat mir gestern gestanden, dass sie manchmal nur so tut, als sei sie krank, damit sie in die Sprechstunde kommen und mit mir reden kann. Und ich wette, sie ist kein Einzelfall.«

Judy musterte ihn befremdet. »Was machst du da mit deinen Hüften?«

»Was meinst du?«

»Du schwingst sie!«

»Das bildest du dir ein.«

»Tu ich nicht! Du hast plötzlich einen seltsamen Machogang!«

Er stellte es augenblicklich ab. Eine Sekunde später, als er glaubte, sie sehe es nicht, griff er sich in den Schritt und rückte seine Kronjuwelen zurecht, wie man es in MTV-Videos bei den Rappern sieht.

»Machst du das vielleicht alles wegen Lenny, Barry?«

»Lenny!« Er lachte laut und gekünstelt. »Sei nicht albern. Nein, ich musste nur ein ... ein wenig frische Luft da unten reinlassen.«

Judy fragte sich, ob die Hochzeitsvorbereitungen ihn wohl auch überforderten. Es war durchaus möglich.

»Du bist gar nicht du selbst, Barry.«

»Ich? Was ist mit dir?«, schoss er zurück. »Deine Ausdrucksweise, als wir gestern Abend die To-do-Liste durchgingen. ›Beschissen‹ hier und ›beschissen‹ da. Und dann der viele Wein.«

»Den habe ich nur getrunken, um schlafen zu können.«

»Eine ganze Flasche?«

Wie sich zeigte, hatte sie nicht geholfen. Judy war nachts um drei aus einem Alptraum hochgeschreckt, in dem es um Selbstbräuner ging – aber das Ding hatte nur mit Barry zu tun. Sie selbst war im Traum mehrfach in die Tiefe gestürzt – zuerst von einem Kliff, als Nächstes von einem Kran und zu guter Letzt aus einem Heißluftballon. Sie hatte nicht viele Absturzmöglichkeiten ausgelassen. »Wann hatten wir das letzte Mal Sex?«, fragte sie unvermittelt.

Barry schaute hektisch um sich. »Großer Gott, Judy, wir sind hier in der Öffentlichkeit.«

»Tut mir leid. Ich hab nur darüber nachgedacht.«

»Über Sex? Hast du so kurz vor der Hochzeit nicht über genügend anderes nachzudenken?«

»Angie hat mich darauf gebracht.«

Barry schüttelte den Kopf. »Was ihr für Gesprächsthemen habt.«

»Findest du nicht, dass wir vier Tage vor der Hochzeit ein bisschen aufregter sein sollten, leidenschaftlicher, nicht in der Lage, klar zu denken, weil unsere Hormone verrücktspielen?«

»Was?« Barry musterte sie, wie er es tat, wenn er Patienten im Hinblick auf die ihnen zu verordnende Valium-Dosis einschätzte.

»Vielleicht stressen uns die Vorbereitungen einfach zu sehr«, sagte Judy. »Vielleicht sind wir zu geschafft.«

»Ich wusste, dass dich das Ganze überfordern würde«, stimmte Barry ihr von Herzen zu, »aber es muss nun mal getan werden, Judy. Und außerdem – ist nicht die Hochzeitsreise für Sex gedacht?«

»Du meinst, wir müssen bis dahin warten?«

Er lachte. »Ach komm, so lange ist es nun auch wieder nicht her.«

»Was mich zu meiner ursprünglichen Frage zurückbringt: Wann genau hatten wir das letzte Mal Sex?«

Er begriff, dass sie nicht nachgeben würde, und wagte schließlich eine Schätzung. »Dienstag vor einer Woche?«

»Letzten Monat trifft es eher.«

Er wirkte regelrecht geschockt. »Nein!«

»Doch.«

Er runzelte die Stirn. »War es nicht an dem Abend, als wir uns Essen vom Inder holten?«

»Da schliefst du auf dem Sofa ein.«

»Wenn du dich bemühst, wirst du dich erinnern, dass wir es taten, bevor ich einschlief.«

»Keine Chance.« Fairerweise musste gesagt werden, dass er den ganzen Tag in der Praxis gewesen war. »Ach, vergessen wir es einfach. Es ist nicht wichtig.«

»Oh Judy!« Er nahm sie tröstend in die Arme und scherzte dann: »Ich kann unmöglich zulassen, dass du noch länger ohne Sex leben musst. Bringen wird das in Ordnung. Auf der Stelle!«

Er schaute sich um, als suche er einen geeigneten Platz, doch es gab nirgends ein Versteck, es sei denn die Toiletten, und das wäre definitiv abtörnend.

»Heute Abend«, entschied er, ganz Herr und Gebieter.

»Es wird nicht über die Hochzeit geredet – gut, okay, maximal eine Viertelstunde –, und ich werde keinen Anruf von einem Patienten entgegennehmen, der sich einbildet, einen Herzinfarkt zu haben. Wir werden uns eine Flasche Wein aufmachen, etwas Hübsches essen, und dann gehst du früh ins Bett, Judy Brady. Anordnung deines Arztes.«

Er sagte es in anzüglichem Ton und zwinkerte ihr lüstern zu, und Judy kicherte. Es war alles bestens zwischen ihnen. Sie waren nur zu beschäftigt gewesen. Alle beide. Sie würden eine schöne Nacht miteinander verbringen, als zeitgemäßen Hinweis darauf, worum es bei dieser Hochzeitstortur eigentlich ging.

Plötzlich gefror Barrys Gesicht. »Mir fällt gerade ein, dass ich Lenny angeboten habe, bei uns zu wohnen.«

»Was?«

»Du wirst mich umbringen, oder?«

»Ja, Barry.«

»Tut mir leid. Aber es ist nur für eine Nacht. Versprochen.«

Judy dachte an die Strumpfhosen, die überall im Haus zum Trocknen auf den Heizkörpern hingen, und an das Gästezimmer, das sie würde herrichten müssen, und an die To-do-Liste. Sie dachte an die romantische Nacht mit Barry, die, kaum erdacht, bereits Geschichte war. Oh, er mochte lieb sein, aber manchmal war er unsensibel wie ein Stück Holz.

»Kann er nicht in ein Hotel gehen?«, fragte sie. »Oder zu Freunden, oder was?«

»Etwa zu Hartsäufer Moran und dem Haufen?«

Plötzlich sah Judy Lenny vor sich. Hartsäufer Moran, ironischerweise so genannt, weil er schon von Apfelmost betrunken wurde, war der Anführer einer Straßengang gewesen, die mit einem alten, klapprigen Motorrad die Promenade rauf- und runterdonnerte, bis einer von ihnen es an eine Wand fuhr. Eines Sommers hatte Barry sich ihnen angeschlossen, sich sogar eine schwarze Lederhose gekauft, aber er konnte nicht einmal richtig rauchen und war sehr schnell rausgeflogen. Judy erinnerte Lenny als einen dünnen, dunkelhaarigen Jungen, der etwas abseits der Gang mit zynischen Augen beobachtete, wie alle anderen sich vor lauter Angeberei zum Affen machten.

»Mein Gott, war das eine Bande von Losern«, sagte sie zu Barry. Die Jungs pfiffen ihr und Ber und ihrer Clique am Strand immer hinterher und fragten nach der Farbe ihrer Slips, und Ber, das Schaf, sagte sie ihnen auch noch.

Barrys Laune besserte sich augenblicklich. »Ja, nicht wahr?«

»Ich weiß gar nicht, was du an Lenny fandest.«

»Er war ganz okay, wenn man mit ihm allein war«, sagte Barry loyal und wurde zusehends fröhlicher und immer mehr er selbst, und er hörte auf, seine Kronjuwelen zurechtzurücken und sein Stethoskop kreisen zu lassen.

»Was macht Lenny jetzt überhaupt?«

»Hat er nicht erzählt. Nur, dass er vom College abging und eine Weile von der Stütze lebte. Er ist schon seit Jahren in Australien. Könnte alles Mögliche sein – sogar ein Strandpenner.«

Das fand Judy einigermaßen unwahrscheinlich, wenn man den Preis für die Flugkarte bedachte. Sie fragte sich noch immer, warum Barry ihn zur Hochzeit eingeladen hatte, denn ihr Kontakt war seit der Schulzeit höchst sporadisch gewesen. Aber Barry war eben ein anhänglicher Mensch. Sie für ihren Teil beschränkte Bekanntschaften auf ein schuldbewusstes, hastiges »Ich kann nicht glauben, dass schon wieder ein Jahr vergangen ist, ohne dass ich Dich besucht habe« auf der Innenseite einer vorgedruckten Weihnachtskarte, der sie dann ihrer Zerknirschung zum Trotz im Höchstfall ein Telefonat folgen ließ.

»Immerhin habe ich ihm mit unserer Einladung die Gelegenheit verschafft, in die alte Heimat zurückzukehren«, meinte Barry großspurig.

»Er hat doch bestimmt Verwandte und Freunde hier, die er ebenfalls besuchen möchte«, sagte Judy und wunderte sich, dass sie einen Mann verteidigte, den sie als Jungen kaum gekannt und nicht gemocht hatte.

»Ja, natürlich.«

Plötzlich scholl ein »Barry!« durch den Terminal.

Sie hielten Ausschau hinter dem Arrival-Ausgang, doch dort erschienen nur zwei Frauen und ein paar Flugbegleiter.

Wieder erscholl der Ruf. Diesmal erkannte Judy, dass er von irgendwo oben kam, und drehte sich um.

Die Rolltreppe, die von den Obergeschossen herunterführte, trug ihnen einen braungebrannten, schwarzgekleideten Mann entgegen, der es gewohnt zu sein schien, sich von der Masse abzuheben. Über seiner Schulter hing eine Reisetasche. Judy hätte ihn nicht erkannt, wenn er Barry nicht mit zwei lässig an die Stirn gehobenen Fingern gegrüßt hätte.

Er missfiel ihr auf den ersten Blick.

Barry erkannte ihn offenbar auch nicht gleich. Lenny war weit davon entfernt, zwanzig Kilo zugenommen zu haben, seine schwarzen Haare waren dicht wie eh und je, und seine Aufmachung – edles Leder, Designer-Sonnenbrille, Laptop und ein Handy, in das er ein paar Worte murmelte, bevor er die Verbindung unterbrach – legte nahe, dass die Zeiten seiner Arbeitslosigkeit vorüber waren.

Barry stand einen Moment wie erstarrt, doch dann sprang sein Generator an, und er galoppierte regelrecht auf die Rolltreppe zu.

Judy folgte ihm langsam. Sie warf unauffällig einen Blick auf ihre Uhr – noch so viel zu erledigen! – und blieb in höflichem Abstand stehen, während Barry und Lenny sich umarmten und einander heftig auf den Rücken klopften. »Schön, dich zu sehen, Mann«, sagte Barry. Mann? Judy verdrehte die Augen.

»Barry«, sagte Lenny herzlich und ohne das Getue, das Barry an den Tag legte. »Ich hoffe, du musstest meinetwegen nicht deine Patienten im Stich lassen.«

»Die kommen einen Nachmittag auch mal ohne mich aus«, erklärte Barry großtuerisch. »Und was machst du so?«

»Ach, dies und das. Ich erzähl’s dir später.«

Er schaute an Barry vorbei zu Judy. »Hallo«, sagte er mit einem ausdruckslosen Blick, der zeigte, dass er keine Ahnung hatte, wer sie war.

»Hi«, erwiderte sie den Gruß forsch und wollte ihm die Hand schütteln, doch er trat auf sie zu und küsste sie, wodurch ihre Hand irgendwie auf seinem Reißverschluss landete.

»Tut mir leid«, hauchte sie entsetzt.

Er war nicht im Geringsten irritiert. Höchstwahrscheinlich war er es gewohnt, dass Frauen versuchten, in seine Hose zu gelangen, denn er lächelte sie charmant an und sagte: »Ich hoffe, ihr musstet nicht lange warten.«

Sie dachte an ihr Hochzeitskleid im Kofferraum und sagte: »Na ja ...«

»Mach dir darüber keine Gedanken«, fiel Barry ihr ins Wort.

»Ich habe oben an der Bar ein paar Guinness gekippt«, gestand Lenny. »Davon hatte ich seit zehn Jahren geträumt.«

Barry kicherte beifällig. Judy versuchte es ebenfalls witzig zu sehen, während sie gleichzeitig überlegte, ob sie den ölverschmierten Wagenheber aus dem Kofferraum genommen hatte, bevor sie das Kleid hineinlegte.

»Ich lade dich heute Abend auf ein paar Bier ins Pub ein«, verkündete Barry mit vor Freude gerötetem Gesicht.

»Mal sehen«, meinte Lenny und warf dann Judy einen Knochen hin, indem er anfügte: »Ihr steckt doch sicher bis über beide Ohren in Hochzeitskram.«

Kram?, dachte Judy. Dieser Kram war in den letzten acht Monaten ihr Leben gewesen.

Aber Barry winkte ab. »Der läuft nicht weg.«

Die beiden wechselten einen Ein-Mann-muss-tun-was-ein-Mann-tun-muss-Blick, und Judy, die inzwischen die Nase voll hatte von ihrem Kumpelgehabe, sagte laut: »Ja, wir sind wirklich sehr beschäftigt. Wir müssen hundertfünfzig Tischkarten schreiben, an die zwei Dutzend Telefonate führen, und Barry muss noch an seiner Rede arbeiten. Falls er überhaupt eine halten will.«

In dem darauffolgenden Schweigen dachte Judy, oh Gott, ist wirklich noch so viel zu tun? Sie spürte das vertraute Ziehen im Magen und auf der Stirn ein warnendes Kribbeln.

Lenny bedachte sie mit einem Blick, den Männer für Frauen reservieren, die sie für durchgeknallt, prämenstruell-gestört oder anderweitig beängstigend halten. Es scherte sie nicht. Sie war eine Frau, die am Samstag heiratete, und es würde der glücklichste Tag ihres Lebens werden – und wenn es sie umbrächte.

»Dann lassen wir das Pub ausfallen«, sagte Lenny zu Barry.

Aber Judy wollte nicht zu zickig erscheinen – immerhin war Lenny einer von Barrys ältesten Freunden –, und so bot sie widerstrebend an: »Ich kann auch allein nach Hause fahren, wenn ihr beide noch auf einen Drink in die Bar oben gehen wollt.«

Lenny lehnte ab. »Danke – aber wir sind beide ziemlich müde.«

Sie fragte sich gerade, woher Lenny wusste, dass Barry müde war – so erschöpft sah er doch gar nicht aus –, als Lenny sich der Rolltreppe zuwandte und sein Ausdruck sich zu einer unverblümten Lüsternheit wandelte, die Judy verlegen machte.

Eine Frau fuhr herunter oder besser eine Vision mit langen, schwarzen, seidig glänzenden Haaren und Mandelaugen. Sie war etwa eins achtzig groß, bestand in der Hauptsache aus Beinen, und Judy kam sich plötzlich vor wie ein Gnom. Das Wesen trug etwas, was sie nur als Négligé beschreiben konnte, aber andererseits war sie in ihren Jeans und dem T-Shirt natürlich hoffnungslos spießig. Unter dem Négligé trug die Gestalt Vampstiefel aus Lackleder, und sie hatte Fingernägel, die dazu gemacht waren, lange Kratzspuren auf Männerrücken zu hinterlassen. Die künstlichen Nägel, die Judy für die Hochzeit ausgesucht und als ziemlich gefährlich eingestuft hatte, waren dagegen Stummel.

Barry machte Augen wie Untertassen. Er hatte Judy erzählt, solche Frauen schon gesehen zu haben, aber nur in einschlägigen Magazinen.

Die Rolltreppe spuckte ihnen die Vision vor die Füße, und Judy war gezwungen, einen Schritt zurückzuweichen, um nicht von der Spitze eines der Stiefel aufgespießt zu werden.

»Das ist Charmaine«, stellte Lenny die Erscheinung vor, legte den Arm um sie und die Hand auf ihr Hinterteil. Natürlich. Es war klar, dass sie nicht Helga oder Assumpta hieß.

Charmaine streifte Barry und sie mit schwarzschimmernden, desinteressierten Augen. »Hi«, sagte sie in amerikanisiertem Englisch.

Barry warf Judy einen ängstlichen Blick zu und sagte dann zu Lenny: »Du hattest gar nicht erwähnt, dass du jemanden mitbringen würdest.«

»Oh, wir haben uns erst gestern in Bangkok kennengelernt«, erklärte Lenny lässig.

»Ich brauche unbedingt einen Tee«, vertraute Charmaine Judy an.

Nach kurzem Schweigen sagte Barry: »Na, dann lasst uns gehen.«

Die Männer gingen voraus und ließen die Frauen hinterherlaufen.

»Sie möchte Zitrone in ihren Tee«, teilte Barry Judy in der Küche mit.

»Was?« Judys Gesicht war hochrot und ihr Haar zerzaust, nachdem sie wie eine Verrückte durchs Haus geschossen war, um alle peinlichen Dinge wegzuräumen, während Barry Lenny und Charmaine mit einer ausführlichen Schilderung ihrer Pläne für den Garten im Auto festhielt, die sie in die Tat umsetzen würden, sobald sie die Hochzeit abbezahlt hätten. Was so um 2014 herum wäre.

»Sie ist allergisch gegen Laktose«, erklärte Barry.

»Du meinst, ein Tropfen Milch macht ihr Pickel?«

»Ich habe keine Ahnung, aber ich möchte es lieber nicht herausfinden«, erwiderte Barry. Natürlich nicht, dachte Judy, die gesehen hatte, wie ihm fast die Augen herausfielen, als Charmaine auf dem Sofa im Wohnzimmer ihre Beine übereinanderschlug. Mit großen roten Beulen würden sie nicht mehr so hübsch aussehen, dachte Judy mit untypischer Boshaftigkeit.

Sie riss die Kühlschranktür auf. Zitronen standen nur alle heiligen Zeiten auf ihrer Einkaufsliste, und im Moment war der Kühlschrank vollgestopft mit Make-up, nachdem das Mädchen, das sie am Samstagmorgen schminken würde, ihr gesagt hatte, dass der Kühlschrank der beste Platz dafür sei. Ber meinte, das wäre Blödsinn, nur Nagellack gehöre in den Kühlschrank, und so hatte Judy auch ihre sämtlichen diesbezüglichen Vorräte hineingepackt. Es gab kaum noch Platz für einen Karton Milch. Die Charmaine ohnehin nicht vertrug.

»Es tut mir leid«, sagte Barry wohl zum fünften Mal. Je öfter er sich entschuldigte, umso ärgerlicher wurde Judy, was irrational war, aber sie musste hier vier Tage vor ihrer Hochzeit nach einer Zitrone suchen.

Schließlich fand sie ganz hinten eine halbe, die aussah, als liege sie seit Faschingsdienstag dort. Barry schnitt den verschimmelten Anschnitt ab und den Rest in Scheiben und holte zwei Bier für sich und Lenny aus dem Kühlschrank.

»Sie müssen uns einfach nehmen, wie wir sind«, verkündete er, um im nächsten Moment zu fragen: »Haben wir keine Chips da?« Er schaute um sich, als erwartete er, dass ihn, begleitet von einem Sortiment köstlicher Dips, eine Tüte von der Arbeitsfläche anspringen würde.

Judy konnte die Gäste durch die Küchentür sehen: Lenny saß in amerikanischer Pose mit einem Fuß auf dem Knie des anderen Beines in dem großen Ohrensessel, als gehörte ihm das Haus. Charmaine hockte auf der Kante des durchgesessenen Sofas und blickte um sich, als könnte sie es nicht fassen, in einer so primitiven Umgebung gelandet zu sein.

Sich mit den beiden zu unterhalten war schwierig. Judy hatte auf dem Rücksitz des Autos versucht, ein Gespräch mit Charmaine anzufangen – die beiden Männer vorne unterhielten sich über Sport –, und ihren Job in der Bücherei erwähnt, was Charmaine abwürgte, indem sie erklärte: »Ich lese nicht.« Womit sie ihren Lebensunterhalt bestritt, war unklar, doch angesichts ihrer teuren und zahlreichen Gepäckstücke, die Barry ohne Rücksicht auf das Hochzeitskleid im Kofferraum verstaut hatte, musste es etwas Einträgliches sein.

Lenny bereitete nicht weniger Probleme. Judy hatte ihn vorhin im Wohnzimmer gefragt, wie der Flug gewesen sei und das Wetter in Australien, und er hatte ihr zwar freundlich geantwortet, aber mit einem kleinen, spöttischen Lächeln, als wäre er eher Gespräche über Musik oder Börsenkurse oder den Sinn des Lebens gewohnt und sie zwar eine nette, jedoch ziemlich langweilige Person. Er selbst stellte keine einzige Frage, nicht einmal bezüglich der Hochzeit, die sich als Smalltalk-Thema doch wirklich angeboten hätte. Vor lauter Stress hatte Judys Stirn sich dramatisch gerunzelt, wodurch sie permanent verblüfft aussah.

In einer Schublade entdeckte sie zwei Tüten Chipsticks und entleerte sie eilends in eine Schüssel. Nichts Besonderes, aber immerhin eine Überbrückung bis zum Abendessen. Sie hatte keine Ahnung, was sie auf den Tisch bringen sollte. Vielleicht war Charmaine ja auch noch gegen andere Dinge allergisch.

Sie drückte Barry die Schüssel in die Hand. »Sag ihnen, dass sie sich für morgen eine andere Bleibe suchen müssen.«

»Du könntest ruhig ein bisschen entgegenkommender sein, Judy«, sagte Barry bekümmert. »Schließlich ist Lenny mein ältester Freund.«

»Du hast seit fünfzehn Jahren kaum ein Wort mit ihm gewechselt.« Das stimmte doch, oder?

»Das ist nicht der Punkt. Er ist den ganzen Weg von Australien zu unserer Hochzeit gekommen. Das Mindeste, was wir tun können, ist, ihm und Charmaine unseren Respekt zu erweisen.«

Das war zu viel. Sie wandte sich ihm zu. »Ich habe im Augenblick keine Zeit, ihnen meinen Respekt dafür zu erweisen, dass sie sich vier Tage vor meiner Hochzeit bei mir einquartiert haben, Barry. Falls es dir nicht aufgefallen sein sollte – auf dem Tisch drüben liegt eine ellenlange Liste von Dingen, die darauf warten, mit Rot abgehakt zu werden!«

»Ach ja?« Er schaute sie herausfordernd an. »Vorhin sagtest du noch, du wolltest Sex!«

»Sagte ich nicht!«

»Du beklagtest dich, dass wir vor lauter Hochzeit nichts anderes mehr im Kopf hätten, und meintest, wir sollten alles vergessen und uns dem Hormonrausch überlassen!«

»Du drehst mir das Wort im Mund herum!« Sie drängte sich an ihm vorbei, machte erneut den Kühlschrank auf und förderte ein Glas Salsa zutage, die von dem mexikanischen Essen übrig geblieben war, das sie vor einer Ewigkeit gegeben hatte. Eine dünne Schimmelschicht lag auf der roten Sauce. Vielleicht könnte sie sie abkratzen.

»Immerhin gefiel dir die Idee«, sagte Barry, der die ärgerliche Angewohnheit hatte, immer das letzte Wort haben zu wollen.

»Aber jetzt tut sie das nicht!«, zischte Judy. »Sex ist das Allerletzte, wonach mir im Moment zumute ist. Und es ist vielleicht auch das Allerletzte, wonach mir in unserer Hochzeitsnacht zumute sein wird!«

Ein Geräusch an der Tür ließ sie herumfahren. Lenny stand dort, die Hände lässig in den Hosentaschen.

Barry erholte sich als Erster. »Hier kommen die Biere!«

»Und die Chipsticks«, warf Judy ein. Ihr Gesicht glühte. Sie fragte sich, wie viel Lenny wohl gehört hatte. Er gehörte zu den Menschen, die einen wissenden Ausdruck zur Schau tragen, auch wenn sie keine Ahnung haben.

»Wenn es euch nichts ausmacht, gehen Charmaine und ich schlafen«, sagte er. »Der Jetlag.«

»Aber klar doch«, beeilte Barry sich zu versichern, und sein Eifer stellte Judys Geduld auf eine harte Probe.

»Ich hoffe, ihr habt nicht extra etwas vorbereitet.«

»Überhaupt nicht!«, beteuerte Barry und deutete auf die geöffneten Flaschen. »Die beiden trinke ich dann eben selbst.«

»Und ich esse die Zitrone«, versuchte Judy, witzig zu sein, doch Lenny schaute sie an, als fände er, sie sei bereits sauer genug.

»Gute Nacht«, sagte er. »Und danke, dass ihr uns aufgenommen habt. Es ist schwierig, in einem Urlaubsort zu dieser Zeit ein Zimmer zu bekommen. Aber wir werden es morgen versuchen.«

Judy hatte das Gefühl, dass das an sie gerichtet war, was sie unfair fand nach all der Arbeit, die sie sich gemacht hatte.

»Es hat keine Eile«, erklärte Barry großzügig.

Lenny grüßte ihn wieder mit zwei Fingern, und Barry versuchte, es ihm nachzutun, aber er war darin nicht besser, als er es im Rauchen gewesen war, und gab auf. Charmaine sparte sich die Mühe, gute Nacht zu sagen.

Als sie allein waren, schauten Judy und Barry sich über zwei Bierflaschen, Zitronenscheiben, Chipsticks und schimmelige Salsa hinweg an. Im nächsten Moment brach Judy in schallendes Gelächter aus. Barry tat es ihr nach.

»Gott, es tut mir leid, Judy.«

»Mir auch.«

»Ich habe nicht nachgedacht.«

»Nein, es ist meine Schuld. Ich bin einfach durch den Wind wegen der Hochzeit. Trinken wir das Bier.«

Sie küssten sich und tranken einen Schluck, und dann nahm Judy sich die Liste vor. Aber immer wieder glitt ihr Blick zu der Flurtür, durch die Lenny und Charmaine verschwunden waren, was sie schließlich derart nervte, dass sie aufstand und sich mit dem Rücken dazu setzte. Ihr gegenüber grübelte Barry über seiner Rede, schaute blinzelnd auf das weiße Blatt Papier hinunter wie jemand, der nach dem Kino in einen kalten, trüben Nachmittag hinaustritt.

Kapitel 4

»Ich bin nicht bereit, mich auf deiner Hochzeit in einer Ecke zu verstecken«, erklärte Biffo.

»Schön zu hören«, sagte Judy. »Du musst nämlich die Geschenke in die Kirche schaffen und nach dem Dinner eine Rede halten.«

»Vielleicht sollte ich mich doch lieber im Hintergrund halten«, machte Biffo einen Rückzieher. »Angie wird auch genug damit zu tun haben, den Tag zu überstehen, ohne dass ich aufstehe und eine Rede halte. Möglich, dass sie mir eine Flasche auf den Kopf schlägt.«

»Wenn du nicht mein Bruder wärest, würde ich dir jetzt selbst eine Flasche auf den Kopf schlagen.«

»Das zeigt mir, auf wessen Seite du stehst.«

»Es gibt hier keine Seiten, Biffo.«

»Es gibt immer Seiten«, widersprach er. »Und wir wissen alle, auf welcher ich stehe – auf der falschen. Was Angie am Samstag mit Sicherheit allen klarmachen wird.«

Es war zweifelhaft, ob Angie ihn überhaupt erkennen würde. Nach einem Jahr als Makler für Luxusstrandwohnungen in Orlando war seine Haut braun gebrannt. Sein mausbraunes Haar jedoch war durch die Sonne aufgehellt. Wenn er lächelte, entblößte er kosmetisch gebleichte Zähne, die Judy jedes Mal schmerzhaft blendeten. Der ganze Mann sah aus wie ein Wäsche-Model.

Auf dem Flughafen hatten ihm mehrere Frauen Blicke zugeworfen. Durchtrainierte, sonnengebräunte Männer waren in Irland eine Seltenheit, ebenso wie gutaussehende. Judy fand, er sah aus wie der junge George Hamilton.

Sie fragte sich, was Angie sagen würde. Er hatte kaum noch Ähnlichkeit mit dem leicht proletarischen, Bier trinkenden, Fußball glotzenden Biffo von vor einem Jahr, das stand fest. Amerika hatte ihn verändert, in mehr als einer Hinsicht.

»Ich würde mir keine Gedanken wegen Angie machen. Sie wird viel zu sehr mit Nick beschäftigt sein, um sich deinetwegen zu echauffieren.«

Biffo zuckte kaum merklich zusammen. »Und ich werde mit Cheryl beschäftigt sein. Habe ich dir erzählt, dass sie ein ehemaliger Cheerleader ist?«

Für einen Mann, der mit einem ehemaligen Cheerleader verbandelt war, machte er ein erstaunlich finsteres Gesicht.

»Ich will dich nicht kränken«, sagte er, »aber mir graut vor deiner Hochzeit.«

»Das kann ich mir vorstellen«, erwiderte Judy mitfühlend. »Ich kenne niemanden, der sich wirklich darauf freut.«

»Natürlich nicht«, Biffo wurde lebhafter, »weil Hochzeiten eine Zumutung sind. Erst einmal die Ausgaben: Man muss ein Geschenk kaufen und sich einkleiden, und dann muss man im Hotel übernachten – und bei der Feier sitzt man immer neben einer Frau am Tisch, die nur über ihre Kinder labert. Außerdem ist das Essen in der Regel ungenießbar und der Wein nach der ersten Runde aus, und man sitzt den Rest der Nacht auf dem Trockenen. Um drei Uhr früh tanzen die letzten Unentwegten zu ›Eye Of The Tiger‹, und irgendwann fällt man total erledigt ins Bett. Ich finde Hochzeiten ehrlich eine grässliche Erfindung.« Er schaute sie an. »Du hattest einen Witz gemacht, stimmt’s?«

»Ja.«

Zerknirscht grinste er sie an. »Tut mir leid. Schieb’s auf den Jetlag. Mum freut sich jedenfalls wie verrückt. Ihre Begeisterung wird für alle reichen.«

Rose freute sich in der Tat. Als sie von den Heiratsplänen erfuhr, hatte sie Barry und Judy an ihren großen, warmen Busen gedrückt und geweint. Dann hatte sie ihre Tränen getrocknet und erklärt: »Ich werde sofort mit einer Diät anfangen.« In den vergangenen zehn Jahren hatte sie vierundzwanzig Diäten ausprobiert und bei jeder durchschnittlich zwei Pfund zugenommen. Welche Diät gerade aktuell war, erkannte man, wenn man ihren Kühlschrank aufmachte. Entweder war er mit Hüttenkäse vollgestopft oder nur mit Eiern, einmal auch mit massenweise Erdbeeren, nachdem sie gelesen hatte, dass eine Erdbeere nur zehn Kalorien hatte, der Stoffwechsel aber dreizehn aufwenden musste, um sie zu verarbeiten. Eine todsichere Sache, hatte sie erklärt (und drei Pfund zugenommen).

Aber sie ließ sich nie entmutigen, und alle waren sich einig, dass ihre kleinen Misserfolge sie nur noch knuddeliger machten.

Judys Hochzeit gab ihr neuen Auftrieb. Sie wollte stolz neben ihrer Tochter stehen, ohne wie sonst den Bauch einziehen zu müssen, wenn fotografiert wurde. Drei volle Wochen befolgte sie strikt die Grapefruit-und-Eiscreme-Diät, die sie im Internet entdeckt hatte. Angeblich hob die Säure der Grapefruit die Kalorien der Eiscreme auf, so dass es war, als esse man überhaupt nichts. Unglücklicherweise schaffte sie es trotzdem, zwei weitere Pfunde zuzulegen. Sie gab auf und erklärte Judy unverdrossen: »Ich mag mich, wie ich bin«, und alle konnten sich wieder entspannen.

Judys Vater reagierte weniger euphorisch auf die Heiratspläne. Immerhin war Judy seine einzige Tochter, sein Augenstern! Er kam zwar gut mit Barry aus, verkündete jedoch, dass es ein Armutszeugnis wäre, wenn ein Mann nicht wüsste, wie man einen Dichtungsring auswechselte oder das Knie des Toilettenabflusses durchgängig machte. Andererseits wäre Hilfe in seiner Person praktischerweise ja gleich um die Ecke, und er werde Barry zwingen, daneben zu stehen, damit er sich das nächste Mal selbst helfen könnte. Außerdem beriet er Barry, was Autos anging und Geldanlagen, und sagte ihm, was er im Garten tun sollte, falls er jemals Zeit dafür fände. Barry gelang es jedes Mal, dankbar zu erscheinen, und alle dachten, Mick freute sich über die Verlobung und die Aussicht, sein immenses Wissen noch viele Jahre weitergeben zu können.

Aber es kam anders. »Du willst heiraten? Sei nicht albern. Du bist doch noch viel zu jung.«