Küstendämmerung - Petra Tessendorf - E-Book

Küstendämmerung E-Book

Petra Tessendorf

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Beschreibung

Spannend, vielschichtig, atmosphärisch. Ein Krimi-Drama vor der einzigartigen Ostseeküste. Eigentlich wollte Kommissar Paul Lupin nur ein paar Tage an die Hohwachter Bucht reisen, um nach seinem Vater zu schauen. Doch dann wird ein Toter am Strand gefunden, und ein weiterer Mann verschwindet während einer Jagd. Die Vorfälle wecken Erinnerungen an ein lange zurückliegendes Verbrechen, das nie aufgeklärt werden konnte und den Ort bis heute spaltet ... Als Lupin herausfindet, dass der damalige Verdächtige inzwischen zurückgekehrt ist, begibt er sich gemeinsam mit seinem Vater auf die Suche nach der Wahrheit.

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Petra Tessendorf stammt aus Wuppertal und hat dort viele Jahre als Reporterin für lokale Medien gearbeitet, bevor ihr erster Roman erschien. Die acht Jahre, die sie in Ostholstein lebte, schenkten ihr tiefe Einblicke in Land und Leute an der Küste, die sie in ihren Geschichten verarbeitet. Seit einigen Jahren lebt sie mit ihrer Familie in Berlin, wo sie als Autorin, Lektorin und Dozentin für Kreatives Schreiben tätig ist.

www.petratessendorf.de

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.

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© 2020 Emons Verlag GmbH

Alle Rechte vorbehalten

Umschlagmotiv: Dirk Wüstenhagen

Umschlaggestaltung: Nina Schäfer, nach einem Konzept

von Leonardo Magrelli und Nina Schäfer

Umsetzung: Tobias Doetsch

Lektorat: Lothar Strüh

eBook-Erstellung: CPI books GmbH, Leck

ISBN 978-3-96041-599-2

Originalausgabe

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Dieser Roman wurde vermittelt durch Schoneburg.

Literaturagentur Dr. Patrick Baumgärtel, Berlin.

Sammle die Sterne ein,die bei Mondlicht auf der See treiben,und schenke sie der Wila.Sie wird weiter tanzen mit den Nebelelfen.Mit Haaren aus Seide,Gewändern aus Spinnweben.Gib ihr viele Sterne,und sie lässt dir vielleicht dein Kind …

Prolog

Steilküste am Eitz, Mittsommer

Der Pfeil schoss durch die Luft, schnell wie ein Gedanke, und traf den Bock in die Seite. Er machte einen Satz nach oben, lief einige Meter in die Lichtung hinein, taumelte, dann knickten ihm die Beine weg. Die anderen Tiere ästen in aller Seelenruhe weiter. Schenkten dem Tod ihres Artgenossen keine Beachtung.

Kurz darauf lösten sich, ebenso lautlos, wie der Pfeil durch die Nacht gejagt war, mehrere Schatten aus dem Dickicht und bewegten sich auf die Beute zu. Sie bildeten einen Kreis um das tote Tier, das sein Leben für sie gelassen hatte. Einer von ihnen summte eine monotone Melodie wie ein Schamanengesang in einer uralten Sprache. Dann sanken sie langsam zu Boden.

Konstantin wetzte sein neues Messer, das sein Bruder ihm geschenkt hatte, denn heute war sein achtzehnter Geburtstag. Sanft wie ein Federstrich glitt es über die Bauchdecke und öffnete sie. Der Pfeil hatte beide Lungenflügel durchbohrt, helles, schaumiges Blut lief aus dem Maul. Innerhalb kurzer Zeit war der Rehbock aufgebrochen, die Eingeweide lagen wie dunkle nasse Lappen auf dem Waldboden.

Eigentlich wollten sie Konstantins Geburtstag, der mit der Sommersonnenwende zusammenfiel, zu viert feiern. Die Brüder Konstantin und Felix von Thomsen und ihre Freunde Niels Raven und Adri Holland. Doch Felix hatte Maria Liebe mitgebracht, die Tochter der »Hirschfänger«-Wirtsleute. Niels hatte Felix einen Vogel gezeigt und gesagt, dass es wieder nur Ärger gäbe, wenn das Marias Vater spitzkriegen würde. Hauke Liebe war nämlich der Ansicht, dass sich seine sechzehnjährige Tochter nicht mit diesen verwahrlosten Typen im Wald herumzutreiben habe. Noch dazu als einziges Mädchen. Aber Maria hatte unbedingt mitkommen wollen. Felix hatte sie abgeholt, heimlich natürlich.

Es war eine warme und windstille Nacht. Sie saßen an der äußersten Spitze des Kliffs, den lichten Wald im Rücken, die weite See vor sich. Ein oranger Streifen Licht lag am Horizont zwischen Meer und Himmel, der bis zum Morgengrauen nicht weichen sollte. Der Mond war eigentlich überflüssig, so hell war es. Es hatte beinahe etwas Hochmütiges, wie er da oben stand und die See funkeln ließ. Als wären alle Sterne herabgefallen, um sich auf der wogenden Oberfläche treiben zu lassen.

Konstantin war noch bei dem erlegten Wild. Er hatte sich gewünscht, das Horn füllen zu dürfen. Heute war seine Nacht. Dass sein Geburtstag mit der Sommersonnenwende zusammenfiel, war für ihn ein Zeichen, das ihm der Wagriengott Prove gesandt hatte. Ihn galt es zu ehren, seine Kraft wollte Konstantin heraufbeschwören und anzapfen. Wenn der Morgen graute, würden sie alle gemeinsam das tote Tier als Opfergabe an den Strand bringen, um es auf die lange Reise zu schicken. Das Boot und die vielen Blumen lagen schon bereit. Den ganzen Tag lang war Maria über die Wiesen gestreift und hatte die schönsten Blumen gesammelt. Überhaupt hatten sich alle lange auf diese Nacht vorbereitet. Hatten sich wochenlang nicht mit Seife gewaschen, damit die Tiere sie nicht wittern würden. Das gab ihnen noch mehr das Gefühl, eins mit ihnen zu sein. Denn Prove war überall, im Blut der Tiere, den Blumen, den Pilzen.

Adri hatte ein paar Flaschen gelben Aquavit aus Dänemark besorgt, von denen zwei schon leer waren. Den größten Teil hatten sie getrunken. Den Rest des mit Kümmel, Dillsamen, Zimt und Nelken verfeinerten Aquavits hatten sie für den Zaubertrank benutzt, eine Art Soma, den Konstantin nach eigenem Rezept zubereitet hatte. Dazu brauchte er neben zerriebenen Pilzen und anderen geheimen Zutaten auch die Pisse eines Rentieres, das zuvor Fliegenpilze gefressen hatte. Um an diese wertvolle Ingredienz zu gelangen, hatte er extra einige Monate auf einer Rentierfarm bei Inari am Solojärvi-See in Finnland gejobbt.

Als der kostbare Trank endlich fertig war, aber alle sich geweigert hatten, davon zu trinken, weil er ziemlich stank, hatten sie beschlossen, ihn mit Aquavit zu verfeinern. Letztendlich waren es Konstantins Anpreisungen gewesen, Soma führe zu Glückseligkeit, mache überaus mutig und sei ganz nebenbei ein Aphrodisiakum, die sie dann doch dazu gebracht hatten, sich zu überwinden und dieses grün-milchige, blasenschlagende Gebräu zu trinken.

Adri versuchte, das Holz anzuzünden, das sie am frühen Abend gesammelt und aufgeschichtet hatten. Dabei faselte er unverständliches Zeugs und kicherte ständig. Felix lag neben Maria auf dem Boden und wickelte sich Strähnen ihrer hüftlangen rötlichen Haare um den Zeigefinger. Adri warf einen Apfel nach Felix, nannte ihn ein »geiles Borstenschwein« und forderte ihn auf, Maria keine Angst zu machen mit seinen wilden, dunklen Locken und dem Bart.

Niels war von dem Trank schlecht geworden, und er war mehrere Male in den Wald gelaufen, um sich zu übergeben. Als er wieder zurückkam, sagte er, dass er schlimmen Durst habe, und Felix reichte ihm den gelben Aquavit. Er trank die Flasche leer und warf sie in hohem Bogen ins Meer. Durch das Glitzern des Mondlichtes auf dem Glas sah sie aus wie ein angeschossener Vogel.

Endlich kam Konstantin zurück. Er trug das Horn eines Rindes, das am oberen Rand mit Runenzeichen verziert war, wie eine heilige Reliquie vor sich her. Er hatte nur seine Jeans an, die zudem völlig verdreckt war. Mit seinen hellen Locken und den blutigen Händen und Armen sah er aus wie ein verunglückter Engel. Langsam ließ er sich am äußersten Rand des Kliffs nieder. Die anderen kamen hinzu. Konstantin gab jedem von den Pilzen, die in einem großen Ring auf der Wiese gewachsen waren. In diesem Ring habe die Wila gemeinsam mit den Elfen getanzt, sagte er. Und sie sei so schön gewesen, dass er fast mit ihr weitergetanzt hätte, aber er habe gerade noch weglaufen können, da er wusste, wie gefährlich es war, sich diesem Naturgeist zu nähern.

Dann schloss er die Augen und führte das Trinkhorn an den Mund. Ein feiner roter Blutfaden lief aus seinem Mundwinkel, als er es absetzte und an Niels weiterreichte. Das Blut war noch warm. Konstantin lächelte entrückt, schloss die Augen und sagte, er habe an weiße Tiere gedacht. Genauer gesagt, an einen toten weißen Vogel. Und an ein Feuer, weit draußen auf dem Meer. Ein Feuer, so mächtig und groß, dass sie sein Licht noch sehen könnten, bis es am Horizont bei Prove, dem Gott der Wagrier, angekommen sei. Jeder solle seine Gedanken laut aussprechen, und niemand dürfe übergangen werden, nur so sei der Zusammenhalt des Kreises stark genug.

Den Rest verstanden sie nicht mehr richtig. Konstantin begann, Fetzen von Gedanken, die ihm durch den Kopf gingen, aneinanderzureihen. In einer Geschwindigkeit, der niemand folgen konnte, in Sprachen, die niemand sprach. Finnisch war dabei, manches hörte sich schwedisch an. Konstantin war ein Babylonier und kam nicht von dieser Welt. Aber das war nicht weiter schlimm, sie kannten das ja nicht anders.

Als Maria an der Reihe war, sagte sie, dass ihr auch schlecht sei. Sie stand auf und lief in den Wald. Adri machte Anstalten, ihr zu folgen, doch Konstantin drückte ihn sanft wieder hinunter und sagte, er solle sich keine Sorgen machen, er würde sie schon finden. Schließlich bräuchten sie Maria ja noch. Dabei grinste er. Felix sah ihr teilnahmslos nach und öffnete eine neue Flasche Aquavit. Lange saßen sie dann am Feuer. So lange, bis ihre Gedanken nicht mehr ihnen allein gehörten. Es schien, als hätten sie sich zu einem einzigen großen Ring über ihren Köpfen zusammengefunden, was ihnen eine ungeheure Stärke verlieh, die sich im ganzen Körper ausbreitete. Die Pilze und der Alkohol hatten ihre volle Wirkung entfaltet.

Ein Marder schrie in die Nacht, ein Waldkäuzchen antwortete. Als wäre dies ein Zeichen gewesen, richteten sich alle Blicke nun auf Konstantin, und der begann, sich auszuziehen. Felix legte ihm die Hirschkappe mit dem riesigen Geweih an und fragte seinen Bruder, ob er für das Blutopfer bereit sei und ob das Boot und der Grillanzünder am Strand bereitlägen. Konstantin nickte. Adri rieb Konstantins schönen Körper und die Haare mit einer Mischung aus Erde, Blut und Meerwasser ein. Als sie fertig waren, lief Konstantin los, bis sich seine Gestalt zwischen den Bäumen auflöste. Die anderen legten in aller Seelenruhe die Köcher an und nahmen ihre Bögen auf. Sie horchten. Sie warteten. Dann verschwanden auch sie im blass orangen Schein der warmen Nacht. Leise und leicht wie Rehkitze.

Maria fand den Weg nach Hause nicht mehr. Die Schmerzen gingen los, als sie von diesen Pilzen gegessen hatte. Eigentlich hatte sie die gar nicht essen wollen, aber Konstantin hatte gesagt, sie solle keine Angst haben, die Pilze würden sie beruhigen. Dann hatte sie es doch getan, und da war ihr schlecht geworden, und alles brannte und zog und tat so weh, dass sie fast den Verstand verlor. Überall waren die Hände auf ihr, wühlten in ihrem Haar, zogen an ihrem Kleid, fuhren ihre Beine hoch, ihren Rücken, lagen an ihrem Hals. Jemand lachte, war das Adri? Wieso lachte er denn? Sie verstand das nicht. Die Schmerzen, die Schmerzen. Ihr Schweine, lasst mich in Ruhe. Warum habt ihr mir diese schrecklichen Pilze gegeben?

Maria fand sich zwischen den großen Steinen am Strand wieder. Das Wasser ölig-schwarz, der Himmel hatte die Farben verändert; hinter der Dunkelheit lag etwas Oranges, als hätte Gott seine Tür angelehnt, weshalb nun ein wenig Licht aus seinem Haus zu ihr drang. Rauch lag in der Luft, vielleicht von dem Feuer, das oben an der Klippe brannte. Aber es roch auch nach etwas anderem, nach Auto oder Benzin. Da bemerkte sie das Blut, das an der Innenseite der Schenkel runterlief, bis in die weißen Chucks hinein. Sie war beim Runterrutschen an der Steilküste an einer Baumwurzel hängen geblieben. Die Schmerzen kamen zurück, und Maria hatte nur einen Wunsch: in das kalte Wasser zu gehen. Irgendwie schaffte sie es, die Schuhe auszuziehen. Es war so schwer, auf den rutschigen Steinen zu laufen. Endlich konnte sie sich fallen lassen. Sie schwamm einige Meter, drehte sich auf den Rücken und ließ sich treiben. Schaute in die vielen Sterne, die vom Himmel regneten, in das warme orangefarbene Licht am Horizont. Als ihr Gesicht unter der Wasseroberfläche verschwand, stellte sie sich vor, wie sie durch die Tür ging, die Gott für sie geöffnet hatte.

Mittwoch, Anfang Februar

Die Nacht gewährte ihnen Sicherheit. Die Gesichter zum Schutz gegen den schneidenden Wind mit Mütze und Schal vermummt, gingen sie schweigend hintereinander. Streiften trockenes Gezweig, stolperten über Baumwurzeln, einem fast zugewachsenen Weg folgend, der sie langsam tiefer in das Waldstück führte.

Jussi Petersen ging vorneweg, die Tasche schräg über eine Schulter gehängt. Hinter sich hörte er Edgars schwere Schritte. Bald musste die Stelle kommen, an der die erste Schlinge hing. Gut versteckt hinter einer Wand aus dichtem Brombeergestrüpp und Ilex, weit abseits des Weges. Er schaute hoch, nichts als Schwärze. Die Wolken hielten das Mondlicht zurück, und es schien zu regnen. Ganz leicht und fein. Im Schein der auf den Boden gerichteten Taschenlampe sah er allerdings, dass es Schneeflocken waren. Durch den Wind tanzten sie umher wie aufgewirbelte Staubflusen.

Es war kalt und ungemütlich, und Jussi wunderte sich darüber, dass Edgar trotz des Vollmondes im Wald unterwegs war. Erstens hatte er außer einer Plastiktüte nichts dabei, um irgendetwas zu schießen. Zweitens war Edgar abergläubisch, bis hin zur Lächerlichkeit.

Jussis Vater Freddy erzählte immer gern, dass er einmal mit Edgar auf die Pirsch gehen wollte und ihnen Henny Liebe vom Hirschfänger entgegengekommen sei, worauf Edgar sofort wieder nach Hause wollte. Und das, obwohl er Henny sein ganzes Leben lang kannte, sie ständig sah, während der Gildefeiern im Hirschfänger, beim Vogelschießen oder wenn sich das halbe Dorf nach einer Treibjagd in Hennys und Haukes Gaststätte versammelte.

Aber Jussis Vater habe ihn dazu bringen können, ihr einen »Guten Morgen!« zuzurufen und hinter ihrem Rücken drei Kreuze zu schlagen, um den bösen Zauber der Alten zu bannen. (Wobei es keine Rolle spielte, dass es Henny war. Entscheidend war allein die Tatsache, dass sie eine alte Frau war.) Und vorher habe Edgar ihn genötigt, noch einmal nachzuzählen, ob er auch ganz sicher eine ungerade Anzahl an Patronen dabeihabe. Sieben, ganz unbedingt sieben! Und dass er bloß keinen neuen Hut aufsetzen solle.

Edgar hatte Jussi erschreckt. War urplötzlich aufgetaucht. Hatte hinter einem Baum gestanden.

»Hast du sie noch alle?«, hatte Jussi gerufen. »Ich hab fast einen Herzinfarkt gekriegt! Was willst du hier?«

Edgar hatte gegrinst. »Frag ich dich. Bist wieder für den alten Hauke unterwegs, damit er was zum Ausstopfen hat, stimmt’s?«

Hauke Liebe war bekannt für seine Tierpräparate, und Jussis Vater versorgte ihn regelmäßig mit Wild.

»Geht dich das irgendetwas an?«

»Ich komm ein Stück mit, will auch mal ein bisschen gucken.«

Dann hatte Edgar leise gegrunzt, so wie er das manchmal tat. Jussi wusste, dass er nichts dafürkonnte. »Ist doch sowieso nix drin in euren komischen Fallen«, murmelte Edgar noch.

Jussi hatte die Augen verdreht. »Lass das meine Sorge sein, okay?«

Und so stapfte Jussi vorneweg, Edgar ihm dicht auf den Fersen. Jussi hatte schon zu Hause ein ungutes Gefühl gehabt, das wie eine böse Vorahnung herangekrochen war. Aber er war doch losgezogen. Er hatte mit seinem Vater geredet und ihm gesagt, er solle aufhören, diese Schlingen im Wald zu verteilen. Sie hatten schon genug Ärger deswegen bekommen. Dass er jetzt auch noch Edgar Allweis dabeihatte, diesen tumben Blindgänger, machte die Sache nicht besser.

Die erste Schlinge war leer.

»Heff ik doch seggt«, feixte Edgar, »nix drin.«

Jussi bückte sich schnell, löste die Schlinge vom Baum und stopfte sie in seine Umhängetasche.

»Eure komischen Konstruktionen sünd veel to vigeliensch«, brummte Edgar leise.

»Kannst du mal Hochdeutsch reden?«

»Mensch, bist du doof, ik dink, du studeerst. Zu … na … verzwickt eben.«

Schweigend gingen sie weiter. Da wehte Jussi wieder dieser Benzingeruch in die Nase. Er hatte ihn schon gerochen, als Edgar hinter dem Baum gestanden hatte. »Wieso stinkst du so nach Benzin?«

»Mein Moped. Ist nicht angesprungen. Musste dran schrauben.«

Im schwachen Schein der Lampen schwirrten vereinzelte Schneeflocken umher wie aufgescheuchte Insekten im Hochsommer, wenn man durch das hohe Gras in der abendlichen Feuchte vom Meer strich. Aber der Wind ließ merklich nach, je weiter sie in den Wald eindrangen.

Das Tier in der nächsten Falle war weiß.

»Von wegen, die taugen nichts!«, rief Jussi.

Edgar aber wich zurück. »Schmeiß den weg!«

Der kräftige Fasanenhahn hatte sich in dem Draht verfangen und war unversehrt. Aber er war weiß und somit ein Bote des Unglücks.

»Stell dich nicht so an! Hier, halt mal die Lampe!« Jussi bückte sich, um das verendete Tier zu befreien. »So einen hab ich ja noch nie gesehen«, murmelte er dabei. Kaum hatte er sich wieder aufgerichtet, hielt er den Vogel seinem Begleiter grinsend vor die Nase. »Für den wird Hauke was springen lassen, der wiegt gute drei Pfund.« Als Jussi Edgars angsterfüllte Augen sah, riss er ebenfalls die Augen auf und begann, wie ein Hutzelmännchen um Edgar herumzutanzen. »Mitternacht«, raunte er, »alle Toten werden kommen und dich holen, weil dieser Vogel ihnen zeigt, wo du wohnst – buaaahh …«

Edgar konnte nicht darüber lachen, entsetzt sprang er zurück. »Schmeiß den weg, der wird uns umbringen! Das stimmt. Ich hab das schon mal gesehen, ganz echt.«

»Jajaja. Aber ein Brathähnchen, das mal weiße Federn hatte, frisst du dann doch.« Plötzlich stutzte Jussi. »Was ist?«

Edgar hatte nämlich seinen Arm gepackt und hielt jetzt den Zeigefinger vor den gespitzten Mund. Er starrte auf die Wand aus Sträuchern und schien sich nicht mehr für das böse Omen zu interessieren. Dann hörte Jussi es auch, das Streifen eines Ärmels am Strauchwerk. Ein Ast knackte. Da schlich doch jemand herum. Sie sahen sich an und nahmen gleichzeitig wahr, dass sich die Schritte behutsam entfernten, bis es wieder ganz ruhig war.

Nein, nein, ein Tier war das nicht. Da war jemand. Und er musste sie gehört haben. Oder gesehen. Wie zwei Wachsfiguren standen sie da, horchten, versuchten vergebens, irgendetwas in der Dunkelheit zu erkennen. Dann löste sich Jussi aus der Starre. Ganz langsam schlich er zu der Stelle, von der die Geräusche gekommen sein mussten. Verharrte, lauschte, glaubte jetzt nicht mehr, dass da noch jemand war. Das hätte ihm gerade noch gefehlt, dem Jagdaufseher zu begegnen. Aber er hielt es für beinahe ausgeschlossen, dass Niels Raven ausgerechnet in so einer ungemütlichen Nacht hier draußen nach dem Rechten sah.

Die Anspannung bei einer solchen Operation lässt die Phantasie auf Hochtouren laufen, dachte Jussi. Ging auch schon mal ganz mit einem durch. Es musste doch ein Tier gewesen sein, wenn auch ein großes.

Edgar aber hatte genug. »Laat uns afhau’n!«

»Ja, gleich, die eine noch.« Jussi lief los, und Edgar beeilte sich mitzukommen.

Jussi versuchte, die Stelle wiederzufinden, an der die letzte Schlinge sein musste. Dabei stieß er mit dem Fuß an etwas Großes, Schweres. Er richtete den Strahl der Lampe nach unten. »Was ist das denn? Scheiße, guck dir das an.«

Edgar näherte sich vorsichtig. »Wat denn?« Seine Stimme war dünn und zittrig.

»Der Kopf … ein Keiler. Der wurde … Verdammt, den hat jemand abgerissen. Wer macht denn so was?«

»Ein Löwe. Oder ein Tiger?«

»Ja klar.« Jussi seufzte. »Ein wildernder Hund, würde ich sagen. Ein verdammt großer.« Er leuchtete umher, dabei streifte er Edgars Gesicht, der wie versteinert dastand, die Augen weit aufgerissen. »Hast du dir jetzt in die Hose gemacht?«

»Das war –«, Edgars Stimme versagte, »die Wila. Sie ist da, sie kann sich in einen Wolf verwandeln.«

Jussi runzelte die Stirn. »Wer ist das denn jetzt schon wieder?« Dann erinnerte er sich dunkel. Sein Vater hatte ihnen Märchen von der Wila vorgelesen, jener schönen, durchscheinenden Frau, die auf Wiesen tanzt und junge Männer zu sich lockt. Und die sich in einen Schwan oder auch einen Wolf verwandeln konnte. Er schüttelte den Kopf. Klar, dass Edgar nie kapiert hatte, dass es Fabelwesen waren.

»Laat uns echt beter afhau’n«, flüsterte Edgar. »Wir können ja im Hellen wedderkamen.«

»Weswegen bist du überhaupt hier, wenn du schon wieder wegwillst? Und was wolltest du hier eigentlich gucken, nachts, im Dunkeln? Ich weiß es, du wolltest Freddys Fallen plündern. Wäre ja nicht das erste Mal.«

»Gar nicht wahr.« Edgar klang beleidigt.

Nach einer Weile merkten sie, dass sie den Weg, den sie längst hätten erreichen müssen, verfehlt hatten. Das Gestrüpp war dichter geworden, der kleine Pfad, von dem sie glaubten, ihn entlanggegangen zu sein, endete im Unterholz.

»Mist!«, rief Jussi.

Sie drehten sich im Kreis. Sahen nach oben, nach unten, leuchteten in die Büsche.

»Wir müssen wieder zurück. Hier geht’s nicht weiter.« Jussi stolperte, verlor die Taschenlampe. Sie landete auf der dünnen Schneeschicht und erlosch. Es war Freddys alte Lampe, die einen Wackelkontakt hatte.

Sie standen jetzt am Rande einer kleinen Lichtung, beide im Griff dieses beklemmenden Gefühls, die Orientierung verloren zu haben. Und dass da noch jemand umherschlich, jemand, der sich verborgen hielt. Jussi war anfangs in dem Glauben gewesen, in der Nähe der Hügelgräber zu sein. Die mussten doch hier irgendwo sein. Sie waren doch auch an den Mauerresten der ehemaligen Meierei vorbeigekommen, die am Rande des Gutes lagen. Wie konnte man sich in diesem kleinen Waldstück nur verlaufen? Lächerlich!

Jussi bückte sich, um nach der Lampe zu suchen. Edgar ging vorsichtig weiter, blieb stehen, duckte sich und fiel dann, plump wie ein Sack, zu Boden.

Jussi sah auf. »Was ist denn jetzt schon wieder?«

»Sie sind da«, kam es flüsternd von Edgar zurück. »Ich spür das genau, die Wila hat sie gerufen. Das hast du jetzt davon. Die sind wiedergekommen, ausm Hügelgrab. Weil du hier wilderst.«

Jussi hatte endlich die Lampe gefunden und schüttelte sie, aber sie ging nicht mehr an.

»Pst«, machte Edgar, hob den Kopf und spähte auf die Lichtung. Da hockte doch was, nur wenige Meter vor ihm. Im kalten Licht des Mondes konnte er lediglich erkennen, dass es groß war. Vielleicht ein riesiger Hund. Und der war mit etwas beschäftigt, das auf dem Boden lag. Edgar hörte Schmatzen und begann leise zu wimmern. Das musste dieses … was immer es auch war, gehört haben, denn es fuhr hoch und stierte in ihre Richtung, angespannt, auf der Lauer, als wolle es auf sie zuspringen. Dann verschwand es in den Büschen. Alles eher ein instinktartiges Zucken als koordinierte Bewegungen.

Als Jussi bei Edgar angelangt war, sah er nur noch, dass etwas Großes und Dunkles im Dickicht der Lichtung verschwand. Er sah zu Edgar hinüber, der flach auf dem Boden lag, beide Arme über den Kopf gepresst.

»Was war das? Sah mir nicht nach deiner Wila aus«, sagte Jussi grinsend, »ich denke, die ist fast durchsichtig.«

Edgar starrte mit offenem Mund auf die Lichtung. Einige wenige Schneeflocken schaukelten hinab. Das Rauschen des Meeres schien verschwunden, es war seltsam still. Schnee fiel lautlos.

Edgar war mit den Nerven am Ende. »Ein W… W…«, stotterte er.

»Jetzt reiß dich mal zusammen, Mann!«

»Werwolf«, brachte Edgar endlich hervor.

Seufzend erhob sich Jussi, schaute sich um und ging langsam auf den Kadaver zu. Es war wirklich ein barbarisches Gemetzel, so etwas hatte er noch nie gesehen.

»Ich will nach Hause.« Edgar kam wieder auf die Beine und blickte umher. Versuchte, sich zu orientieren. Durch den wieder einsetzenden Wind konnte er nicht orten, aus welcher Richtung das Meeresrauschen kam.

Jussi sah ihn ein Stück in den Wald hineingehen. Sah, wie er stehen blieb, wie er lauschte. »Da geht’s nicht lang«, rief er Edgar leise zu, »wir müssen zurück.«

Doch Edgar ging weiter. »Keine Sekunde bleib ich länger hier. Erst recht nich, wenn du das weiße Vieh nich verbrennst.« Er verschmolz langsam mit den Umrissen der Büsche. Es sah aus, als ob die Dunkelheit ihn aufsöge.

Jussi war unschlüssig. Er blieb stehen und wartete. Er hörte, dass Edgar weiterging, Schritte, leise knackende Äste. »Eddi?« Er horchte angestrengt. Nichts. »Verdammt, wo steckst du?« Wieder diese Schritte, zaghaft und vorsichtig, beinahe leicht. Das konnte unmöglich Edgar sein. Der war an die eins neunzig groß und schwer wie ein Walross.

Dann war es wieder still. Jetzt wusste er, dass etwas nicht stimmte. Da war jemand, der sich vor ihnen verbarg. Und Jussi wusste verdammt noch mal nicht, was das sollte. Ein surrendes Gefühl heraufziehender Angst packte ihn. Kroch seinen Rücken hinauf wie ein Tier, das ihn mit kräftigen Pranken festhielt, ähnlich dem, das den Keiler gerissen hatte. Es gelang ihm, einen ersten Schritt zu machen, einen zweiten, endlich rannte er los. Einfach geradeaus. Ohne nachzudenken brach er durch Büsche, stolperte über Baumwurzeln. Einmal stürzte er, weil er mit dem Fuß umgeknickt war. Ganz egal in welche Richtung er lief, irgendwann musste dieser beschissene Wald doch zu Ende sein!

Erst als er seinen alten VW-Bus erreicht hatte, wurde ihm wieder bewusst, was er da in seiner Tasche hatte. Er öffnete sie vorsichtig und starrte verwirrt und angewidert zugleich auf den toten Fasan. Es schien, als habe auch er nun begriffen, dass das Pech nicht lange auf sich warten ließ, wenn man ein weißes Stück Wild erlegt hatte.

***

Paul Lupin war vor dem Fernseher weggedöst, doch die Druckspülung der Toilette weckte ihn. Seine linke Hand war eingeschlafen und vollkommen taub. Er setzte sich aufrecht und musste sich erst einmal sammeln. »Wie spät ist es?«

»Drei durch. Lohnt sich nicht mehr, ins Bett umzuziehen.« Johann schaltete den Fernseher mit der Fernbedienung aus. Jetzt war der Wind zu hören, der in heftigen Böen ums Haus fegte. »Hört sich verdammt nach Sturm an«, murmelte er und verließ den Raum.

Paul blieb sitzen und rieb seine Hand, bis wieder Leben in ihr war. Er war es nicht gewohnt, vor dem Fernseher einzuschlafen. Er war es auch nicht gewohnt, überhaupt so lange vor dem Fernseher zu sitzen. Oder zu liegen. Aber seit seinem Unfall vor einigen Tagen, bei dem er sich die Ferse gebrochen hatte, weil er bei der Installation der Lampe in Johanns Küche von der Leiter gefallen war, hatte er nicht viele Alternativen zum Sofa.

»Heiliger Bimbam!«, hörte er seinen Vater plötzlich von nebenan rufen.

Paul nahm seine Krücken auf und brauchte lange, bis er endlich stand. Die Hand war immer noch taub, aber er machte sich trotzdem in Zeitlupe auf den Weg.

Johann stand vor dem Küchenfenster. »Das nenne ich einen ordentlichen Winter, guck dir das an.«

Paul stöhnte auf. »Nicht das noch. Schnee und Eis und ich auf Krücken.« Er schüttelte sich und setzte sich auf die Bank des Kaminofens in der Ecke der Wohnküche, der behaglich vor sich hin bullerte. Ihm war kalt, es schien, als wäre der eisige Wind durch sämtliche Ritzen des Hauses gekrochen bis in seine Knochen hinein. Dieser grün gekachelte Kamin war aus Pauls Sicht der einzige Grund gewesen, das alte Haus für seinen Vater anzumieten, nachdem der sich entschieden hatte, die feuchte Heimat im Bergischen Land zu verlassen, um seinen Lebensabend (ein Wort, das Johann Lupin niemals in den Mund nehmen würde) am Meer zu verbringen. Pauls Oma hatte auch so einen Ofen besessen, und gefühlt hatte er seine ganze Kindheit lang auf dieser Ofenbank gelegen. Er konnte sich gut vorstellen, den Rest der Nacht auf der Bank zu verbringen. Neben Kater Baptiste. Der hatte diesen behaglichen Ort längst für sich entdeckt und lag zusammengerollt auf seinem Stammplatz in der Ecke.

Johann rieb sich die Hände und wandte sich dem Herd zu. »Bei diesem Wetter ist ein Punsch oberste Pflicht.« Seit Johann hier wohnte, hatte er den Grog, den er früher immer getrunken hatte, gegen Punsch eingetauscht. Er stufte den als gesünder ein, da er dem Getränk neben Tee und Wein auch immer einen Schuss Apfel- und Orangensaft zufügte.

Paul gähnte, und Johann schaute aus dem Fenster, während er auf das Wasser wartete. Unten in der Sackgasse, in der rechts Hinrichs Hof lag, leuchtete eine einsame Straßenlaterne. Schneeflocken tanzten in Böen vor ihrem gelben Schein wie Stare am Sommerhimmel.

Plötzlich stutzte er. »Da ist Licht«, er streckte den Hals, »da, in dem kleinen Haus.«

Paul kam hinzu, und beide sahen nun, dass sich tatsächlich jemand in dem Häuschen aufhielt, das an Johanns Zaun angrenzte. Durch dessen hintere Fenster konnte man ungehindert hineinschauen, daher wussten sie, dass es eigentlich unbewohnt war.

»Gehört das Haus zum Gutshof?«

»Nein«, sagte Johann, »das gehört diesem Reeder, hab den Namen vergessen. Ist vor einigen Jahren gen Süden gezogen. Früher gehörte das tatsächlich zum Gut, aber als das Geld knapp war, wurde ein Teil davon verkauft.«

Der Mann war aus ihrem Blickfeld verschwunden.

»Ich glaube, es ist das ehemalige Bedienstetenhaus«, fuhr Johann fort. »Also von ganz früher, als hier noch alles vom Landadel beherrscht wurde.«

Der Fremde war wieder zurückgekehrt und stellte eine silberne Box auf dem Boden ab. Dann lief er herum, als suche er etwas.

»Was zum Teufel macht der da?«, rief Johann, denn der Mann hatte jetzt einen Stuhl über den Kopf gehoben und schlug ihn mit voller Wucht auf den Boden. »Ein Vandale womöglich.«

»Ein Wagrier eher«, entgegnete Paul belustigt. Dann öffnete er die Tür, um besser sehen zu können. »Hm, sieht ganz so aus, als ob er ein Feuer machen will. Da, jetzt hat er den Stuhl kleingekriegt und steckt ihn in den Ofen. Er hätte die Schlagläden zugemacht, wenn er etwas Verbotenes täte, meinst du nicht?«

»Er friert, so viel steht fest.« Plötzlich hellte sich Johanns Gesicht auf. »Mensch, das könnte der neue Hausmeister sein. Das hab ich glatt vergessen. Hab ich im Hirschfänger gehört. Und es ist einer, der mal hier gewohnt hat. Den Namen habe ich auch vergessen, hm … ein Name wie eine Stadt … ein Land …« Er kratzte sich am Hinterkopf. »England?«

Paul stellte die Krücken am Holzgeländer ab. Mit beiden Händen fegte er Schnee vom Geländer zusammen und formte einen festen Schneeball. Der erste knallte an die Hauswand und ließ den Mann aufhorchen. Der zweite traf die Scheibe, und Paul befürchtete schon, sie würde zu Bruch gehen. Jetzt erhob sich der Fremde, ging mit zögernden Schritten ans Fenster und öffnete es.

»Können wir helfen?«, rief Paul ihm zu, und es dauerte eine Weile, bis der Mann sich aus seiner Starre löste und nickte.

Paul winkte ihm zu. »Kommen Sie!«

Als der Fremde kurz darauf das Haus betrat, wehten erneut Schnee und eisige Luft herein. »Sie schickt der Himmel. Hätten Sie vielleicht ein bisschen Holz übrig?«

»Jetzt setzen Sie sich erst einmal an den Ofen und wärmen sich auf«, sagte Johann. »Sie sind doch der neue Hausmeister?«

Der Mann nickte und lächelte. Dann zog er sich die Mütze vom Kopf, sodass seine schwarzen Haare in alle Richtungen abstanden. Er hatte ein kantiges Kinn, das unrasiert war, eine hohe weiße Stirn und auffällig tief liegende dunkle Augen. »Hausmeister, ja, das hört sich gut an. Das bin ich wohl. Holland, heiße ich, Adri Holland. Und mir ist verdammt kalt.«

Johann reichte Adri Holland den dampfenden Punsch, den der dankbar entgegennahm. Dann setzte der Hausmeister sich auf die Ofenbank, wärmte seine Hände an dem heißen Glas, und plötzlich wurden seine Augen glasig. Er schaute sich um und lächelte. »Das hier war mein Haus«, sagte er leise, »hier bin ich aufgewachsen.«

Als sie später am Frühstückstisch beisammensaßen, ließ Adri Holland seinen Blick durch die Wohnküche streifen. »Niemals hätte ich gedacht, dass ich dieses Haus noch einmal betreten würde. Die Schränke sind ja noch drin. Die Küche mit dem Ofen war immer mein Lieblingsort gewesen.«

»Das wird bei uns nicht anders sein, denke ich.« Paul schaute sich zufrieden um. Die Küche war zweifelsohne der schönste Raum des in die Jahre gekommenen roten Schwedenhauses. Die Küchenzeile ging über Eck und füllte zwei Wände aus. Die Schranktüren in Sechziger-Jahre-Mint waren in gutem Zustand. »Betrachte sie als Kapitalanlage«, hatte Paul seinem Vater vorgeschlagen. »Solltest du das Haus mal kaufen wollen.«

In der Mitte des Raumes stand der Esstisch mit den fünf verschiedenen Stühlen, die Johann aus seinem Haus mitgenommen hatte. Das lang gestreckte Fenster nahm die ganze Wand über der Spüle und der Arbeitsplatte ein; darüber hatte Johann alle wichtigen Utensilien genagelt: Lesebrille, Flaschenöffner, Korkenzieher, Kochlöffel, Kartoffelstampfer, Schere, Taschenlampe, diverse Angelhaken, Mausefalle, Kreppband. Links davon lag die Haustür, durch die man auf eine Veranda mit weißem Holzgeländer gelangte, wie bei einem Kaffeeplantagenbesitzer in den Südstaaten. Hinter dem leicht hügeligen Feld war die Ostsee zu sehen.

Adri erzählte ein bisschen über sich; dass er als kleiner Junge aus Hamburg nach Havgart gekommen war, weil sich seine Eltern für ihn und seine jüngere Schwester ein gesundes Landleben vorgestellt hatten. Sie hielten Tiere, und Schäfchen Emmi lief mit einer Windel im Haus herum. Einen Fernseher gab es nicht, und um ihre Kinder gesund zu halten und abzuhärten, wurde so oft wie möglich draußen übernachtet, manchmal sogar im Winter. »Das Abhärtungstraining hat offensichtlich nicht vorgehalten, so wie ich letzte Nacht gefroren habe«, stellte er lachend fest. Dabei vollzog sein Gesicht eine Wandlung, als würde alles an ihm strahlen, und Paul dachte, dass da ein echter Schelm säße. Einer, der im Leben nichts ausgelassen hatte. Die wirren schwarzen Haare unterstrichen diesen Eindruck.

»Haben Sie die Tiere gegessen?«, wollte Johann wissen.

»Die Hühner ja. Emmi ist nach heftigem Widerstand von uns Kindern dann doch erst an Altersschwäche gestorben. Was wir an Fleisch brauchten, holten wir uns aus dem Wald.«

»Wilderei?« Johanns Augen wurden groß.

Adri lächelte. »Sagen wir mal so, der heutige Besitzer des Waldes, Felix von Thomsen, und dessen Jagdaufseher Niels Raven waren meine Freunde. Sie kennen sie bestimmt.«

»Vom Sehen.« Johann zuckte mit den Schultern. »Ich wohne gerade mal seit einem Jahr hier, und besonders gesprächig sind die Leute nicht gerade. Aber einige kenne ich tatsächlich schon.« Er deutete mit dem Finger hinter sich. »Da hinten wohnt eine Schriftstellerin, die treffe ich ab und zu am Strand, eine tolle Frau.«

Adri nickte. »Die Lundblad, ja, Alice und ihr Mann, die sind in Ordnung, das waren gute Freunde meiner Eltern, Altachtundsechziger eben. Aber die anderen …« Er lachte verächtlich auf. »Meine Eltern haben sechzehn Jahre hier gelebt, und als sie den Möbelwagen packten, gab es immer noch Leute in der Nachbarschaft, die sie nicht gegrüßt haben.«

»Ist das der Grund, warum Sie weggegangen sind?«, wollte Paul wissen.

»Meine Mutter ist einfach nicht mit denen hier warm geworden, obwohl sie eine Hamburgerin ist, und die sind ja auch nicht gerade redselige Frohnaturen.« Adri stieß Luft durch die Nase aus. »Wenn du dich nicht direkt vor einen aus Havgart stellst, ihm minutenlang in die Augen guckst und unmissverständliche Zeichen von dir gibst, dass du ihn jetzt ansprechen wirst, dann geht der weiter. Ohne auch nur einmal mit dem Gesichtsmuskel zu zucken. Kurz nach meinem achtzehnten Geburtstag hatten meine Eltern die Schnauze voll und sind nach Formentera gegangen, zusammen mit meiner jüngeren Schwester.«

Paul zog die Augenbrauen hoch. »Und Sie?«

»Ich bin ihnen nach einem Jahr gefolgt.«

»Formentera – das muss doch ganz schön sein«, entgegnete Johann. »Was um Himmels willen wollen Sie dann in dem Verschlag dort drüben? Noch dazu im Winter?«

»Sagt Ihnen der Name Kippling was?«

Jetzt erinnerte Johann sich wieder. »Der Reeder.«

»Genau, er war unser Nachbar hier. Aber die meiste Zeit lebt er auf Ibiza. Ich soll hier überwintern und nach dem Rechten sehen, bis er sich entschieden hat, ob er verkaufen soll oder nicht. Außerdem brauche ich mal ein wenig Abstand vom Paradies, wissen Sie? Man muss aufpassen«, er tippte sich an die Schläfe, »es macht komische Sachen mit einem, das Paradies. Es ist im Grunde auch nicht anders als hier. Bis auf die Temperaturen vielleicht.«

»Und Sie werden daheim nicht vermisst?«, fragte Johann. »Und gestatten Sie mir die Frage nach Ihrer Profession? Sie sind doch nicht wirklich ein Hausmeister.«

»Ich bin Maler, arbeiten kann ich überall. Und ich bin ja nicht für immer weg.«

»Ein Künstler, großartig!« Johann streckte ihm die Hand entgegen. »Wir als Nachbarn müssen zusammenhalten. Ich bin der Johann!« Er deutete auf Paul. »Mein Sohn Paul, Kommissar aus Hamburg und Schriftsteller, derzeit leider nicht zu gebrauchen.« Johann sprang erstaunlich behände auf und marschierte zum Küchenschrank. »Darauf müssen wir anstoßen.«

Seit dessen Hüftoperation vor vier Jahren hatte Paul seinen Vater nicht mehr so vom Stuhl hochschnellen sehen. Überhaupt schien er Gefallen an seinem neuen Nachbarn gefunden zu haben.

»Ein Kommissar, der schreibt?« Adri sah ihn interessiert an. »Krimis bestimmt, oder?«

»Unter anderem, ja. Ich sitze ja quasi an der Quelle. Es sind aber eher Kurzgeschichten, bisher. Wenn ich mal ganz viel Zeit habe, dann werde ich mich an was Längeres wagen. Material habe ich genug.«

»Schreibst du unter deinem Namen?«

»Nicht ganz, später vielleicht, wenn ich nicht mehr im Dienst bin.«

»Wenn er Bestsellerautor ist!«, rief Johann dazwischen. »Jetzt schreibt er als Paul Johannsen, was ja auch nicht ganz falsch ist.«

»Lupin ist aber auch kein häufiger Name«, bemerkte Adri, »von hier ist der Name nicht.«

»Den haben wir Napoleon zu verdanken«, sagte Johann. »Der war mit seinen Mannen auch durch unsere Bergische Heimatstadt gezogen. Aber einer seiner Soldaten, Jean-Baptiste Lupin mit Namen, entfernte sich unerlaubt von der Truppe. Naturgemäß musste er untertauchen, und da er dies im Hause tat, in dem das schönste Mädchen Beyenburgs lebte, blieb er und wurde der glücklichste Mann, bis zu seinem Lebensende.«

»Ein Märchen.«

»Wir sind die Nachfahren eines Deserteurs«, entgegnete Paul, »nichts weiter.«

Johann verteilte die mit Doppelkorn gefüllten Gläschen.

»So wie es aussieht, hat dieser Kippling deine Ankunft nicht besonders gut vorbereitet«, bemerkte Paul.

Adri winkte ab. »Mich wundert das nicht. Er ist genauso chaotisch wie meine Eltern. Er hat’s einfach vergessen.«

»Ich werde dir helfen, Adri, ich bin ein guter Handwerker. Besser als manch andere in diesem Raum. Wobei ich niemanden speziell ansehen möchte.« Johann hob sein Glas an. »Auf gute Nachbarschaft und gute Zusammenarbeit. Prost!« Er knallte das Glas auf den Tisch. »Und eine Schütte Holz müssen wir dir auch besorgen.« Johann nahm seine rote Pudelmütze, die neben der Tür auf der Fensterbank lag, und zog sie über.

»Warte, ich komme mit.« Adri leerte seine Kaffeetasse und wandte sich noch einmal Paul zu. »Vorerst kann ich euch nur tausendmal danken. Ihr habt mir das Leben gerettet.«

Paul blickte seinem neuen Nachbarn nach, wie der, weiße Atemwolken ausstoßend, durch den Garten lief. Paul fragte sich, wie dieser Kippling es geschafft hatte, Adri zu diesem Job zu bewegen. Einerlei, dachte er, Tatsache war doch, dass Johann heute Morgen derart aufgeblüht war, dass Paul ihn kaum wiedererkannt hatte. Und das lag zweifelsohne an diesem Maler. Adri Hollands Misere war ihr Glück. Johanns, weil er jetzt eine Aufgabe hatte. Und Pauls, weil er nun in Ruhe seinen Fuß kurieren konnte. Diese Vorstellung gefiel ihm ausgesprochen gut.

***

Hauke Liebe hockte mit gekrümmtem Rücken auf seinem Drehschemel vor der Schnee-Eule und sah ihr lange und tief in die Augen. Es herrschte vollkommene, beinahe andächtige Stille. Wie auf einem lebensgroßen Gemälde. Die Zeit war stehen geblieben, die ganze Szene wie eingefroren. Es schien, als wären die beiden in einen stummen Gedankenaustausch vertieft. Jäger und Gejagter. Sieger und Verlierer. Hauke Liebes Blick wanderte von einem Auge zum anderen und wieder zurück. Dann beugte er sich nach vorn und pustete dem Tier vorsichtig ins rechte Auge. Er legte seine schwere Brille ab, nahm das Vergrößerungsglas und den Pinsel auf und tupfte ein wenig von seinem Speziallack auf das Auge. Ja, so war es gut, auf keinen Fall mehr, dann würde es künstlich wirken.

Nachdem er seine Utensilien beiseitegelegt und das Fläschchen mit der sorgsam gehüteten Geheimtinktur verschlossen hatte, ließ er seinen liebevollen Blick auf dem Eulenweibchen ruhen. Es war ein außergewöhnlich schönes Exemplar. Er hob die Hand und strich über das weiche Gefieder, ganz zärtlich.

Edgar hätte die Eule niemals hergebracht, dieser Döskopp. Hauke grinste. Zum einen, weil Eulen Weisheit symbolisierten, von der Edgar so viel besaß wie ein Dachs Tischmanieren. Es war nichts als Hohn, dass Edgar auch noch Allweis hieß. Aber daran lag es gar nicht. Er kannte Edgar gut genug, um zu wissen, dass es der lautlose Flug war, den Edgar so fürchtete. Das Unsichtbare, das ihn packen könnte, da draußen, nachts beim Wildern. Deshalb ging er auch nie allein auf die Pirsch. Eulen waren Boten des Teufels, der dafür sorgte, dass sie lautlos fliegen konnten. Wieder lächelte Hauke. Dabei war es nur eine besondere Beschaffenheit der Flügelkanten und der Oberseitenstruktur der Eulenfedern, die die Geräusche beim Fliegen verhinderten.

Plötzlich setzte es wieder ein, dieses Flimmern hinter seinem rechten Auge, das ihn schon seit geraumer Zeit ärgerte. Immer wenn er an dem Auge der Eule gearbeitet hatte, trat dieses Flimmern auf. Nur heute war es ungleich stärker, ging schon bald in ein Flackern, dann in ein Zittern über. Ihm schwindelte. Sicher wäre es jetzt besser, sich ein wenig hinzulegen, dachte er und sah auf die Uhr. Es war früher Mittag. Der Petersen-Junge, der Vorname fiel ihm nicht ein, wollte doch kommen. Er war schon die letzten Male anstelle seines Vaters hier gewesen, und Hauke wusste auch, warum. Freddy war auf dem absteigenden Ast. Saß die meiste Zeit im Hirschfänger herum und trank. Und wer schon früh damit anfing, war wohl kaum in der Lage, anschließend noch irgendeinen Job zu erledigen. Aber Hauke hielt Freddy nicht davon ab. Warum sollte er auch? Immerhin war der Hirschfänger sein Gasthaus, und zahlende Stammgäste sollte man hüten wie ein seltenes Vogelei.

Der Junge hatte etwas von einem weißen Fasan geredet, das interessierte ihn. Aber er konnte jetzt nicht auf ihn warten. Wenn jemand Geld wollte, musste er halt so oft kommen, bis er ihn, Hauke Liebe, antreffen würde. Er war hier derjenige, der verteilte.

Schwer erhob er sich von seinem Schemel und schlurfte in Richtung der Tür. Verfolgt von unzähligen Augenpaaren, die ihn aus den Regalen anstarrten. Über der Tür hing ein Bild. Jesus mit der Dornenkrone. Mit seinen sanften Augen voller Demut schaute Jesus an Hauke Liebe vorbei.

Jussi Petersen hatte nicht vor, sich länger als nötig in Liebes Keller aufzuhalten. Zum einen war der Alte nicht gerade die Freundlichkeit in Person – aber er bekam sein Geld pünktlich, und alles andere war nebensächlich. Zum anderen war es der Geruch, der Jussi zu schaffen machte. Es war immer dasselbe. Sobald er die grüne Tür im Hof neben dem Hirschfänger geöffnet hatte, um die schmale und knarrende Holzstiege hinabzusteigen, drang dieser unbeschreiblich widerliche Geruch, in dem auch ein Hauch Verwesung lag, in seine Nase. Es war das Formalin, das Hauke manchmal noch benutzte. Es drang in jede Pore, ins Haar, in die Kleidung. Und noch Stunden später meinte Jussi es wahrzunehmen, wenn er den Kopf drehte oder eine schnelle Bewegung machte. Niemand sonst beschwerte sich über den Geruch.

Auch Edgar konnte die Sache mit dem Gestank in keiner Weise nachvollziehen, stattdessen machte er sich immer lustig über ihn. Von wegen, er habe sowieso was Weibisches an sich. »Du lauwarmer Schlappi, färbst dir die Haare was? Zieh mal deine Buxe hoch, die rosa Unterhose guckt raus, bist ’n Schwulibert, was?«

In der Regel machte Jussi einen großen Bogen um diesen Vollidioten. Dass Jussis Vater Freddy der einzige Mensch hier war, der mit Edgar ab und zu ein Bier im Hirschfänger trank, war Jussi egal. Trotzdem fragte er sich manchmal, warum sich Freddy mit so einer Null abgab.

»Er hat doch sonst niemanden«, hatte Freddy Petersen einmal gesagt. »Beinahe so wie ich.«

Heute früh hatte Jussi aber doch bei Edgar geklingelt. Er hatte wissen wollen, wie Edgar nach Hause gekommen war, denn seine Zündapp stand immer noch am Waldrand. Aber er hatte nicht geöffnet. Jussi wusste nicht, wie er dessen Bemerkung über diese Wila, die erst zum Wolf und dann auch noch zum Werwolf mutiert war, einordnen sollte. Gerade bei Edgar nicht, wo der doch ständig von irgendwelchen Phantasiewesen verfolgt wurde. Aber irgendetwas war vorher schon mit dem los gewesen.

Jussi glaubte nicht, dass er nur mitgekommen war, um ihn beim Schlingeneinsammeln zu begleiten. Edgar hatte etwas gesucht, das war Jussi später klar geworden. Er hatte sich an Jussi gehängt, weil er sich allein nicht getraut hatte, aber war immer mal wieder zurückgeblieben und hatte den Weg verlassen. Erst der weiße Fasan hatte Edgar aus der Fassung gebracht, hatte ihn seine Suche vergessen lassen. Nur was hatte er gesucht? Hatte es mit dem zu tun, was sie gesehen hatten? Nein, was Edgar gesehen hatte. Jussi hatte nur etwas verschwinden sehen, nicht mehr und nicht weniger. Aber trotzdem, da war was gewesen, etwas, das sich ein ausgewachsenes Wildschwein geholt hatte.

Die Wila? Der Werwolf? Ausgeschlossen, so etwas jemandem zu erzählen. Aber auch wenn er Edgars Phantasiegestalten weglassen würde, könnte er mit niemandem darüber reden. Jeder würde doch gleich Rückschlüsse ziehen. Was hast du denn nachts im Wald verloren, he? Werwolf? Zu tief ins Schnapsglas geguckt, oder was? Ein Petersen trinkt, und ein Petersen geht nur zum Wildern in den Wald. So dachte hier jeder. Er hatte sich vorgenommen, später noch einmal an die Steilküste zu fahren. Vielleicht konnte er ja im Hellen irgendetwas sehen. Außerdem hatte er nicht alle Schlingen eingesammelt. Zwei fehlten.

Langsam stieg Jussi die schmutzigen Stufen hinunter. In der Kühltasche lag der weiße Fasan. Obwohl die Treppe nicht lang war, kam Jussi immer wieder der Gedanke, dass der Abstieg in Liebes Kellergewölbe durchaus mit dem Abstieg in die Hölle vergleichbar war. Schwefel roch auch nicht besser als Formalin, und Hauke Liebe hatte in der Tat etwas Teuflisches an sich, wie er da über seinen toten Tieren hockte und sich anmaßte, sie neu nach seinem eigenen Willen zu erschaffen. Seine buschigen Augenbrauen standen ab wie Hörner. Und es würde Jussi nicht wundern, wenn seine Augen rot oder gelb gewesen wären, mit geschlitzten Pupillen wie die eines alten Reptils oder einer bösen Katze. Aber so genau wollte er ihn gar nicht ansehen. Er klopfte immer nur an die Tür, sagte »Tag«, zog ihm die Scheine aus den Fingern (wobei er jedes Mal das Gefühl hatte, dass Liebe sie extra langsam freigab, damit Jussi auch ja nicht vergaß, wer ihn da am Kacken hielt) und verschwand wieder.

Da aber diese Höllenbesuche aufgrund der momentan schwierigen Finanzlage unumgänglich waren, hatte Jussi diese spezielle Nasenausschaltatmung entwickelt, mit der er vorübergehend den Geruchssinn abstellen konnte: Mund auf, Zungenbein verschieben, Nase zu. Dass er dabei aussah wie ein Idiot oder ein bisschen wie Edgar, war das kleinste Übel.

Kurz bevor er unten angelangt war, spürte er, dass etwas nicht stimmte. Mit aufgeklapptem Mund und heraushängender Zunge ging er langsam weiter und sah im Halbdunkel, dass Hauke Liebe an der Wand neben der Tür zu seinem Keller stand und ihn genauso belämmert anstierte, wie Jussi selbst wahrscheinlich gerade aussah.

Im ersten Moment hielt er Liebes Verhalten für einen Scherz. Als wollte sich der Alte über ihn lustig machen. Aber Hauke machte niemals Scherze. Er war vollkommen humorlos, genauso wie es Jussis eigener Großvater, Hannes, gewesen war.

Jussi blieb stehen. Die Nasenausschaltatmung funktionierte nicht mehr. Als er das merkte, wurde ihm schlecht. Doch Hauke Liebe gaffte ihn immer noch so komisch an. Jetzt sah Jussi, obwohl er bereits hart dagegen ankämpfte, zu kotzen, dass Haukes Gesicht ganz schief war, was ihn noch zynischer aussehen ließ als gewöhnlich.

»Oh Scheiße«, flüsterte Jussi.

Um herauszufinden, ob es sich um einen Schlaganfall handeln könnte, gab es einfache Methoden. Das wusste er noch von Großvater Hannes, der mehrere Schlaganfälle erlitten hatte. Er könnte Liebe bitten, zu lächeln. Aber da er dies vorher auch nie getan hatte, würde das absolut nichts bringen.

»Können Sie mir Ihre Arme entgegenstrecken, damit ich Sie hochbringen kann?« Und tatsächlich gehorchte der Alte. Doch sosehr er sich bemühte, es gelang ihm nicht. Das war deutlich genug.

Jussi ging auf Hauke Liebe zu, nahm seinen Arm und führte ihn in Richtung der Treppe. Es war recht gewöhnungsbedürftig, dass der sich das alles gefallen ließ. Niemals wäre Jussi vorher auf die Idee gekommen, den alten Klotz ungefragt irgendwohin mitzunehmen, schon gar nicht in dessen Haus. Aber er wusste, dass er keine Sekunde verlieren durfte.

Endlich oben angekommen, versuchte Jussi als Erstes, ganz viel frische Luft in seine Lungen zu ziehen, um das Formalin und die Übelkeit aus seinem Körper rauszuatmen. Obwohl ihm ein wenig schwindelig war, ging er weiter, führte Hauke zur Hintertür der Gaststätte und zog sie auf. In diesem Augenblick öffnete sich die Tür zur Gaststube, und Haukes Frau Henny trat in den Flur. Sie bekam einen Schreck, als sie die beiden sah, doch dann schien sie zu begreifen. Sie schloss die Tür und griff ihrem Mann unter den Arm. »Wir bringen ihn rüber«, sagte sie leise, aber bestimmt.

Jussi war erstaunt über ihre Coolness, und gemeinsam brachten sie den Alten in seine Wohnung, die im hinteren Teil des alten Backsteinhauses lag. Während sie den dunklen, schlauchartigen Gang entlanggingen, der Gaststätte und Wohnung trennte und der nach Bier und Essen roch, dachte Jussi, dass diese gefasste Reaktion eigentlich doch nicht so verwunderlich war. Er hatte Henny Liebe immer nur als die Frau von Hauke wahrgenommen, die, wenn sie nicht in der Gaststätte arbeitete, am Fenster saß und vermutlich irgendeiner Handarbeit nachging. Aber immer wirkte sie hölzern, stumpf und mechanisch. Wie ein aufgezogener Roboter.

Nachdem sie den alten Mann auf das Bett gelegt hatten, stand Jussi noch einen Moment unschlüssig an der Tür herum. »Soll ich einen Krankenwagen rufen?« Er schaute sich im Raum um, konnte aber kein Telefon sehen.

Henny schien ihn nicht gehört zu haben. Sie stand am Bett ihres Mannes und schaute ihn unverwandt an.

»Frau Liebe?«

Langsam drehte sie den Kopf in Jussis Richtung. »Das kann ich ja gleich machen.« Sie lächelte. »Aber ich danke Ihnen, junger Mann.«

»Wie Sie meinen.« Er wandte sich ab und wollte gehen, hielt aber inne. »Sie wissen schon, dass er nur Chancen hat, wenn ihm sofort geholfen wird?«

Wieder kam die Antwort erst nach einer Weile. »Ja … ich weiß.«

Jussi nickte und schloss die Tür. Aber er ging nur einen Schritt weiter und blieb auf dem Gang stehen. Nichts tat sich. Mist, dachte er und ging wieder zurück. Sie zuckte zusammen, als er die Tür erneut öffnete. »Wo ist Ihr Telefon?«

Sie sah ihn fragend an.

»Ihr Telefon, Frau Liebe. Wo ist das?«

Die Frau reagierte nicht, und Jussi hatte keine Lust, noch länger zu warten. »Mein Handy liegt draußen im Bus, bin gleich wieder da.«

Henny Liebe blieb mit herabhängenden Armen im Schlafzimmer stehen. Ihr leerer Blick verlor sich irgendwo in den Blümchen der gelblichen Wandtapete.

Sie steht unter Schock, dachte Jussi, als er zu seinem Bulli ging. Das hat mir gerade noch gefehlt. Während er der Leitstelle alle nötigen Angaben durchgab, eilte er wieder zurück ins Haus.

Frau Liebe kniete jetzt vor dem Bett ihres Mannes und hatte zu beten begonnen. Eigentlich müsste er sie jetzt hinlegen, mit erhöhten Beinen. Aber vielleicht war es besser, sie in Ruhe zu lassen. Außerdem fand er es irgendwie pervers, sie neben ihren Mann auf das Bett zu legen. So als hätte er gleich zwei Patienten für den Krankenwagen. Also ging er zum Fenster und schob die Gardine beiseite. Das Schlafzimmer lag nach hinten raus, aber von hier konnte er die Straße sehen, von der der Krankenwagen kommen würde. Es sah so trostlos aus da draußen. Die Kälte lag sichtbar als feine Schneedecke über den hügeligen Feldern, durch die sich die Knicks zogen. Die kahlen Äste der Kopfweiden ragten daraus hervor wie widerborstige Gespenster.

Diese verfluchten Bäume, dachte Jussi, sind genauso wie die Leute hier. Genauso wie der alte Liebe. Abweisend, sperrig und frostig. Er war so froh, dass er jetzt in Kiel wohnte. Aber leider musste er in letzter Zeit doch wieder regelmäßig nach Havgart kommen, wegen Freddy.

Er wurde durch ein Geräusch abgelenkt. Es war Henny Liebe, sie wisperte etwas, murmelte, aber er verstand die Worte nicht. Manches hörte sich wie Latein an. Er horchte angestrengt, aber sie sprach zu schnell. Vielleicht hilft’s ja, dachte er. Glaube kann bekanntlich Berge versetzen. Das sagte sein Vater Freddy auch immer, aber der Berg an Sorgen, den dieser im Moment vor sich herschob, bewegte sich nicht von der Stelle. Vielleicht sollte er ihm auch mal ein Gebet empfehlen.

Er schaute auf die Uhr und fragte sich, wann der Wagen endlich kommen würde, schließlich hatte er nicht den ganzen Tag Zeit. Wie alt war Hauke überhaupt? Mitte siebzig vielleicht? Seine Frau war jünger.

Er sah sich um, überall lagen Deckchen herum, große und kleine, alle bestickt. Das macht sie also immer, wenn sie am Fenster sitzt und handarbeitet, dachte er. Er schaute weiter umher. Die Möbel waren abgenutzt und dunkel. Es war das trostloseste Zimmer, das er jemals gesehen hatte. Er stellte sich vor, er müsste in so einem Raum schlafen. Ihn würden Alpträume plagen und ihn irgendwann in den Suizid treiben.

Im Hintergrund tickte eine unheimlich laute Uhr. Es war so ein altmodisches großes Teil aus Holz, das auf der Kommode stand. Jedes einzelne Ticken kam ihm vor, als pikte es mit einer Nadel in die schwere Stille des Raumes. Wie konnte man bei diesem Lärm schlafen? Oder bei der Temperatur hier drinnen? Es war eisig kalt. Am schlimmsten aber war das riesige Kreuz, das über dem Bett hing. Es war bestimmt einen Meter fünfzig lang und hatte etwas Bedrohliches, weil es sich oben ein Stück von der Wand neigte, als würde es gleich herabfallen und die Schlafenden erschlagen. Der frisch gekreuzigte Jesus sah so echt aus. Er hatte eine schmerzverzerrte Miene und war ganz grau. Jussi hörte förmlich sein Klagen und Stöhnen. Dann begriff er, dass die Laute von dem Alten kamen. Jussi sah, dass Hauke die Lippen bewegte, als versuchte er, etwas zu sagen.

Wo verdammt blieb der Krankenwagen? Jussi sah wieder auf die laute Uhr. Na gut, sie waren hier auf dem Land, da konnte es vielleicht ein bisschen dauern. Andererseits gab es hier aber nicht so viele Menschen, als dass die Kapazitäten bis zum Anschlag ausgelastet wären. Ein paar Minuten noch, dann würde er noch einmal anrufen.

Draußen wurde eine Tür geöffnet, jemand ging den Flur entlang. »Oma Henny, bist du hier irgendwo?«

Es war eine helle Stimme, die Jussi bekannt vorkam.

»Henny? Ich habe die Brote zu Olaf in die Küche gebracht.«

Jemand klopfte an die Tür, kurz darauf steckte ein rotblondes Mädchen den Kopf hinein. Jussis Herz machte einen Sprung, und in seinem Kopf begann es zu rattern. Das war doch Lou, Lou Raven. Die Tochter des Jagdaufsehers Niels Raven. Meine kleine Freundin aus Kindertagen ist beinahe eine Frau. Verdammte Scheiße, ist die hübsch geworden!

Erstaunt sah Lou erst ihn an, dann fiel ihr Blick auf Henny Liebe, dann auf das Bett. »Was ist passiert?«, flüsterte sie und trat ein. »Oma Henny.« Sie ging auf die Frau zu, die mit dem Beten aufgehört hatte, aber immer noch vor dem Bett kniete. »Was machst du denn?« Behutsam griff sie Henny unter die Arme und zog sie hoch.

»Warte, ich helfe dir«, sagte Jussi, und gemeinsam brachten sie sie zum Sessel.

»Er hatte einen Schlaganfall«, flüsterte Jussi und ging wieder zum Fenster. »Keine Ahnung, warum der verdammte Krankenwagen nicht kommt.«

Lou betrachtete den jungen Mann. »David?«, fragte sie.

Er schüttelte den Kopf. »Jussi.«

»Sorry, aber ich habe euch so lange nicht gesehen.«

»Schon okay.« Er und sein Zwillingsbruder sahen fast gleich aus, sodass sie diese Frage gewohnt waren.

Lou ging zum Bett zurück und schaute Hauke an. Seine Augen starrten geradeaus, ab und zu blinzelte er, das Gesicht war schief, Speichel lief aus dem Mundwinkel. Dann wandte sie sich wieder Jussi zu. »Was machst du hier?«

»Ich wollte ihn besuchen und habe ihn so in seinem Keller gefunden.« In der Ferne tauchte das blaue Licht des Krankenwagens auf. »Na endlich«, sagte er und ging hinaus.

Lou setzte sich auf die Lehne des Sessels und legte ihre Hand auf Hennys Schulter. »Das wird schon wieder«, sagte sie leise. »Hauke ist doch so zäh, das weißt du doch. Komm, lass uns in die Küche gehen.«

Henny sah noch einmal zu ihrem Mann hinüber, dann stand sie auf.

Lou nahm ihren Arm und führte sie hinaus. »Ich koche uns einen Tee, der wird dir guttun.«

»Er hat gar nicht gesprochen«, sagte Henny. »Er hat mich immer nur angeguckt.«

»Jetzt ist ja ein Arzt da. Mach dir keine Sorgen.« In der Küche füllte Lou Wasser in den Kessel und zündete den Gasherd mit einem Streichholz an.

Nun saßen sie am Tisch und horchten auf das immer lauter werdende Rauschen des Wassers. Im Flur waren Schritte und Stimmen zu hören, der Kessel gab erste zaghafte Pfeiftöne von sich. Lou stand auf, drehte das Gas ab und bereitete den Tee zu.

Nach einer Weile klopfte es, und Jussi steckte den Kopf zur Tür herein. »Ich bin dann weg.«

»Warte!« Lou drehte sich zu Henny um, die auf das rot karierte Wachstuch des Küchentisches starrte, dann folgte sie ihm.

»Wie sieht es denn aus?« Sie standen vor der Gaststätte und beobachteten, wie Hauke über den Hof geschoben wurde. Fragend sah sie Jussi an. »Was sagt der Arzt?«

»Er konnte noch nichts sagen.« Er deutete mit dem Kopf in Richtung der Gaststätte. »Kannst du nach ihr gucken?«

»Klar, ich bleibe erst mal hier.«

Jussi reichte ihr einen Streifen Tabletten, den er vom Notarzt erhalten hatte. »Sie soll eine davon nehmen und sich hinlegen. Sind nicht stark, nur zur Beruhigung.«

»Okay, danke.« Sie betrachtete Jussi und lächelte. Offensichtlich hatte er sich die Haare heller gefärbt, einige Strähnen hingen ihm in die Augen. »Als wir uns das letzte Mal gesehen haben, warst du noch einen Kopf kleiner.«

»Und du hattest eine Zahnspange. Dass man sich so wiedersieht, was?«

»Du warst ewig nicht in Havgart.«

»Ab und zu bin ich bei Freddy, aber der wohnt ja ein bisschen abseits. Deshalb sehen wir uns nie.«

»Wohnst du noch in Kiel?«

»Jo.« Jussi stopfte die Hände in die Taschen seiner Jeans. »Aber im Moment bin ich öfter bei meinem Vater, dem geht’s grad nicht so gut.«

»Ja, ich habe davon gehört, er hat seinen Job verloren, sagen die Leute.«

»Auch, ja.« Jussi zog den Autoschlüssel aus seiner Jackentasche. »Ich muss dann mal.«

»Sehe ich dich wieder?«

»Schon möglich.«

Lou nickte, lächelte ihn an und ging wieder ins Haus.

Jussi blickte ihr einen Moment hinterher und öffnete die Tür zu seinem Bus, dann fiel ihm ein, dass die Kühltasche mit dem Fasan noch im Keller stand. Also ging er noch einmal zurück.

Dieses Vieh wird mir langsam unheimlich, dachte er, als er die Tasche auf dem Beifahrersitz abstellte. Edgar besaß zwar das Hirn eines Kleinkindes, hatte aber mit weißen Vögeln als Unglücksboten und diesem ganzen Scheiß deutlich mehr Erfahrung als er selbst. Und wie man sehen konnte, war das Unglück bereits vorausgeeilt. Hatte sich dem alten Liebe auf den Rücken gehockt und ihn in die Knie gezwungen. Durchsichtig wie diese Wila, also nicht zu packen. War aber vorher auch schon bei Freddy und ihm selbst vorbeispaziert, das Unglück. Der weiße Fasan war im Grunde nur noch die Quittung.

***

Der Krankenwagen fuhr die Dorfstraße hinunter, vorbei an Paul, der mit seinen Krücken am Straßenrand stand und ihm nachsah. Er musste eine Pause einlegen, um seine Arme auszuruhen. Außerdem hatte er Blasen an den Handinnenflächen. Ein Stück weiter unten war eine ältere Frau gerade dabei, die Mülltonne auf den Hof zu rollen. Daneben saß ein alter Mann auf seinem Rollator und beobachtete sie dabei. Paul hatte kurz zuvor den Müllwagen gesehen. Da sitzen die Leute hinter ihren Fenstern und warten auf den Müllwagen, dachte er. Und ich stehe hier herum und gucke mir das Ganze an. Ich bin genauso ein Zeitdieb wie die.

Eigentlich hatte er nur schauen wollen, ob der Gutsladen geöffnet hatte, doch er war einfach weitergegangen, inzwischen schon ein gutes Stück am Hirschfänger vorbei, einfach nur, um sich zu bewegen. Normalerweise hätte er für dieses Stück nicht mehr als fünf Minuten gebraucht, jetzt war er schon zwanzig Minuten unterwegs; Sitzpausen auf einem Mülleimer und diversen Gartenmäuerchen nicht mit eingerechnet. Er wandte sich um und ging langsam wieder zurück. Das würde er jetzt jeden Tag so machen, laufen, sich bewegen, er würde sonst schwermütig werden.

Er dachte an seinen Vater, der vor Stunden kurz in der Küche aufgetaucht war, sich ein Brot mit Teewurst gemacht und berichtet hatte, dass sein Nachbar Hinrich eine Schütte Brennholz zu Adri transportiert habe. Sei ganz einfach gewesen, und Bauer Hinrich habe dies aus freien Stücken getan, sine pecunia, sozusagen, was den Transport betraf, und hier oben alles andere als selbstverständlich. Paul erinnerte sich daran, dass sie jemanden gesucht hatten, der Johann beim Streichen des Flures helfen sollte, und dass alle Vorkasse verlangt hatten.

»Ist man nicht ein Hiesiger, halten die die Hand auf, alles Geizhälse«, beschwerte Johann sich regelmäßig. Die seien es nicht gewohnt, selbstständig zu arbeiten. Früher habe es nur den Gutsherrn gegeben, der seine Knechte durch die Gegend peitschte. Das sei der Grund dafür, dass sich bei den Leuten hier bis zum heutigen Tage keinerlei eigenständiger Geschäftssinn entwickelt habe.

Ganz im Gegensatz zum Bergischen Land, betonte Johann immer wieder. Dort, in seiner alten Heimat, habe fast jeder in seinem Kotten im engen und düsteren Bachtal gehockt und an dem vom guten Bergischen Wasser angetriebenen Schleifstein seine Messer geschliffen. »Alles Knösterpitter. Sind die ja heute noch. Das genaue Gegenteil von den Giezknochen hier.«

Johann war jedenfalls, das Brot noch in der Hand, gleich wieder abgezogen, um seinem neuen Nachbarn dabei zu helfen, das Häuschen auf Vordermann zu bringen.