La Catrina - Julian Rudolf - E-Book

La Catrina E-Book

Julian Rudolf

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Beschreibung

Marten lebt als Student ein ruhiges, geregeltes Leben. Doch plötzlich passieren unerklärliche Dinge, die ihn an seinem Verstand zweifeln lassen. Verfügt er wirklich über magische Kräfte und wird von einem mysteriösen Fremden verfolgt oder bildet er sich alles nur ein? Und weshalb scheint Martens Tätowierung der "La Catrina" dabei eine Rolle zu spielen? Zusammen mit seinem besten Freund Julius begibt er sich auf eine riskante Suche nach der Wahrheit. Dabei werden sie in ein Netz aus kriminellen Machenschaften und tiefen Geheimnissen gezogen, die Martens Leben grundlegend verändern werden. Wem kann er noch trauen? Kann er die Hindernisse überwinden und denjenigen entlarven, der es auf ihn abgesehen hat?

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Seitenzahl: 137

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2024 Vindobona Verlag

ISBN Printausgabe: 978-3-903574-50-2

ISBN e-book: 978-3-903574-51-9

Lektorat: Naemi Hofer

Umschlagfoto: Fleckus, Raggedstonedesign | Dreamstime.com

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: Vindobona Verlag

www.vindobonaverlag.com

Kapitel 1: Marten

Die Straßen waren voller Menschen. Dicht gedrängt standen sie nebeneinander, versammelt um den Kern der Stadt. Eine tiefe Stille hatte sich über die Menschenmasse gesenkt und hüllte alles in einen Mantel aus Schweigen. Noch nicht einmal die Hunde bellten.

Etwas außerhalb der Stadt überragte der goldene Tempel die Häuser und die tief stehende Sonne warf seinen langen Schatten über die Strohdächer. Der Markt, der die sonst friedlichen Straßen mit Leben füllt, war längst geschlossen worden. Ein Mann schob sich durch das dichte Gedränge. Seine Augen wurden von einer schwarzen Kapuze verdeckt, die er sich tief ins Gesicht gezogen hatte. Trotz der Hitze waren seine Beine und Arme vollständig mit weitem Stoff bedeckt. Eine sanfte Stimme flüsterte ihm einige Worte ins Ohr, doch für alle anderen waren sie unhörbar. Die Hand des Mannes ruhte kurz auf der Schulter eines Passanten, der ihm den Weg versperrte, bevor er ihn unsanft beiseiteschob. Dabei fiel einer der letzten Sonnenstrahlen auf seine mit Tätowierungen überzogene Hand. An jedem Gelenk seiner Finger war ein roter Kreis zu sehen, der mit einem breiten Streifen verbunden war. Die Streifen zogen sich weiter über den Handrücken und mündeten am Handgelenk in einem weiteren Kreis, der zur Hälfte vom Ärmel verdeckt wurde. Zwischen den Linien waren weitere kleine Punkte und Symbole in die Haut gestochen worden, die spiralförmig vom Handrücken den Unterarm hinauf verliefen, bis sie unter dem Stoff des weiten Ärmels verschwanden. Beim Anblick dieser Hand ließ der andere Mann den Verhüllten wortlos gewähren. Beim Weitergehen vernahm er, wie der Unverhüllte einige hastige Gebete an die Götter richtete. Zielstrebig bahnte sich die Kapuzengestalt einen Weg durch die Leute. Leise diktierte die Stimme in seinem Inneren ihm den Weg. Je weiter er vordrang, desto durchdringender wurde das nun fast schon beängstigende Schweigen der Menschen. Viele wichen bei dem Anblick seiner schwarzen Kapuze zurück oder verbargen hastig ihre Kinder vor ihm. Ungerührt ging er weiter, bis er an den Rand eines schmalen, runden Platzes mit mehreren Eingängen gelangte. Eng beieinander standen die Menschen um die tiefen Häuser und in den übrigen Straßen. Er aber war fast allein in dem breiten Durchgang. In der Mitte des Platzes vor einem viereckigen Brunnen aus roh behauenem Stein stand ein wettergegerbter Mann, dick, ohne Haare, eine verkrümmte Kindergestalt zu seinen Füßen. Ein blutbedeckter Stein lag neben dem Kopf des Mädchens, das vielleicht 10 Jahre alt war. Der Mann verkrampfte sich beim Anblick des Verhüllten.

„Nein bitte“, krächzte er. „Sie hat mich bestohlen.“ Ein Raunen ging durch die Reihen.

„Mörder!“, schrie einer der Umstehenden.

„Für Diebstahl gibt es die Zellen!“, fügte ein anderer an. Bei jedem Ruf zuckte der Mann zusammen und versuchte, den Sprecher in der Menge zu finden, aber es wagte niemand mehr sich einzumischen.

„Er hat sie erschlagen. Kein angenehmer Tod“, wisperte die unsichtbare Stimme. Die linke Hand der Gestalt ballte sich zur Faust.

„Nein! Ich schwöre, ich wollte das nicht!“, spie der kräftige Mann aus. Panisch sah er sich um, wie ein gehetztes Tier in einem Käfig. Plötzlich weiteten sich seine Augen.

„Sie hat ein Mal.“

Er nickte hektisch, als wollte er sich selbst überzeugen.

„Ja, ja sie trägt das Mal“, rief er mit neuem Mut und bückte sich nach dem toten Mädchen. Das lange gebogene Messer tauchte urplötzlich in der Hand des Tätowierten auf, doch der Dicke bemerkte es nicht. Stattdessen zog er dem Mädchen ein schmutziges Tuch vom Hals. Darunter kam ein weißer Fleck zum Vorschein.

„Seht ihr. Sie trägt das Mal der Schatten. Sie ist verflucht.“ Die Menge zeigte keine Reaktion. Jeder wusste, wie die roten Tätowierungen der Gemeinschaft aussahen, zumal einer der Träger anwesend war.

„Die Gnade der Totengöttin wird ihm nicht zuteil“, raunte die unhörbare Stimme. Wie von einer unsichtbaren Kraft getrieben schritt der Verhüllte auf den dicken Mann zu, das Langmesser fest umschlossen.

„Die Gnade der Totengöttin wird dir nicht zuteil“, wiederholte er wie im Wahn und hob die Klinge. Einen Moment war es totenstill, dann fuhr das Messer nieder.

Die Farben flossen ineinander, dann verschwamm das Bild.

Marten schreckte aus dem Schlaf. Die Überreste seines Traums glitten davon, bevor er sich gänzlich daran erinnern konnte. Irgendetwas mit einer Menschenmasse und einer Kapuzengestalt waren darin vorgekommen. Und dann war da noch ... der Tempel. Der goldene Tempel, der wie ein Berg über der Stadt aufragte. Er fasste sich an die Stirn. Erst jetzt bemerkte er seinen schweißbedeckten Körper und seinen schnell gehenden Atem. Kopfschüttelnd setzte er sich an die Bettkante und warf verstohlen einen Blick auf den Wecker, 2:32 Uhr. Er schüttelte erneut den Kopf. Draußen vor dem Fenster rauschte ein einsames Auto vorbei. Marten schwang sich aus dem Bett, schlüpfte in seine Hauscrocs, dann schlurfte er durch seine Zweizimmerwohnung Richtung Balkon. Unterwegs las er sein Drehzeug und Zippo vom Küchentisch auf. Vor der Balkontür hielt er kurz inne.

Eine Tatsache: Im Freien bei Wind ließ es sich schlecht drehen. Mit geübten Fingern drückte er einen Filter aus der halbvollen Packung und klemmte ihn in seinen Mundwinkel. Als Nächstes fischte er Blättchen aus der Verpackung, legte den Filter hinein und fügte eine wohlproportionierte Menge Tabak hinzu. Mit rhythmischen Fingerbewegungen rollte er das Ganze zusammen. Kurz darauf war die Zigarette fertig. Er hielt kurz inne, um dieses kleine Kunstwerk zu betrachten. Mit dem Ergebnis zufrieden, öffnete er die Balkontür und trat, die Tür hinter sich zuziehend, auf den Balkon hinaus. Das Zippo sprang beim zweiten Versuch an. Wahrscheinlich muss der Docht mal wieder gewechselt werden, dachte er sich, während er den ersten beruhigenden Zug nahm. Ein sachter Windstoß ließ die Spitze der Zigarette aufglühen und strich über seinen Oberkörper. Marten fröstelte. Obwohl es Mitte Juni war und tagsüber sommerlich warme Temperaturen herrschten, blieb es in diesem Jahr nachts erstaunlich kühl. Er nahm einen weiteren Zug und allmählich setzte die so vertraute Entspannung ein. Was zur Hölle hatte er da vorhin geträumt. Ein weiterer Windstoß ließ ihn erschauern. Der Traum war unheimlich gewesen und das Gefühl war in seinen Gedanken haften geblieben. Er nahm den letzten Zug von seiner Zigarette und drückte den Rest im Aschenbecher auf dem kleinen Beistelltisch aus. Ein letzter Blick vom Balkon, dann schlüpfte er wieder in seine Wohnung und verriegelte sorgsam die Tür hinter sich. In Frankfurt, in einem der riesigen Studentenwohnheime, konnte man nicht vorsichtig genug sein. Sein Drehzeug verstaute er in seiner schlichten Lederjacke, bevor er der Toilette einen Besuch abstattete. Beim Händewaschen fiel sein Blick auf das Tattoo auf seinem Arm.

Auf seiner linken Schulter den Arm hinunter prangte das Motiv, das er sich schon immer gewünscht hatte. Vor zwei Wochen hatte er sich diesen Traum erfüllt. Die Haut rund um die La Catrina war noch leicht gerötet. Das Tattoo zeigte eine Frau, deren Gesicht in zwei Hälften geteilt war. Auf der rechten Seite, seinem Torso zugewandt, war eine kunstvoll geschminkte Frau zu sehen, mit langen Haaren, die linke ging in einen kantigen Totenschädel über. Darunter schloss sich eine knöcherne Hand um die Kehle der Frau. Deutlich war die Uhr am Handgelenk zu erkennen. Vorsichtig strich er über die feinen Konturen und widerstand nur mühsam dem Juckreiz. Marten drehte den Arm ein wenig mehr zum Spiegel, um auch den hinteren Teil des Kunstwerks besser betrachten zu können. Ihm war, als beobachtete ihn die La Catrina dabei. Viele seiner Freunde waren nicht sehr begeistert gewesen. Einige waren grundsätzlich gegen Körperkunst, andere waren der festen Meinung, dass es sich bei der La Catrina um ein „Frauentattoo“ handelte. Ihm waren die Kommentare seiner Freunde egal. Nicht, dass sie ihm nichts bedeuteten, das war es nicht. Nur, wenn er etwas wirklich tun wollte, dann zählten für ihn solche Sachen nicht. Außerdem hatte das Tattoo für ihn mehrere Bedeutungen. Die Uhr stand zum Beispiel dafür, dass seine Zeit knapp war. Mit dem Tattoo hatte er nun die Erinnerung an diese Tatsache für immer unter der Haut. Das Vibrieren seines Handys riss ihn aus den Gedanken.

Kapitel 2: Der Fremde

Frankfurt

Das schrille Piepen des Weckers riss ihn aus dem Schlaf. Marten rollte sich widerwillig auf die andere Seite und warf einen Blick auf die Digitalanzeige. In roten Leuchtzahlen zeigte der Wecker 7:41 Uhr. Unmotiviert setzte er sich auf. Die schlaflose Nacht hatte ihre Spuren hinterlassen. Es half nichts, er war mit einem Freund in etwa einer Stunde auf dem Campus verabredet. Er musste aufstehen, wenn er nicht viel zu spät kommen wollte. Eng würde es so oder so werden, deshalb beschloss er, auf sein Frühstück vorerst zu verzichten. Cäsar würde sich ohnehin schon genügend aufregen, wenn er wie immer nicht auf die Minute pünktlich kam. In Wirklichkeit hieß sein Freund Julius Tolazi, allerdings hatte ihm sein Vorname in Kombination mit seiner italienischen Abstammung sehr schnell den Spitznamen Cäsar eingebracht. Marten schaltete die Kaffeemaschine ein, zog eine Kaffeetasse, natürlich extra groß, aus dem Schrank und postierte sie unter dem Auslauf der Maschine. Er kramte in der Hose vom Vortag nach seinem Handy und öffnete seinen Facebook-Account. Er war stolzer Besitzer eines iPhones der 2. Generation. Auch wenn er noch nicht alle Funktionen kannte, so war es doch ein nützlicher Begleiter. Der vertraute Dreiklang verkündete, dass eine Nachricht eingegangen war. Marten hätte die Nachricht nicht einmal öffnen müssen, um zu wissen, von wem sie stammte.

7:45 Uhr, neue Nachricht von Cäsar: Morgen. Bist du schon unterwegs? Smiley.

Hastig tippte Marten seine Antwort. 7:46 Uhr: Bin seit fünf Minuten unterwegs. Daumen hoch.

Während sich der Kaffeeautomat mit einer Reihe von Summ- und Klickgeräuschen vorbereitete, sprintete Marten ins Bad und verschwand unter der Dusche. Keine fünf Minuten später war er angezogen, stand erneut in der Küche und ließ seinen Kaffee einlaufen. Mit ein wenig Mühe widerstand er der Versuchung dem Kaffee, mit einem Schuss Jägermeister, der verdächtig nahe bei der Kaffeemaschine stand, eine besonders würzige Note zu verleihen. Es versprach, abgesehen von dem Treffen mit Julius, ein langweiliger Tag zu werden. Vielleicht war noch ein wenig Erspartes übrig, dann könnte er am Abend eventuell in einen Club verschwinden oder eine der zahllosen Verbindungsfeiern besuchen. Ein Summen verkündete, dass der Kaffee fertig war. Marten schaltete das Gerät aus und schnappte sich seine Tasse. Er warf erneut einen Blick auf seine Uhr. 7:52 Uhr. Mit ein wenig Glück würde er noch den früheren Bus erwischen und könnte von der Zwischenhaltestelle mit der Straßenbahn zum Campus fahren. Damit wäre er eine Viertelstunde früher am Campus angekommen und hätte noch genug Zeit gehabt, einen Abstecher zur Mensa zu machen, um dort sein Frühstück nachzuholen. Das Problem, der Bus kam genau um 8 Uhr und die Haltestelle war etwa zehn Minuten entfernt. Da würde er sich wirklich beeilen müssen. Er schnappte sich seinen Kaffee und die Tasche mit seinem Laptop und verließ das Haus.

Er schaffte es rechtzeitig zum Bus, aber nur, weil dieser Verspätung hatte. Als er im Bus Platz nahm, hatte er bereits seinen Kaffee geschlürft und stopfte nun ein wenig Zeitungspapier in die Tasse. Die Zeitung hatte ihm ein sehr freundlicher, alter Herr überlassen, der ein Stück weiter vorne im Bus saß, weil er sie bereits zu Ende gelesen hatte. Dankend hatte Marten diese angenommen und verstaute nun die Tasse neben einem ausgeliehenen Buch in seiner Tasche.

8:29 Uhr, von Cäsar: „Treffen wir uns an der Bib?“

Gleiche Uhrzeit Marten: „Lass uns lieber am Brunnen vor Haltestelle 2 an Gebäude 12 treffen.“

„Ist gut“, kam die knappe Antwort von Cäsar.

Als Marten an der Haltestelle ankam, an der er umsteigen musste, war ihm längst klar, dass er die Straßenbahn verpasst hatte. Dahin war die Vorstellung eines leckeren belegten Brötchens. Insgeheim hatte er schon gerätselt, welchen Belag er sich hätte bestellen wollen. Zugegeben, sein Magen grummelte, nicht sehr zufrieden gestellt von der einen Tasse Kaffee. Es half nichts, er hatte keine andere Wahl, als zu warten, auch wenn die nächste Straßenbahn ein gutes Stück länger brauchen würde. Diese würde erst in zwanzig Minuten zum Campus fahren.

Zeit für seine erste Zigarette. Diesmal war das Ergebnis zumindest optisch nicht so zufriedenstellend wie in der Nacht. Punktgenau als die Straßenbahn in die Haltebucht rollte, hatte Marten die Zigarette fertig geraucht und im Aschenbecher über dem Mülleimer versenkt.

Marten war fünf Minuten zu spät, als er die Straßenbahn an Haltestelle 2 am Campus verließ. Schon von Weitem erkannte er Cäsar. Er stand wie vereinbart am Brunnen und war mit einem auffällig gekleideten Mann im Gespräch, den Marten nicht kannte. Vielleicht ein niedrigeres Semester.

Beim Näherkommen stellte Marten fest, dass es sich um einen Mitte bis Ende zwanzigjährigen Russen zu handeln schien. Als Julius seinen Freund erkannte, unterbrach er das Gespräch und kam Marten ein Stück entgegen, um ihn zu begrüßen. Unerwarteterweise bekam er diesmal keinen bissigen Kommentar bezüglich seines Zuspätkommens. Im Gegenteil, Cäsar begrüßte ihn herzlich, wobei er ein wenig abwesend wirkte. Wahrscheinlich grübelte er innerlich noch über das Gespräch mit dem Russen nach.

„Wer ist dein neuer Freund?“, fragte Marten gespielt interessiert nach. Cäsar schüttelte den Kopf, als wäre ihm etwas eingefallen.

„Wo sind bloß meine Manieren heute früh. Komm, ich mache euch bekannt. Marten, das ist Vitali Sokolow, ein neuer Mitstudi von uns.“

An Vitali gewandt fuhr er fort: „Habe ich es diesmal richtig ausgesprochen?“ Ein breites Grinsen huschte über das Gesicht des russischen Studenten. „Fast“, meinte er zu Cäsar, der sich gespielt darüber ärgerte.

„Du musst Marten sein. Julius hat erwähnt, dass ihr euch hier treffen wollt“, sagte Vitali mit unüberhörbarem Akzent und streckte ihm die Hand entgegen. Marten musterte ihn, bevor er nickte und den Händedruck erwiderte. Von Nahem sah Vitali noch unpassender gekleidet aus, vielleicht sogar ein Hauch zu extravagant. Sein Haar war kurz geschoren und sein Gesicht zierte ein Dreitagebart. Unter seinem dunkelgrauen Sakko trug er ein purpurrotes Hemd, ohne Krawatte. Seine Füße steckten in passenden Lackschuhen, die aussahen, als wären sie frisch aus der Packung. An der Seite seines Sakkos war ein goldenes Kettchen befestigt, vermutlich von einer Taschenuhr.

Alles sah für einen einfachen Studenten viel zu teuer aus. Vermutlich stammte er aus einem wohlhabenden Elternhaus. Das Einzige, was sein äußeres Erscheinungsbild minderte, war der rote Wollschal, den er um den Hals trug, eine grausame Verstümmelung für den Anzug, wie Marten fand.

„Rauchst du?“, wollte Marten wissen.

„Gelegentlich“, kam die knappe Antwort.

„Willst du eine?“, fragte er und angelte sein Drehzeug aus seiner Umhängetasche.

„Was hast du da?“ Vitali beäugte misstrauisch das blaue Päckchen.

„American Spirit.“ Der russische Student schüttelte sich.

„Nein danke“, schnaubte er. Marten zuckte mit den Achseln und portionierte den Tabak im Pape. Er setzte gerade an, um die Zigarette zusammen zu drehen, als ein kurzes Stechen seinen Arm hinaufschoss, als hätte ihn etwas gestochen. Das Pape entglitt seinen Fingern und alles fiel zu Boden. Sein nächster Gedanke galt seinem Tattoo. Was, wenn mich etwas gestochen hat?

Nervös beäugte er den Ärmel des T-Shirts, wo er die Ecke des Tattoos erkennen konnte. Es war nichts Ungewöhnliches zu sehen, aber er zog zur Sicherheit seinen Ärmel ein Stück nach oben. Wieder nichts Außergewöhnliches. Dafür erregte eine Bewegung im Hintergrund seine Aufmerksamkeit. Ein etwas ungepflegt wirkender junger Mann, in Shorts und einem lila Sweatpulli, war auf sie zugekommen, blieb aber plötzlich wie angewurzelt stehen und starrte in ihre Richtung.

Marten fand, er sah noch unpassender für eine Eliteuni aus als Vitali. Sein dunkler Bart wucherte ihm unkontrolliert übers Gesicht und sah äußerst verfilzt aus, seine Haare hatten, ihrer glänzenden Schicht nach, schon länger keine Dusche mehr bekommen und seine abgelaufenen Turnschuhe sahen aus, als wären sie vor Jahren aus einem Secondhandshop erworben worden.

Ein paar Momente verharrte er, wo er stehen geblieben war. Zeit genug für Marten, seinem Blick zu folgen. Die Augen des Fremden schienen unsichtbare Löcher durch Vitali zu bohren, der mit Julius in ein angeregtes Gespräch über die neuesten Wirtschaftsentwicklungen versunken war. Der Anflug von Angst im Gesicht des Mannes verhieß nichts Gutes. Dann kreuzten sich ihre Blicke und seiner fiel auf Martens noch entblößtes Tattoo.

Blitzschnell zog sich der Mann die Kapuze tiefer ins Gesicht, drehte sich um und lief eilig in die Richtung zurück, von der er hergekommen war. Marten schauderte. Etwas an der Art des Fremden hatte ihn zutiefst beunruhigt. Cäsar riss ihn aus seinen Gedanken.

„Bis dann Vitali. Wir sehen uns morgen in der Vorlesung.“ Vitali brummte etwas für Marten Unverständliches und schlenderte dann betont lässig, sich äußerst kritisch umsehend, davon.



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