La Mala Sombra – Der böse Schatten - Thomas Kroh - E-Book

La Mala Sombra – Der böse Schatten E-Book

Thomas Kroh

4,9

Beschreibung

Nikolaus Adler ist Leibwächter des deutschen Kanzlers. Durch eine Intrige wird er diskreditiert. Adler verliert seine Arbeit und seine Familie. Jahre später legt sich ein böser Schatten über das Kanzleramt. Ein alter Freund bittet Adler um Hilfe. Er soll einen Spitzel in höchsten Regierungskreisen enttarnen. Dabei kommt der ehemalige Leibwächter einflussreichen Hintermännern auf die Spur, die ein Attentat auf die erste deutsche Kanzlerin planen. Schon bald zieht sich eine blutige Spur durch das Land. In diesem rasanten Thriller nimmt uns Thomas Kroh mit in die Welt der Mächtigen, in der Misstrauen und Intrigen die Tagesordnung bestimmen. In dieser Welt kann nur bestehen, wer rücksichtslos nach Einfluss strebt und seine Profitgier ohne Skrupel befriedigt. Wenn Ränkespiele nicht helfen, dann eben MORD!

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Thomas Kroh

La Mala Sombra

Thomas Kroh arbeitet als Hörfunkjournalist, heute vorwiegend beim RBB in Berlin. Er hat als politischer Reporter aus mehreren Parlamenten und von Parteitagen berichtet. Inzwischen moderiert er Sportsendungen und schreibt regelmäßig Glossen sowie Kommentare. Mit »La Mala Sombra – Der böse Schatten« legt Thomas Kroh seinen ersten Kriminalroman vor. Wir sind gespannt auf die Fortsetzung, denn Nikolaus Adler setzt sich noch nicht zur Ruhe.

Thomas Kroh

La Mala Sombra

Der böse Schatten

Roman

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Originalausgabe 2011 Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch auszugsweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

Personen und Handlung dieses Romans sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

© 2011 NEPA Verlag, Frauensee Der Nepa Verlag ist ein Unternehmen der BigKahoona UG (haftungsbeschränkt), Sünna

Digitale Veröffentlichung: Zeilenwert GmbH 1.Digitale Auflage 2012

Umschlagbild: © Pali Rao Umschlaggestaltung: Alexander Heiderich Lektorat und Satz: Lektorat Nowack, Rudolstadt ISBN: 978-3-9815242-6-0

Inhaltsverzeichnis

1.Kapitel

2.Kapitel

3.Kapitel

4.Kapitel

5.Kapitel

6.Kapitel

7.Kapitel

8.Kapitel

9.Kapitel

10.Kapitel

11.Kapitel

12.Kapitel

13.Kapitel

14.Kapitel

15.Kapitel

16.Kapitel

17.Kapitel

18.Kapitel

19.Kapitel

1. Kapitel

Der Sommer 2002 hatte aufgegeben. Die Temperatur war auf 16 Grad Celsius gesunken und aus dem bewölkten Himmel über Berlin fiel zögerlich der erste Herbstregen. Aber noch zeigte sich die deutsche Hauptstadt von ihrer schönen Seite. Vor den Cafés und Restaurants standen noch Tische und Stühle, die zum Verweilen einluden. Dem kühlen Wetter zum Trotz trugen die Leute Sommergarderobe und in den vielen Parks wucherte die Natur in sattem Grün. Die ersten Bäume würden ihre Blätter frühestens in zwei, drei Wochen verlieren. Dann aber bliebe nicht mehr viel Zeit und das tristeste Grau, das sich ein Mensch vorstellen kann, würde in jede Ecke der Stadt kriechen, wie der Nebel in einem Edgar-Wallace-Film. Zwei alte Männer schlenderten an der Südmauer des Kanzlerparks im Bezirk Mitte entlang. Der Größere trug eine bequeme hellbraune Cordhose und eine dunkle Fliegerjacke. Seine gerade Haltung und sein akkurat geschnittenes weißes Haar ließen erkennen, dass er einmal Soldat gewesen war. Er hielt die Arme auf dem Rücken verschränkt und in seinen Händen einen schmalen Stadtführer. Der andere war ein kleiner Kerl mit Kugelbauch, der in seiner Rechten einen hölzernen Spazierstock schwang. Er tippelte in einer zu kurzen Hose neben dem Großen her und zog ständig seinen altmodischen Lederblouson nach unten, der wegen seines gewaltigen Leibesumfanges zu zerreißen drohte. Die Männer unterhielten sich angeregt. »Ich hätte nicht gedacht, dass das Kanzleramt so schön geworden ist«, sagte der Kleine, »allerdings auch ganz schön teuer.« »Aber imposant«, sagte der Große, der wie sein Begleiter seine schwäbische Herkunft nicht verleugnen konnte. »Das macht schon was her.« »Für den Preis sollte es das auch.« Der Kanzlerpark gehört zum Sitz des deutschen Regierungschefs. Er liegt am Nordwestufer der Spree. Eine Brücke verbindet ihn mit dem Kanzlergarten und dem riesigen Amtsgebäude auf der südöstlichen Seite des Flusses. Der gesamte Komplex bildet ein etwa einhundert Meter breites und fast siebenhundert Meter langes Rechteck, das die Spree in der Mitte schräg von rechts nach links durchschneidet. An der Westseite krümmt sich die hellgraue Mauer, die den Park umfriedet, wie die Kurve eines Stadions. Die Architekten haben diesen Teil des Geländes um reichlich vier Meter anheben lassen. Die Männer blieben stehen und blickten an der Mauer empor. »Wann war die Einweihung?«, fragte der Kleine und stemmte den Spazierstock gegen den Wall. Der Große blätterte in seinem Stadtführer. »Vor eineinhalb Jahren.« »Mhm, alle Achtung, trotz der Ausmaße wirkt es überhaupt nicht klobig.« »Ja, ist zwar alles modern, aber mir gefällt’s auch. Und dann schau mal«, der Große trat einige Schritte zurück und wies mit dem rechten Arm hinüber zum Kanzleramt. »der helle Beton. Das macht natürlich viel aus.« »Glatt wie ein Babyarsch«, sagte der Kleine, der mit der Hand über den Beton wischte. Die Wände sind in der Tat so spiegelglatt, dass der Efeu und der Wilde Wein, die überall angepflanzt worden waren, nur unter Mühen emporranken konnten. Gärtner mussten vor allem den Efeu regelmäßig mit einem Spezialklebeband befestigen. Dennoch ähnelt das Kanzleramt, wenn man es heutzutage von der Seite betrachtet, längst einem verwunschenen Märchenschloss. Die rüstigen Herren erreichten das eiserne Südtor des Parks. Sie blieben stehen und reckten die Köpfe. – Kein Mensch weit und breit. Neugierig sahen sie durch das schwere Gitter und stellten fest, dass das Gelände links des Tores wie zu einem Plateau anstieg. Die beiden Alten verharrten vor einer der unzähligen Überwachungskameras. Aber das störte sie nicht. Dabei wurden sie nicht nur von der Technik beobachtet. Das bemerkten sie jedoch erst, nachdem sie alles ausgiebig inspiziert hatten. Sie waren bereits auf dem Weg zur nahe gelegenen Spree, da drehte sich der Kleine noch einmal um. Oben im Park, am Rande der Mauer war wie aus dem Nichts ein hünenhafter Kerl in einem schwarzen Anzug aufgetaucht. Regungslos blickte er ihnen hinterher. Der Kleine berührte mit dem Spazierstock den rechten Arm seines Begleiters. »Fritzle, schau mal.« Der Große blieb ebenfalls stehen und sah zurück. »Mein je, dem möcht ich aber nicht im Dunkeln begegnen«, flüsterte der Kleine. »Der sieht ja vielleicht gefährlich aus; der ist bestimmt vom Geheimdienst.« »Nein, der gehört wahrscheinlich zur Sicherungsgruppe.« »Was für eine Sicherungsgruppe?« »Spezialabteilung des BKA, ist für den Personenschutz hochrangiger Politiker zuständig.« »Also ist der Kerl so eine Art Leibwächter?« »Ich schätze ja«, sagte Fritzle. Und er hatte Recht damit.

Nikolaus Adler, so hieß der Mann oben im Park, arbeitete tatsächlich für die Sicherungsgruppe. Er war ein stattlicher Mann von einem Meter zweiundneunzig Größe. Der schwarze Anzug betonte seine schlanke, durchtrainierte Gestalt. In seinem linken Ohr steckte ein Empfänger, der aussah, wie ein heller Knopf. Das dazugehörige Mikrofon war im linken Ärmel seines Jacketts befestigt, das Adler, ungeachtet der Kühle und des Nieselregens, geöffnet hatte. Die Hände in den Hosentaschen vergraben, sah er zu den Alten hinunter. Er beobachtete sie schon eine Weile und hatte ihre lobenden Worte über das Kanzleramt gehört, wodurch ihm klar geworden war, dass diese kauzigen Typen Touristen sein mussten. Berliner hätten in jedem Fall etwas zu nölen gehabt, dachte Adler. Immer nach dem Motto: Nicht gemeckert, ist genug gelobt. Er wandte sich nach Westen. Aus der Ferne war ein dumpfes Brummen zu vernehmen, das schnell lauter wurde. Kaum wahrnehmbar löste sich ein Punkt aus den Wolken und steuerte direkt auf den Kanzlerpark zu. Das Brummen schwoll zu ohrenbetäubendem Lärm an. Urplötzlich setzte ein Sturm ein, der den Rasen niederdrückte. Die umstehenden Sträucher bogen sich derart, dass man fürchten musste, ihre Wurzeln würden sie nicht in der Erde halten können. Ein weißer Hubschrauber mit blauen Längsstreifen an den Seiten und einem schmaleren, schwarzen darunter schwebte nur noch wenige Meter über dem Park. Die Alten unten auf dem Spazierweg starrten gebannt in die Luft. Der Kleine mit dem Kugelbauch reckte seinen Stock empor. »Fritzle, was steht da an der Seite?«, schrie er. »Luftwaffe«, brüllte Fritzle begeistert. »Ein Cougar AS-532, gehört zur Flugbe- reitschaft der Luftwaffe.« Der Kleine nickte beeindruckt. »Ob da der Kanzler drinsitzt?« »Nein, der Bäcker. Der bringt frische Brötchen.« Der Kleine lachte schallend und sein Kugelbauch hüpfte auf und nieder. Adler sah noch einmal zu den Alten hinab. Dann machte er kehrt und verschwand aus ihrem Blickfeld. Er marschierte einen Steig entlang, der vom Weg an der Mauer in die Mitte des Parks führt und an einer kreisförmigen, betonierten Fläche von gut acht Metern Durchmesser endet. Der Cougar wendete noch einmal, um dann – mit dem Heck zum Kanzleramt – auf der runden Betonfläche aufzusetzen. »Wollen wir nicht noch einmal zum Tor gehen und gucken?«, fragte der Kleine. »Kannst Du gerne machen«, sagte Fritzle. »Ich verzichte. Der Junge im schwarzen Anzug versteht garantiert keinen Spaß.« »Ach komm, uns hält doch niemand für Attentäter; selbst Dich nicht.« »Du würdest Dich wundern, wie gut ich noch schieße«, sagte Fritzle und nickte heftig mit dem Kopf. »Außerdem ist es bald fünf und wir müssen noch bis zur Friedrichstraße. Bin gespannt, was die Frauen wieder alles eingekauft haben.« »Wie Du meinst«, sagte der Kleine und schloss sich widerwillig seinem Freund an. Sie gingen zur Spree und bogen am Ufer auf eine herrliche Flaniermeile ein. Vor einem hohen, gusseisernen Pfahl blieben sie noch einmal stehen. Der Kleine zeigte mit dem Spazierstock auf das an der Spitze angebrachte, blaue Emailleschild. »Magnus-Hirschfeld-Ufer.« Fritzle blätterte wieder in seinem Stadtführer. »Wissenschaftler«, las er vor. »Hat 1897 die erste Homosexuellenbewegung mit ins Leben gerufen. Das von ihm gegründete Institut für Sexualwissenschaft hatte hier in der Nähe seinen Sitz gehabt. Hirschfeld wollte beweisen, dass Homosexualität angeboren ist. Eine Ansicht, die selbst im liberalen Preußen lange Zeit nur wenige Anhänger gefunden hat.« »Wieso?« »Bis zur Krönung Friedrich II. im Jahr 1740 wurden Schwule auf dem Scheiterhaufen verbrannt.« Fritzle zog die Augenbrauen in die Höhe und die Mundwinkel nach unten, klappte das Büchlein demonstrativ zu und ging – ohne ein weiteres Wort zu sagen – forschen Schrittes von dannen. Der Kleine tippelte hinterher. Im Kanzlerpark hielt Nikolaus Adler so lange Abstand zum Hubschrauber, bis dessen Rotorkopf stillstand. Die schweren Rotorblätter sackten unter ihrer eigenen Last nach unten. Die Tür hinter dem Piloten wurde geöffnet. Ein Mann mit weißblonden Haaren stieg aus. Er öffnete einen großen, schwarzen Regenschirm und nickte. Adler setzte sich in Bewegung. Der Mann trug ebenfalls einen schwarzen Anzug, sah darin aber nicht so elegant aus wie Adler – was dieser mit Genugtuung registrierte. Der Blonde war fast einen Kopf kleiner als Adler, dafür aber kräftiger gebaut. Während Adler zum Landeplatz ging, verließ ein weiterer Mann den Hubschrauber. Sein dunkelblauer Anzug der italienischen Edelmarke ›Brioni‹ war maßgeschneidert. Ihm folgte eine zierliche Frau in einem eleganten, beigefarbenen Kostüm. Er half der Dame beim Aussteigen. Die beiden lachten. »Roman, geben Sie mal her«, sagte der Herr im ›Brioni‹-Anzug zu dem Blonden und nahm ihm den Schirm ab. »Hier mein Schatz, stell Dich drunter.« »Wegen des bisschen Regens«, sagte die Frau, um dann aber doch kichernd unter den Schirm zu kriechen. Der Mann im feinen Zwirn flüsterte ihr etwas ins Ohr. Sie hörte auf zu kichern und schaute ihn verdutzt an. Er redete weiter leise auf sie ein. Schließlich nickte sie, woraufhin er sich an den Blonden wandte. »Roman, bringen Sie bitte meine Gattin in die Wohnung.« Er strich ein paar Wassertropfen vom linken Ärmel seines Anzuges. Der Typ mit den hellen Haaren sah stumm in die Runde. Der ›Brioni‹-Mann langte nach seinem rechten Unterarm und klopfte ihm altväterlich auf die Hand. »Ich habe noch etwas mit Adler zu besprechen und komme gleich nach.« »Jawohl, Herr Bundeskanzler.« Der Blonde wirkte nicht verwundert, was überraschte. Denn als dienstältester Leibwächter von Bundeskanzler Siegfried Wolf war Roman Stahl es nicht gewohnt, dass Wolf Geheimnisse vor ihm hatte. Stahl sah dessen Frau an. Sabine Wolf-Jansen hatte die Arme fest um die schmalen Schultern geschlungen. »Hätten wir vielleicht doch einen Wagen kommen lassen sollen?«, fragte er, nicht wirklich mitfühlend. »Nein, nein, ist schon in Ordnung«, zwitscherte die Kanzlergattin mit fränkischem Akzent. »Ein Spaziergang tut immer gut.« Sabine Wolf-Jansen drückte Stahl den Schirm in die Hand und hakte sich bei ihm ein. Adler trat zu der Gruppe. »Ich hoffe, Sie hatten einen angenehmen Flug.« »Danke der Nachfrage«, sagte der Kanzler heiser. »Gott sei Dank, keine Turbulenzen. Allerdings ließ der Service zu wünschen übrig. Ich musste mein Bier selbst bezahlen.« Siegfried Wolf lachte laut über seinen Scherz und bekam einen Hustenanfall. »Geht’s Dir gut?«, fragte seine Frau besorgt. »Ja, ja«, knurrte der Kanzler. »Nicht, dass Du morgen keine Stimme mehr hast.« »Keine Sorge, eine habe ich auf jeden Fall.« »Hä?« »Na, bei der Wahl morgen – da habe ich auf jeden Fall eine Stimme.« Der Kanzler amüsierte sich wieder über seinen eigenen Witz. Dann schüttelte ihn erneut der Husten. Wolf war in den vergangenen Monaten auf einer kraftraubenden Wahlkampftour durch Deutschland gezogen. Die unzähligen Reden hatten seine Stimme strapaziert. Von den angegriffenen Stimmbändern einmal abgesehen, erfreute sich der 58-Jährige aber einer robusten Konstitution. Und der Erfolg seiner Auftritte hatte ihm zusätzliche Stärke verliehen. Die Regierung lag in den Umfragen wieder gleichauf mit den Herausforderern aus dem bürgerlichen Lager. Noch vor wenigen Wochen hatten alle Meinungsforschungs-Institute das Ende des Kabinetts Wolf prophezeit. Dann aber verheerte eine Flut weite Landstriche im Osten und bot dem Kanzler unverhofft die Chance, sich als nervenstarker Krisenmanager zu präsentieren. Wolfs Popularitätswerte stiegen – auch weil er die Stimmung im Volk richtig einschätzte und den Irakkrieg, den die USA gerade vorbereiteten, ablehnte. Und so stand Deutschland jetzt eine Bundestagswahl bevor, deren Ausgang niemand mehr vorherzusagen wagte. Bis zur ersten Prognose blieben noch knapp vierundzwanzig Stunden. – Aber nicht nur der Urnengang zerrte an Wolfs Nerven. Der Kanzler suchte auch noch eine Antwort auf eine höchst beunruhigende Frage. Diese Antwort sollte Nikolaus Adler liefern. »Gut«, sagte Wolf. »Roman, Sie begleiten schon einmal meine Frau. Nik, sie bleiben noch hier.« »Jawohl, Herr Bundeskanzler«, wiederholte sich Stahl. Adlers Augenbrauen zuckten schwach. Er sah erst den Kanzler an und dann seinen Kollegen. Stahl sagte aber nichts, sondern tat, wie ihm geheißen. Er hielt den Schirm am ausgestreckten Arm über Sabine Wolf-Jansen.Richtig, nur nicht zu nahe kommen, feixte Adler innerlich. Die Frau des Kanzlers prüfte mit flinken Händen den Sitz ihres halblangen, blondierten Haares. Dann zog sie Roman Stahl resolut am Arm und stöckelte fröhlich plappernd durch den Park zum Kanzleramt, das aus zwei fünfgeschossigen Büroflügeln besteht, die parallel zu einem deutlich höheren Kubus verlaufen – der eigentlichen Schaltzentrale der Macht. Das Gebäude galt bereits als eine der neuen Berliner Touristenattraktionen. In die mächtigen, strahlend weißen Seitenwände aus Beton sind riesige Fenster eingelassen. Die offen gestalteten Ost- und Westfassaden werden von breiten Terrassen beherrscht, von denen aus sich ein spektakulärer Blick auf die Stadt bietet. »Sieht schon nicht schlecht aus«, sagte der Kanzler und zeigte hinüber zu seinem Amtssitz am anderen Ufer der Spree. »Da hat der schwarze Riese doch einen gewaltigen Fußabdruck hinterlassen – im übertragenen Sinne.« »Ihr Vorgänger hat auf keinen Fall zu klein planen lassen«, sagte Adler. »Höre ich da wieder diesen leisen Ton der Ironie heraus?« »Bestimmt nicht«, sagte Adler, der rätselte, was der Kanzler von ihm wollte. Wolf aber hielt ihn hin. Er schaute seiner Frau hinterher und gab sich alle Mühe, entspannt zu wirken. Das Paar hatte den Tag daheim in Hannover verbracht und sich dort etwas Ruhe gegönnt. »Was meinen Sie Nik, ist sie zu jung für mich?« »Ich glaube nicht – nach allem, was man über Sie hört.« »Wie bitte?« »Verstehen Sie meine Antwort als einen Versuch, einem heiklen Thema die Brisanz zu nehmen.« »Sie sind ein unverfrorener Mistkerl«, sagte Siegfried Wolf und lachte herzlich. »Aber noch so einen Pedanten wie Stahl würde ich auch nicht ertragen.«Ja, der gute Stahl, dachte Adler, in der DDR wäre er ›Held der sozialistischen Arbeit‹ geworden. Der Kanzler kam auf seine Frau zurück. »Immerhin, neunzehn Jahre Altersunterschied sind ganz schön happig. – Und sagen Sie jetzt nicht, dass es nicht besser wird! Wagen Sie es nicht!« »Natürlich nicht«, sagte Adler doppeldeutig und sah den Kanzler treuherzig an. Eines muss man ihm aber lassen, sinnierte er, um das Kind kümmert er sich wirklich liebevoll. Sabine Wolf-Jansen hatte aus der Liaison mit einem Journalisten eine inzwischen elfjährige Tochter in des Kanzlers vierte Ehe eingebracht. Dieses Wochenende verlebte das Kind bei seinem Vater. Sie wollten die Kleine nicht als Wahlkampfhilfe benutzen. Nachdem Stahl und die Frau des Regierungschefs sich weit genug entfernt hatten, hob auch der Hubschrauber ab, in dem neben dem Piloten noch zwei weitere BKA-Männer saßen. Sie gehörten wie Stahl und Adler zum Referat SG 12, das für den Schutz des Bundeskanzlers zuständig ist. Die Gruppe der Leibwächter umfasst achtzehn Personen, von denen ein Mann dem Kanzler niemals von der Seite wich: Roman Stahl. Deshalb wunderte Nikolaus Adler sich auch, dass der Regierungschef ihn allein sprechen wollte. Siegfried Wolf schaute dem Hubschrauber nach. Der Cougar AS-532 steuerte den Flughafen Tegel im Norden Berlins an, auf dem die Flugbereitschaft über insgesamt drei Helikopter verfügt. Die Maschinen der Flugzeugflotte, mit denen Regierungsleute und Parlamentarier in der Welt herumjetten, sind in Köln-Wahn stationiert. Der Bundeskanzler schob Nikolaus Adler sanft auf den Steig zurück, über den man zum Weg an der Mauer gelangt. »Gehen wir hier entlang«, sagte Wolf. Er strich sich mit der Rechten durch sein immer noch volles, dunkelbraunes Haar, von dem es hieß, es sei gefärbt. Adler kannte die Wahrheit, hütete sich aber, über die Geschichte auch nur ein Wort zu verlieren. »Was glauben Sie, warum ich mit Ihnen allein reden will?«, fuhr Wolf fort. »Ich habe keine Ahnung«, brummte Adler. Wolf musterte seinen Leibwächter. »Nik, seit dem Tag, an dem Sie mir vorgestellt wurden, frage ich mich, ob Sie wirklich cool sind, oder ob das alles nur Show ist.« Adlers Mund ließ den Ansatz eines Schmunzelns erkennen. »Stellen Sie sich vor, Herr Bundeskanzler, Sie sind sieben Jahre alt, heißen Nikolaus und es ist Dezember. – Was Sie sich da auf die Kinder in der Schule freuen.« »Das kann ich mir vorstellen.« Wolf lachte. »Und, wie haben Sie dieses Problem gelöst?« »Auf die gute alte Art.« »Ich bin gespannt!« »Ich habe mir den Kerl rausgesucht, vor dem alle Angst hatten, und habe ihm die Nase blutig gehauen. Von da an hieß ich nur noch Nik, galt als cool und alle Mädchen himmelten mich an.« »Oh ja, ich steh auf die gute alte Art!« Wolf grinste und zielte mit dem rechten Zeigefinger auf Adler. »Aber das Problem, das ich habe, lässt sich auf die gute alte Art leider nicht lösen.« Er wurde ernst. »Dafür braucht es Fingerspitzengefühl und Verschwiegenheit.« Siegfried Wolf blickte seinem Leibwächter prüfend in die Augen. Adler dachte nach. Was, verdammt noch mal, konnte so wichtig sein, dass der Kanzler darüber allein mit ihm reden wollte? Und überhaupt, wieso hatte Wolf ihn ausgesucht? Adler war mit seinen fünfunddreißig Jahren zwar kein Neuling mehr im BKA, arbeitete aber erst seit eineinhalb Jahren für die Sicherungsgruppe. Irgendwie wurde er das Gefühl nicht los, dass Wolf ihn wegen seines früheren Jobs ausgewählt hatte. Sie erreichten jene Stelle an der Mauer, von der aus Adler die beiden Alten beobachtet hatte. Sie waren verschwunden. Der Kanzler hielt inne und zeigte nach Südosten auf die Kongresshalle am gegenüberliegenden Ufer. Das Dach spannt sich zwischen zwei geschwungenen Bögen aus Stahlbeton, die schräg auseinandergeklappt in die Luft ragen. »Ziemlich futuristisch für ein Gebäude aus dem Jahre 1957«, sagte Siegfried Wolf. »Haben die Amis zur internationalen Bauausstellung auf einem künstlichen Hügel errichtet und Westberlin geschenkt. Die Halle sollte als Leuchtturm der Freiheit in das Land hinter dem Eisernen Vorhang strahlen …«Will er sich als Touristenführer bewerben, wenn er die Wahl verliert?, fragte sich Adler im Stillen und machte dabei ein Gesicht von höchstem Interesse. Ihm war klar, dass Wolf seine Geduld testete. »… Allerdings wurde beim Bau geschlampt. Das gleißende Licht der Demokratie erlosch 1980 ganz abrupt. Ausgerechnet während einer Konferenz des ›Rings Deutscher Makler‹ stürzte das Dach ein und tötete – welch bitterböse Ironie – einen Reporter des ›Senders Freies Berlin‹ ...« Adler kannte die Geschichte. Die Halle wurde erst sieben Jahre später wieder aufgebaut. »… Finden Sie, dass die Halle wie eine schwangere Auster aussieht?«, fragte der Kanzler. »Ich habe noch nie einen Berliner getroffen, der das Ding so genannt hat«, sagte Adler. »Das ist wie mit dem Fernsehturm, der angeblich ›Telespargel‹ heißt. Das erfinden doch irgendwelche Journalisten oder Touristenführer, um den staunenden Provinzlern zu beweisen, wie respektlos der Hauptstädter mit der Obrigkeit umgeht.« »Ich kann nicht sagen, dass er sich vor mir auf den Bauch wirft – der Hauptstädter.«Warum sollte er auch?, schoss es Adler durch den Kopf. Wo ihm doch täglich die Pappnasen aus dem Bundestag über den Weg laufen. Siegfried Wolf schaute zum Himmel. Es hatte aufgehört, zu regnen. Der Kanzler griff mit der rechten Hand in sein Jackett und zog aus der linken Innentasche ein sorgfältig gefaltetes A4-Blatt heraus. Er schob seinen ausgeprägten Unterkiefer vor und reckte das Kinn. »Sie sollen der beste Zielfahnder gewesen sein, den das BKA in den letzten Jahren hatte …«, sagte Wolf, wobei er seinem Leibwächter den Rücken zukehrte. Na bitte, dachte Adler, hab ich’s doch geahnt! »… Die Geschichten, die man über Sie erzählt, könnten aus einem Dirty-Harry- Film stammen: Make my day!« »Das sind nur Geschichten.« »So, so – Geschichten.« Wolf drehte sich wieder um. Er faltete das Blatt Papier auseinander und hielt es mit ausgestreckten Armen vor die Augen. Er war zu faul, seine Brille aufzusetzen. »Hier steht, sie hätten vor ihrem Eintritt in die Sicherungsgruppe einige der meistgesuchten Verbrecher aufgespürt – unter anderen den Milliardenbetrüger Jürgen Schneider. Ist das auch nur eine Geschichte?«, fragte Wolf triumphierend. »Nein.« »Das war …«, der Kanzler las nach, »… am 17. Mai ’95 in Miami. – Mein Gott, damals waren Sie noch nicht einmal dreißig.« »Achtundzwanzig, um genau zu sein.« »Phänomenal! Und drei Jahre später waren wieder Sie es, der in Buenos Aires den Reemtsma-Entführer Thomas Drach zu Strecke brachte. Von den dreißig Millionen D-Mark Lösegeld wurde doch nur ein kleiner Teil gefunden.« »1,3 Millionen«, bestätigte Adler. »Haben Sie sich den Rest eingesteckt?«, fragte der Kanzler, schelmisch grinsend. »Kleiner Scherz. – Haben Sie eine Ahnung, wo der Rest versteckt sein könnte?« »Nein.« »Hoffen wir mal, dass die Scheine bis zur Entlassung Drachs für ungültig erklärt werden. Dann kann er mit dem Geld nichts mehr anfangen.« Obwohl Siegfried Wolf der Ruf anhaftete, ein schroffer Mann zu sein – die Presse nannte ihn den ›Basta-Kanzler‹ – konnte er sehr wohl charmant plaudern. »Was ist mit der Geschichte von dem Deutsch-Syrer, der in Köln drei Menschen ermordet hat?« »Ich weiß nicht. Was wird denn erzählt?« »Erzählt! Haha, Sie Witzbold. Sie wissen genau, dass das, was hier auf dem Papier steht, nicht der Fantasie eines Wichtigtuers entsprungen ist. Dieser Deutsch-Syrer flüchtete nach der Tat zu seinen Verwandten nach Damaskus. Nach einem halben Jahr verschwand er von dort – spurlos. Wenige Tage später tauchte er in Köln wieder auf – in Handschellen. Stellen Sie sich vor, der Mann behauptet, er sei entführt worden.« »Solche Geschichten denken sich doch nur Drehbuchschreiber im Drogenrausch aus«, sagte Adler ungerührt. Der Kanzler schürzte die Lippen und grinste vielsagend. »Als ehemaliger Zielfahnder dürfte Ihnen bekannt sein, dass zwischen Deutschland und Syrien kein Auslieferungsabkommen existiert.« »Ja.« »Damit liegt die Schlussfolgerung nahe, dass der Mann nicht auf legalem Weg wieder hierher gekommen ist, sondern tatsächlich entführt wurde.« »Wenn das stimmt, dann möchte ich mir nicht ausmalen, welche internationalen Verwicklungen ein solcher Fall – sollte es ihn denn tatsächlich gegeben haben – verursacht hätte, wäre er öffentlich geworden.« »Sie wissen, dass die Geschichte stimmt«, sagte der Kanzler und ging weiter. Der Weg folgte dem Bogen der Mauer am westlichen Ende des Parks. »Sagen Sie mal Nik, Sie sind doch in der DDR aufgewachsen?« »Ja.« Adler wurde hellhörig. »Nun, Sie wissen ja, dass der Westen eine Schwäche für südamerikanische Diktatoren hatte. Dafür kümmerte sich der Osten um seine kommunistischen Brüder und Schwestern in der ganzen Welt. Da wurden Angolaner zu Traktoristen ausgebildet und Palästinenser zu Terroristen. Und Honecker hatte doch auch ganz gute Beziehungen zum alten Assad in Syrien, nicht wahr?« »Mhm.« Adler dämmerte langsam, worauf der Kanzler hinauswollte. »Und die NVA, die hat Fallschirmjäger für die syrische Armee ausgebildet.« »Ich habe davon gehört.« »Sie müssten es eigentlich wissen. Sie waren Fallschirmjäger. Und soweit ich informiert bin, gab es nur eine solche Einheit bei der NVA. Sind Ihnen denn nie finster dreinblickende Kerle mit schwarzen Schnauzbärten aufgefallen?« Der Kanzler machte auf dem Absatz kehrt und blickte Adler triumphierend an. »Sie sind wirklich gut informiert.« Adler ließ es sich nicht anmerken, aber insgeheim zollte er Wolf Respekt. Der Kanzler erweckte mit seiner polterigen Art gern den Eindruck, er wäre oberflächlich. In Wahrheit jedoch arbeitete er akribisch und bereitete jeden seiner Schachzüge bis ins letzte Detail vor. Alles, was der Kanzler gesagt hatte, stimmte: Adler hatte im Luftsturmregiment 40 gedient. »Vom BND weiß ich, dass Ende der Achtziger Jahre hochrangige Offiziere des syrischen Geheimdienstes in der DDR zum Fallschirmjäger ausgebildet wurden.« Wolf wartete auf die Wirkung seiner Worte. »Was schlussfolgern Sie daraus?«, fragte Adler ruhig. »Dass es von Vorteil ist, wenn man alte Verbindungen pflegt.« Der Kanzler steckte das Papier wieder ein, spitzte den Mund und strich sich mit Daumen und Zeigefinger über die Oberlippe. »Ich will über die Sache in Damaskus gar keine Einzelheiten wissen«, fuhr er mit abwehrender Handbewegung fort. »Aber eins sage ich Ihnen: Sie klingt verdammt aufregend.« »Das aus dem Munde eines Mannes, der nicht gedient hat«, sagte Adler, ohne vorwurfsvoll zu klingen. »Als einziger Sohn eines Kriegsgefallenen war ich von der Wehrpflicht befreit.« »Sie schieben wenigstens keine ideologischen Gründe vor, so wie die Herren ihres Koalitionspartners.« Wolf massierte mit der rechten Hand seinen Unterkiefer. »Was gefällt Ihnen denn nicht an meinem Koalitionspartner?« Adler überlegte eine Sekunde. »Verzeihen Sie meine Ausdrucksweise, Herr Bundeskanzler, aber ich könnte kotzen, dass ausgerechnet diese Pazifisten dafür gestimmt haben, deutsche Soldaten nach Afghanistan zu schicken. – Selbstgerechte Weltverbesserer! Aber sobald Zinksärge zurückkommen, werden DIE die Ersten sein, die Ihnen in den Rücken fallen.« Der Kanzler lächelte milde und nickte. »Ja, das befürchte ich auch. Aber ich möchte mit Ihnen jetzt nicht über unzuverlässige Partner in der Politik diskutieren.«Schade, dachte Adler, der sich nie viel Mühe gab, seine Verachtung für all die mittelmäßigen Schwachköpfe in der Regierung und im Bundestag zu verbergen. Gott, wie sie sich alle mit Wonne in der Suhle der Macht wälzten! Allein schon dieser Außenminister, der mit der Attitüde des Weltenretters Friedenspläne für den Nahen Osten verkündete. Lächerlich! Die Leute dort schlugen sich seit zweitausend Jahren die Schädel ein. – Und dann die Chefin der Öko-Partei. Die wackelte zu jedem ihrer wirren Worte so heftig mit dem Kopf, dass das größte Lästermaul des Landes ätzte, sie sei ein Eichhörnchen auf Ecstasy. Siegfried Wolf legte den Kopf in den Nacken und tippte mit dem rechten Zeigefinger gegen den Mund. »Nik, ich weiß, dass Sie Politiker nicht besonders mögen. – Warum sind Sie dann Personenschützer geworden?« »Glauben Sie, ich war Zielfahnder, weil ich Schwerverbrecher so toll finde? Nein, diese Arbeit können nur die Besten erledigen. Und ich bin stolz darauf, zu den Besten zu gehören. Als Zielfahnder kann ich auch noch wieder arbeiten, wenn ich älter hin. Sie möchten aber bestimmt keinen 55-jährigen Leibwächter haben. Und außerdem ...«, Adler grinste »… wollte ich auch mal ein bisschen vom Glamour abhaben.« »Dann sind ja alle Unklarheiten beseitigt.« Der Bundeskanzler kniff die Augen zu Schlitzen zusammen. »Ich glaube, sie wissen wirklich nicht, weshalb ich allein mit Ihnen sprechen möchte«, sagte er unvermittelt. Adler zog die Mundwinkel nach unten und die Schultern nach oben. Er dachte an die Weibergeschichten, von denen er gehört hatte. Allerdings waren diese Geschichten alt. Und dass sie es waren, hing wohl mit der kleinen blonden Lady zusammen, die an der Seite von Roman Stahl gerade die aus zwei Ebenen bestehende Spree-Brücke erreichte. Die Brücke führt zum nördlichen der beiden Büroflügel. Stahl und die Gattin des Kanzlers liefen auf dem oberen Weg. Über den Unteren gelangen die Fahrzeuge vom Hubschrauberlandeplatz zum Parkgelände an der Nordseite des Kanzleramtes. Stahls weißblondes Haar war auch aus der Entfernung noch gut zu erkennen. Sabine Wolf-Jansen tippelte neben ihm her und ihre Arme zeigten eifrig nach links und rechts. Ja, sie war jung und hübsch genug, um den alten Wolf von anderen Frauen fernzuhalten. – Was also belastete den Kanzler dann? »Nik, ich will, dass Sie eine Ratte fangen«, knurrte Wolf, aus dessen Gesicht jede Spur von Freundlichkeit verschwunden war. Der Bundeskanzler deutete mit ausgestrecktem Arm auf den mächtigen Mittelbau seines Amtssitzes. »Sehen Sie? Irgendwo dort muss sie sich verstecken. Irgendeine miese Drecksau trägt wichtige Dinge nach außen. Und ich meine wirklich wichtige Dinge.« »Können Sie ein Beispiel nennen?«, fragte Adler, der die Brisanz der Worte sofort begriff. Sollte es im engsten Beraterkreis tatsächlich einen Spitzel geben, würde das die Handlungsfreiheit des Kanzlers gefährden. Wolf musste zu seinem Leibwächter aufblicken. Er war zwar von untersetzter Statur, aber nur einen Meter fünfundsiebzig groß. Er kratzte sich am Hinterkopf. »Erinnern Sie sich an die Sache mit den Rußpartikelfiltern? Peugeot baut die Dinger seit drei Jahren in den 607 ein.« »Ja.« »Die werden damit weit nach vorn fahren. Aber den Herrschaften unserer Autoindustrie ist das alles zu teuer. Als ich ihnen diese Woche meine Pläne vorstellen wollte, waren die bereits über alles informiert und hatten eine perfekte Abwehrstrategie ausgearbeitet. Ich stand da, wie ein Idiot.« Adler erinnerte sich gut an das geheime Treffen in Wolfsburg. Eine schöne Pleite für den ›Auto-Kanzler‹. Die Konzernbosse hatten den Mann, der sie unterstützte, wo er nur konnte, eiskalt abblitzen lassen. »Warum gehen Sie davon aus, dass jemand aus dem Kanzleramt geplaudert hat?« »Dieses …« »… Und warum versuchen Sie mir weiszumachen, dass Sie ausgerechnet mir vertrauen?« Der Kanzler drückte das Kreuz durch und holte tief Luft. »Dieses Treffen mit den Auto-Leuten, das war nicht der erste Tiefschlag. Es hatte zuvor schon einen ähnlichen Fall gegeben. Aber das war vor ihrer Zeit bei der Sicherungsgruppe.« »Das beantwortet meine zweite Frage, nicht aber die erste. Wieso sind sie nicht schon bei dem ersten Zwischenfall misstrauisch geworden?« »Ich war neu im Amt. Ich dachte, so viele Menschen – da würde schnell mal etwas durchsickern!« Adler schmunzelte. »Was ist daran so komisch?«, fragte Wolf unwirsch. »So naiv können Sie nicht gewesen sein.« Wolf nahm den Vorwurf hin. Adler redete niemandem zum Munde – nicht einmal dem Kanzler der Bundesrepublik Deutschland. Dies bestärkte Wolf in seiner Meinung, der ehemalige Zielfahnder wäre genau der richtige Mann. Adler hatte zwar seinen eigenen Kopf, war aber ein ehrlicher Kerl. Und das wollte Wolf ausnutzen. Nikolaus Adler verschränkte die Arme vor der Brust. »Haben Sie einen Verdacht, wer hier zwei Herren dient und doppelt kassiert?« »Nein. Ich weiß nur, dass mir eine herbe Enttäuschung bevorsteht.« »Ich werde mich um die Sache kümmern, sobald ich aus dem Urlaub zurück bin.« Siegfried Wolf stutzte. »Stimmt, das hatte ich vergessen. Wie lange werden Sie weg sein?« »Nur eine Woche.« »Das ist akzeptabel.« Adler hatte erwartet, dass Wolf verärgert reagieren würde, denn Geduld zählte nicht zu seinen Tugenden. Stattdessen erlaubte er sich einen Scherz auf eigene Kosten. »Wer weiß, vielleicht bleibt Ihnen diese leidige Angelegenheit ja auch erspart. Vielleicht werde ich ja morgen abgewählt.« Des Kanzlers Lachen klang echt. »Ich würde das bedauern«, sagte Adler. »Sie werden mir doch nicht schmeicheln.« »Nein, aber mir graust vor diesem Mia-san-mia-Gerede.« »Ach so, ich bin das kleinere Übel!« »Nein, Ihr Herausforderer, dieser Bayer, er würde mich wahnsinnig machen. Dieses: ›Jetzt zeig ich Euch mal, wie richtig regiert wird, ihr Amateure!‹ – Darauf kann ich verzichten.« Wolf lachte aus vollem Herzen und piekste mit dem rechten Zeigefinger gegen Adlers Brust. »Ich weiß wirklich nicht, ob ich Ihnen für Ihre Ehrlichkeit dankbar sein, oder ob ich Sie zusammenstauchen soll, weil Sie so unerhört respektlos sind.« »Das müssen Sie entscheiden. Sie sind der Bundeskanzler« »Warum habe ich eine solche Antwort erwartet?« Siegfried Wolf schmunzelte und ging wortlos weiter. Nach wenigen Metern stoppte er. Sie standen jetzt am nördlichen Rand des Kanzlerparks und schauten hinab auf die Ingeborg-Drewitz-Allee, die hier in einer 180-Grad-Kurve zurück zur S-Bahn führt. Zwischen mehreren Autos parkte eine mattschwarze ›KTM‹ LC4, auf der ein Mann in Jeans und schwarzer Lederjacke saß. Er hatte einen schwarzen Integralhelm mit verspiegeltem Visier auf und sah auf den Lenker seiner Maschine; zumindest hatte Adler diesen Eindruck. Der Leibwächter stellte sich zwischen Kanzler und Motorradfahrer. Wolf blickte an Adler vorbei hinab zum Mann auf der Enduro. »Es wäre besser, wenn wir ein paar Meter in den Park hineingingen«, sagte Adler. Eine Windböe wirbelte die Seiten seines Jacketts auseinander. Der schwarze Schlips, den er zu einem weißen Hemd trug, flatterte nach hinten. Unter seiner linken Achsel kam ein hellbraunes Lederhalfter zum Vorschein, in dem eine große, schwarze Pistole steckte. Der Kanzler sah noch einmal hinunter zu dem Motorradfahrer, der jetzt eifrig am Lenker herumfummelte. Adler schaute misstrauisch. Der Kerl versuchte offensichtlich, die Maschine per Startknopf anzuwerfen. Doch der Motor blubberte nur kurz und verstummte dann wieder. Er probierte es noch einmal und noch einmal. – Immer dasselbe Ergebnis. Erst beim vierten Versuch sprang der Motor an. Der Fahrer drehte mehrmals am Gasgriff. Die Maschine erzeugte einen gehörigen Krach. Schließlich legte er den ersten Gang ein und im Anfahren drehte er den Kopf kurz nach rechts, sodass das verspiegelte Visier für einen kurzen Moment zur Parkmauer zeigte. Da aber erreichte die ›KTM‹ auch schon die Spitzkehre und der Fahrer schaute wieder auf die Straße. Trotz des Stollenprofils der Reifen gestattete die Maschine eine beachtliche Schräglage. Kaum war er auf die Gegengerade eingebogen, gab der Fahrer Gas. Das Vorderrad der ›KTM‹ schnellte in die Höhe und das Motorrad rollte einige Meter auf dem Hinterrad. Am S-Bahn-Viadukt, der aus gelben Backsteinen gemauert ist, musste der Fahrer, der ohne Zweifel über einiges Geschick verfügte, aber bereits wieder bremsen. Er verschwand in der Unterführung und es war nicht zu sehen, ob er auf der anderen Seite nach Moabit oder nach Charlottenburg abbog. Dem Lärm nach zu urteilen, fuhr er nach Charlottenburg. Denn der Krach kam eindeutig von links. Endlich ging Siegfried Wolf weiter, aber nicht geradeaus zum Kanzleramt. Er machte noch einmal kehrt und lief wieder zurück zur Südseite des Parks. »Nik, was macht eigentlich IHR Motorrad?« »Wollen Sie mich wieder in Schwierigkeiten bringen?« »Keine Sorge, ich werde Sie Baumann doch nicht zum Fraß vorwerfen.« Der Kanzler hob begütigend die Hand. Hubert Baumann war der Chef der Sicherungsgruppe; ein früherer Elitesoldat der GSG 9. Er hatte am 13. Oktober 1977 an der legendären Befreiung der Lufthansa-Maschine ›Landshut‹ in Mogadischu teilgenommen. Baumann führte auch beim BKA ein strenges Regiment. Er duldete weder Fehler noch Disziplinlosigkeiten. Auf seiner gefürchteten Abschussliste stand der Name Nikolaus Adler ganz oben. Und das war so gekommen: Wenige Wochen nach seiner Aufnahme in die Riege der Personenschützer hatte Adler den Kanzler auf seiner ›Suzuki‹ Hayabusa zum Hubschrauber chauffiert. Siegfried Wolf hatte darauf bestanden, zumindest als Sozius einmal auf dem schnellsten Motorrad der Welt zu sitzen. Hubert Baumann kümmerte das nicht. Er hatte Adlers Karriere als Leibwächter im Grunde genommen schon beendet, als Wolf in letzter Sekunde insistierte. Und so arbeitete Adler gewissermaßen auf Bewährung. Ein weiterer Vorfall und niemand würde ihn vor Baumanns Zorn retten können – auch nicht der Kanzler. Deshalb hatte Adler mit Unbehagen auf die Frage nach dem Motorrad reagiert. Siegfried Wolf stand breitbeinig am Südrand des Kanzlerparks und blickte auf den Tiergarten. Wie ein Leuchtturm ragte die Siegessäule aus dem grünen Meer der Baumkronen heraus. Das Denkmal erinnert an die Einigungskriege gegen Dänemark, Österreich und Frankreich. Wolf zeigte auf die über acht Meter hohe, vergoldete Bronzeskulptur, welche die Siegessäule krönt. »Wissen Sie, warum die Berliner die Viktoria ›Goldelse‹ nennen?«, fragte er Adler und betrachtete wohlwollend das steinerne Zeugnis erfolgreicher deutscher Waffengänge. »Ja, ja, die Berliner und ihre berühmten Spitznamen«, lästerte Adler. »Nein, in diesem Fall ist es keine Erfindung.« »Sondern?« »Die Siegessäule wurde 1873 zum dritten Jahrestag der Schlacht bei Sedan eingeweiht«, referierte Wolf stolz. »Damals gab es die ›Gartenlaube‹, das erste deutsche Massenblatt, in dessen Fortsetzungsgeschichte eine Else vorkam. Den Rest können Sie sich selbst zusammenreimen.« »Sollten Sie die Wahl morgen doch verlieren, könnten Sie jederzeit als Touristenführer anfangen.« »Sie sind unverschämt!«, sagte der Kanzler streng. »Entschuldigen Sie Herr Bundeskanzler.« Wolf prustete. »Reingelegt!« Fröhlich strebte der Kanzler der Spreebrücke zu und Adler musste flott marschieren, um mit ihm Schritt zu halten. Er schaute auf seine Armbanduhr, eine silberne ›Tag Heuer‹, für die er vier Jahre lang gespart hatte: zehn Minuten vor sechs. Um 21:00 Uhr sollte eine Sitzung mit den wichtigsten Leuten aus dem Stab des Regierungschefs beginnen. »Ach Nik, eines muss ich Ihnen noch sagen«, bemerkte Siegfried Wolf beiläufig. »Sollte von der Sache auch nur ein Buchstabe auftauchen – etwa in der ›BILD‹-Zeitung – werde ich alles abstreiten. Dieses Gespräch hier hat nie stattgefunden.« »So stelle ich mir Politik vor.« »Sie werden es noch weit bringen, junger Mann!« Der Kanzler klopfte seinem Leibwächter auf die Schulter. »Machen Sie sich wegen der undichten Stelle keine Sorgen«, sagte Adler. »Ich verspreche Ihnen, ich werde das Loch stopfen.« Wolf winkte ab. »Ein Rat: Geben Sie nie ein Versprechen, wenn Sie sich nicht hundertprozentig sicher sind, dass Sie es auch halten können.« Adler wollte etwas erwidern, wurde aber durch eine beschwichtigende Handbewegung gestoppt. Wenn er geahnt hätte, mit wem er es zu tun bekommen würde, dann hätte er den Rat ernst genommen. Vor allem hätte er sich unverzüglich auf die Suche nach der Ratte begeben und auf den Urlaub verzichtet. Aber so nahm das Verhängnis seinen Lauf.

2. Kapitel

Am spten Nachmittag des folgenden Tages standen Stahl und Adler vor Siegfried Wolfs Dienstwohnung im achten Stock des Kanzleramtes. Wolf und seine Frau waren am Morgen erneut nach Hannover geflogen, um dort vor den Fernsehkameras medienwirksam ihre Stimmen abzugeben. Anschlieend hatten sie sofort die Rckreise angetreten. Jetzt saen sie mit den engsten Mitarbeitern des Kanzlers zusammen und warteten auf das Wahlergebnis. Nikolaus Adler schlenderte den zartgrnen Teppichboden entlang zum Fenster am Ende des Korridors. Er lie die Fingerspitzen der rechten Hand ber die weien Wnde gleiten. Sptter bezeichnen die Farbe der Teppiche als ›Porschegrn‹. Es heit, der Architekt des Gebudes habe in den sechziger Jahren einen Sportwagen in hnlicher Farbe besessen. Tren, Schreibtische, Regale und Schrnke im gesamten Kanzleramt sind aus rot-orange gebeiztem Buchenholz gefertigt. Das Gebude berrascht im Innern mit einer anheimelnden Atmosphre, was sich ber das Wetter nicht sagen lie. Seit Stunden fiel heftiger Regen. Adler trat ans Fenster und starrte die Trostlosigkeit von Himmel an. Monate mit trben Tagen standen bevor.Unfassbar, dachte er, so reizend Berlin im Sommer ist, so unertrglich hsslich ist diese Stadt ab November. Kahle schwarze Bume, zwei Grad und Nieselregen: ein Eldorado fr Selbstmrder! Adler schttelte langsam den Kopf. Er sah auf die Uhr. Gleich vier. Er ging zurck zu Stahl, der in strammer Haltung neben der Tr ausharrte. Wenn ich Dich so stehen sehe, dann fllt mir immer ›Zinnsoldat‹ ein. Ich bin sechsundvierzig, da bewegt man sich nicht mehr so viel. Oh, ist heute der Tag, an dem der Herr seinen jhrlichen Scherz zu machen pflegt? In Stahls Gesicht zeichnete sich der missglckte Versuch eines Lchelns ab. Adler kannten keinen Menschen, der so verschlossen war. Fast alle, die mit ihm zu tun hatten, fanden Stahl unsympathisch abgesehen von SG-Chef Hubert Baumann. , dachte Adler. Aber Stahl hatte sich wie immer im Griff. Bis auf die weien Hemden waren die Leibwchter erneut in Schwarz gekleidet: Anzge, Krawatten, Schuhe alles Schwarz: die personifizierte Abschreckung. Aber whrend Adler trotz seiner militrischen Stoppelfrisur durchaus in der Lage war, freundlich zu gucken, frstelte es einen bei Stahls Anblick. Mit seinen weiblonden, auf Fasson geschnittenen Haaren, den kalten, grauen Augen, den schmalen Lippen und seiner blassen Haut schien er ein Mann zu sein, dem man keine Sekunde den Rcken zudrehen durfte. Doch Adler vertraute ihm bedenkenlos. Nicht weil er lter war, sondern weil er es sich gar nicht leisten konnte, an Stahl zu zweifeln. Denn im Ernstfall wrde sein Leben von ihm abhngen. Eines allerdings strte ihn an dem Kerl. Er war auf eine so penetrante Art und Weise korrekt, dass Adler in manchen Augenblicken glaubte, es nicht mehr ertragen zu knnen. Er hatte Stahl noch niemals bei einer noch so kleinen Nachlssigkeit ertappt. Allein wie er hier schon seit zwei Stunden in Habtachtstellung herumstand: bis oben hin zugeknpft, Hnde an der Hosennaht. Er dagegen lief wieder rum, wie eine Gefechtsschlampe: Kragen offen und der Schlips schlackerte herum. Adler sttzte die Hnde in die Hften. Seine Ellbogen schoben das Jackett nach hinten. Im Lederhalfter unter seiner linken Achsel steckte wieder die groe Pistole. Stahl blickte auf die Waffe. Immer noch die Mark 23? Oh, es spricht, frotzelte Adler und antwortete erst dann auf die Frage. Ja, warum sollte ich eine andere nehmen? Weil Baumann wieder der Hals schwillt, wenn er’s mitbekommt. Du wirst doch etwa nicht petzen? Und auerdem, solange ich Schtzenknig bleibe, gibt’s keinen Grund, die Waffe zu wechseln! Obwohl Adler erst seit achtzehn Monaten zur Sicherungsgruppe gehrte, hatte er schon zweimal ihren Schiewettbewerb gewonnen. Ein prestigetrchtiger Erfolg fr das Referat SG 12, das den Bundeskanzler zu beschtzen hatte. In den zehn Jahren davor hatten immer die Leute vom SG 11 die Trophe errungen. SG 11 das waren die Mnner des Bundesprsidenten. Stahl sah noch immer auf die Pistole. Wie schwer war das Ding doch gleich? Geladen eineinhalb Kilo. Was fr ein Ballermann! Hier, die P12 wiegt dreihundert Gramm weniger. Stahl zog mit der Linken seine Waffe aus dem Halfter, das er unter der rechten Achsel trug. Zufrieden wog er die Waffe in der Hand und steckte sie dann wieder weg. Passt in jede Frauenhandtasche, sagte Adler. Stahl winkte gelassen ab. Eher setzte in den Brgermtern selbststndiges Handeln ein, als dass er auf eine Provokation einging. Da mhte sich selbst Adler vergeblich. Und diese Nervensge htte wahrscheinlich selbst Buddha in den Wahnsinn getrieben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die tatschlich so gut ist, sagte Stahl und deutete auf die Mark 23. Die Amis haben sie doch auch nicht haben wollen. Die sind ja auch bescheuert. Die fordern eine Pistole, die problemlos dreiigtausend Schuss abfeuert mindestens. Normal sind zehntausend. Und das Ding soll auch im Wstensand funktionieren und nachdem es sechsundneunzig Stunden mit Salz besprht worden ist. Und dann wundern sie sich, dass ›Heckler&Koch‹ schwere Artillerie liefert. Die deutsche Firma hat die Mark 23 im Auftrag des ›US Special Operations Command‹ entwickelt, in dem alle Spezialeinheiten des US-Militrs zusammengefasst sind. Das Hauptquartier befindet sich auf der ›MacDill Air Force Base‹ in Florida. Stahl musterte Adlers krftige Hnde. In dessen Pranken sah das Ding gar nicht so gewaltig aus. Nik schaute schon wieder auf seine Uhr. Halb fnf erst, murmelte er leicht gereizt und nestelte an dem Empfnger im Ohr herum. Ob ER es doch noch geschafft hat? Adler deutete mit dem Kopf zur Tr. Wenn nicht, werden wir Bayrisch lernen mssen. Jo mei, mia san mia. In diesem Augenblick ging die Tr auf und eine attraktive Dame erschien. Die Mhe knnen Sie sich sparen, fauchte sie. Einfaches Personal wird auch ohne Qualifikation bernommen. Ist die Lage so aussichtslos?, grinste Adler. Ihre mit Sicherheit, wenn Sie so weitermachen. Treiben Sie es nicht auf die Spitze! Die Frau schnappte nach Luft. Ihre grnen Augen funkelten. Sie trug ein enges, graues Kostm, das ihre sportliche Figur betonte. Der Rock bedeckte nur knapp die Knie und die kurze Jacke war geffnet, sodass die schwarze Seidenbluse zu sehen war, die sich an ihren schlanken Oberkrper schmiegte. Ihr langes Haar fiel in roten Wellen auf die Schultern und bildete einen reizvollen Kontrast zum grauen Kostm , dachte Adler. Dennoch musste er verschmitzt lcheln, als er merkte, dass sein Blick einen Wimpernschlag zu lang auf dem ruhte, was die Bluse eher hervorhob, denn verdeckte. ER mchte, dass Sie uns Gesellschaft leisten, sagte die Frau spitz und lie keinen Zweifel daran, dass sie auf die Gesellschaft der beiden Herren nur allzu gern verzichten wrde vor allem auf die Gesellschaft Adlers. , dachte der Leibwchter und schaute dabei so unschuldig wie ein Baby. Die Frau ging einen Schritt zur Seite und die Mnner betraten die zweihundert Quadratmeter groen Privatrume des Kanzlers. Den Mittelpunkt des Wohnzimmers, dessen Wnde in einem hellen Gelb leuchteten, bildete ein riesiges, cremeweies Ecksofa, dessen Sitzflchen von der Tr abgewandt zu den Fenstern auf der gegenberliegenden Seite ausgerichtet waren. Auf dem Sofa sa Siegfried Wolf zusammen mit zwei Herren, von denen Adler und Stahl nur die Hinterkpfe sahen. Der Kanzler erhob sich und kam rechts um das Sofa herum, das zwei Meter von der Wand entfernt stand und so einen Durchgang zum hinteren Teil des Zimmers offen lie. Die andere Seite, die parallel zur Tr ausgerichtet war, ragte in den Raum hinein, wodurch er in zwei Bereiche geteilt wurde. Wolf hatte sich des Jacketts entledigt und die Hemdrmel hochgekrempelt. Die beiden oberen Knpfe waren geffnet, der rote Schlips baumelte um den Hals. Er trat von links an Stahl heran und fasste dessen rechten Unterarm. Ich wei, dass Sie von Kuschelrunden nichts halten, aber es sieht so aus, als wrde es ein langer Abend werden, sagte Wolf freundlich. Und bevor die Medienmeute ber uns herfllt, sollten wir es uns ein wenig gemtlich machen. Adler blickte zu Stahl. Aus dessen Gesicht war nicht abzulesen, was er von dem Ansinnen hielt. Wie sie wnschen, Herr Bundeskanzler, antwortete Stahl trocken. Mein lieber Roman, wir kennen uns jetzt eine Ewigkeit. Sie wissen, wie sehr ich Ihr distinguiertes Auftreten schtze. Aber manchmal knnen Sie einen rasend machen. Neben Ihnen wirkt selbst ein englischer Butler aufdringlich. Also bitte! Setzen Sie sich zu uns! Vielleicht ist das die letzte Gelegenheit? Obwohl die Anspannung auch ihn lngst gepackt hatte, war Siegfried Wolf davon berzeugt, eine zweite Amtszeit in dem prchtigen Regierungssitz am Spreebogen residieren zu knnen. Er blickte zu der Rothaarigen, die es sich neben dem Sofa in einem braunen Ledersessel bequem gemacht hatte. Sie brachte es fertig, so etwas wie Freundlichkeit in ihrem ebenmigen, aber strengen Gesicht aufblitzen zu lassen. Roman, tun Sie uns den Gefallen, sagte sie mde. Wortlos ging Stahl zum breiten Fenster und nahm dort auf einem Stuhl in der Ecke, gleich neben einer Tr platz. Der Kanzler dankte der Frau mit einem Kopfnicken. Sie hie Silke Urbanski und leitete sein Bro. Die Vierundvierzig sah man ihr nicht an. Adler hatte sie bei ihrem ersten Zusammentreffen auf Anfang dreiig geschtzt. Siegfried Wolf zeigte in die linke Ecke neben dem Fenster. Nik, dort steht noch ein Stuhl. Nehmen Sie den! Adler holte den Stuhl und stellte ihn neben den Ledersessel, sodass er zwischen Stahl und der Broleiterin sa und alle Personen im Blick hatte. Er sah zu den beiden anderen Mnnern auf dem Sofa hinber. Da war zum einen Kanzleramtsminister Friedwart Weingarten, ein dicker Kerl mit Schweinsugelein, der einen gemtlichen Eindruck machte. Aber das tuschte. Der ›Harvard‹-Absolvent fhrte das Amt mit harter Hand und bestimmte den Spielplan des Politikstadels. Der Kanzler war das Herz der Regierung, Weingarten ihr Hirn. Neben dem feisten Amtschef, der langsam in eine horizontale Position rutschte, verharrte kerzengerade Franz Moldenhauer, der Chef der Bundestagsfraktion. Im Gegensatz zu Weingarten war Moldenhauer ein Asket. Die tiefen Falten und die penibel nach hinten gekmmten Haare verliehen auch ihm den Habitus eines Zuchtmeisters, wie er der Fraktion schon einmal vorgestanden hatte. Der ehemalige Maschinenbauer hatte das Abitur an der Volkshochschule nachgeholt und sich nach oben geschuftet. Er stand in dem Ruf, ein Traditionalist zu sein. Doch im Gegensatz zur Mehrheit der Genossen hatte Moldenhauer erkannt, dass die Sozialdemokraten mit ihrer Politik der staatlichen Rundumversorgung in Zeiten der Globalisierung keine Zukunft haben wrden. Franz, wie auch immer das heute ausgeht, ich muss Dir meinen Respekt aussprechen, sagte Weingarten. Er griff nach einer Flasche ›Tannenzpfle‹, die vor ihm auf einem Couchtisch aus dunklem Edelholz stand, prostete Franz zu und genehmigte sich einen Schluck. Wofr denn?, fragte Moldenhauer schroff. Dafr, dass Du am Ruder aushalten willst, wenn wir den Tanker ›Deutschland AG‹ auf Reformkurs einschwenken lassen. Schweren Herzens, mein Lieber, schweren Herzens. Moldenhauer ein passionierter Lufer trank Wasser aus einem Glas. Manchmal denke ich, es wre besser, wir wrden die Wahl verlieren. Sollen sich doch die anderen verprgeln lassen. Du weit doch, was Noske gesagt hat. Einer muss den Bluthund machen, knurrte Moldenhauer leise. Weingarten starrte stumm vor sich hin und es war nicht zu erkennen, was er bei diesen historischen Worten empfand. Na herzlichen Glckwunsch!, echauffierte sich Moldenhauer auf einmal, Du hast mir also tatschlich Noskes Rolle zugedacht! Mein Gott, ich sehe mich schon als denjenigen, der auf Arbeiter schieen lsst. So schlimm wird’s ja wohl nicht werden. Du hast gut reden. Du inszenierst das zwar alles hinter den Kulissen, aber Dich kennt auch keiner. Du musst Dich nicht vor der Fraktion rechtfertigen. Dabei gehre ich gar nicht zur Regierung. Moldenhauer argumentierte scheinheilig. Er war zwar kein Kabinettsmitglied, aber ohne ihn konnte der Kanzler nicht regieren. Nur Moldenhauer verfgte ber die Autoritt, die ntig war, um die renitenten Genossen im Zaum zu halten. Nikolaus Adler beobachtete unauffllig die Szenerie und dachte an das Gesprch am Tag zuvor im Kanzlerpark. Wolf hatte ihn bewusst vor der Wahl ins Vertrauen gezogen. Mit dem Wissen um einen heimlichen Informanten wrde er das Verhalten der hier Versammelten genau analysieren. Wer bleibt gelassen? Wer verhlt sich merkwrdig? Adler ging die Reihe der Verdchtigen durch. Weingarten war eine intrigante Sau, der er alles zutraute. Der fette Sack hatte fr den Fall einer Niederlage mit Sicherheit einen Plan B in der Schublade. Sollte nach der Wahl eine Groe Koalition gebildet werden mssen, sahen die Medien ihn als den kommenden Mann der Genossen. Da der Chef des Kanzleramtes in seiner Partei keinen Rckhalt hatte und in der ffentlichkeit ebenso bekannt war, wie die Frauenbeauftragte der mongolischen Regierung, wrde die Gegenseite Weingarten als Partner in einer Groen Koalition sicherlich akzeptieren auf jeden Fall eher als Moldenhauer, den die neoliberalen Krfte im anderen Lager als Hindernis betrachteten. Allerdings wrde an Moldenhauer kein Weg vorbeifhren, sollte der Kanzler tatschlich scheitern. Er wre dann die unumstrittene Nummer Eins der Sozis auch fr einen selbstlosen Parteisoldaten eine nicht unangenehme Vorstellung. Insofern traute Adler auch dem ehrlichen Franz nicht ber den Weg. Zumal der das Wohl seiner Partei schon immer ber das einzelner Personen gestellt hatte. Das hatten selbst langjhrige Weggefhrten schmerzlich erfahren mssen. Blieb noch Silke Urbanski. Aber aus welchem Grund sollte die attraktive Broleiterin fr den Feind arbeiten? Whrend Nikolaus Adler ber eine Antwort auf diese Frage nachdachte, ffnete sich die Tr neben Roman Stahl. Lchelnd erschien Sabine Wolf-Jansen mit einem Tablett voller Wurstbrote. berrascht schaute sie die Leibwchter an. Ich bringe gleich noch ein paar mehr, sagte sie, stellte das Tablett auf dem Couchtisch ab und ging zurck. Und bitte, rief der Kanzler, ho mer ma ne Flasche Bier! Seine Gattin drehte sich um, rollte mit den Augen und wollte widersprechen. Als sie aber sah, wie angespannt ihr Mann war, verschwand sie nickend. Adler sah ihr unauffllig hinterher. Sie trug eine weie, taillierte Bluse und eine schwarze Hose mit weitem Schlag. , dachte Adler. Im Vergleich zu den Frauen der meisten anderen Regierungschefs sah sie apart aus. Der Kanzler hatte sie vor sechs Jahren whrend einer Reise nach Moskau kennengelernt. Wolf war noch Ministerprsident und sie berichtete fr die ›Sddeutsche Zeitung‹ ber seinen Russlandbesuch. Fnf Wochen nach der Rckkehr trennte sich Wolf von seiner dritten Gattin und heiratete wenig spter die junge Journalistin Sabine Jansen. Adler dachte an seine Frau. Wunderbar, schon morgen wrde er mit Bianca nach Ibiza fliegen. Endlich wrde er Zeit fr sie und seine Tochter haben. Katarina war schon drei. In den letzten Monaten hatten er und Bianca sich immer hufiger gestritten, weil er so selten zu Hause war. Adlers Gedanken schweiften ab. Bianca, wie schn sie war! Pltzlich machte es in seinem Kopf ›KLICK!‹. Natrlich! Silke Urbanski hatte bereits fr Wolf gearbeitet, als der noch Ministerprsident in Hannover war. Sie drfte also bei der Russlandreise dabei gewesen sein. Adler konnte sich ausmalen, wie die intelligente und hbsche Broleiterin auf eine Frau wie Sabine Jansen reagiert haben drfte. , lachte er in sich hinein. Sollte Silke Urbanski die Chance fr eine spte Rache genutzt haben? Adler wollte das auf keinen Fall ausschlieen.

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