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Eine Stadt mit den vielen Gesichtern.
Eine dunkle Vergangenheit.
Eine gespenstische Entdeckung.
Kristina und ihr Bruder Jan sind sich sicher: In Venedig ist nicht alles, wie es scheint! Im Palazzo ihrer Familie häufen sich mysteriöse Vorfälle, und ein geisterhafter Dieb hält die Geschwister in Atem. Gemeinsam versuchen sie, ihm auf die Spur zu kommen. Dabei stoßen sie nicht nur auf eine unheimliche Gondel, sondern auch auf ein Familiengeheimnis. Doch können sie das Rätsel lösen, bevor das Unheil aus alten Zeiten über sie hereinbricht?
Betörend, atemberaubend und voll funkelnder Fantasie: Das Mystery-Abenteuer von Leserliebling Nina Blazon im neuen Gewand
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Seitenzahl: 361
Nina Blazon
Der Fluch der schwarzen Gondel
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Neuausgabe 2024
© 2012 cbj Kinder- und Jugendbuchverlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München
Alle Rechte vorbehalten
Text: © Nina Blazon 2012
Umschlagillustration und -gestaltung: Melanie Korte
Vignetten: Melanie Korte
ah · Herstellung: UK
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
ISBN 978-3-641-32494-0V001
www.cbj-verlag.de
Der Dunkle
Der rote Palazzo
Fenstergespenster
Böses Erwachen
Das dreizehnte Zimmer
Feuerwerk
Schwarze Spaghetti
Sara
Campo San Polo
Der Palast des Dogen
Der Fluch der toten Tage
Calegheri
Silber und Glas
Das Auge des Makaro
Pezzis Palazzo
Aquanengesang
Violettas Spuren
Die dreizehnte Stunde
Haus aus Gold
Theriak
Schlangensonne
Fortunatos Fische
Ende des Schreckens
Makaro
Reich der Spiegelwesen
Schwarze Wasser
Laqua
Glasaffen
Fischer und Prinzen
Maskenball
Die Stunde der Aquana
Epilog
Ein Nachwort
HUNDERTE VON JAHREN hatte er auf dem Grund des Wassers gewartet, eingesponnen in die Strömung und die treibenden Algen. Doch jetzt erwachte er. Wasser verwirbelte, als er mit seiner Gondel nach oben stieg und die Oberfläche durchstieß. Bäche strömten aus den Lecks seines morschen Bootes, aber trotzdem schwamm das magische Gefährt. Der Dunkle stand auf, streckte sich, knochige Finger knackten. Dann griff er nach dem langen Stab, Riemen genannt, mit dem das Boot gerudert wurde. Regen fegte ihm ins Gesicht. Der Sturmwind ließ seinen langen, zerlumpten Mantel flattern.
Er wandte den Kopf und betrachtete ein schlankes, hohes Gebäude am Ufer des Canal Grande. Es war rot gestrichen und hatte hohe schmale Bogenfenster. In früheren Jahrhunderten war das Gebäude ein prächtiger Palast gewesen. Könige waren darin zu Gast gewesen. Prinzessinnen hatten auf den Marmorböden lachend ihre Schuhe durchgetanzt.
Heute prangte über der Eingangstür der Schriftzug Hotel Dandolo. Die meisten Fenster waren dunkel, nur im dritten Stock schimmerte Licht. Hinter violetten Vorhängen flackerte so etwas wie Kerzenschein. Und jetzt sah der Dunkle auch einen Schatten hinter der Gardine. Eine Frau trat ans Fenster und zog den Vorhang auf. Im Gegenlicht war nur ihr Umriss zu sehen: wilde, kinnlange Locken, ein schlanker Hals, eine zierliche, aber kräftige Gestalt.
Der Dunkle lächelte boshaft. Er spürte es genau: Das war , auf die er Hunderte von Jahren ungeduldig gewartet hatte und deren Ankunft ihn nun aus seinem Schlaf erweckt hatte. Sie würde ihm nicht entkommen. Er musste seine Diener zusammenrufen, dann würde die Stadt bald ihm allein gehören. Endlich. Das heisere Gelächter, das er nun ausstieß, kräuselte das Wasser, als würde der Canal Grande eine Gänsehaut bekommen.
»SARA! KOMM ENDLICH vom Fenster weg und setz dich zu uns an den Tisch«, sagte Nonna streng.
Sara zögerte zwar, aber schließlich gehorchte sie ihrer Großmutter. Das war wirklich erstaunlich, fand Kristina. Normalerweise ließ ihre Tante Sara sich von niemandem etwas sagen. Aber wenn die Großmutter – »Nonna«, wie sie auf Italienisch hieß – etwas befahl, dann traute sich offenbar niemand zu widersprechen.
»Ich wollte nur sehen, ob die Fenster fest verschlossen sind«, murmelte Tante Sara und setzte sich wieder an den Tisch. »Bei dem Sturm muss man ja Angst haben, dass die Scheiben davonfliegen.«
Das stimmte. An diesem Winterabend schneite es nicht in Venedig, es gewitterte und stürmte, dass die Fensterscheiben nur so zitterten. Und auch sonst war es das gruseligste Weihnachten aller Zeiten. Das Hotel Dandolo war bis zum Januar geschlossen. Die zwölf Gästezimmer standen also leer, was den alten Palazzo wie ein Spukhaus wirken ließ. Sara hatte sich zwar alle Mühe gegeben, Nonnas Wohnzimmer im dritten Stock in aller Eile festlich herzurichten, aber hier nützte auch kein Weihnachtsschmuck.
»Es sieht trotzdem aus wie in Draculas Gruft«, hatte Jan Kristina heimlich zugeflüstert. Und ausnahmsweise war Kristina mit ihrem jüngeren Bruder einer Meinung. In dem alten Gemäuer zog es, dass die Kerzenflammen flackerten und die lila Vorhänge sich leicht bewegten. Nonna hatte jeden einzelnen Fenstergriff im Hotel mit Silberkordeln umwickelt, an denen Glasperlen aufgefädelt waren. Die losen Enden dieser Kordeln schwangen in der Zugluft sacht hin und her, als würden Geisterkatzen vorsichtig mit ihnen spielen. Im Hintergrund schmetterte ein altes Radio italienische Schlager und neben dem Tisch erhob sich ein giftgrüner Weihnachtsbaum aus Plastik. Die Lichterkette, die ihn umschlang, erinnerte an eine leuchtende Schlange, die den armen Plastikbaum erwürgen wollte. Sie hatte einen Wackelkontakt und flackerte, und das machte jedes Mal: dzzzzd, dzzzd, dzzzd.
»Na dann, Buon Natale«, sagte Nonna und hob ihr Glas. Es klang genauso fröhlich, als würde sie einer Beerdigung beiwohnen.
»Frohe Weihnachten«, antworteten Sara, Jan und Kristina brav wie aus einem Mund. Sara bemühte sich sogar um ein Lächeln, was ihr nicht gut gelang. Kristina wusste nicht, was los war, aber Tante Sara war schon seit ihrem Wiedersehen vor zwei Tagen blass und niedergeschlagen. Auch jetzt waren ihre Augen gerötet und ein wenig verschwollen, als hätte sie heimlich geweint.
Kristina nahm einen Schluck von dem Orangensaft und beobachtete über den Rand ihres Glases, wie ihre Urgroßmutter an dem Wein nippte. Mit ihrer spitzen Nase, dem dünnen Hals und ihren flinken Bewegungen erinnerte die kleine alte Dame ein bisschen an einen Vogel. Dazu passten auch das violette Strickkleid und der fedrig-flauschige Schal – ebenfalls lila. Sogar die weißen Haare hatten einen fliederfarbenen Schimmer. Sie sah genauso aus wie auf den Fotos im Familienalbum zu Hause.
Sara dagegen sah sich heute gar nicht ähnlich. Kristina und Jan hatten ihre Tante in den letzten sechs Jahren, seit sie bei ihnen ausgezogen war, meist nur noch auf Fotos gesehen, die sie aus allen Ecken der Welt schickte. Auf den Fotos trug Sara stets einen orangefarbenen Overall und eine Schwimmweste. Mit zerzaustem Haar, einem breiten Lächeln und kämpferisch funkelnden Augen saß sie in irgendeinem Schlauchboot, um die Wale zu retten. Und wenn sie nicht mit Greenpeace unterwegs war, sondern auf Stippvisite bei ihrem großen Bruder Flavio – Kristinas Vater –, sah man sie nur in Jeans, Sneakers und zu großen Schlabberpullis. Für etwas anderes hatte sie ohnehin keinen Platz, sie besaß in ihrer WG in Berlin keinen Kleiderschrank, sondern nur einen großen Koffer. Kristina kam sie gar nicht vor wie eine Tante – eher wie eine ältere Schwester. Und das lag nicht nur daran, dass Sara erst zweiundzwanzig war. Schließlich hatte Sara seit dem Unfalltod ihrer Eltern vor zwölf Jahren bei ihrem erwachsenen Bruder in Deutschland gelebt, bis sie dann noch sehr jung dort ausgezogen war. Zu diesem Zeitpunkt waren Kristina fünf und ihr Bruder Jan drei Jahre alt gewesen.
Aber heute Abend sah ihre junge Tante ausnahmsweise einmal richtig erwachsen aus. Sie trug eine goldbraune Seidenbluse zu einem feinen Samtrock und hatte sogar versucht, ihre störrischen dunklen Locken zu einer hübschen Frisur zu kämmen. Eine Silberspange, die Nonna ihr geschenkt hatte, hielt ihr eine Locke aus der Stirn. Nonna hatte darauf bestanden, dass sie alle am Festabend »anständig aussahen«. Für Kristina hatte sie deshalb aus irgendeinem Schrank ein altmodisches lila Kleid mit einem weißen Spitzenkragen und einer Silberbrosche hervorgezerrt. Es war ein bisschen zu groß, und es roch nach Lavendel, aber es war immer noch besser als Jans Verkleidung.
Nonna setzte ihr Glas hart auf dem Tisch auf. »Ach ja, Sara, wann, sagtest du doch gleich, reist du mit den beiden wieder zurück nach Deutschland?«
Jan hätte sich fast an seinem Orangensaft verschluckt.
»Wir sind nicht taub«, meldete Kristina sich zu Wort. »Außerdem verstehen wir ganz gut Italienisch. Papa hat es uns beigebracht. Und wir haben es uns nicht ausgesucht, über Weihnachten herzukommen.«
»Genau!«, ereiferte sich Jan trotzig. »Das war ganz allein Tante Saras Idee. Von mir aus können wir gleich wieder zurückfahren. Und es ist fies, dass ich hier nicht Skateboard fahren darf!«
Nonna sah die Geschwister so verwundert an, als wären sie zwei Hauskatzen, die überraschenderweise zu sprechen begonnen hatten.
»So, so, aha«, sagte sie mürrisch. »Na, von ordentlichem Italienisch seid ihr aber noch ein gutes Stück entfernt.« Und, an Sara gewandt, fügte sie hinzu: »Was denkst du dir eigentlich? Jahrelang weigerst du dich, nach Venedig zu kommen und jetzt platzt du hier aus heiterem Himmel mit zwei Kindern rein. Noch dazu wie ein Überfallkommando am Weihnachtstag.«
»Wir fahren zurück, sobald in Flavios Wohnung der Wasserrohrbruch repariert ist und die Böden wieder trocken sind«, antwortete Sara. »In ein oder zwei Wochen.«
»Ein oder zwei Wochen?«, rief Nonna entsetzt aus. »Warum hast du sie nicht zu dir nach Berlin mitgenommen?«
Sara zuckte zusammen und schluckte. »Weil das in der WG eben nicht ging«, murmelte sie.
»So, so«, schnappte Nonna. »Und was ist mit den Verwandten ihrer Mutter? Haben die kein Herz für Halbwaisen?«
Kristina starrte Nonna nur fassungslos an. Ihre Mutter war bei Jans Geburt gestorben. Neun Jahre war das nun her. Aber trotzdem traf das Wort Halbwaise sie immer noch wie ein Schlag. Wie konnte ihre Urgroßmutter nur so gemein sein? Andererseits war die alte Frau offenbar einfach herzlos: Als Sara mit elf Jahren zur Waise geworden war, hatte Nonna sie nicht zu sich genommen, sondern sie schlichtweg zu deren erwachsenem Bruder Flavio – Jans und Kristinas Vater – nach Deutschland abgeschoben.
Jetzt bekam auch Tante Sara rote Flecken auf den Wangen. Ein sicheres Zeichen, dass sie wütend wurde.
»Die Verwandtschaft ihrer Mutter lebt nun mal sehr weit weg in Schweden«, erklärte sie mit mühsamer Beherrschung. »Wir hätten fliegen müssen und Kristina hat Höhenangst. Außerdem haben sie die Kinder seit Jahren nicht gesehen.«
»Aber ich, was?«, grummelte Nonna. »Und warum sind sie nicht bei ihrem Vater?«
Sara schnaubte. »Das habe ich dir doch schon erklärt. Flavio ist bis Mitte Februar auf Geschäftsreise in Afrika. Es ist ein sehr wichtiger Auftrag, er konnte die beiden nicht mitnehmen. Und bis er zurückkommt, kümmere ich mich um sie.« Sie seufzte, als wäre das eine Strafe. Was es für sie vermutlich auch war. Aber als ihr Bruder, der immer für sie da gewesen war, sie gebeten hatte, sich um ihre Nichte und ihren Neffen zu kümmern, hatte sie nicht Nein sagen können. »Und außerdem«, setzte Sara spitz hinzu, »du bist die Urgroßmutter der Kinder. Andere Nonnas würden sich freuen, ihre Familie endlich einmal an Weihnachten um sich zu haben!«
Nonna verzog den Mund, als hätte sie Zahnschmerzen, aber sie sagte nichts mehr. Sara hatte gewonnen. Aus dem Augenwinkel konnte Kristina erkennen, dass Jan schief grinste. Aber sie traute sich immer noch nicht, ihren Bruder direkt anzuschauen. Sonst, das wusste sie ganz sicher, würde sie trotz allem losplatzen und nicht mehr aufhören zu lachen. Und Sara hatte ihnen eingeschärft, ihre bärbeißige Urgroßmutter nicht durch Herumgetobe oder lautes Gelächter noch mehr zu reizen.
Es blitzte. Die unzähligen alten Spiegel in dem Raum wurden für einen Augenblick ganz hell, als wären es riesige, zwinkernde Augen. Dann gab es einen so lauten Donnerschlag, dass Kristina beinahe das Glas aus der Hand gefallen wäre. Fensterscheiben zitterten.
Selbst ihre unerschütterliche Urgroßmutter schaute besorgt zum Fenster, als würde sie irgendetwas Schlimmes befürchten. Dort wo Kristina saß, konnte sie in einem ovalen Silberspiegel das hohe Bogenfenster sehen, an dem Sara eben noch gestanden hatte. Da war nichts Ungewöhnliches. Nur der Regen klatschte gegen die Scheiben und die Perlenkordel schaukelte hin und her.
Alle zuckten zusammen, als noch ein Donnerschlag ertönte – doch diesmal kam er aus dem Hotel. Eine Tür war mit lautem Knall zugefallen. Und jetzt hörte man schlurfende, schwere Schritte und ein seltsam dumpfes Ächzen. Kristina schluckte. Jetzt bekam sie doch Herzklopfen. Jan duckte sich sofort unter den Tisch. Seit ihrer Ankunft behauptete er steif und fest, dass es in dem Hotel Gespenster gäbe, die in den Ecken flüsterten. Kristina glaubte nicht an so etwas, aber plötzlich war sie sich nicht mehr so sicher.
Die Klinke wurde heruntergedrückt und schnappte wieder nach oben, dann rumste es, als würde jemand mit einer Schuhspitze gegen Holz treten. »Tür auf, Cecilia!«, brummte eine tiefe, freundliche Stimme. »Oder willst du, dass dein Besuch an Weihnachten verhungert?«
Etwas Erstaunliches geschah: Nonnas finstere Miene hellte sich auf. »Oh, er ist schon hier«, rief sie und gab Kristina einen Wink. »Na los, Mädchen, lass ihn rein!«
Das ließ sich Kristina nicht zweimal sagen. Sie rannte zu der schweren Flügeltür, riss sie auf – und sah sich einem Riesen gegenüber, der eine große Plastikkiste in den Händen hielt. Darauf prangte das Logo eines Restaurants: eine Meerjungfrau, die Messer und Gabel in den Händen hatte, und dazu die Aufschrift La Sirena Affamata – Zur hungrigen Meerjungfrau. Als der Mann eintrat, tropfte das Wasser von seiner Regenjacke auf den Boden.
»Brrr! Was für ein Hundewetter«, rief er und schüttelte sich. Tropfen spritzten nach allen Seiten, dann rutschte die Kapuze der Regenjacke in seinen Nacken. Zum Vorschein kam ein rundes, gutmütiges Gesicht mit wasserblauen Augen. Graues Haar stand wirr vom Kopf ab. »Hallo, du musst Kristina sein!«, sagte der alte Mann. Kristina konnte gar nicht anders, als ihn anzulächeln, so nett wirkte er. »Na, du siehst deinem Vater aber ähnlich«, staunte der Fremde. »Als Flavio in deinem Alter war, ist er nachmittags gerne in meine kleine osteria gekommen und hat dort Kellner gespielt. Du hast dasselbe dunkle Haar und seine braunen Augen, eine richtige Venezianerin!« Mit diesen Worten stellte er die Kiste auf den Boden. »Und wo ist meine kleine Sara?«
»Cesare!« Sara rannte herbei und umarmte den Alten, ohne darauf zu achten, dass sie dabei nass wurde.
»Oh, aber klein bist du ja nun wirklich nicht mehr«, lachte Cesare. »Wie die Zeit verflogen ist. Ich sehe dich noch vor mir, wie du als Kind den Sohn des Bürgermeisters in den Kanal geschubst hast, weil er einen Stein nach einer Katze geworfen hatte. Seitdem haben dich die Leute la paladina dei gatti – die Katzenbeschützerin – genannt.«
Sara schmunzelte. »Das ist lange her.«
»Mir kommt es vor wie gestern«, antwortete Cesare und zwinkerte ihr zu. Dann holte er Schüsseln voller Essen aus der Kiste und rief munter: »So, ich habe Leckereien mitgebracht. Ich hoffe, ihr habt Hunger!«
KURZE ZEIT SPÄTER SASSEN SIE ALLE vor vollen Tellern, auf denen sich gegrillte Mini-Calamari mit Knoblauchsoße und frittierte Stockfischbällchen türmten. Es war seltsam, aber mit Cesares Ankunft schien es im Salon wärmer und heimeliger geworden zu sein. Jan war unter dem Tisch hervorgekommen und selbst Nonna hatte bessere Laune und lächelte sogar einmal. Cesare plauderte mit Sara über alte Zeiten. Offenbar war er früher Koch im Hotel gewesen, bevor er sein eigenes kleines Restaurant aufgemacht hatte, das mittlerweile seine Tochter führte.
Kristina konnte es sich jetzt doch nicht verkneifen, zu ihrem kleinen Bruder hinüberzuschauen. Sofort musste sie sich tief über den Teller beugen, um nicht die Beherrschung zu verlieren: Sonst hatte Jan immer eine Strubbelfrisur wie ein Räuber und trug am liebsten seinen alten Fußballpulli und Hosen mit Grasflecken. Aber heute sah er aus wie der kleine Lord. Nonna hatte sein blondes Haar streng gescheitelt und mit Gel glatt an den Kopf geklatscht. Außerdem hatte sie ihm einen dunkelblauen Matrosenanzug verpasst, der aussah wie aus der Mottenkiste gezogen. Die Silberknöpfe waren schon dunkel angelaufen. Aber das Lustigste war Jans Gesicht: Seine Wangen leuchteten immer noch quietschrosa vom Lippenstift, den er sich heute mindestens zehnmal unwillig mit dem Handrücken abgewischt und damit verschmiert hatte. Die Nachricht vom Besuch aus Deutschland hatte sich im Viertel natürlich sofort herumgesprochen. Alle Freundinnen von Nonna waren am Nachmittag zu Besuch gekommen, um die Kinder zu sehen. Und alle hatten sich natürlich auf den blonden Jan gestürzt, ihn abgeknutscht und begeistert »Che dolce angelo!« – was für ein süßer Engel! – ausgerufen. Kristina biss sich auf die Unterlippe. Ihr Zwerchfell hüpfte schon, und ihr Kopf lief knallrot an, so schwer war es, nicht loszulachen. Ein Glucksen steckte tief in ihrer Kehle und hörte sich an wie Schluckauf. Jan warf ihr einen misstrauischen Blick zu.
Kristina wusste, dass ihr Bruder ohnehin schon schlecht gelaunt war, aber jetzt konnte sie einfach nicht anders: Sie spitzte die Lippen zum Kuss und klimperte mit den Wimpern wie eine von Nonnas Nachbarinnen. Ihr Bruder lief vor Wut natürlich sofort tomatenrot an.
»Was ist los, Kristina?«, fragte Tante Sara. »Hast du was im Auge?«
»Nein«, presste Kristina mühsam beherrscht hervor. »Ich dachte nur, ich hätte hier irgendwo einen kleinen süßen Engel gesehen.«
Wie immer wurde Jan nicht einfach nur wütend, nein, Jan explodierte. »Du siehst mit deinem affigen Kleid noch viel blöder aus!«, brüllte er. »Wie Draculas Barbie!«
Sein Stuhl fiel um, so stürmisch sprang er auf. Ein Glas kippte, Orangensaft schwappte auf die Tischdecke.
»Madonna!«, schrie Nonna auf.
Aber da hatte Jan sich schon ein Stück Tintenfisch geschnappt und nach seiner Schwester geworfen. Knoblauchsoße spritzte und verfing sich in Kristinas Wimpern.
»Kinder, Schluss jetzt!«, rief Sara. Doch Kristina musste jetzt erst recht lachen. Mit einem Mal machte sich die ganze Spannung der letzten Tage Luft. Lachtränen schossen ihr in die Augen. Und damit steckte sie auch Jan an. Eben noch war er stinksauer gewesen, aber nun deutete er auf ihren Tintenfischbart und prustete los. Es herrschte ein heilloses Durcheinander. Nonna schimpfte, Sara regte sich auf, das Radio dudelte, und Cesare fuchtelte mit der Serviette, um den verschütteten Saft aufzutupfen. Und zu allem Überfluss blitzte und donnerte es zur gleichen Zeit. Dzzzz, machte die Lichterkette, dann erlosch sie. Und auch das Radio verstummte mit einem Schlag. Im Zimmer war es dunkel geworden.
»Auch das noch!«, stöhnte Sara. »Stromausfall.«
Kristina blinzelte und sah, dass nur noch die Kerze auf dem Tisch brannte. Sara war schon aufgesprungen und lief zu einer Kommode. Hastig kramte sie eine Taschenlampe aus der Schublade und eilte zur Tür. »Bleibt am Tisch, ich kümmere mich um die Sicherung!«, rief sie über die Schulter zurück.
Kristinas Zwerchfell hüpfte immer noch, das Kichern wollte nicht aufhören. Im Spiegel sah sie sich selbst: ein elfjähriges Mädchen mit schulterlangem, glattem Haar und soßenverschmiertem Kinn, breit grinsend. Aber dann blieb ihr das Lachen mit einem Mal im Hals stecken. Hinter ihr fauchte der Wind den Sturmregen gegen die Scheiben. Aber da war noch etwas zu sehen. Eine Gestalt am Fenster! Und sie starrte in den Raum. Im Kerzenlicht konnte Kristina nur ein patschnasses blasses Gesicht erahnen, verstrubbeltes schwarzes Haar und ebenso schwarze Augen.
Kristina schrie auf und wirbelte auf dem Stuhl zum Fenster herum. Das Ding war immer noch da. Und jetzt erhellte wieder ein Blitz das Zimmer. Für eine Sekunde sah sie das Wesen ganz genau. Es war ein Kind! Es war barfuß und trug ausgefranste Kniehosen, die ebenfalls klatschnass waren, dazu ein schmutzig weißes Hemd und eine Weste. Es starrte Kristina aus weit aufgerissenen Augen an, dann kletterte es weiter wie ein Äffchen.
In diesem Moment erwachten Lichterkette und Radio wieder zum Leben.
Und gleich darauf kam Sara wieder ins Zimmer und fragte: »Was ist passiert? Was soll das Geschrei?«
»Da … da draußen ist jemand!«, stotterte Kristina.
Sara ging zum Fenster. Das Fensterbrett war leer. »Ich habe es aber gesehen!«, beteuerte Kristina. »Es war ein Kind und es ist von außen am Hotel hochgeklettert!«
Nonna winkte ab. »So ein Unsinn! Wir sind im dritten Stock. Wie soll denn ein Kind da draußen rumklettern – und noch dazu bei Sturm?«
In diesem Augenblick rumpelte es direkt über ihren Köpfen, als würde etwas im Dachzimmer umfallen. Jan hechtete zu Cesare. Sara packte die Taschenlampe wie einen Schlagstock und rannte los. Kristina zögerte, aber dann nahm sie ihren Mut zusammen und folgte ihr.
Zwei Stufen auf einmal nehmend, rannte Sara direkt zu dem Zimmer unter dem Dach, in dem Kristina und Jan schlafen sollten. Als Kristina ihre Tante endlich eingeholt hatte, riss Sara gerade die Tür auf. Eisiger Wind fegte ihnen entgegen. Kristina zitterte immer noch vor Schreck, und jetzt, als sie in das Zimmer blickte, rutschte ihr das Herz in die Hose. Das Fenster stand offen und die Fensterflügel schlugen im Wind wie von unsichtbaren Händen bewegt. Geisterhaft flatterten die Vorhänge. Sara schritt, ohne zu zögern, zum Fenster und schloss es. Dann wischte sie sich mit dem Ärmel den Regen von der Stirn und sah sich um.
»Der Wind hat das Fenster aufgedrückt«, stellte sie fest. »Und einiges durcheinandergebracht.«
Einiges durcheinandergebracht? Im Zimmer sah es aus, als wäre ein Orkan hindurchgefegt. Von den zwei Betten waren die Decken heruntergeweht worden. Sie waren nass vom Regen. Kristinas Koffer lag offen auf dem Boden. Er war von dem Stuhl heruntergefallen und dabei aufgegangen. Alle Sachen lagen in einem wirren Haufen auf dem Boden. Und Jans grünes Skateboard, das er neben dem Stuhl geparkt hatte, lag umgeworfen da, die Räder drehten sich in der Luft.
»Habt ihr heute das Fenster aufgemacht?«, ertönte Nonnas atemlose Stimme hinter Kristina. Die alte Frau war gemeinsam mit Cesare und Jan ins Zimmer getreten und sah sich besorgt um.
»Ja, schon«, erwiderte Kristina. »Als wir ankamen, hat Jan auf den Canal Grande hinuntergeschaut. Da unten fuhr ein Ruderboot mit Weihnachtsmännern vorbei.«
»Und wo ist die Silberschnur?«, rief Nonna mit schriller Stimme. »Ich habe sie doch heute Morgen an den Fenstergriff gebunden!« Es war komisch, dass die alte Dame so erschrocken aussah. »Habt ihr sie weggenommen?«
Kristina und Jan wechselten einen verdutzten Blick. Dann schluckte Jan und sagte mit kleinlauter Stimme: »Ich habe sie.« Er zog die Silberkordel aus seiner Tasche. »Ich wollte sie wieder hinhängen, ehrlich!«
Nonna schloss für einen Moment die Augen, als müsste sie sich anstrengen, ganz ruhig zu bleiben. »Merkt euch eines: Die Silberbänder und Perlen werden nicht von den Griffen entfernt, verstanden?«
»Warum nicht?«, wollte Jan wissen.
Nonna runzelte verärgert die Stirn. »Das siehst du doch! Die alten Fenster schließen nicht immer gut. Und die Bänder halten die Fensterflügel zusammen, falls der Wind doch mal ein Fenster aufstößt.«
»Es war aber nicht der Wind!«, platzte Kristina heraus. »Sondern das Kind, das an der Fassade hochgeklettert ist! Kein Windstoß schmeißt ein Skateboard um. Das Zimmer ist durchsucht worden, das sieht doch jeder! Die Pfützen da auf dem Boden sind Fußspuren.«
»Unsinn«, erwiderte Nonna. Sie pflückte Jan die Perlenschnur aus der Hand und wickelte sie wieder fest um die beiden Fenstergriffe. »Und jetzt räumt auf. Sara, hol rasch einen Lappen, die Pfützen verderben das Parkett. Ich bringe euch neue Bettwäsche, damit ihr heute trocken schlafen …«
»Ich schlafe hier auf gar keinen Fall!«, schrie Jan. »Nicht in dem Spukzimmer! Das war eindeutig ein Gespenst.«
Nonna schüttelte entschieden den Kopf. »Jetzt setzt dir deine Schwester auch noch diese Flausen in den Kopf!«
»Na na«, sagte Cesare und lachte gutmütig. »Hier gibt es doch keine Gespenster. Aber für alles eine Erklärung: Auf dem gewachsten Parkett bilden sich nun mal Pfützen, die wie Spuren aussehen können. Und der Koffer ist auf das Skateboard gefallen und hat es umgekippt.«
Kristina konnte es nicht fassen. Das war wirklich verrückt! Hilfe suchend sah sie zu ihrer Tante, aber Sara starrte nur ratlos auf den nassen Boden.
»Ich schlafe auch nicht hier oben!«, sagte Kristina und verschränkte die Arme.
Und zu ihrer Überraschung trat nun Sara neben sie und legte ihr die Hand auf die Schulter. »Wir sollten die Kinder nicht zwingen, hierzubleiben, wenn sie Angst haben«, sagte sie sanft zu Nonna. »Die Hotelzimmer stehen doch alle leer. Ich richte ihnen für heute die Betten im Dogenzimmer her.«
Und zu Kristinas unendlicher Erleichterung nickte Nonna nach kurzem Zögern.
Das Dogenzimmer war der prächtigste Raum im Haus. Ein gewaltiges Himmelbett mit grüngoldenen Vorhängen stand in der Mitte und das Bad war mit weißem Marmor gefliest. Touristen zahlten sehr viel, um hier zu übernachten. Doch Kristina kam sich in dem riesigen Bett verloren vor. Das Weihnachtsfest war vorbei, der Sturm hatte sich gelegt und nun war es ganz still im Haus. Inzwischen war es tiefste Nacht, aber immer noch grübelte Kristina über das Kind nach. Sie erschrak, als sie leise Schritte hörte. Kinderfüße tappten auf den Steinboden. Aber es war nur Jan, der es in dem zweiten, kleineren Bett am Fenster nicht ausgehalten hatte.
»Kannst du auch nicht schlafen?«, flüsterte sie in die Dunkelheit.
Jan gab keine Antwort, sondern kletterte zu ihr ins Himmelbett und wärmte seine Eisfüße an ihren Beinen.
»Ich will wieder nach Hause«, jammerte er.
»Ich auch, aber das geht nicht. Unsere Wohnung hat einen Wasserschaden, und bis alles wieder trocken ist, stehen unsere ganzen Sachen auf dem Dachboden.«
Jan seufzte tief und Kristina musste plötzlich schwer schlucken. Noch nie hatte sie sich so sehr nach zu Hause gesehnt, nach Faulenzen und Telefonieren und Schlittschuhlaufen mit ihren Freundinnen. Und wie jedes Jahr sehnte sie sich auch völlig unvernünftig nach ihrer Mutter, an die sie sich kaum noch erinnerte. Mit jedem Weihnachtsfest schien das Bild der sanften blonden Frau, die ihr so oft vorgesungen hatte, mehr zu verblassen. Inzwischen war sie fast nur noch ein fernes Echo in Kristinas Erinnerungen.
»Glaubst du, das Geisterkind kommt wieder?«, fragte Jan leise.
»Ich glaube nicht, dass es ein Gespenst war«, erwiderte Kristina beruhigend.
»Echt nicht? Wieso?«
»Gespenster werden doch nicht nass, oder?«
Jan atmete hörbar auf. »Nein«, murmelte er erleichtert. »Und war es ein Junge oder ein Mädchen?«
Kristina zögerte. Plötzlich war ihr auch ein bisschen kalt. Und sie wünschte sich, sie hätte auch jemanden, der sie trösten würde. Aber sie war die Ältere und sie durfte ihren Bruder nicht noch mehr erschrecken. »Ich weiß es nicht«, antwortete sie leise. »Es sah eher aus wie ein Junge. Aber ich habe ihn ja nur ganz kurz gesehen.« Und nach einer Weile setzte sie hinzu: »Auf jeden Fall war es ein ziemlich komisches Kind. Es hatte ganz altertümliche Sachen an, wie aus einem Mittelalterfilm.« Doch sie verriet ihrem Bruder nicht, was noch viel seltsamer gewesen war: Vorhin, als die kleine Gestalt sie durch die verregnete Scheibe angestarrt hatte, war das Zimmer für eine Sekunde vom Blitzlicht erhellt worden. Dabei hatten die Augen des Kindes aufgeleuchtet wie die einer Katze.
»AUFSTEHEN! AVANTI!« Ein energisches Händeklatschen ertönte, dann wurde der Vorhang mit einem Ruck aufgerissen. Kristina blinzelte. Im ersten Augenblick wusste sie nicht, wo sie war. Erst als sie den goldgrünen Betthimmel über sich sah, fiel ihr alles wieder ein: Venedig, das gruselige Weihnachtsfest, das Gewitter und das Kind am Fenster. Sie fuhr hoch – und sah ihre Urgroßmutter am Bett stehen. Natürlich trug Nonna auch heute ein violettes Kleid – und darüber eine rosa Schürze. »Zieht euch an, das Frühstück wartet. Und danach könnt ihr gleich mit der Arbeit anfangen.«
Kristina blinzelte verdutzt. »Arbeit?«
»Ma certo!«, antwortete Nonna. »Aber sicher! Wenn ich euch schon eine Woche lang durchfüttere, dann könnt ihr ruhig auch etwas dafür tun. Sara ist schon unten. Ein Zimmer im ersten Stock soll leer geräumt und neu gestrichen werden, es wird ein neues Hotelzimmer. Nächste Woche kommen wieder Touristen, bis dahin muss es fertig sein.«
Kristina verstand immer noch nur Bahnhof. »Es sind doch Weihnachtsferien! Und wir sind deine Gäste – du kannst uns doch nicht arbeiten lassen.«
»Gäste? Ihr seid Familie!«, antwortete Nonna trocken. »Aber natürlich kann ich euch nicht zwingen. Allerdings solltet ihr wissen, dass es ohne Arbeit kein Mittagessen gibt. Und an eurer Stelle würde ich schnell aufstehen. Frühstück gibt es nämlich nur bis acht Uhr.« Sie tippte mahnend auf ihre kleine silberne Armbanduhr und wieselte aus dem Zimmer, bevor Kristina auch nur Piep sagen konnte. Aber ihr war der Mund ohnehin offen stehen geblieben. Fassungslos ließ sie sich in die Kissen zurückfallen und schloss die Augen. Jetzt wusste sie es ganz sicher: Sie musste in einem Albtraum gefangen sein. Neben ihr ertönte unter der Bettdecke ein dumpfes, verzweifeltes Stöhnen. Jans Blondschopf wühlte sich aus dem Deckenberg. »Nonna spinnt ja wohl!«, beschwerte er sich. »Wir sind doch nicht ihre Sklaven! Die soll ihr blödes Zimmer doch selber einrichten.«
Es war komisch, normalerweise waren Jan und Kristina wie Feuer und Silvesterknaller. Kamen sie sich zu nahe, flogen die Funken. Aber seit sie gestern in Venedig angekommen waren, waren sie plötzlich ständig einer Meinung.
Jan schlüpfte aus dem Bett und sprang mit einem Satz auf den Boden. Dann schnappte er sich sein Skateboard und rannte zur Tür.
»Wo willst du hin?«
Jan drehte sich um. »Na, frühstücken.« Er deutete auf eine altmodische goldene Uhr, die auf einer Kommode stand. Sie zeigte zwanzig vor acht. »Der lila Drache lässt uns sonst verhungern.«
»Warte, ich komme mit!«
Sie rannten hinauf zum Dachzimmer, um sich Pullover zu holen. Das Zimmer war immer noch so durcheinander, wie sie es gestern Nacht verlassen hatten. Aber jetzt, bei Tageslicht, sah es wenigstens nicht mehr gruselig aus. Die Wasserpfützen waren verschwunden. Kristina sammelte einen dicken Pulli und eine Hose vom Boden auf und stopfte die anderen Sachen hastig zurück in den Koffer.
»Oh nein!« Jans spitzer Aufschrei gellte so laut durchs Zimmer, dass Kristina zusammenschrak.
Ein wutrotes Gesicht wandte sich ihr zu. Jan deutete anklagend auf die Schublade des Nachttischchens. »Das Kind hat meinen neuen Radiergummi geklaut«, empörte er sich. »Und den Totenkopfanhänger und meine Fußballsticker auch. Ich habe sie gestern extra in die Schublade gelegt – und jetzt sind sie weg.« Mit ein paar Sätzen war er beim Fenster und wickelte in Windeseile die Perlenschnur ab. Dann kletterte er auf das Fensterbrett und riss kniend das Fenster auf. »He, das sind meine Sachen, du Dieb!«, rief er nach draußen.
»Pass auf!« Kristina stürzte zu ihm und packte ihn am Pyjama. Mit der anderen Hand musste sie sich am Fenstergriff festhalten, so mulmig wurde ihr beim Gedanken an die Tiefe. Jan hätte sich auch kopfüber aus einem Riesenrad hängen lassen können, Kristina dagegen würden keine zehn Pferde überhaupt auf ein Riesenrad bekommen. Aber jetzt nahm sie ihren ganzen Mut zusammen und blickte nach unten. Steil fiel die Fassade ab. Nonna hatte recht gehabt: Kein Mensch konnte hier einfach so hochklettern. Das Hotel Dandolo stand direkt am Canal Grande. Und heute sah es so aus, als würde das Haus im Kanal stehen. Es nieselte und das grüne Wasser der Lagune hatte die Stadt überschwemmt.
Kristina war fast ein wenig enttäuscht, dass sonst nichts Ungewöhnliches zu entdecken war. Aber hatte sie tatsächlich gehofft, das seltsame Kind bei Tageslicht wiederzusehen?
»Was macht ihr da?«
Kristina und Jan prallten zurück. Jan rutschte vom Fensterbrett und landete mit einem Plumps auf dem Boden. An der Tür stand Tante Sara. Sie trug wieder ausgeleierte Jeans und einen verwaschenen Pulli, die Locken nachlässig mit ein paar Spangen hochgesteckt. Doch heute hingen auch noch Spinnweben in ihrem Haar und auf ihren Wangen und dem Pulli prangten Staubstreifen. Das ließ nichts Gutes ahnen. Offenbar meinte Nonna es mit dem Arbeiten wirklich ernst.
»Lasst euch bloß nicht dabei erwischen, dass ihr die Fenster aufreißt!« Rasch kam sie herüber und zog die Flügel wieder zu. Dann nahm sie die Kordel vom Fensterbrett und brachte sie wieder an den Griffen an.
»Man wird ja wohl noch aus dem Fenster schauen dürfen!«, erwiderte Kristina unwillig. »Und was soll eigentlich dieses Getue mit den Perlenschnüren?«
»Ach, das ist nur so eine von Nonnas Marotten. Habt ihr gut geschlafen?«
»Geht so«, murrte Kristina.
Ihre Tante rang sich ein Lächeln ab. »Früher, als ich noch klein war, habe ich oft in den Gästezimmern übernachtet, manchmal jede Nacht in einem anderen Raum. Na ja, beeilt euch, wir haben viel zu tun. Zimmer Nummer vierzehn muss ausgeräumt werden.«
Kristina stutzte. »Das Hotel hat doch nur zwölf Gästezimmer. Plus eins macht dreizehn, oder?«
Sara zuckte mit den Schultern. »Die Nummer dreizehn bringt Unglück, deshalb sparen Hotels diese Zahl aus.«
Jan hatte lange genug gebrodelt. Jetzt stampfte er mit dem Fuß auf. »Ich werde gar kein Zimmer ausräumen!«, brüllte er. »Und ich bleibe auch nicht in dem Spukhotel. Ich rufe heute Papa an und sage ihm, dass wir hier wie Gefangene behandelt werden und schuften sollen. Du bekommst Riesenärger!«
Aber Sara griff nur lässig in die Hosentasche und zog ihr Handy hervor. »Ach, da wir gerade von eurem Vater sprechen … Er hat heute Morgen schon angerufen und lässt euch grüßen. Und das ist seine Nachricht.«
Sie drückte eine Taste. »Hallo, meine beiden«, ertönte Papas müde Stimme. »Ich wünsche euch Frohe Weihnachten und hoffe, es geht euch gut. Ich habe sehr viel Arbeit und vermisse euch wahnsinnig! Hab schon gehört, dass Nonna eure Hilfe braucht. Ich habe ihr versprochen, dass ihr keinen Ärger macht und tut, was sie sagt. Und … na ja … es wird ja auch mal Zeit, dass ihr meine italienische Familie richtig kennenlernt.«
DAS NEUE HOTELZIMMER war im Augenblick nur eine staubige Gerümpelkammer ganz am Ende eines düsteren, fensterlosen Flurs. Auch im Zimmer drang kein Licht durch die geschlossenen Fensterläden aus Holz. Im Funzellicht einer nackten, staubigen Glühbirne konnte man erkennen, dass der ganze Raum mit Truhen, Gemälden und Spiegeln vollgestopft war – Familienerbstücke aus vergangenen Jahrhunderten. Sogar ein altes Fischernetz lag darin herum. Eine Staubwolke vernebelte die Luft, als Sara es in den Flur warf.
Kristina und Jan hatten ihre Aufgabe bekommen: Sie rollten die Gemälde auf dem Skateboard zur Treppe oder zum Aufzug und brachten sie in Nonnas Wohnzimmer. Es machte keinen Spaß, aber nach dem mickrigen Frühstück, das nur aus einem harten flachen Keks und Kakao bestanden hatte, wäre es dämlich gewesen, das Mittagessen aufs Spiel zu setzen.
Da der Aufzug zu schmal war, mussten sie die größten Bilder über die Marmortreppe in den dritten Stock schleppen. Und als wäre das noch nicht blöd genug, hatte Nonna es sich auch noch in den Kopf gesetzt, aus der ganzen Aktion eine Unterrichtsstunde über die Familiengeschichte zu machen. »Das ist Giacomo, der Alchimist und Apotheker.« Sie deutete auf das Bild eines schielenden Mannes mit Doppelkinn. »Er war berühmt für sein Skorpionöl und für andere Wundermittel.« Der nächste Typ erinnerte an Captain Jack Sparrow aus Fluch der Karibik, allerdings mit Augenklappe. »Battiste Einauge«, erklärte Nonna. »Er liebte das Glücksspiel. Hat das ganze Geld der Familie in einer Nacht verspielt und in der nächsten wiedergewonnen.« Dann gab es noch Lukrezia, die Wahnsinnige, Asdrubale, den Astrologen, und drei Bilder von blassen Männern mit komischen Mützen, die allesamt aussahen wie dem Familienalbum der Addams Family entsprungen.
»Mit denen bist vielleicht du verwandt, nicht ich!«, flüsterte Kristina ihrem Bruder zu und kassierte dafür einen Stoß mit dem Ellenbogen.
»Diese drei hier waren Dogen«, erklärte Nonna. »Ihr wisst doch, was ein Doge ist? Er wurde als Staatsoberhaupt gewählt und herrschte dann ein paar Jahre über Venedig. Wir haben also sehr ehrenwerte Vorfahren. Seht ihr die Kappen? Sie waren so etwas wie eine Krone, Zeichen der Dogenwürde.«
»Von wegen, die sehen aus wie Schlumpfmützen«, murmelte Jan. Bei diesem Gedanken hüpfte sofort wieder ein Glucksen in Kristinas Kehle.
Wenig später reichte Sara endlich das letzte Gemälde nach draußen. Es war das verstaubteste von allen und zeigte eine Dame in einem Festkleid. Stolz aufgerichtet stand sie vor einem Fenster. Kerzenlicht ließ ihren Schmuck und das prächtig bestickte Kleid schimmern. Sie hatte dunkle Locken wie Sara und ein kühles, ein wenig hochmütiges Lächeln. Hinter ihr glitzerte der Canal Grande im Mondlicht. »Und das ist Violetta«, erklärte Nonna, die heruntergekommen war, voller Stolz. »Sie war die Frau des Dogen Dandolo, also eine Dogaressa.«
»Na, jetzt wissen wir wenigstens, woher Nonnas Lila-Tick kommt«, raunte Jan Kristina zu. Es stimmte: Schon damals waren die Vorhänge violett gewesen – und auch das Festkleid der Dame leuchtete in dieser Farbe, dazu der Amethyst-Schmuck, die Tapeten, die Vase auf dem Tisch – und auch die Blumen darin. Veilchen.
»Man nannte sie auch Violetta Aquana«, fuhr Nonna fort. »Ihr gehörte eine ganze Bootsflotte. Vor einer großen Sturmflut hat sie viele Menschen gerettet. Als hätte sie geahnt, was geschehen würde, schickte sie alles, was ein Ruder hatte, los, um die Leute aufs Festland zu bringen. Selbst als die Flut einsetzte, stand Violetta noch ganz allein auf dem Dach und dirigierte mit einer Fackel die letzten Boote auf dem Kanal. Nur sie selbst hat diese Nacht nicht überlebt.«
Jan und Kristina horchten auf. Endlich mal eine spannende Geschichte!
»Ist sie vom Dach gefallen und ertrunken?«, wollte Jan wissen.
Nonna schüttelte den Kopf. »Oh nein. Sie stürzte auf der Treppe. Zumindest ist es so überliefert.«
Jan riss die Augen auf. »Hier? Auf der Hoteltreppe?«
Nonna nickte gewichtig. »Niemand weiß, was in jener Nacht wirklich geschehen ist. Jedenfalls wurde Violetta morgens auf der dreizehnten Stufe liegend gefunden – tot. In ihrer starren Hand hielt sie einen Rosenzweig. Ihre Augen waren weit aufgerissen und ihr schönes rabenschwarzes Haar war in dieser Nacht weiß geworden.«
Kristina war nicht abergläubisch, aber die Vorstellung, dass sie schon den ganzen Vormittag über die Treppe gelaufen waren, auf der Violettas Leiche gelegen hatte, jagte ihr doch einen Schauer über den Rücken. Jan sah aus, als hätte ihm jemand alle Farbe aus dem Gesicht gewischt. »Aber sie spukt doch nicht hier herum, oder doch?«, fragte er mit piepsiger Stimme.
Nonna schien angestrengt nachzudenken. Dann wiegte sie den Kopf. »Also … äh … für gewöhnlich nicht«, sagte sie schließlich zögernd. Mit diesen Worten machte sie auf dem Absatz kehrt und verschwand eilig die Treppe hinunter.
»Also ist das Hotel doch ein Geisterhaus«, ereiferte sich Jan. »Ich wusste es! Heute Nacht hat es überall geknarzt und gescharrt. Und ich habe auch ein Flüstern gehört, ganz bestimmt.«
Kristina stöhnte innerlich auf. Na wunderbar! Jetzt würde sie Jan garantiert jede Nacht mit seinen Eiszehen in ihrem Bett haben.
»Bringen wir das Bild nach oben«, sagte sie.
»Spinnst du? Ich gehe doch die Treppe nicht mehr hoch!«, rief Jan prompt. »Nie wieder!«
»Sei nicht albern, das Bild passt nicht in den Fahrstuhl.«
Aber Jan schüttelte den Kopf, dass seine blonden Haare nur so flogen. Missmutig hievte Kristina das Bild auf das Skateboard und fuhr alleine los. Vor der Treppe blieb sie stehen und zählte die Stufen ab. Dann packte sie das Bild und schleppte es nach oben. Die dreizehnte Stufe ließ sie allerdings aus. Keuchend kam sie im Wohnzimmer an. Rasch stellte sie das Bild zu den anderen und wollte wieder hinausrennen. Aber ihr Nacken kribbelte, als würde sie beobachtet. Offenbar hatte Jan sie mit seinem Gespenstertick schon angesteckt: Sie hätte schwören können, dass Violetta sie durchdringend anstarrte, als versuchte sie, ihr etwas zu sagen. Und war es im Zimmer nicht auf einmal unheimlich still geworden? Nur von draußen hörte sie den Klang von Bootshupen hereindringen – und irgendwo einen gellenden Möwenschrei.
Völlig atemlos kam sie wieder unten an. Durch den Flur dudelte Radiomusik und Sara polterte im Gerümpelzimmer herum. Jan hatte sich irgendwohin verkrümelt und sein Skateboard mitgenommen.
Kristinas Nacken kribbelte immer noch, und an den Armen hatte sie eine Gänsehaut, als würden Violettas Blicke sie verfolgen.
»Kristina, bist du das?«, krächzte Sara aus dem Gerümpelzimmer. »Holst du mir bitte den Staubsauger? Er steht in der Besenkammer.«
Der Staubsauger war ein riesiges Ungetüm mit einem Krakenarm aus schwarzem Plastik. Kristina zerrte das Gerät hinter sich her auf den dunklen Flur – und sah gerade noch, wie etwas direkt auf sie zusauste. Mit einem Aufschrei sprang sie vor dem heranrasenden Skateboard zur Seite, stolperte über den Staubsaugerschlauch und schlug der Länge nach hin. Das Skateboard fuhr weiter, prallte neben einem dunkelgrünen aufgehängten Teppich gegen die Wand und überschlug sich.
»Jan!«, brüllte Kristina. »Das ist nicht witzig!«
»Was denn?«, kam Jans verwunderte Stimme ganz vom anderen Ende des Flurs. Verwirrt rappelte sich Kristina auf. Auf gar keinen Fall konnte ihr Bruder das Skateboard von dort aus vor ihre Füße geschubst haben. Es sei denn, das Gefährt hätte mitten im Flur die Richtung geändert.
Der Boden war verstaubt. Das Skateboard hatte eine Fahrspur darin hinterlassen. Kristina folgte der Fährte und bückte sich an der Wand. Ihr Herz machte einen Satz. Neben der Fahrspur war noch etwas anderes zu erkennen: der verwischte Abdruck eines kleinen bloßen Fußes!
»Was machst du da? Wehe, es ist kaputt!« Jan stürzte an ihr vorbei und hob das Skateboard auf. Dabei verwischte er die Fußspur.
»Das war ich nicht. Ich glaube, das Kind vom Fenster ist wieder da.«
Jan wirbelte herum und drückte sein Skateboard schützend an sich. »Hier drin? Echt jetzt?«
Kristina nickte beklommen. »Es hat mir eben das Skateboard in den Weg geschubst, als wollte es mich zum Stolpern bringen und …«
Sie verstummte. Jan wurde ganz blass und hechtete hinter Kristinas Rücken. Sie hatten es beide gehört: ein leises Kichern. Und es schien direkt aus der Wand gekommen zu sein.
»Es … es versteckt sich hinter dem Wandteppich«, wisperte Jan. »Schau du nach!«
Er schubste seine Schwester zwischen den Schulterblättern. In solchen Momenten hasste Kristina es, die Ältere zu sein. Ein Rückzieher würde feige aussehen. Schließlich nahm sie ihren ganzen Mut zusammen. Immerhin waren sie zu zweit und Sara war nur ein paar Meter entfernt. Aber trotzdem nahm Kristina sich zur Sicherheit einen Besen, der an der Wand lehnte. Mit dieser Waffe in den Händen, trat sie zum Wandteppich. Vorsichtig hob sie ihn mit dem Besenstiel ein wenig an und spähte dahinter, jederzeit bereit, zurückzuspringen. Jan lugte neben ihrem Ellenbogen hervor. »Eine Tür«, hauchte er.
Die Tür musste uralt sein, so schartig und wurmstichig, wie sie war. Das Schloss schien völlig verrostet und der Türgriff hatte die Form eines Schlangenkopfes. Und auf Augenhöhe konnte man noch genau erkennen, welche Zahl früher auf das Holz gemalt gewesen war.
»Es gibt hier also doch ein dreizehntes Zimmer«, stellte Kristina fest.
Jan nickte eifrig. »Und der Dieb hat sich darin versteckt. Dann sind meine Sticker und mein Schlüsselanhänger bestimmt auch dort.«
Die Schlangenklinke knirschte, als Kristina sie herunterdrückte, Rost rieselte, doch die Tür blieb fest verschlossen.
»Wo bleibt der Staubsauger?«, rief Sara.
»Der ist hier bei Nummer dreizehn!«, antwortete Kristina. »Du hast doch gesagt, das Hotel hat kein dreizehntes Zimmer. Aber hier ist eines.«
Gepolter erklang, dann kam Sara aus dem Raum am Ende des Flurs herbeigeeilt.
»Was? Wovon redet ihr?« Sie hatte sich ein Taschentuch über Mund und Nase gebunden. Als sie es nun herunterzog, sah es aus, als hätte sie eine Zorro-Maske aus Staub auf Stirn und Wangen. Beim Anblick der Tür prallte sie erschrocken zurück und wurde seltsamerweise totenblass. Vorsichtig, fast ehrfürchtig streckte sie die Hand aus und berührte mit den Fingerspitzen das verwitterte Holz. »Du meine Güte«, hauchte sie. »Die Tür … das hatte ich ja ganz vergessen.«
»Was für ein Zimmer ist das?«, wollte Kristina wissen.
Sara schluckte sichtlich, dann verfinsterte sich ihre Miene plötzlich. »Gar keines«, erwiderte sie barsch. »Früher war das nur ein Ausgang zu einem … einem kleinen Innenhof. Für die Bediensteten, nicht weiter wichtig.«
»Aber warum schreibt jemand auf eine Ausgangstür die Nummer dreizehn?«, beharrte Kristina.
»Woher soll ich das wissen?«
»Wir brauchen den Schlüssel«, drängte Jan.
Sara schüttelte den Kopf. »Es gibt keinen mehr, Nonna hat ihn schon vor Jahren weggeworfen. Die Tür ist seitdem verschlossen. Wahrscheinlich hat Cesare sie von außen längst zugemauert.« Mit diesen Worten schnappte Sara sich den Staubsauger und zog ihn rumpelnd hinter sich her, als würde sie vor weiteren Fragen flüchten. Das war wirklich mehr als verdächtig.
Jan runzelte die Stirn. »Von wegen kein Schlüssel. Da stimmt was nicht. Sara schwindelt doch.«
»Schnellblicker«, murmelte Kristina. Sie versuchte, durch das Schlüsselloch zu spähen. Doch das Schloss war mit irgendetwas verstopft. »Wir müssen uns diesen Innenhof anschauen. Bestimmt sehen wir ihn von irgendeinem Fenster aus.«
Aber es war wie verhext. Aus welchem Fenster sie auch schauten, da waren immer nur Mauern oder Gassen. Schließlich standen sie wieder ratlos vor dem Wandteppich. Kristina rollte genervt mit den Augen – und erhaschte dabei zufällig einen Blick auf etwas, das sich weit über ihren Köpfen befand. Ein winziges Fenster. Oder eher eine Art Guckloch in der Wand. Das ovale Glas war nicht größer als ein Kuchenteller und so von Staub verkrustet, dass kaum Licht hindurchfiel.
»Jan, traust du dich, da hochzuklettern?«