Laredo - Les Willcox - E-Book

Laredo E-Book

Les Willcox

0,0
3,49 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Der Autor steht für einen unverwechselbaren Schreibstil. Er versteht es besonders plastisch spannende Revolverduelle zu schildern und den ewigen Kampf zwischen einem gesetzestreuen Sheriff und einem Outlaw zu gestalten. Er scheut sich nicht detailliert zu berichten, wenn das Blut fließt und die Fehde um Recht und Gesetz eskaliert. Diese Reihe präsentiert den perfekten Westernmix! Vom Bau der Eisenbahn über Siedlertrecks, die aufbrechen, um das Land für sich zu erobern, bis zu Revolverduellen - hier findet jeder Westernfan die richtige Mischung. Lust auf Prärieluft? Dann laden Sie noch heute die neueste Story herunter (und es kann losgehen). Scharf strich der Nachtwind um das Haus der Cash-Farm. Horchend richtete Joan Cash sich auf und blickte zum verhangenen Fenster. »Sam, hörst du es nicht?«, flüsterte sie mit flackernder Stimme. »Da ruft doch jemand!« Sam Cash nahm die Pfeife aus dem Mundwinkel und lauschte. Er hörte nur den Wind und das Klappern des Stalltors. »Du irrst dich, Joan. Niemand ruft. Wer sollte schon in dieser einsamen Gegend sein?« Er rauchte wieder und sah zu seinem fünfzehnjährigen Sohn hinüber, der an einem Stock schnitzte. Trübes Licht fiel auf den Tisch. Die Wände des Raumes versanken schon im Halbdunkel. »Ich hab was gehört«, behauptete Joan Cash. »Es hörte sich irgendwie furchtbar an, Sam.« »Nun komm, setz dich wieder … Laredo, hast du was gehört?« Laredo sah hoch und schüttelte den Kopf, schnitzte dann weiter und war erneut in Gedanken versunken. »Da hörst du es, Joan«, lächelte Sam Cash beruhigend.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 151

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Die großen Western – 363 –

Laredo

Les Willcox

Scharf strich der Nachtwind um das Haus der Cash-Farm. Horchend richtete Joan Cash sich auf und blickte zum verhangenen Fenster.

»Sam, hörst du es nicht?«, flüsterte sie mit flackernder Stimme. »Da ruft doch jemand!«

Sam Cash nahm die Pfeife aus dem Mundwinkel und lauschte. Er hörte nur den Wind und das Klappern des Stalltors.

»Du irrst dich, Joan. Niemand ruft.

Wer sollte schon in dieser einsamen Gegend sein?« Er rauchte wieder und sah zu seinem fünfzehnjährigen Sohn hinüber, der an einem Stock schnitzte. Trübes Licht fiel auf den Tisch. Die Wände des Raumes versanken schon im Halbdunkel.

»Ich hab was gehört«, behauptete Joan Cash. »Es hörte sich irgendwie furchtbar an, Sam.«

»Nun komm, setz dich wieder … Laredo, hast du was gehört?«

Laredo sah hoch und schüttelte den Kopf, schnitzte dann weiter und war erneut in Gedanken versunken.

»Da hörst du es, Joan«, lächelte Sam Cash beruhigend. »Niemand ist draußen im Tal.«

Sie zuckte die Achseln, wurde nun unsicher und nahm am Tisch Platz. Doch sie griff nicht zum Nähzeug, reglos saß sie auf dem harten Hocker und lauschte angespannt.

Der Wind winselte und warf Staub gegen das Haus. Ein schauriger Laut tönte durchs Tal. Joan Cash sprang auf, und nun erhob auch Sam Cash sich.

»Was ist das?«, krächzte er. »Hört sich wie ein heulender Wolf an!«

Die Farmersfrau war blass geworden. Mit zitternden Händen fasste sie ans Gesicht.

»Es ist ein Kind, Sam!«, hauchte sie.

»Himmel, da draußen weint ein Kind!«

Laredo sollte diesen flüchtigen Augenblick in seinem ganzen Leben nicht vergessen. Für ihn wurden diese Sekunden zur Ewigkeit. Er sah das blasse Gesicht seiner Mutter und den verstörten Ausdruck im zerfurchten Gesicht seines Vaters. Wieder tönte das herzzerreißende Weinen durchs Tal. Es schien so nahe zu sein und war doch so weit weg …

»Mam?«, rief Laredo. »Tu’s nicht!«

Warum er seine Mutter zurückhalten wollte, wusste er selber nicht. Es war die stille Furcht vor der dunklen Nacht vielleicht, die Angst vor dem Ungewissen und um die Mutter.

Doch Joan Cash lief schon ans Fenster, zerrte die alte Gardine beiseite und öffnete das Fenster. Ein Windstoß kam herein und ließ die Gardine zur Seite flattern. Die Fensterflügel schlugen hart. Joan Cash starrte hinaus …

Ein Kind schien zu weinen. Es klang so echt, dass die Farmersfrau erschüttert aufstöhnte.

»Joan!«, brüllte Sam Cash. »Weg vom Fenster!«

Sie griff nach den schlagenden Fensterflügeln und hielt sie fest. Ihr Haar wehte über die Schultern hinweg.

»Ich komme!«, schrie sie hinaus ins leere, öde Tal, wo die Staubwolken über die Hänge wanderten, wo der kalt funkelnde Mond das Land in bleiches Licht tauchte und wo ein paar Wolken über die fernen Bergketten zogen. Sie wollte durchs Fenster hinaus, doch sie zuckte auf einmal heftig zusammen. Die Augen blickten starr in die nächtliche Ferne. Ein schwerer, ziehender Schmerz breitete sich in ihrer Brust aus. Sie glaubte, Stimmen zu hören – und dann vernahm sie die ferne, hohl hallende Stimme ihres Mannes:

»Hier bleiben wir für immer, Joan. Gott hat uns diesen Platz geschenkt. Siehst du das Tal, Joan? Bald werden unsere Felder sich bis zum Talrand hinaufziehen, und du wirst die Ernte reifen sehen. Bist du glücklich, Joan …?«

Eine ferne Stimme, die längst verklungen war, die Joan Cash schon vor vielen Monaten gehört hatte.

Sie besaß auf einmal keine Kraft mehr. Die Beine knickten ein, die Hände lösten sich von den Fensterflügeln – und sie drehte sich mühsam herum, schwankte in den Raum hinein und griff mit flatternden Händen an die Brust, wo zitternd der Schaft eines Pfeils hervorragte … »Joan …!«

Sam Cash schrie schrill und laut, stürzte hinterm Tisch hervor und fing seine Frau auf. Leblos hing sie in seinen Armen. Er wusste nicht, was er tun sollte, ging in die Knie – und die Fensterflügel schlugen, und das Licht flackerte heftig.

Laredo starrte zum Fenster. Dort tauchte ein Gesicht auf – düster, schweißnass und verzerrt. Die Mündungsflamme blendete ihn. Er hörte den scharfen Knall und warf sich über den Tisch, riss die Lampe mit sich. Flammen leckten über den Boden. Verzweifelt wälzte er sich durch die Flammen und erstickte das Feuer. Keuchend kam er hoch und sah, wie sich sein Vater mühsam und tödlich verwundet über den Boden schleppte, wie er zum Gewehr griff und sich wie ein todwundes Tier quälte. Das Grauen erstickte Laredos Stimme. Er konnte nichts tun, kauerte wie versteinert am Boden und sah, wie sich sein Vater aufrichtete.

Da war wieder das Gesicht des Fremden!

Sein Vater drückte ab.

Feuer schlug aus dem Lauf. Pulver und Feuer verbrannten das fremde Gesicht. Aufbrüllend verschwand der Fremde. Gellendes Geheul stieß durchs offene Fenster herein. Urplötzlich wimmelte es vor dem Haus von dunklen Gestalten, die heranhetzten. Pfeile und Blei schlugen herein, klatschten gegen die Wände, durchlöcherten Töpfe und Pfannen.

Sam Cash kam zurückgekrochen. Sein Blick war furchtbar. Röchelnd sprach er:

»Verkriech … dich, Laredo! In den … Kellerraum …, schnell!«

»Nein!«, schrie Laredo schluchzend auf. »Ich bleibe bei dir! Ich lass dich nicht …«

Schüsse übertönten seine Stimme.

Sam Cash kroch an die Luke heran, unter der die Treppe in den Kellerraum führte. Mit letzter Kraft riss er die Luke hoch und stieß seinen Sohn hinein. Laredo polterte abwärts und blieb benommen liegen. Während draußen Reiter heranjagten und die Comanchen am Fenster auftauchten, zerrte Sam Cash den selbstgeflochtenen zerfransten Grashalmteppich über die Luke.

Er fiel darauf. Schüsse peitschten herein. Er spürte und hörte nichts mehr …

Zitternd lag Laredo im dunklen kleinen Kellerraum. Er hörte das Geschrei nur ganz dünn und wie aus weiter Ferne. Dumpf polterte es über ihm. Todesangst erfüllte ihn, er konnte kaum mehr atmen. Über ihm waren die Comanchen, hetzten durchs Haus, plünderten und verwüsteten alles. Töpfe fielen laut scheppernd zu Boden, der Tisch wurde umgerissen, Hocker wurden zertrümmert. Immer wieder ertönte dieses furchtbare Geschrei …

Über ihm war die Hölle.

Er zitterte um die fünfzehn Jahre seines Lebens und presste die Faust gegen die Zähne, um nicht aufzuschreien. Im Kellerloch war es stockdunkel. Kein Licht fiel von oben herein. Immer wieder hörte er Schritte, schnell und tastend, als würden dort oben Raubkatzen entlangschleichen. Dumpfe, kehlige Stimmen waren zu hören. Plötzlich vernahm Laredo das harte Rasseln von Radsporen und feste Schritte auf der Luke, die Bretter bogen sich knarrend durch, und etwas Staub fiel herunter. Wieder erklang die Stimme. Schwer rutschte es über die Luke hinweg. Dann sah Laredo über sich einen schmalen Spalt …

Jemand öffnete die Luke!

Er sprang zur Seite und kroch hinter die Säcke, kauerte sich nieder und hielt den Atem an.

Der Spalt wurde größer, die Luke wurde aufgerissen. Laredo erkannte im flackernden Schein eines Talglichtes ein blutendes und verbranntes Gesicht und eine Hand mit einem Colt. Grell flammte es auf. Mehrere Schüsse peitschten herunter. Kugeln schlugen in die Säcke ein. Bohnen rieselten durch die Einschusslöcher in den Säcken und rollten auf den Boden.

Die Schüsse waren verstummt. Die Faust mit dem Colt war noch immer über ihm. Das verzerrte und verbrannte Gesicht war wie eine Fratze des Bösen. Krachend fiel die Klappe zu. Schritte polterten darüber hinweg, Sporen klirrten. Noch immer wüteten die Comanchen im Farmhaus.

Laredo lag völlig verkrampft hinter den Säcken. Das Grauen ließ ihn nicht mehr los.

Auf einmal war es still im Haus. Es dröhnte leise und dumpf. Das war der Hufschlag vieler Pferde auf dem Hof. Langsam verlor sich das Geräusch.

Er verließ seine Deckung und tastete sich zur Treppe, stieg steif hoch und stieß mit dem Kopf gegen die Luke, drückte sie vorsichtig auf und roch den beißenden Qualm, der erstickend seine Lunge füllte. Er wagte nicht, zu husten aus Angst, gehört zu werden. Zitternd kroch er hervor und sah, wie Flammen an den Wänden hochschlugen, wie sie sich fauchend ausbreiteten und sich ins Holz hineinfraßen.

Röchelnd taumelte er zur Tür, sah schon den Hof und das bleiche Mondlicht – da fiel sein Blick auf den Vater. Sam Cash lag quer vor der Tür. Skalpiert.

Laredo schrie erstickt auf, warf sich herum und erkannte seine Mutter im Raum. Sie lag skalpiert in der Nähe des Fensters, wo die Gardinen in hellen Flammen standen und wie Feuerschlangen im Wind hin und her schlugen. Das Kleid war ihr vom Leib gerissen worden.

Der Junge brach zusammen. Immer dichter wurde der Qualm im Haus, und glühende Hitze schlug nach ihm.

Er hob die Mutter auf und schleppte sie aus dem Haus, kehrte um und zerrte den Vater an den Armen ins Freie. Kraftlos fiel er zu Boden, lag im Staub und weinte.

Über ihm war der Sternenhimmel von Texas. Rauchschwaden zogen über den Hof der Farm. Die Felder brannten, und auch der Stall stand in Flammen. Die Glut strahlte rot herüber. Funken wirbelten auf den Jungen hernieder. Er musste weg, wollte er nicht ersticken. Die Hände krallten sich in den Staub hinein, und auf allen vieren kroch er weg, erreichte den Brunnen und wurde ohnmächtig.

Längst war der Hufschlag verklungen, längst das schrille Geheul der Comanchen in der weiten Nacht verhallt.

Stunden später stand Laredo am fernen Talrand und zitterte wie ein geschlagener Hund. Er hatte die Eltern begraben. Noch haftete die Erde an seinen Händen. Er konnte nicht mehr weinen. Mit ausgebrannten Augen starrte er zurück – dorthin, wo zwei große Gluthaufen immer wieder unter den Windböen aufleuchteten.

Zu Fuß irrte er durch die Nacht …

*

Schrill schrien die Totenvögel und segelten mit großen ausgebreiteten Schwingen über den Canyon hinweg, zogen ihre unheilvollen Kreise, sanken immer tiefer.

Heiß brannte die Sonne auf Laredo hernieder. Zerschunden und kraftlos stand er im Canyon und hörte das heisere Krächzen der Aasgeier.

Die Schatten der Vögel huschten über leblose Rinder und Pferde hinweg, über gefallene Männer, über den leeren Corral und übers Dach des Ranchhauses.

Staubwirbel wanderten durch den Canyon, tanzten um die Pfosten des Corrals, über den Hof und über die Türschwelle hinweg.

Laredo warf sich herum und wollte fliehen, wollte nichts mehr sehen und hören. Das wütende Geschrei der Geier folgte ihm. Er schlug die Hände gegen die Ohren und durchbrach das staubige Gestrüpp, fiel hin und krümmte sich.

Viele Stunden war er gegangen, hatte sich endlose Meilen durch das weite Land geschleppt und immer dabei gehofft, auf Menschen zu stoßen – auf Menschen, die lebten, die ihm helfen würden. Wohl hundertmal hatte ihm der Gedanke, die Ranch der fernen Nachbarn zu erreichen, die Kraft gegeben, um durchzuhalten. Und nun hatte er gesehen, dass auch die Ranch der Nachbarn überfallen worden war, viel eher als die Farm seines Vaters …

Erbarmungslos war der Tod durch das Land gezogen. Nichts hatte er verschont.

Geier kreisten über ihm.

Ihre Schreie ließen ihn nicht los. Plötzlich fiel ein Schuss …

Er zuckte zusammen, als hätte ihm die Kugel gegolten – doch er konnte nicht das Fauchen der Kugel hören. Er sah, wie die Geier hochruckten, wie sie mit hartem Flügelschlag an den zerklüfteten Wänden des Canyons entlangflogen und sich aus der Tiefe der Schlucht emporstießen. Sie schrien wütend und flatterten über die Felsklippen. Träge sackten sie auf die Felsen hernieder, hockten dort mit plumpem Leib und langem kahlen Hals, glotzten herüber und bewegten kaum den Kopf dabei.

Der Knall des Schusses hallte durch den Canyon und verebbte in den fernen einsamen Tälern.

Laredo kauerte im Sand zwischen dem Gestrüpp und horchte, doch kein Schuss fiel mehr.

Er richtete sich auf und starrte mit geröteten Augen umher. Alles war so geblieben, wie er es schon gesehen hatte. Nichts hatte sich verändert. Er konnte nirgendwo den Menschen sehen, der geschossen hatte … Totenstill war es.

Laredo kroch durchs Gestrüpp und kam hervor, stand in der heißen Sonne und suchte.

Lautlos strich die knöcherne Klaue des Todes mit dem singenden Wind durch den Canyon. Eine ferne Stimme schien den Jungen zu rufen. Es war nur der Wind …

Der Junge ging durch den Canyon, steif, wie von einer fremden Hand geführt. Er wollte nicht zum Haus und ging dennoch hin. Der Tod erschreckte ihn, er wollte nicht auf die Cowboys sehen, auf Rinder und Pferde, und doch blickte er hin. Das Entsetzen zog ihn an wie ein gefährlich reißender Strudel. Vom Grauen gepackt, hatte er keinen Willen und keine Kraft, aus dem Canyon zu fliehen.

Er kam an den Corral, sah nicht die zerbrochenen Latten, das ausgerissene Pferdehaar, das in Büscheln an den glatten Stangen hing.

Laredo hatte die Grenze der Angst überschritten. Die Augen blickten stumpf und leer. Er ging weiter, als könne ihn nichts mehr erschrecken. Er kam auf den Hof, sah den Rancher, zwei Cowboys – und sein Blick schweifte darüber hinweg, als wäre dort gar nichts, nur Sand und Staub.

Und dann war er im Haus.

Es war leer.

Menschen lebten nicht mehr hier. Die große Rinderherde, die dort hinten am Ende des Canyons immer gestanden hatte, war verschwunden. Keiner der Cowboys besaß noch eine Waffe. Auch der Rancher nicht. Pfeile wippten schwach im Wind, steckten in der Hauswand. Die Einschlaglöcher vieler Kugeln zogen sich über die ganze Hausseite hin. Im Haus sah es verwüstet aus. Nichts war mehr heil geblieben.

Laredo kam wieder hervor, ging zum Stall. Die Boxen waren leer. Kein Pferd stand hier.

Er suchte das Bunkhouse der Cowboys auf. Die harten Lager waren verlassen. Alle Decken, Sättel und das gesamte Zaumzeug fehlten. Zerschossen waren die Scheiben. Heiß wehte der Wind durch das Schlafhaus. Die Tür knarrte durchdringend und überlaut in die Stille hinein.

Aufschluchzend fiel der Junge auf ein Lager. Der Weinkrampf schüttelte ihn.

Doch, er war noch Laredo Cash. Er war ein fünfzehnjähriger Junge, der alles verloren hatte.

Als er aufblickte, konnte er zuerst nichts erkennen, Tränen verschleierten seinen Blick. Er wischte mit dem Handrücken über die schmerzenden Augen hinweg. Dicht vor ihm auf dem Bett lag ein aufgeschlagenes kleines Buch. Vom Fenster kam Staub herein und fiel auf die Handschrift in diesem Buch. Es hatte einem der Cowboys gehört, einem der Männer, die draußen lagen. Dieser Mann hatte das Schreiben und Lesen beherrscht.

Vor Laredos Augen verschwamm die Schrift. Seufzend griff er zum Buch und presste es ans Gesicht. Dieses kleine Tagebuch war mehr als ein Buch irgendeines Cowboys. Es war ein Stück Zivilisation, ein Zeichen der Menschlichkeit in einer unmenschlichen Welt. Denn in dieses Buch hatte ein Mann seine Gedanken und Gefühle hineingetragen.

Die beiden Seiten waren nass, als Laredo das Buch vom Gesicht nahm. Geistesabwesend starrte er auf die Zeilen.

»Mammy, bring mir das Schreiben bei … Ich muss doch auch lesen können. Ich will nicht dumm sein …«

Das hatte er zu seiner Mutter gesagt, und sie hatte gelächelt und ihm geantwortet:

»Larry, ich bringe es dir bei. Mein Junge, weißt du überhaupt, dass ich einmal Lehrerin gewesen bin – weit im Osten, an einer richtigen Schule? Viele Kinder hatten vor mir auf Bänken gesessen. Wir hatten unseren Spaß zusammen gehabt, aber auch unsere Mühe … Komm, setz dich zu mir, wir wollen es gleich einmal versuchen …« Die Worte seiner Mutter … Vorbei.

Dahingegangen mit dem Wind, eingesunken im Staub der Ewigkeit. Nichts würde wiederkommen, nichts. Aber er hatte lesen und schreiben gelernt. Er hatte Strenge und Liebe erfahren, und was er wusste, würde ihm niemand nehmen können, niemand.

Ein Tagebuch …

Die Handschrift war eckig und dick. Eine harte Hand hatte diese Zeilen geschrieben, und Laredo las und vergaß, wo er war.

Wir haben jetzt fünfhundert Rinder.

Eine große Herde in diesem Land. Der Boss will nächstes Jahr auf den Trail gehen. Die Jungs sind schon gespannt darauf, wie’s werden wird.

Ich hab heute den Boss gefragt, was für einen Tag wir haben. Wir haben den – nein, ich weiß den Tag nicht mehr, aber es ist jetzt Juni, und man schreibt das Jahr 1870.

Heute Abend werde ich Jennifer eine Geschichte erzählen. Ich hab es ihr versprochen, und ich tue es auch, das ist sicher. Die Geschichte von Alamo, aber nicht so schlimm, wie es gewesen ist, sondern …

Hier brach die Eintragung jäh ab.

Der Mann, der es geschrieben hatte, lag draußen auf dem heißen Hof – aber Laredo wusste es nicht.

Das Tagebuch fiel aus seinen Händen. Er starrte zum Fenster empor, wo der Staub tanzte.

Jennifer …!

Er rollte sich vom Lager, sprang auf und stürzte hinaus, rannte umher und schrie ihren Namen.

Das Echo antwortete schaurig.

Die Geier krächzten.

Erbarmungslos glühte die Sonne an diesem Tag im Juni des Jahres 1870. Der Schatten des Jungen zog über den heißen Boden. Er fand das Mädchen nicht.

Langsam kehrte er zum Haus zurück.

Da vernahm er ein Geräusch hinterm Haus. Er erstarrte und hielt den Atem an.

Nichts war mehr zu hören.

Tastend setzte er die Füße, bewegte sich am Rauchhaus vorbei und erreichte den Platz, wo die alten Wagen standen, wo Bretter und Gerümpel herumlagen.

Dort stand ein zehnjähriges Mädchen. Es trug ein langes weißes Kleid, das nun voller Staub war, und es stand wie ein Engel vor ihm. Das lange dunkle Haar bewegte sich im Wind. Braune Augen blickten ihn leer an. Zu Füßen des Mädchens lag eine alte Flinte. Es hatte auf die Geier geschossen, nur ein einziges Mal, und der Rückstoß hatte das Mädchen zurückgeworfen in den Staub.

»Jennifer?«

Laredos Stimme war nur mehr ein Hauch. Vielleicht glaubte er seinen Augen nicht, glaubte zu träumen, denn alles war so unwirklich und unfassbar. Aber das Mädchen rührte sich, es lebte, es stand wirklich dort – und es hieß Jennifer!

Es hätte sich vor jedem Menschen gefürchtet – doch nicht vor dem jungen Laredo. Die Kinder liefen aufeinander zu und umarmten sich in ihrer Not und Einsamkeit. Sie weinten beide, hielten sich fest und ließen sich nicht mehr los.

Der Wind stieß durchs Fenster des Bunkhousé und blätterte im Tagebuch. Leere Seiten fielen aufeinander. Unbeschriebene Blätter flatterten im Wind. Seite auf Seite fiel. Der Cowboy hätte jahrelang noch schreiben können – doch die Seiten waren weiß und leer … Dann schlug das Buch zu.

Und niemand nahm es.

Die Jahre gingen dahin. Das Papier vergilbte, krümmte sich. Staub fiel aufs Buch, Flugsand bedeckte es. Nachts kamen die Wölfe über den Hof und heulten im Canyon. Niemand wohnte mehr im Haus. Eines fernen Tages würde es zerfallen. Die Gräber der Männer, die in diesem Canyon umgebracht worden waren, sanken ein, und im Wind fiel Staub auf die namenlosen Stätten – stille kleine Erdhügel, die niemand mehr beachtete …

*